Narbenhaut – Ein starkes Fantasy-Hörspiel mit Tiefendimensionen von Dane Rahlmeyer

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Die Diskussion zum Blogpost der letzten Woche um die Rolle von Mythen in der modernen Fantasy hatte sich sehr schnell auf Bücher konzentriert. Doch machen wir uns bewusst: Schrift ist erst wenige tausend Jahre alt – davor (und daneben) wurden Erzählungen vor allem gehört! Und interessanterweise sind es gerade die neuen Medien und Technologien (wie kleine und leichte, auch z.B. in Handys integrierte Abspielgeräte), die derzeit einen neuen Aufschwung von Hörbüchern und Hörspielen ermöglichen.

Als Beispiel möchte ich das hervorragend gemachte Fantasy-Hörspiel “Narbenhaut” des Produzenten und Bloggers Dane Rahlmeyer empfehlen, das er im März 2014 kostenfrei auf YouTube stellen ließ (wofür es eine Beteiligung an den Werbeeinnahmen gibt). Soviel sei verraten: Dieses fantastische Werk verdient meines Erachtens jeden Erfolg und unter den vielen hervorragenden Charakteren und Szenen des Stückes gehört die Puppenspiel-Szene zu meinen absoluten Favoriten. Aber vielleicht wollen Sie die gute Stunde einfach genießen, bevor Sie die religionswissenschaftlichen Reflektionen dazu lesen. 😉

Tiefe durch Mythenreichtum

Auch im letzten Blogpost hatte ich darauf verwiesen, dass hochwertige Fantasywerke eigentlich immer auch aus den gewachsenen Mythenschätzen der Menschheit bedienen und diese in neuer Weise kombinieren. Auch auf “Narbenhaut” trifft dies zu. Die Hintergrundwelt ist durch “Conan der Cimmerier” von Robert E. Howard inspiriert, der wiederum nordafrikanische und orientalische Motive aufgegriffen hatte. Im befreienden “Kriegerpropheten”, aber auch in den auf diesen folgenden Hiero- bzw. Bürokraten werden Aspekte des Islam aufgegriffen. In den “Grauen Herrschern” werden Alien- & UFO-Mythen thematisiert. Und in den Mensch-Tier-Wesen (“Gura”) sowie Mensch-Dämonen werden sogar noch ältere Mythen der Menschheit “angezapft”.

Auch die effektvolle Kombination mit eigens komponierter Musik sowie die Betonung der (evolutionär alten und tiefen) Emotion der Furcht zeigen ein feines, (evolutions-)psychologisches Talent. Hier auch ein erklärender Kommentar Rahlmeyers, in dem er einige Einblicke in die Kunst des Hörspiel-Erzählens gewährt.

Evolutionäre Narratologie

Schon in den Ur- und Anfangszeiten dieses Blogs hatte ich hin und wieder aus der evolutionären Literatur- und Erzählforschung, der Narratologie, berichtet. Auch in Uni-Seminaren und dem daraus entstandenen “Psyche und Fantasie des Menschen” hatte ich immer wieder viel Freude am Thema erlebt. Nachdem die Arbeiten zu Religion & Demografie nun soweit abgeschlossen sind habe ich wieder Zeit und Lust, hierzu tiefer einzutauchen. Denn es ist eben ein (weiteres) Ergebnis unserer Evolution, dass wir Menschen nach fantastischen und mythischen Geschichten hungern.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

5 Kommentare

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  2. Lange hat’s warten müssen aber jetzt habe ich es gehört. Und bin teils angetan, teils enttäuscht. Das Einarbeiten alter Mythen finde ich immer erhellend, aber hier war es für meinen Geschmack zu kurz und nicht genügend entwickelt. Als Kapitel 1 in einem Buch wäre es gut, wenn das Buch dann die nordafrikanischen und orientalischen Welten weiter ausbreitet, den Kriegerpropheten, die Hierokraten und die Grauen Herrscher, Mensch-Tier-Wesen und Mensch-Dämonen, etc. Nur in den kurzen Erwähnungen hier sind mir das zuviel zusammenhanglos nebeneinander stehende Puzzleteile.

    Auch die Sprache hat diese Uneinheitlichkeit ohne übergreifende “Resonanz”. Es alter- und fremdtümelt nach herzenslust, und mittendrin sagt jemand “diesbezüglich”, “halt die Klappe!” oder “mach hin!”. Auch beim “sadistisch langsame[n] Verkehr” ist Sadismus und langsamer Verkehr ein hochmodernes Konzept bzw. ein Problem ab dem späten 20. Jahrhundert. (Asterix ist kein Gegenbeweis.)

    Das Entwerfen von alternativen Religionen oder Mythologien kann viel mehr bieten. Anderswo sind hier im Block schon viele Beispiele genannt worden (IIRC), ich möchte gerade für den Religionswissenschaftler noch auf Jacqueline Carey hinweisen:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Jacqueline_Carey#Werke

    Die drei “Terre-d’Ange”-Trilogien dürften Material für eine ganze Reihe von Blogposts bieten, von Aspekten der Religion, ihren realweltlichen Ensprechenungen oder Wurzeln, bis zu moralischen Dilemmata einzelner Protagonisten. Das Lesevergnügen ist beträchtlich (laut meiner Stichprobe, n=1). Zwei Caveats: Es braucht sehr lange bis die Geschichten Fahrt aufnehmen; ähnlich wie bei Harry Potter enthüllen sich große Zusammenhänge erst spät. Und man sollte die Pubertät abgeschlossen haben.
    Die Resonanz auf Blogeinträge dürfte aber gering sein: Nur in Englisch vollständig zu lesen, viel Sex in vielen Spielarten die auch noch in der Religion begründet sind (könnte einige abschrecken), Schnittmenge Religion x Phantasy, kein aktueller Anlass/Hype — da gibt’s nicht so viele die hierher finden würden — Qualität statt Quantität :-)). M.E. also nur als Liebhaberei, nicht zum Steigern der Bekanntheit geeignet.

    Auch “The Sundering” (Elegie an die Nacht) liefert eine interessante Theologie: der Phantasy-typische Kampf Gut gegen Böse ist hier aus der Sicht der Bösen geschildert. Mitsamt der Entstehensgeschichte des Dualismus. Leider ist es schwer bis unmöglich, das Böse auf Dauer grauenhaft zu schildern, die Abnutzung der Wirkung ist hier sehr stark. Trotzdem noch eine lesenswerte Geschichte.

    (Zu Agent of Hel kann ich noch nichts sagen, klingt aber auch interessant).

    Off-Topic: Danke für das Blog. Ich genieße jeden neuen Post.

      • Danke für die Einladung!
        Es scheint mir unwahrscheinlich, aber wenn ich etwas Passendes zu sagen habe komme ich gerne darauf zurück.

      • Kein Gastbeitrag, nur ein Tip:
        “American Gods” (auch dt. Titel) von Neil Gaiman.

        Götter in der Aufmerksamkeitsökonomie (wie bei Pratchetts “Small Gods”/”Einfach Göttlich”), zumeist als Immigranten in die USA, mit den Vorgeschichten ihrer Hoch-Zeit in der Ursprungsregion, in ihrer an die heutige Welt angepassten Form, mit neuen Kollegen (zB “Media”, das Plastikgesicht einer TV-Anchorwoman), und als Plot eine … nein, ich verrat’s nicht. 🙂

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