Hat das Judentum in Deutschland eine Zukunft? Gedanken nach einem Schabbaton

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Vor einigen Monaten erreichte mich eine Einladung, wie man sie auch als Religionswissenschaftler nicht jeden Tag bekommt: Ob ich bereit wäre, als “Special Guest” an einem Schabbatwochenende (“Schabbaton”) in der jüdischen Gemeinde Frankfurt teilzunehmen? Es werde seit vielen Jahren von drei Rabbinern der orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD) ausgerichtet und sei zuletzt “etwas größer” geworden. Thematisch würde man sich von mir neben der Teilnahme an einer Podiumsdiskussion zwei Vorträge wünschen: Einen über die “Evolutionsforschung zur Religion” (!) und einen über Hintergründe und Gefahren des Fundamentalismus (!!).

Und so fand ich mich am Freitag Nachmittag in Frankfurt ein – und staunte von Anfang an über die organisatorische Professionalität des fünfköpfigen (und mehrheitlich weiblichen) Ausrichter-Teams von Jewish Experience. Angeberei hatten sie gar nicht nötig: “Etwas größer” erwies sich als eine Teilnehmerzahl von über 150 jungen Erwachsenen aus ganz Deutschland, zuzüglich einem knappen Dutzend Rabbiner. 

 

Und das mit dem “Special Guest” bewahrheitete sich dann auch: Ich war, wie sich herausstellte, der einzige nichtjüdische Teilnehmer. “Tja, jetzt weißt du mal, wie es uns dauernd geht!”, scherzte eine der Organisatorinnen – die im Übrigen eindrucksvoll aufzeigten, welche aktive und gestaltende Rolle Frauen auch in den jüdischen Gemeinden spielen.

Am Abend – noch vor Beginn des Schabbat und also mit erlaubtem Technikeinsatz – trug ich dann zur “Natur des Glaubens” und zur Evolution der Religion vor; wissend, dass einige Anwesende ein Erdalter von knapp 6.000 Jahren annahmen und ich ihnen also vieles zumuten würde.

 

Reaktionen und Diskussion übertrafen meine Erwartungen, die munteren Debatten reichten über das ganze Wochenende. Kein Wunder: Bildung wird hier groß geschrieben und so traf ich hier vier Biologinnen, zwei Biologen und über zwei Dutzend Studierende oder Absolventen weiterer MINT-Fächer. Das Veranstalter-Konzept schien aufzugehen: Der Impuls von außen regte vor allem auch lebhafte, innerjüdische Debatten an. Ich fühlte mich praktisch sofort wohl.

Schabbat Schalom!

Im Freundeskreis hatte ich bereits an Schabbatabenden teilgenommen, aber nicht in einem so großen und intensiven Rahmen. Ehrensache, dass ich an den Schabbat-Gottesdiensten, Ritualen und Festessen, Tora-Vorträgen und Schiurs (Lern- und Diskussionskreisen) teilnahm – und danke an alle, die bereit waren, mir dabei das Eine oder Andere zu erklären. Spannend auch, wie man sich fühlt und wie Gespräche intensiver werden, wenn mal einen Tag alle Handys, Laptops und auch Fotoapparate abgeschaltet werden. Die Unterbrechung des Wochenablaufes durch einen strikten, rituell gegliederten Ruhetag bewirkt ein Ausbremsen oft überhetzter Abläufe.

Debatten über Fundamentalismus & Religionen

Was ist Fundamentalismus? Wie und wo entsteht er? Was kann man dagegen tun? Wann drohen auch jüdische Traditionen fundamentalistische Züge zu entwickeln – wie derzeit an einigen Orten in Israel? Wie ist das im Islam, im Christentum, im Hinduismus?

Das war meine Themenstellung für den Samstag – und mein erster Vortrag am Pult einer Synagoge. Die Nachfragen und Debatten – auch auf dem Podium – waren nicht nur intensiv, sondern auch selbstkritisch. Als Beispiel zitiere ich einen jungen Mann: “Wir können die Probleme nicht immer nur bei anderen sehen. Als religiöse Menschen tragen wir auch eine Verantwortung für das, was im Namen unseres Glaubens geschieht!” Nicht vergessen werde ich auch die Schriftauslegungen (“Dvar Thora”) der “drei Rabbiner”, die die Veranstaltungsreihe einst begründet hatten: Jaron Engelmayer (Köln), Avichai Apel (Dortmund) und Julian Chaim Soussan (Mainz) sprachen zu schwierigen, gewalthaltigen Stellen der hebräischen Bibel. Nein, hier wurden Probleme nicht unter den Teppich gekehrt, sondern aktiv und rege debattiert.

Hat das Judentum in Deutschland Zukunft? I – Demografie

“So einen Altersdurchschnitt erlebt man bei jüdischen Veranstaltungen auch nicht alle Tage!”, schmunzelte ein Gesprächspartner vom Bund traditioneller Juden (BTJ) beim Abendessen glücklich. Und tatsächlich: Neben den Kindern russischer Zuwanderer entstammten viele Teilnehmende den stärker kinderreichen Familien verbindlich religiöser Familien. Dass das erste aller biblischen Gebote nach Genesis (jüdisch: Bereschit) 1,28 “Seid fruchtbar und mehret Euch!” lautet, brauchte ich hier niemandem zu erklären.

Stattdessen lernte ich, dass dieses Gebot im Talmud weiter ausdiskutiert worden war: So betrachtete es Rabbi Hillel bei mindestens einem Sohn und einer Tochter als erfüllt, Rabbi Schamai aber forderte zwei Söhne. Zum Codex der Noachidischen Gebote für Nichtjuden gehört diese Vorgabe freilich nicht – sie dürfen und sollen Kinder einfach als Gottes Geschenk und als Segen betrachten.

Über die Freude, aber auch die Mühen, in Deutschland mehrere Kinder groß zu ziehen und diesen dabei auch alle Bildungschancen zu bieten, wurde an den Tischen rege diskutiert. Zum Juden-Gen-Rassismus von Thilo Sarrazin gab es allgemeines Kopfschütteln: Ihre Bildungserfolge führten die (ethnisch übrigens sehr bunten) Anwesenden nicht auf angebliche “jüdische Gene”, sondern auf die intensive Kultur der Bildung und Verantwortung zurück, die in ihren Gemeinden und Familien gepflegt werden.

Unvergessen wird mir auch die humorvolle Tischrede eines jungen Rabbiners bleiben, der die “noch nicht verheirateten Anwesenden” an ihre “religiösen Aufgaben” erinnerte, sie ermunterte, “einander kennen zu lernen” und unter tosendem Gelächter an die Damen appellierte “dabei doch bitte barmherzig zu sein”. Zumal ich im Vortrag über Beobachtungen zur Wirkung christlicher Zeltlager gesprochen hatte, berichteten die Anwesenden am Tisch launig, wie und wo sie ihre meist jüdischen Partner und Partnerinnen kennen gelernt hatten. “Minderheiten müssen kreativ sein!”, schmunzelte eine glücklich verheiratete Juristin – und ich musste an die Evangelischen Studierendengemeinden (ESGs) in der ehemaligen DDR denken, in denen sich die vielfach diskriminierten, jungen Christen getrofen hatten und die in den Kirchen daher auch augenzwinkernd “Ehe-Such-Gemeinschaften” genannt wurden. Wieder einmal merkte ich: Die wirklich spannenden Aspekte religiösen Lebens finden sich (noch) viel zu selten in den Lehrbüchern! Und: Demografisch gesehen besteht für verbindliche, jüdische Strömungen auch in Europa und Deutschland durchaus Anlass zur Hoffnung.

Hat das Judentum in Deutschland zukunft? II – Das Beschneidungsurteil

Bei aller Fröhlichkeit des Wochenendes will ich aber auch die Sorgen nicht verschweigen, die viele Anwesende bewegte: Das Urteil des Landgerichtes Köln zur Strafbarkeit der Beschneidung von Jungen. Dazu muss man wissen, dass die Beschneidung von Buben am achten Tag seit Jahrtausenden zur jüdischen Tradition gehört und als verbindliches “Bundeszeichen” gilt. Verbote von Beschneidungen waren in der jüdischen Geschichte immer wieder der Auftakt für schlimmere Verfolgungen gewesen.

Keiner meiner Gesprächspartnerinnen und -partner warf dabei den deutschen Juristen gezielten Antisemitismus vor. Wohl aber bestand die Sorge, dass ausgerechnet in Deutschland die Religionsfreiheit erneut so wenig zählen würde, dass religiösen Minderheiten nur die Wahl zwischen Assimilation (und also mittelfristiger Auflösung) oder Auswanderung bliebe. “Warum fällt es uns Deutschen so schwer, Unterschiede zuzulassen?”, brachte es eine Tischnachbarin auf den Punkt. (Nach dem Schabbaton fragte ich übrigens auch eine jüdische Freundin liberaler Prägung nach ihrer Einschätzung – sie sah es genau so. “Religionsgemeinschaften können sich von innen reformieren. Aber wenn sie staatlichem Druck nachgeben, wird der nur immer schlimmer werden.”)

Rückblick

Als ich mich am Sonntag auf der Heimreise befand, dachte ich an ein intensives und wundervolles Wochenende zurück. Ich war mir gar nicht sicher, ob ich mehr gelehrt – oder doch mehr gelernt hatte. Freundschaften waren entstanden und für einen dieser kostbaren Momente hatte ich erleben können, dass Vielfalt zur gegenseitigen Bereicherung, zur Chance zum Lernen werden kann: Wenn wir Menschen miteinander sprechen, Gemeinsamkeiten finden, aber auch Unterschiede respektieren. Dieses 3-Rabbiner-Schabbaton werde ich sicher nicht vergessen.

Über Google News las ich, dass Deutschland in 2011 (dem Jahr der Geburt unseres Jüngsten) mit 633.000 Geburten erneut insgesamt einen Rückgang (um 15.000 gegenüber 2010) und einen neuen Baby-Minusrekord verzeichnet hatte. Sinnigerweise (und wahrscheinlich unbeabsichtigt) betitelte FOCUS die zunehmend verzweifelten Debatten der Demografie und Familienpolitik dazu mit dem biblischen Begriff der “Methusalem-Falle”. Ob es den Sozialtechnokraten langsam dämmert, dass Deutschland auch einen Wertewandel braucht? Und ob die zunehmend aggressive Intoleranz gegen religiöse Minderheiten wie Juden und Muslime auch einfach damit zusammen hängt, dass unsere Gesellschaft immer säkularer, kinderärmer und älter wird? Es war ja schon immer einfacher, Unsicherheiten auf Minderheiten abzuwälzen, anstatt die eigene Bequemlichkeit in Frage zu stellen. Aber vielleicht sind wir ja diesmal klüger?

Für die deutsche Gesellschaft insgesamt will ich hoffen, dass unsere Gesellschaft Freiheit und Vielfalt verteidigt und neu zu schätzen lernt. Ein ergrauendes Deutschland mit noch weniger Freiheiten und der Verdrängung religiöser wie weltanschaulicher Buntheit wäre m.E. ein Deutschland ohne Zukunft. Ob wir es schaffen, weniger Engstirnigkeit und mehr Neugier zu entfalten?

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

199 Kommentare

  1. Und ob die zunehmend aggressive Intoleranz gegen religiöse Minderheiten wie Juden und Muslime

    Meines Erachtens hast Du da aber eine Gruppe vergessen und zwar die die heutzutage am meisten abbekommt. Die bibeltreuen Christen und die Evangelikalen.

  2. Anmerkung: Beschneidungs-Urteil

    Zum Beschneidungs-Urteil argumentieren meiner Meinung nach alle Kirchen völlig falsch und kontraproduktiv. Anstatt die freie Religionsausübung in den Vordergrund zu stellen, sollte darüber argumentiert werden, dass die WHO die Beschneidung sogar empfiehlt.

  3. @ Physiker. Bitte ganze Geschichte.

    Es hilft immer, wenn man die ganze Geschichte erzählt. Also was sagt die WHO:

    … for HIV prevention in countries and regions with heterosexual epidemics, high HIV and low male circumcision prevalence.

    Male circumcision provides only partial protection, and therefore should be only one element of a comprehensive HIV prevention package which includes:
    – the provision of HIV testing and counseling services;
    – treatment for sexually transmitted infections;
    – the promotion of safer sex practices;
    – the provision of male and female condoms and promotion of their correct and consistent use.

    Klingt gleich ganz anders, und hat mit der Situation in Deutschland nichts zu tun 🙂

  4. Ungezielter Antisemitismusvorwurf?

    Keiner meiner Gesprächspartnerinnen und -partner warf dabei den deutschen Juristen gezielten Antisemitismus vor. Wohl aber bestand die Sorge, dass ausgerechnet in Deutschland die Religionsfreiheit erneut so wenig zählen würde, dass religiösen Minderheiten nur die Wahl zwischen Assimilation (und also mittelfristiger Auflösung) oder Auswanderung bliebe.

    Das ist schon gezielt, wie man an den Zielvorrichtungen “ausgrechnet in Deutschland” und “erneut” erkennen kann. Inhaltlich passt natürlich einiges nicht:

    1. Assimilation der Betroffenen war vor 1945 keine nachhaltige Option, denn sie endete bekanntlich in den Krematorien von Auschwitz,

    2. eine mittelfristige Auflösung von Religionen ist – so wie das Verschwinden von Sprachen oder Arten – nichts per se Negatives, und nicht zuletzt

    3. impliziert die Unmöglichkeit einer einzelnen, wenn auch zentralen, rituellen Handlung nicht die “mittelbare Auflösung” der betreffenden Religion.

    “Warum fällt es uns Deutschen so schwer, Unterschiede zuzulassen?”, brachte es eine Tischnachbarin auf den Punkt.

    Wen meinen Sie denn mit “uns”? Sie und die Kölner Richter? Die lassen doch jede Menge Unterschiede zu, zum Beispiel den zwischen einer medizinischen Indikation und einer religiösen Motivation.

  5. @Physiker: Irrtum

    Anstatt die freie Religionsausübung in den Vordergrund zu stellen, sollte darüber argumentiert werden, dass die WHO die Beschneidung sogar empfiehlt.

    Wieso halten Sie das eigentlich für ein Argument? Die religiös motivierte Beschneidung wird doch nicht wegen sondern völlig unabhängig von einem eventuell bestehenden medizinischen Nutzen vorgenommen.

    Im Übrigen wird doch bereits dauernd so “argumentiert”, z.B. von Brumlik in der FR [1] oder von Ulus in der taz [2].

    [1] http://www.fr-online.de/1472786,16529678
    [2] http://www.taz.de/!96544

  6. Beschneidung

    Herr Blume, Ihre Einschätzungen die Beschneidungen betreffend finde ich schon reichlich grenzwertig. Im Detail:

    “Verbote von Beschneidungen waren in der jüdischen Geschichte immer wieder der Auftakt für schlimmere Verfolgungen gewesen.”

    Insinuieren Sie damit, dass eine solche Phase in Deutschland bevorstehen könnte?

    “Keiner meiner Gesprächspartnerinnen und -partner warf dabei den deutschen Juristen gezielten Antisemitismus vor.”

    Aha, keinen gezielten Antisemitismus, aber was dann? Ungezielten? Unterschwellig vorhandenen?

    Und offenbar stimmen Sie auch folgender These zu: “Religionsgemeinschaften können sich von innen reformieren. Aber wenn sie staatlichem Druck nachgeben, wird der nur immer schlimmer werden.”

    Nur eines wundert mich: Dass Sie zur Kernfrage, die auch Grund für das Urteil des Kölner Landgerichts gewesen ist – nämlich, ob Religionsfreiheit den Vorzug vor dem Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit erhalten sollte – nicht ein einziges Wort zu sagen haben.

  7. seid fruchtbar…

    Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass der obige Blog-Artikel nahezu von der Angst durchzogen ist, “die Deutschen” könnten aus demographischen Gründen aussterben.
    Ja und? Selbst wenn das so wäre, wen würde das schaden?
    Ich denke, dass diese Koro-artige Angst kein guter Ratgeber ist. Ist es denn überhaupt ethisch vertretbar, das biblische Vermehrungsgebot in einer Zeit zu promoten, die geprägt ist von Problemen die eindeutig auch mit der Bevölkerungsexplosion (ich schreibe bewusst nicht “Überbevölkerung”) im 20.Jhd verbunden ist?
    Und wenn ich diese aus der Bibel abgeleiteten Empfehlungen für die Anzahl von Kindern unterschiedlichen Geschlechts lese, wird mir richtig übel. Hier werden Kinderlose, Unfruchtbare, Homosexuelle, Asexuelle, Transgender, etc. diskriminiert. Ist es nicht an der Zeit, dieses Fruchtbarkeitsvergötterung genauso einzumotten, wie z.B. das hier:
    http://www.myconfinedspace.com/…cuts-700×465.jpg

  8. seid fruchtbar..er (furchtbarer?)

    @Physiker: Hohe Fruchtbarkeit war schon immer ein Mittel, die konkurrierenden Religionsgemeinschaften zu übertrumpfen.
    Abgesehen davon passte sie auch zum Auftrag, den man Dominium terrae nennt, also Beherrschung der Erde.

    Interessanterweise erkannte aber schon Marx (19. Jahrhundert), dass der Auftrag die Erde zu beherrschen problematisch ist:
    “Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Nationen zusammengenommen sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.”

  9. @Ano Nym

    Danke, diese Zeitungsartikel kannte ich noch nicht. Ich finde aber beide nicht sonderlich gelungen: Die FR gibt meiner Einschätzung nach den Stand der Forschung/Empfehlung der WHO nicht korrekt wieder und der taz-Artikel driftet wegen der Befangenheit des Interviewten deutlich ins Emotionale ab.

    Anders als im FR-Artikel behauptet, schweigt die Wissenschaft nämlich nicht:
    http://www.ghdonline.org/…_Unscientific_AJPM.pdf
    http://www.tandfonline.com/…09540121.2012.661836
    Im Gegenteil – es findet sich so gut wie kein neuerer peer-reviewter Artikel, der sich nicht für eine Beschneidung ausspricht. Gerade in den letzten zwei Jahren hat sich sehr viel auf dem Gebiet getan.

  10. Noch mal für @Physiker

    Ob die WHO oder sonst wer findet, dass eine Beschneidung aus medizinischen Gründen möglicherweise vorteilhaft ist, spielt für die Beschneidung aus religiösen Motiven keine Rolle.

    Der religiöse Beschneider macht das nicht, weil er eventuell Arzt im Hauptberuf ist oder sich für Hygiene oder Volksgesundheit interessiert oder engagieren möchte. Der würde das selbst dann machen, wenn die WHO keinen Nutzen feststellen oder keine Empfehlung herausgäbe.

  11. @Ano Nym:

    Wenn eine Massnahme aus medizinischen Gründen vorteilhaft ist, warum soll man sie dann verbieten/unter Strafe stellen, nur weil sie religiös motiviert ist?

    Beschneidungen in Hinterzimmern zu verbieten und in Arzt-Praxen zu verweisen wäre ja sinnvoll – aber warum zählt das Wohl des Kindes weniger als die Motivation der Eltern?

  12. Dass Beschneidungen

    angeblich medizinisch vorteilhaft wären, ist mindestens strittig und klingt vor allem stark nach Rechtfertigung im Nachhinein. Es gibt jedenfalls sehr dezidierte Gegenmeinungen dazu:

    http://m.aerzteblatt.de/print/61273.htm

    Im Zweifel sollte die körperliche Integrität des Kindes an erster Stelle stehen.

  13. @Physiker:

    Wenn eine Massnahme aus medizinischen Gründen vorteilhaft ist, warum soll man sie dann verbieten/unter Strafe stellen, nur weil sie religiös motiviert ist?

    Ich habe den Eindruck, dass Sie die strafrechtliche Subsumtion nicht nachvollzogen haben.

  14. Zwei Probleme

    Mir gefiel der Beitrag anfangs sehr gut und ich wäre bei diesem Schabbaton gern dabei gewesen. Zwei Probleme habe ich aber mit dem Schluss.

    Eines wurde hier schon vielfach angesprochen: die Beschneidung. Ich teile die Auffassung der dortigen Teilnehmer, dass die Änderung einer Religion von innen besser ist. Doch hier muss ich der jüdischen Gemeinschaft (zumindest aus meinem Kenntnisstand) ein gewisses Versäumnis vorwerfen: Seit Jahrzehnten wird die Beschneidung muslimischer Mädchen als rechtswidrig angesehen und breit diskutiert – doch mir ist keine Diskussion des analogen Problems für Jungen in den jüdischen Gemeinschaften bekannt. Dass sie in der deutschen Presse bisher nicht angesprochen wurde, das hat gerade nach dem Bericht oben ja sehr nachvollziehbare Gründe (wenn auch aus meiner Sicht falsche). Doch wo liegt denn – bei allem Respekt der Religionen – der Unterschied? Wenn wir die körperliche Unversehrtheit von Kinder zu Recht als herausragendes Gut schützen, wieso sollten wir die sensibelsten Teile des Organismus davon ausnehmen?

    Dass ähnliche Eingriffe teils medizinisch gerechtfertigt sein können, das ist kein Argument – hier liegt ja gerade keine medizinische Notwendigkeit vor. Und selbst bei medizinsch scheinbar indizierten Eingriffen muss man aus gesellschaftlicher Sicht sehr vorsichtig sein – wie uns die Diskussion um Intersexualität zeigt. Viele der gut gemeinten Eingriffe hatten katastrophale Folgen. Insgesamt finde ich daher, dass man Kindern in einer freiheitlichen Gesellschaft die Endeckung auch der Welt außerhalb der elterlichen Religion zugestehen sollte (gleiches gilt übrigens außerhalb der Religionen – siehe Feyerabend, Erkenntnis für freie Menschen). Jules Ferry hat insofern vor 130 Jahren in Frankreich einen entscheidenden Schritt getan: mit der Laizifierung der Schule. Und Frankreich ist diesen Weg vor kurzem noch weiter gegangen mit dem Verbot aller religiösen Zeichen in der Schulen, also auch des Kreuzes oder Kopftuches. Dies ist mir ein gelungener Kompromiss zwischen der Individualität auch von Kindern und den religiösen Überzeugungen der Eltern. Denn die Einflussnahme der Eltern bleibt möglich, aber ihre Sicht ist nicht absolut, sie können also durch ihr Vorleben überzeugen aber nicht durch Einseitigkeit zwingen. Vermutlich führt das sogar zu einer größeren Akzeptanz der Religion (ähnlich ja bei den Amish).

    Das zweite Problem habe ich mit der Art des Bezuges auf die Kinderzahl. Ich kann mir viele Kinder vorstellen – doch (wie es schon angesprochen wurde) ist das heute nicht mehr zwingend. Möglicherweise (vermutlich) sind wir in Deutschland (und wohl auch in Europa) bevölkerungtechnisch schon über dem Optimum – gerade in einer zunehmend auf Bildung abstellenden Gesellschaft. Und dann ist die Kinderarmut unserer “weltlichen Religionen” eine sinnvolle Reaktion darauf. Mir scheint daher die im Fokus-Artikel für 2060 angegebene Grafik gar nicht falsch, auch wenn sie noch die Zeichen des Überganges enthält – denn langfristig sollte sich die Breite der bis 5-Jährigen mit leichter Verjüngung über die gesamte Höhe wiederfinden. Denn in einer Gesellschaft, in der viele (fast alle) Krankheits- und Todesursachen ausgeschlossen werden, in der gibt es keinen Grund zum Kinderreichtum über der Erhaltungsschwelle (in Übergangszeiten kann die Kinderzahl sogar darunter liegen).

    Nehmen wir uns nämlich die Natur zum Vorbild, dann gibt es dort kein (dauerhaftes) exponentielles Wachstum, vielmehr wird irgendwo ein Maximum erreicht und nur noch diversifiziert. Warum also sollte es bei Menschen anders sein? Vielmehr entstehen bei Tieren Räuber-Beute-Zyklen, es wechseln sich also Zeiten sehr hoher Population mit Zeiten sehr geringer Population ab – abhängig von der spiegelbildlichen Entwicklung der Nahrungsgrundlage. Der Mensch nun ist heute in den Industrienationen so weit, dass das Überleben Aller eigentlich dauerhaft möglich ist. Ja er hat sogar die meisten Epidemien unter Kontrolle – warum sollte er sich also über die gesamte Gesellschaft gemittelt zahlreicher fortpflanzen als es für seine Erhaltung nötig ist? Und weil nur wenige Menschen vor dem Erreichen des Durchschnittsalters sterben, muss die Pyramide fast zum Zylinder werden.

  15. @Noit Atiga

    Obwohl ich auf einer Auslandsreise bin und deshalb eine Zeit lang nicht werde mitdiskutieren können, überrascht und bestürzt mich der geringe Kenntnisstand zur Beschneidungsfrage in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit. Beispielhaft zu Ihrem Kommentar:

    1. Juden und Muslime praktizieren die identische Beschneidung von Jungen mit Berufung auf die biblische Abrahamsgeschichte und das Alter je von Isaak und Ishmael.

    2. Die Mädchenbeschneidung ist eine Genitalverstuemmelung mit gravierenden Folgen bis zum Tod, während für die Jungenbeschneidung sogar gesundheitlich-hygienische Vorteile diskutiert werden. Die Verstümmelung von Mädchen ist auch keine islamische Lehre, sondern geht auf vormonotheistische Praktiken zurück und wird in Afrika u.a. von Muslimen, Christen und Stammesreligionen praktiziert. Alle Kirchen und Rel.gemeinschaften in Deutschland sprechen sich für ihr Verbot aus.

    3. Deutschland ist derzeit die einzige Demokratie, die die jüdische und islamische Jungenbeschneidung mit dem Strafrecht verfolgt, während der gleiche Eingriff aus anderen (z.B. medizinischen) Gründen erlaubt bleibt. Das kann entweder heißen, dass alle anderen Demokratien falsch liegen, oder eben wir Deutschen mit der ohne Parlamente erlassenen Beschneidung (sic) von Freiheiten und Verboten gegen Minderheiten mal wieder daneben liegen. Ich tendiere klar zur zweiten Annahme.

  16. Herr Blume

    Sie mögen den geringen Kenntnisstand der deutschen Öffentlichkeit bestürzend finden. Ich finde es noch bestürzender, dass Sie es beharrlich vermeiden, sich zum Recht auf körperliche Unversehrtheit zu äußern.

    Und Sie fragen in einem anderen Blogbeitrag, warum es noch Atheisten gibt?

  17. @Spritkopf

    Sie merkten an. Sie mögen den geringen Kenntnisstand der deutschen Öffentlichkeit bestürzend finden. Ich finde es noch bestürzender, dass Sie es beharrlich vermeiden, sich zum Recht auf körperliche Unversehrtheit zu äußern.

    Dieses Recht halte ich schlicht für ebenso selbstverständlich wie das Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit (oder auch die Abwägung mit Bezug auf andere Eingriffe wie z.B. Ohrringe, Impfungen, Sportarten mit Verletzungsgefahren usw.). Dass Deutschland derzeit die “einzige” Demokratie der Welt ist, die die jüdische und islamische Vorhautbeschneidung unter Strafandrohung stellt, sollte m.E. auch denjenigen von uns zu denken geben, die von ihrer eigenen Meinung besonders überzeugt sind. Oder gehen Sie wirklich davon aus, dass alle anderen Demokratien diesen Planeten keinerlei Interesse am Kindeswohl haben und – wie Sie oben schrieben – “grenzwertig” sind? Nur wir Deutschen wissen mal wieder ganz genau, was wir religiösen Minderheiten unbedingt zu verbieten haben?

    Und Sie fragen in einem anderen Blogbeitrag, warum es noch Atheisten gibt?

    Ja, denn diese Frage stellten gerade auch Atheisten mit Bezug auf die Evolutionsforschung zur Religion. Und deswegen schrieb ich dazu nicht nur einen Blogbeitrag, sondern einen kostenfrei abrufbaren Artikel und berichte auch immer wieder aus dem wachsenden Bereich der empirischen Atheismusforschung. Auch hier gilt also die freundliche Empfehlung: Meinungen nicht gleich aus der Hüfte schiessen, sondern erst einmal ohne Schaum vorm Mund bilden.

  18. @Michael Blume

    Es gibt einen großen Unterschied zwischen Impfungen und einer Beschneidung aus religiösen Gründen. Wenn Sie den bislang nicht zur Kenntnis nehmen wollten, dann empfehle ich Ihnen, sich (nur als Beispiel) zur Rückkehr der Masern kundig zu machen und dem von mir weiter oben angegebenen Link zur Zirkumzision zu folgen.

    Auch scheinen Sie das Recht auf körperliche Unversehrtheit eben nicht für selbstverständlich zu halten, sonst würden Sie in einem Fall, der darin ganz entschieden eingreift, schon längst darauf eingegangen sein. Sie haben die Güterabwägung zwischen Kindesrecht und Religionsfreiheit vollkommen ignoriert und sind wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Letztere den Vorzug zu erhalten habe. So als ob nicht jedes Kind in einem Alter, in dem es zu eigenen Entscheidungen in der Lage ist, die Beschneidung selber durchführen lassen könnte, wenn es meint, dass eine solche zu seiner religiösen Identität dazugehöre. In diesem Zusammenhang frage ich Sie auch, woher Sie die Gewissheit nehmen, dass das Kind im späteren Leben dem Glauben seiner Eltern folgen und nicht Atheist sein will.

    “Meinungen nicht gleich aus der Hüfte schiessen, sondern erst einmal ohne Schaum vorm Mund bilden.”

    Achja, das alte Argumentum ad hominem der Verbissenheit, welches auch ein Manfred Lütz so gern und häufig verwendet, um eine Art umgekehrten Dogmatismus zu suggerieren. Im übrigen hätte ich zu Ihren “Evolutionsthesen” von Religion und Atheismus noch einiges (und wenig schmeichelhaftes) zu sagen, aber das würde den Rahmen dieser Debatte sprengen.

  19. @Spritkopf

    Schon weil ich im Gegensatz zu den meisten Deutschen drei Kinder habe, sind mir Abwägungsfragen, Impfungen, Ohrringfragen etc. Teil des Alltags. Und – ja: Ich halte die Religionsfreiheit nicht für absolut, aber für sehr gewichtig und das Kölner Urteil für entsprechend unterbelichtet. So kann ich z.B. bestätigen, dass das Verbot der Zirkumzision eine schwere Beeinträchtigung, wahrscheinlich gar das Ende jüdischen Gemeindelebens in D. bedeutet.

    Da Sie sich Ihrer Meinung sehr sicher sind und es offenbar empörend finden, dass jemand überhaupt anderer Meinung sein kann, erlaube ich mir freundlich nach zu fragen: Gibt es Ihnen keine Sekunde zu denken, dass wir nun die einzige Demokratie sind, in der o.g. Abwägung gegen die Religionsfreiheit ausfällt? Sind Ihres Erachtens alle anderen Völker und Rechtssysteme einfach nur doof?

  20. @Michael Blume

    “So kann ich z.B. bestätigen, dass das Verbot der Zirkumzision eine schwere Beeinträchtigung, wahrscheinlich gar das Ende jüdischen Gemeindelebens in D. bedeutet.”

    Das muss aber ein schwaches Gemeindeleben sein, wenn dieses Ihrer Auffassung nach fundamental davon abhängt, einjährigen Jungen die Vorhaut abzusäbeln.

    “Gibt es Ihnen keine Sekunde zu denken, dass wir nun die einzige Demokratie sind, in der o.g. Abwägung gegen die Religionsfreiheit ausfällt? Sind Ihres Erachtens alle anderen Völker und Rechtssysteme einfach nur doof?”

    Nein, das gibt mir nicht zu denken, weil ich aus grundsätzlichen Erwägungen heraus das Recht auf körperliche Unversehrtheit als höher einstufe als die Religionsfreiheit, insbesondere da sich Religionsfreiheit auf die eigenen Glaubensüberzeugungen bezieht und nicht die des einem anvertrauten Kleinkindes. Dazu zitiere ich aus Wikipedia: “Zur Religionsfreiheit gehört auch die Freiheit von Religion, somit die Freiheit eines Menschen, keiner Religion angehören zu müssen.” Die Beschneidung greift massiv in dieses Recht ein. Es ist in diesem Zusammenhang vielsagend, dass Sie nicht auf mein Argument eingehen, dass eine Beschneidung ja auch später nach eigenem Willen vorgenommen werden könnte.

    Außerdem findet diese Debatte nicht nur in Deutschland statt, sondern auch in den angelsächsischen Ländern. Wenn Deutschland dabei vorangeht, einen archaischen und das Kinderrecht massiv verletzenden Ritus abzuschaffen, halte ich das für positiv. Wir haben im Laufe unserer Rechtsgeschichte die Hexenverbrennung, die peinliche Befragung und die Todesstrafe abgeschafft und dafür Frauenwahlrecht und andere Rechtsgüter eingeführt. Rechtsnormen ändern sich, wie sich gesellschaftliche Normen ändern. Soll ich das schlecht finden?

  21. @Spritkopf & alle

    Ich bin nun am Abflugschalter und werde eine Woche kaum online sein können. Erfreulicherweise ist aber gerade auf Welt.de ein Essay erschienen, der genau auch meine Auffassung wiedergibt:

    http://m.welt.de/…58%2FBedraengtes-Judentum.html

    Ihre emotional-aggressiven Ausfälle gegen jüdische Traditionen, @Spritkopf, unterstreichen m.E. sehr gut, warum Demokratien Freiheiten und Minderheiten schützen müssen.

  22. @Michael Blume

    Mein Eintreten für das Recht des Kindes, zu dem ich genügend Argumente mitliefere (auf die Sie nicht eingehen wollen), bezeichnen Sie als emotional-aggressive Ausfälle?

    Na dann.

  23. @Spritkopf: Veralteter Kenntnisstand

    Der Artikel im Äzteblatt stellt sehr schön die korrekte Argumentationweise pro oder contra Beschneidung dar. Nämlich über die zentrale Frage nach dem Wohl des Kindes. Dazu gilt es die medizinischen Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Die Autoren des Artikels vertreten eine Minderheitenmeinung. Sie werden zu jedem medizinischen Eingriff Ärzte finden, die eine Gegenmeinung vertreten – deshalb ist die Lehrmeinung/Mehrheitsmeinung/der Stand der Wissenschaft ausschlaggebend. Abgesehen davon ist gerade die dortige Disskussion zu den Vor- und Nachteilen der Beschneidung absolut überholt, irreführend und nicht nicht nachvollziehbar:
    So wird z.B. korrekt zitiert, dass Beschneidung das HIV-Infektionsrisiko bei beschnittenen heterosexuellen Männern senkt (wobei bei der Zahlenangabe auch getrickst wurde); während direkt im Anschluss diese Aussage bestritten wird mit einer Referenz auf eine Studie an homosexuellen Männern.
    Nicht nachvollziehbar ist auch die Risikoabwägung. So werden mehrere Risiken genannt die im einstelligen Prozentbereich liegen, durch eine Beschneidung vollständig oder sehr stark reduziert werden und z.T. sogar tödlich sind. Jede Impfung die einen derartig grossen Nutzen hätte, würde sofort empfohlen werden.

  24. @ichael Blume: International

    Deutschland ist derzeit die einzige Demokratie, die die jüdische und islamische Jungenbeschneidung mit dem Strafrecht verfolgt, während der gleiche Eingriff aus anderen (z.B. medizinischen) Gründen erlaubt bleibt.

    Deutschland ist die einzige Demokratie, die auf den best ausgebauten Straßen kein generelles Tempolimit verfügt.

    Soll das ein Argument sein? Ist das Diskussionsniveau eigentlich nach unten hin begrenzt?

  25. @Michael Blume: Intakt

    So kann ich z.B. bestätigen, dass das Verbot der Zirkumzision eine schwere Beeinträchtigung, wahrscheinlich gar das Ende jüdischen Gemeindelebens in D. bedeutet.

    Kontrafaktisches kann man nicht bestätigen. Das jüdische Gemeindeleben auf die Beschneidung intakter Jungen zu reduzieren ist schon ziemlich grotesk.

  26. @Michael Blume: Abfertigungsemotion

    Vielleicht fällt es mir schon nicht mehr auf, aber wo hat Spritkopf

    emotional-aggressiven Ausfälle gegen jüdische Traditionen

    begangen?

  27. @Physiker

    Lesen Sie den von Spritkopf verlinkten Artikel aus dem Ärzteblatt, dann erfahren Sie mehr über die korrekte strafrechtliche Subsumtion

    Mir ist die Subsumtion geläufig, sonst hätte ich Ihnen ja kaum vorwerfen können, dass Sie sie nicht verstanden haben. Hätten Sie sie verstanden, würden Sie Ihr Lieblingsthema, der vermeintliche medizinische Nutzen, nämlich nicht andauern dort in Stellung bringen, wo eigentlich ein Argument in der Sache gefragt ist.

  28. @Ano Nym:

    Ich zitiere das Ärzteblatt:
    “Ihre Einwilligung [Anm.: der Eltern] ist gemäß § 1627 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs allerdings daran gebunden, dass die Personensorge „zum Wohl des Kindes“ ausgeübt wird, andernfalls sind die Personensorgeberechtigten nicht dispositionsbefugt. Damit eine Entscheidung im „Wohl des Kindes“ liegt, muss sie seinen Interessen entsprechen, vereinfacht formuliert: vorteilhaft sein. Sind mit einer Maßnahme auch Nachteile verbunden, müssen sie von den Vorteilen überwogen werden. Letztlich läuft alles auf eine Güterabwägung hinaus.”

    Deshalb ist diese medizinische Abwägung der Vor- und Nachteile allesentscheident. Denn es geht um das Wohl des Kindes – und eben nicht darum die körperliche Unversehrtheit zu verabsolutieren. Letzteres tun nämlich auch die Zeugen Jehovas, wenn sie für Ihre Kinder Bluttransfusionen verweigern.

    Die fundamentale Frage ist also ganz einfach: Überwiegen bei der Beschneidung die medizinischen Vorteile oder die Nachteile. Im ersten Fall können die Eltern frei darüber entscheiden, ob sie ihr Kind beschneiden lasen, im zweiten Fall eben nicht. Religion spielt dabei überhaupt keine Rolle.

  29. @Michael Blume

    Ich finde den Welt-Online-Essay zum Kotzen, denn er stellt das Recht auf freie Religionsausübung über das Wohlergehen des Kindes. Für den Autor ist der medizinische Nutzen nur ein unbedeutender Nebenaspekt – wäre die Beschneidung medizinisch von Nachteil, würde Jacques Schuster zur gleichen Schlussfolgerung in Form eines Nazi-Vergleiches gelangen.
    Das ist genau der von mir bereits zu Beginn geäusserte Vorwurf: Alle von mir bisher gelesenen Stellungnahmen von Seiten der Kirche (Judentum, Islam und auch katholischer Kirche) kritisieren das Kölner Urteil hauptsächlich in Hinblick auf einen möglichen Verlust von “Privilegien”, anstatt das Wohl des Kindes in den Vordergrund zu stellen.
    Warum liest man denn von keinem Religionsvertreter ein Statement der Art:
    “Das Beschneidungsritual hat in der Religion xyz eine lange Tradition und wir wünschen, diese Tradition beizubehalten. Trotzdem sehen wir natürlich die ethisch-moralischen Fragen, die mit dieser Praxis im Säuglingsalter verbunden sind. Auch der ungeheure Fortschritt in der Medizin hat dazu geführt, dass die Beschneidungspraxis neu überdacht werden muss. Deshalb wollen wir uns uneingeschränkt nach dem Wohl des Kindes richten: Wenn die Beschneidung der Gesundheit nicht nutzt, werden wir über eine Verschiebung der Beschneidungspraxis in ein einwilligunsfähiges Alter diskutieren. Wenn aber auch weiterhin der medizinische Nutzen der Beschneidung als gesichert gilt, werden wir die religiös motivierte Diskriminierung durch dieses Urteil nicht hinnehmen.”

    Es geht nämlich gar nicht um die freie Religionsausübung/das Sorgerecht der Eltern, denn diese Grundrechte hören genau da auf, wo das Wohlergehen der Kinder beeinträchtigt wird. Stattdessen geht es (im Fall, dass die Beschneidung von Vorteil für das Kind ist) um Diskriminierung nach Religion, also Art.3 des Grundgesetzes.

  30. @Rolf-Dieter Bernried:

    Eine Beschneidungspflicht würde auch viel strengere Anforderungen an das Nutzen/Risiko-Verhältnis stellen. Eine solche Anforderung erüllen bei uns aber nicht einmal die Standardimpfungen.

    Ich frage mich, wie diese medizinischen Vereinigungen zu so diametral verschiedenen Meinungen kommen können. Die Finnische z.B. leugnet alle Vorteile, die die WHO auflist (und die sind sehr zahlreich) und die Niederländische Vereinigung vergleicht die Beschneidung von Jungen gar mit der Genitalverstümmelung von Mädchen.
    Um sich objektiv zu informieren empfehle ich einfach mal eine aktuelle Literatursuche.

  31. @Physiker,

    Werter Physiker,

    a)Notwendigkeit ist keine Pflicht. Und ja, es gibt Pflichtimpfungen und das hat auch Gründe.

    b) Status der WHO:
    http://www.who.int/hiv/topics/malecircumcision/en/

    Ist D ein Land mit … heterosexual epidemics and high HIV prevalence? Ja, die Frage ist rhetorisch.

    c) Alle medizinische Organisationen sind nach Literatur auf dem neuesten Stand. Empfehlungen werden angepasst, wenn der Stand der Wissenschaft dieses erfordert. Highly unlikely, dass hier Einzelpersonen mehr leisten können oder gar werden.
    Falls hier ein einzelner jedoch einen “Durchbruch” erzielt hat, kann er sich gerne an eine der Organisationen wenden.

  32. @Physiker: Details

    Ich sehe, es ist äußerst schwierig, bei Ihnen meinen Punkt unterzubringen. Der Reihe nach:

    Ich zitiere das Ärzteblatt:
    “Ihre Einwilligung [Anm.: der Eltern] ist gemäß § 1627 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs allerdings daran gebunden, dass die Personensorge „zum Wohl des Kindes“ ausgeübt wird

    1. Dann sind wir schon mal einig, dass eine KV zumindest tatbestandsmäßig vorliegt. Gut.

    2. Einwilligen kann man nur in etwas, was aus irgendeinem anderen Grunde bereits erforderlich ist. Bei gesunden und intakten Kindern liegt ein solches Erfordernis regelmäßig nicht vor. In Deutschland wird die Zirkumzision nicht regelmäßig präventiv – ohne medizinische Indikation – durchgeführt.

    Deshalb ist diese medizinische Abwägung der Vor- und Nachteile allesentscheident. Denn es geht um das Wohl des Kindes – und eben nicht darum die körperliche Unversehrtheit zu verabsolutieren.

    Abwägen muss nur, wer die Handlung bereits will. Dieses Wollen der Handlung ist im vorliegenden Strafverfahren gerade nicht medizinisch begründet sondern ausschließlich religiös motiviert. Die elterliche religiös motivierte “Einwilligung” bezweckte aber überhaupt nicht, dem Kind medizinische Vorteile zu verschaffen. Es liegt also gar keine Zweck-Mittel-Relation vor, es fehlt bei einer solchen “Einwilligung” an der Kongruenz zwischen dem Einwilligungsvorsatz und dem Einwilligungszweck.

    Ein eventueller medizinischer Nutzen wäre daher nur ein Kollateralnutzen, auf den es bei der Begründung der Einwilligung gerade nicht ankommt. Die Beschneidung wird durchgeführt völig unabhängig davon, ob es einen medizinischen Nutzen gibt.

    Herzberg hält darüber hinaus schon «die stellvertretende (elterliche) Einwilligung in eine kurativ-medizinisch nicht indizierte Zirkumzision selbst dann [für] unwirksam, wenn die Eltern die Operation – was selten der Fall sein wird – ganz bewusst um der „präventiv-medizinischen Vorteile“ willen veranlassen.» [1]

    Wenn die Eltern aber schon präventiv-medizinisch nicht wirksam einwilligen können, sind eventuelle medizinische Vorteile einer religiös motivierten “Einwilligung” erst recht nicht saldierungsfähig.

    Wer sich aber schon bemüßigt sieht, eine solche Saldierung
    vorzunhemn, der befindet sich argumentativ schon im Bereich der Schadensbewertung. Dass es eigentlich aber geboten ist, jeglichen Schadeneintritt zu vermeiden und nicht ihn zu rechtfertigen, ist ihnen im Straßenverkehr und im gewöhnlichen Umgang mit den Mitmenschen einleuchtend. Warum hier nicht?

    Bitte vergegenwärtigen Sie sich doch einfach mal die Impertinenz Ihrer Argumentation: Nehmen Sie irgendeine Straftat. Nun stellen Sie sich eine Gerichtsverhandlung mit dem Täter vor, in der er dem Tatopfer einen vermeindlichen Nutzen, der beim Opfer anlässlich der – aber eben nur kollateral zur – Straftat eingetreten ist

    a) erklärt,
    b) vorrechnet und mit Schäden aufrechnet und
    c) aus dem vermeintlichen Überwiegen des Nutzens die Tathandlung zu rechtfertigen versucht.

    Eine solche Argumentationsweise würde wohl nicht nur beim Staatsanwalt auf sehr wenig Gegenliebe stoßen. Mit Recht.

    [1] http://www.zis-online.com/…ikel/2010_7-8_468.pdf

  33. @Michael Blume: Schade,

    … dass Sie mir sowenig Kenntnis zutrauen. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit dieser Frage und kenne daher alle die genannten Fakten. Und ich hatte nicht ohne Grund auf Frankreich verwiesen, denn das dort existierende Gesetz würde in Deutschland wohl von fast allen betroffenen Religionsgemeinschaften als Feindschaftsakt verstanden.

    Es gibt aber zwischen Frankreich und Deutschland insofern neben den Gemeinsamkeiten auch gravierende Unterschiede – und damit auch verschiedene Entwicklungslinien. In Frankreich beschäftigt man sich prinzipiell mehr mit den subjektiven Erfahrungen von Kindern und will diese Erfahrungen im Sinne der Republik formen – was auch meist ganz gut funktioniert, denn die Kindergruppen bleiben auch über Religionsgrenzen hinweg oft nahezu ewig verbunden. In Deutschland gibt es hingegen eine (falsche) Angst vor Gefühlen, darum hält man sich dort eher zurück – nimmt aber dafür die körperliche Unversehrtheit sehr viel ernster als in den meisten anderen Demokratien. Soziologisch könnte man sagen, dass sich der Gesamtumfang des Schutzes in entwickelten Demokratien nur wenig unterscheidet, dafür aber seine konkreten Schwerpunkte.

    Und die juristische Diskussion ist gewiss nicht einfach – aber die Ausführungen im von Ihnen geliebten Welt-Artikel sind vom Ansatz her falsch (er ist mir auch insgesamt zu polemisch, da ist der Artikel im Ärzteblatt sachlicher).

    Komplett falsch ist etwa die Berufung auf die Vorteile für eventuelle zukünftige Partnerinnen – dagegen kann und darf laut Grundgesetz keine Abwägung stattfinden, schließlich liegt es an den Frauen, sich ggf. nur mit beschnittenen Männern einzulassen. Auch die Ansteckungsgefahr der Männer ist zur Abwägung untauglich, denn bis zur Geschlechtsreife ist der Knabe auch religionsmündig und kann dann selbst entscheiden. Denn die Beschneidung wurde nicht als solche untersagt – sondern nur soweit der Knabe nicht zustimmen kann.

    Abzuwägen sind also nur das Recht des Kindes (Art. 2 GG) und das Recht und die Pflicht (!) der Eltern zu Pflege und Erziehung (Art. 6 GG) in Verbindung mit der Religionsfreiheit (Art. 4 GG). Hier aber kommt dem Art. 2 GG und gerade seinem Absatz 2 Satz 1 “Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.” eine sehr große Bedeutung zu, auch in der Abwägung. Diese nimmt das LG Köln auch vor (LG Köln 07.05.2012 – 151 Ns 169/11, in dieser Version ab Seite 8 am Ende). In einer wohl auch allgemeinverständlichen und abwägenden Besprechung äußert sich Prof. Dr. Holm Putzke. Weitere Ansichten findet man bei dejure.org.

    Insgesamt ist derzeit durchaus ungewiss, wie die höheren Instanzen entscheiden werden. Allerdings wird es höchste Zeit, dass diese Frage diskutiert wird – und zwar nicht mit überholten Keulen, sondern im Interesse des Kindeswohles. Und eine entscheidende Frage dabei ist: Würden wir das an uns selbst vornehmen lassen – wenn wir über und zu Religionen keine Meinung haben?

  34. Religionsfreiheit / “Religionsfreiheit”

    Die Religionsfreiheit ist in allen zivilisierten “westlichen” Staaten durchgehend eingeschränkt, es gibt durchgehend Regelungen, die der o.g. Freiheit Grenzen setzen, in D bspw. so:
    http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_140.html (u.a.: ‘Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.’)

    Das muss man wissen. Die operativen Behandlungen von Religionszugehörigen bspw. obliegt der jeweiligen Rechtspflege. Manches wird zugelassen, anderes verboten.

    “Vielfalt” ist nicht per se gut, wie bspw. der Hinweis auf Witwenverbrennungen oder schariatische Vorschriften sofort deutlich werden lässt.

    Es ist dbzgl. auch völlig egal, ob die indigene Bevölkerung zum Aussterben neigt (der im Artikel angeregte/geforderte Wertewandel scheint idT angezeigt) oder nicht. Argumentationen dürfen schlüssig sein, die geringe Fertilitätsrate deutet auf geringen Vermehrungswillen hin, kann aber ein temporärer Effekt sein, eine Rückbesinnung auf Religiöses muss nicht zwingend angeraten werden.

    “Beschneidungen” mit sind zweifelsohne nicht cool, könnten aber toleriert werden, wenn die Mortalitätsrate oder vglb. Raten die Folgen betreffend gering sind. – Dennoch bleibt bei einer derartigen Stempelung von nicht selbst entscheiden Könnenden (zumindest für einige 🙂 ein unguter Eindruck.

    MFG
    Dr. Webbaer

  35. @Rolf-Dieter Bernried:

    Mir ist nicht ganz klar, inwiefern Sie sich auf meinen vorausgehenden Beitrag beziehen. Der Punkt ist jedenfalls: Es geht um das Wohl des Kindes. Also muss der Nutzen einer Massnahme grösser sein als das Risiko. Dies kann in verschiedenen Abstufungen der Fall sein. Je nachdem kann dann eine Massnahme zur Pflicht erklärt werden (z.B. die Pockenimpfpflicht die 1983 endete), empfohlen werden (wie alle von der STIKO empfohlenen Impfungen in Deutschland), oder die Entscheidung ohne Empfehlung den Eltern überlassen werden.

    Die Empfehlung der WHO sind nicht sehr präzise. Von einer HIV-Epidemie auch unter Heterosexuellen kann man mit 550 Neuinfektionen/Jahr und bereits über 10.000 Infizierten sicher sprechen. Von einer hohe HIV-Prävalenz kann man noch nicht sprechen – aber wir sind auf besten Wege, das zu ändern, wenn nicht weitere Präventivmassnahmen ergriffen werden:
    http://www.vergissaidsnicht.de/…utschland_01.jpg

    Nur zur Erinnerung alle 0,1% der Deutschen, die sich bisher mit HIV angesteckt haben werden an AIDS oder an den Nebenwirkungen der Behandlung sterben.

  36. @Physiker: Darum geht’s wohl nicht.

    Es geht um das Wohl des Kindes.

    Nein. Bei der relgiös motivierten Beschneidung geht es nicht um das Wohl des Kindes. Um das bei dieser Gelegenheit auch gleich noch mit zu erledigen: Bei religiösen Speisevorschriften geht es auch nicht um Qualität, Hygiene oder “gesunde Ernährung” (was immer das nun sein mag).

    Ich habe den Eindruck, sie möchten den betroffenen Religionsgemeinschaften irgendwie nahelegen oder vorschreiben, wie sie – zumindest dem Anschein nach – argumentieren sollten, damit sie ihre Praxis fortsetzen können. Mir ist im Moment nicht klar, welches Interesse man da haben muss, um einen solchen Wunsch zu entwickeln.

  37. das Wohl

    Es geht um das Wohl des Kindes.

    Nein. Bei der relgiös motivierten Beschneidung geht es nicht um das Wohl des Kindes.

    Es geht “wohl eher” um das Wohl und Persistieren der Glaubensgemeinschaft.

    Auf dem Rücken oder Schwanz des Kleinkindes.

    Man kann’s so oder so einordnen, man kann’s tolerieren, aber wünschenswert wird ein derartiges Stempeln nicht, den modernen gesellschaftlichen Normen folgend.

    Abär hier greift eben das Toleranzprinzip, das es jeweils mit der “Vielfalt” (synonym für Multikulturalismus an dieser Stelle) abzugleichen/abzuwägen gilt.
    Bewusste Toleranz ist OK.

    MFG
    Dr. Webbaer

  38. @Physiker

    Ihre Argumentation mit der angeblich höheren HIV-Gefährdung von Unbeschnittenen ist schlicht irrelevant. Das Risiko, sich aufgrund von Sexualverkehr anzustecken, besteht erst ab einem Alter, in dem jemand in eigener Verantwortung entscheiden kann, sich beschneiden zu lassen. Genau darum geht es: Die Entscheidung, dass einem Jungen bzw. einem Mann die Vorhaut irreparabel entfernt wird, sollte ihm selber zugestanden werden und das in einem Alter, in dem er eigenen, freien Willen entwickelt hat.

    Hier erkennt man auch, warum der Vergleich mit Schutzimpfungen absurd ist. Diese werden durchgeführt, um das Risiko einer Krankheit im Kindesalter zu minimieren. Masern oder Mumps mögen in den meisten Fällen harmlos verlaufen. Tritt jedoch als Komplikation eine Hirnhautentzündung auf, besteht die akute Gefahr einer dauerhaften Schädigung oder sogar des Todes.

  39. @Ano Nym:

    Danke für die Details Ihrer Sichtweise.

    “1. Dann sind wir schon mal einig, dass eine KV zumindest tatbestandsmäßig vorliegt.”
    Ja. Auch wenn ich mangels Kompetenz auf das Urteilsvermögen des Autors des Ärzteblatts vertrauen muss. Ich zweifle nur daran, dass diese Körperverletzung rechtswidrig ist.

    “2. Einwilligen kann man nur in etwas, was aus irgendeinem anderen Grunde bereits erforderlich ist. Bei gesunden und intakten Kindern liegt ein solches Erfordernis regelmäßig nicht vor. […]”
    Das sehe ich anders: Eine FSME-Impfung ist ebenfalls eine Körperverletzung, wird nicht von der STIKO ausserhalb von Risikogebieten empfohlen, ist bei gesunden und intakten Kindern keineswegs erforderlich und man kann sich trotzdem dafür entscheiden, da der Nutzen grösser als der Schaden ist.
    “Die Beschneidung wird durchgeführt völig unabhängig davon, ob es einen medizinischen Nutzen gibt.”
    Das halte ich a) für nicht erwiesen und b) für irrelevant (ein medizinischer “Kollateralnutzen” wäre Grund genug, die Beschneidung nicht unter Strafe zu stellen).
    “Herzberg hält darüber hinaus schon «die stellvertretende (elterliche) Einwilligung in eine kurativ-medizinisch nicht indizierte Zirkumzision selbst dann [für] unwirksam, wenn die Eltern die Operation – was selten der Fall sein wird – ganz bewusst um der „präventiv-medizinischen Vorteile“ willen veranlassen.» [1]”
    Sehr interessanter Artikel. Die Argumentation von Herzberg enthält aber zwei Fehler, die durch medizinisches Fachwissen vermieden worden wären:
    1.) gibt es Studien, die eindeutig belegen, dass die Beschneidung auch für Kinder (vor dem Erwachsenwerden) medizinisch von Vorteil ist, z.B.
    http://www.sciencedirect.com/…/S0140673698023927
    2.) berücksichtigt Herzberg nicht, dass die Risiken für Komplikationen bei der Beschneidung von Erwachsenen ca. 15mal so hoch sind, die Beschneidung Narben hinterlässt, viel schmerzhafter ist etc.
    Es gibt also viele med. Gründe, die gegen ein Aufschieben sprechen.

    “Dass es eigentlich aber geboten ist, jeglichen Schadeneintritt zu vermeiden […]”
    Wie kann man von einem Schaden sprechen, wenn eine Massnahme medizinisch von Vorteil ist? Daher ist auch Ihr Vergleich mit einer Straftat hinfällig – Sie nehmen nämlich bei Ihrem Vergleich implizit an, dass die Beschneidung einen Schaden darstellt. Diese Einschätzung muss aber die Medizin fällen.
    Eine viel passendere Analogie zur Beschneidung ist die momentan übliche Praxis Weisheitszähne ohne medizinische Indikation zu ziehen – und hierbei ist die Datenlage noch sehr viel schlechter als bei der Beschneidung.
    Oder wir stellen uns eine hypothetische Religion vor, zu deren Tradition es zählt, sich auch gegen nicht explizit empfohlene Impfungen impfen zu lassen (inspieriert von der Pflichtimpfung beim Hadsch).

  40. @Noït Atiga:

    Ich schliesse mich Ihnen an, möchte aber in zwei Punkten widersprechen:

    “Komplett falsch ist etwa die Berufung auf die Vorteile für eventuelle zukünftige Partnerinnen”
    Das sehe ich anders. Schliesslich wird bei Impfungen auch berechtigterweise über die Herdenimunität argumentiert.

    “Auch die Ansteckungsgefahr der Männer ist zur Abwägung untauglich, denn bis zur Geschlechtsreife ist der Knabe auch religionsmündig und kann dann selbst entscheiden.”
    Das sehe ich auch anders, denn als Erwachsener ändert sich die Risikoabwägung: Die Beschneidung ist mit 15x mehr Komplikationen verbunden, hinterlässt Narben, ist schmerzhafter und einige medizinische Vorteile für z.B. Harnwegsinfektionen in der Kindheit fallen weg.

  41. @Ano Nym:

    “Nein. Bei der relgiös motivierten Beschneidung geht es nicht um das Wohl des Kindes.”
    Sie haben mich falsch verstanden. Das ist genau das, was ich an Religionsvertretern kritisiere, wenn sie sich zu diesem Thema äussern: Es geht ihnen nicht (primär) um das Wohl des Kindes, sondern um irgendwelche Riten/Bräuche…
    Und dieser Vorwurf ist nicht nebensächlich, denn er entzieht den Religionen in letzter Konsequenz die Daseinsberechtigung.

    “Bei religiösen Speisevorschriften geht es auch nicht um Qualität, Hygiene oder “gesunde Ernährung” (was immer das nun sein mag).”
    Aber wenn man solche Speise-/Schlachtungs oder was-auch-immer-Vorschriften unter Strafe stellen will, dann geht es eben nicht um Religion, sondern um Hygiene, Tierrecht, etc.

    “Ich habe den Eindruck, sie möchten den betroffenen Religionsgemeinschaften irgendwie nahelegen oder vorschreiben, wie sie – zumindest dem Anschein nach – argumentieren sollten, damit sie ihre Praxis fortsetzen können. Mir ist im Moment nicht klar, welches Interesse man da haben muss, um einen solchen Wunsch zu entwickeln.”
    Richtig erkannt. Es gibt dafür mehrere Interessen:
    1.) ein freundschaftliches und friedliches Zusammenleben mit Anhängern verschiedener Glaubensrichtungen.
    2.) eine Lösung zu finden in der die Glaubensfreiheit auch weiterhin praktiziert werden kann.
    3.) eine bessere Welt, in der es weniger Krankheiten gibt.

  42. @Physiker: Fortsetzung

    1.

    Ich zweifle nur daran, dass diese Körperverletzung rechtswidrig ist.

    Zumindest im Kölner Sprengel ist für Zweifel derzeit kein Raum. Wäre der Zweifel begründet, hätte es der Reaktionen der Betroffenen ja nicht “bedurft”. Das Gericht hat klargestellt, wie es die Sache sieht und daran gibt es im Moment nichts zu rütteln. Dass das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen ist (BVerfG, Gesetzesänderung usw.) räume ich gern ein.

    2.

    Eine FSME-Impfung ist ebenfalls eine Körperverletzung, wird nicht von der STIKO ausserhalb von Risikogebieten empfohlen, ist bei gesunden und intakten Kindern keineswegs erforderlich und man kann sich trotzdem dafür entscheiden, da der Nutzen grösser als der Schaden ist.

    Aber kaum mit dem falschen Motiv: Wenn Sie mit ihrem Kind zum Arzt gehen und ihm sagen: „Bitte gib meinem Kind die FSME-Impfung, ich seh es so gern weinen.“ Was glauben Sie wird der Arzt machen?

    Wie kann man von einem Schaden sprechen, wenn eine Massnahme medizinisch von Vorteil ist?

    Fehlt nach der Beschneidung ein Stück Körper oder nicht? Ich dachte wir hätten uns darauf verständigt, dass die Beschneidung eine KV darstellt.

    Schaden ist die Differenz zwischen dem realen Zustand mit der Tat und dem gedachten Zustand ohne die Tat.

    Daher ist auch Ihr Vergleich mit einer Straftat hinfällig – Sie nehmen nämlich bei Ihrem Vergleich implizit an, dass die Beschneidung einen Schaden darstellt. Diese Einschätzung muss aber die Medizin fällen.

    Sie haben nicht verstanden, wie der Jurist subsumiert. Aber das hatte ich Ihnen ja bereits früher attestiert.
    Ich habe nicht mit einer Straftat verglichen, sondern ich habe eine Straftat mit einer anderen verglichen. Im Übrigen gehen Sie fehl in der Annahme, dass vor Gericht, nicht der Richter entscheidet (sondern etwa ein Mediziner).

    Eine viel passendere Analogie zur Beschneidung ist die momentan übliche Praxis Weisheitszähne ohne medizinische Indikation zu ziehen – und hierbei ist die Datenlage noch sehr viel schlechter als bei der Beschneidung.

    Mit den Weisheitszähnen bin ich voll bei Ihnen. Das ist natürlich ebenfalls eine einwilligungspflichtige KV. Hier müsste man allerdings strafrechtlich eine möglicherweise nur vorgetäuschte dentale Gefahrenlagen bewerten, mit der sich der Operateur die Einwilligung des Patienten erschleicht. Das ist vom vorliegenden Beschneidungsfall natürlich ein brutalstmöglich verschiedener Sachverhalt, daher wenig hilfreich.

  43. @Physiker: Widerspruch

    Das ist genau das, was ich an Religionsvertretern kritisiere […] er entzieht den Religionen in letzter Konsequenz die Daseinsberechtigung.

    Wie passt diese Erkenntnis mit der Forderung

    Es gibt dafür mehrere Interessen:

    3. eine bessere Welt, in der es weniger Krankheiten gibt.

    zusammen? Meiner Meinung nach gar nicht – es liegt ein Widerspruch vor. Um das Interesse nach Ziffer 3. durchzusetzen müssten Sie für den Eintritt/die Konversion in die Religionen werben, denen Sie die Daseinsberechtigung oben abgesprochen haben.

  44. @Physiker: die sind sonst etwas genauer

    “Komplett falsch ist etwa die Berufung auf die Vorteile für eventuelle zukünftige Partnerinnen”
    Das sehe ich anders. Schliesslich wird bei Impfungen auch berechtigterweise über die Herdenimunität argumentiert.

    Wenn es denn um Herdenimmunität ginge. Nur müsste dazu damit eine Krankeitsübertragung in der Herde ausgeschlossen werden. Das trifft bei Menschen aber für Veränderungen der Geschlechtsorgane nicht zu.

    Auch bei Impfungen kommt man nämlich in Begründungsnot, wenn sie lediglich das Infektionsrisiko für bestimmte, nur bewusst vorkommende Begegnungen ausschließen. Dann dürfte man sie nämlich nicht selbst entscheidenden Kindern auch nur dann verabreichen, wenn diese Art von Begegnungen vor der Entscheidungsfähigkeit des Kindes entsprechend häufig vorkommen.

    Die Verwaltung muss nämlich das Verhältnismäßigkeitsprinzip wahren. Und dazu gehört nun einmal, dass die Maßnahme 1. einen legitimen Zweck verfolgt, 2. geeignet ist, 3. erforderlich ist und 4. angemessen. Und zumindest 4. wäre bei der Impfung nicht gegeben. Also könnte der Gesetzgeber sie nicht verpflichtend machen – allenfalls dürften sie die Eltern gestatten. Aber auch da müsste man wieder abwägen.

     

    “Auch die Ansteckungsgefahr der Männer ist zur Abwägung untauglich, denn bis zur Geschlechtsreife ist der Knabe auch religionsmündig und kann dann selbst entscheiden.”
    Das sehe ich auch anders, denn als Erwachsener ändert sich die Risikoabwägung: Die Beschneidung ist mit 15x mehr Komplikationen verbunden, hinterlässt Narben, ist schmerzhafter und einige medizinische Vorteile für z.B. Harnwegsinfektionen in der Kindheit fallen weg.

    Auch hier: Selbst wenn man annimmt, dass die Maßnahme geeignet ist (was bereits umstritten ist), selbst dann ist fraglich, ob sie erforderlich ist. Denn dem Risiko von Harnwegsinfektionen kann man durch entsprechende Hygiene vorbeugen und auch für die Infektion im Erwachsenenalter gibt es andere Verhüterli. Und die Frage der Schmerzen ist gar nicht so sicher, denn es gibt auch bei Kleinstkindern ein Schmerzgedächtnis, das wohl sehr sensibel ist.

    Es bleibt also hier immer die Frage, inwieweit die Eltern den künftigen Entscheidungen ihres Sohnes vorgreifen dürfen – und das entscheidet sich nach dem Kindeswohl.

  45. @Physiker, Mal ein Update?

    Richtig, es geht um das Wohl des Kindes und dessen körperlicher Unversehrtheit. Diese steht als Rechtsgut ohne Zweifel über der Religionsfreiheit seiner Eltern.
    Ein Nutzen-Risiko-Abwägung liegt hier zudem nicht vor, da die Motivation der Eltern nicht aus Medizin sondern aus Religion heraus erfolgt, wie auch schon andere Kommentatoren hier ausführten.
    Die Aussagen der WHO sind absolut eindeutig, zudem s.o.

    Noch ein Update zu AIDS in D:
    Nein, es ist auch keine Epidemie in D; denn damit eine Epidemie vorliegt muss in einem bestimmten Zeitraum die Inzidenz (als Anzahl der neuen Erkrankungsfälle) zunehmen. Das ist für D nicht gegeben.
    Es gibt v.a. deswegen mehr Menschen die HIV-positiv sind, weil dank der modernen Behandlungsmethoden die Lebenserwartung nahezu normal ist.
    Darüber hinaus … “schon jetzt kann die Viruslast im Blut zumindest so niedrig gehalten werden kann, dass keine Ansteckungsgefahr mehr besteht.
    Nicht nur die Betroffenen könnten ein weitgehend normales Leben (mit einer faktisch normalen Lebenserwartung) führen, auch die Ansteckungsgefahr gehe gegen Null.”
    (Ergebnisse der 14. Münchner AIDS- und Hepatitistage 2012)

    Ergo: Es gibt keine Begründung für religiös motivierte Körperverletzung. Das sah sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das LG Köln so.

  46. @Noït Atiga:

    Ich denke, Sie haben da etwas grundsätzlich Missverstanden:
    Das Verhältnismässigkeitsprinzip richtet sich gegen Eingriffe des Staates in die Grundrechte. Wenn es also darum gehen würde eine Impfung zur Pflicht zu machen, dann müsste der Staat alle diese Punkte berücksichtigen. Es gibt aber in Deutschland momentan (aus diesem Grund) keine Pflichtimpfung. Und eine Pflichtbeschneidung steht auch ausser Frage.
    Die Entscheidungen von Eltern am Verhältnismässigkeitsprinzip richten (und konsequenterweise auch bestrafen) zu wollen ist absurd. Da würden sich ja Eltern permanent unter dem Damoklesschwert befinden, wenn sie Entscheidungen für ihr Kind treffen.

    Also nochmal: Die Verfassung und auch das Verhältnismässigkeitspritzip ist ein Schutz der Bürger vor der staatlichen Gewalt und nicht andersherum. Insofern pervertiert Ihre Argumentation den Geist des Grundgesetzes.

  47. @Physiker: Leider Ihr Missverständnis

    Das Verhältnismäßigkeitsprinzip richtet sich zunächst an den Staat – das stimmt. Aber in abgeschwächter Form gilt es auch im Rahmen der Abwägung von Grundrechten – denn der Staat muss die Schwachen seiner Gesellschaft beschützen. Das ist die bei Wikipedia als Status positivus bezeichnete Schutzfunktion von Grundrechten, denn Grundrechte wirken auch als Pflicht des Staates zum Handeln.

    Und in dieser Hinsicht muss der Staat seine Kinder vor den Eingriffen Dritter schützen. Und weil Grundrechte nun einmal das höchste Gut sind, darf der Staat auch Dritte nur dann in die Grundrechte eingreifen lassen, wenn dieser Eingriff durch Grundrechte gerechtfertigt ist. Und zur Rechtfertigung kommt es auf die Bedeutung des Eingriffes und das Verhältnis der Grundrechte untereinander an. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist aber eines der wichtigsten Grundrechte – jeder Eingriff darin muss also auch nicht nur erforderlich, sondern auch geeignet und angemessen sein.

    Und hinsichtlich des oben Behandelten wird auf allen Ebenen diskutiert. Ich hatte mich allerdings auf die meist ab leichtesten zu diskutierende Erforderlichkeit (3) und Angemessenheit (4) beschränkt. Denn der Staat darf den Eltern auch jene Eingriffe nicht erlauben, zu denen Alterantiven bestehen, die weniger in das Grundrecht eingreifen aber genauso geeignet sind. Und für die Ansteckung sind nun einmal Hygiene und Verhüterli genauso geeignet und die verletzen das Grundrecht nicht!

    Damit haben wir aber das eigentliche Problem noch nicht diskutiert – wie nämlich die Abwägung zwischen körperlicher Unversehrtheit und Religionsfreiheit zu erfolgen hat. Die ganzen medizinischen Argumente verlagern die Diskussion nämlich in Scheingefechte – denn bei klarer medizinischer Indikation ist jede Beschneidung zulässig. Aber diese hypothetische Zulässigkeit oder deren statistische Häufigkeit ist für die Abwägung von Unversehrtheit und Religionsfreiheit irrelevant!

  48. @Rolf-Dieter Bernried:

    “Ein Nutzen-Risiko-Abwägung liegt hier zudem nicht vor, da die Motivation der Eltern nicht aus Medizin sondern aus Religion heraus erfolgt, wie auch schon andere Kommentatoren hier ausführten.”
    Wie wollen Sie die Motiation der Eltern ermitteln? Egal mit welcher Art von peinlichen Befragung man das anstellen würde, es gäbe massive Probleme mit GG Art.3.
    Abgesehen davon habe ich jetzt schon oft genug wiederholt, dass es Aufgabe der Medizin ist, die Nutzen-Risiko-Abwägung zu machen, denn das ist eine originär wissenschaftliche Aufgabe. Das Ergebnis dieser Abwägung entscheidet darüber, ob die Eltern dem Kind mit der Beschneidung einen Schaden zufügen oder nicht. Und wenn dem Kind kein Schaden zugefügt wird, dann gibt es auch nichts zu bestrafen. q.e.d.

    “[…] denn damit eine Epidemie vorliegt muss in einem bestimmten Zeitraum die Inzidenz (als Anzahl der neuen Erkrankungsfälle) zunehmen. Das ist für D nicht gegeben.”
    Innerhalb der letzten 10 Jahre hat die HIV-Inzidenz deutlich zugenommen.
    Abgesehen davon, ekelt es mich an, wie Sie HIV kleinreden, nur um ihre Argumentation aufrechtzuerhalten. Aber selbst wenn Sie HIV wegdiskutieren, bleiben da immer noch die Vorteile bei HPV, Harnwegsinfektionen, Peniskrebs, Eichel- und Vorhautentzündungen, Phimose und Paraphimose, Ulcus molle, Syphilis, etc.

  49. @Ano Nym:

    “Wenn Sie mit ihrem Kind zum Arzt gehen und ihm sagen: „Bitte gib meinem Kind die FSME-Impfung, ich seh es so gern weinen.“ Was glauben Sie wird der Arzt machen?”
    Ein verantwortungsvoller Arzt wird dem sadomasochistisch veranlagten Elternteil das Jugendamt auf den Hals hetzen. Der Vergleich hinkt deshalb, weil diese spezielle Motivation das Sorgerecht des Elternteils infrage stellt. Eine religiöse Motivation tut dies (zumindest im konkreten Fall) nicht. Ich halte die religiöse Motivation für genauso harmlos wie wenn die Eltern nach einer Impfung verlangen würden, damit der Impfpass voll wird. Jeder Arzt würde daraufhin die Vorteile und Risiken der Impfung erläutern, den Eltern aber letztendlich die Entscheidung überlassen – und zwar selbst dann, wenn die Eltern weiterhin auf ihre ursprüngliche Motivation bestehen.

    “Fehlt nach der Beschneidung ein Stück Körper oder nicht? Ich dachte wir hätten uns darauf verständigt, dass die Beschneidung eine KV darstellt.”
    Der Nutzen des medizinischen Eingriffs muss als gesamtes bewertet werden. Es gibt viele Eingriffe, bei denen danach ein “Stück Körper” fehlt, das beginnt bei der Entfernung bösartiger Tumore, gutartiger Wucherungen, Muttermale, von Polypen, Mandeln, Weisheitszähne, etc.
    All diese Fälle kann man doch nicht als “Schaden” werten, nur weil ein Stück Körper entfernt wird. Ob das Entfernen als Schaden gewertet werden kann, hängt doch einzig und alleine vom Nutzen/Risiko-Verhältnis der Massnahme ab.

    “Sie haben nicht verstanden, wie der Jurist subsumiert.”
    Das mag sein. Ich argumentiere nur mit gesundem Menschenverstand. Und der sagt mir, dass wenn die Medizin eine Massnahme insgesamt positiv bewertet (selbst ohne sie gleich aktiv für jeden zu empfehlen), dann darf das Ausführen dieser Massnahme (lege artis) nicht bestraft werden.

  50. @Physiker: Schon wieder

    Wie wollen Sie die Motiation der Eltern ermitteln?

    Liegt Ihnen eine andere Sachverhaltsdarstellung vor als den Medien?

    Egal mit welcher Art von peinlichen Befragung man das anstellen würde, es gäbe massive Probleme mit GG Art.3.

    Ist es für Sie auch ein Wunder, wenn Gerichte schweigende Angeklagte verurteilen?

    Das Ergebnis dieser Abwägung entscheidet darüber, ob die Eltern dem Kind mit der Beschneidung einen Schaden zufügen oder nicht.

    Sie irren. Wenn Sie mit Ihrem Kind zum Arzt gehen und dem Arzt sagen: „Bitte verabreiche meinem Kind die FSME-Impfung, weil ich mein Kind so gern weinen seh.“ liegt schon keine Einwilligung und damit natürlich eine strafbare KV vor.

    Und wenn dem Kind kein Schaden zugefügt wird, dann gbt es auch nichts zu bestrafen. q.e.d.

    Es wird dem Kind ein Schaden zugefügt. Der Schaden ist das fehlende Körperstück nach der Beschneidung verglichen mit dem Körperzustand bei unterbliebener Beschneidung + Traumatisierung etc. pp.

    Sie möchten bitte “Kein Schaden” von “Dem Schaden steht ein (eventueller) Nutzen” gegenüber unterscheiden.

  51. @Physiker: Aha

    “Wenn Sie mit ihrem Kind zum Arzt gehen und ihm sagen: „Bitte gib meinem Kind die FSME-Impfung, ich seh es so gern weinen.“ Was glauben Sie wird der Arzt machen?”
    Ein verantwortungsvoller Arzt wird dem sadomasochistisch veranlagten Elternteil das Jugendamt auf den Hals hetzen.

    Na also. Ich dachte schon, Sie haben mein Beispiel überhaupt nicht verstanden. Und so ist es nun im Kölner Sprengel auch mit dem Elternteil, das beim Arzt um eine Beschneidung ersucht, um das intakte Kind religiös zu stigmatisieren.

    Der Vergleich hinkt deshalb, weil diese spezielle Motivation das Sorgerecht des Elternteils infrage stellt.

    „Beschneiden Sie mein Kind, es freut sich immer so, wenn es gestochen wird und ist dann den ganzen Tag glücklich.“

    Denken Sie sich irgendeinen nicht-medizinischen anderen Grund aus, der nicht mit einem sittlichen Unwerturteil Ihrerseits belegt ist.

    Ich halte die religiöse Motivation für genauso harmlos wie wenn die Eltern nach einer Impfung verlangen würden, damit der Impfpass voll wird.

    Diese Motive begründen keine Einwilligung. Es fehlt bei beiden schon die Abwägung, und damit die – zumindest prinzipielle Möglichkeit – sich gegen die Maßnahme zu entscheiden.

    Jeder Arzt würde daraufhin die Vorteile und Risiken der Impfung erläutern, den Eltern aber letztendlich die Entscheidung überlassen – und zwar selbst dann, wenn die Eltern weiterhin auf ihre ursprüngliche Motivation bestehen.

    Ein gewissenhafter Arzt wird eine Einwilligung nur dann als tatsächlich erteilt sehen, wenn eine Entscheidung der Eltern aufgrund der Belehrung tatsächlich möglich ist. Wer mit dem Vorsatz, den Impfpass vollzumachen sein Kind impfen lassen will, der ist für eine Entscheidung über Impfrisiken offensichtlich von vornherein gar nicht zugänglich.

    Der Nutzen des medizinischen Eingriffs muss als gesamtes bewertet werden.

    Sie haben Sie strafrechtliche Subsumtion nicht verstanden. Einen eventuellen Nutzen können Sie erst später (Strafzumessung, Rechtfertigungsgründe etc.) in Anschlag bringen.

    Es gibt viele Eingriffe, bei denen danach ein “Stück Körper” fehlt, das beginnt bei der Entfernung bösartiger Tumore, gutartiger Wucherungen, Muttermale, von Polypen, Mandeln, Weisheitszähne, etc.

    Das sind tatbestandlich alles Körperverletzungen, die einwilligungspflichtig sind.

    All diese Fälle kann man doch nicht als “Schaden” werten, nur weil ein Stück Körper entfernt wird. Ob das Entfernen als Schaden gewertet werden kann, hängt doch einzig und alleine vom Nutzen/Risiko-Verhältnis der Massnahme ab.

    Sie irren vollständig. Lesen Sie doch einfach mal nach, was alles einen Objektive Tatbestand der KV zu konstituieren vermag.

    “Sie haben nicht verstanden, wie der Jurist subsumiert.”
    Das mag sein. Ich argumentiere nur mit gesundem Menschenverstand.

    „Der gesunde Menschenverstand ist eigentlich nur eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr erworben hat.“

  52. “Beschneidungsurteil”

    Meint denn hier irgendjemand, dass das Urteil Bestand haben könnte?

    MFG
    Dr. Webbaer

  53. @Webbaer: Wahrscheinlich Ja.

    Das LG Köln hat aus juristischer Sicht nahezu mustergültig subsumiert – und das Ergebnis kann zumindest heute Bestand haben. Zutreffend hat sich das LG Köln nämlich neben dem Grundgesetz auch auf die Änderung des BGB berufen, die am 8.11.2000 in Kraft getreten ist.

    Bis dahin lautete § 1631 Abs. 2 BGB: Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Mißhandlungen, sind unzulässig.

    Seitdem aber lautet § 1631 Abs. 2 BGB: Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.

    Nun kann man über die Definition von Gewalt in diesem Zusammenhang trefflich streiten und nach wohl herrschender Ansicht wird damit nicht jede köperliche Erziehung verboten. Entscheidend ist aber, dass dem Kind nun ein eigenes Recht gegen die Eltern zugestanden wird. Damit wurden die schon von Verfassung wegen (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) bestehenden Rechte des Kindes gestärkt, auch im Familienkreise.

    Und interessanterweise gibt es ja selbst in Israel “rund zwei Prozent der jüdischen Eltern, die sich weigern, ihre Söhne beschneiden zu lassen”. Darüber hinaus sind wohl – wie ebenfalls dort nachzulesen – jüdisch geborene Männer auch ohne Beschneidung vollwertige Gemeindemitglieder.

    Und was den Islam angeht, so ist dort die Beschneidung bis zum 13. Lebensjahr möglich. Und damit kann man auch dort schon heute dem Urteil genüge tun – denn: “Hat das Kind das zwölfte Lebensjahr vollendet, so kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden.” (§ 5 Satz 2 KErzG) Und damit kann man ohne Verletzung des Glaubens dem Kind schon jetzt eine Mitsprache ermöglichen, was dann die Abwägung zugunsten der Religion verschieben kann – auch wenn ein Zuwarten bis zum 14. Lebensjahr noch besser wäre, denn dann sind Kinder vollumfänglich religionsmündig. Und damit wäre die Beschneidung ganz unproblematisch zulässig, wenn der Jugendliche es wünscht.

    Unter diesem Blickwinkel dürfte es mit dem Grundgesetz nicht nur vereinbar sein, die Beschneidung zu verbieten. Aber wie schon oben erwähnt bedaure ich, dass die angesprochenen Religionsgemeinschaften diese Fragen nicht auch in Deutschland aus sich heraus diskutiert haben (oder das man davon kaum weiß), denn über die religiöse Rechtfertigung von Eingriffen in die körperliche Unversehrt wird ja schon seit einiger Zeit in den Medien diskutiert. Und ich wünsche mir, dass dort wenigstens jetzt die Diskussion beginnt – gerade auch im Hinblick der zitierten Erfahrungen und religiösen Vorgaben…

  54. Körperverletzung?

    > Eine körperliche Misshandlung nach § 223
    > Absatz 1 StGB liegt vor im Fall einer
    > unangemessenen und üblen Behandlung,
    > durch die das körperliche Wohlbefinden
    > oder die körperliche Unversehrtheit mehr
    > als nur unerheblich beeinträchtigt wird.

    Tja, wann ist eine Beschneidung “mehr als nur unerheblich”? Wenn in unbeschnittener Junge als “unversehrt” gilt, nach welcher Form der Beschneidung wäre er dann “erheblich versehrt”?

    Auch wenn ich weder Jude noch Moslem bin, ist das Thema für mich relevant: in meiner Familie kommt Phimose vor. Ich bin als Kleinkind operiert worden, im Krankenhaus unter Narkose, und von meiner Vorhaut ist gerade noch genug übrig, um die Funktion “Reibung an Kleidung und austrocknen der Eichel verhindern” noch erfüllt wird. Bei meinem Sohn ist mit 6 Jahren noch so viel “Rüssel” da, daß er die Vorhaut selbst bei einer Erektion (ja, die haben auch kleine Jungs manchmal) nicht über die Eichel zurückziehen kann, aber die Kinderärztin meinte bei er letzten “U”, daß kein akuter Handlungsbedarf bestände. Ich mache mir aber Sorgen, denn wie der andere Physiker bereits schrieb: je länger man mit dem Eingriff wartet, desto problematischer wird der Heilungsprozess. Mein Sohn macht sich selber auch Sorgen, ob dort “geschnitten” werden muß – wären wir Juden, hätten wir diese Sorge jetzt nicht. Andererseits, als ich ihn 8 Tage nach seiner Geburt auf dem Wickeltisch hatte, habe ich mich auch gefragt “wie will irgendjemand bei so einem winzigen Glied schon unterscheiden, wo man schneiden muß, daß wirklich nur Vorhaut abgeht und sonst nichts verletzt wird?”

    Ich habe mich in meinem Leben schon mehreren OPs unterzogen, die meisten davon beim Hautarzt (ich habe recht viele Leberflecke). “Wesentlich versehrt” bin ich aber dennoch nicht (zumindest hoffe ich, daß der Schnitt, der mich gerade jetzt zuhause festhält, genausogut abheilt wie alle früheren). Eine Beschneidung unter Narkose, bei der annähernd so viel Vorhaut erhalten bleibt wie bei mir, kann ich nicht als “Körperverletzung” betrachten – wer seine Vorhaut komplett verloren hat, mag das anders sehen; nur kommen die “ich will meine nicht verlieren” Postings naturgemäß immer von Unbeschnittenen.

    Das Thema ist also längst nicht so einfach oder eindeutig wie mancher tut.

    Ich habe in den letzten Tagen viele dumme, aggressive und einseitige Kommentare zum Thema gelesen, aber am klügsten und nachdenklichsten war der nachfolgend verlinkte:

    http://www.marinaslied.de/?p=730

  55. @Störk: Ja – und doch offen

    Dass es eine Körperverletzung ist, das wird zwar auch bestritten – aber nicht unter dem von Ihnen vorgebrachten Aspekt, denn selbst das Abschneiden der Haare ist eine körperliche Misshandlung. Und nach der Rechtsprechung sind auch ärztliche Heileingriffe Körperverletzung. In der Literatur wird das zwar diskutiert, und für die Beschneidung teils unter dem Gesichtsspunkt der Sozialadäquanz verneint. Das kann aber nicht wirklich überzeugen, denn dann wäre Haareabschneiden ebenfalls sozialadäquat. Ist es aber nicht – und das obwohl die Haare, anders als die Vorhaut, nachwachsen und ihr Abschneiden allenfalls psychischen Schmerz verursacht.

    Bei Ihrer Argumentation ist zu beachten, dass “Versehrtheit” im juristichen Sinne nicht mit der umgangssprachlichen Bedeutung gleichzusetzen ist. Letztlich auch zu Recht, denn jeder der von Ihnen genannten Schnitte bei Leberflecken ist eine Körperverletzung – die allerdings ob Ihrer Einwilligung gerechtfertigt ist.
    Insofern darf man nicht vergessen, dass die Bejahung des objektiven Tatbestandes noch lange nicht zum Unwerturteil führt und nicht zur Bestrafung. Dafür muss noch der subjektive Tatbestand vorliegen und es darf keine Rechtfertigungs- und keine Entschuldigungsgründe geben (siehe Strafbarkeit). Gerade im vom LG Köln vorliegenden Fall lag ein Verbotsirrtum vor, der Arzt war also entschuldigt.

    Diskutieren kann und muss man aber die Rechtfertigung des Eingriffes. Und dort ist natürlich eine Einwilligung der Eltern nötig. Aber selbst dann ist abzuwägen, ob die Eltern einwilligen dürfen. Und insofern ist der von Ihnen verlinkte Artikel sowohl gut als auch unvollständig. Gut, weil er die Parallelprobleme mit der Erziehung deutlicher anspricht als ich oben. Unvollständig, weil er nicht darauf eingeht, was für den jeweiligen Staat generell wichtig ist – und damit Grundlage aller Abwägung. Ich hatte versucht das oben zu skizzieren: Frankreich wehrt sich stark gegen die geistige Beeinflussung der Eltern – dort will der Staat den Korpsgeist fördern. Deutschland betont mehr die körperliche Intaktheit – aber ganz unabhängig von Religionen, denn das Verbot gilt auf allen Bereichen. In Schweden glaube ich geht man sogar soweit, dass jeglicher körperliche Übergriff sofort sanktioniert wird – und es funtioniert, die Menschen werden friedlicher (denn die unbewusste Prägung auf Machtausübung fehlt).

    Die Frage ist also immer, welche Gesellschaft man haben will – soweit das am Einzelnen maximal zulässige (und das ist auch eine politische Frage). Dagegen stehen dann die anderen Interessen, hier die der Religionen. Und dort hatte ich oben darauf verwiesen, dass die Beschneidung keineswegs so zwingend ist. Sie wird selbst innerhalb der Religionen eher als Faktum denn als Notwendigkeit angesehen. Und wenn und weil das so ist, sind die Argumente der Religionen für den Juristen schwächer und damit erfolgt die Abwägung eher zugunsten des noch nicht entscheidungsmündigen Kindes.

    Andererseits kann man – und hier nun mehr mit Michael Blume – auch (religions)soziologisch diskutieren. Und auch dort kann man den Sinn von Beschneidungen in so früher Zeit bestreiten. Religionen beruhen auf Ritualen, das stimmt. Und die Beschneidung ist ein solches Ritual. Doch im Alter von 8 Tagen kann das Kind dieses Ritual gar nicht als solches erleben, es handelt sich vielmehr um ein Ritual der Eltern – die ihre fortbestehende Zugehörigkeit durch die Beschneidung des Kindes zeigen. Darum auch ist die jüdische Auslegung soziologisch so treffend (wie vieles in der Tora): Für den Übertritt zum Judentum, wenn also ein erwachsener Mann dem Glauben beitreten will – dann muss er den Bund durch das Ritual der Bescheidung besiegeln. Für im Glauben geborene Männer ist die Beschneidung aber keine Voraussetzung der Religionszugehörigkeit – und wird selbst in Israel von immerhin 2 % der Eltern nicht vollzogen.

    Und auch auf einer anderen Eben bedaure ich die jedenfalls teils polemischen Äußerungen der Religionsvertreter: Ihr Vergleich zu früher ist nämlich abwegig. Damals hat man Beschneidungen wegen des Judentums verboten, aber gleichzeitig alle sonstigen Misshandlungen der Kinder toleriert. Das war in der Tat Diskriminierung. Nur in Deutschland gibt es heute kein Sonderrecht, sondern wir schützen die Kinder vor ALLEN körperlichen Beeinträchtigungen – wir fordern für jede Beeinträchtigung nicht nur die Einwilligung der Eltern, sondern auch die grundrechtliche Rechtfertigung.

    Und das ist sinnvoll, wenn man bedenkt, dass das kindliche Schmerzgedächtnis sehr viel ausgeprägter ist als das von Erwachsenen. Erwachsene mögen zwar beim Eingriff mehr leiden, aber die langfristigen Folgen sind weit weniger tragisch (was ob der Lernkurve des Gehirns generell für alle Erlebnisse gilt). Bei Kindern wird damit das gesamte lebenslange Schmerzempfinden mitbestimmt! Und zwar umso mehr, je früher der Eingriff erfolgt. Schon unter diesem Gesichtspunkt ist jede Operation bei Kindern zu überdenken – und möglichst lange aufzuschieben, soweit nicht andere (medizinische) Argumente entgegenstehen.

    All das und noch viel mehr wäre zu diskutieren. Und natürlich sehen auch Juristen diese Dinge verschieden. Und natürlich ist die Reaktion der Politik offen. Aber die Diskussion ist für unser Zusammenleben wichtig und idealerweise sollte sie in allen und mit allen Religionsgemeinschaften gemeinsam geführt werden, denn alle hier Lebenden sind Teil unseres Staates…

  56. Rechtssicherheit: + Verhältnismässigkeit

    Die Strafbarkeit der Beschneidung ist ein deutlicher Bruch mit der Handhabung dieser Praxis in der Vergangenheit und kann deshalb wohl nur gerechtfertigt werden, wenn ein höheres Gut damit verteidigt werden soll und altes Gewohnheitsrecht darum fallen soll.

    Dass dieses Urteil des Landgerichts Köln gegen den Geist des Grundgesetzes verstosse wird im Artikel LG Köln beschneidet die Religionsfreiheit so begründet:
    “Die Entscheidung, was dem Wohl des Kindes dient, obliegt nach Art. 6 II GG den Eltern. Der Staat wacht nur über seine äußerten Grenzen. Dieser Schutzbereich wird vorliegend durch die Religionsfreiheit der Eltern aus Art. 4 GG verstärkt. Ein Eingriff des Staates durch das Strafrecht ist der schärfstmögliche. Er bedürfte einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Natürlich wird die körperliche Integirtät des Kindes verletzt. Aber mag der Eingriff auch nicht reversibel sein, so ist er doch nur ein kleiner Routineeingriff ohne langfristige Nachteile für das Kind.

    Andererseits ist er zwingend notwendig für die Aufnahme in die Religionsgemeinschaft. Dies mag vielen sekulären Rationalisten als Grund nicht genügen, aber gerade rational nicht zwingend nachvollziehbare, aber moralisch als zwingend empfundene Gründe soll die Religionsfreiheit schützen. Ein Abwarten bis zur Einwilligungsmündigkeit des Kindes erscheint möglich, verkennt aber, dass auf diese Weise der Staat in die Religionsausübung der Religionsorganistionen massiv eingreift, die selbst von der kollektiven Relogionsfreiheit geschützt sind. Hier ist der Staat zur Neutralität verpflichtet.”

    Am Schluss des Artikels wird noch auf mögliche Konsequenzen eingegangen, falls die Strafbarkeit der Beschneidung durchgesetzt wird:
    “Und wenn wir nun davon ausgehen müssen, dass die Beschneidung das Kindeswohl gefährdet, müssen nach § 1666 I BGB geeignete Maßnamen ergriffen werden. Da die meisten Eltern aufgrund ihrer jüdischen oder muslimischen Überzeugung ihr Kind auf jeden Fall beschneiden lassen wollen und im Zweifel zu diesem Zweck nach Israel oder in die Türkei fliegen würden, bleiben als geeignete Maßnahme, letztendlich nur die elterliche Sorge zu entziehen, oder ein Entzug des Umgangsrechts, § 1666 III Nr. 4, 6 BGB.

    Verlieren also Eltern in Deutschland ihr Sorgerecht, weil sie ihren jüdischen Glauben praktizieren wollen, und werden Rabbiner verhaftet, weil sie in Predigten die Tora traditionell auslegen und empfehlen, nach diesen Grundsätzen zu leben?

  57. @Holzherr: Das Recht des Kindes fehlt!

    Die negativen Konsequenzen zu vermeiden wird schwierig sein, aber das haben wir schon in anderen Bereichen und das ist für den Rechtsstaat kein Argument zur Änderung seiner Wertungen.

    Mit dem verlinkten Artikel gibt es aber einige Probleme: Er ist vor der Veröffentlichung der Urteilsbegründung geschrieben wohl sogar in Unkenntnis des Urteils – denn er gibt sogar den Tenor falsch wider. Das LG KÖln hat lediglich Körperverletzung bejaht, also nur § 223 Abs. 1 StGB.

    Viel problematischer ist aber dort wie in vielen anderen Artikeln: Das Recht des Kindes wird nicht einmal erwähnt! Man führt alle verfassungsrechtlichen Geschütze der Eltern und der Religionen auf, aber man sieht immer noch das Kind als rechtlos an. Dabei wird auch das von der Verfassung geschützt – von Art. 2 Abs. 2 GG: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

    Ein solches Gesetz einschränkendes Gesetz existiert aber nicht! Vielmehr wurde die zivilrechtliche Norm, die man noch so auslegen konnte, (§ 1631 Abs. 2 BGB) sogar zu einem Recht des Kindes gegen die Eltern umgeformt. Das Kind hat also einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf gewaltfreie Erziehung. Insofern ist auch das Argument falsch, es habe sich nichts geändert. vielmehr gibt es seit 1900 eine kontinuierliche Entwicklung, damals hieß es in § 1631 As. 2 BGB nämlich noch: Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden. Auf seinen Antrag hat das Vormundschaftsgericht ihn durch Anwendung geeigneter Zuchtmittel zu unterstützen.

    Und wie von Prof. Dr. Rolf Dietrich Herzberg in Religionsfreiheit und Kindeswohl (S. 475 reSp, allerdings drastischer) angesprochen: Warum kriminalsieren wir Misshandlungen (die anderswo noch normal sind), aber gemeinhin ohne bleibende Schäden abheilen. Sollen aber gleichzeitig dauerhafte Veränderungen an empfindlicher Stelle so fraglos zulassen?

    Selbst wenn man (wie ich es für richtig halte) eine Abwägung zwischen der körperlichen Unversehrtheit und der Religionsfreiheit bejaht (was im vorzitierten Artikel verneint wird), selbst dann wird das Gewicht der Religionen auf vielen Wegen von den Religionen selbst ausgehöhlt. So vernachlässigen etwa zahlreiche gläubige Familien zunehmend die für sie aufwendigen Speise-Tradtionen, denken aber über Folgen der Beschneidung nicht nach. Und das schwächt das juristische und moralische Argument noch mehr, denn wer sich selbst nicht einzuschränken bereit ist, der kann auch nicht andere einschränken. Dabei verändert der kurze Akt der Beschneidung das Sexualleben des Betroffenen dauerhaft und irreversibel – auch bei Jungen (oder hier).

    Einen sehr ausgewogenen, etwas älteren und doch deutlichen Artikel findet man hier: >Claude Jaemann, Das wunde Geschlecht. Und man kommt erst recht ins Grübeln, wenn man dort auch daran erinnert wird, dass sogar Gewalt allgemein und im speziellen gegen Frauen mit darauf zurückgehen kann – weil der Schmerz in diesem jungen Alter unbewusst allein der Mutter zugeschrieben wird. Und aus entwicklungs-psychologischer Sicht macht das viel Sinn, denn in diesem Alter ist die Mutter die einzige wirkliche Bezugsperson…

  58. @Martin Holzherr

    werden Rabbiner verhaftet, weil sie in Predigten die Tora traditionell auslegen und empfehlen, nach diesen Grundsätzen zu leben?

    Wenn ein Rabbiner streng nach der Tora zur Steinigung eines Gemeindemitglieds aufruft, weil dieses am Sabbat gearbeitet hat, könnte ich mir vorstellen, dass die deutsche Justiz dazu eine dezidierte Meinung haben wird.

  59. @Noït Atiga: Kindswohl über Religion

    Für mich gilt das Individuum und sein Recht immer mehr als das Recht einer Religionsgemeinschaft.

    Doch trotzdem spricht vieles dagegen die geltende Praxis zu ändern:
    – wer beginnt Praktiken wie die Beschneidung von Knaben zu ahnden, Praktiken also, die kaum zu Gesundheitsschäden führen, der muss aus “Gerechtigkeitsgründen” noch viele weitere Religionsgemeinschaften in die “Pflicht” nehmen. Die Zeugen Jehovas dürften dann nicht mehr durchsetzen, dass ihre Kinder in Notfällen oder bei Operationen keine Bluttransfusionen erhalten; sogar Fastenpraktika oder die Impfverweigerung aus religiösen oder nicht-religiösen Gründen könnte man strafbar machen.
    – Das Kindswohl liegt zuerst einmal bei den Eltern und wer hier eingreift und elterliche Handlungen verbietet und bestraft, bedroht das Wohlergehen des Kindes eventuell mehr, denn letzlich ist ein Kind immer seinem Beschützer ausgeliefert oder mindestens stark von ihm abhängig

    Übrigens ist das Ganze nicht nur eine Frage von Recht und Unrecht im allgemeinen Sinn, sondern es ist auch eine ganz praktische Frage, die nämlich ob und warum man Gesetze einführen oder abschaffen sollte.

    Man sollte zurückhaltend sein bei der Einführung von neuen Gesetzen, vor allem wenn sie geltendes Recht und geltende Praktiken und Überzeugungen tangieren.

    In Deutschland ist dieser Gedanke schwierig zu vermitteln, das weiss ich. Dort – in D – werden wohl jedes Jahr dutzende von neuen modifizierten Steuergesetze erlassen. Doch selbst wenn man gesetzesfreudig ist muss man einen Unterschied machen zwischen Administrativgesetzen und Gesetzen, die ins Leben eingreifen. Die letzteren Gesetze sollte man nicht ohne Not ändern.

  60. @Martin Holzherr: Das wurde gemacht

    Im Jahre 2000 wurde durch das Gesetz bewusst und zielgerichtet in die Befugnisse aller Eltern eingegriffen (Ihr Spiegelstrich 2). Man hat ganz bewusst jedem Kind das Recht auf gewaltfreie Erziehung zugestanden und damit weitverbreitete, teils quasireligiös ausgeführte elterliche Handlungen verboten! Denn man will auch an Kindern keine Körperverletzungen. (An Erwachsenen waren sie schon immer verboten!)

    Darum ist ja die jetzige Empörung so unverständlich: Als man einem Großteil der nicht offiziell religiösen Bevölkerung ihr bis dahin oft normales und teils als einzig erfolgreich angesehens Erziehungs-Verhalten verboten hat, da gab es keine Empörung. Wenn man das nun aber konsequent anwendet und damit auch religiöse Gemeinschaften betroffen sind, dann wird von Diskriminierung gesprochen. Und das obwohl man ihnen sogar eine Abwägung zugesteht, die der ganz großen Mehrheit nicht erlaubt ist!

    Und zu Spiegelstrich 1: Gerechtigkeit erfordert die Gleichbehandlung von Gleichem und die Ungleichbehandlung von Ungleichem. Impfungen sind insofern nur mit medizinisch indizierten Beschneidungen zu vergleichen – und beide werden gleich behandelt. Beides ist Körperverletzung und in beiden Fällen dürfen und müssen die Eltern für ihr Kind abwägen und entscheiden.

    Und bei der von Ihnen angesprochenen Blutspende ist das schon seit 20 Jahren geltendes Recht: Wenn die Eltern die Blutstpende bei lebendsbedrohlichem Zustand des Kindes versagen, dann gestattet sie das Vormundschaftsgericht.

  61. Sozialtechnokraten

    “Ob es den Sozialtechnokraten langsam dämmert, dass Deutschland auch einen Wertewandel braucht?”

    Abgesehen davon, dass mir die Wortneuschöpfung “Sozialtechnokraten” (abgesehen davon, dass es das im Internet schon länger gibt) gut gefällt, was keine inhaltliche Zustimmung impliziert, muss ich hier folgende Frage stellen:
    Ja, wohin denn?
    Welche Werte sollen denn jetzt in den Vordergrund rücken? Und welche Meta-Werte wenden wir überhaupt selbst an, wenn wir unseren sittlichen Codex ändern, damit wir keine “demographische Katastrophe” erleben?
    Ist das nicht selbst sozialtechnokratisch, eine kalte, berechnende Perspektive?

    Zum Rest habe ich entweder keine Meinung oder will klug genug sein, nicht in die (öffentliche) Diskussion einzusteigen.

    So hoffe ich mal, ich habe euch jetzt nicht in den Schlaf gelangweilt. Bin dann mal wieder weg!

  62. Gute Praxis? /@Martin Holzherr

    »– wer beginnt Praktiken wie die Beschneidung von Knaben zu ahnden, Praktiken also, die kaum zu Gesundheitsschäden führen, […]«

    Es ist verständlich, dass die Schwere des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit eines wehrlosen Kindes von den Befürwortern kleingeredet und verharmlost wird. Ein großes Stück hochsensibler Haut ist nach dem Eingriff dauerhaft nicht mehr vorhanden. Und das, obwohl für Ärzte immer noch der Grundsatz gilt: „Primum nil nocere“.

    Einen solchen Eingriff ohne medizinische Indikation vorzunehmen, erscheint mir ethisch höchst fragwürdig. Den Ausführungen von @Noït Atiga (und einigen anderen, die die Beschneidungspraxis kritisch sehen) kann ich da nur in allen Punkten zustimmen. Es ist kaum zu rechtfertigen, gesunden Kindern, seien es nun Mädchen oder Jungen, an den Genitalien ein großes Stück gesunder Haut wegzuschneiden.

  63. @Ano Nym:

    In Kürze:
    Ihrer tollen Subsumtion zufolge, räumen Sie der Motivation der Eltern einen höheren Stellenwert ein, als dem Wohl des Kindes. Denn laut Ihrer Definition ist mit jedem medizinischen Eingriff ein Schaden für das Kind verbunden und dieser Schaden bleibt nur dann straffrei, wenn die Motivation der Eltern… ja was eigentlich?

    Mir ist das Wohl der Kindes wichtiger als die Motive der Eltern.

  64. @Balanus: Primum nihil nocere

    Der Grundsatz Primum non nocere sollte auch für soziale und psychische Belange gelten und dann ist ein Verbot einer für eine Religionsgemeinschaft wichtigen Praxis – wie z.B. das Schächtverbot, oder das Verbot der Beschneidung – eben auch ein Schaden, den man Menschen zufügt. Primum non nocere ist ein sehr guter Grundsatz nicht nur für Mediziner, sonderm auch für Juristen, wenn dieser Grundsatz verallgemeinert bedeutet, dass man lieber nichts tut und nichts verbietet, als auf Grund von nicht abgesicherten Theorien an etwas herumzudoktern.

    Sie haben sicher recht, dass eine Beschneidung ein ernsthafter Eingriff ist (Zitat)“Ein großes Stück hochsensibler Haut ist nach dem Eingriff dauerhaft nicht mehr vorhanden.” Doch ein Verbot einer Praxis mit grosser Bedeutung für eine Religionsgemeinschaft kann auch ein ernsthafter Eingriff sein.

    Zudem gibt es keinen Grund nur physische Eingriffe zu problematisieren. Der Zwang zur Verschleierung beispielsweise hat auf das Sozialleben von moslemischen Frauen einen grossen Einfluss und verändert auch ihre Psyche.

    Schliesslich geht es hier auch darum, was eine Gesellschaft von ihren Mitgliedern verlangen kann und soll. Mein Ideal ist eine offene Gesellschaft, die Schranken zwischen sozialen Schichten und auch zwischen verschiedenen Weltanschauungen und Religionszugehörigkeiten möglichst abbaut. So gesehen wäre ein Verbot der Beschneidung sinnvoll, wenn dadurch Juden (oder Moslems) besser mit ihrer nicht-jüdischen/nicht-moslemischen Umwelt zurechtkommen würden. Doch wahrscheinlich ist genau das Gegenteil der Fall, denn ein solches Verbot rührt – so viel ich von anderen höre – an Grundfesten von Überzeugungen jüdischer Religionsgemeinschaften und es besteht Gefahr, dass diese sich als Reaktion auf ein solches Verbot einigeln.

    Letztlich geht es um eine Güterabwägung – leider. Es wäre viel einfacher, wenn die Beschneidung etwas willkürliches wäre, etwa zu vergleichen mit elterlicher Gewalt. So etwas könnte man verbieten ohne dass man jemanden einen Schaden zufügte.

    Das scheint aber hier nicht der Fall zu sein und selbst wenn im allgemeinen ihre Aussage stimmt (Zitat) “Es ist kaum zu rechtfertigen, gesunden Kindern, seien es nun Mädchen oder Jungen, an den Genitalien ein großes Stück gesunder Haut wegzuschneiden.”, so stimmt sie vielleicht nicht unter allen Umständen.

    Man kommt um eine Güterabwägung nicht herum. Bei der Genitalbeschneidung von Mädchen ist das Gut der körperlichen Unversehrtheit zu stark verletzt, als dass man das je akzeptieren könnte, bei der Beschneidung von Knaben bin ich mir nicht so sicher.

  65. @anonym: Richtig Lesen

    Ihrer tollen Subsumtion zufolge, räumen Sie der Motivation der Eltern einen höheren Stellenwert ein, als dem Wohl des Kindes. Denn laut Ihrer Definition ist mit jedem medizinischen Eingriff ein Schaden für das Kind verbunden und dieser Schaden bleibt nur dann straffrei, wenn die Motivation der Eltern… ja was eigentlich?

    Die KV ist straffrei, (u.a.) wenn

    – eine Einwilligung vorliegt oder
    – keine Schuldfähigkeit vorliegt oder
    – ein Rechtfertigungsgrund vorliegt oder
    – ein Verbotsirrtum vorliegt oder
    – ? …

    Das Kölner Gericht hat freigesprochen wegen des Verbotsirrtums. Es hat nicht wegen einer vorliegenden Einwilligung freigesprochen.

    Mir ist das Wohl der Kindes wichtiger als die Motive der Eltern.

    Einem Großteil der juristischen und politischen Elite dieses Landes ist das Wohl des Kindes am intakten Körper nicht wichtiger als die religiösen Motive der Eltern.

  66. Schliesslich geht es hier auch darum, was eine Gesellschaft von ihren Mitgliedern verlangen kann und soll.

    Wie kommen Sie darauf, dass es darum ginge?

    Mein Ideal ist

    Was ist denn eigentlich Ihr Interesse? Warum schützen Sie ein Ideal vor?

  67. @Holzherr – Sie haben prinzipiell Recht

    Einerseits gibt es keinen Grund nur physische Eingriffe zu probematisieren. Andererseits sollte man nicht unterschätzen, dass man einer Gruppe mit Gesetzesänderungen auch Schaden zufügen kann.

    Aber selbst als sehr religionsliebender Mensch bin ich nicht der Ansicht, dass man Religionen per se alles immer wie bisher erlauben muss. Ein Staat darf auf alle seine Bürger Einfluss nehmen. Und doch bin ich bei Ihnen: lieber über Diskussionen und Anpassungen als über Zwang.

    Nur: In Deutschland gibt es da historisch begründete Tabus – die leider von beiden Seiten aufrechterhalten werden, von deutscher ebenso wie religiöser. Fast jeder Versuch, eine wirkliche Diskussion anzustoßen, wird mit der historischen Keule entweder von der deutschen Opposition oder von der jeweils angesprochenen Religion niedergemacht. Aber so kann man sich nicht besser kennen und verstehen lernen. Im Gegenteil muss man (wenigtens auch) mit Worten ringen, um die Sicht des Anderen zu erfahren, quasi zu erleben.

    Man muss eintauchen können. Man muss ent-täuschen können. Man muss ent-decken können. Man muss sich wider-setzen können. Man muss sich aus-einander-setzen können. Um sich wirklich aus-tauschen zu können.

    In Deutschland aber, um es treffend-provokativ zu formulieren, muss man ständig zusammen feiern oder sich nicht kennen – sonst ist man verfeindet. Das gilt nicht nur im Zusammenhang mit Religionen, aber dort besonders.

    In Frankreich jedoch kann man sich auch in der Auseinandersetzung lieben lernen. Und gerade für die Religionen hat man es getan: Das Verbot aller deutlich sichtbaren Religionszeichen in den Schulen war sehr lange Zeit in den Medien und der alltäglichen Diskussion – bevor man es dann umgesetzt hat. Es ist noch heute umstritten, und doch gibt es auch Befürworter in den Religionen. Und es hat (so mein Eindruck) auch zu einem besseren Verständnis beigetragen, man weiß mehr um die Werte der Anderen.

    Genau das wünsche ich mir für Deutschland: Dass man wochen- und monatelang streitet über den richtigen Weg. Dass man sich dabei immer näher kommt, weil man mit der Zeit den Anderen oder die Andere nicht nur mit dem Kopf versteht, sondern auch mit dem Herzen. Und dass man dann, ganz ohne Zwang eine Regelung findet, welche die Diskussion institutionalisiert – und damit den Austausch.

    Das Wohlergehen unserer Kleinsten und Schwächsten – ist es das nicht wert?

  68. @Martin Holzherr

    »Der Grundsatz Primum non nocere sollte auch für soziale und psychische Belange gelten und dann ist ein Verbot einer für eine Religionsgemeinschaft wichtigen Praxis – wie z.B. das Schächtverbot, oder das Verbot der Beschneidung – eben auch ein Schaden, den man Menschen zufügt.«

    Die Knabenbeschneidung ist, wenn ich das richtig verstanden habe, (nach Auffassung des LG Köln) nur deshalb verboten, weil sie eine medizinisch nicht indizierte und zudem irreversible Körperverletzung ist, von der vermutet werden kann, dass sie dem Interesse des Kindes zuwider läuft.

    Die individuelle körperliche Unversehrtheit wiegt nach Auffassung des Gerichts schwerer als die psychische Verfasstheit einer Gemeinschaft, sei sie nun religiös motiviert oder auch nur kulturell. Zu Recht, wie ich finde.

    Man kann natürlich auch der Auffassung sein, die individuelle körperliche Integrität sei nachrangig und habe sich den Bedürfnissen einer Gemeinschaft unterzuordnen. Vielleicht findet sich ja dafür eine gesetzgeberische Mehrheit.

    Gut möglich aber auch, dass langsam ein Umdenken stattfindet. Es gibt nicht wenige Eltern, die von der Notwendigkeit dieser Prozedur nicht recht überzeugt sind und sie nur aufgrund des Druckes des sozialen Umfelds durchführen lassen – mit erheblichen Bauchschmerzen.

    Das Kölner Urteil bedeutet ja nicht, dass nach einer Beschneidung zwangsläufig der Staatsanwalt kommt. Wo kein Kläger, da kein Richter. An der rechtlichen Situation hat sich im Grunde nichts geändert. Die Lage scheint nach wie vor rechtlich unklar und umstritten zu sein.

    »Man kommt um eine Güterabwägung nicht herum.«

    So isses.

    »Bei der Genitalbeschneidung von Mädchen ist das Gut der körperlichen Unversehrtheit zu stark verletzt, als dass man das je akzeptieren könnte, […]«

    Wieso denn das? Man könnte sich ja auf die kleinen Schamlippen beschränken, hinsichtlich der Sensibilität dieses Gewebes entspräche das in etwa der männlichen Vorhaut. Wie es im späteren Leben dann aussieht, ob also die beschnittenen Frauen auch so häufig zufrieden wären wie es die Männer offensichtlich (oder angeblich) sind—schwer zu sagen.

  69. Stand der Wissenschaft ist eindeutig

    Je mehr wissenschaftliche Publikationen man liest, desto eindeutiger zeigt sich das Gesamtbild. Aus medizinischer Sicht, ist die männliche Beschneidung sinnvoll und zwar gerade im Kinder/Säuglingsalter und auch explizit in entwickelten Ländern. Hier ist noch eine Publikation, die eine Beschneidung auf die selbe wichtige Stufe stellt wie Impfungen:
    http://www.scirp.org/…rmation.aspx?paperID=17415
    “A risk-benefit analysis shows benefits exceed risks by a large margin. Over their lifetime up to half of uncircumcised males will suffer a medical condition as a result of retaining their foreskin. The ethics of infant MC and childhood vaccination are comparable. Our analysis finds MC is beneficial, safe and cost-effective, and should optimally be performed in infancy.”

    In der wissenschaftlichen Literatur gibt es keine ernst zu nehmenden Gegenstimmen zu dieser Konsensmeinung. Die Evidenz ist einfach überwältigend.

    Dass diese Evidenz vielfach geleugnet wird, und das öffentliche Bild stattdessen von Zweiflern geprägt ist, erinnert stark an die erfolgreiche Kampagne der Tabak-Industrie:
    http://lightbucket.wordpress.com/…ersus-science/
    mit dem einzigen Unterschied, dass das Leugnen des medizinischen Nutzens der Beschneidung wohl keiner Lobby zuzuschreiben ist. Vermutlich sind wir Europäer so in unserer selbstüberheblichen pseudo-humanistisch anti-religiösen Denkweise gefangen, dass wir um keinen Preis der Welt akzeptieren können, dass ein religiöser Ritus zufällig medizinisch sinnvoll sein kann. Bei der Beschneidung ist die Datenlage eindeutig: Wir verhalten uns ganz genauso irrational wie Impfgegner die die Gesundheit ihrer und anderer Kinder aufs Spiel setzen, während Juden und Moslems die Gesundheit ihrer Kinder fördern. Und das perverseste daran, unsere Justiz verbietet de facto eine Massnahme, die dem Wohl des Kindes dient.

  70. @Noït Atiga:

    “Impfungen sind insofern nur mit medizinisch indizierten Beschneidungen zu vergleichen”
    Nein. Medizinisch indizierte Beschneidungen sind höchstens mit Simultanimpfungen vergleichbar: In beiden Fällen gibt es eine absolute Indikation, d.h. es ist mit praktisch direkt mit einer negativen Auswirkung auf die Gesundheit zu rechnen, wenn die Massnahme nicht erfolgt.
    Nicht-medizinisch motivierte Beschneidungen sind dagegen durchaus mit Impfungen zu vergleichen. Das ist bestens durch die medizinische Fachliteratur gestützt.

  71. @Ano Nym (06.07.2012, 15:36):

    “”Wie wollen Sie die Motiation der Eltern ermitteln?”
    Liegt Ihnen eine andere Sachverhaltsdarstellung vor als den Medien? […]”
    Wir diskutieren hier nicht über den konkreten Fall, sondern über die Auswirkungen des Urteils. Momentan ist es jedenfalls so, dass wegen mangelnder Rechtssicherheit jeder vernünftige Arzt eine Beschneidung aus religiösen Gründen ablehnen würde. Wie soll sich denn ganz praktisch ein Arzt verhalten, wenn Eltern zu ihm gehen und sich eine Beschneidung aus medizinisch/ästhetisch/hygienischen Gründen wünschen, weil sie z.B. nach sorgfältiger Prüfung der medizinischen Fachliteratur zu dem Urteil gekommen sind, dass das für ihr Kind am besten ist? Soll dann der Arzt eine schriftliche Einverständniserklärung verlangen, in dem die Motive der Eltern detailliert beschrieben werden? Egal welche praktischen Lösungsansätze man sich hier ausdenkt, sie wären samt und sonders diskriminierend.

    “Wenn Sie mit Ihrem Kind zum Arzt gehen und dem Arzt sagen: „Bitte verabreiche meinem Kind die FSME-Impfung, weil ich mein Kind so gern weinen seh.“ liegt schon keine Einwilligung und damit natürlich eine strafbare KV vor.”
    Ich weiss nicht in welcher Welt Sie leben, aber in meiner Kindheit bestand die Einwilligung der Eltern daraus, dass sie die Einverständniserklärung zur Kinderlähmungsimpfung an den Schulen einfach unterschrieben haben, oder zum Arzt gegangen sind und gesagt haben “Ich will dass mein Kind gegen xyz geimpft wird”. Punkt. Nirgendwo mussten die Eltern die Motivation angeben.
    “Es wird dem Kind ein Schaden zugefügt. Der Schaden ist das fehlende Körperstück nach der Beschneidung verglichen mit dem Körperzustand bei unterbliebener Beschneidung + Traumatisierung etc. pp.”
    Ich bin überrascht, dass Sie z.B. auch die Entfernung eines bösartigen Tumors als Schaden bezeichnen würden. Aber selbst mit dieser Definition, sollte man so argumentieren können, dass man das Wohl des Kindes nicht aus den Augen verliert.

    “Sie möchten bitte “Kein Schaden” von “Dem Schaden steht ein (eventueller) Nutzen” gegenüber unterscheiden.”
    Warum? Medizinische Eingriffe sind per Definition mit einem Schaden (im juristischen Sinne) verbunden. Von daher ist eine Fallunterscheidung unnötig und es ist selbsterkärend in welchem Sinne ich das Wort “Schaden” verwendet habe. Wir können uns also diese Wortklauberei schenken: Ein medizinischer Eingriff der überwiegend von Nutzen für das Kind ist sollte auf Wunsch der Eltern durchführbar sein, ohne dass der Arzt eine Strafe fürchten müsste. Wenn Sie gegenteiliger Meinung sind, dann widersprechen Sie mir doch einfach, anstatt nur an Fachtermini rumzunörgeln.

  72. @Physiker

    Die von Ihnen oben zitierte Studie ist methodisch sehr angreifbar, ich will hier nur drei Probleme benennen.

    1. Die Auswahl der Literatur: A detailed examination was conducted of references from the first author’s lifetime collection, … Und wenn man weiß, dass der Autor ein Fan der Beschneidung ist…

    2. Es findet keine saubere Gegenüberstellung der absoluten Wahrscheinlichkeiten statt. Wenn die Wahrscheinlichkeit einer Krankheit nur bei 0.0085 % liegt (wie zu Punkt 3.7, Gehirntumoren laut UK-Daten), dann ist einer Reduktion auf ein Viertel (also 0.0021 %) trotzdem kein Argument für eine Operation an 100 % der Personen – zumal wenn bei der Beschneidung für 0.2 % – 10 % mit Komplikationen zu rechnen ist! (Das ist bewusst ein extremes Beispiel, aber in anderen Größenordnungen ist das Problem bei allen vorbeugenden Maßnahmen relevant, siehe zur Krebs-Vorsorge.)

    3. Probleme in der psychischen Entwicklung werden nicht einmal angesprochen. Wie man aber weiß, sind frühe Schmerzerfahrungen extrem einflussreich, und das ist umso tragischer, als dafür selbst kleinere Klapse genügen. Traumatisiert man aber alle Jungen, um einige wenige vor Krankheiten zu bewahren – dann ist das keinesfalls sinnvoll, sondern verändert die Gesellschaft als Ganze zum Negativen. Diese Frage spricht gegen die Indikation der Beschneidung, sie ist jedenfalls umfangreicher zu studieren bevor man sich dafür ausspricht.

    Und damit zu Ihrem letzten Einwurf: Bei Impfungen sind die Nachteile deutlich umfangreicher erforscht als bei der Beschneidung. Auch erfolgen Impfungen nicht am sensibelsten Körperteil, sondern an vergleichsweise unsensiblen und nicht die Identität der Person bestimmenden. Auch gehören die Impfstellen nicht zu jenem Teil des Menschen, über den von Kleinauf auch eine Beschäftigung mit sich selbst stattfindet und damit Selbstfindung.

    Damit bin ich aber wieder am Ausgangspunkt: medizinische Argumente sind jedenfalls heute Scheinargumente soweit es um die allgemeine Zulässigkeit geht. Die Diskussion sollte vielmehr zwischen Staat und Religionen erfolgen – mit dem Ziel der gegenseitigen Anerkennung und Annäherung…

  73. @Physiker: Sind Sie ein Fundamentalist?

    Wir diskutieren hier nicht über den konkreten Fall, sondern über die Auswirkungen des Urteils. Momentan ist es jedenfalls so, dass wegen mangelnder Rechtssicherheit jeder vernünftige Arzt eine Beschneidung aus religiösen Gründen ablehnen würde.

    Ihnen – wie vielen anderen auch – passt das Ergebnis nicht, weil Sie aus irgendeinem unvernünftigen Grund das religiös motivierte Beschneiden für gut halten. Deshalb suchen sie nach einer Umgehungsmöglichkeit und nicht nach einer Erklärung.

  74. Ano Nym (06.07.2012, 15:59):

    “Und so ist es nun im Kölner Sprengel auch mit dem Elternteil, das beim Arzt um eine Beschneidung ersucht, um das intakte Kind religiös zu stigmatisieren.”
    So wie Sie es formulieren, hätten Sie sogar recht, weil aus den Worten hervorgeht, dass es der alleinige Zweck ist, dem Kind zu schaden (“intakte Kind”, “stigmatisieren”). Sie unterstellen hier den Eltern eine unverfrorene Perversheit. Das grenzt schon an Rassismus. Ich denke, dass die überwiegende Mehrheit der Juden und Muslime die Jungen aus einer positiven Motivation heraus beschneidet – und das ist natürlich kein Grund, das Sorgerecht der Eltern infrage zu stellen (es sei denn der Eingriff wäre überwiegend zum Schaden des Kindes).
    „Der gesunde Menschenverstand ist eigentlich nur eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr erworben hat.“
    Das ist eine sehr perverse Art Geringschätzung für das Kindeswohl zum Ausdruck zu bringen.

  75. @Ano Nym: Und selbst wenn

    … ist es nicht trotzdem deutlich zielführender, in der Diskussion genau diese Gründe zu ergründen? Und zwar mit der Prämisse, dass aus der Perspektive derjenigen, die ihn vertreten, jeder Grund vernünftig ist?

    Schließlich kann man dann vielleicht manchen seiner eigenen oder fremder Gründe entkräften und soweit sie bestehen blieben viel sachlicher, viel gerechter und viel humaner abwägen.

  76. @Physiker: Brich nicht den Frieden!

    Sie unterstellen hier den Eltern eine unverfrorene Perversheit. Das grenzt schon an Rassismus.

    Ruhig, Brauner! Ich hatte folgendes geschrieben (mit besonderer Hervorhebung):

    „Beschneiden Sie mein Kind, es freut sich immer so, wenn es gestochen wird und ist dann den ganzen Tag glücklich.“

    Denken Sie sich irgendeinen nicht-medizinischen anderen Grund aus, der nicht mit einem sittlichen Unwerturteil Ihrerseits belegt ist.

    Nun weiter Sie:

    Ich denke, dass die überwiegende Mehrheit der Juden und Muslime die Jungen aus einer positiven Motivation heraus beschneidet –

    Der Täter hat bei der Tat ein gutes Gefühl. Ja, das soll vorkommen. Der eine identifiziert sich mit der Tat, der andere macht es wegen der drohenden Sanktionen für den Fall des Unterlassens.

    „Der gesunde Menschenverstand ist eigentlich nur eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zum 18. Lebensjahr erworben hat.“
    Das ist eine sehr perverse Art Geringschätzung für das Kindeswohl zum Ausdruck zu bringen.

    Die Stigmatisierung des Kindes, um es in den Stand des religiösen Vollmitglieds zu erheben, stellt keinen Vorteil für das Kind dar, dient mithin nicht dem Kindeswohl.

  77. @Noït Atiga: Es ist bereits alles gesagt

    Und zwar mit der Prämisse, dass aus der Perspektive derjenigen, die ihn vertreten, jeder Grund vernünftig ist?

    Ano Nym 05.07.2012, 17:49

    „Ich habe den Eindruck, sie möchten den betroffenen Religionsgemeinschaften irgendwie nahelegen oder vorschreiben, wie sie – zumindest dem Anschein nach – argumentieren sollten, damit sie ihre Praxis fortsetzen können. Mir ist im Moment nicht klar, welches Interesse man da haben muss, um einen solchen Wunsch zu entwickeln.“

    Physiker 10.07.2012, 17:47

    „Richtig erkannt. Es gibt dafür mehrere Interessen:
    1.) ein freundschaftliches und friedliches Zusammenleben mit Anhängern verschiedener Glaubensrichtungen.
    2.) eine Lösung zu finden in der die Glaubensfreiheit auch weiterhin praktiziert werden kann.
    3.) eine bessere Welt, in der es weniger Krankheiten gibt.“

    Wenn “man” die religiöse Beschneidungspraxis straffrei weiterlaufen lassen will, muss man Art. 136 Abs. 1 WRV (wieder) ins zweite Glied verweisen oder einen Erlaubnistatbestand ins Gesetz schreiben. Aber für das Rumeiern mit vorgeschobenen medizinischen Gründen habe ich wenig Verständnis.

  78. @Ano Nym: Glaube ich nicht

    Auf juristischem Gebiet stimme ich Ihnen überwiegend zu und habe ja oben schon mehrfach dargelegt, dass ich die medizinischen Argumente in diesem Zusammenhang für Scheinargumente halte.

    Allerdings glaube ich nicht, dass die soeben von Ihnen zitierten Gründe alle wichtigen Gründe sind. Sie wurden von @Physiker angeführt, aber meist sind die uns bewussten Gründe ja auch nur ein Teil der wirklichen.

    Ich hätte z.B. noch ein weiteres, was mich als Menschen stört (also bitte keine juristischen Erwiderungen darauf): Wieso können 3 Richter den Religionen vorschreiben, was sie tun dürfen und lassen müssen?

  79. @Noït Atiga: ?

    Ich hätte z.B. noch ein weiteres, was mich als Menschen stört (also bitte keine juristischen Erwiderungen darauf): Wieso können 3 Richter den Religionen vorschreiben, was sie tun dürfen und lassen müssen?

    Vielleicht verstehe ich Ihre Frage nicht richtig, aber die drei Richter würden doch wohl feststellen, dass nicht sie es sind, die etwas vorschreiben, sondern dass es das geltende Recht und Gesetz ist, an dem sich Dürfen und Lassenmüssen zu orientieren hat. Recht und Gesetz stammen vom Souverän und werden als sein Wille gedeutet.

  80. @Ano Nym: Juristisch ja, aber menschlich

    Juristisch haben Sie Recht und juristisch würde ich das auch feststellen. Aber menschlich?

    Bisher hat doch (fast) niemand öffentlich die Beschneidung von Jungen kritisiert. Oder gar als unzulässig bezeichnet. Auch nicht die Vertreter des “Souveräns”. Es kommt doch erstmal überraschend und wird daher intuitiv nur den Richtern oder den Juristen zugerechnet. Es kommt nicht vom Volk.

    Ich habe oben schon viele der damit verbundenen Probleme angesprochen und auch als Versäumnisse auf beiden Seiten bezeichnet. Und ich glaube, dass wir als Gesellschaft diese Störung brauchten. Denn wir Menschen haben alle unsere Brillen und um die abzusetzen müssen wir ent-täuscht werden. Die Religionen sind enttäuscht, sie und andere wollen die Täuschung dadurch rückgängig machen, dass sie die Praxis irgendwie rechtfertigen – und aus menschlicher Perspektive ist das verständlich, ist das nicht irrational und nicht unvernünftig.

    Mit solchen Bewertungen oder Vorwürfen kommen wir nicht weiter. Ich glaube vielmehr, dass wir uns um die Aufdeckung all dieser Gründe bemühen müssen, auch der uneingestandenen Ängste. Und dazu gehören Ent-Täuschungen auf beiden Seiten ebenso wie das Verständnis für die daraus resultierenden Emotionen. Die sind evolutionär vernünftig! Und nur wenn wir sie grunsätzlich annehmen, nur dann können wir Brücken bauen. Auch wenn wir natürlich alle auch immer mal emotional reagieren (dürfen)…

  81. @Noït Atiga: peinlicher gehts nicht mehr

    “Die von Ihnen oben zitierte Studie ist methodisch sehr angreifbar, ich will hier nur drei Probleme benennen.”
    Das ist keine Studie, sondern ein Review. Und Reviews sind Zusammenfassungen des Standes der Wissenschaft – da gibt es nichts, was “methodisch angreifbar” wäre, weil sich ein Review sowieso nur als Zusammenfassung sieht und die Einzelresultate in den referenzierten Arbeiten nachgelesen werden können.

    “1. Die Auswahl der Literatur: A detailed examination was conducted of references from the first author’s lifetime collection,”
    Es spricht nichts dagegen als Wissenschaftler Zitate zu sammeln.

    “… Und wenn man weiß, dass der Autor ein Fan der Beschneidung ist…”
    Krasser Einwand – zählen also nur noch Arbeiten von Beschneidungsgegner? Das ist doch nicht Ihr ernst – wissen Sie überhaupt wie Wissenschaft funktionniert?

    “2. Es findet keine saubere Gegenüberstellung der absoluten Wahrscheinlichkeiten statt.”
    Die Tabbele 1 ist genau das, was sie suchen, schauen Sie einfach in die Spalte NNT und NNH!

    “Wenn die Wahrscheinlichkeit einer Krankheit nur bei 0.0085 % liegt (wie zu Punkt 3.7, Gehirntumoren laut UK-Daten)”
    Das ist nicht Ihr ernst, oder?
    a) In der Studie geht es um Gebärmutterhalskrebs (cervical cancer) und nicht um Gehirntumore!
    b) Die 0.0085% gelten pro Jahr – die Zahl muss also in erster Näherung mit der Lebenserwartung multipliziert werden!

    “dann ist einer Reduktion auf ein Viertel (also 0.0021 %) trotzdem kein Argument für eine Operation an 100 % der Personen”
    In der Tabelle sind 15 Punkte aufgeführt, für die Sie direkt ablesen können, wieviele Kinder beschnitten werden müssen, um einen Fall der jeweiligen Krankheit zu verhindern. Warum greifen Sie sich ausgerechnet eine Krankheit heraus, zu der aus simplen Gründen keine Daten angegeben werden können? Oder muss ich jetzt echt erklären, warum Männer keinen Gebärmutterhalskrebs bekommen können?

    “zumal wenn bei der Beschneidung für 0.2 % – 10 % mit Komplikationen zu rechnen ist!”
    Es geht dabei um kleine blaue Flecken, die auch bei jeder Impfung oder Blutabnahme entstehen können. Das sind keine Komplikationen!

    “(Das ist bewusst ein extremes Beispiel, aber in anderen Größenordnungen ist das Problem bei allen vorbeugenden Maßnahmen relevant, siehe zur Krebs-Vorsorge.)”
    Nur 4 Beschneidungen verhindern einen Fall von Harnwegsinfektion.
    Nur 6 Beschneidungen verhindern einen Fall von Prostatakrebs.
    Nur 5 Beschneidungen verhindern einen Fall von hoch-Risiko-HPV.
    Nur 2 Beschneidungen verhindern einen Fall von Genitalherpes.
    Nennen Sie mir irgendeine Impfung/Vorsorgemassnahme, die auch nur annähernd soviel (absolutes) Leid verhindern kann.

    “3. Probleme in der psychischen Entwicklung werden nicht einmal angesprochen.”
    Weil es dafür nicht die geringste Evidenz gibt.

    “Wie man aber weiß, sind frühe Schmerzerfahrungen extrem einflussreich”
    Wozu spritzt man dann ein Anästhetikum und nimmt die obigen blauen Flecken als Nebenwirkung in kauf?

    “Bei Impfungen sind die Nachteile deutlich umfangreicher erforscht als bei der Beschneidung.”
    Blödsinn. Fast 1/3 der Weltbevölkerung ist beschnitten. Nachteile sind also bestens erforscht. Ganz im Gegensatz zu den überraschenden Nebenwirkungen des Schweingegrippe-Impfstoffs…

    Ihre restlichen Ausführungen sind genauso unsinnig wie der von mir kommentierte Teil. Sie haben aber auch wirklich kein einziges Fettnäpfchen ausgelassen.

  82. @beide Juristen:

    “Aber für das Rumeiern mit vorgeschobenen medizinischen Gründen habe ich wenig Verständnis.”
    Medizinische Gründe sind für Sie unbedeutend?

    @Ano Nym:
    Wie definieren Sie das Kindeswohl?
    “Die Stigmatisierung des Kindes, um es in den Stand des religiösen Vollmitglieds zu erheben, stellt keinen Vorteil für das Kind dar, dient mithin nicht dem Kindeswohl.”
    Wie kommen Sie darauf? Um diese Behauptung zu belegen, müssen Sie a) zeigen, dass es sich um eine “Stigmatisierung” handelt und b) zeigen, dass ein medizinisch sinnvoller Eingriff dem Kindeswohl nicht dient.

  83. @Ano Nym: Wortwahl

    “Ruhig, Brauner! Ich hatte folgendes geschrieben (mit besonderer Hervorhebung):”
    Nein. Ich bezog mich ganz klar auf diesen Satz von Ihnen:
    “Und so ist es nun im Kölner Sprengel auch mit dem Elternteil, das beim Arzt um eine Beschneidung ersucht, um das intakte Kind religiös zu stigmatisieren.”
    Sie unterstellen in diesem Satz dem Elternteil, dass es ein “intaktes Kind” religiös “stigmatisieren” will – d.h. mit Absicht dem Kind Schaden zufügen will. Oder laut Duden (Synonyme von “stigmatisieren”): brandmarken, ächten, an den Pranger stellen,…
    Damit unterstellen sie dem Elternteil eine perverse Motivation – es will Nachteile für das Kind. Das halte ich immer noch für grenzwertig rassistisch. Ihre an mich gerichtete Beleidigung und Ihr Versuch den Diskussionsverlauf zu verdrehen, machen es auch nicht besser.

  84. @Noït Atiga: Vom Volk???

    Es kommt nicht vom Volk.

    So wie das Leistungsschutzrecht der Presseverlage, die Änderungen des Melderechts, die Vorratsdatenspeicherung und dergleichen?

  85. @Physiker: kindeswohlneutral

    “Die Stigmatisierung des Kindes, um es in den Stand des religiösen Vollmitglieds zu erheben, stellt keinen Vorteil für das Kind dar, dient mithin nicht dem Kindeswohl.”
    Wie kommen Sie darauf?

    Putzke in der Rezension der Dissertation Schneiders: „Herzberg hat klar herausgearbeitet, dass religiöse Aspekte bei der Abwägung von Vor- und Nachteilen für die Beurteilung des Kindeswohls außer Betracht bleiben müssen, sie kindeswohlneutral sind.“

    Um diese Behauptung zu belegen, müssen Sie a) zeigen, dass es sich um eine “Stigmatisierung” handelt und b) zeigen, dass ein medizinisch sinnvoller Eingriff dem Kindeswohl nicht dient.

    Nein, das muss ich nicht. Wer eine Wirkung behauptet, ist beweispflichtig. Das gilt für Homöopathen genauso wie für religiöse Beschneider.

  86. @Physiker

    Je mehr wissenschaftliche Publikationen man liest, desto eindeutiger zeigt sich das Gesamtbild.
    […]
    In der wissenschaftlichen Literatur gibt es keine ernst zu nehmenden Gegenstimmen zu dieser Konsensmeinung. Die Evidenz ist einfach überwältigend.

    Damit haben Sie die Grenze zur Unwahrheit lang überschritten:
    http://de.wikipedia.org/…_in_Gro.C3.9Fbritannien
    http://m.aerzteblatt.de/print/61273.htm

    Zudem ist es intellektuell unredlich, mit medizinischen Gesichtspunkten zu argumentieren, wenn man eigentlich nur einen massiv in Kindesrecht eingreifenden, religiösen Ritus schützen will.

  87. @Physiker: Stigma

    “Und so ist es nun im Kölner Sprengel auch mit dem Elternteil, das beim Arzt um eine Beschneidung ersucht, um das intakte Kind religiös zu stigmatisieren.”
    Sie unterstellen in diesem Satz dem Elternteil, dass es ein “intaktes Kind” religiös “stigmatisieren” will – d.h. mit Absicht dem Kind Schaden zufügen will. Oder laut Duden (Synonyme von “stigmatisieren”): brandmarken, ächten, an den Pranger stellen,…

    http://www.duden.de/rechtschreibung/stigmatisieren

    „mit einem Stigma (1) belegen;“

    http://www.duden.de/rechtschreibung/Stigma

    „(bildungssprachlich) etwas, wodurch etwas oder jemand deutlich sichtbar in einer bestimmten, meist negativen Weise gekennzeichnet ist und sich dadurch von anderem unterscheidet“

    Abgesehen davon ist die Schädigungsabsicht der Eltern offensichtlich. Die Schädigung (Entfernung der Vorhaut) ist ja gerade das gewählte Mittel der Initiation und dessen Tatbestandlichkeit war hier (zumindest zeitweise) unumstritten.

    Damit unterstellen sie dem Elternteil eine perverse Motivation – es will Nachteile für das Kind.

    Dass die Schädigung und der Schmerz billigend in Kauf genommen wird ist keine Einbildung von mir. Ich würde das nicht als “pervers” verurteilen, das ist Ihre Wortwahl. Die Eltern und Sie bilden sich durch die Initiation Vorteile ein oder schützen solche vor, die die offensichtlichen Schäden aufzuwiegen in der Lage sein sollen. Die Zulässigkeit dieser Abwägung wird durch das Urteil in Abrede gestellt, was ich für nachvollziehbar halte.

    Das halte ich immer noch für grenzwertig rassistisch.

    ?

    Ihre an mich gerichtete Beleidigung und Ihr Versuch den Diskussionsverlauf zu verdrehen, machen es auch nicht besser.

    Ich bin sofort bereit mich für eine Beleidigung zu entschuldigen. Vielleicht können wir meinen offensichlichen Bezugsfehler beseitigen, mir ist jedenfalls dort nicht an persönlichen Beleidigungen gelegen, wo diese nicht erforderlich sind.

  88. @Physiker: Lieben Sie zu verletzen?

    Oder scheint es nur so, dass Sie andere lächerlich machen müssen? Ich habe mich oben bei der Übersetzung geirrt, ja – aber Sie haben sich in der Diskussion vorher vielfach geirrt (wie auch im obigen Post) und ich habe Ihre Sicht nicht als unsinnig bezeichnet. Vielleicht könnten wir an der Diskussionskultur arbeiten. Zur Sache:

    1. Ein Review ist auch eine Studie – eine Meta-Studie!
    Und dort möchte man als Leser keineswegs alle Studien nachlesen, sondern sich schnell und sauber informieren können – sonst geht das auch meistens, denn hier:

    2. Für eine Meta-Studie ist methodisch sauber ALLE verfügbare Literatur auszuwerten, nicht nur die von einer Person gesammelten Aufsätze. Eine solche Sammlung wird nämlich zwingend von den Vorstellungen des Sammelnden beeinflusst – daher mein Verweis auf die Einstellung des Autors. Hätte er die Literatur methodisch sauber zusammengestellt, dann hätte ich diesen Einwand nicht gebracht – auch wenn die Einstellung trotzdem das Ergebnis beeinflusst, denn kein Wissenschaftler kann rein objektiv sein.

    3. Diese Ungenauigkeiten setzen sich bei den angeblich absoluten Wahrscheinlichkeiten fort – im Text werden diese nicht diskutiert, und die Tabelle ist unsauber (oben wollte ich aber nicht alle Details auswalzen). Sie gibt nämlich Zahlen an, deren Quellen nicht nachvollziehbar sind – und dwohl auch als Zahlen so nicht nachvollziehbar. Gerade bei einer Meta-Studie muss man aber auf die Belastbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Daten achten!

    Ich kann das jetzt nicht für alle Studien tun. Aber allein die für cervical cancer und dessen Verhältnis herangezogene (83) Studie gibt weniger her als die Autoren zitieren. Und andere Studien scheinen dieses Verhältnis nicht gleichermaßen zu finden, denn sonst hätten die Autoren sie dafür im Text zitiert. Aber selbst diese Studie 83 findet (was in der Meta-Studie nicht erwähnt wird):

    Male circumcision was associated with a moderate, but nonsignificant, decrease in the risk of cervical cancer in the men’s female partners…
    Also selbst nach dieser Studie gab es KEINEN statistisch relevanten Zusammenhang für alle Männer. Signifikante Unterschiede wurden nur bei den (in der Studie sogenannten) Hoch-Risiko-Männern gefunden – und da hat Frau die Wahl und in Deutschland dürften dort oft Verhüterli, Hygiene und Klima das Problem massiv entschärfen.

    Die Autoren der Meta-Studie geben das vierfache Risiko, was die Studie nur für Hoch-Risiko-Männer ermittelt hat, aber ganz selbstverständlich (ohne jede weitere Diskussion) in die Tabelle für das Risiko von Gebärmutterhalskrebs an. Der geringste Vorwurf ist also der, dass sie jeweils die für ihre Ansicht günstigsten Zahlen verwenden. Sonst müssten sie nämlich bei einem derart umstrittenen Gebiet Spannbreiten angeben!

    Die gesamte Meta-“Studie” riecht daher eher nach Polemik, denn nach Wissenschaft (umso mehr, als es zahlreiche gegenteilige Ansichten gibt). Dass sie peer-reviewed ist, das hat insofern nur wenig Einfluss (unabhängig davon, dass ich den Status des recht neuen Jounals nicht beurteilen kann) – denn kein Wissenschaftler kann sich alle für eine Meta-Studie verwendeten Studien anschauen…

    4. Was meine Auswahl anging, so war sie teils mit meinem Übersetzungsfehler begründet. Andererseits wollte ich das in den Medien fast immer vergessene Problem an deutlichen Zahlen illustrieren.
    Bei Gebärmutterhalskrebs stellt sich aber noch eine ganz andere Frage im Zusammenhang mit der Beschneidung: Finnland hat die niedrigste Rate von Gebärmutterhalskrebs – und ist doch eines der Länder, die sich gegen Beschneidung wenden. Vermutlich hängt doch vieles am medizinischen Standard.

    5. Was die Komplikationen angeht – das sind nicht nur kleine blaue Flecke, ich verweise Sie dazu auf Wikipedia mit den dortigen Nachweisen.

    6. Dort finden Sie auch Studien zur psychischen Auswirkung der Beschneidung – und diese Studien dürften wohl Evidenz genug sein. Zumal selbst unter Narkose vorgenommene Operationen nicht ohne Spuren im Schmerzgedächtnis bleiben! Ja, in einer Studie zeigte sogar über die Hälfte der Jungen Anzeichen einer postraumatischen Belastungsstörung…

    7. Von Erforschung der Folgen kann trotz eines Drittels der Weltbevölkerung nicht gesprochen werden. Gerade zu den indirekten Nebenwirkungen fehlen aussagekräftige Studien – schon weil derartige Studien methodisch extrem schwierig bis unmöglich sind. Die bei Jaermann (unter Intimes) angesprochene Verlust des Vertrauens ganz zu Beginn des Lebens dürfte gerade für das biologisch schwache Geschlecht nicht ohne Konsequenzen sein – damit indirekt auch nicht für die Frauen…

    Ich hoffe, Sie gestehen mir jetzt zu, dass ich einen Fehler gemacht habe – aber ansonsten keineswegs nur über Fettnäpfchen schrieb. Und daher weise ich sie noch kurz auf Ihre Abschreibfehler oben bei den Zahlen hin – zukünftige Leser sollten sich dann doch besser die schlechte Meta-Studie zu Gemüt zu führen. Insgesamt aber sind ausgewogenere Studien wie etwa die der Königlich-Niederländischen Ärztevereinigung zu empfehlen.

  89. @Ano Nym: Vom Volk??? Na-ja.

    Das oben (10.07.2012, 21.47) Aufgeworfene kommt letztlich vom Volk. Das kann und muss man dem Volk zurechnen, wenn es denn solche Politiker wählt (oder wählen lässt)… Aber damit kommen wir dann doch sehr weit vom Thema ab.

  90. @Ano Nym (10.07.2012, 21:58):

    “Herzberg hat klar herausgearbeitet, dass religiöse Aspekte bei der Abwägung von Vor- und Nachteilen für die Beurteilung des Kindeswohls außer Betracht bleiben müssen, sie kindeswohlneutral sind.”
    Damit bin ich natürlich einverstanden, denn das war ja gerade meine Ausgangsthese. Was mich störte, war die Verneinung “nicht dem Kindeswohl” die im allgemeinen Sprachgebrauch anders interpretiert wird. Egal. Ich verstehe Ihre Argumentation in diesem Punkt trotzdem nicht: Ich bringe medizinische Gründe, und Sie wenden daraufhin ein, dass religiöse Gründe kindeswohlneutral sind. Dafür ernten Sie von mir ein entschiedenes “Ja und?”
    “”Um diese Behauptung zu belegen, müssen Sie a) zeigen, dass es sich um eine “Stigmatisierung” handelt und b) zeigen, dass ein medizinisch sinnvoller Eingriff dem Kindeswohl nicht dient.”
    Nein, das muss ich nicht.”
    Ich erkläre nochmal was ich mit a) meine:
    Meinetwegen entsteht bei jedem medizinischen Eingriff dem juristischen Sprachgebrauch zufolge ein Schaden. Z.B. also auch bei der Entfernung eines bösartigen Tumors. Würden Sie aber ernshaft die Entfernung eines Tumors als “Stigmatisierung” bezeichnen? Ich nicht – gerade wegen der negativen Konnotation dieses Wortes. Deshalb finde ich diesen Kampfbegriff “Stigmatisierung”
    in der Diskussion nicht hilfreich. b) siehe oben.

  91. @Spritkopf:

    http://de.wikipedia.org/…_in_Gro.C3.9Fbritannien
    Dieser Wikipedia-Eintrag ist falsch/irreführend. Davon können Sie sich hier überzeugen:
    http://bma.org.uk/…pport-at-work/ethics/children
    Die BMA behauptet in der aktuellen Stellungnahme von 2006 (was veraltet ist, da die WHO Empfehlung von 2009 ist) dass es keinen Konsens zur Beschneidung gäbe. Ausserdem finden sich in dem betreffenden Abschnitt zu den Gesundheitsaspekten keine Referenzen, die die Behauptung der BMA stützen.

    http://m.aerzteblatt.de/print/61273.htm
    Siehe zur Diskussion dieses Artikels weiter oben.
    “Zudem ist es intellektuell unredlich, mit medizinischen Gesichtspunkten zu argumentieren, wenn man eigentlich nur einen massiv in Kindesrecht eingreifenden, religiösen Ritus schützen will.”
    Es geht nicht um den Schutz von Riten, sondern um das Kindeswohl. Und dabei spielen ausschliesslich medizinische Aspekte eine Rolle. Und wenn der Ritus insgesamt einen gesundheitsförderlichen Effekt hat, warum muss dann der Staat eingreifen?

    Übrigens, selbst wenn der Effekt in der wissenschaftlichen Literatur umstritten wäre, sollte ein Eingreifen des Staates nicht gerechtfertigt sein.

  92. @Physiker

    http://de.wikipedia.org/…_in_Gro.C3.9Fbritannien
    Dieser Wikipedia-Eintrag ist falsch/irreführend. Davon können Sie sich hier überzeugen:
    http://bma.org.uk/…pport-at-work/ethics/children

    Dann zitiere ich mal aus dem von Ihnen angegebenen Link: “Circumcising male babies and children at a parent’s request is an increasingly controversial area and there are strongly opposing views about circumcision in society and within the BMA membership.”

    Wo sehen Sie hier Eindeutigkeit und “keine ernst zu nehmenden Gegenstimmen zu dieser Konsensmeinung”, dass Beschneidung sinnvoll sei?

    Es geht nicht um den Schutz von Riten, sondern um das Kindeswohl. Und dabei spielen ausschliesslich medizinische Aspekte eine Rolle.

    Sie argumentieren mit medizinischen Folgen, die überhaupt nicht im Kindesalter wirksam werden. Ein erhöhtes AIDS-Risiko wird, wenn überhaupt, erst wirksam, wenn die betroffene Person eigenverantwortlich über Behalt oder Entfernung der Vorhaut entscheiden kann. Ganz zu schweigen von Peniskrebs, welcher extrem selten auftritt und wenn, dann üblicherweise erst ab dem 60. Lebensjahr.

    Schon daran ist abzulesen, dass es Ihnen gar nicht um das Kindeswohl geht. Es geht Ihnen darum, Religionen vor der lästigen Auffassung zu bewahren, dass Kindesrechte höher einzustufen seien als die Freiheit der Eltern, für ihr Kind religiöse Entscheidungen zu treffen, selbst wenn diese massiv in die körperliche Integrität eingreifen. Und dafür reden Sie einen “überwältigenden medizinischen Konsens” herbei, den es gar nicht gibt. Das ist es, was ich mit intellektueller Unredlichkeit bezeichne.

  93. Noït Atiga: Vom Volk

    Das [Leistungsschutzrecht, Vorratsdatenspeicherung] kann und muss man dem Volk zurechnen, wenn es denn solche Politiker wählt (oder wählen lässt)…

    Umfasst die Zurechnung nicht auch alle anderen Wähler, die nicht diese Politiker (sondern andere zur Verfügung stehende) wählt? Immerhin erklärt sich der Wähler doch bereit, das Ergebnis der Wahl (die Mehrheit) zu respektieren.

  94. @Noït Atiga: Abschweifen

    Aber damit kommen wir dann doch sehr weit vom Thema ab.

    Michael Blume freut sich bestimmt darüber, wenn in seinem Blog über Gott und die Welt diskutiert wird 😉

  95. @Physiker: Kindeswohl

    Ich verstehe Ihre Argumentation in diesem Punkt trotzdem nicht: Ich bringe medizinische Gründe, und Sie wenden daraufhin ein, dass religiöse Gründe kindeswohlneutral sind. Dafür ernten Sie von mir ein entschiedenes “Ja und?”

    Ich will nicht ausschließen, mich hier erneut auf etwas zu beziehen, was Sie nicht meinen, aber die Kindeswohlneutralität habe ich nicht nach oder wegen eines medizinischen Grunds ins Spiel gebracht, sondern hier:

    10.07.2012, 21:58

    “Die Stigmatisierung des Kindes, um es in den Stand des religiösen Vollmitglieds zu erheben, stellt keinen Vorteil für das Kind dar, dient mithin nicht dem Kindeswohl.”
    Wie kommen Sie darauf?

    Putzke in der Rezension der Dissertation Schneiders: „Herzberg hat klar herausgearbeitet, dass religiöse Aspekte bei der Abwägung von Vor- und Nachteilen für die Beurteilung des Kindeswohls außer Betracht bleiben müssen, sie kindeswohlneutral sind.“

    Ich schreibe über die Hinzufügung des Stigmas mit dem Zweck, die Initiation durchzuführen. Gewolltes (Haupt)ergebnis dieser Stigmatisierung ist das Fehlen der Vorhaut. Das ist das Ziel, die Beschneidung das Mittel.
    Das Ziel selbst ist wieder Mittel, weil es die Initiation vermittelt.

    Eventuelle Kollateralschaden oder -nutzen sind dabei – sofern sie gewusst werden – billigend in Kauf genommen, sie sind aber weder Grund noch Auslöser der rituellen Beschneidung, noch Zweck oder Mittel.

    Der Denkfehler liegt auf Ihrer Seite. Er besteht darin, irrig anzunehmen, dass in der juristischen Betrachtung des Sachverhalts bereits auf der Tatbestandsebene eine Saldierung von Nutzen und Schaden stattfindet.

    Ich erkläre nochmal was ich mit a) [Stigmatisierung] meine:
    Meinetwegen entsteht bei jedem medizinischen Eingriff dem juristischen Sprachgebrauch zufolge ein Schaden. Z.B. also auch bei der Entfernung eines bösartigen Tumors. Würden Sie aber ernshaft die Entfernung eines Tumors als “Stigmatisierung” bezeichnen? Ich nicht – gerade wegen der negativen Konnotation dieses Wortes. Deshalb finde ich diesen Kampfbegriff “Stigmatisierung”
    in der Diskussion nicht hilfreich. b) siehe oben.

    Wir können ein anderes Wort verwenden. Nehmen wir “Distinguierung”?

    Die Eltern lassen die rituelle Beschneidung zum Zwecke der Distinguierung durchführen: Es soll ein (auch nachprüfbares?) Körpermerkmal geschaffen werden, dass für die Initiation (mit)konstitutiv ist. In der durch die Distinguierung geschaffenen Vollmitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft liegt kein Vorteil fürs Kind.

    Bei einer Entfernung eines Tumors gibt es nicht den Zweck der Schaffung einer Vollmitgliedschaft. Was aber nicht ausschließt, dass eine Tumorentfernung im sichtbaren Bereich als Stigma empfunden werden kann.

  96. @Physiker: Heuchelei

    Es geht nicht um den Schutz von Riten, sondern um das Kindeswohl.

    “Es geht um” bezeichnet den Zweck einer Sache!

    Wer sind die Beteiligten der Debatte und wem genau geht es dabei um das Kindeswohl? Machen Sie doch mal eine “Stakeholder-Analyse”!

    Es ist nun weder rassistisch noch falsch zu behaupten, dass es den Vertretern der beschneidenden Religionen darum geht, die rituelle Beschneidung auch weiterhin straffrei durchführen zu können.

    Ihre eigene Position haben Sie ja auch bereits deutlich gemacht:

    Ano Nym 05.07.2012, 17:49

    „Ich habe den Eindruck, sie möchten den betroffenen Religionsgemeinschaften irgendwie nahelegen oder vorschreiben, wie sie – zumindest dem Anschein nach – argumentieren sollten, damit sie ihre Praxis fortsetzen können.“

    Physiker 05.07.2012, 19:31

    „Richtig erkannt.“

    Wem es in der Hauptsache also gerade nicht ums Kindeswohl geht, sondern wer das nur vorschützt und das einfache Recht instrumentalisiert, der argumentiert unredlich.

  97. Was mich doch wundert…

    … gegen die vom Physiker vorgebrachten medizinischen Vorteile der Beschneidung (die sicher dazu beigetragen haben, daß diese Tradition sich überhaupt erfolgreich in 2 Weltreligionen ausgebreitet hat) werden kurz zusammengefaßt immer nur 2 Gegenargumente endlos wiederholt:

    1. der Schmerz
    und
    2. das Stigma

    Dazu kann ich nur sagen:
    1. wozu gibt es Narkose? Ich habe gerade eine OP hinter mir an der einzigen Stelle des Mannes, die wohl noch empfindlicher ist als der Penis, nämlich am Sack – guess what, die wurde unter örtlicher Betäubung durchgeführt. Die medizinisch indizierte Teilbeschneidung als Kind war dagegen unter Vollnarkose. Es ist also beides machbar, ja nach Patient.

    2. Stigma? Wenn wir hierzulande immer noch den galoppierenden Antisemitismus hätten und männliche Juden die einzigen beschnittenen Personen wären, ja, dann würde eine Beschneidung die Gefahr erhöhen, in’s Ghetto oder in’s Lager gesteckt zu werden. Aber zum einen tarnt der Antisemitismus sich heute als Antizionismus, d.h., er richtet sich weniger gegen Juden hier als gegen Juden in Israel, und zum anderen gibt es so viele Gruppen, denen ein beschnittener Mann angehören kann:
    – US-Amerikaner
    – säkuläre Moslems
    – fanatische Islamisten
    – säkuläre Juden
    – fromme Juden
    – Phimose-Patienten
    – Männer, die “ohne” einfach schöner finden
    – und und und…

    … es ist also längst nicht so, daß man ohne Vorhaut (oder mit “reduzierter” Vorhaut, muß ja nicht immer gleich alles ab) eindeutig _*einer*_ bestimmten, diskriminierten Gruppe zugeordnet werden könnte.

    Wer Islamisten-feindlich ist, kann durchaus Juden-freundlich und Amerika-freundlich sein – und umgekehrt. Es gibt kaum eine Gruppe (von NPD-Sympathisanten abgesehen) für die ein beschnittenes Glied ein echtes Stigma im Sinne eines Freund-Feind-Erkennungsmerkmales wäre.

  98. @Noït Atiga (11.07.2012, 00:39):

    “Ich habe mich oben bei der Übersetzung geirrt”
    Das ist nicht meine Hauptkritik. Das kann jedem passieren. Die anderen von mir kritisierten Schnitzer sind viel schwerwiegender. Und dass Sie das nicht erkennen, unterstreicht nur noch mal dass Sie nicht wissen, wie Wissenschaft funktioniert.

    “1. Ein Review ist auch eine Studie – eine Meta-Studie!”
    Nein. Eine Meta-Studie wertet einen Sachverhalt neu aus – ein Review liefert nur eine Zusammenfassung. Genau diese Tatsache macht einen Review so überaus immun gegenüber Kritik.
    “2. Für eine Meta-Studie ist methodisch sauber ALLE verfügbare Literatur auszuwerten, nicht nur die von einer Person gesammelten Aufsätze.”
    Abgesehen davon, dass Ihre Forderung überzogen ist, werden die objetiven Kriterien genannt, nach denen die Literatur für diesen Review ausgewählt wurde und daran gibt es nichts zu kritisieren. In der Physik ist so eine Angabe übrigens absolut unüblich, da es selbstverständlich ist, dass alle relevanten Arbeiten auf diesem Gebiet zitiert werden – sonst käme der Review niemals doch den Peer-Review-Prozess.

    “Eine solche Sammlung wird nämlich zwingend von den Vorstellungen des Sammelnden beeinflusst”
    Wie gesagt, das ist ein unwissenschaftlicher Vorwurf.

    “Hätte er die Literatur methodisch sauber zusammengestellt”
    Wie wollen Sie das als Laie einschätzen? Das ist ein typischer Fall von Selbstüberschätzung. Nur Experten können das beurteilen – genau deswegen gibt es ja den Peer-Review-Prozess.

    “3. Diese Ungenauigkeiten setzen sich bei den angeblich absoluten Wahrscheinlichkeiten fort – im Text werden diese nicht diskutiert,”
    Dazu gibt es ja die Tabelle. Warum soll die Tabelle zusätzlich nochmal in Textform wiederholt werden, wenn sie so selbsterklärend ist, dass sogar ich als Physiker alle relevanten Informationen herauslesen kann?

    “Sie [die Tabelle] gibt nämlich Zahlen an, deren Quellen nicht nachvollziehbar sind”
    Das ist starker Tobak. Ich vermute eher, dass Ihnen die Kompetenz fehlt und Sie ihre Fähigkeiten hoffnungslos selbstüberschätzen.

    “Aber allein die für cervical cancer und dessen Verhältnis herangezogene (83) Studie gibt weniger her als die Autoren zitieren.”
    Das was die Autoren zitieren, steht fast wortwörtlich so in der Studie. Und so gehört sich das auch für einen Review.

    “Und andere Studien scheinen dieses Verhältnis nicht gleichermaßen zu finden, denn sonst hätten die Autoren sie dafür im Text zitiert.”
    Das ist nichts als Mutmassung.

    “Also selbst nach dieser Studie gab es KEINEN statistisch relevanten Zusammenhang für alle Männer.”
    Sie haben die Studie und die Methode zur Eleminierung von Störfaktoren nicht verstanden. Wenn der Partner einer nicht-monogam lebenden Frau momentan gerade beschnitten ist, dann erwartet man ja auch keinen/kaum einen Effekt. Man kann doch nicht für eine Studie jeden ehemaligen Geschlechtspartner ausfindig machen und überprüfen, ob er beschnitten ist oder nicht.

    “Der geringste Vorwurf ist also der, dass sie jeweils die für ihre Ansicht günstigsten Zahlen verwenden.”
    Nein. Die Zahlen müssen von sog. Confoundern bereinigt werden.

    “Die gesamte Meta-“Studie” riecht daher eher nach Polemik, denn nach Wissenschaft”
    Nein. Sie haben auch hier wieder kein Fettnäpfchen ausgelassen.

    “kein Wissenschaftler kann sich alle für eine Meta-Studie verwendeten Studien anschauen…”
    Abgesehen davon, dass Peer-Reviewer vom Fach sein sollten und deshalb sehrwohl auch einen Überblick über die Literatur haben, würden so fundamentale Vorwürfe (wie z.B., dass der Autor ein befangener Crank wäre) sehrwohl auffallen.
    “Finnland hat die niedrigste Rate von Gebärmutterhalskrebs”
    Das ist falsch. Es gibt einige arabische Länder mit hoher Beschneidungsrate in denen die Inzidenz von Gebärmutterhalskrebs nicht einmal halb so gross wie in Finnland ist:
    http://globocan.iarc.fr/…eets/cancers/cervix.asp
    Ohne genauere Analyse würde ich daraus aber nichts schliessen.

    “5. Was die Komplikationen angeht – das sind nicht nur kleine blaue Flecke,[…]”
    Die Zahl die Sie zitiert haben stammt von kleinen blauen Flecken. Die anderen Komplikationen sind sehr selten – und im Vergleich zu Impfkomplikationen absolut vernachlässigbar.
    “Zumal selbst unter Narkose vorgenommene Operationen nicht ohne Spuren im Schmerzgedächtnis bleiben!”
    So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört – das liesse sich ja gegen sämtliche ärztliche Eingriffe vorbringen.

    “Ja, in einer Studie zeigte sogar über die Hälfte der Jungen Anzeichen einer postraumatischen Belastungsstörung…”
    Und diese Studie hat es durch den Peer-Review-Prozess geschafft?
    “7. Von Erforschung der Folgen kann trotz eines Drittels der Weltbevölkerung nicht gesprochen werden. […]”
    Das klingt ziemlich paranoid.

    “Insgesamt aber sind ausgewogenere Studien wie etwa die der Königlich-Niederländischen Ärztevereinigung zu empfehlen.”
    Dort werden nur Studien aus dem letzten Jahrtausend zitiert. Ist alles überholt und veraltet.

  99. @Störk: Was mich stört

    Sind scheinbare Nebensächlichkeiten, die in Klammern so dahergeschrieben werden:

    gegen die vom Physiker vorgebrachten medizinischen Vorteile der Beschneidung (die sicher dazu beigetragen haben, daß diese Tradition sich überhaupt erfolgreich in 2 Weltreligionen ausgebreitet hat)

    Weiter braucht man ja gar nicht zu lesen, weil klar ist was kommt. Aber die Angabe in der Klammer ist natürlich auch falsch. Wenn man den Vertretern der Religion glauben darf, hat sich diese blutige Tradition eben nicht erfolgreich in zwei Weltreligionen “ausgebreitet”, sondern sie war schon seit Anbgeinn konsitutiv für die Begründung der Vollmitgliedschaft in eben diesen Religionen.

    Es gibt kaum eine Gruppe (von NPD-Sympathisanten abgesehen) für die ein beschnittenes Glied ein echtes Stigma im Sinne eines Freund-Feind-Erkennungsmerkmales wäre.

    Es gibt zwei religiöse Großgruppen, die vorgeben, dass die Anwesenheit dieses Stigmas konstitutiv für die Vollmitgliedschaft ist. Ist das eigentlich nicht rassistisch?

  100. @Spritkopf (11.07.2012, 07:36):

    “Dann zitiere ich mal aus dem von Ihnen angegebenen Link:
    “Circumcising male babies and children at a parent’s request is an increasingly controversial area and there are strongly opposing views about circumcision in society and within the BMA membership.””
    Genau deshalb ist der Wiki-Eintrag falsch. Denn die BMA hält die Entscheidung nicht (mehr) für unangebracht und unethisch, sondern hält sich (feige) heraus.
    “Wo sehen Sie hier Eindeutigkeit und “keine ernst zu nehmenden Gegenstimmen zu dieser Konsensmeinung”, dass Beschneidung sinnvoll sei?”
    In der aktuellen medizinischen Fachliteratur. Überzeugen Sie sich selbst durch eine simple Literatursuche.

    “Sie argumentieren mit medizinischen Folgen, die überhaupt nicht im Kindesalter wirksam werden.”
    Das ist falsch. In der zitierten Publikation werden mindestens 5 Krankheiten aufgelistet die auch oder sogar grösstenteils Kinder betreffen.

    “Ein erhöhtes AIDS-Risiko […]”
    Der Risiko-Nutzen-Analyse zufolge lohnt sich eine Beschneidung hauptsächlich wegen Harnwegsinfektionen, Prostatakrebs, HPV und Genitalherpes. HIV und Peniskrebs stehen so ziemlich an letzter Stelle.

    “Es geht Ihnen darum, […]”
    Worum es mir geht, entscheide immer noch ich. Und ich bin dagegen, Kindern eine medizinisch vorteilhafte Massnahme vorzuenthalten. Egal aus welchem Grund. Punkt.

    Es gibt viele medizinische Eingriffe, bei denen ein Stück Körper/Haut/Organ entfernt wird (Beispiel: Tumor, Blinddarm, Weisheitszahn, Polypen,…). Wenn sie medizinisch insgesamt von Vorteil sind, sollten sich die Eltern frei dafür/dagegen entscheiden können und wenn sie medizinisch von Nachteil sind, dann nicht. So einfach ist das. Religion hat damit überhaupt nichts zu tun. Und übrigens verletzt jeder medizinische Eingriff die körperliche Unversehrtheit, und zwar per Definition.

    “Und dafür reden Sie einen “überwältigenden medizinischen Konsens” herbei, den es gar nicht gibt.”
    Na dann nennen Sie mir eine aktuelle wissenschaftliche Publikation, die eine Abwägung zwischen den Nutzen und Risiken von Beschneidungen vornimmt und zu dem Ergebnis kommt, dass die Risiken überwiegen.

  101. @Physiker: Feige?

    [Die] BMA hält die Entscheidung nicht (mehr) für unangebracht und unethisch, sondern hält sich (feige) heraus.

    Heuchler beanstandet Tugendverstoß.

    Worum es mir geht, entscheide immer noch ich.

    Religion hat damit überhaupt nichts zu tun.

    Lesen Sie mal die Überschrift des Blogposts. Und vielleicht einfach noch mal das Blogpost selbst. Wenn Sie so weiterschreiben werde ich noch Heier Geisler falsch zitieren!

  102. @Physiker – Ein letzter Versuch

    Denn ich kann langsam den Frust der Blogbetreiber nachvollziehen. Sollten doch Sie sich möglicherweise ebenfalls fragen, wer hier was nicht erkennt – scheinbar sind ja nur Sie intelligent. Denn Ihre Sicht mag ja als Physiker stimmen, in den auf Lebewesen bezogenen Disziplinen ist das aber etwas anders.

    Zu 1.: Ein Review mag nicht so anspruchsvoll sein wie eine richtige Meta-Studie. Aber: Here we review the international evidence for benefits and risks of infant male circumcision (MC) and use this to develop an evidence-based policy statement for a developed nation setting, focusing on Australia. (S. 79)
    Die Autoren wollten Aussagen mit Folgerungen für die Politik machen – und das ist eine Studie, nämlich Untersuchung der bestehenden Literatur im Hinblick auf Empfehlung oder nicht.

    Zu 2.: Es wird angegeben, denn das beeinflusst das Ergebnis enorm.
    Sie sollten sich einmal anschauen, wie geschickt man mit Statistiken lügen kann – gerade in den auf Lebewesen bezogenen Wissenschaften. Wir kennen dort noch lange nicht alle Einflussfaktoren – also ist jede Erhebung auch subjektiv verfärbt. Das beginnt schon mit der Bestimmung der konkret anzuwendenden statistischen Methode, mit der Auswahl der verwendbaren Zahlen, mit den anzuwendenden Korrekturen etc. Man unterstellt zu Recht, dass dort nicht bewusst manipuliert wird. Aber man ist sich einig, dass man vielen Daten mit anderer Auswertung andere Ergebnisse entlocken könnte.

    Und wenn man nun solche Daten auch noch subjektiv verfärbt sammelt – dann ist das unwissenschaftlich, und nicht die insofern angemeldeten Bedenken. Schließlich habe ich nicht behauptet, dass alles in der Studie stehende falsch wäre, sondern nur deren allgemeine Überzeugungskraft angezweifelt. Und das Peer-Review kann das – selbst bei exzellenten Reviewern – nur bedingt leisten, denn von denen kann man nicht die Lektüre von 200 Studien erwarten!

    Zu 3.: Bei statistischen Auswertungen ergeben sich IMMER Spannbreiten – wer also nur einzelne Zahlen angibt, der arbeitet unsauber. Schon die eine von mir nachgelesene Studie gibt Spannbreiten an! Im Zusammenhang mit anderen Studien werden die aber noch größer. (Ganz zu schweigen von den nicht angesprochenen Problemen der Übertragbarkeit auf andere Gesellschaften, andere Klimata etc.)

    Und die Autoren des Reviews geben für Ihre Aussagen im Text oft mehrere Zitate an – wenn sie das für eine in ihrem Sinne wichtige Aussage nicht tun, dann muss und darf der Leser vermuten, dass es keine weiteren Studien mit gleichem Ergebnis gibt. Die Beweislast für das Gegenteil liegt bei den Autoren – weil Sie die vertreten, hier also bei Ihnen. Sie dürfen mir gern diejenigen Studien nennen, die diese vierfache Risiko für alle Männer ebenfalls finden.

    Dass die Studie KEINEN statistisch relevanten Zusammenhang für alle Männer gefunden hat – das steht in den Resultaten ebendieser Studie (83). Das habe ich oben zitiert. Die Zahl 4 betrifft dort (als Mittelwert) nur Hoch-Risiko-Gruppen und wurde von den Reviewern unzulässig verallgemeinert. Und der Review setzt sich nicht mit den in den Studien gefundenen Beschränkungen auseinander, sondern verallgemeinert lustig die ihm passenden Teilergebnisse – unter 3.7 werden gleich mal alle Männer zu Hoch- oder Mittel-Risko-Männern gemacht und dann wird die Zahl der Hoch-Risiko-Männer verallgemeinert.

    So etwas darf in einem Review nicht vorkommen, wenn doch, ist die Glaubwürdigkeit desselben jedenfalls erschüttert. Und was die Befindlichkeiten innerhalb der Wissenschaft angeht, so will ich hier nicht viel sagen. Jedenfalls führt die aktuelle Lage dazu, dass Arbeiten bekannter Wissenschaftler nur selten wegen methodischer Mängel zurückgewiesen werden…

    Was Ihre Zweifel zur Inzidenz in Finnland und Afrika angeht – 3,6 ist für mich immer noch kleiner als 8, oder?

    Zu 5.: Nur der Verweis auf eine Studie mit weiteren Nachweisen, wonach das implizite Gedächtnis selbst während einer angemessenen Allgemeinanästhesie weiterhin funktioniert! Und hier einige Hinweise zu den möglichen Folgen mit Verweis auf eine andere Studie. Und posttraumatische Belastungsstörungen sind gerade ob des Auseinanderfallen von bewusst Bearbeitbarem und unbewusst Erlebtem wahrscheinlich…

    Zu 7.: sie sollten sich mal mit den Problemen bei soziologisch-psychologischen Studien beschäftigen. In der Physik ist verglichen damit vieles sehr einfach, man kann recht leicht experimentieren und vergleichen, Ursache und Wirkung relativ leicht überschauen. Bei so komplexen Gebilden wie Lebewesen allgemein und dem Menschen im Besonderen wird das sehr, sehr schwer. Und darum kann man bisher kaum Ursachen angeben, vielmehr muss man sich auf Korrelationen beschränken.

  103. @Ano Nym (10.07.2012, 22:45):

    “Abgesehen davon ist die Schädigungsabsicht der Eltern offensichtlich.”
    Nein ist sie nicht. Denn spätestens dann, wenn Sie von einer Schädigungsabsicht sprechen (oder Schlussfolgerungen daraus ziehen wollen), geht es nicht mehr nur um den Schaden im juristischen Sinne, sondern um die Abwägung ob die Beschneidung insgesamt von Vorteil ist (siehe Tumor-Beispiel). Sie unterstellen nämlich hier den Eltern, dass Sie ausschliesslich die negativen Aspekte des Eingriffs im Blick haben. Diese Unterstellung ist rassistisch, weil damit den Juden und Moslems unterstellt wird, dass ihnen die Gesundheit ihrer Kinder egal ist. Ich denke, die überwiegende Mehrheit hält allerdings an diesem Ritual fest, gerade weil sie auch um die medizinischen Vorteile wissen.
    Im Fall, dass Sie aber auch das Entfernen eines bösartigen Tumors als Schädigungsabsicht verstehen, ist Ihre Aussage nicht rassistisch gemeint, wird aber wohl mehrheitlich trotzdem so verstanden werden (was meines Wissens juristisch auch nicht ganz unproblematisch ist).

    “Die Eltern und Sie bilden sich durch die Initiation Vorteile ein […]”
    Sind Sie Mediziner genug, um zu beurteilen, dass alle zitierten Fachartikel wirklich bloss Einbildung sind?

    Bei Ihrer Argumentation gehen Sie ständig implizit davon aus, dass die Beschneidung medizinisch insgesamt von Nachteil ist. Können Sie nicht einmal hypothetisch den umgekehrten Fall in Betracht ziehen? Was wäre, wenn der Initiationsritus darin besteht entstellende Muttermale zu entfernen? Dann würde Ihre Argumentation zu der absurden Situtation führen, dass es Religionsmitgliedern verboten wäre, ihre Kinder zu operieren, während alle anderen sich frei entscheiden können. Womit wir wieder bei GG Art.3 wären.

    “Die Zulässigkeit dieser Abwägung wird durch das Urteil in Abrede gestellt, was ich für nachvollziehbar halte.”
    Weshalb?
    “Ich bin sofort bereit mich für eine Beleidigung zu entschuldigen.”
    Müssen Sie nicht. Ich habe das Wort “Braun” versehentlich politisch gedeutet.

    P.S.: Es wäre für die Diskussion hilfreich, wenn Sie den allgemeinen Sprachgebrauch zugrunde legen, oder zumindest Fachbegriffe kennzeichnen. Ich mache das auch.

  104. @Ano Nym:

    “Der Denkfehler liegt auf Ihrer Seite. Er besteht darin, irrig anzunehmen, dass in der juristischen Betrachtung des Sachverhalts bereits auf der Tatbestandsebene eine Saldierung von Nutzen und Schaden stattfindet.”
    Ihr Denkfehler liegt darin, dass Sie pauschal jüdische oder islamische Eltern für unzurechnungsfähig erklären, nur um die Einwilligung in eine gesundheitsförderliche Massnahme als nichtig betrachten zu können.

  105. @Störk: Es gibt viel mehr

    Ich stimme Ihnen zu, dass die Diskussion recht einseitig geworden ist. Denn gerade das Stigma halte ich wie Sie nicht für ein Problem. Und ob die die Tradition medizinisch indiziert ist, das ist mir für die Diskussion auch erstmal unwichtig (auch wenn sie es früher ob anderer Hygiene, anderen Klimas und anderer Medizin gewesen sein mag). Aber:

    Zum Schmerz habe ich gerade noch oben an Physiker geantwortet – selbst die Vollnarkose hindert nicht das implizite Gedächtnis. Und das ist bei Kleinstkindern deutlich problematischer als bei Erwachsenen. Details sind noch nicht genau genug erforscht – auch aus ethischen Gründen. Allerdings ist nach allem, was wir über das Funktionieren des menschlichen Körpers wissen, ein (sehr) starker Einfluss jeder frühkindlichen Verletzung denkbar bis wahrscheinlich. Und der ist umso problematischer als er nicht bewusst ist, daher nicht aufgearbeitet werden kann und sich dann oft später unvermittelt und in ganz andere Richtung auswirkt.

    Problematisch finde ich aber auch, dass man Kindern die Möglichkeit nimmt, alle ihre Nerven entwickeln zu lassen und empfinden zu können. Und die Vorhaut ist insofern wohl mit Lippen und Fingern vergleichbar… Was auch erklären würde, warum Babys mit diesen drei so viel spielen.

    Insofern habe ich auch Bauchschmerzen mit preventiv-medizinischen Rechtfertigungen. Ludwig Trepl hat das in seinem Beitrag nebenan für mich sehr treffend problematisiert: Leben oder Schönheit – hier dann wohl langes Leben oder ganzes Fühlen. Viele der Krankheiten im Kinderalter lassen sich (zumindest in Deutschland) unproblematisch heilen. Und warum soll man nicht die Männer dann als Erwachsene entscheiden lassen, ob sie lieber intensiv und möglicherweise kurz leben – oder aber lang und weniger intensiv?

    Bleibt noch die Frage nach dem zwingenden Ritual für die Religionen. Religionen brauchen Rituale, aber die Beschneidung ist doch kein Ritual des Kindes, sondern der Eltern. Und wenn man sich das überlegt, dann ist es vielleicht nicht so zwingend, wie oft behauptet – zumal gerade das Judentum eine kinderfreundliche Religion ist und sehr viel gesunden Menschenverstand mitbringt.

    Und nicht zuletzt geht es auch um die Frage, was wir als Gesellschaft, als Staatsbürger wollen. Die mit der Beschneidung verbundene Reduzierung der Empfindlichkeit war früher und anderswo durchaus erwünscht – aber heute? Die körperliche Einwirkung auf Kinder war früher normal – aber heute? Die medizinische Notwendigkeit war früher und anderswo sicher – aber heute? Das Stigma war früher ein Problem – aber heute?

    Heute berufen wir uns einseitig auf wissenschaftliche Autoritäten – darum tobt ja hier der Streit. Statt uns lieber über die von uns gemeinsam gewünschten Regeln des Zusammenlebens zu unterhalten, über die Freiheiten für unsere Kinder, über die zulässigen und unzulässigen Beschränkungen durch Staat, Religion oder Wissenschaft…

  106. @Physiker: 18:45

    “Abgesehen davon ist die Schädigungsabsicht der Eltern offensichtlich.”
    Nein ist sie nicht. […] es [geht] um die Abwägung ob die Beschneidung insgesamt von Vorteil ist (siehe Tumor-Beispiel).

    Sie wägen zu früh ab, mit dem Ziel den objektiven Tatbestand gar nicht greifen zu lassen. So funktioniert das Strafrecht nicht.

    Sie unterstellen nämlich hier den Eltern, dass Sie ausschliesslich die negativen Aspekte des Eingriffs im Blick haben.

    Da müssten Sie schon genauer erläutern, was Sie mit “im Blick haben” meinen. Ich habe zum Beispiel jetzt meinen Bildschirm “im Blick”. Er ist aber nicht das Ziel meines Schreibens, das Ziel sind im Moment Sie, genauer: Ihre falschen Argumente.

    In diesem Sinne unterstelle ich keinem Elternteil, dass es nur der “negativen Aspekte” wegen sein Kind beschneiden lässt. Es ist vielmehr so, dass die Eltern diese “negativen Aspekte” billigend in Kauf nehmen, um das für sie erstrebenswert erscheinende Ziel der religiösen Vollmitgliedschaft des Kindes zu erreichen.

    Bei Ihrer Argumentation gehen Sie ständig implizit davon aus, dass die Beschneidung medizinisch insgesamt von Nachteil ist.

    Sie irren. Meine permanente Argumentation ist es, dass es gerade unbeachtlich ist, ob die Beschneidung “insgesamt” medizinisch ein Nachteil ist.

    Was wäre, wenn der Initiationsritus darin besteht entstellende Muttermale zu entfernen? Dann würde Ihre Argumentation zu der absurden Situtation führen, dass es Religionsmitgliedern verboten wäre, ihre Kinder zu operieren, während alle anderen sich frei entscheiden können.

    Die Zulässigkeit hängt davon ab, warum die Eltern den Erfolg wollen. Wenn die religiösen Eltern den Erfolg (Entfernung entstellender Muttermale) wollen, um die Entstellung zu beseitigen, sind sie mit nicht-religiösen Eltern gleichgestellt.

    Wenn die religiösen Eltern den Erfolg wollen, um die Initiation zu bewirken, sind sie mit solchen anderen Eltern gleichgestellt, die aus irgendwelchen anderen Gründen den Erfolg wollen.

    Womit wir wieder bei GG Art.3 wären.

    Was genau sehen Sie da?

    “Die Zulässigkeit dieser Abwägung wird durch das Urteil in Abrede gestellt, was ich für nachvollziehbar halte.”
    Weshalb?

    Weil ich es nachvollziehen kann. Oder worauf zielt Ihre Frage?

  107. @Physiker: Nettigkeiten

    “Der Denkfehler liegt auf Ihrer Seite. Er besteht darin, irrig anzunehmen, dass in der juristischen Betrachtung des Sachverhalts bereits auf der Tatbestandsebene eine Saldierung von Nutzen und Schaden stattfindet.”

    Ihr Denkfehler liegt darin, dass Sie pauschal jüdische oder islamische Eltern für unzurechnungsfähig erklären, nur um die Einwilligung in eine gesundheitsförderliche Massnahme als nichtig betrachten zu können.

    Ich habe nirgendwo Eltern für unzurechnungsfähig erklärt.

  108. @Physiker

    “Circumcising male babies and children at a parent’s request is an increasingly controversial area and there are strongly opposing views about circumcision in society and within the BMA membership.””
    Genau deshalb ist der Wiki-Eintrag falsch. Denn die BMA hält die Entscheidung nicht (mehr) für unangebracht und unethisch, sondern hält sich (feige) heraus.

    Der Wikipedia-Eintrag ist allenfalls veraltet. In der BMA gibt es nach wie vor sehr kontroverse Ansichten zum Thema Beschneidung. Aus der aktuellen Broschüre:

    “There is a spectrum of views within the BMA’s membership about whether non-therapeutic male circumcision is a beneficial, neutral or harmful procedure or whether it is superfluous, and whether it should ever be done on a child who is not capable of deciding for himself. The medical harms or benefits have not been unequivocally proven but there are clear risks of harm if the procedure is done inexpertly.”

    Wenn Sie daher von “feigem Heraushalten” reden, dann ist Ihnen entweder das Konzept der Uneinigkeit unter Fachleuten vollkommen fremd oder Sie wollen wieder einmal die Gegenstimmen unter den Teppich kehren.

    “Wo sehen Sie hier Eindeutigkeit und “keine ernst zu nehmenden Gegenstimmen zu dieser Konsensmeinung”, dass Beschneidung sinnvoll sei?”
    In der aktuellen medizinischen Fachliteratur. Überzeugen Sie sich selbst durch eine simple Literatursuche.

    Was soviel heißt wie “Google doch selbst!” – der Standardspruch, wenn einem die Argumente ausgehen.

    Der Risiko-Nutzen-Analyse zufolge lohnt sich eine Beschneidung hauptsächlich wegen Harnwegsinfektionen, Prostatakrebs, HPV und Genitalherpes. HIV und Peniskrebs stehen so ziemlich an letzter Stelle.

    Davon abgesehen, dass auch HPV, Genitalherpes und Prostatakrebs keine Kinderkrankheiten sind, haben Sie komischerweise anfangs fast ausschließlich mit der HIV-Prävention argumentiert. Die WHO nennt das ihr Hauptargument und die weitaus meisten Studien zur Zirkumzision beschäftigen sich ebenfalls nur mit der HIV-Prävention. Jetzt auf einmal erklären Sie, HIV stünde an letzter Stelle. Sie drehen es sich, wie Sie es gerade brauchen.

    Worum es mir geht, entscheide immer noch ich.

    *lach*
    Spreche ich Ihnen doch gar nicht ab. Aber ICH entscheide, welche Schlüsse ich aus Ihrer Art zu diskutieren ziehe.

  109. @Spritkopf (12.07.2012, 00:18):

    “Der Wikipedia-Eintrag ist allenfalls veraltet.”
    Nein. Dieser Abschnitt ist 2008 geschrieben worden, und da war die aktuelle Stellungnahme der BMA bereits seit ca. 1-2 Jahren veröffentlicht – trotzdem wird ein veraltetes Dokument mit einer Aussage zitiert, die nicht mehr gestützt wird. Das ist eine klassische Irreführung.

    “Wenn Sie daher von “feigem Heraushalten” reden, dann ist Ihnen entweder das Konzept der Uneinigkeit unter Fachleuten vollkommen fremd oder Sie wollen wieder einmal die Gegenstimmen unter den Teppich kehren.”
    Es gibt immer Gegenstimmen.
    Die entscheidende Frage ist also, wie man mit Gegenstimmen umgeht. Reichen Ihrem Konzept der “Uneinigkeit unter Fachleuten” wirklich ein paar prominente Aids-Leugner unter den Fachleuten aus, um von offizieller Seite zu verlautbaren, dass die Sachlage umstritten sei?
    Nein, natürlich nicht. Nur Tabak-Lobbyisten, Klimawandelleugner und sonstige Verschwörungstheoretiker berufen sich auf eine angebliche Uneinigkeit unter Fachleuten – nur um die überwältigende wissenschaftliche Evidenz zu leugnen.

    “Was soviel heißt wie “Google doch selbst!” – der Standardspruch, wenn einem die Argumente ausgehen.”
    Sogar das Googeln habe ich für Sie übernommen, indem ich drei aktuelle Reviews zu dem Thema verlinkt habe, die alle meine Behauptung stützen. Wenn Sie immer noch der Meinung sind, alle diese Reviews wären nur eine Einseitige Literaturauswahl, dann ist es an Ihnen das zu belegen.
    “Davon abgesehen, dass auch HPV, Genitalherpes und Prostatakrebs keine Kinderkrankheiten sind,”
    Es sprechen eine Vielzahl von Gründe dafür, die Beschneidung im Kindes-/Säuglings-Alter statt als Erwachsener durchzuführen. Und daneben gibt es die wichtigsten medizinischen Gründe für eine Beschneidung. Warum müssen beide identisch sein?

    “Sie [haben] komischerweise anfangs fast ausschließlich mit der HIV-Prävention argumentiert.”
    Richtig. Ich habe dazugelernt, dass es in den entwickelten Ländern noch viel wichtigere Gründe als die HIV-Prävention gibt. Aber bereits HIV für sich würde schon eine allgemeine Beschneidungsempfehlung rechtfertigen:
    Laut dem Review (der von den Daten in der USA ausgeht), muss man ca. 1000 Jungen beschneiden um eine HIV-Ansteckung zu vermeiden. Das klingt nach einer sehr ineffizienten Massnahme – der Eindruck täuscht aber, wenn man einen Vergleich mit der von der STIKO empfohlenen Tetanus-Impfung macht. Da in Deutschland weniger als 15 Menschen pro Jahr an Tetanus erkranken, bedeutet das, dass man nach einer groben Überschlagsrechnung mehr als 50.000 Menschen impfen muss um einen Fall von Tetanus zu vermeiden. Und jeder verantwortungsvolle Arzt wird ihnen die Tetanus-Impfung sehr eindringlich empfehlen. Die Beschneidung ist also alleine bei der HIV-Prävention mehr als einen Faktor 50 effektiver als eine Tetanus-Impfung. Und die anderen genannten Krankheiten lassen sich noch sehr viel effektiver (Faktor grösser als 100 besser) durch eine Beschneidung bekämpfen. Die Zahlen sprechen also eindeutig für sich.

    “Die WHO nennt das ihr Hauptargument und die weitaus meisten Studien zur Zirkumzision beschäftigen sich ebenfalls nur mit der HIV-Prävention.”
    Der Grund dafür sind die dramatischen Unterschiede in der HIV-Prävalenz in verschiedenen Ländern.

  110. @Ano Nym:

    “Die Eltern lassen die rituelle Beschneidung zum Zwecke der Distinguierung durchführen:”
    Das ist, wie gesagt, eine reine Unterstellung. Und auch wieder mit rassistischem Unterton: woher wollen Sie das wissen? Sie greifen sich eine Bevölkerungsgruppe heraus und unterstellen der gesamten Gruppe die gleiche Motivation. Das ist genau die Definition von Rassismus.

  111. Ano Nym (11.07.2012, 20:37):

    “Ich habe nirgendwo Eltern für unzurechnungsfähig erklärt.”
    Sorry, “unzurechnungsfähig” macht in diesem Zusammenhang überhaupt keinen Sinn, ich meinte stattdessen, dass Sie die Einwilligung der Eltern als nicht gegeben sehen.

    Im Detail:
    Sie unterstellen grundlos, dass Juden und Muslime bei der Einwilligung in die Beschneidung aussliesslich einem Zweck folgen, nämlich dem, die Aufnahme der Jungen in die Glaubensgemeinschaft zu kennzeichnen (oder wie Sie es nannten: Stigmatisierung/Distinguierung).
    Diese Argumentation ist aus mehreren Gründen falsch:
    1. Wird die Beschneidung weder im Judentum noch im Islam als Aufnahmeritus gesehen. Von daher ist Ihr unterstellter Zweck schon einmal von vornherein falsch und zeigt, wie dämlich es ist, solche pauschalen Unterstellungen zu treffen.
    2. Warum sollten Juden und Muslime bei der Beschneidung nur *einen* Zweck verfolgen können? Wenn Eltern für ihre Kinder Entscheidungen treffen, dann werden sie diese im Normalfall gründlich abwägen und in den allerseltensten Fällen die Entscheidung nur an einem Zweck ausrichten. Juden und Muslimen dies abzusprechen, wäre rassistisch.

    So wie ich Sie verstanden habe, sprechen Sie den Juden und Muslimen aus rassistischen Gründen die Einwilligungsfähigkeit der Eltern ab. Darauf fusst Ihre gesamte Argumentation. Und weil man die Einwilligungsfähigkeit der Eltern nicht pauschal absprechen kann, fällt damit auch Ihr Vergleich mit der Straftat, bei der erst anschliessend im Strafverfahren der “Kollateralnutzen” berücksichtigt wird.

  112. @Physiker:

    Aber bereits HIV für sich würde schon eine allgemeine Beschneidungsempfehlung rechtfertigen

    Fundiert gegenteiliger Ansicht sind
    Robert S. Van Howe, Michelle R. Storms: How the circumcision solution in Africa will increase HIV infections [1].

    [1] http://www.publichealthinafrica.org/…1.e4/pdf_22

  113. @Physiker: Der Fall

    “Die Eltern lassen die rituelle Beschneidung zum Zwecke der Distinguierung durchführen:”
    Das ist, wie gesagt, eine reine Unterstellung.

    “Unterstellung” impliziert, dass das Gesagte falsch ist. Wo ist meine Aussage falsch, dass Eltern eine religiös motiverte Beschneidungen durchführen, um die Jungen mit dem Merkmal der entfernten Vorhaut auszustatten, weil nur das – wie wie gestern bei Anne Will hören und sehen konnten – die Vollmitgliedschaft in zwei religösen Großgruppen begründet?

    Dass etwa unter Juden eine Gruppe vorstellbar ist, die die Beschneidung ablehnt [1] und dass es unter ihren Mitgliedern trotzdem beschnittene männliche Mitglieder geben mag, ist nicht geeignet zu widerlegen, dass die Mehrheit aller männlichen Juden wegen der Erlangung der Vollmitgliedschaft in der Gemeinschaft ihrer Vorhaut verlustig gegangen ist.

    Und auch wieder mit rassistischem Unterton: woher wollen Sie das wissen?

    Was genau möchten Sie wissen. Formulieren Sie doch wenigstens beantwortbare Fragen.

    Sie greifen sich eine Bevölkerungsgruppe heraus und unterstellen der gesamten Gruppe die gleiche Motivation. Das ist genau die Definition von Rassismus.

    Zwei Bevölkerungsgruppen.

    Ist der gestern bei “Anne Will” geladene Rabbi Ehrenberg rassistisch, wenn er feststellt, dass männliche Juden nur dann die Vollmitgliedschaft in der jüdischen Gemeinschaft erlangen, wenn diese beschnitten sind? Er greift sich eine Bevölkerungsgruppe heraus und fordert, dass jeder sich auf die Weise, die er für richtig hält, verhalten muss. Ist das nicht rassistisch?

    [1] http://www.jewsagainstcircumcision.org/

  114. @Physiker: Viele Welten

    [Die] Beschneidung [wird] weder im Judentum noch im Islam als Aufnahmeritus gesehen.

    Bis heute war ich der Auffassung, dass aus Paralleluniversen keine Informationen zu uns dringt.

    Warum sollten Juden und Muslime bei der Beschneidung nur *einen* Zweck verfolgen können?

    Soetwas habe ich weder behauptet noch stillschweigend angenommen. Ich habe behauptet bzw. stillschweigend angenommen, dass die Mehrheit der relgiös motivierten Beschneidungen nicht wegen eines anderen als des religiösen Zweckes durchgeführt werden.

    Dass in Einzelfällen jemand durch den Verzehr von geweihten Hostien seinen Hunger dämpft invalidiert nicht den Satz, dass geweihte Hosten aus rein religösen Gründen verzehrt werden.

    Falls Sie Haare spalten möchten, sagen Sie das bitte, ich stelle mich dann darauf ein.

    Wenn Eltern für ihre Kinder Entscheidungen treffen, dann werden sie diese im Normalfall gründlich abwägen und in den allerseltensten Fällen die Entscheidung nur an einem Zweck ausrichten.

    Wenn die Vollmitgliedschaft in der religiösen Gemeinschaft indisponibel ist und die Vorhautlosigkeit conditio sine qua non für die Vollmitgliedschaft ist, dann stellt sich m.E. die Frage, was das für eine Abwägung ist.

    So wie ich Sie verstanden habe, sprechen Sie den Juden und Muslimen aus rassistischen Gründen die Einwilligungsfähigkeit der Eltern ab.

    Es liegt in der überragenden Mehrheit der Fälle (wie auch beim Fall, der in Köln verhandelt wurde) bei religiös motivierten Beschneidungen keine wirksame Einwilligung vor. Das ist nicht meine Privatmeinung, das ist die Rechtslage im Kölner Sprengel. Beim Begriff der Einwilligung handelt es sich um einen juristischen Fachbegriff:

    http://de.wikipedia.org/…nwilligung#Einwilligung

    „Im Gegensatz zum tatbestandsausschließenden Einverständnis schließt die rechtfertigende Einwilligung aber nicht schon die erste Stufe im strafrechtlichen Deliktsaufbau, die sogenannte Tatbestandsmäßigkeit, sondern erst die zweite Stufe, die Rechtswidrigkeit (das Unrecht), der Tat aus. Die Einwilligung ist daher ein Rechtfertigungsgrund.“

  115. @Michael Blume

    Da Sie ja nun wieder da sind, haben Sie vielleicht die Diskussionsbeiträge gelesen, sind Sie vielleicht noch dabei oder haben Sie vielleicht keine Lust mehr, wer weiß? Aber vielleicht könnten Sie als Kenner der Materie eine Diskussion auf sachlicher Ebene anstoßen, eine des Abwägens zwischen staatlichem Ideal und religiösem Ideal?

    Dass diese auch auf religiöser Seite oft fehlt, sollen ein paar Umformulierungen zeigen. Wie man sich anhand meiner Kommentare oben und bei anderen Blogbeiträgen überzeugen kann: Ich meine diese hypothetischen Umformulierungen mindestens genausowenig als Provokation oder Beleidigung wie es die Vertreter der Religionen mit ihren Äußerungen tun!

    Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) schreibt:

    Man bekommt das Gefühl, dass nach der Meinung des Richters Religion zwar toleriert, nicht aber respektiert werden soll. Nirgends stellt sich der Richter die Frage, ob für die Eltern die Beschneidung aus religiösen Gründen von großer oder geringer Bedeutung ist. Warum, fragt man sich, geht das Gericht nicht auf die religiöse Bedeutung der Beschneidung ein? Ist sie ihm vielleicht egal?

    Dürfen Staatsbürger dann vielleicht schreiben:

    Man bekommt das Gefühl, dass nach der Meinung der ORD der Staat zwar toleriert, nicht aber respektiert werden soll. Nirgends stellt sich die ORD die Frage, ob für die Staatsbürger die körperliche unversehrtheit ihrer Kinder von großer oder geringer Bedeutung ist. Warum, fragt man sich, geht die ORD nicht auf die gesellschaftliche Bedeutung der körperlichen Unversehrtheit ein? Ist sie ihr vielleicht egal?

    Oder die Allgemeine Rabbinerkonferenz (ARD) stellt fest:

    Mit Empförung hat die Allgemeine Rabbinerkonferenz das Urteil eines deutschen Gerichts zur Beschneidung zur Kenntnis genommen. Wer die Beschneidung angreift, greift das Judentum inseinem Kern an. Seit 3.000 Jahren ist das Kindeswohl ein zentraler Wert des Judentums, der durch die Beschneidung nicht gefährdet wird.

    Dürfen Staatsbürger dann vielleicht schreiben:

    Mit Empförung hat die deutsche Gesellschaft das Urteil einer Rabbinerkonferenz zum Kindeswohl zur Kenntnis genommen. Wer das Kindeswohl angreift, greift den bürgerlichen Staat in seinem Kern an. Seit gut 60 Jahren ist die Religionsfreiheit ein zentraler Wert des deutschen Staates, der durch den zunehmenden Schutz des Kindeswohls nicht gefährdet wird.

    Oder der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland erklärt:

    Welche Implikationen hätte ein Beschneidungsverbot?
    Der Tübinger Strafrechtswissenschaftler Edward Schramm bringt es auf den Punkt: „Würde die Beschneidung ihrer Kinder […] strafrechtlich untersagt werden […], würde sie wegen ihres Glaubens rechtlich diskriminiert und in einem zentralen Moment ihrer Glaubensausübung kriminalisiert werden. Das (straf)rechtliche Beschneidungsverbot für jüdische oder muslimische Eltern eines Knaben würde dann sogar lauten: Euer Sohn darf nicht Jude, Euer Sohn darf nicht Moslem werden, solange er nicht volljährig ist.”

    Dürfen Staatsbürger dann vielleicht schreiben:

    Welche Implikationen hätte die Nichtbeachtung des Unverletztheitsgebot?
    Der Blog-Kommentar bringt es auf den Punkt: „Würde die Unverletzlichkeit der Kinder […] nicht strafrechtlich garantiert werden […], würden sie wegen ihres Glaubens rechtlich diskriminiert und in einem zentralen Moment ihrer staatsbürgerlichen Rechte beraubt werden. Das (straf)rechtliche Gebot an jüdische oder muslimische Eltern eines Knaben würde dann sogar lauten: Euer Sohn darf nicht Staatsbürger werden, seine körperlichen Belange zählen weniger, solange er nicht volljährig ist.”

     
    Warum aber klingen die Umformulierungen immer so schräg (ja fast verboten) – obwohl sie aus staatlicher Sicht genau dasselbe sagen, wie die Religionsäußerungen aus Sicht der Religionen?

  116. @Noit Atiga

    Die Debatte hier verfolge ich mit Interesse, teilweise aber auch mit Bestürzung.

    Es ehrt Sie m.E., dass Sie noch spüren, dass die Gleichsetzung von Religionsgemeinschaften und Staaten “schräg” ausfällt. Denn historisch waren es ja gerade Minderheiten aus den Zivilgesellschaften, die den Staaten Freiheiten und Menschenrechte abrangen. Dass das Recht nun unter dem Beifall von Bashern gegen Juden und Muslime gewendet werden soll, um ihnen grundlegende Rechte zu nehmen, stellt eine Verkehrung des Freiheitsbegriffes dar. Viele Deutsche glauben immer noch, dass Freiheiten nur von Obrigkeiten und Mehrheiten “gewährt” werden, sich diese “gefälligst” unterzuordnen haben. Und bei Juden und Muslimen sagt man gerne mit besonders viel Ressentiments “Nein”, wie hier ja auch zu lesen war.

  117. @Michael Blume: Danke

    Sie sprechen mir aus dem Herzen. Und ich mag den von Ihnen angesprochenen Beifall überhaupt nicht! Und ich habe noch sehr viele (mögliche) Argumente in beide Richtungen auf dem Herzen, wenn es um die Sache gehen würde… Ich wünsche mir daher für unsere Gesellschaft eine Diskussion um die Sache. Aber – auch wenn es begreiflicherweise sehr, sehr schwer fällt – von allen Seiten. Ich wende mich darum ja auch gern mal gegen meine Mitstreiter, habe ich doch viele Facetten davon aus verschiedenen Perspektiven zur Genüge selbst erlebt – leider.

    Darum, auch wenn ich für eine Diskussion und langfristig eine Bewegung (auch der Religionen) bin, Sie haben ein entscheidendes, bisher vernachlässigtes Argument angesprochen: … historisch waren es ja gerade Minderheiten aus den Zivilgesellschaften, die den Staaten Freiheiten und Menschenrechte abrangen.

    Wer heute wo und wie Minderheit oder Schwach ist, das kann man diskutieren. Aber vielleicht können wir alle Minderheiten langfristig davon überzeugen, sich auch für andere Minderheiten oder Schwache einzusetzen – dann wären nämlich Schwache und Minderheiten stark…

  118. Gleichsetzung Religion / Staat

    Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Wertesystem einer Religionsgemeinschaft und den Gesetzesbüchern eines Staates:

    Die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft ist grundsätzlich freiwillig und der Wechsel der religionsgemeinschaft ist prinzipiell ceteris paribus möglich. Ich kann aus der Landeskirche austreten und in eine freie Gemeinde (oder sogar in die katholische oder muslimische Gemeinde) eintreten, ohne dafür meine Wohnung aufgeben zu müssen.

    Wenn ich genauso leicht entscheiden könnte “ich will ab heute nicht mehr der Jurisdiktion der Bundesrepublik Deutschland unterliegen, sondern der des Fürstentums Liechtenstein”, dann ständen Staat und Religion auf Augenhöhe. Aber ich kann mich nicht der Steuergesetzgebung Liechtensteins unterwerfen, solange ich in Wuppertal wohne und in Düsseldorf, Leverkusen, Köln, Hagen, Dortmund usw. arbeite. Man kann sich vom Islam lossagen, aber man kann sich nicht vom Kölner oder Wuppertaler Landgericht lossagen.

  119. @Noit Atiga: Kinder…

    …wachsen nicht im luftleeren Raum auf: Nie und nirgendwo. Sie erwerben Sprachen (und andere nicht), erhalten Speisen (und andere nicht), unterschiedliche Arten der Förderungen, Impfungen (und andere nicht), treiben verletzungsriskante Sportarten (und andere nicht) und werden durch Rituale in Gruppen und Gemeinschaften aufgenommen (und in andere nicht). In Deutschland dürfen sie sogar noch in vielen Fällen straflos getötet werden, solange sie noch nicht geboren wurden – der emotionale Furor über die “körperliche Unversehrtheit” der Kleinen greift dort interessanterweise nicht (mehr), obwohl einem Embryo weder Körperlichkeit noch Leben abgesprochen werden kann.

    Mir ist als Vater also völlig klar, dass ich gemeinsam mit meiner Frau für meine Kinder Abwägungen mit nicht selten schweren und unwiederbringlichen Folgen zu treffen habe (so haben wir z.B. das Fussballspielen erlaubt, obwohl wir das enorme Verletzungsrisiko auch aus eigenem Erleben kennen und verschiedene Impfungen durchführen lassen, obwohl diese mit Schmerzen und ggf. auch Gefahren verbunden sind und kontrovers diskutiert werden, Ohrringe erlaubt, aber nur abwaschbare Tatoos usw.) Eine Freundin von mir erzieht ihr durch künstliche Befruchtung gezeugtes Kind als alleinerziehende Lesbe nach ihren Vorstellungen – und ich bin froh, dass auch sie diese Freiheiten hat und niemand (mehr) ihr dieses Kind einfach mit Unterstellungen im Bezug auf das “Kindeswohl” wegnehmen kann.

    Das Grundgesetz hat nicht zufällig neben dem Schutz der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) ausdrücklich auch die Familie und Rolle der Eltern als gewachsene Grund- und Menschenrechte verankert (Art. 6 GG). Selbstverständlich gelten auch diese Rechte nicht absolut, sondern müssen mit anderen abgewogen werden. Wer dies aber so einfach und mit soviel Ressentiments erledigen will, wie große Teile unserer kinderarm-alternden Gesellschaft es gerade mit Bezug auf die jüdische, islamische und auch z.B. US-amerikanische Tradition der Zirkumzision tun, vergreift sich m.E. am Minderheiten- und Freiheitsschutz von allen.

    Etwas nicht toll zu finden (z.B. in meinem Fall Killerspiele oder extreme Parteien) sollte in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht heißen, es umgehend verbieten zu wollen.

    Hier dazu übrigens Äußerungen von führenden Grünen – und von Annette Schavan (CDU):
    http://www.welt.de/…idung-gesetzlich-regeln.html

  120. @Michael Blume: Ja, das stimmt!

    … und doch könnte ich Frau Künast an die Gurgel springen, wenn sie sagt “… nach der Sommerpause … ” und damit ausdrückt, dass ihr sowohl die Religionen als auch die Kinder weniger wert sind als ihr Urlaub (und selbst sie nicht verstanden hat, wie der Staat funktioniert).

    … und doch ist eine “Bildungsministerin” nicht komptetent, wenn sie hier nur formuliert “Wir dürfen uns nicht angewöhnen, zu meinen, erlaubt sei nur das, was allen plausibel erscheint”. Dort liegt nicht das Problem und sie bedient damit nur Klischees. Sie hat sich mit dem Problem also ebenfalls nicht beschäftigt – es war ihr zu unwichtig!

    … und doch verstehe ich Rabbi Pinchas Goldschmidt nicht, wenn er sagt “Wir sagen Ihnen, dass sie weitermachen sollen wie bisher.” und gleichzeitig “Zwei Juden, drei Meinungen” – warum ist ihm die Ansicht eines abwägenden Staates so unwichtig, dass er es nicht einmal für nötig erachtet, darüber nachzudenken? Also wenigstens zu diskutieren, ob denn eine auch innerhalb der Religion existierende Meinung nicht doch Beachtung verdient? Wenn er damit für die Verteidigung fundamentaler Werte gleichzeitig fundamentale Werte des Judentums missachtet?

    … und doch frage ich mich, warum fast niemand den Kompromiss aufnimmt, denn das LG Köln in den Raum gestellt hat: Es ist Körperverletzung – aber nur einfache (§ 223 StGB). Also wird es nur auf Antrag verfolgt (§ 230 StGB) – also nur dort, wo es im näheren Umfeld des Knaben Bedenken gibt (§ 77 Abs. 3 StGB – idR die Eltern).
    Also sagt der Staat: Wir wollen das nicht. Und wir wollen damit auch überzeugen. Aber wir lassen den Religionen dort den Vortritt, wo die Handlung unumstritten ist. Sprich die Eltern dürfen entscheiden – aber bei Zweifeln der Eltern oder des etwas älteren Kindes lassen wir dem Zweifel den Vortritt.
    Also reicht der Staat alle Hände zum Kompromiss – und wird doch nur geschasst.

    … und doch hat sich das LG Köln damit gegen einen Großteil der Literatur gestellt, die nämlich gefährliche Körperverletzung bejaht (§§ 223 I, 224 I Nr. 2 StGB), die von Amts wegen (also immer) zu verfolgen wäre.

    … und doch muss man auch über den Spielraum der Eltern und des denkenden Kindes diskutieren dürfen, muss man als Staat gerade fragen dürfen: Was passiert, wenn die Eltern uneins sind? Was wenn der Minderjährige nicht will? Ist es nämlich keine Körperverletzung – dann kann der Staat auch dann (je nach Alter fast) nichts tun!

    … und doch nochmal: Der Staat hat es nicht verboten. Er hat nur in seinen Worten gesagt, ich will nicht – aber ich akzeptiere die Entscheidungen, soweit sie seitens der Eltern und des Kindes einstimmig sind.

    … und doch muss man über das Kindeswohl diskutieren dürfen. Und über die Art, wie man Schwache in der Gesellschaft beschützt. Wieweit man ggf. sogar gefährliche Sportarten bei Kindern verbieten darf.

    … und doch muss man als Staat Unterschiede machen. Muss man diskutieren und durchsetzen dürfen, Interessen vor der Geburt etwa anders abzuwägen als nach der Geburt – das Recht wägt ja beide Interessen ab. Und Schwangerschaftsabbruch ist (anders als etwa in der DDR) immer noch prinzipiell strafbar (§ 218 StGB). Nur unter gewissen Voraussetzungen ist der Tatbestand nicht verwirklicht, oft ist auch nur die Strafbarkeit ausgeschlossen – dort existieren subtile Abwägungen (§§ 218a- 219b StGB). Und die stärken selbst das Ungeborene, selbst gegenüber dem Interesse der Mutter!

    … und doch muss man darüber diskutieren dürfen, was bei Eltern passieren soll, die nicht so verständnisvoll, vernünftig und abwägend urteilen wie Sie. Wann muss denn der Staat eingreifen, wann soll er, wann darf er?

    … und doch muss man in einer Demokratie auch diskutieren dürfen, welche Freiheiten den Kindern ggf. sogar gegen die Entscheidung vernünftiger Eltern zugestanden werden sollen.

    … und doch – es gibt noch vieles… zu besprechen, zu erklären, zu verstehen, zu akzeptieren… – Die aktuellen Streite sind mir auf allen Seiten viel zu oberflächlich, denn sie laufen nur auf eine schnelle Be-Seitigung des Problems hinaus. Keiner will sich wirklich damit aus-ein-ander-setzen. Und DAS ist für mich das eigentliche Problem!

  121. Abwägungen

    Wer dies aber so einfach und mit soviel Ressentiments erledigen will, wie große Teile unserer kinderarm-alternden Gesellschaft es gerade mit Bezug auf die jüdische, islamische und auch z.B. US-amerikanische Tradition der Zirkumzision tun, vergreift sich m.E. am Minderheiten- und Freiheitsschutz von allen.

    Sicher muss es so geschehen, das “Beschneidungsurteil” mag zwar eine Konsequenz einer Anpassung des BGB sein, kann so aber nicht Bestand haben.

    BTW, diese Anpassung geschah ganz vermutlich aus einer humanistischen Perspektive heraus, vermutlich ganz ohne ‘Ressentiment’ und nicht aus der Beweglage einer ‘kinderarm-alternden Gesellschaft’ heraus; vermutlich arbeiten Sie hier ungünstig mit Feindbildern.

    MFG
    Dr. Webbaer

  122. @Webbär & Noit Atiga

    Wie es um “Abwägungen” in unserem Staat und unserer kinderarm-alternden Gesellschaft inzwischen steht, zeigt sich auch gerade in einem weiteren Rechtsstreit: Hier klagte eine alleinstehende Nachbarin gegen den “Lärm” von einer Tagesmutter betreuter Kinder – und bekam in erster Instanz, pikanterweise wiederum in Köln, Recht:
    http://www.spiegel.de/…ivatwohnung-a-843890.html

    Zitat: “Nachdem das Amtsgericht Köln ihre Klage gegen die Beckers zunächst abgewiesen hatte, gab die 29. Zivilkammer des Landgerichts der Frau schließlich recht. Im vergangenen August entschieden die drei Richterinnen, die Betreuung von fünf Babys und Kleinkindern in einem Mehrfamilienhaus könne zu “unzumutbaren Beeinträchtigungen” der übrigen Bewohner führen.

    “Denkbar seien hier (…) ein erhöhter Lärmpegel sowie eine gesteigerte Besucherfrequenz und damit einhergehende Störungen wie vermehrter Schmutz im Treppenhaus, häufiges Betätigen der Klingel, Türenschlagen – zusammenfassend also größere Unruhe im Haus”, heißt es in dem Urteil. Sogar ein “erhöhtes Müllaufkommen” wegen der “vermehrt anfallenden Windeln”, befürchteten die Juristinnen, die um die gesellschaftliche Brisanz ihrer Entscheidung durchaus wussten: Zwar sei es “politisch wünschenswert”, die Kinderbetreuung durch Privatpersonen zu fördern, doch dürfe das nicht “uneingeschränkt zu Lasten von Wohnungseigentümern” gehen.”

    Ist es nicht arg seltsam, dass sich zu diesem Thema kaum jemand derjenigen geäußert hat, der oder die doch beim Thema Beschneidung so energisch für das “Kindeswohl” eintritt? Manche(r) interessiert sich dafür wohl nur dann, wenn es gegen Minderheiten & religiös geprägte Familien geht…

  123. Da haben Sie

    Mancher interessiert sich dafür wohl nur dann, wenn es gegen Religionen & Eltern geht…

    … natürlich mehr als recht.

    Aus einer “wertliberalen” Perspektive ist das Urteil, die vorangegange Anpassung des BGB und auch die nun ziemlich blasse öffentliche Diskussion in D ein Desaster.

    Aber die Sache wird sicherlich bald geregelt. Aber so richtig toll finden Sie die Beschneidung auch nicht, oder? (Ischt jetzt eher eine rhetorische Frage.)

    MFG
    Dr. Webbaer

  124. Kindswohl nicht ohne Elternwohl

    In unserer das Individuum betonenden Gesellschaft gibt es schon lange die Tendenz auch Kinder als fast gleichberechtigte Inviduen zu betrachten, womit man dann zur Situation kommt, wo Kinderrechte gegen Elternrechte durchgesetzt werden. Das ist jedoch als neue Tendenz höchst problematisch, denn das Kind ist immer von den Eltern abhängig und wenn Massnahmen zum Wohle des Kindes die Eltern “schädigen”, dann schädigen sie meist auch das Kind.

    Nun zur Situation, wo ein Kinderhort oder weitergedacht nur schon mehr als zwei Kinder in einer Mietwohung als unzumutbar eingestuft werden, weil sie mit ihrem Lärm, Abfall und anderen Umweltbeeinträchtigungen die anderen Mietpartner in ihrer Lebensqualität stören. Das passt natürlich ebenfalls zur “Individualisierung” unserer Gesellschaft. Die “Individualisierung” bedeutet, dass jeder Mensch als Einzelindividuum betrachtet wird und die gleichen Rechte hat. Ob ein Mann Vater oder eine Frau Mutter von 6 Kindern ist, wird bei dieser “Indivualbetrachtung” nicht berücksichtigt.

    In letzter Konsequenz besteht eine total “individualisierte” Gesellschaft aus lauter Einzelpersonen und selbst Kleinkinder sind solche Einzelpersonen und damit obliegen ihnen die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen.

    Das ist natürlich ein Abschied von der früheren gesellschaftlichen Toleranz gegenüber bestimmten situationsbedingten anderen Lebenssitutationen wie es sie schon immer gab: Alte Leute haben sich schon vor 30 Jahren über Kinderlärm beschwert, nur gab man ihnen vor 30 Jahren nicht recht (weder der Nachbar nohc das Gericht), weil es gesellschaftlicher Konsens war, dass Kindheit zum Leben gehört und die damit verbundenen Lebensäusserungen toleriert werden müssen, weil das Leben toleriert werden muss.

  125. @Martin Holzherr

    Da gebe ich Ihnen in der Analyse Recht: Immer mehr Deutsche individualisieren nicht nur in der Theorie, sondern vor allem im Lebensalltag. Eine Folge: Das Bewusstsein für die auch soziale Natur menschlichen Lebens schwindet. Paradoxerweise geschieht das gerade zu einer Zeit, als die Evolutionsforschung erkennt, dass für die Menschheitsentwicklung “cooperative care – gemeinschaftliche Kinderbetreuung” notwendig war:
    https://scilogs.spektrum.de/…ionsforscherin-sarah-hrdy

    Naja, weiter oben hat ja schon jemand geschrieben, dass der demographische und soziale Zerfall der deutschen Gesellschaft im globalen Maßstab gesehen kein Problem darstellt. Sinnigerweise sehe ich das wohl auch deshalb anders – weil ich Kinder habe und ihnen eine gute Zukunft wünsche…

  126. @Martin

    Es geht da nur vorgeschoben um ‘Individualisierung’, tatsächlich geht es in einer zunehmend werteschwächeren und heterogeneren Gesellschaft um ein Mehr an staatlicher Kontrolle und um Verhausschweinung. [1] [2]

    Erkennbar an der in einer Offenen Gesellschaft kaum gegebenen Vollziehbarkeit und am zunehmenden Zentralismus, der auch zunehmend moderne Datenhaltung bzw. dementsprechende Systeme nutzt.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1] der Begriff scheint irgendwie belastet zu sein, Konrad Lorenz und so, nichtsdestotrotz ist er treffend
    [2] “Multikulti” mit systemfremden bzw. systemablehnenden Kräften scheint nur so möglich

  127. @Dr. Webbaer: Furor

    Da wurde noch das Zitierte geändert, hmm.

    Das kann im emotionalen Furor wohl schon mal passieren. Pikanterweise hat übrigens das VG Neustadt den Betrieb eines erotischen Massagesalons in einem Wohngebiet untersagt:

    http://www.lto.de/…tion-massagesalon-wohngebiet/

    Mir scheint, dass unsere glückssüchtige Gesellschaft ziemlich lustfeindlich ist.

  128. Abwägungen mit allen Perspektiven

    Ich behaupte nicht, dass alle Abwägungen richtig sind und doch finde ich eine Pauschalierung dagegen ebenfalls falsch. Ich selbst bin mit dem Rechts- und Politik-System hierzulande oft nicht sehr glücklich – es ist mir oft viel zu technisch, viel zu unpersönlich. Und doch finde ich eine pauschale Ablehnung ebenfalls falsch, die bringt keine Lösung.

    Den Ausschluss von Kinder”lärm” finde ich eine Katastrophe und habe mich an entsprechenden Stellen dagegen gewandt. Im konkreten Verfahren bin ich auf die Entscheidung des BGH gespannt – aber weniger auf das Ergebnis als auf die Begründung. Und ich gebe Ihnen Recht, @Michael Blume, beim Thema Beschneidung wird viel zu viel polemisiert – allerdings von allen Seiten.

    Denn warum gehen die Religionsgemeinschaften nicht mit gutem Beispiel voran? Warum gießen sie Öl aufs Feuer und erzürnen damit auch ihnen wohlgesinnte Bürger? Warum zeigen sie genausowenig Interesse an wirklichem Dialog wie die militant Antireligiösen? Warum stellen sie alle wissenschaftlichen Befunde ebenso einseitig dar wie diese? Warum schwingt man die Keule alles oder nichts? Warum verlangen die Religionen damit vom Staat quasi uneingeschränkte Akzeptanz geben aber zu erkennen, dass sie den Staat insofern allenfalls tolerieren? Warum kann man sich nicht an einen Tisch setzten und über die jeweiligen Wertvorstellungen diskutieren – mit offenem Ergebnis? Es sind doch auch Übergänge und Veränderungen möglich, im Staat ebenso wie in den Religionen (dort steinigt auch keiner mehr in Deutschland). Und brauchen wir nicht einen (bisher fehlenden) offenen Dialog?

    Ich möchte bei der Beschneidung diese offene Diskussion über die wirklichen Interessen aller Beteiligten – und viele Interessen und Ängste sind noch heute nicht wirklich bewusst geworden. Und ich finde die Änderung im BGB richtig, denn warum soll der Staat das Kindeswohl nicht gleichermaßen verteidigen dürfen wie die Religionen? Aber warum kann unsere Politik nicht staatliche Anliegen verteidigen ohne gleich gegen zu sein? Warum wird ihr (auch von ihr selbst) nicht zugestanden, auch mal religiöse Themen anzusprechen – ohne bei der ersten Gegenstimme sich sofort zurückziehen zu müssen? Warum darf sie nicht auch wichtige Themen langfristig diskutieren, denn ich finde Aktionen gegen die Eltern mit @Martin Holzherr problematisch, zumal sie sich oft gegen die falschen richten.

    Nur: Warum will niemand ein Mit-Ein-Ander (Lernen und Diskutieren)?
    Und wie können wir denn zu einem Mit-Ein-Ander kommen, wenn jeder Diskussionsanstoss blockiert wird? Brauchen wir dann nicht doch erstmal ein aufrüttelndes Gegeneinander, dass die allseitigen Denkbarrieren schwächt und eine gemeinsame Re-Konstruktion ermöglicht?

    Hat nicht die Individualisierung längst auch die Religionen erreicht – nicht als Einzelperson, sondern als Gruppe. Und ist nicht das unreflektierte Beharren, das Weiter-So-Wie-Bisher der Religionsvertreter genau das Gegenteil des von Ihnen, @Michael Blume, angesprochenen elterlichen Abwägens?

    Und was die Schwächung der Werte angeht (@Martin Holzherr & @Webbaer) – ist die wirklich so allgemein? Ist es nicht vielmehr so, dass wir in einer Zeit des Umbruchs leben, einer Zeit der Pluraliserung der Erfahrungen und der Werte. Und dass wir ALLE noch nicht gewohnt sind, andere Ansichten zu akzeptieren? Dass wir ALLE Schwierigkeiten haben, den uns Nahestehenden abweichende Sichtweisen zuzugestehen. Und dass sich diese Schwierigkeiten gerade zwischen Eltern und Kindern manifestieren?

  129. @Ano Nym (12.07.2012, 18:13):

    “Fundiert gegenteiliger Ansicht sind
    Robert S. Van Howe, Michelle R. Storms: How the circumcision solution in Africa will increase HIV infections [1].”
    Wie bereits geschrieben, finden Sie zu praktisch jeder wissenschaftlichen Aussage eine gegenteilige Ansicht. Die Debatte, ob diese Ansicht wirklich fundiert ist oder nur eine unplausible Aussenseitermeinung darstellt, wird direkt in der wiss. Literatur selbst geführt. Wenn man die Debatte zu diesem Artikel verfolgt, stösst man unweigerlich auf folgende Antwort:
    http://www.publichealthinafrica.org/…ia.2011.e32
    Die unwidersprochene vernichtende Kritik an Ihrem zitierten Artikel lautet demzufolge:
    a) Van Howe bringt in seinem Artikel keine konstruktiven Vorschläge.
    b) Van Howe stützt seine destruktive Kritik ausschliesslich auf unbewiesene Vermutungen.

    Abgesehen davon muss man sich mal einige Absurditäten auf der Zunge zergehen lassen, denn laut Van Howe wird
    a) HIV in Afrika hautsächlich von Ärzten verbreitet (“HIV is more likely to be spread iatrogenically”) und es soll
    b) hauptsächlich das Predigen von sexueller Abstinenz und Treue (und an dritter Stelle, der Kondomgebrauch) HIV Einhalt gebieten.
    Also wenn ich das höre, dann sprudeln nur so die Punkte beim crackpot index…

  130. @Physiker: Merkwürdiger Einwand

    Van Howe bringt in seinem Artikel keine konstruktiven Vorschläge.

    Ich verstehe nicht, was Sie damit ausdrücken möchten. Eine Maßnahme, die den angestrebten Zweck verfehlt, stellt man ein oder führt sie gar nicht erst durch.

    Van Howe stützt seine destruktive Kritik ausschliesslich auf unbewiesene Vermutungen.

    Ich habe den Artikel jetzt nicht offen, da müssen Sie schon eine der unbewiesenen Vermutungen explizit benennen, die für das Urteil van Howe’s entscheidend ist.

    Abgesehen davon muss man sich mal einige Absurditäten auf der Zunge zergehen lassen, denn laut Van Howe wird
    a) HIV in Afrika hautsächlich von Ärzten verbreitet (“HIV is more likely to be spread iatrogenically”)

    Jetzt muss ich doch noch das PDF öffnen 🙁

    Da haben Sie den letzten Absatz page 14 col. 1 falsch verstanden. Dort geht es darum, dass Mittel für Kondome in das Beschneidungsprojekt fließen. Die Autoren machen die Rechnung auf, dass pro Beschneidung 3000 Kondome fehlen.

    Dann skizzieren die Autoren, dass die medizinischen Dienstleister, die durch Beschneidungen in Beschlag genommen sind (“busy performing circumcisions”) andere Patienten zwingen, dort Hilfe zu suchen, wo die hygienischen Zustände schlechter und die Wahrscheinlichkeit sich (deshalb) mit HIV zu infizieren höher (“more likely”) ist.

    Das “more likely” bezieht sich auf die Hygiene, nicht auf andere Verbreitungswege. Die Autoren behaupten schon gar nicht, dass HIV in Afrika hauptsächlich durch Ärzte verbreitet würde.

    b) hauptsächlich das Predigen von sexueller Abstinenz und Treue (und an dritter Stelle, der Kondomgebrauch) HIV Einhalt gebieten.

    “ABC” scheint eine verbreitete Strategie zu sein. Was das ist, findet man mit google:

    http://www.avert.org/abc-hiv.htm
    http://www.aerzteblatt.de/…Infektion-A-B-C-Regel
    http://en.wikipedia.org/…_faithful,_use_a_condom

  131. fragwürdige Diskussion

    Die Diskussion um die Beschneidung aus religiösen Gründen ist sehr fragwürdig und scheinheilig:
    1) Wenn Mädchen Löcher in die Ohrläppchen gestochen bekommen – dann ist dies eindeutig auch Körperverletzung. Warum regt sich niemand darüber auf – sind Mädchen keine Menschen?
    2) Wir Menschen sind soziale Wesen, für welche die Zugehörigkeit zu Gruppen (Familie, Religionsgemeinschaft, Vereine, usw.) extrem wichtig ist. Wer die Beschneidung in Frage stellt, nimmt sowohl den Eltern die Möglichkeit ihre Kinder in diesen Sozialverbund auf zu nehmen, wie auch den Kindern die Möglichkeit, aufgenommen zu werden. Man müsste mal diskutieren, was schlimmer ist: soziale Ausgrenzung oder Beschneidung. Dieser soziale Aspekt wird viel zu wenig diskutiert und abgewogen.
    3) Vor kurzem kam ein Vertreter einer Kinderschutzorganisation (bei UN angesiedelt) im Fernsehen(3sat). Für diese Organisation ist die Beschneidung akzeptierbar, da sie keine dauerhaften Schäden verursacht bzw. das Leben des Kindes nicht gefährdet; es sollte nur darauf geachtet werden, dass medizinisch korrekte Bedingungen herrschen.

  132. @Ano Nym:

    “Es liegt in der überragenden Mehrheit der Fälle (wie auch beim Fall, der in Köln verhandelt wurde) bei religiös motivierten Beschneidungen keine wirksame Einwilligung vor. Das ist nicht meine Privatmeinung, das ist die Rechtslage im Kölner Sprengel.”
    Genau das kritisiere ich:
    Bei einer Beschneidung durch einen Arzt, sind alle auf der verlinkten Wiki-Seite aufgelisteten Voraussetzungen für eine Einwilligung erfüllt.
    Im übrigen wird das auch im Kölner Urteil nicht angezweifelt – ich zitiere daraus:
    “Eine Einwilligung der Eltern lag vor, vermochte indes die tatbestandsmäßige Körperverletzung nicht zu rechtfertigen.”
    Das Kölner Gericht zieht bei der Beurteilung des Kindeswohl nur deswegen keine medizinischen Vorteile in betracht, weil der Sachverständige in Mitteleuropa keine Notwendigkeit für vorbeugende Beschneidungen zur Gesundheitsvorsorge sieht. Daraus zieht das Kölner Gericht und Sie fälschlicherweise den Schluss, dass es keine medizinischen Vorteile gibt und lässt diese auch deshalb bei der Bewertung des Kindeswohls unberücksichtigt.
    Sie vermitteln also ein völlig falsches Bild von dem Urteil. Zudem bleibt meine Kritik, dass die medizinischen Vorteile beim Kindeswohl nicht berücksichtigt wurden, weiterhin bestehen.

  133. @Ano Nym @ Physiker

    »Dann skizzieren die Autoren, dass die medizinischen Dienstleister, die durch Beschneidungen in Beschlag genommen sind (“busy performing circumcisions”) andere Patienten zwingen, dort Hilfe zu suchen, wo die hygienischen Zustände schlechter und die Wahrscheinlichkeit sich (deshalb) mit HIV zu infizieren höher (“more likely”) ist.«

    Diesen Abschnitt:

    „With trained medical providers busy performing circumcisions, patients will be forced to seek medical care provided in settings where sterility of equipment is less likely and HIV is more likely to be spread iatrogenically.

    …hatte ich etwas anders verstanden, nämlich so: Es ist die medizinische Beschneidungspraxis als solche, welche Patienten darin bestärkt, Kliniken zu eben diesem Zweck aufsuchen. Und dort ist eben die Sterilität der Ausstattung wenig wahrscheinlich, was die iatrogene Verbreitung des HI-Virus wahrscheinlicher macht.

  134. @KRichard: Auch Soziales kann wachsen

    Auch die Löcher muss man diskutieren (Michael Blume hat es ja angesprochen) – und jedenfalls in den ersten drei Jahren (wo das Bewusstsein noch nicht gleich da ist) ist es aus meiner Sicht unzulässig. Und später soll das Kind auch dort selbst mit-entscheiden.

    Warum muss man denn immer mit der Macht des Faktischen arbeiten? Rassismus war früher ganz normal, das gehörte zur Gesellschaft, zu Familien, Religionsgemeinschaften und Vereinen. Und auch da hat man so argumentiert wie hier: Wenn man das nicht mehr darf, dann nimmt man den Sozialverbänden die Möglichkeit der eigenbestimmten Aufnahme.

    Und doch: Westliche Gesellschaften haben diese Macht des Faktischen zu Recht nicht akzeptiert. Sie haben diesen Bann gebrochen. Und er hat uns bereichert.

    Warum soll das nicht prinzipiell auch mit einer Verschiebung der Beschneidung ins Erwachsenenalter möglich sein? Warum soll sich denn eine Gruppe unhinterfragt über die dauerhafte Veränderung eines der sensibelsten Körperteile definieren dürfen – wenn wir die Definition über die Psyche oder Optik nicht akzeptieren? Und warum sollen wir es auch dann noch tun, wenn selbst ein Großteil der Religiösen diesen Brauch nur wegen des Gruppenzwanges vollzieht?

    Was die Schäden angeht: Auch dort wird nur behauptet, es gäbe keine – weil man sie nicht sieht, weil die Betroffenen den anderen Zustand nicht kennen, weil man gesellschaftliche Spätfolgen kaum untersuchen kann. Es gibt aber nachweisliche Veränderungen – ein der Anlage nach inneres Organ wird zu einem äußeren Organ.

    Ich bin im Sinne der Akzeptanz der Religionen dafür, die Beschneidung heute noch zuzulassen. Ich bin aber auch für eine institutionalisierte sachliche Diskussion auf diesem Bereich.

  135. Bundesregierung will Straffreiheit

    Im SPON liest man:
    “Die Bundesregierung reagiert auf das umstrittene Urteil des Kölner Landgerichts, das religiöse Beschneidungen als Körperverletzung bewertete. Schwarz-Gelb will rasch dafür sorgen, dass die rituellen Beschneidungen straffrei gestellt werden. “

  136. @Balanus: busy

    …hatte ich etwas anders verstanden, nämlich so: Es ist die medizinische Beschneidungspraxis als solche, welche Patienten darin bestärkt, Kliniken zu eben diesem Zweck aufsuchen. Und dort ist eben die Sterilität der Ausstattung wenig wahrscheinlich, was die iatrogene Verbreitung des HI-Virus wahrscheinlicher macht.

    Nach meinem Empfinden liegt die Betonung auf dem Ausgelastetsein (“busy”). Aber für den Nachweis, dass das die Behauptung “a)” von Physiker unzutreffend ist, ist das nicht erheblich.

  137. D. Graumann zu Juden & Kindern

    Themen dieses Blogposts und auch der hier in den Kommentaren geäußerte Vorwurf, Juden würden ihre Kinder gezielt schädigen, wurde nun auch vom Präsidenten des Zentralrats der Juden kommentiert. Ich zitiere:

    “Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, warnte vor verheerenden Auswirkungen, sollte sich das Kölner Urteil in der deutschen Rechtsprechung durchsetzen. “Wenn sich der Tenor des Gerichtsurteils bestätigt, würde jüdisches Leben in Deutschland wirklich auf Dauer unmöglich gemacht”, sagte er.

    “Das bitte ich sehr ernst zu nehmen.” Besonders verletzend sei der Vorwurf, dass den Kindern Schaden zugefügt würde. Die jüdische Liebe zu Kindern sei legendär. Da werde absolut keine Nachhilfe benötigt., so Graumann.”
    http://www.morgenpost.de/…straffrei-bleiben.html

    Zu Lektüre & Nachdenken empfohlen.

  138. @Noit Atiga

    Es sollte sachlich neutral diskutiert werden. Wer die Beschneidung ablehnt muss dann ganz klar und eindeutig auch Ohrlochstechen bei Mädchen ablehnen. Jede andere Diskussionsweise ist fremden- und frauenfeindlich.

    (PS.: zum Thema ´Bewusstsein´: Im Spiegel Nr. 25 war das Titelthema ´Das Leben vor der Geburt´. Zunehmend legt die medizinische Forschung Wert auf die Untersuchung der Lebensumstände von Feten (z.B. ´Prenatal Identification of Children´s Health´, Prof. Petra Arck, Dr. Diemert). Denn es zeigt sich, dass die Lebensumstände(Emotionen, Ernährung) im Mutterleib deutliche Spuren hinterlassen welche sich auf die zukünftige Entwicklung eines Menschen auswirken.
    D.h. Ihre Annahme, dass das Bewusstsein in den ersten Lebensjahren nicht gleich da wäre – ist fragwürdig.)

  139. @KRichard: Teils, teils

    Ich lehne ja wie beschrieben auch Ohrlöcher vor einer entsprechenden Entscheidung des Kindes (eher) ab. Dennoch gibt es dort einen qualitatitven Unterschied – es geht kein empfindsames Körperteil verlustig.

    Zum PS: Spuren sind nicht identisch mit Bewusstsein. Das Kind wird anfangs vor allem über das implizite Gedächtnis geprägt, diese Prägungen sind aber nicht bewusst – man kann sich an sie also nicht gezielt erinnern. Das ändert sich erst im Laufe der Entwicklung. Ein stabiles Selbstbewusstsein wird ab etwa 3 Jahren entwickelt – Kinder beginnen dann wirklich miteinander zu spielen. Allerdings haben sie noch nicht die Kapazität, den Zeitzusammenhang zu erkennen. Das dauert dann noch etwa 2 weitere Jahre. Idealweise müsste man also auch bei Ohrlöchern bis nach dieser Zeit warten – denn dann kann sich das Kind auch gewisse zeitliche Konsequenzen vorstellen.

  140. @Michael Blume: Akzeptanz ist das nicht

    Besonders verletzend sei der Vorwurf, dass den Kindern Schaden zugefügt würde. Die jüdische Liebe zu Kindern sei legendär. Da werde absolut keine Nachhilfe benötigt., so Graumann.

    Es geht ja gar nicht um Nachhilfe über Kinderliebe. Es geht um die Frage von Abwägungen zwischen verschiedenen Interessen. Und auch in der Verbindung zwischen erstem und zweitem Satz wird (bewusst) mit rhetorischen Keulen gearbeitet.

    Das LG Köln wirft keine Schadenszufügung vor, es stellt lediglich fest:

    Die in der Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist, wenn sie denn erforderlich sein sollte, jedenfalls unangemessen. Das folgt aus der Wertung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zudem wird der Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert.

    Die körperliche Unversehrtheit aber ist selbst bei Heileingriffen verletzt. Und es geht um die Frage, wieweit diese Verletzung im religiösen Interesse der Eltern gerechtfertigt werden darf. Und weil das Judentum so kinderlieb ist, darum bedaure ich besonders die fehlende Diskussion um die möglichen ungewollten Nachteile – der unzweifelhaft erfolgenden dauerhaften und irreparablen Veränderung.

    Aber der Erzbischof Gerhard Ludwig Müller hat (wenn auch mit anderer Zielrichtung) das eigentliche Problem angesprochen. Nur wird man das auf die Art und Weise nie lösen können, sondern Deutschland wird auf dem auch hier wieder beschrittenen Weg immer wieder in Geiselhaft genommen. Der Akzeptanz der Religionen in Deutschland ist das alles andere als dienlich.

    Vielmehr wird wieder einmal mit dem Pochen auf politisch korrektes Verhalten eine im Wachsen befindliche Brücke zerstört, es werden damit Ressentiments ungewollt und ungewusst aber tatkräftig genährt. Denn man fordert Akzeptanz für seine eigene religiöse Ansicht ohne wenigstens in Ansätzen auch die weltlichen Wertungen zu tolerieren, zu akzeptieren, oder auch nur der Hoffnung auf spätere Akzeptanz eine Chance zu lassen…

    Das ist die oben schon angesprochen Einseitigkeit. Denn auf Seiten des Staates liegt keine Diskriminierungsabsicht vor, keine Verletzungsabsicht, sondern nur die Absicht, den in eigenen Angelegenheiten normierten Schutz allgemein anzuwenden. Dass die Religionen das nicht einmal verstehen wollen, das widerlegt die vorgebliche Akzeptanz. Dazu würde – auch bei eigenen Dogmen – das Ergründen der Verschiedenheit und ihrer Ursachen ebenso gehören, wie die Suche nach gemeinsamen (Zusammenbe)Wegen und damit offene Diskussionen…

  141. @Noit Atiga

    Ich wollte nur die Diskussion versachlichen: Beschneidung und Ohrlochstechen sind beides Körperverletzungen, wenn man das Ganze sehr eng sieht. In der Realität haben die Kinder aber kein Probleme damit, dieses Ereignis ist bald vergessen.

    Aber wir sollten bei dieser Diskussion die sozialen Aspekte nicht vergessen (Gruppenzugehörigkeit, Gemeinschaftsgefühle, freie Religionsausübung). Soziale Ausgrenzung ist oft schlimmer als eine geringfügige Körperverletzung. Treibt man hier den Teufel mit dem Belzebub aus?

    zum PS: Prof. Castiello und sein Team konnten mit4D-Ultraschallaufnahmen zeigen, dass bereits Zwillingsfeten der 14.-18. Woche über ein Gedächtnis verfügen und in der Lage sind, vorsätzlich planend zu denken: Bewegungen der Hände erfolgten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, je nachdem, welches Ziel dann berührt wurde.
    D.h. Hier ist bereits ein Selbst und ein Bewusstsein erkennbar.
    (Umberto Castiello, u.a. Universität Padua, Italien: Wired to be social: The Ontogeny of Human Interaction)

  142. @KRichard

    »1) Wenn Mädchen Löcher in die Ohrläppchen gestochen bekommen – dann ist dies eindeutig auch Körperverletzung.«

    Korrekt! Ein Ohrloch kann aber wieder zuwachsen, und die Funktion des Ohrläppchens wird durch das Loch nicht eingeschränkt, sondern, so könnte man sagen, erst hergestellt.

    Anders verhält es sich mit der Beschneidung der Mädchen. Diese ist auch eindeutig eine irreparable Körperverletzung, selbst wenn sie relativ minimal ist wie hier in Indonesien und nur aus Liebe der Eltern zu ihren Kindern geschieht.

    »2)Wer die Beschneidung in Frage stellt, nimmt sowohl den Eltern die Möglichkeit ihre Kinder in diesen Sozialverbund auf zu nehmen, wie auch den Kindern die Möglichkeit, aufgenommen zu werden.«

    Das erscheint mir sehr weit hergeholt. Was sollte die Eltern daran hindern, ihre Kinder in die Religionsgemeinschaft aufzunehmen und sie religiös zu erziehen? Die noch vorhandene Vorhaut? Zudem, es gibt auch nicht beschnittene Juden und vermutlich auch nicht beschnittene Muslime.

    »3) Für diese [Kinderschutz]Organisation ist die Beschneidung akzeptierbar, da sie keine dauerhaften Schäden verursacht bzw. das Leben des Kindes nicht gefährdet […]«

    Die schützende Vorhaut ist unwiederbringlich verloren. Bleibt also nur das fragwürdige Argument, das Leben des Kindes sei durch die Prozedur nicht gefährdet. Na ja…

  143. @Michael Blume

    Besonders verletzend sei der Vorwurf, dass den Kindern Schaden zugefügt würde. Die jüdische Liebe zu Kindern sei legendär. Da werde absolut keine Nachhilfe benötigt., so Graumann.
    http://www.morgenpost.de/…straffrei-bleiben.html

    Zu Lektüre & Nachdenken empfohlen.

    Was steht da Neues drin, was bedenkenswert sein sollte? Ich meine jetzt außer der Tatsache, dass man für den religiös motivierten Wunsch, Kindern die Vorhaut abzusäbeln, gerne Rechtssicherheit hätte. Das kann man natürlich per Behauptung als kinderlieb bezeichnen, aber das bedeutet nicht, dass es auch tatsächlich kinderlieb ist.

  144. @KRichard

    Ich sehe es mittlerweile fast so eng – habe ich doch erfahren, erlebt und beobachtet, welche negativen Konsquenzen auch scheinbar unproblematische Eingriffe haben können. Gerade in den ersten Lebensjahren.

    Dazu muss ich jetzt doch das PS in den Text holen. Die Grundform von Bewusstsein wollte ich gar nicht bestreiten. Aber das ist wie beim Kleinkind noch kein ausgereiftes Selbstbewusstsein im Sinne einer Vergewisserung der eigenen Existenz unabhängig von Bezugspersonen und Zeit. Und diese frühen Erlebnisse werden auch später meist nicht erinnert (Infantile Amnesie). Das ist aber gerade bei Verletzungen problematisch, denn die können über das implizite Gedächtnis zu einem Unwohlsein führen – dessen Grund das Kind nicht aufarbeiten kann, die sich aber das ganze Leben lang trotzdem in gewissen Situationen mit ähnlichen Bezugspersonen bemerkbar machen können. Es werden in dieser Zeit also Strukturen angelegt, die später implizit weiterwirken – auch wenn das zum Nachteil des Kindes ist. Nur ist das eben schwer erforschbar.

    Dazu kommt, dass die sozialen Aspekte in dieser Zeit fast ausschließlich an den engen Bezugspersonen liegen. Es gibt noch keine Ausgrenzung durch Gleichaltrige – soweit sie nicht seitens der Bezugspersonen erfolgt. Damit sind auch Ohrlöcher in dieser Zeit nur für die Eltern oder andere Erwachsene da – nicht für die Kinder. Die machen zwar anfangs schon alles nach, doch setzen sie sich noch nicht gleichermaßen definitorisch in Beziehung.

    Das Risiko der Ablehnung besteht also vielmehr seitens der erwachsen(er)en Gemeinde. Das ist heute wohl zumindest teils real – daher und aus Akzeptanz der Religionen befürworte ich ja heute noch die Zulässigkeit der Beschneidung. Aber ich wünsche mir daher auch die Akzeptanz der staatlichen Wertungen durch die Religionen – in Form der Diskussion über das wirkliche Kindeswohl.

  145. @Michael Blume: Tagesmuttertätigkeit

    Der BGH hat entschieden – allerdings nur, dass die vereinbarten Regeln (Absprache gewisser Tätigkeiten mit den anderen Wohnungseigentümern) nicht eingehalten wurden und die Tagesmutter deswegen nicht dort tätig werden darf.

    Wenn sie sich an die Regeln hält, dann dürfte sich das kindliche Leben entfalten dürfen – denn der Gesetzgeber schützt Kinder auch hier, § 22 Abs. 1a BImSchG: Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden.

    Vielleicht sind ja die staatlichen Abwägungen in Deutschland doch konsequent kinderfreundlich…

  146. @Noït Atiga /BGH

    Merkwürdig, man mag kaum glauben, dass sich das Urteil bzw. die Pressemitteilung des BGH wirklich auf den von Spiegel-Online berichteten Fall bezieht. Da kann man mal wieder sehen, wie vorsichtig man mit Medienberichten umgehen muss…

  147. TV-Nachrichten, @Noit Atiga

    Gestern kam in den Nachrichten, dass die Bundesregierung die Beschneidung per Gesetz straffrei stellen wird.

    Millionen Jungs wurden seit Jahrhunderten beschnitten und es gibt kaum Hinweise, dass dieser Vorgang Schäden hinterlässt. Ich konnte mich bisher des Eindrucks nicht erwehren dass unsere deutsche Beschneidungsdiskussion einen fremdenfeindlichen Hintergrund gegen andersartige Menschen hat. Wer sachlich argumentieren will, müßte Schadensberichte als Diskussionsgrundlage vorlegen.

    @Noit Atiga
    Die Experimente von Prof. Castiello zeigen, dass sowohl ein Selbst, wie auch ein Bewusstsein und auch planerisches Denken in der 14.-18. SSWoche vorhanden ist.
    Nach der Geburt müssen wir erst lernen, uns von der Umwelt zu entgrenzen und eine eigene ICH-Identität zu entwickeln. Dies geschieht zusammen mit dem Erlernen der Sprache etwa im 2.-4./5. Lebensjahr.Wenn wir uns später absichtlich(!) an frühe Kindheitserlebnisse erinnern wollen, dann ist die erinnerbare Grenze in diesem Alter – da vor dem Erlernen der Sprache keine beschreibbaren Erlebnise geschildert werden können (Infantile Amnesie).
    Aber – Es lässt sich belegen, dass wir uns in bestimmten Situationen an fetale Erlebnisse ab dem 5. SSMonat bewusst erlebbar erinnern können – und zwar genau in der gleichen Reihenfolge, wie sich die Sinne beim Fetus entwickeln: Fühlen > Sehen > Hören (Sogar die Unterdrückung von bekannten Geräuschen (Habituation) während der Entwicklung des Sehsinnes lässt sich belegen.). Allerdings werden diese vorverbalen Erfahrungen beim Erinnern in beschreibbares Wissen umgedeutet. D.h. unser episodisches Gedächntis ist ab dem 5. SSMonat aktiv – und das Thema ´Infantile Amnesie´ müsste eigentlich neu diskutiert werden.

  148. @KRichard: Episodisches Gedächtnis

    Nichts gegen eine neue Diskussion unserer Erkenntnisse über das episodische Gedächtniss, doch ich habe diese Ergebnisse bisher anders gedeutet. Aus meiner Sicht geht es dabei eher um eine nachträgliche Assoziation der grundlegenden Erfahrung(en) mit heute bekannten. Wobei das “Erinnern” da wohl erher in der Reaktion auf die Intensität des Assoziationsgefühls besteht, was bei den ersten Erfahrungen einer Art ja deswegen so bedeutsam ist, da es die Neuronenstruktur grundlegend formt. Das war mir auch immer die Erklärung für die von Zwillingen berichtete Leere bei Abwesenheit ihres Geschwisters (was ja dazu passt). Oder dafür, dass wir auf gewisse Situationen unbewusst mit starken Gefühlen reagieren, denn sie sind relativ kongruent mit den strukturierenden Situationen. (Wenn Sie dazu andere Auswertungen kennen würde ich mich über einen Hinweis freuen.)

    Aber unabhängig von der konkreten Erklärung: Das spricht mir doch sehr gegen die Beschneidung. Geht es doch dort um das neben Lippen und Fingern empfindlichste Organ des Mannes und dieser Eingriff wirkt daher sehr wahrscheinlich grundlegend in der Formung des Gefühls- und Schmerzerlebens. Nun könnte man sicher über diese Erfahrung ähnlich wie die fetalen Erlebnisse wiederbeleben – nur wäre das ethisch nicht zulässig. Schließlich besteht die Wahrscheinlichkeit, damit eine Traumatisierung aufzufrischen, die man dann nicht zu heilen versteht. Vielleicht gibt es auch darum nur wenige und wenn dann indirekte Studien über Anzeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung?

  149. @Noit Atiga: Gedächtnisspuren

    Ich habe eindeutig dokumentiert, dass und wie man sich an Erlebnisse ab dem 5. Schwangerschaftsmonat erinnern kann. Sie können dazu kostenlos den größten Teil meines Buches ´Near-Death Experiences completely explained´ (Buch/e-book) per books.google oder Amazon (search inside)kostenlos(!) einsehen.
    (Damit habe ich öffentlich das geistige Urheberrecht für die Erkenntnis dokumentiert, dass wir uns bewusst(!) an Erlebnisse ab dem 5. SSMonat erinnern können. Gleichzeitig dokumentiere ich damit, dass NTEs nur komplett erklärbare Gehirnaktivitäten sind; Übersinnliches ist auszuschließen. Den Begriff NTE muss ich verwenden (auch wenn er unsinnig ist) da er mir durch die Literaturquelle, auf die ich mich berufe, vorgegeben ist.)

    Der Geburtsvorgang ist ein sehr intensives Erlebnis – aber im Rahmen der NDEs/NTEs ist er nicht direkt erinnerbar – sondern nur indirekt durch Veränderung der erinnerten Lichtwahrnehmung (von mattem(vorgeburtlich) zu intensiv leuchtendem Licht(nachgeburtlich)).
    Wenn aber ein so langes und intensives Erlebnis wie die Geburt keine erinnerbare Gedächtnisspuren hinterlässt – dann ist davon auszugehen, dass dies auch bei einer Beschneidung genau so ist: z.B. Jüdische Knaben werden im Alter bis zu 8 Tagen beschnitten; kurz nach der Geburt (= vergleichbares Alter).

  150. @KRichard

    Millionen Jungs wurden seit Jahrhunderten beschnitten und es gibt kaum Hinweise, dass dieser Vorgang Schäden hinterlässt.

    http://www.pflegewiki.de/…ionen_der_Beschneidung

    Ich konnte mich bisher des Eindrucks nicht erwehren dass unsere deutsche Beschneidungsdiskussion einen fremdenfeindlichen Hintergrund gegen andersartige Menschen hat.

    Auf die Antisemitismus-/Fremdenfeindlichkeitskeule kann offenbar kein Befürworter bei dieser Diskussion verzichten.

    Wer sachlich argumentieren will, müßte Schadensberichte als Diskussionsgrundlage vorlegen.

    Es wird ein klar körperverletzender Eingriff aus nicht-medizinischen Gründen und ohne medizinische Indikation an Kindern vorgenommen. Somit obliegt den Befürwortern die Beweislast, nicht den Gegnern. Ansonsten: Siehe obenstehender Link.

    Wenn aber ein so langes und intensives Erlebnis wie die Geburt keine erinnerbare Gedächtnisspuren hinterlässt – dann ist davon auszugehen, dass dies auch bei einer Beschneidung genau so ist: z.B. Jüdische Knaben werden im Alter bis zu 8 Tagen beschnitten; kurz nach der Geburt (= vergleichbares Alter).

    Geburten gibt es in dieser Form seit Hunderten von Millionen Jahren. Was spricht also gegen die Annahme, dass die Evolution Schutzmechanismen in unser Gehirn eingebaut hat, die uns den psychosomatischen Stress dieses Vorgangs verarbeiten lässt?

  151. @KRichard: Not convinced

    Ich bin auch nach der Lektüre Ihres Buches nicht wirklich überzeugt, dass die Erkenntnisse für ein episodisches Gedächtnis sprechen. Diese Erfahrungen lassen sich vielmehr ähnlich unter Bezug auf das implizite Gedächntnis erklären.

    A person who can report of his/her experiences must have been alive and in a state of awareness when these experiences were made and stored in the memory. (Pos. 186/1344)

    Mit dem lebend bin ich einverstanden, mit Bewusstsein habe ich einige Probleme – denn Träume können wir auch erinnern, obwohl wir sie nicht bewusst erleben. Auch darum bin ich überzeugt, dass es eher um Assoziationen geht. Das finde ich dann (aus meiner Perspektive) auch auf Pos. 265 (Fetus age up tp 23rd week) wieder: ein gewisser Stimulus weckt Assoziationen zu dieser grundlegenden Erfahrung – was aber berichtet wird, das ist nicht die damalige Erfahrung oder eine irgendwie gespeicherte Episode, sondern das sind die aktuellen Gefühle (die eben aufgrund der lange zurückliegenden Ersterfahrung über die impliziten prozeduralen Erinnerungen erzeugt werden).

    Dafür spricht für mich auch Ihre Summer experience (Pos. 697): Die stärksten Assoziationen kamen aus dem Bezug zu Ihrer Freundin und aufgrund dieser Assoziationen wurden die warem sommerlichen Gefühle hervorgerufen – vermutlich weil Ihnen das damals 2 Jahre eher zum ersten Mal so (intensiv) passiert ist. Das Gehirn hatte also die bis dato unbekannten Liebesgefühle zunächst unzertrennlich mit den bekannteren Sommer-Eindrücken verknüpft. Was Sie aber “erinnert” haben, das war zunächst nicht die vorherige Episode, sondern nur die daraus hervorgegangene Verbindung im impliziten Gedächtnis. Das wurde aber vom Gehirn auch schnell korrigiert – weswegen später diese Assoziation nur schwächer fortbesteht, aber sie kann trotzdem weiter wirken.

    Bei Kleinkindern nun wird vermutlich nur implizit abgespeichert. Und was sie dann später erinnern, dass sind allenfalls Gefühlszusammenhänge – ein besonders weiches, intensives Tasten etwa geht mit einem Ruhegefühl daher, weil damit keine sonstigen Eindrücke verknüpft sind. Und diese Verknüpfung kann nur geändert werden, wenn wir wirklich ebenso intensiv fühlen und dabei doch noch Anderes erleben – was so absolut recht unwahrscheinlich ist, denn dann wird unsere Aufmerksamkeit ja geteilt.

    Darum ist auch die Untersuchung der genauen Auswirkungen eines körperlichen Eingriffs so schwer – es müsste der richtige Trigger getroffen werden. Wir müssten also entweder den Eingriff wiederholen (bei Beschneidung unmöglich) oder das sonstige Setting ausreichend ähnlich herstellen. Da diese Umgebung aber für jedes Kind anders war, ist das methodisch unmöglich – außer man führte die Beschneidung mit verschiedenen Settings in kontrollierten Gruppen durch, was zur Recht ethisch unzulässig ist. Daher auch kann man nur indirekte psychische Komplikationen untersuchen, die man aber wieder nicht ganz eindeutig zuordnen kann.

    Interessant dort war auch der plausible Verweis auf (psycho)genealogische Muster, wie sie Anne Ancelin Schützenberger untersucht hat. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum die Religionen so abweisend reagieren? Warum es ein so starkes Dogma ist?

    Dass es bei der normalen Geburt nicht (oder weniger) zu derartigen psychischen Folgen (und Erinnerungen) kommt, das dürfte wirklich mehr an der entsprechenden Anpassung der Natur liegen (wie Spritkopf schreibt). Denn in diesem Zeitpunkt sind viele Hormone aktiv…

  152. @Noit Atiga@ Spritkopf: Schmerzempfinden

    Man kann die bei Nahtod-Erlebnissen berichteten Erfahrungen ernsthaft untersuchen oder nicht. Das ist nicht mein Problem – aber wer ernsthaft diskutieren will muss alle Möglichkeiten untersuchen. Alle NTEs laufen nach einer einheitlichen Struktur ab, daher wäre eine Analyse sinnvoll.

    Aber für die verminderte Schmerzempfindung von Babys/Kleinkindern gibt es weitere Sachargumente:
    Bei der Geburt hat das menschliche Gehirn ein Volumen von ca. 0.35 Liter, damit der Schädel durch den Geburtskanal passt. Nur wenige Nervenleitung sind von der isolierenden Myelinschicht umgeben.
    Beim erwachsenen Menschen besteht ca. 60 % des Gehirnvolumens aus Myelin.
    Myelin ist extrem wichtig für die Reiz-empfindung und – weiterleitung. Ohne Myelin ca. 3 m/s, mit Myelin ca. 110 m/s Reizgeschwindigkeit.
    Baby´s und kleine Kinder sind relativ unempfindlich gegen Schmerzen. Dies können Sie sehr schön bei Kleinkindern erkennen, wenn diese schon laufen können. => z.B. wenn sie sich an scharfen Kanten stoßen, dann schreien sie nicht! Sie blicken erst nach anderen Personen und nur wenn diese erschrocken sind, dann weint auch das Kleinkind. Wenn dieser Stoß aber von anderen Personen nicht bemerkt wurde, dann spielt das Kind ohne Geschrei weiter. D.h. der empfundene Schmerz ist vom Sozialverhalten und der Myelinumhüllung von Nervenleitungen abhängig

  153. @KRichard: Unbedingt ernsthaft

    Ich bin unbedingt für die ernsthafte Diskussion und dankbar über jeden ernstgemeinten Einwurf – darum habe ich mich ja auch mit Ihrer Darstellung beschäftigt und meine Sicht dazu formuliert. Insgesamt haben Sie insofern Recht, als man das noch weiter untersuchen muss.

    Beim Schmerzempfinden bin ich prinzipiell erneut bei Ihnen – nur sagt die Geschwindigkeit der Reizweiterleitung nicht so viel über die Existenz von Reizen aus. Und auch wenn Ihre Beobachtung bei Kleinkindern stimmt und Schmerzäußerung sozial geformt wird – hier spielt noch ein Weiteres hinein. In manchen Fällen schreien die Kleinen nämlich sofort. Warum? Aus meiner Sicht, weil die Schmerzen deutlicher sind, und das sind sie bei stärkerer Verletzung oder bei Verletzung eines sensibleren Organs.

    Und da sehe ich den Unterschied. Denn selbst Neugeborene schreien ja ohne Rückversicherung bei der Bezugsperson, etwa wenn Hunger haben. Vielleicht ist es bei der Beschneidung ja ähnlich?

  154. @Spritkopf

    Möglicherweise gehen Sie ja wirklich davon aus, die Sache ganz rational und ohne Ressentiments zu betrachten. Dann aber rutschen Ihnen doch wieder Formulierungen heraus wie der ” religiös motivierten Wunsch, Kindern die Vorhaut abzusäbeln“, womit Sie ein wichtiges Ritual von Juden und Muslimen völlig unzutreffend mit einer mittelalterlichen und bedrohlichen Waffe assoziieren. So, wie Sie sich ja auch ganz sicher sind, dass die WHO und alle Mediziner, die positive Gesundheitswirkungen der Vorhautbeschneidung attestieren, daneben liegen “müssen”. Wenn Sie wirklich mutig sein wollen, stellen Sie sich doch ggf. einmal den finsteren Bildern, die Sie im Bezug auf die Minderheiten haben. Gegen Ängste und Ressentiments kann man als aufgeklärter Mensch durchaus etwas tun.

  155. @KRichard: Sachlich argumentieren

    „Wer sachlich argumentieren will,“

    Wollen Sie eigentlich sachlich argumentieren? Finden Sie, dass Ihr o.g. Satzanfang sachlich ist?

    Vielleicht klären wir das erst einmal.

    Aber nun zur Sache, die hier allerdings auch schon Martin Holzherr gestern um 15:14 Uhr gemeldet hat:

    Gestern kam in den Nachrichten, dass die Bundesregierung die Beschneidung per Gesetz straffrei stellen wird.

    Frage: Hat es irgendeinen Sinn, etwas straffrei zu stellen, was schon straffrei ist?

  156. KRichard: Fremdenfeindlichkeit

    Ich konnte mich bisher des Eindrucks nicht erwehren dass unsere deutsche Beschneidungsdiskussion einen fremdenfeindlichen Hintergrund gegen andersartige Menschen hat.

    Wen würde das denn wundern, wenn selbst Ministerpräsidenten sich auf die Seite des Papstes schlagen, und die Überlegenheit des Römisch-Katholischen verteidigen?

    http://www.spiegel.de/…-ueberlegen-a-352845.html

    Aber all das vermag ja nicht darüber hinwegzutäuschen, dass die “Beschneidungsdiskussionen” nicht die Ursache für das Urteil sind. Die Ursache für das Urteil ist das geltende Recht, wie man in Berlin nun erkannt hat. Das eigene Recht. “Unser” Recht.

  157. @Ano Nym: Unser Recht

    Ich denke, Sie sind am eigentlichen Kern der Debatte angekommen, als Sie schrieben: Die Ursache für das Urteil ist das geltende Recht, wie man in Berlin nun erkannt hat. Das eigene Recht. “Unser” Recht.

    Nun müssen Sie sich (und, wenn Sie wollen, uns) nur noch verdeutlichen, wen Sie “tief drinnen” eigentlich mit “uns” meinen. Auch die Juden und Muslime? Oder sind diese für Sie kein Teil unseres Volkes?

    Ich freue mich, dass die Bundesregierung und offenkundig mehr und mehr demokratischen Parteien erkennen, dass wir eine gemeinsame Gesellschaft geworden sind und “unser” gemeinsames Recht auch Juden & Muslimen die Freiheiten zugestehen muss, die sie in allen anderen Demokratien dieses Planeten selbstverständlich haben. Das Beschneidungsverbot wäre übelste Ausgrenzung – und dass das von vielen Befürwortern auch genau so gemeint ist, haben viele von tiefen Ressentiments geprägte Kommentare hier ja eindrucksvoll gezeigt.

    Konkret nachgefragt: Gehören gläubige Juden & Muslime nach Ihrer Auffassung auch zu “uns”?

  158. @Michael Blume

    Dann aber rutschen Ihnen doch wieder Formulierungen heraus wie der ” religiös motivierten Wunsch, Kindern die Vorhaut abzusäbeln”, womit Sie ein wichtiges Ritual von Juden und Muslimen völlig unzutreffend mit einer mittelalterlichen und bedrohlichen Waffe assoziieren.

    Ich könnte Ihnen im Gegenzug vorwerfen, ständig die Wichtigkeit des Rituals zu betonen und vollkommen unter den Tisch zu kehren, dass es daraus besteht, die Genitalien von wehrlosen Kindern zu verstümmeln. Sprich, dass Sie Schönrednerei betreiben.

    So, wie Sie sich ja auch ganz sicher sind, dass die WHO und alle Mediziner, die positive Gesundheitswirkungen der Vorhautbeschneidung attestieren, daneben liegen “müssen”.

    Habe ich je den Inhalt der Studien zur HIV-Infektionsgefahr bestritten? Nein, habe ich nicht. Ich bestreite allerdings die Behauptung des Physikers, dass es einen weitreichenden Konsens in der Medizinerschaft bezüglich der Beschneidung unmittelbar nach der Geburt gäbe. Und ich bin der Auffassung, dass die möglicherweise positiven Auswirkungen erst so spät zum Tragen kommen, dass man mit der Beschneidung so lange warten kann, bis der Betroffene zur eigenverantwortlichen Entscheidung über die Entfernung der Vorhaut in der Lage ist. Habe ich mehrfach dargelegt, aber gegen Ihr bewußtes Ignorieren und Umdeuten bin ich machtlos.

    Wenn Sie wirklich mutig sein wollen, stellen Sie sich doch ggf. einmal den finsteren Bildern, die Sie im Bezug auf die Minderheiten haben. Gegen Ängste und Ressentiments kann man als aufgeklärter Mensch durchaus etwas tun.

    Ach, Sie mögen die Debatte weiter in Richtung Godwins Law treiben? Na, dann tun Sie sich mal keinen Zwang an. Ich bin draußen.

  159. @Michael Blume: JA!

    Natürlich kann ich nicht für Ano Nym sprechen – aber:
    Muslime und Juden gehören eindeutig zum Volk. Und ebenso eindeutig gehören Gläubige aller Konfessionen dazu. Und ebenso eindeutig sind die genannten Normen unser deutsches Recht. Und ebenso eindeutig entsteht das Problem aus den Wertungen diese Rechtes.
    Die Lösung ist leider nicht so eindeutig.

    Aber ebenso eindeutig fördert weder der Weg der Bundesregierung noch der Weg der Religionsgemeinschaften das Zusammenleben!

    Sie wünschen sich die Änderung und ich kann das verstehen. Aber das Verbot ist seitens des Volkes (oder der Richter) keineswegs “übelste Ausgrenzung”, sondern konsequente Fortführung von Entscheidungen in eigenen Angelegenheiten. Und ich habe oben ganz bewusst auf die vielen Kompromisse hingewiesen – die die Richter integriert haben.

    Und die Ressentiments, die Sie zu Recht beklagen, die werden durch das derzeitige Vorgehen intensivst befeuert – von den Religionsgemeinschaften selbst (und den von Ihnen gelobten Politikern). Es wird permanent von der Bevölkerung verlangt, dass sie ihre Gefühle ignoriert. Es wird verlangt, dass man den Religionen alle ihre Rituale UNHINTERFRAGT belässt. Wenn die Religionen so weiter machen – dann kann der Unmut gegen sie nur wachsen und dann bringen alle Sonntagsreden nichts.

    Florian Freistätter von scienceblogs hat manches Problem hart aber treffend dargestellt. Ich wollte den Beitrag erst bewusst nicht verlinken, denn ich bin da abwägender und möchte den Religionen viel weiter entgegen kommen – aber ich bin ebenso gegen die permanente Stigmatisierung der gesamten nichtmuslimischen oder nichtjüdischen deutschen Bevölkerung!

    UNSER Recht ist nicht das Recht der Christen, nicht das Recht der Muslime, nicht das Recht der Juden, nicht das Recht irgendwelcher Basher, nicht das Recht irgendeiner Gruppierung – sondern das Recht unseres gemeinsamen Staates, dass die Vorstellungen ALLER abwägen muss. Das die Schwachen gegen ALLE schützen muss. Und dazu gehört, dass ALLE ihre Dogmen wenigstens diskutieren! Und dazu gehört, dass die Tradition allein kein Grund ist.

    Also müssen sich die Antis aller Lager zusammensetzen und zusammendiskutieren, im Zweifel zusammenraufen – aber keiner darf diktieren, KEINER!

  160. @Michael Blume: “Unser”

    Die Ursache für das Urteil ist das geltende Recht, wie man in Berlin nun erkannt hat. Das eigene Recht. “Unser” Recht.

    Nun müssen Sie sich (und, wenn Sie wollen, uns) nur noch verdeutlichen, wen Sie “tief drinnen” eigentlich mit “uns” meinen. Auch die Juden und Muslime? Oder sind diese für Sie kein Teil unseres Volkes?

    Mit dem Volksbegriff kann ich wenig anfangen. Die Anführungszeichen um “unser” in ‘”Unser” Recht’ dienen nicht dazu, Gruppen auszugrenzen, sondern klarzustellen, dass es das Recht des Staates ist und nicht unseres (possessivus), die wir hier schreiben, oder die wir bestraft würden, beschnitten wir unsere Kinder aus religiösen Motiven.

    Das Beschneidungsverbot wäre übelste Ausgrenzung

    Wieso “wäre”? Das Beschneidungsverbot ist (Indikativ) geltendes Recht.

    – und dass das von vielen Befürwortern auch genau so gemeint ist, haben viele von tiefen Ressentiments geprägte Kommentare hier ja eindrucksvoll gezeigt.

    Once again: Dass von Beschneidungsverbotsbefürwortern das Beschneidungsverbot goutiert wird, ist nicht Ursache des Beschneidungsverbots. Die Ursache ist das real existierende Strafrecht in “diesem unserem” demokratischen Rechtsstaat. Angeblich der beste Staat auf deutschem Boden überhaupt [1]. So gut, dass alles, was legal auch automatisch legitim ist [2].

    Und die Tatsache, dass die Beschneidungsverbotsbefürworter das Beschneidungsverbot (aus falschen Gründen?) goutieren, ist auch nicht die Ursache dafür, dass die Bundesregierung nun gedenkt, über die Legislative das Recht zu ändern. Der Grund für diese Änderung ist ein ganz schlichter, materieller: Man hat festgestellt, dass eine “jahrtausendealte” Tradition einen Straftatbestand erfüllt. Das soll nicht sein, daher will man das Recht ändern, da man an die Tradition nicht ran will.

    Der Staat wird einfach nur eine “Ausgrenzung” von “Juden & Muslims” beseitigen, die er selbst zu verantworten hat. Mehr isses nicht. Daher erspare ich es mir auch, genau nachzufragen, wen Sie denn überhaupt für von Ressentiments getrieben halten (Putzke?, Herzberg?, die Richter am LG in Köln?).

    [1] wird auf Anfrage ergoogelt und nachgereicht
    [2] ibid.

  161. @Noit Atiga & @Ano Nym

    Aha. Dann war also z.B. die Diskriminierung und strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen solange okay, solange sie im Gesetz stand und von Mehrheiten “gefühlt” wurde? Und ist die Beschneidung für Euch in dem Moment okay, wenn sie der Bundestag gesetzlich erlaubt hat? Weil es dann ja “unser” Recht ist?

    Ich kann schon verstehen, dass viele von der wachsenden Vielfalt in unserer Gesellschaft überfordert sind – zumal kinderarme, alternde Schichten. Aber es hilft nichts: Ihr werdet in einer freiheitlichen Gesellschaft mit Menschen unterschiedlicher Religion(en), Weltanschauungen, Hautfarben, sexueller Orientierung usw. zusammen leben müssen. Was sonst?

  162. @Michael Blume: Nein – und doch.

    Ich schrieb nicht, dass Diskriminiertung und strafrechtliche Verfolgung zu unserem Recht gehörten. Sondern: Die Lösung ist leider nicht so eindeutig.

    Und das ist sie nicht! Egal ob aus juristischer, moralischer, religiöser, philosophischer, ethischer oder sonstiger Sicht. Obwohl die Beschneidung derzeit (wie oben schon ausgeführt) in Deutschland nur ausnahmsweise strafbar ist!!!

    Aber langsam: Einerseits ist die körperliche Unversehrtheit des Kindes dem deutschen Recht wichtig, sehr wichtig (Art. 2 Abs. 2 GG, § 1631 Abs. 2 S. 1 BGB). Andererseits aber hat das LG Köln einen aus meiner Sicht im geltenden Recht überzeugenden Weg beschritten, auch das Erziehungsrecht (Art. 6 GG) und die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) zu respektieren: Jede Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist Körperverletzung (und das gilt auch für jeden Heileingriff!). Andererseits ist eine Beschneidung immer dann nur einfache Körperverletzung (§ 223 StGB), wenn das Skalpell von einem Arzt geführt wird. Sprich: Wir schützen das Wohlergehen des Kindes auch insofern, dass bei Operationen unsere medizinischen Standards beachtet werden müssen. Aber wenn diese Standards beachtet werden, dann respektieren wir die Religionen – denn die Beschneidung bleibt (anders als bei der in der Literatur vertretenen gefährlichen Körperverletzung, § 224 StGB – und das wird in der öffentlichen Diskussion völlig übersehen) prinzipiell straffrei, solange nicht Strafantrag gestellt wird (§ 230 StGB). Und diesen Antrag darf nur der Geschädigte selbst stellen oder dessen Eltern (§ 77 StGB). Damit es also zur Verfolgung kommt, müssen die Eltern uneins sein, oder der Minderjährige dagegen bzw. fast volljährig (Verjährung innerhalb von 5 Jahren – § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Und der Staat bittet damit auch die Religionen um Mithilfe, er bittet um die Diskussion dieses Themas – denn er wird solange diese Diskussion ansteht unter den vorgenannten Prämissen nicht das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen. Er will also alle Religionen integrieren – und sich trotzdem für ALLE Kinder einsetzen.

    In Deutschland werden also heute Kinder geschützt und Religionen respektiert – auch wenn man seitens des Rechtes eine (aus meiner Sicht schon sehr lange) überfällige Diskussion anmahnt.

     
    Soviel zum geltenden Recht. Das von Ihnen aufgeworfene Problem des Auseinanderfallens von Recht und Gerechtigkeit gibt dem Recht enorme Probleme auf – und mir noch mehr (ist in der hiesigen Diskussion aber eigentlich unfair!). Ich bin nämlich dort in meinem Umfeld Einzelkämpfer in Ihrem Interesse und dem aller Schwachen oder Benachteiligten! Leider mit sehr wenig Unterstützung, wieder mal von allen Seiten. Man kommt dort aber in philosohpische Abwägungen, die anzustellen heute kaum noch Jemand Zeit (oder Lust) hat. Ganz zu schweigen von der fehlenden Bildung in diesem Sinne (früher hatten wenigstens die meisten Jura-Professoren noch Philosophie studiert, heute allenfalls noch Ökonomie – sonst wird man nicht mehr Professor, und das bemängeln zwar alle aber auch auf scilogs kämpft keiner). Recht selbst kann sich nur aus sich selbst heraus rechtfertigen und kommt in extreme Verwicklungen, wenn es allgemeine Gerechtigkeit beachten will. Es gibt dort zwar im Anschluss an die Nazi-Zeit die Radbruchsche Formel – allerdings ist die Abgrenzung extrem schwer und die Anwendung oft ungerecht, wie Ihnen wohl alle bei den Mauerschützen-Prozessen Verurteilten und ein Großteil der Ostdeutschen bestätigen werden! Letztlich trifft eine derartige nachträgliche Bestrafung nur die Kleinen – und, ehrlich gesagt, wenn ich nicht aus Erleben und aus Überzeugung für alle Schwachen wäre: Ich hätte längst aufgegeben!!! Denn man bekommt von Niemandem Anerkennung, von den Starken sowieso nicht aber den Schwachen tut man auch meist nicht Recht! (Sie können gern diesen Blog oder den von Joe Dramiga unter diesem Aspekt nachlesen.)

    Zur Beschneidung selbst muss ich wohl nicht mehr viel sagen – ich habe mich oben schon vielfach geäußert: Im Sinne des Kindes bin ich (mit einigen Juden und Jüdinnen wie einigen Muslimen und Musliminnenn) dagegen (auch wegen des hier von mir mehrfach angesprochenen aber sonst systematisch vernachlässigten psychischen Schmerzes für das Kind). Und doch würde ich die Beschneidung akzeptieren – wenn Religionen und Staat dafür in einen wirklichen Dialog treten würden (diesen Charakter spreche nicht nur ich der derzeitigen öffentlichen Diskussion ab). Aber dieser Dialog würde sehr viele Kinderschmerzen aufwiegen, denn mit ihm könnten wir uns wirklich annähern, uns verstehen und allseits menschlich werden…

    Was Ihren Vorwurf der Überforderung ob der Vielfalt angeht, da darf ich Sie auf meine Kommentare bei scilogs verweisen – ich bin sehr menschlich fehlerhaft und kann daher bei Weitem nicht alles, aber Eines gewiss: Verschiedenheit (versuchen zu) verstehen. Ich habe viele, viele Meinungen kennen gelernt, vertreten und erlebt – und wenn ich meine aktuelle Ansicht deutlich im Interesse der Schwachen gegen alle vertrete, so bin ich doch JEDEM Argument gegnüber aufgeschlossen. Und ich versuche immer, konstruktive Vorschläge einzubringen – auch wenn die leider oft nicht verstanden oder gehört werden (können).

    Darum auch hoffe ich, dass mein Bild des Jüdischen (den Islam kenne ich leider nicht so gut) richtig ist, weil es mit dem übereinstimmt, welches Dr. Jenny Goodman, eine britisch-jüdische Ärztin, Psychotherapeutin und Feministin so treffend formuliert hat (zitiert nach der beidseitig informativen Erklärung zum Kölner Beschneidungsurteil):

    “Ich bin zuversichtlich, dass mein Volk so viele lebensbejahende, lebensfreudige und erkenntnisbringende Traditionen hat, dass unsere Identität und kulturelle Selbstachtung ohne Probleme überleben wird, wenn wir über die Beschneidung hinauswachsen, die ein grausames Relikt ist, das ich immer als eine Abweichung vom Herzen meiner Religion empfunden habe.”

  163. Rechtspositivismus

    > Und ist die Beschneidung für Euch in dem
    > Moment okay, wenn sie der Bundestag
    > gesetzlich erlaubt hat? Weil es dann ja
    > “unser” Recht ist?

    Bei Any Nom wird das wohl so sein, im Gegensatz zu Noit Atiga unterscheidet der nämlich nicht zwischen “der Erkenntnis von Gut und Böse” einerseits und den “von irgendeinem wie auch immer legitimierten Gesetzgeber festgelegten und qua Gewaltmonopol durchgesetzten Normen” andererseits…

    … alles, was “Recht” ist…

  164. @Störk: Ja…

    …da haben Sie wohl – Recht… @Ano Nym und @Noit Atiga scheinen sehr unterschiedliche Charaktere zu sein, wobei ich beide – je auf ihre Art – durchaus gerne & mit Interesse lese.

  165. Akzeptanz durch belebende Diskussionen

    Auch wenn sich das anscheinend anders liest, ich wollte die Diskussion nicht abwürgen, sondern sie (weil man Recht ändern kann) auf den Kern des Problems zurückführen: Welche Werte hinter den verschiedenen Auffassungen stehen und inwieweit diese Werte heute noch von der weltlichen und religiösen Gesellschaft geteilt werden (müssen).

    Auf drei zum Nachdenken anregende Gedanken möchte ich noch verweisen – sie betreffen die wohl allseits geteilte Frage der Gleichberechtigung.

    Eine Frau sprach an, dass das Ritual frauenfeindlich sei: Frauen könnten ja nie wirklich zu diesen Religionen gehören, wenn denn die Beschneidung so zwingende Voraussetzung einer Vollmitgliedschaft sei.

    Andererseits weisen Ärzte darauf hin, dass die Genitalverstümmelung bei Mädchen absolut verboten sei (und nicht nur in ihrer extremen Form). Schon deswegen wäre die Beschneidung bei Jungen ebenfalls zu verbieten. Denn funktional ist das Abschneiden der männlichen Vorhaut mit dem Entfernen der weiblichen Vorhaut oder Klitorishaube zu vergleichen – und die ist an Kindern ebenfalls strikt verboten. Wird doch sogar die symbolische Bescheidung von Mädchen durch später nicht mehr zu erkennendes Einritzen oder Einstechen im Westen strikt abgelehnt. (Aussage 9 in der schon zitierten Erkärung zum Kölner Beschneidungsurteil)

    Auch moralisch fällt es schwer, hier und in der Dritten Welt gegen die Beschneidung von Mädchen vorzugehen, wenn man gleichzeitig die Beschneidung von Jungen propagiert. Denn was in Teilen unserer Kultur überzeugend sein mag, das kann in anderen Kulturen ganz anders sein – universale Menschenrechte dürften daher nicht unterscheiden. (Aussage 8)

  166. @Noit Atiga: universelle Menschenrechte

    Ich empfinde diese Diskussion wegen der Beschneidung als mit juristischer Korrektheit verbrämten Rassismus – denn die Zielrichtung sind gläubige Muslime und Juden und nicht das Anrecht auf körperliche Unversehrtheit (Menschenrecht):

    Dieses Recht auf Unversehrtheit müsste allen Kindern zustehen:
    Ich habe schon auf das Ohrlochstechen bei Mädchen hingewiesen – auch diese Verletzung müsste dann auch bis zum Erreichen der Volljährigkeit verboten werden.
    Außerdem möchte ich noch daran Erinnern, dass Rauchen in Gegenwart von Kindern eine massive Körperverletzung ist; teilweise mit massiven Langzeitfolgen.
    Hier ist man seit Jahrzehnten blind – aber wenn es gegen Juden/Muslime geht, fordert man plötzlich die Menschenrechte ein

  167. @Michael Blume: OK?

    Aha. Dann war also z.B. die Diskriminierung und strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen solange okay, solange sie im Gesetz stand und von Mehrheiten “gefühlt” wurde?

    Ich vermute, dass Sie den Unterschied zwischen einem analytischen Urteil über eine Sache mit der Befürwortung der Sache verwechseln.

    Wer auf dem Rasen ein Abseits erkennt ist nicht zwingend Anhänger des Ballsports.

  168. @Noït Atiga: KV

    Andererseits ist eine Beschneidung immer dann nur einfache Körperverletzung (§ 223 StGB), wenn das Skalpell von einem Arzt geführt wird.

    Gilt das auch dann, wenn die Einwilligung fehlt? Gilt das auch dann, wenn der Mafia-Boss den Arzt ruft, damit dem Opfer der kleine Finger nicht mit der Axt sondern de lege artis mit dem Skalpel abgetrennt wird?

  169. @KRichard: Unter diesem Aspekt

    … bin ich Ihrer Meinung – ich sehe aber auch die andere Seite, die der Religion und der Tradition.

    Einen insofern genialen Weg hat Frankreich übrigens beim Rauchverbot beschritten. Dort gab es von vielen Jahren eine gut inszenierte staatliche Aufklärungskampagne: Da wurde gezeigt, wieviele Zigaretten die Kinder geraucht haben – passiv natürlich. Und zwar sehr anschaulich, denn man hat diese Zigaretten als Berge im jeweiligen Ort inzeniert – oder auch neben demselben, denn das Auto etwa war gar nicht groß genug für die Zahl der gerauchten Zigaretten. Dadurch hat man die Bevölkerung für das Problem sensibilisiert und (auch über die anschließende öffentliche Diskussion) eine Änderung der Einstellungen erreicht, die zu breiter Akzeptanz der nachfolgenden Gesetzesänderung (zum 01.02.2007) geführt hat – ganz anders als noch beim gut 15 vorher erfolgten Rauchverbot für Bahnhöfe etc.

  170. @Ano Nym: Ja-nein

    … aber hier ist weder ein Jura-Blog noch geht es generell um Strafrecht, sondern um eine allgemeinverständliche Diskussion über Beschneidung – in deren Rahmen hilft juristische Korinthenkackerei nicht weiter.

    Die erste Frage dürfte nach wohl herrschender Ansicht zu bejahen sein (Nutzung des Skalpells ist ja immer noch bestimmungsgemäß). Und die zweite war schon von der Formulierung ausgeschlossen!

    Viel wichtiger wäre mir eine andere (nach dem Absenden leider nicht zu korrigierende) Unvollständigkeit gewesen, dass nämlich eine elterliche Einwilligung vorliegen muss, schließlich kann und wird die Staatsanwaltschaft sonst das öffentliche Interesse an der Verfolgung bejahen. Aber diese Frage ist auch aus religiöser Perspektive unproblematisch.

  171. @Noït Atiga: Amputation

    Und die zweite war schon von der Formulierung ausgeschlossen!

    Das war: Mafia-Boss ruft den Arzt, damit dem Opfer der kleine Finger nicht mit der Axt sondern de lege artis mit dem Skalpel abgetrennt wird.

    Wo genau sehen Sie den Ausschluss des Satzes, dass das Skalpel in der Hand des Arztes de lege artis geführt keine gefährliche Waffe darstellt?

  172. @Ano Nym: “Beschneidung”

    Ich schrieb ja nicht über Waffen oder allgemeine Auslegung von § 224 StGB, sondern nur über die Qualifikation einer Beschneidung. Und die Amputation eines Fingers wird schon generell nicht als Beschneidung bezeichnet – sie war aber hier jedenfalls nach dem Kontext deutlich ausgeschlossen!

  173. @Noït Atiga

    »Und doch würde ich die Beschneidung akzeptieren – wenn Religionen und Staat dafür in einen wirklichen Dialog treten würden.«

    Ich verstehe Ihr Anliegen, halte es aber für sehr problematisch, Beschneidungen zu akzeptieren, wenn Vertreter der Religionen mit bestimmten Politikern in einen Dialog treten würden (wobei ich jetzt gar nicht wüsste, welche Politiker die Beschneidung von Kindern missbilligen – die schweigende Mehrheit?).

    Auf der von @Spritkopf verlinkten Seite NotJustSkin.org findet man einen Hinweis auf eine Schrift von Ronald Goldman: “Circumcision: A Source of Jewish Pain“, sehr lesenswert, insbesondere für die Befürworter der Beschneidung von Kindern.

    Darin wird auch ausgeführt, dass sich die Beschneidung eigentlich nicht mit wichtigen jüdischen Werten verträgt (dass man Lebewesen keine unnötigen Schmerzen zufügen darf, dass man keine andere Person verletzen darf).

    R. Goldman ist auch Autor des Buches:

    QUESTIONING CIRCUMCISION
    A Jewish Perspective

    http://www.jewishcircumcision.org/book.htm

  174. @Balanus: Viele Seelen wohnen, ach!

    Der Jurist in mir müsste Ihnen Recht geben, denn diese Abwägung ist rein rechtlich erstmal unzulässig. Allerdings ist das nur eine Facette meiner Persönlichkeit und alle mit dem Zwischen-Mensch-Lichen beschäftigten sprechen sich eher dafür aus: Zwang ist nur allerletztes Mittel, denn er führt zu viel, viel Unbehagen. Gerade in der aktuellen Situation hätte er vermutlich auch den gegenteiligen ‘Erfolg’, er würde die Praxis noch stärken – u.a. wegen des immer wieder beschworenen Bezuges auf die deutsche Geschichte.

    Ich denke daher, dass allen in Deutschland Lebenden (als Individuen und als Kollektiv) mehr psychische Verletzungen zugefügt werden, wenn es bei der Gegnerschaft oder der Unterwerfung bleibt – als wenn wir dem Problem mit einem Dialog entwachsen. Denn dann würden wir dieses Satz des von Ihnen zitierten Artikels negieren: … conformity without knowledge, understanding, and reflNection tends to result in a superficial type of connection. Wir würden damit in eine tiefere Verbindung aus Kenntnis, Verständnis und Nachdenken eintreten – und damit in ein neues Zeitalter…

  175. @Noït Atiga /Seelen

    Die juristische Seite dieser Abwägung mag auch wichtig sein. Ich meinte aber, wie man es schafft, seine Akzeptanz der Beschneidung vor den Kindern zu rechtfertigen, oder wie man es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, Beschneidungen von Kindern ohne medizinische Gründe zuzulassen, bloß damit ein Dialog zwischen Religionen und Politik in Gang kommt. Wäre der Preis, den die Kinder zahlen müssten, nicht zu hoch?

  176. @Ano Nym (13.07.2012, 13:52):

    “Ich verstehe nicht, was Sie damit ausdrücken möchten. Eine Maßnahme, die den angestrebten Zweck verfehlt, stellt man ein oder führt sie gar nicht erst durch.”
    Dann lesen Sie einfach die verlinkte Antwort.
    “Ich habe den Artikel jetzt nicht offen, da müssen Sie schon eine der unbewiesenen Vermutungen explizit benennen, die für das Urteil van Howe’s entscheidend ist.”
    Steht auch im Letter. Van Howe vermutet lediglich völlig ohne Belege, dass die drei Placebo-kontrollierten Studien nicht das zeigen, was die Mehrheit der Fachliteratur daraus schliesst.

    “Da haben Sie den letzten Absatz page 14 col. 1 falsch verstanden.”
    Nein. Die Aussage, dass HIV hauptsächlich durch Ärzte verbreitet wird zieht sich durch den gesamten Artikel:
    “Before Africans address sexually transmitted HIV, a concerted effort to eliminate the iatrogenic spread of the virus is needed.”

  177. @Balanus: Das kommt drauf an.

    Wenn man es einfach so weiter laufen lässt, dann ist der Preis sicher zu hoch. Und dort hätte ich ein Gewissensproblem.

    Allerdings belasten Konflikte der Eltern auch die Kinder und zwar oft mehr als die Eltern selbst. Dazu kommt, dass alle in Deutschland lebenden Kinder auch den Spannungen zwischen ihren Referenz-Gruppen ausgesetzt sind, ja das Spannungen nicht selten auf Kosten der Schwächsten ausgetragen werden. Weiterhin kommt noch die Psychogenealogie hinzu – also die unbewusste Weitergabe von ungelösten Konflikten an die nächste Familien-Generation. Wenn ich nun all diese Belastungen des Kindes gedanklich summiere – dann erscheinen mir die psychischen Belastungen derart bedeutsam, dass ihre Auflösung zu größerer Entlastung führt als nur die Beseitigung der Beschneidung.

    Ideal wäre natürlich, wenn beides vereinbar wäre – aber wir können und sollen uns ja nicht übernehmen, denn dann ist der Bund auch wieder instabil…

  178. @Ano Nym (12.07.2012, 18:47):

    “[…] weil nur das – wie wie gestern bei Anne Will hören und sehen konnten – die Vollmitgliedschaft in zwei religösen Großgruppen begründet?”
    Also wenn’s bei Anne Will gesagt wurde, dann muss es ja stimmen. Schon seltsam, auf was für Quellen Sie Ihre Argumentation stützen. Wenn der Papst sagt, dass Condome Sünde sind, gehen Sie dann auch davon aus, dass 1,2 Mrd. Katholiken keine Condome benutzen? Warum sollen dann ausgerechnet alle Juden die Beschneidung im Sinne von Rabbi Ehrenberg ausführen?
    “Dass etwa unter Juden eine Gruppe vorstellbar ist, die die Beschneidung ablehnt [1] […]”
    Diese Gruppe habe ich auch nicht angeführt. Wie bereits gesagt, die meisten Juden und Muslime, die ich für durchaus aufgeklärt halte, führen die Beschneidung wohl nur durch, weil sie um die medizinischen Vorteile für das Kind wissen – die religiöse Tradition ist nur der Anlass, nicht das Motiv.
    “Zwei Bevölkerungsgruppen.”
    Rassismuss gegen zwei Bevölkerungsgruppen ist nicht besser als Rassismus gegen eine.

  179. @Physiker

    Wie bereits gesagt, die meisten Juden und Muslime, die ich für durchaus aufgeklärt halte, führen die Beschneidung wohl nur durch, weil sie um die medizinischen Vorteile für das Kind wissen – die religiöse Tradition ist nur der Anlass, nicht das Motiv.

    Sie wollen sagen, dass Rabbi Ehrenberg bewusst die Unwahrheit sagt und Dieter Graumann nur aus medizinischen Gründen in Berlin interveniert. Wenn das die Kanzlerin wüsste …

  180. @Noït Atiga (13.07.2012, 17:57):

    “Ich lehne ja wie beschrieben auch Ohrlöcher vor einer entsprechenden Entscheidung des Kindes (eher) ab. Dennoch gibt es dort einen qualitatitven Unterschied – es geht kein empfindsames Körperteil verlustig”
    Ohrläppchen sind auch empfindsam und zwar mehr als die Vorhaut:
    http://dd.dynamicdiagrams.com/…_homunculi680.jpg
    Der Unterschied ist folgender: Ohrlöcher bieten keinen gesundheitlichen Vorteil – im Gegenteil, der Eingriff ist nur mit medizinischen Nachteilen/Komplikationen verbunden. Die Entfernung der Vorhaut ist aber eindeutig mit medizinischen Vorteilen verbunden.

  181. @Ano Nym (15.07.2012, 23:03):

    “Sie wollen sagen, dass Rabbi Ehrenberg bewusst die Unwahrheit sagt […]”
    Nochmal: Woher soll Rabbi Ehrenberg die genauen Motive kennen? Woher wollen Sie wissen, dass jeder Jude sich nur aus genau den Gründen beschneiden lässt, die Rabbi Ehrenberg anführt? Sie können es nicht wissen – Sie unterstellen es nur. Genau solche Pauschalunterstellungen sind der direkte Weg zu Vorverurteilung und Rassismus.

  182. @Physiker: Wer lesen kann, …

    ist klar im Vorteil. Verlustig gehen meint (laut Duden), etwas verlieren – mir sind noch keine Ohrlöcher begegnet, derentwegen man ein Ohr verloren hätte…

  183. @Physiker: *gähn*

    “Sie wollen sagen, dass Rabbi Ehrenberg bewusst die Unwahrheit sagt […]”
    Nochmal: Woher soll Rabbi Ehrenberg die genauen Motive kennen?

    Warum klärt niemand Rabbi Ehrenberg auf?

    Sie haben vielleicht der Presse entnommen, dass nicht Daniel Bahr sondern Sabine Leutheusser-Schnarrenberger das zuständige Ressort leiten.

  184. @Ano Nym (16.07.2012, 00:07):

    “Warum klärt niemand Rabbi Ehrenberg auf?”
    Warum klärt niemand den Papst auf, dass Condome effektiver bei der HIV-Prävention sind als Aufrufe zu treuem und abstinentem Sexualverhalten?

    Ich bin mit meinem Vorwurf an die Religionsvertreter ganz bei Ihnen: sie sollen sich endlich zum Wohl des Kindes bekennen anstatt irgendwelche (unhaltbare) Privilegien zu verteidigen. Nur darf man doch nicht jeden Religionsangehörigen danach richten, was irgendein Rabbi, Papst oder Imam sagt. Ist dieser Gedankengang wirklich so schwer nachvollziehbar, oder soll ich das wirklich noch genauer erklären?

  185. @Noït Atiga (16.07.2012, 00:06):

    “mir sind noch keine Ohrlöcher begegnet, derentwegen man ein Ohr verloren hätte…”
    Ich halte diese Unterscheidung für irrelevant. Die Entfernung des Bilddarms, von Weisheitszähnen, Tumoren, Muttermalen, etc. wird auch nicht anders bewertet als jeder andere medizinische Eingriff. Abgesehen davon sollten Sie mal das hier lesen:
    http://cid.oxfordjournals.org/…nt/26/3/735.short

  186. @Physiker

    Warum klärt niemand den Papst auf, dass Condome effektiver bei der HIV-Prävention sind als Aufrufe zu treuem und abstinentem Sexualverhalten?

    Langsam wird es albern. Der Papst möchte – im Gegensatz zu Graumann und anderen – keine Rechtslage ändern. Welche Irrtümer (und ob überhaupt welche) der Papst beim Nichtändernwollen begeht ist daher ziemlich irrelevant für die vorliegende Diskussion.

    Nur darf man doch nicht jeden Religionsangehörigen danach richten, was irgendein Rabbi, Papst oder Imam sagt.

    Der Staat “richtet” nur diejenigen Religionsangehörigen, die genau das, was der Rabbi oder Imam sagt, glauben und tun (oder die Beschneidung aus irgendeinem anderen nicht-indizierten Grund durchführen lassen.)

  187. @Ano Nym (16.07.2012, 15:48):

    “[…] ist daher ziemlich irrelevant für die vorliegende Diskussion.”
    Und zwar genauso irrelevant wie Ihr Aufruf, einen Rabbi darüber aufzuklären, dass die überwiegende Mehrheit der Mitglieder seiner Religionsgemeinschaft sich gegen die Beschneidung aussprechen würden, wenn die Forschung ergäbe, dass diese schädlich für das Kind wäre. Also nochmal: Wenn Sie von dem, was ein Rabbi in einer TV-Talkshow sagt, pauschal auf die Motivation eines religiösen Menschen schliessen, dann ist dies eine Vorverurteilung. Und zwar mit rassistischem Unterton, weil Sie völlig ohne Belege unterstellen, dass den Eltern der religiöse Ritus wichtiger ist als die Gesundheit des Kindes – was überhaupt nicht der Fall sein muss.
    “Der Staat “richtet” nur diejenigen Religionsangehörigen, die genau das, was der Rabbi oder Imam sagt, glauben und tun (oder die Beschneidung aus irgendeinem anderen nicht-indizierten Grund durchführen lassen.)”
    Dann sagen Sie doch endlich woran der Staat erkennt, dass die Eltern genau das glauben, was der Imam oder Rabbi sagt? Oder anders formuliert: Woran soll der Staat erkennen, dass die Eltern sich gegen eine Beschneidung entschieden hätten, wenn die Eltern von negativen gesundheitlichen Konsequenzen ausgegangen wären?

  188. @Physiker

    “[…] ist daher ziemlich irrelevant für die vorliegende Diskussion.”
    Und zwar genauso irrelevant wie Ihr Aufruf, einen Rabbi darüber aufzuklären, dass die überwiegende Mehrheit der Mitglieder seiner Religionsgemeinschaft sich gegen die Beschneidung aussprechen würden, wenn die Forschung ergäbe, dass diese schädlich für das Kind wäre.

    1. Um die Frage, ob „die überwiegende Mehrheit der Mitglieder seiner Religionsgemeinschaft sich gegen die Beschneidung aussprechen würden, wenn die Forschung ergäbe, dass diese schädlich für das Kind wäre“ geht es in dieser Diskussion nicht.

    2. Mein Kommentar 16.07.2012, 00:07 hat auch nicht den Inhalt, Rabbi Ehrenberg über die Haltung der Mitglieder seiner Religionsgemeinschaft zu der Frage in 1. zu unterrichten.

    3. Mein Kommentar 16.07.2012, 00:07 nimmt Bezug auf Ihren Kommentar 15.07.2012, 23:48 und stellt klar, dass ich es für zweckmäßig (im Sinne der betroffenen Eltern) halte, wenn Sie/sie Rabbi Ehrenberg über die wahren Motive der Eltern aufklären, damit er nicht coram publico Statements wie etwa (sinngemäß aus meinem Gedächtnis):

    a) Das Judentum stirbt, wenn nicht mehr aus relgiösen Gründen beschnitten werden darf.
    b) Die Beschneidung gehört in die Synagoge (und nicht in den Operationssaal)

    äußert, die geeignet sind, beim Gesetzgeber falsche Vorstellungen über die wahren Motive der Eltern entstehen zu lassen.

    4. Nur für den Fall, dass “die wahren Motive” gar nicht wahr sind, war mein Kommentar 16.07.2012, 00:07 ironisch gemeint.

    Dann sagen Sie doch endlich woran der Staat erkennt, dass die Eltern genau das glauben, was der Imam oder Rabbi sagt?

    “Nur”. Es fehlt in Ihrer Frage ein “nur” hinter “Eltern”. Hinweise dazu, wie Gerichte zu ihren Überzeugungen gelangen finden Sie zum Beispiel hier:

    http://www.anwalt.de/…s-und-wahrheit_015813.html
    http://www.jurathek.de/…hp?session=0&ID=4527

    Oder anders formuliert: Woran soll der Staat erkennen, dass die Eltern sich gegen eine Beschneidung entschieden hätten, wenn die Eltern von negativen gesundheitlichen Konsequenzen ausgegangen wären?

    Diese Frage ist nicht äquivalent zur vorausgehenden Frage und daher nicht nur eine ‘andere Formulierung’.

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