Religiöses Monopol versus Religiöser Wettbewerb

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Dieser Beitrag geht auf eine Anregung der Blogleserin Mona zurück und beinhaltet auch ein herzliches "Hallo!" an die originelle, katholische Bloggerin Elsalaska, bei der ich immer wieder gerne reinlese. Es widmet sich einer Frage, auf die ich oft angesprochen werde – das scheinbar unaufhaltsame Erkalten religiösen Lebens in früher geschlossenen Milieus.

So schilderte Mona im Blogbeitrag "Evolutionsprinzip Überlieben?" ihr eigenes Erleben und Bedauern – Zitat: "Ich lebe in einer fast rein kath. Stadt in Bayern, beinahe alle Kindergärten etc. sind in der Hand der kath. Kirche, diese wacht auch eifersüchtig über ihre Pfründe. Allerdings findet so gut wie keine religiöse Erziehung mehr statt. In den Schulen unterscheidet sich das Fach Ethik kaum vom Religionsunterricht. Die älteren Schüler lästern oft, der Religionslehrer würde seine Themen aus der Zeitschrift Bravo entnehmen um en vogue zu sein. Natürlich mag das im Gegensatz zu früher, wo die Kirche sich in alles einmischte, als Wohltat empfunden werden. Die Kirche soll auch mit der Zeit gehen, leider hat sie sich hier zu einem inhaltsleeren Machtapparat entwickelt, wer in ihr einen Ort der Nächstenliebe sucht, sucht vergebens."

Was ist da los? Aus evolutionärer Perspektive sind vor allem zwei Faktoren zu nennen.

1. Säkularisierung durch soziale Sicherheit, Wohlstand & Bildung

Auch im religionshistorischen Rückblick wird deutlich, dass es immer Auf- und Abschwünge religiösen Lebens gegeben hat. Die Beteiligungen an Gottesdiensten und Wallfahrten war immer wieder Schwankungen unterworfen, oft beendeten Reformbewegungen lange Zeiten des Niedergangs. Quer durch das 20. Jahrhundert setzten jedoch in fast allen Regionen Europas Säkularisierungsprozesse ein, die Menschen wandten sich unmerklich und schließlich öffentlich von den Kirchen ab. Was war geschehen?

Eine der überzeugendsten, nüchternen Erklärungen lautet: Viele sog. "extrinsische" Gründe fielen weg. Der Ausbau des Sozialstaates, der Bildungssysteme und der allgemeine Anstieg des Wohlstands überflügelte viele Leistungen, die früher von und um die Kirchen organisiert waren. Sie wurden in immer mehr Lebenslagen nicht mehr gebraucht, gleichzeitig wuchsen die konkurrierenden Angebote etwa im Freizeitbereich – und so bröckelte das kirchliche Engagement vieler Menschen unmerklich ab.

Einige Kirchengemeinden versuchten, durch strikte Betonung der traditionellen Regeln die Schrumpfung aufzuhalten, andere, durch Anpassung (etwa den Verzicht auf Belehrungen, unterhaltsame Gottesdienste etc.) die "Kosten" kirchlichen Engagements zu senken. Beide Strategien waren (und sind) jedoch kein Allheilmittel.

2. Regionale Monopole

Während in den USA auf Phasen religiösen Niedergangs (die es auch dort gab und gibt!) immer wieder neue Gründungen mit neuen Angeboten erfolgten, hatten die religiösen Milieus in Europa ein zweites Problem, das sich erst langsam ändert: Sie waren durch Monopole oder Kartelle weniger, steuerfinanzierter Großanbieter geprägt. Und das hieß schlicht: Es entstand wenig lebendiger Wettbewerb und für die Kirchenfunktionäre bestand auch wenig Anreiz, sich zu engagieren. Ein Prediger in den USA, der sein Gotteshaus nicht füllt, oder eine Religionslehrerin, die die ihr anvertrauten Schülerinnen und Schüler langweilt, riskiert ihren Job. In Deutschland halsen sich die gleichen Berufe mit guten Predigten und Extra-Engagement dagegen allenfalls Extraarbeit (und manchmal Kollegenneid) ein, Karriere machten Theologen in schwerfälligen Bürokratien häufiger durch komplexe Theorien und vor allem Gremien- und Lobbyarbeit.

Allerdings beginnt sich dies zu ändern, denn durch Zuwanderung und die durchschnittlich höheren Geburtenraten religiös aktiver Menschen bröckeln die Monopole und Kartelle inzwischen ab und es entstehen auch in Europa religiöse Märkte mit vielen Varianten und Wettbewerb.

Auf jedes Ab ein Auf

Immer noch findet Säkularisierung statt, wenden sich Menschen von den Großkirchen ab – aber gleichzeitig entstehen wachsende Bereiche florierender Freikirchen, Moscheen-, Synagogen- und Tempelgemeinden. In den Stadtregionen Deutschlands haben wir inzwischen alle Weltreligionen vertreten, die meisten in mehreren, meist durch Kinderreichtum und Konversionen wachsenden Gemeinden. Während die Gesamtgesellschaft mangels Kindern (seit Jahrzehnten nur noch zwei Geburten auf drei Erwachsene) bereits in die Implosion übergegangen ist, regt sich wieder neues, religiöses Leben, das nicht mehr v.a. extrinsisch motiviert, sondern häufiger freiwillig gewählt oder gepflegt wurde. Noch nie ist in einer menschlichen Gesellschaft Religiosität ausgestorben – sie wuchs auch nach Phasen des (demografischen) Niedergangs immer wieder in neuen Formen nach. In Deutschland und Europa hat dieser Prozess bereits begonnen.

Die biokulturelle Evolution der Religiosität in Wellen.

Zum Weiterlesen: "Yes, we believe. Vier Gründe, warum Amerikaner anders glauben.", Anja-Maria Bassimir & Michael Blume. Gehirn und Geist 04/2009. S. 38, 39

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

23 Kommentare

  1. Ins eigene Fleisch

    Der Beitrag zeigt schön, wie sich die etablierten Kirchen mit ihrer Kirchensteuer und Säuglinstaufe ins eigene Fleisch schneiden. Statt sich dem Weltanschauungsmarkt aktiv und kreativ zu stellen, setzen sie auf Tradition und den sozialen Druck der bigotten Nachbarn. Gerade in Bayern mit seinem fränkischen Imperativ (“Des kansch nett mache, weil des geht nett!”) mag das funktionieren, aber der Preis ist die totale Inhaltsleere. Wenn jeder von Geburt an sowieso zu meiner Schafherde gehört, muss ich mich nicht mehr um die Schafe kümmern.

    Der Beitrag zeigt mir aber auch noch etwas anderes: Religion bedarf der Abgrenzung. Eine Religionsgemeinschaft definiert sich vor allem an ihrer Membran, also der Frage, wer gehört zu uns und wer nicht. Daher ist Religion vor allem dann lebendig, wenn es Anreize für diese Ausgrenzungsprozesse gibt (z.B.: ohne Protestanten keine Jesuiten). Da Religion ein Überbleibsel aus der Pupertät der Menschheit ist, verhält sich Religion (bzw. religiöse Menschen) pupertär. Nur wer den richtigen Dresscode und Slang hat, gehört zur Clique. Wie eine Jugendgang definieren sich Religionen durch äußerliche Abgrenzung, ohne dass ein tieferer Inhalt oder eine tiefere Wahrheit dahinter steckt.

  2. Lieber Michael,

    vielen Dank, dass du das Thema aufgegriffen hast. Hier wird auch viel über darüber diskutiert, warum die Leute von der Kirche abfallen, oder warum gerade die katholischen Länder eine so niedrige Geburtenrate aufweisen. Zu den von Dir erwähnten “extrinsischen” Gründen möchte ich noch hinzufügen, dass viele Frauen der katholischen Kirche äußerst ambivalent gegenüberstehen, weil große Vorbehalte gegenüber den traditionellen, meist patriarchalen, Strukturen bestehen. Frauen können in der kath. Kirche “nichts” werden, das Priesteramt etc. ist ausschließlich Männern vorbehalten. Für Frauen bleibt meist nur das unbezahlte Ehrenamt.

    In Zeiten, als es für Frauen nur die drei K ´s gab (Kinder, Küche und Kirche), waren die Frauen froh, wenn sie einmal das Haus verlassen konnten und sei es nur zum Besuch der Kirche. Heutzutage sind die Kirchen leer. Die katholische Kirche ist nicht mit der modernen gesellschaftlichen Entwicklung mitgegangen und hängt, zum großen Teil, noch den alten Rollenklischees an.

    Für die jungen Frauen aber gilt: “Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin “( Buchtitel von Ute Ehrhardt ).

  3. @ Stefan Taube

    Lieben Dank für den Beitrag! Und, ja, die schwerfälligen Strukturen der großen Kirchen behindern natürlich oft das Einstellen auf die neue Wettbewerbssituation. Soll man die alten Privilegien verteidigen oder (glaubwürdiger, aber schwieriger) für Gleichbehandlung eintreten? Wie lassen sich die Erwartungen der oft kirchenfernen, aber Steuern zahlenden Mitglieder mit denjenigen nach wirklicher Gemeinschaft Suchender in Einklang bringen? (Usw.) Auch in den USA, die schon länger einen dynamischen, religiösen Markt haben, sind große und groß gewordene Kirchen immer wieder in Krisen gestürzt. Aber gilt das nicht ebenso für Unternehmen, Parteien, Musik- und Kunstrichtungen? Wirtschaft, Politik, Musik und Kunst werden daher nicht erlöschen – ebenso wenig wie Religion.

    Und, ja, “Menschen” benötigen auch Abgrenzungen. Dazu muss man nicht religiös sein. Schau Dir ein Fussballstadion an. Dress- und Musikcodes (gerade) auch unter völlig säkularen Jugendlichen. Eine Diskussion unter Kommunisten (a la Volksfront von Judäa versus Judäische Volksfront). Oder beobachte mal, wie wichtig es auch vielen Nichtreligiösen immer wieder ist, ihre scheinbare Überlegenheit zur Schau zu stellen. Manche nennen sich sogar “Brights” (für Schlaue).

    Wir Homo sapiens sind in Gruppen evolviert, die nach innen Vertrauen schufen, in dem sie sich nach außen abgrenzten. Und müssen immer noch lernen, damit umzugehen.

    Religionen inhaltsleer? Eindeutig nein. Sie sind auch heute evolutionär erfolgreich, vielleicht sogar erfolgreicher denn je. Sie stiften ihren Mitgliedern Sinn, Gemeinschaft und mehr. Der Reproduktionsunterschied mindestens in allen freiheitlichen Gesellschaften ist gewaltig. Dagegen implodieren säkulare Populationen weltweit. Kleine Datensammlung gerne auch hier:
    http://www.blume-religionswissenschaft.de/….html

    Wie auch immer wir also über die vielfachen Formen von Religiosität urteilen wollen – beobachtbare Wirkung lässt sich ihr nicht absprechen. Sie gehört zur Vergangenheit des Menschen und womöglich in sogar zunehmenden Maße zu dessen Zukunft.

    http://www.chronologs.de/…eist.de/artikel/982255

  4. @ Mona: Ja…

    …und das Thema Frauen & Religiosität bzw. Religionen gehört meiner Meinung nach zu den (auch in der Evolutionsforschung) am meisten unterschätzten! Ende des Jahres bin ich eingeladen worden, auf einer Konferenz in der Schweiz dazu zu sprechen. Und habe vor, auch hier im Blog das Thema immer mal wieder aufzugreifen!

    Lieben Dank für Deine Ermutigungen und Anregungen!

  5. Konkurrenz und Verantwortung für mehr

    Die Gefahr, die Stefan Taube, skizziert, kenne ich – ich als Pfarrer – sehr wohl:
    “Wenn jeder von Geburt an sowieso zu meiner Schafherde gehört, muss ich mich nicht mehr um die Schafe kümmern”.
    Aber ich weiß auch, dass konkurrierende Freikirchen ihre eigenen Gefahren haben: Da kümmert man sich um die eigenen Schafe, fast nur um sie. Und besonders um die häufigen Gemeindebesucher, insbesondere um zahlungskräftige Sponsoren. Da kann ein Pastor oder Gemeindeleiter schon engagiert werden, wenn er in entsprechenden Familien selbst zum Kindergeburtstag auftauchen muss. Und es gibt wohl da und dort auch ein Engagement außerhalb, etwa in einem Gefängnis oder, am besten weit weg, ein Projekt in der Dritten Welt, durch das man ein gewisses Renommee erreichen kann, das wiederum Sponsoren ein gutes Gewissen macht.
    Aber Großkirchen stellen sich Aufgaben, in denen bezüglich Freikirchen weitgehend Fehlanzeige ist: Nicht nur Religionsunterricht in den Schulen – während andere ihre Jugendstunden machen und Unwillige wegschicken können, z.B. zu den Großkirchen… Sondern auch Seelsorge, Sozialfürsorge in Gefängnissen, Krankenhäusern, Altersheimen (und na ja, sehr umstritten: Bundeswehr). Dazu Notfallseelsorge (Begleitung nach schrecklichen Unfällen, Verbrechen, Suizid…) Sie grenzen eben nicht ab und fragen nicht zuerst nach Religion und Konfession, verweisen aber bei Bedarf und Wunsch der Betroffenen dann weiter an Freikirchen oder kooperieren mit moslemischen Vertretern für entsprechende Sterbebegleitung.
    Dazu die gesamte Diakonie und Caritas, die in jeder Stadt Hilfseinrichtungen haben; oft für Leute, die ihrer Religion oder Konfession nicht angehören.
    Für so was, bei dem “ein tieferer Inhalt oder eine tiefere Wahrheit” nicht ersichtlich ist – und keine missionarische Gelegenheit – haben die von den Freikirchen natürlich keine Zeit.

    Und sie haben keine Lust, Dinge zu unternehmen, bei denen man sich nur den Mund oder die Finger verbrennen kann, wie die Arbeit mit Migranten, etwa die vielerlei Versuche der deutsch-türkischen Kooperation oder Asylarbeit. Ich habe auch schon erfahren, dass Pastoren, Gemeindeleiter… in traditionelleren Freikirchen die “obersten Subalternen” der Gemeinde seien: Kritischere, aufklärerischere Themen wie Schöpfung-Evolution oder Wunder, Entmythologisierung… dürfen sie da nur behandeln, wenn sie das sagen, was sowieso schon alle viel besser wissen… Ähnliches hörte ich, aus einer Erinnerung an Bonhoeffers Beobachtungen dort, auch aus den USA.

    Andere Freikirchen treiben mit ihren Gottes-Happenings oder geistlichen Power-Shows einen Stil, bei dem Jugendliche wohl mitmachen können. Wenn das dann nicht mehr so geht, dann können sie sich ja wieder den traditionelleren Großkirchen zuwenden.
    Und überhaupt: Es gibt (gottesdienstliche) Gestaltungsformen, die wohl Massen anziehen, aber mit großer Fluktuation, und einem Show-Effekt, der kritischere Zusammenhänge nicht berücksichtigt. “Im Wiegenschritt gen Bethlehem” – las ich mal über diese Wohlfühl-Veranstaltungen. Qualität geht da bei manchen Massenerfolgen wohl auch flöten. Nichts gegen Erfolge. Aber, man darf auch nicht etwa die Qualität der “Bildzeitung” und die der “Süddeutschen” nur an ihrer Auflagenhöhe messen und daran vergleichen.

    Zu den USA noch: Mich beschleicht der Verdacht, dass die a-sozialen Verhältnisse, an denen Barack Obama gerade sich die Zähne ausbeißt, eben auch damit zusammenhängen, dass die konkurrierenden Freikirchen dort mächtiger sind als die unseren Großkirchen entsprechenden Traditionskirchen. In ersteren ist jeder merh oder weniger gut eingebunden, wenn er denn dazu gehört (!). Und letztere haben nicht die Kraft, Impulse für flächendeckende Sozialfürsorge zu geben. Dort ist jeder eben seines eigenen Glückes Schmied. Verbrechensrate und sonstige Probleme wie sonst nur in der Dritten Welt…
    Gute Nacht!
    Basty

  6. @ Basty, Stefan

    Lieber Basty,

    danke für Deine Ausführungen, die meine eher theoretischen Punkte praxisnah unterstrichen haben. Mir sind im US-Vergleich ganz konkret zwei Nebenwirkungen des reinen Marktmodells ins Auge gefallen:

    1. Parkplatz-Neukirchen. Wenn sich Freikirchen neu gründen, können sie einen strukturellen Vorteil ausspielen: Sie können sich auf junge, zahlungskräftige Interessenten konzentrieren. Sie brauchen, salopp gesagt, nur Parkplätze. Bei den “alten” Kirchen bleibt aber dann die Verantwortung für die Altenheime, Friedhöfe und Baudenkmäler. Diese teuren Aufgaben bringen keinen Glanz, Glamour, sind aber dafür sehr teuer. Mir persönlich käme jede Kirche hohl vor, die nicht auch im Respekt vor Alter und Geschichte verwurzelt ist.

    2. Bildung. Wer in Deutschland auf die theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten schimpft, hat die Nebenwirkungen reiner Privatfinanzierung noch nicht gesehen: Der Trend vom Theologen zum Prediger, vom Nach-Denken zum Vor-Sprechen. Kurse z.B. auch über die schwierigen, dunklen Zeiten der Kirchengeschichte rechnen sich in einem Spendenmodell kaum, sie verunsichern nur den, der doch “Kunden” gewinnen soll.

    Ja, die staatlichen Privilegien in Deutschland lähmen unsere Großkirchen. Aber, wie es die taz mal formuliert hat, die Staat-Kirchen-Zusammenarbeit zähmt (bzw. “zivilisiert”) auch:
    http://www.taz.de/…p;src=GI&cHash=ef25efaf6e

    Wenn es so etwas wie ein “ideales” Religionsverfassungsrecht überhaupt geben kann, dann scheint es m.E. in einem Mittelweg zwischen der strikten Trennung und dem “religiösen Markt” der USA einerseits und den traditionellen, europäischen Staatskirchen plus Religionsfreiheit, religiöser Vielfalt und Gleichbehandlung zu bestehen.

    Freut mich sehr, dass diese Diskussion hier anregt – über 70 Abrufe in nur einer Nacht! *Staun*

  7. Kirche und Geld

    @Basty Castellio
    Zitat: “Dazu die gesamte Diakonie und Caritas, die in jeder Stadt Hilfseinrichtungen haben; oft für Leute, die ihrer Religion oder Konfession nicht angehören.”
    Dazu muss aber gesagt werden, die Kirche finanziert z.B. die Caritas nur zu einem kleinen Teil, der Rest setzt sich wie folgt zusammen:
    http://de.wikipedia.org/…imestamp=20090210135525

    Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Kirchenfinanzierung

    Die Kirche ist reich:
    http://www.stern.de/…en-des-vatikans-597047.html

    Und:
    http://www.freie-christen.com/…ist_blutgeld.html

  8. Danke für die freundliche Erwähnung

    Michael und den gehaltvollen Artikel, der mich – mal wieder – zum (innerkatholischen) Weiterdenken gebracht hat.
    Die katholische Kirche (nicht unzutreffende faktische Beobachtung “inhaltsleerer Machtapparat”) ist tatsächlich nicht fit für den Wettbewerb der Religionen. Als jemand, der den spirituellen Reichtum dieser Kirche in vollen Zügen genießen kann, sage ich, wir brauchen eine Schärfung des katholischen Profils, um im Wettbewerb bestehen zu können. Dies ist meine Conclusio.
    Was die Reichtümer der Kirche angeht, so schaue ich entspannt auf die immergleiche freikirchliche/evangelikale/atheistische Propaganda und frage zurück, was denn die Freikirchen alles so an karitativer Leistung global gesehen erbringen? Die katholische Kirche ist nach wie vor die größte karitative Organisation des Planeten.
    Die Bilanzen des Vatikan sind einsehbar.
    Und ein Weltkulturerbe dieser Dimension (von dem irgendwelche Freikirchen nie in Gefahr geraten, es antreten zu müssen), muss nun einmal auch unterhalten werden. Die katholische Kirche leistet dieses und spendet in aktuellen Notsituationen namhafte Summen,schickt Helfer und Ehrenamtliche vor Ort.
    Für weitere Informationen dazu empfehle ich @Mona auch katholische Quellen, und nicht nur evangelikales Propagandamaterial 🙂

    Liebe Grüße, und Michael, ich hab dich nochmals angemailt wg. eines evtl. Treffens!
    Elsa

  9. @Elsa

    “Die katholische Kirche ist nach wie vor die größte karitative Organisation des Planeten.” Da hat wohl die katholische Propaganda voll zugeschlagen! 🙂

    Es gibt eine Menge seriöser nicht konfessionsgebundener Hilfsorganisationen:
    http://www.planethelp.de/…nisationen-von-a-bis-z

    Es sollte aber nicht um Konkurrenz gehen, sondern um Hilfe für ALLE Menschen die in Not sind!

  10. Reiche Kirche – Kirche Diakonie

    Na ja, @Mona, über den Reichtum der verschiedensten Kirchen kann man natürlich Verschiedenstes sagen. Freundliches und weniger Freundliches.
    Was allerdings *die* Kirche sein _soll_, das weiß ich zwar; aber ich habe diesen Sprachgebrauch nicht. Nun, es gibt eine Kirche, deren Zentrale heute in Rom ist; sie ist die größte und sie hat die längste Geschichte und vermutlich die größten Reichtümer.
    Die Reichtümer resultieren aus den sonst bei Wikipedia und anderswo (für jeden, der da fürs Mitreden sich eine schnelle Kompetenz aneignen will) ersichtlichen Gründen – da mag ich nicht drüber streiten. “Dazu muss man aber auch sagen” – *muss* man wirklich?

    Na ja, dann sage ich auch noch dazu: Neben den sonst oft breit getretenen Gründen ist sicher auch zu beachten: Jede größere, ältere und dazu noch so personal-intensive Institution bracuht alle möglichen Rücklagen, Anlagen… Siehe als modernes Beispiel die Versicherungen; oder Gewerkschaften.

    Ein guter Teil des Reichtums jener römischen Kirche ist *auch* bedingt durch die persönliche Zurückhaltung der Bediensteten: Die sammeln sich persönlich nicht die Reichtümer. Und das geht bis in die höchsten Ränge. Irgendwo las ich mal, Josef Ratzinger bekomme als Papst (und auch schon als Präfekt der Glaubenskongregation) wesentlich weniger Gehalt als er früher als deutscher Professor bekommen habe (jetzt etwa das eines deutschen Grundschullehrers?!). Die Kirche hat einen großen Magen, heißt’s bei Goethe. Der Magen der Pfarrer und Päpste ist nicht so groß. Jeder deutsche Zahnarzt wird mehr persönlichen Besitz haben. Ausnahmen bestätigen die Regel.

    So, aber darauf kam’s mir gar nicht an. Sondern welche vergleichbare Institution organisiert und finanziert so viel Sozialfürsorge wie die verschiedenen Traditions-Kirchen? Die Freikirchen jedenfalls nicht. Und wenn es sehr viele andere Hilfsinstitutionen gibt, wie aus der Antwort an @Elsa ersichtlich, dann sage ich: Um England herum gibt es auch viele Inselchen; die sind eben etwas kleiner.
    Jedenfalls “ALLE Menschen die in Not sind” finden dort, wo Großkirchen sind, auch Hilfe; sehr oft (trotz oder wegen staatlicher Finanzierung) gerade auch dort, wo der Staat zu blöd ist, um richtig zu helfen – das können zB Arbeitslose bestätigen: diakonische, caritative Einrichtungen spielen die Lückenbüßer, wenn die Zahlungen des Arbeitsamtes nicht durch die bürokratischen Mühlen gehen. Weiß ich aus der eigenen Familie.

    Macht’s gut – differenziert gut…
    Basty

  11. Ich weiß, wer über die Finanzen der Kirche spricht, der muss sich anschließend mit Weihwasser den Mund auswaschen.
    Aber um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, mir geht es nicht ursächlich darum die Kirche(n) anzugreifen, sondern ich wundere mich nur etwas über die katholische Kirche; die ja tatsächlich über enorme Reichtümer verfügt, auch wenn sich ihre Angestellten eher mager bezahlt fühlen. Zitat von Basty Castellio: „Ein guter Teil des Reichtums jener römischen Kirche ist *auch* bedingt durch die persönliche Zurückhaltung der Bediensteten…“! Klar, denn nicht die Kirche, sondern der Staat zahlt die Gehälter.
    http://www.stop-kirchensubventionen.de/…efe.html
    http://www.bfg-muenchen.de/pfarrer.htm

    Ich lebe ja, wie gesagt, in Bayern und weiß auch, dass durch Zusammenlegungen von Kirchengemeinden usw., die Pfarrer vor lauter Verwaltungsaufgaben sich kaum mehr um das Seelenheil ihrer Schäfchen kümmern können. Viele Christen bleiben den Kirchen fern und beten, sofern sie gläubig sind, zu Hause. Der spirituelle Aspekt ist auf der Strecke geblieben. Viele Jugendliche, die nach „Sinn“ suchen, finden in der kath. Kirche nur ein leeres Konstrukt. Stefan Traube sagt hier: „Wenn jeder von Geburt an sowieso zu meiner Schafherde gehört, muss ich mich nicht mehr um die Schafe kümmern.“ Genauso sehe ich das auch. Auf der anderen Seite, und jetzt kommt ein echter Kritikpunkt, werden verirrte Schäfchen heftig abgestraft, sehr zur Freude der Hardliner:
    http://www.kreuz.net/article.9502.html
    Anscheinend ist die Caritas doch nicht so menschenfreundlich!

    Andere Sachen werden hingegen eher vertuscht, solange es geht:
    http://www.carechild.de/…ug_erneut_zu_336_1.html

    Da fragt man sich natürlich schon, warum es der katholischen Kirche so schwer fällt mit der weltlichen Entwicklung schrittzuhalten.

  12. Kritik an katholischer Kirche

    Liebe Diskutanten,

    dass es auf Grundlage auch religionswissenschaftlicher Beiträge zu kritisch-konstruktiven Debatten über den Zustand bestehender Kirchen kommt, finde ich sehr gut und danke dafür!

    Und gerne gebe ich noch einige Infos dazu. So weisen (besonders religiös aktive) Mitglieder von Kirchen und Religionsgemeinschaften in Deutschland eine durchschnittlich höhere Spendenbeteiligung auf als Konfessionslose.
    http://skylla.wz-berlin.de/pdf/2005/i05-202.pdf

    Das ist natürlich auch deshalb interessant, weil bei Mitgliedern von Kirchen und jüdischen Gemeinden oft Kirchen- bzw. Kultussteuern anfallen.

    Zu mutmaßlichen Schwächen der römisch-katholischen Kirche darf ich anmerken, dass die evangelischen Landeskirchen weibliche Geistliche (Pfarrerinnen, Bischöfinnen etc.) zulassen und teilweise (z.B. hier in Württemberg) auch recht demokratische Strukturen (Direktwahl der Gemeindeleitungen, Synode, die wiederum den Bischof wählt etc.) entwickelt hat. Dennoch verlieren auch sie Mitglieder, anteilig sogar etwas schneller als die katholischen Diözesen. Wie oben geschrieben: Weder traditionalistisches Beharren noch allfällige Liberalisierung scheinen Allheilmittel zu sein.

  13. @ Basty

    Irgendwo las ich mal, Josef Ratzinger bekomme als Papst (und auch schon als Präfekt der Glaubenskongregation) wesentlich weniger Gehalt als er früher als deutscher Professor bekommen habe

    Der Papst hat keine privaten Ausgaben, da wirklich alles von der Kirche getragen wird (fairerweise hat er ja auch keine Freizeit als Nichtpapst mehr :-). An Rentenvorsorge und Familie muss er auch nicht denken. Also kriegt er auch kein Gehalt. So sind jedenfalls meine Informationen.

    Über die vatikanischen Gehälter (und Zusatzversorgungen) kann ich wenig sagen, aber Bischöfe und Kardinäle werden deutlich besser bezahlt als Professoren.
    Die ganzen Sonderregelungen im Tarif- und Arbeitsrecht für die Kirchen erlauben aber tatsächlich, an den einfachen Angestellten wieder Geld zu sparen und sich bei Bedarf dazu maximal ins Privatleben einmischen zu können.
    Aber die Rendite dafür soll’s ja auch später woanders geben.

  14. Build up that wall!

    Hallo Herr Blume.
    Egal ob nun religiöses Monopol oder religiöser Wettbewerb – die Deutschen bevorzugen Konsumverzicht. Oder kaufen nur das, was sie schon kennen:

    „Die Frage, ob man eine größere Vielfalt religiöser Organisationen und Gruppen wünscht, um aus den unterschiedlichen Angeboten besser auswählen zu können, wird in Deutschland mehrheitlich negativ beantwortet.“

    Eigentlich schade. Gerade wenn man liest, wie die Angehörigen/Mitarbeiter der beiden „Multis“ reflexartig Pfründe verteidigen, Verdienste herausstellen und die Konkurrenz schlecht machen (Hallo Elsa, Basty Castellio).
    Außerdem ist ein freier und vielfältiger religiöser Markt die beste Möglichkeit um Religionen zu lähmen und zu zähmen. Und nicht ein Staat, der doch keinerlei theologische Kompetenz für sich in Anspruch nehmen kann, darf und sollte.
    Daher meine Konklusion: “A civil ruler dabbling in religion is as reprehensible as a clergyman dabbling in politics. Both render themselves odious as well as ridiculous.” (James Gibbons)

  15. Deutschland – USA

    Lieber itz,

    Danke für Ihren Beitrag und auch den recherchierten Link. Allerdings bestätigt er natürlich den Befund: Dort, wo religiöse Vielfalt (noch) neu ist, wird sie als bedrohlich erfahren. Dagegen ist z.B. auch die Integration der Muslime in den religiös dynamischen USA insgesamt besser gelungen.

    (Da hatte ich doch auch einmal einen Vortrag… Moment! *Kruschtel* Da isser:
    http://www.blume-religionswissenschaft.de/…8.pdf )

    Außerdem ist ein freier und vielfältiger religiöser Markt die beste Möglichkeit um Religionen zu lähmen und zu zähmen.

    Einspruch, Euer Ehren. Im religiösen Wettbewerb setzen sich häufig mehr und verbindlichere Gemeinschaften durch – siehe USA. Da haben wir Welle auf Welle von Neugründungen, die immer wieder die gewachsenen und sich liberalisierenden Etablierten herausfordern.

    Und nicht ein Staat, der doch keinerlei theologische Kompetenz für sich in Anspruch nehmen kann, darf und sollte.

    Auch das ist nicht richtig. Gerade in religiös vielfältigen Gesellschaften wächst der (zivil-)religiöse Einfluss der Politiker, die gemeinsame Themen und Symbole aller ansprechen (müssen). Die Reden von US-Präsidenten einschließlich Barack Obama sind ein gutes (und m.E. gelungenes) Beispiel. Ganz aktuell z.B. seine Botschaft zum Ramadan:
    http://www.youtube.com/watch?v=zZeJ_RXLMOE

    Politiker, die mit Religionen nicht umgehen können, haben es in religiös vielfältigen Gesellschaften schwer. Und der deutsche Staat, der bisher z.B. zentrale Begräbnisse oder Gedenken an die Kirchen delegiert hat, beginnt langsam, aber sicher, sich seine eigenen, zivilreligiösen Rituale zu zimmern.

    Aber was Sie vielleicht freut: Auch in den religiös freiheitlicheren USA hat es mehr als zwei Jahrhunderte gebraucht, bevor die recht säkularen Einwanderer (weniger als 20% Kirchenmitglieder im 18. Jahrhundert) zur heutigen Religiosität (mit mehr als zwei Dritteln der US-Amerikaner in Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften) angewachsen sind. Auch wenn die demografische Implosion der säkularen Milieus mangels Kindern in Deutschland längst eingesetzt hat, dürfte die religiöse Belebung eher ein Generationenprojekt sein.

    Beste Grüße!

  16. Pfarrer sein dagegen sehr…

    Zur Besoldung in der katholischen Kirche gibt es wohl die verschiedensten Gesichtspunkte. Dabei wohlgemerkt (@Mona): Die *deutsche* Finanzierung von kirchlichen Gehältern durch den Staat und ihre Höhe (@itz) ist weltweit betrachtet ein Sonderfall. In Italien und im Vatikan besoldet zu sein, dürfte demgegenüber ein Abstieg sein. Darauf hob ich ab. Aber ist egal; darüber muss man nicht streiten; und ein Papst darf ja offiziell nur Nichten, Neffen ff als Erben seines persönlichen Besitzes einsetzen. Auch Altersvorsorge braucht er nicht zu treffen. Stimmt ja alles…
    Aber die sog. “Leistungsträger” unserer Gesellschaft, die Stars der verschieden Branchen (Sport und Medien) würden auch bei gleichem Familienstand mehr Besitz anhäufen.
    Demgegenüber, so betonte ich, ist eine gewisse Zurückhaltung in der Lebensführung bis in die höchsten Spitzen der kath. Hierarchie zu beobachten. Ausnahmen bestätigen die Regel.

    Streiten wir über Wichtigeres:
    Warum auch ich zu denen gehöre, über die @itz sagt, dass “die Angehörigen/Mitarbeiter der beiden „Multis“ reflexartig Pfründe verteidigen, Verdienste herausstellen und die Konkurrenz schlecht machen (Hallo Elsa, Basty Castellio)”.
    Nun, ich könnte auch sagen: Ich fühlte mich wie ein getroffener Hund, der zu bellen das Recht hat; aber nicht “reflexartig”… Und zwar mit ausgelöst durch den Satz von Stefan Traube „Wenn jeder von Geburt an sowieso zu meiner Schafherde gehört, muss ich mich nicht mehr um die Schafe kümmern.“ Da wird etwas flott moralisch abqualifiziert. Als ob Pfarrer nur faul wären.
    Dem gegenüber halte ich die Äußerung von @Mona über Zustände in ihrer bayrischen Umgebung für sehr viel verständnisvoller: “dass durch Zusammenlegungen von Kirchengemeinden usw., die Pfarrer vor lauter Verwaltungsaufgaben sich kaum mehr um das Seelenheil ihrer Schäfchen kümmern können. Viele Christen bleiben den Kirchen fern und beten, sofern sie gläubig sind, zu Hause. Der spirituelle Aspekt ist auf der Strecke geblieben.”
    (und verstehe nicht, warum sie dann doch dem Satz von Stefan Traube zustimmt. )

    Nun, für Überlastungs-Syndrome der Pfarrer gibt es auch sonst die verschiedensten Gründe – größtenteil strukturell bedingte – die sie vom konkreten Kümmern um die Menschen oft zu sehr abhalten. [Ich sollte vielleicht auch drauf verzichten, mich hinzusetzen und eine Replik zu schreiben 😉 ] Sie sind dann oft doch zu Zeiten da, in denen andere helfende Personen mit ihrer 40 Stunden und viereinhalb-Tage-Woche nicht mehr ansprechbar sind oder merkwürdige Wartezeiten haben…
    Man versteht jemand erst, wenn man mal eine Meile in seinen Schuhen gelaufen ist, sagt anscheinend ein indianisches Sprichwort. Über Pfarrer wissen manche viel zu flott Bescheid.
    Aber diese Sache gehört eigentlich nur noch indirekt in die Religionswissenschaft: als Beitrag zur Soziologie, zu strukturellen Behinderungen oder Chancen in den verschiedensten Religionsgemeinschaften.

    Nun ja, da interessiert mich schon, wie es zu gewissen soziologischen Verschiebungen kommt. Und wie es dazu kommt, dass Kirchen (und Pfarrer, auch Bischöfe!) öfters ganz anders werden als sie ursprünglich angetreten sind. Hängt sicher mit dem ewigen Konflikt zwischen Ideen und Interessen zusammen – Interessen scheinen stärker zu sein als Ideen, aber nicht immer.

    Schlussfrage an @Michael Blume: “die recht säkularen Einwanderer (weniger als 20% Kirchenmitglieder im 18. Jahrhundert)” – wurden da Sektierer, weil Nicht-Mitglieder der Kirchen als “säkular” bezeichnet? Und gab es gegenüber den Einwanderern jemals eine einigermaßen verlässliche Zählung der Religionszugehörigkeit? Relativ stark sind in bei den Einwanderern Amerikas doch die religiös Motivierten, die Pilgrim Fathers, die Gründer von Philadelphia… – viele, die aus religiösen Gründen es in den europäischen Staatskirchen nicht aushielten. Oder was habe ich da übersehen?

    Nix für ungut – frei nach Wagner in Goethes Faust: Zwar weiß ich viel, doch möcht ich noch mal so viel wissen…

    Basty

  17. @ Basty: Zahlen

    Lieber Basty,

    ja, unter den Einwanderern gib es natürlich auch viele explizit Religiöse – neben den Pilgervätern seien die Amischen und viele weitere Gemeinschaften genannt, die extra wegen des Versprechens auf Religionsfreiheit in die USA reisten.

    Ein großes Problem war jedoch die hohe Mobilität und das Fehlen von Städten und organisierten Gemeindestrukturen, in denen man überhaupt “Mitglied” werden konnte. So waren (wie auch heute noch!) sehr viele Konfessionslose durchaus religiös, fanden aber keinen Anschluss.

    Eine sehr spannend zu lesende Ausarbeitung zur Entstehung des religiösen Marktes in den USA (vielleicht auch interessant für @itz?) findet sich z.B. bei Roger Stark und Rodney Finke: “The Churching of America, 1776-2005: Winners and Losers in Our Religious Economy”:
    http://www.amazon.de/…;qid=1251473931&sr=8-5

    Zum sonstigen Beitrag von Dir möchte ich einfach Zustimmung signalisieren. Gerade der evolutionäre Vergleich zeigt ja, dass es eben nicht die individuell immer schon höchst unterschiedlichen, moralischen Qualifikationen von Geistlichen, sondern die strukturellen Voraussetzungen sind, die im Hinblick auf ganze Gesellschaften und längere Zeiträume den Unterschied machen. Und für diese tragen wir alle Verantwortung.

  18. @Basty Castellio

    „Aber die sog. “Leistungsträger” unserer Gesellschaft, die Stars der verschieden Branchen (Sport und Medien) würden auch bei gleichem Familienstand mehr Besitz anhäufen.“
    Naja, auch wenn manche Schnulzensänger oder Fußballstars mehr verdienen, so sollte man doch auf dem Teppich bleiben. Ich dachte immer wer sich in der Kirche engagiert, dem würde es auf andere Werte ankommen.
    „Die *deutsche* Finanzierung von kirchlichen Gehältern durch den Staat und ihre Höhe (@itz) ist weltweit betrachtet ein Sonderfall.“ Ist mir bekannt und war auch ein Kritikpunkt.
    Siehe auch:
    http://ibka.org/artikel/ag97/reichskonkordat.html

    „Dem gegenüber halte ich die Äußerung von @Mona über Zustände in ihrer bayrischen Umgebung für sehr viel verständnisvoller: “dass durch Zusammenlegungen von Kirchengemeinden usw., die Pfarrer vor lauter Verwaltungsaufgaben sich kaum mehr um das Seelenheil ihrer Schäfchen kümmern können. Viele Christen bleiben den Kirchen fern und beten, sofern sie gläubig sind, zu Hause. Der spirituelle Aspekt ist auf der Strecke geblieben.”
    (und verstehe nicht, warum sie dann doch dem Satz von Stefan Traube zustimmt. )“
    Da drehen wir uns jetzt wohl im Kreis. Die Kritik dreht sich ja gerade darum, dass sich die kath. Kirche keine Zeit mehr für ihre Schäfchen nimmt. Aus welchen Gründen auch immer…

  19. Freundliches Schlusswort?

    @Mona
    “Naja, auch wenn manche Schnulzensänger oder Fußballstars mehr verdienen, so sollte man doch auf dem Teppich bleiben. Ich dachte immer wer sich in der Kirche engagiert, dem würde es auf andere Werte ankommen.” Genau das denke ich auch; und es ist so – bezüglich des persönlichen Lebensstandards – weitgehend bis in die höchste Hierarchie. Sind wir uns also doch einig – oder drehen wir uns im Kreis? Aber nicht zum Tanz 🙂 .

    “Da drehen wir uns jetzt wohl im Kreis. Die Kritik dreht sich ja gerade darum, dass sich die kath. Kirche keine Zeit mehr für ihre Schäfchen nimmt. Aus welchen Gründen auch immer…” Das ist ein Kritikpunkt, auch meinerseits. Könnte andererseits auch manchen Kirchenkritikern gerade recht sein. Oder wäre es besser, Priester… könnten dei “Schäfchen” oder “Schafe intensiver beeinflussen?
    Ich wollte eben betonen: Es hängt (zumeist) nicht an der Faulheit feister Kleriker sondern an strukturell bedingter Überlastung; und natürlich auch am Verrennen in manchen dogmatisch bedingten Sackgassen. Doch Ausgangspunkt war: Immer noch finden Hilfesuchende in Caritas, Diakonie und auch bei Klerikern, Pfarrern… Rat und öfters auch mal [;-) ] so unabgegrenzte Hilfe, die sie bei den munteren Freikirchen so nicht finden. Und die amerikanisch-marktschreierischen religiösen Bewegungen dürften mit ein Grund sein, dass soziale Hilfe dort nicht verlässlich greift. Ist doch besser bei uns “in old Europe”, mit den Kirchen, die im Staat “eingebettet” sind.
    Danke auch, @Michael Blume, für die klarstellenden Worte:
    “Gerade der evolutionäre Vergleich zeigt ja, dass es eben nicht die individuell immer schon höchst unterschiedlichen, moralischen Qualifikationen von Geistlichen, sondern die strukturellen Voraussetzungen sind, die im Hinblick auf ganze Gesellschaften und längere Zeiträume den Unterschied machen.” Na ja, manchmal kann man auch rein soziologisch argumentieren ohne sofort den “evolutionären Vergleich” bemühen zu müssen.
    Frecher Gedanke noch zur Soziologie weltanschaulicher Bewegungen: Mancher Bolschewik hat wohl anders angefangen und wurde dann doch ein Apparatschik. Der Großinquisitor bei Dostojewski und Berija sind wohl auch verwandt.

    Gute Nacht bzw. jetzt möchte ich das über die Fremdenfeindlichkeit lesen.

    Basty

  20. We have no choice
    Hallo @Michael Blume
    Einspruch abgelehnt. 🙂
    Schauen Sie auf Ihre Grafik! Falls der rechte Kreis -„Religiöse Vielfalt“- für die USA steht, geht doch klar daraus hervor, dass sich keine Gemeinschaft bisher durchgesetzt hat. Und wenn Sie eine Animation daraus machen würden, könnten wir sehen, wie die Kreise mit der Zeit pulsieren – mal größer, mal kleiner werden, manchmal sogar verschwinden, sich teilen und auch neue Kreise auftauchen (Welle auf Welle eben). Erst wenn ein Staat oder Herrscher zugunsten einer Religion eingreift (oder zu ungunsten einer anderen) entstehen religiöse Monopole. Ist überhaupt jemals ein Religionsmonopol auf dem freien Markt entstanden? Der Staat hat also nur darauf zu achten, dass sich die Gläubigen an die (weltlichen) Regeln halten, den Rest erledigt die unsichtbare Hand des Marktes.

    Kein Wort darüber, dass „Politiker die gemeinsamen Themen und Symbole aller“ nicht ANSPRECHEN sollten. Sondern nur, dass der Staat religiöse “Argumente” nicht als Grundlage für sein handeln nutzen darf! Auch ich möchte auf Präsident Obama verweisen:
    “(…) Democracy demands that the religiously motivated translate their concerns into universal, rather than religion-specific, values. It requires that their proposals be subject to argument, and amenable to reason. (…)
    Now this is going to be difficult for some who believe in the inerrancy of the Bible, as many evangelicals do. But in a pluralistic democracy, we have no choice. Politics depends on our ability to persuade each other of common aims based on a common reality. It involves the compromise, the art of what’s possible. At some fundamental level, religion does not allow for compromise. It’s the art of the impossible. If God has spoken, then followers are expected to live up to God’s edicts, regardless of the consequences. To base one’s life on such uncompromising commitments may be sublime, but to base our policy making on such commitments would be a dangerous thing. (…)”
    (Aus seiner Call to Renewal Keynote Address vom 28.06.2006)

    Ein kurzer Abriss zum Thema „Religion in Eighteenth-Century America“ zusammengestellt von der Library of Congress.
    Danke für den Lesetipp. Bin in der Tat großer Fan Amerikas und seiner Geschichte. (Kleine Anregung: Das wäre doch auch was für die Chronologs!)

    Hallo @Basty Castellio
    Kein Streit nötig! Mein Punkt ist ja gerade, dass Sie „das Recht haben zu bellen“, andere Religionen zu kritisieren und den eigenen Glauben herauszuheben. (Darf ich nochmals die verbotene Atheistenwerbung erwähnen? 😉 ) Hat ja niemand behauptet, dass Freiheit leicht zu ertragen ist.

  21. @ itz: Absolut d’accord!

    Lieber itz,

    tja, da sind wir sehr weitgehend einer Meinung! Religiöse Monopole setzen sich im freiheitlichen Wettbewerb ebenso wenig durch wie wirtschaftliche oder politische. Normalerweise geht das nur über Bündnisse mit den Herrschenden – was mittel- und längerfristig wiederum die Glaubwürdigkeit der Religion untergräbt. Dagegen sind wir wohl beide der Auffassung, dass sich Politiker als Vertreter aller Bürgerinnen und Bürger verstehen und daher eine integrierende (d.h. nicht-diskriminierende und gemeinschaftlich-demokratische Werte betonende) Religionspolitik betreiben sollten.

    Eine lebendige Religionslandschaft benötigt (positive und negative) Religionsfreiheit – das Bild der “pulsierenden”, auf- und absteigenden Gemeinschaften gefällt mir sehr gut, danke!

    Aus evolutionärer Perspektive ist dabei anzumerken, dass die relativen Reproduktionsvorteile durch religiöse Gemeinschaften im Rahmen von Religionsfreiheit und religiöser Vielfalt am deutlichsten auftreten. Das “Pulsieren” hat ja immer auch eine demografische Komponente.

    Danke für den guten und anregenden Kommentar, @itz!

  22. Ich kann vor den christlichen Religionen nur warnen!

    Mittelalterliches Christentum hängt uns überall nach!

    Meiner Ansicht nach tragen die Christen “ihr” Kreuz wie ein Brett vor dem Kopf. Die Priester haben ihnen das Symbol von Kindheit auf eingeprägt, meiner Meinung nach eine Gehirnwäsche mit immer wieder den selben, unsinnigen Inhalten.

    Das christliche Weltbild ist meiner Meinung nach veraltet. Es stammt aus einer kargen, meist kriegerischen Region und beruht weitgehend auf der Weltsicht von Hirtenvölkern.

    Deswegen auch die Betrachtung der Gläubigen als Schafe, die eines Hirten bedürfen.

    Und selbst das Kreuzigen des Wanderpredigers Jesus, das von den Christen als das Non-Plus-Ultra hingestellt wird (falls es ihn historisch überhaupt gegeben hat) ist nichts besonderes, es war damals eine übliche Hinrichtungsart.
    Siehe z. B.:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzigung
    “332 v. Chr. ließ Alexander der Große nach der Eroberung von Tyros etwa 2.000 Männer im wehrfähigen Alter kreuzigen”

    Heute würde man den “Wanderprediger Jesus” einfach kostenpflichtig abmahnen.

    Die ganze christliche Theorie ist aus meiner Sicht ohne geistige Substanz und nur auf Emotionen ausgerichtet.
    =====
    Joachim Datko – Ingenieur, Physiker
    Forum für eine faire, soziale Marktwirtschaft
    Portal: http://www.monopole.de
    Forum: http://www.monopole.de/forum

  23. @ Joachim Datko

    Danke für das interessante, atheistisch-missionarische Plädoyer!

    Ich bin mir nicht sicher, ob man das Christentum wirklich so einseitig-negativ sehen sollte. Ein paar Gedanken zur religiösen Prägung auch unserer Zivilisation, Sprache(n), Wissenschaft(en) finden Sie hier:
    http://www.chronologs.de/…ie-null-das-gewachsene

    Und zufällig bin ich gerade für diesen Sonntag zu einem Interview über das hinduistische Kastensystem gebeten worden, Beitrag dazu hier:
    http://www.chronologs.de/…n-thema-des-hinduismus

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