Koreanischer Schamanismus

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Schon der Beitrag über die "buddhistische" Ahnenverehrung in Japan, das hohe Leserinteresse und die rege Diskussion haben den Effekt unterstrichen, wonach Blicke über den Tellerrand der eigenen Religionskultur (auch für Kritiker derselben) sehr anregend sein können. So wurde deutlich, dass übernatürliche Akteure in allen gewachsenen Religionskulturen rituell verehrt werden, dass aber ihre Beschreibungen (z.B. die Eigenschaften von Göttern) sich auch stark von den "gewohnten" Kategorien Europas unterscheiden können. Mit einem weiteren Gastbeitrag ermöglicht uns nun Katharina Böhning, Universität Leipzig, Einblicke in die Welt des koreanischen Schamanismus.

Korea Mudang 

Korea ist ein multireligiöses Land. Der so genannte koreanische Schamanismus blickt auf eine lange Tradition zurück. Byong-Ro An fasst die Religionsvielfalt der Koreaner folgendermaßen zusammen: „Der Koreaner ist beim Philosophieren Buddhist oder Taoist, im familiären oder gesellschaftlichen Umgang […] Konfuzianer, bei Gefahr jedoch Schamanist.“ Die Hauptaufgabe des koreanischen Schamanismus liegt also in der Problemlösung. In der Regel werden moderne, naturwissenschaftliche Lösungsansätze für sämtliche Probleme bevorzugt. Helfen sie jedoch nicht, wird ein Schamane konsultiert, der als Mudang bezeichnet wird.

In seinen Zeremonien nimmt er für die Menschen den Kontakt zu den Göttern auf. Es gibt eine Vielzahl an unterschiedlichen Göttern, die nicht selten ursprünglich aus anderen Ländern oder Religionen stammen. Jeder Mudang wendet sich nur an bestimmte Götter, die er auch über die Zeremonien hinaus verehrt und zu denen er eine ganz persönliche Bindung hat.

Zum Mudang wird man erwählt. Vorraussetzung ist die sogenannte Götter- oder Schamanenkrankheit, eine meist unerklärliche länger andauernde Krankheit, die als religiöse Erfahrung gewertet wird und einher geht mit seltsamen Träumen, plötzlichen Anfällen und prophetischen Visionen. Während der Initiationszeremonie, wird die Verbindung zwischen den persönlichen Schutzgöttern und dem Mudang gebildet, der Umgang mit ihnen und die Ausübung der Zeremonien erlernt der neu initiierte von erfahrenen Schamanen.

Wird ein Mudang nun wegen eines Problems aufgesucht, wahrsagt er zunächst und verschreibt je nach Götterrat ein Amulett oder eine Zeremonie, bei der die Hilfe von weiteren Schamanen erforderlich ist. Unter musikalischer Begleitung kommt den Mudang die Aufgabe zu, die Götter anzurufen, sie mit Opfergaben, Gesängen und Tänzen zu unterhalten, den Klienten die Gottesworte zu überbringen und die Götter anschließend wieder zu entlassen. Gegenwärtig werden nur noch wenige Zeremonien abgehalten und diese oft in verkürzter Form. Dennoch sind sie mitunter, gerade für Außenstehende, sehr eindrucksvoll.

Die koreanischen Schamanen genießen, obwohl sie noch immer in Notfällen konsultiert werden, kein hohes gesellschaftliches Ansehen und führen oft ein zurückgezogenes Leben. Andererseits gilt die ranghöchste Schamanin Kim Keum Hwa als immaterielles Kulturgut und repräsentiert ihre Tradition auch international erfolgreich.

Einige der farbenprächtigen Gewänder und Gerätschaften, welche von Schamanen während ihrer Zeremonien benutzt werden, sind momentan im Foyer des Marburger Kunstvereins in Zusammenarbeit mit der Religionskundlichen Sammlung zu betrachten.

Literatur zum Weiterlesen:

– Cho Hung-Youn: Koreanischer Schamanismus. Eine Einführung. Hamburg 1982 (Wegweiser zur Völkerkunde, Heft 27).
– Byong-Ro An, Zur religiös-kulturellen Situation im Korea der Gegenwart. Journal of Religious Culture/Journal für Religionskultur Nr.54 (2002).

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

11 Kommentare

  1. Gern mehr in der Art! Es ist wirklich interessant, mal etwas über den koreanischen Schamanismus und der dahinterstehenden Kultur zu lesen. Egal, was man von den verschiedenen Religionen hält – die alte Historie dahinter ist faszinierend.

    Bisher war mir der Schamanismus in Korea nur aus einer Folge M*A*S*H (Ja ja, ich weiß! 😉 )ein Begriff, in der eine Schamanin das Camp von den bösen Geistern befreien sollte.

  2. Ich finde die “alte Historie”, wie Rotfell sie nennt, ebenfalls sehr interessant. Den angesprochenen Film kenne ich übrigens auch! 🙂

    In den alten Naturreligionen war der Schamane ja Arzt, Priester und Psychologe in einer Person. Mit dem Fortschreiten der modernen Wissenschaft kam es quasi zu einer Trennung dieser Disziplinen.
    Sehr interessant dazu dieser Text:

    http://www.wirtz.ch/…ologie%20und%20Religion.pdf

    Was mich aber beschäftigt ist die Frage: Warum der sog. Neo-Schamanismus ein dermaßen großes Comeback bei uns erlebt. Anscheinend begann mit der verstärkten Abwendung von der Kirche auch eine Suche nach spirituellen Alternativen.
    G. K. Chesterton sagte ja einmal: Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche.
    Dem kann man wohl nur zustimmen, wenn man den überbordenden Esoterik-Markt bei uns betrachtet.

  3. Guter Artikel. Die Feststellung: “Die Hauptaufgabe des koreanischen Schamanismus liegt also in der Problemlösung” trifft auf alle schamanischen Traditionen zu und ist u. A. eines der Abgrenzungsmerkmale zwischen “Schamanen” und “Priester” bzw. “Mystikern” – Schmamanen haben nicht nur eine gesellschaftliche Aufgabe (das unterscheidet sich z. B. von vielen “westlichen” Möchtegern-Schamanen), diese Aufgabe ist außerdem noch die eines “spirituellen Handwerkers” (bzw. “Heilers”, “Therapeuten”).

  4. @Mona: “Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche.” Ein interessantes Zitat. Aber ich bin unsicher, ob man das immer so strikt trennen kann.

    Denn es gibt meines Erachtens auch Menschen, die an Gott glauben, aber trotzdem manchen esoterischen Dingen ebenfalls nachhängen(z.B. im Gesundheitswesen oder Stichwort Astrologie).

    Ist es nicht vielleicht so, daß manche Menschen ihren Glauben eher an Situationen anpassen (quasi alle Glaubenskarten auf der Hand angucken und je nachdem diese oder jene Karte ausspielen: “Kann ich das mit Astrologie erklären? Er ist ein Stier…” “Ist es einfach Gottes Wille?” “Was würde eine Schamanin machen?”) anstatt Situationen immer über ihren “Ur-“glauben zu interpretieren?

    Ich bin allerdings keine Expertin auf diesem Gebiet und das ist nur eine Vermutung.

    P.S. Auch ein M*A*S*H-Fan? 😀

  5. @ Mona

    Danke für den Link.

    Wenn ich mir das große Angebot an spirituellen Alternativen anschaue, frage ich mich in der Regel, ob das wirklich eine so neue Entwicklung ist. Einmal davon abgesehen, dass die Möglichkeiten heutzutage Informationen und Erfahrungen auszutauschen ganz andere sind als in vergangenen Zeiten, was vieles vereinfacht. Leider gibt es wenig Quellen, die Aufschluss geben, einige Ausnahmen ausgenommen.

  6. empfehlenswerte Literatur

    Das Buch ´Koreas Kulturerbe´ vom Koreanischen Informationsdienst (ISBN 89-7375-375-7 03910) gibt einen sehr gut(!) geschriebenen und kurzen Einblick in die verschiedenen Aspekte der koreanischen Kultur; mit hervorragendem Bildmaterial.
    U.a. eine 12seitige Einführung in den Schamanismus und einen 14seitigen Beitrag über die Riten.

    Demnach ist sind Schamanen professionelle spirituelle Vermittler, welche Riten zelebrieren. Man unterscheidet zwei Typen: a) welche durch ein spirituelles Erlebnis von Geistern auserwählt wurden – und b) solche Schamanen, welche ihre Berufung von den Vorfahren erbten.
    Typ a) kann u.a. mit den Geistern in Verbindung treten, heilen und in die Zukunft sehen. Typen b) besitzen keine übersinnlichen Kräfte. Ihre Aufgabe beschränkt sich hauptsächlich darauf, die Riten korrekt auszuführen.

  7. kleine Korrektur

    Die koreanische Schamanin wird als mudang bezeichnet. Der koreanische Schamane wird auf dem Festland normalerweise baksu genannt.Insgesamt gibt es wesentlich mehr Schamaninnen (ca. 90%)als Schamanen, weshalb sich der Begriff mudang “durgesetzt” hat.
    Ein umgekehrtes Geschlechterverhaeltnis existiert uebrigens auf der Insel Jeju. Dort wird der koreanische Schamane shimbang genannt.

    Kim Keum Hwa ist nicht die ranghoechste Schamanin Koreas sondern die bekannteste Schamanin der Hwanghaedo-Tradition. Es gibt eine ganze Reihe andere Schamaninnen, die als “immaterielles Kulturgut” eine gleichwertige Stellung haben. Da die nordkoreanische Hwanghaedo-Tradition aber besonders exstatisch und damit fotogen ist, erfreut sie sich insbesondere in den Medien grosser Beliebtheit.
    Kim Keum Hwa ist allerdings sicherlich eine der engagiertesten und herausragensten Schamaninnen des Landes:-)
    (Sorry wegen der Umlaute)

  8. Sehr interessant!

    Lieber Dr. Schlottmann,

    haben Sie herzlichen Dank für Ihre sehr interessanten Hinweise!

    In der Tat haben wir in einigen Kulturen ja das Phänomen dass einige oder sogar die Mehrzahl der Schamanen weiblich sind, sowie auch zaghafte Erklärungsversuche dazu (z.B. dass weibliche Schamanen (erst) dann die Oberhand gewönnen, wenn die religiöse Funktion sozioökonomisch marginalisiert worden sei). Dass die diesbezüglichen Geschlechterrollen auf Jeju dazu im Rahmen eines weiteren, kulturellen Kontextes aber wiederum vertauscht sind, hielte ich vor diesem Hintergrund für außerordentlich interessant! Gibt es zu diesem Kontext Literatur, die Sie empfehlen könnten?

    Mit dankbaren und sehr faszinierten Grüßen!

  9. Schamanismus in Jeju
    Lieber Dr. Blume,

    Literatur zu Schamanen bzw. Schamanismus in Jeju ist selten und oft in koreanischer Sprache.
    Ich habe einmal eine kleine Liste zusammengestellt:

    Chin, Sŏng-gi. 1977.
    Tangsin: Cheju Shamanism. In: Korea Journal 17 (8), 24-35.

    Kim, Seong-nae. 1998.
    Problems in defining shaman types and local variations.
    In: Howard, Keith (Hrsg.),
    Korean Shamanism. Revival, survivals and change.
    Seoul: The Royal Asiatic Society, Korea Branch, Seoul Press.

    Kim, Song-rye. 1991.
    Rites chamanistique de l´île Cheju-do: discours historique sur la violance.
    In: Revue de Corée Vol. 23 (1), 21-40.

    Yoon, Soon-Young. 2003.
    Magic, science and religion on Jeju-do island.
    In: Korean Anthropology. Contemporary Korean Culture in Flux. Vol. III.
    Edited by Korean National Commission for UNESCO.
    Seoul: Hollym, 469-482.

    Zudem empfehle ich die Bildbaende von Kim, Soo-nam, die einen einzigartigen Einblick in die Ritualpraxis Koreas geben und dabei insbesondere die Insel Jeju beruecksichtigen.

    beste Gruesse aus Chungju

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