Steigt der Salafist ins türkische Taxi… Mein Lieblingswitz zu religiösem Fundamentalismus

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Im Leben eines Wissenschaftlers geschehen die unwahrscheinlichsten Dinge – beispielsweise werden auch Schwaben für Experten in Sachen Humor gehalten! So soll ich nun also auf dem Evangelischen Kirchentag in Stuttgart am 04. Juni 2015 zum Thema “Lachen in Namen der Religionen. Humor in den abrahamitischen Religionen” sprechen. Und nachdem auch der Pegida-FDP-Dialog hier neulich für Freude gesorgt hatte, nutze ich doch einfach die Chance, einen neuen Humor-Schwerpunkt auf Natur des Glaubens zu eröffnen – in dem ich hin und wieder Schlaglichter auf Witze rund um Religion(en) werfen möchte.

Heute darf ich Ihnen dazu meinen (derzeitigen) Lieblingswitz vorstellen, der aus der Türkei stammt und m.E. sehr treffend die Herausforderung des Fundamentalismus auch (aber nicht nur) im Islam thematisiert:

 

Ein Salafist (= islamischer Fundamentalist) ruft in Istanbul ein Taxi. Er hat kaum auf der Rückbank Platz genommen, da raunzt er den türkischen Taxifahrer auch schon an: “Schalten Sie das Radio aus! Der Prophet hat auch keine Musik gehört!”

Daraufhin hält der Taxifahrer an und dreht sich zu seinem bärtigen Fahrgast um: “Wenn das so ist, dann steigen Sie doch sofort aus – und warten auf das nächste Kamel!”

 

Was mir an diesem ebenso kurzen wie präzisen Witz so gut gefällt, ist, dass er den Hauptwiderspruch fundamentalistischer Bewegungen wunderbar aufspießt: Religiöse Fundamentalisten behaupten, eine “Rückkehr zu den ursprünglichen Quellen” ihrer jeweiligen Religion – und sind doch rebellische Abkömmlinge der Moderne, die Neues und Altes willkürlich mischen. So verbieten beispielsweise islamisch-salafistische Bewegungen gerne das Tragen von Jeans oder die Benutzung von Zahnbürsten (denn Muhammad habe nur Miswak benutzt), nutzen aber – wie zum Beispiel der deutsche Salafist Pierre Vogel – eifrig das Internet (Facebook & Twitter), moderne Fahrzeuge und – wie der so genannte “Islamische Staat” – natürlich auch Waffen. Wer nach einer “Logik” dahinter sucht, wird meist nur auf eine “Logik der Macht” treffen: Erlaubt und verboten wird, was den Anführern jeweils nutzt. Entsprechend wurde auch die “islamische” Haltung zur Geburtenregelung im Iran mehrfach verändert – je nach Bedarf der Herrschenden. In meinem Audioblog hatte ich schon einmal das Beispiel demonstriert, in dem deutschsprachige Salafisten das Internet und (pseudo-)wissenschaftliche Argumentationen verwenden, um gegen die Evolutionsforschung zu Religiosität & Religionen Stimmung zu machen – und letztlich junge, unsichere Leute zu ködern.

Religionswissenschaftlich wichtig ist jedoch der Hinweis, dass Fundamentalismus nicht nur ein Problem des Islam ist: Er tritt in allen Religionen und Weltanschauungen auf, in denen sich Menschen durch Modernisierungsprozesse verunsichert fühlen und “Halt!” suchen. Tatsächlich geht der Begriff des Fundamentalismus sogar auf eine christlich-evangelikale Schriftenreihe “The Fundamentals – A Testimony to the Truth” zurück. Niemals waren und sind fundamentalistische Bewegungen dabei darüber einig geworden, was denn nun genau alles “die Wahrheit” sei – weswegen sie sich auch untereinander immer wieder hingebungsvoll befehden.

FundamentalsBuchserie

Der Begriff des Fundamentalismus geht auf eine christlich-evangelikale Schriftenreihe zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Bild: The Gospel Coalition

Der obige Witz hilft meines Erachtens, die Mechanismen des Fundamentalismus zu verstehen – und ermöglicht damit den Blick auf die tiefergehenden Probleme. Denn religiöser Fundamentalismus mag selbstwidersprüchlich sein – er führt jedoch als Begleiterscheinung der Moderne zu oft besonders engagierten und – im Durchschnitt – auch kinderreichen Gemeinschaften wie z.B. den Old Order Amish (christlich) oder verschiedenen Haredim (jüdisch). Nicht nur Michel Houellebecq fürchtet da inzwischen um den Fortbestand von Humanismus und Aufklärung. Es empfiehlt sich also, beim Lachen nicht stehen zu bleiben, sondern “Religiösen Fundamentalismus & Extremismus – Die gefährlichen Seiten des Glaubens” rechtzeitig ernst zu nehmen.

 ExtremismusFundamentalismussciebookBlume

Avatar-Foto

Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

18 Kommentare

  1. Ich habe nur etwa 30 Seiten aus “Unterwerfung” gelesen , aber bereits dabei wird klar , daß Houllebecq den Traditionalismus der Fundamentalisten mit eigenem Traditionalismus beantworten will , mit anti-aufgeklärtem Biologismus.
    Die eigentliche Stärke des Buches scheint eine ganz andere (mit aller Vorsicht des ersten Eindrucks gesagt ) , die friedliche Islamisierung als Grundidee , immerhin ein interessanter Gegensatz zur sonst allgemein angenommenen feindlichen Übernahme , die Frage der reellen Wahrscheinlichkeit mal außen vor gelassen.

    “Logik der Macht”

    Typisches Ideologie-Merkmal.

    • Houllebecs “Unterwerfung” ist eine Provokation, unterstellt er doch, dass selbst die Franzosen schnell auf die liberté in der Dreifaltigkeit liberté, fraternité, humanité verzichten. Und zwar verzichten sie vor allem und zuerst auf die Freiheit der Frauen, denn nicht einmal mehr an der Universität gibts nach der Machtürbernahme durch den Islam noch andere als Frauen in dienender Stellung. Und womit kann man die Franzosen über diese Unfreiheit hinwegtrösten? Mit sehr wenig, nämlich damit, dass der neue muslimische Premier eine Ausweitung der EU in die islamischen Gebiete in Nordafrika und den nahen Osten anstrebt und ermöglicht und damit eine neue Art römisches Reich schafft, was der Neigung zu Gefühlen der Grandeur, die es in Frankreich noch heute gibt, Nahrung verschafft. Damit sind dann alle zufrieden.

  2. Wobei der zunehmend virale und toxische sogenannte Islamismus nicht dazu anleiten muss generell nach religiösem Extremismus zu suchen…

    • PS zum Witz vielleicht noch:
      Autos und Autofahren sind nicht haram, jedenfalls nicht für männliche ‘islamische Fundamentalisten’.

  3. Es stellt eben aus Sicht der Fundamentalisten keinen Widerspruch dar, so wie es objektiv ja auch nicht unbedingt ein Widerspruch ist, moderne Technik zu nutzen und die Moderne abzulehnen.

    Ich fürchte, dass ist auch nicht der Innere Widerspruch, der den Fundamentalismus scheitern lassen wird.

    • Die beiden großen bekannten Kollektivismen des letzten Jahrhunderts sind jedenfalls nicht an innerer Widersprüchlichkeit gescheitert, womöglich gab es sie auch nicht. [1]
      Beim aktuell gewordenen sogenannten Islamismus, den der Schreiber dieser Zeilen als theozentrischen Kollektivismus versteht, müssen auch keine besonderen Kohärenzprobleme vorliegen, …, um zu scheitern.
      Warum derartige Ideenlehren dennoch scheitern, bleibt eine interessante Frage, Vermutung:
      Es hat etwas mit den Gegnern dieser Systeme zu tun.

      MFG
      Dr. W

      [1]
      Insofern ist der Schreiber dieser Zeilen auch nicht zufrieden, wenn dem “Führer” bspw. Banalität, Inkompetenz und generell mangelnde Verständigkeit unterstellt wird.

      • PS:
        Beim geschätzten Henryk M. Broder heißt es beispielsweise und typischerweise, dass die Deutschen auf eine kleine Wurst, die nicht zwischen einer Pizza Margerita und einem Kuhfladen zu unterscheiden wusste, hineingefallen seien.
        Was natürlich analytisch-politologisch unzureichend bis stark fehl gegriffen ist, lol, “Henk” kann hier diesbezüglich nur als Opfer seiner linken Sozialisation begriffen werden; ansonsten natürlich: Guter Mann!

        • Enthielte das, was Broder sagt nicht ein Körnchen Wahrheit (mit all den Konsequenzen), müsste alles, was Sie schreiben richtig sein
          Maciej Zasada

          • “Henk” ist dem Schreiber dieser Zeilen in den Achtzigern irgendwann aufgefallen, so der Art “Hey, da ist ja einer, der OK ist!” im Bundesdeutschen, nichtsdestotrotz hat sich der Schreiber dieser Zeilen zuletzt auch darauf verlegt Bessere noch besser zu machen, durch Kritik natürlich nur.
            Spätestnes seit MIB dürfte zudem allgemein bekannt sein, dass die Besten der Besten schon nicht mehr zu den Besten der Besten der Besten gehören müssen.

            MFG in den Bruderstaat,
            Dr. W

    • Ich fürchte, das sehe ich ganz ähnlich, @Anonym. Wie oben geschrieben hilft das Lachen alleine sicher nicht weiter. Und nicht nur Michel Houellebecq (oben verlinkt), sondern auch z.B. der Politikwissenschaftler Eric Kaufmann gehen sogar eher davon aus, dass wir das demografische und schließlich gesellschaftlich-politische Potential religiöser Fundamentalisten gegenüber verebbenden Säkularen eher unterschätzen…
      https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/demografie-religion-und-fundamentalismus-shall-the-religious-inherit-the-earth-von-eric-kaufmann/

      Ich glaube nicht an lineare Prognosen, nehme aber durchaus auch an und ernst, dass die Spielarten des Fundamentalismus im 21. Jahrhundert zu einer zentralen Herausforderung werden. Das ist einer der Gründe, warum ich dazu wissenschaftlich und publizistisch arbeite.

  4. Pingback:Markierungen 05/19/2015 - Snippets

  5. Der Witz hilft leider nicht, weil dieser Witz genauso, wie viele Präventionsratgeber und Experten falsche Bilder von Fundamentalisten in die Welt setzen. Diese können dann ganz einfach sagen: Alles Lügen und Propaganda.

    Salafisten verbieten weder Zahnbürsten noch sonstige Alltagsgegenstände. Es gibt mehrere Online-Sammlung von Fatwas der wichtigsten Figuren der Salafis (islamqa.info , alifta.net , fataawa.de und wie sie alle heißen). Sowas wird man dort nicht finden, denn es passt gar nicht in deren Logik. Es ist für Salafis überhaupt kein Problem irgendwas zu tun, was der Prophet (s) nicht tat. Die Regel, die besagt, dass nichts zu tun ist außer der Prophet (s) Tat es, bezieht sich bei ihnen ausschließlich auf gottesdienstliche Handlungen. Dazu zählt das Zähneputzen offensichtlich nicht.

    Richtig ist die Vermengung von Moderne und Fundamentalismus zu kritisieren. Aber Gegenerzählungen zu schaffen, die nur noch mehr polarisiert und Mythen zu erzählen, spielt der Propaganda bestens in die Hände.

  6. Hallo Herr Blume,

    ganz kurz nur drei Hinweise:
    – im verlinkten Artikel steht auch nichts von einem Zahbürstenverbot
    – sowas findet sich weder bei salafitischen Theoretikern noch bei Veröffentlichungen des IS. Schauen Sie doch mal in deren Literatur.
    – Salafisten haben eine geradezu wahnwitzige Methode um Menschen zu klassifizieren. Bei Baghdadi kommt “Sektierer” raus (nach ALLEN salafitischen Ideologen sogar den Jihadisten). Er kann nach salafitischer Logik gar kein Zahbürstenverbot für Recht erklären. Deswegen hat er auch so eine Armbanduhr…Baghdadi hält weder Uhren noch Zahbürsten für verboten. Apropo: salafitische Grossgelehrte waren teilweise Uhrmacher. Passt grad irgendwie!

    Ich hab aber auf Twitter gesehen, dass Ihnen das alles bereits ein bekannter Salafisten gesagt hat.

    Von daher denke ich, dass ich Sie auch nicht überzeugen kann, wenn Sie einem waschechten Salafisten nicht mal glauben, dass dieser Witz und die angeblichen Verbote dem Salafismus fremd sind (vor allem, wenn die Begründung die Lebenspraxis des Propheten sein soll. Wenn es vergleichbare Verbote bei Salafis gibt dann aus anderen Gründen insbesondere dem sog. “Tashabbu”).

    Ich denke mal auch die Religionswissenschaften brauchen so ihre Mythen…

    Bis zum nächsten Mal!

    • Liebe(r) Alshake,

      ich glaube, das Mißverständnis gefunden zu haben: Mein o.g. Blogpost nannte einen türkischen Witz über den Salafismus als Beispiel für die Auseinandersetzung mit religiösem Fundamentalismus! Damit war und ist jedoch umgekehrt nicht ausgesagt, dass jeder religiöse bzw. islamische Fundamentalist ein Salafist wäre! (Denken Sie z.B. an die Konkurrenz von Muslimbrüdern und salafistischen Parteien in Ägypten – bevor sich das Militär wieder zurück an die Macht putschte, an schiitische Fundamentalisten u.v.m.)

      Ich verstehe das psychologische Bedürfnis, sich von unliebsamen Erscheinungen zu distanzieren, das es ja ebenfalls in allen Religionen und Weltanschauungen gibt – aber das alleine ist m.E. noch nicht ausreichend, um die Grundstrukturen von Fundamentalismus und Extremismus in den Religionen zu erfassen. Und in von IS kontrollierten Gebieten gilt die Nutzung des Miswak statt Zahnbürste als Zeichen des verpflichtenden, islamischen Lebenswandels.

      Also, ausgesagt ist: Der Salafismus ist eine Variante des islamischen Fundamentalismus. Nicht ausgesagt ist jedoch, dass alle islamischen Fundamentalisten Salafisten seien.

      Auch Ihnen alles Gute!

  7. “Szenebekannte Bloggerin darf sich im Amt verhüllen”
    Wieder knickt der Staat vor dem Islam ein.
    Der Vorgang in Berlin ist wieder ein kleiner Schritt zu mehr Islam in Deutschland.
    Wieder wurden die Gesetze missachtet , wieder ein Teilsieg für die Islamische Ideologie.

Schreibe einen Kommentar