Die Venus-Figurinen der Eiszeit und ihre Bedeutung

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Heute also endet sie, die großartige Ausstellung "Eiszeit – Kunst und Kultur" in Stuttgart. Neben einem sehr überzeugenden Gesamtkonzept überzeugte "Eiszeit" auch durch das Miteinander großartiger Funde wie der "Venus vom Hohle Fels", der "Löwenmenschen" u.v.m. Vier Mal konnte ich sie besuchen, zusätzlich Gespräche mit beteiligten Archäologinnen und Archäologen und eine Tagung mit Prof. Nicholas Conard erleben. Für die Evolutionsforschung zur Religiosität waren die letzten Monate in Süddeutschland ein Fest! Und während das interdisziplinäre Gespräch dazu erst begonnen hat, ist auch für die kommenden Jahre mit weiteren Erkenntnissen und Funden zu rechnen.

Wenden wir uns nun aber einer konkreten Frage zu: Beginnend mit der "Venus" vom Hohle Fels datierend auf das frühe Aurignacien (vor ca. 40.000 Jahren) entfaltet sich eine Epoche, deren Plastiken von Frauenfigurinen dominiert werden und die ihren Höhepunkt im Gravettien (vor ca. 30.000 bis 22.000 Jahre) finden. Geografisch umfassen die entsprechenden Funde ganz Europa bis nach Sibirien, mit Schwerpunkten in Mittel- und Osteuropa.

Die aus Elfenbein gefertigte Figurine vom Hohle Fels bei Schelklingen (Süddeutschland) ist nur 59,7 mm lang, 34,6 mm breit und wiegt 33,3 g. Sie verfügt über keinen Kopf, aber eine Öse – wahrscheinlich wurde sie an einer Schnur, ggf. als (Zeremonial?-)Schmuck getragen. Geborgen wurde sie neben mehreren 30-40 cm großen Kalksteinen. Nach jetzigem Kennnisstand ist die 35.000 – 40.000 Jahre alte Figur die älteste Statuette eines Menschen.

In den kommenden Jahr(zehn)tausenden folgen Dutzende weitere, während männliche Figurinen erst später und zunächst nur vereinzelt auftreten. Auch in der Höhlenkunst des Gravettien tauchen Frauenmotive im Kontext von Tier- und nun auch Männerdarstellungen auf. Das Halbrelief der Höhle von Laussel (Frankreich) war ursprünglich Teil einer Felswand und war, wie Farbreste belegen, ursprünglich rot bemalt.

Gerhard Bosinski bemerkt dazu: "Die linke Hand liegt auf dem Leib, der rechte Arm ist angewinkelt und mit der rechten Hand hält die Frau ein Horn empor, das mit Querstrichen versehen ist. Die Hand auf dem Leib könnte ein Schwangerschaft andeuten, das Horn vielleicht die Mondsichel symbolisieren. Diese Frauenfigur ist eine Umsetzung der osteuropäischen Frauenstatuetten aus Elfenbein und Stein in die Felskunst Südwesteuropas."

Neben solchen spektakulären Volldarstellungen findet sich auch eine zunehmende Zahl zunehmend abstrakter Funde, die schließlich in nur noch angedeutete Formen übergehen. Aus Kalzit gefertigt ist beispielsweise die Statuette von Tursac (Frankreich), "die Darstellung einer Geburt in meisterhafter Weise. Die Statuette unterstreicht den Inhalt und die Bedeutung der beschriebenen Frauenfiguren: Die meist schwangeren Frauen verkörpern die weibliche Fruchtbarkeit und das Wunder der Geburt." (Bosinski)

Fruchtbarkeit als Programm

Zu dieser Deutung kommt auch Conard im Bezug auf die von ihm und seinem Team gefundene Venus vom Hohle Fels. "Die Frauenfigur steht im Kontrast zu gängigen Hypothesen der Deutung der Aurignacienkunst wie der Kraft-und-Aggression-Hypothese oder der Schamanismus-Hypothese. Viel mehr scheint die Venusfigur ein Ausdruck der Sexualität zu sein, der wahrscheinlich in direkter oder indirekter Verbindung zur Fruchtbarkeit steht."

Diese Hypothese scheint auch durch weitere Fund bekräftigt zu werden. So fand sich im Hohle Fels außer dem "kleinen Löwenmenschen" (dem und dessen großen Bruder ich einen eigenen Post widmen werde) auch noch eine Phallusdarstellung, die etwa 10.000 Jahre nach der "Venus" gefertigt wurde. Das 19,2 cm hohe, 3,6 cm breite und 2,8 cm dicke Steinobjekt verweist recht eindeutig auf Sexualität (auch im kultischen Kontext?), weist aber zudem Nutzspuren als Schlagstein, Retuscheur und vielleicht Schleifstein auf. Die Frauenfigurinen wurden dagegen, soweit bekannt, nicht als Werkzeuge verwendet.

Religiöse Kunst – oder doch "nur Erotica"?

Die Wissenschaft, einschließlich der Evolutionsforschung, waren und sind immer noch männlich dominiert und so ist es nicht überraschend, dass die Funde, die eine starke Rolle der Frau in der biokulturellen Evolution von Religiosität und Religionen nahelegen, von einigen sofort und reflexhaft abgewertet werden. So hieß es auch nach dem Fund der Venus vom Hohle Fels wieder, diese Kunst repräsentiere wohl "nur Porno" – sei also (ausschließlich) von Männern gefertigt, die damit ihre sexuelle Lust und Macht ausdrückten.

In den vergangenen Jahren haben jedoch auch Anthropologen und Primatologen wie Volker Sommer und Sarah Hrdy mit guten, biologischen Argumenten die "Starke-Frauen-Hypothese" untermauert. Aus religionswissenschaftlicher Perspektive hat u.a. Ina Wunn dazu geschrieben und auch möchte ich möchte hier einige Argumente anführen, die m.E. die Deutungen von Conard, Bosinski et al. bestärken.

* Viele der Frauenfigurinen versinnbildlichen recht eindeutig Schwangerschaft und auch Geburt – also gerade keine Zustände, die im Regelfall erotische Erregung aufkommen lassen.

* Die Dominanz der Frauenfiguren entfaltet sich in einem bestimmten historischen und geografischen – also kulturellen – Horizont. Bis heute verkörpern Figurinen in vielen religiösen Systemen von Jägern und Sammlern und auch noch Nomaden und Ackerbauern übernatürliche Akteure wie Ahnen und Gottheiten, selten aber "nur Pornographie". Würden die Figurinen auf männliche Erotika verweisen, wäre eine globale Verbreitung und auch heutige, entsprechende Nutzung zu erwarten.

* Entsprechend werden die Frauenfigurinen auch heute noch, vor allem von Frauen, religiös gedeutet – als Pornographie jedoch kaum genutzt. Die entsprechenden, biologischen Anlagen des Menschen dürften sich aber in den letzten Jahrzehntausenden aber kaum grundlegend verändert haben.

* Fruchtbarkeitsgöttinnen wie Artemis werden noch bis in die historisch fassbare Zeit hinein in entsprechenden Figurinen verehrt. Als Paulus dort den bildlosen Eingott verkündet, löst er einen Aufruhr aus – nicht zuletzt unter den Bildhauern, die von Herstellung und Verkauf der Göttinnenstatuen einträglich leben. (vgl. Apg 19)

* Auch heute werden erfolgreiche Religionsgemeinschaften vor allem von weiblichem Engagement getragen. Und auch monotheistische Systeme weisen immer wieder weibliche Bezüge auf. So wird die christliche Kirche immer wieder als "Mutter Kirche" tituliert, ebenso die islamische Gemeinschaft Umma (von arab. umm = Mutter). Auf die Ablösung des Artemis-Glaubens in Ephesos folgt übrigens die Tradition, dass Maria hier zuletzt gelebt habe. Heute wird sie in der Region von Christen und Muslimen verehrt, was die Anfertigung weiblicher Statuetten und Statuen für "Mutter Maria" (türkisch "Meryem Ana") einschließt. Vgl. auch die Verehrung der weiblich konnotierten Weisheit ("Sophia").

* Die sexuelle Selektion spielt in der Evolution von Merkmalen regelmäßig eine bedeutende Rolle und geht gerade auch bei Säugetieren (einschließlich Homo sapiens) überwiegend von Frauen aus. Und auch heute gehen erfolgreiche, religiöse Systeme mit hohem Interesse an der Regulierung von Sexualität und Familie und durchschnittlich höherer Fertilität ihrer Anhängerinnen einher – Deutung und biologische Funktion korrespondieren also auch hier.

Sicherlich ist für die kommenden Jahre noch mit einer Vielzahl von Funden und neuen, interdisziplinären Debatten und Forschungen zu rechnen. Dabei ist zu hoffen, dass Geschlechterklischees sachlich diskutiert und überwunden und die mutmaßlich sehr viel spannendere Wechselwirkung von Frauen und Männern gerade auch auf dem Feld der Religion(en) erkundet wird.

Literatur:

Conard, N., Rau, S., Bosinski, G. et al. 2009: Eiszeit – Kunst und Kultur. Stuttgart 2009

Blume, M. 2009: Evolutionsgeschichte der Religion – Glauben stärkt Kooperation und Reproduktion. Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, Bd. 29, 2008, S. 21 -38

Gewidmet ist dieser Blogpost Prof. Nicholas Conard und seinem Team, Universität Tübingen sowie der Projektleitung der Ausstellung im Archäologischen Landesmuseum, Dr. Barbara Theune-Großkopf und Dr. Martina Barth. Danke für großartige Forschungen & deren beispielhafte Präsentation!

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

55 Kommentare

  1. Der Kult der großen Mutter

    Wieso sollte ausgerechnet die schwäbische Venus Pornographie sein? Da kann frau sich ja nur an den Kopf fassen. Für gewöhnlich wird so eine Frauenstatuette als Abbild der großen Urmutter (einer Göttin?) angesehen, welche mit den Phasen des Mondes in Verbindung steht (Menstruationszyklus) und als Mutter alles Lebendigen gilt. Die Mondin symbolisiert das menschliche Leben, da sie jeden Monat vom Leben zum Tod und vom Tod zum Leben wechselt. Dabei wird sie voll und rund, nimmt ab, verschwindet und kommt wieder. Wie auch auf der Erde alles einem Zyklus unterworfen ist.
    “Die linke Hand liegt auf dem Leib, der rechte Arm ist angewinkelt und mit der rechten Hand hält die Frau ein Horn empor, das mit Querstrichen versehen ist. Die Hand auf dem Leib könnte ein Schwangerschaft andeuten, das Horn vielleicht die Mondsichel symbolisieren…”.

    Die große Mutter ist schwanger, denn zur Wintersonnenwende gebiert sie die neue Saat. Das Horn repräsentiert die männliche Lebenskraft, gehörnte Tiere waren heilig.

    “Die Figürchen haben keinen Standsockel. Vermutlich wurden sie einfach in die Erde gesteckt oder als Schutzgeister (zum Beispiel bei einer Geburt) in der Hand gehalten. Bohrungen zeigen, dass manche Kleinplastiken auch als Amulett getragen wurden.”

    Siehe auch:
    http://www.tagesspiegel.de/…chiv;art1291,1891293

  2. @ Mona

    Ja, ich kann mich da auch immer wieder nur wundern. Aber selbst bei Kollegen, die ich sehr schätze, musste ich schon solche Aussetzer hören oder lesen. Die Vorstellung, dass Frauen (und ggf. weibliche übernatürliche Akteure) eine besondere Rolle in der Formation früher Religionsgemeinschaften gespielt haben könnten, scheint einigen Männern noch immer Unbehagen zu bereiten. Wie überhaupt die Vorgeschichte so ein Bereich ist, in den sehr viel Macho-Denken hineingelesen wurde. Das bricht erst langsam auf und wird sich sicher noch einige Zeit in den Köpfen halten.

    Dabei ist das begründetere Bild von Wechselwirkungen zwischen den Geschlechtern auch in der Evolution von Religiosität und Religionen doch viel spannender! Ich möchte im Blog immer mal wieder versuchen, Aspekte dazu aufzugreifen und ein wenig zur Aufklärung beizutragen.

  3. Fruchtbarkeit

    Sehr guter Artikel. Ich arbeite gerade an dem Dokumentarfilm “Das kreative Universum – Naturwissenschaft und Spiritualität im Dialog”(www.ruedigersuenner.de), in dem auch die Entstehung von Kunst und Religion diskutiert werden wird. Mir scheint eine These des amerikanischen Kosmologen Brian Swimme einleuchtend: Die weiblichen Figurinen sollten nicht vor allem die konkrete Fruchtbarkeit einer Frau darstellen, sondern das Gefühl für die Fruchtbarkeit im Universum selbst. Also etwas viel Allgemeineres und mit den Gestirnzyklen, Jahreszeiten, den Wachstums- und Regenerationskräften Verbundenes. Letztlich die Feier einer unsichtbaren und numinosen Kraft, von der die konkrete Geburt eines Menschen nur ein Teil ist. Diese Kraft ist ja bis heute nicht reduktionistisch zu fassen, ihr haftet auch für uns noch etwas Wunderbares an. Deutungen wie “Pornographie” sind Projektionen von heute aus, vor allem von einer Wissenschaft, die kein Sensorium mehr fürs Spirituelle hat.

  4. Tipp: Schmuck

    Bei stern.de > Wissen > Mensch ist aktuell der Artikel ´Neandertaler stellten Schmuck her´ zu lesen.

    Dort wird der Fund von 50 000 Jahre alten durchbohrten und mit Pigmenten verzierten Muschelschalen beschrieben.

    Sie zeigen, dass die Neandertaler schon abstrakte Vorstellungen hatten – zumindest die Idee von ´Schönheit/Schmuck´ war ihnen bekannt.

  5. @ Rüdiger Sünner

    Vielen Dank für die Rückmeldung!

    Ja, mir erschiene es (auch in Kenntnis heutiger stammesreligiöser Systeme) als extrem unwahrscheinlich, dass über Hunderte verschiedener Gruppen und Jahrzehntausende hinweg völlig identische Mythologien tradiert worden wären. Eher dürfen wir annehmen, dass bestimmte “religiös naheliegende” Themen und Traditionen in immer neuen Varianten erzählt und rituell begleitet wurden. Ihre umfassendere Einordnung klingt da m.E. recht überzeugend.

    Viel Erfolg bei dem Doku-Film! Gerne biete ich an, dass auf dem Blog eine Besprechung oder, noch besser, ein Gastbeitrag als Vorankündigung erscheint. Es wäre ja wunderbar, wenn er dann auch verdient viele interessierte Zuschauer fände und ggf. auch interessiert (weiter-)diskutiert würde!

  6. @ KRichard

    Vielen Dank, ja, das sehe ich auch so. In der Eiszeit-Ausstellung wurden z.B. Steinartefakte der Neandertaler gezeigt, bei deren Betrachtung schnell klar wurde, dass diese Steine auch unter ästhetischen Gesichtspunkten ausgesucht worden waren.

    Wenn es auch Ihnen Freude macht, würde ich entsprechende Themen hier im Blog häufiger aufgreifen.

  7. @ Blume: weiter so

    Natürlich bin ich, und andere Leser sicherlich auch, an solchen Themen im weitesten Sinn interessiert.

    Gerade die Steinzeit-Skulpturen zeigen einen interessanten Aspekt der menschlichen Kultur:
    Jahrtausendelang gab es plastische Kunstobjekte überwiegend in Form weiblicher Fruchtbarkeitsidole oder als Tierskulpturen.
    Männer tauchen in größerer Zahl erst vor 15-13000 Jahren (meist) als Bogenschützen auf; als Jäger bzw. Krieger.

  8. Göttinnen

    Ich gehe auch nicht davon aus, daß die Frauenfiguren Pornographie sind, aber ich kenne mich damit auch nicht aus. Ich wüßte jedoch nicht, warum das Vorkommen von Fruchtbarkeitgöttinnen “eine starke Rolle der Frau in der biokulturellen Evolution von Religiosität und Religionen nahelegen”. Artemis, Astarte das sind ja hoch verehrte Göttinnen alter Religionen. Hatten in diesen Gesellschaften die Frauen eine starke Rolle? Ich denke nicht. Das waren doch männerdominierte Gesellschaften.

    Auch Dein Beispiel zur Ablösung der Artemis. Das bezieht sich doch wohl eher auf den Katholischen Glauben, wo die “Mutter Gottes” verehrt und angebetet wird. Aber vielleicht meintest Du auch etwas anderes. Dieses Beispiel hingegen unterstreicht, was ich oben schrieb. Die “Mutter Gottes” im Katholischen Glauben wird hoch verehrt, aber ansonsten ist das eine männerdominierte Kirche (ist nur eine Beschreibung meinerseits ohne Wertung).

  9. The mind in the cave

    Das spannendste und vielschichtigste Buch über die “Religion der Altsteinzeit” war für mich “The mind in the cave” des südamerikanischen Felsbildforschers David Lewis-Williams. Er vereint archäologische, symbolgeschichtliche, ethnologische und neurologische Erkenntnisse zu einem faszinierenden Gesamtbild, in dem allerdings die Höhlenkunst im Vordergrund steht. Aber die Figurinen sind ja parallel entstanden und gehören wohl kaum einem ganz anderen Weltbild an. Lewis-Williams schafft es wie kaum ein anderer, uns in die mögliche Bewusstseinsverfassung dieser Menschen mitzunehmen. Das ist ja heute das Allerschwierigste. Wir gehen von Raum-,Zeit-,Kausalitäts- und Materievorstellungen der letzten 400 Jahre aus und projizieren sie auf die Urzeit. Ich glaube, die Menschen damals sahen sich weniger von Dingen, als von Kräften umgeben, es gab die heutige strenge Subjekt-Objekt-Trennung noch nicht. Die Natur wurde als ein mütterlich-weiblicher Grund erfahren, man errichtete Kultstätten im Bauch der Erde und senkte auch die Toten wieder hinab in den Erdleib. Welche Stellung die Frauen hatten, wissen wir nicht genau, auch nicht bei den alten Griechen. Da können wir auch nicht moderne Ideen wie Emanzipation einfach zurückprojizieren, sondern es müsste noch mehr geforscht werden.

  10. @Rüdiger Sünner

    “Die Natur wurde als ein mütterlich-weiblicher Grund erfahren, man errichtete Kultstätten im Bauch der Erde und senkte auch die Toten wieder hinab in den Erdleib. Welche Stellung die Frauen hatten, wissen wir nicht genau, auch nicht bei den alten Griechen.”

    Ja, so könnte es gewesen sein! Erinnert mich etwas an die Kelten:
    http://diekelten.org/anderswelt.htm

    Zur Stellung der Frau kann man natürlich nur spekulieren. Man nimmt aber an, dass es eine Art Matriarchat gab, d.h. eine Sippenherrschaft.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Matriarchat

    Aus weiblicher Sicht:
    http://www.neue-akropolis.de/…401&Itemid=117

  11. @ Martin: Katholische Kirche

    Lieber Martin,

    danke für Deine Anfragen! Du schriebst: Ich wüßte jedoch nicht, warum das Vorkommen von Fruchtbarkeitgöttinnen “eine starke Rolle der Frau in der biokulturellen Evolution von Religiosität und Religionen nahelegen”.

    Doch, womit aber noch nichts über die gesellschaftliche Rolle der Frau ausgesagt ist. Nehmen wir Dein Beispiel, die katholische Kirche. Nach dem ersten Augenschein haben wir es mit einer “Männerkirche” zu tun, in der fast nur Männer amtieren, lehren und die religiöse Botschaft auslegen. Und so wurde und wird es auch heute noch oft gesehen.

    Zunehmend aber merken wir, oha, so einfach ist das Bild nicht einmal da: Schon die Evangelien berichten von einer eigentümlich starken Rolle von Frauen in der Gefolgschaft Jesu und für die Formation der frühen Kirche. Und auch heute noch sind es die Frauen, die häufiger an Gottesdiensten teilnehmen, den Großteil des ehrenamtlichen Engagements bestreiten und zudem in der direkten, religiösen Erziehung der Kinder eine (im Durchschnitt) viel größere Rolle als die Väter spielen. Ohne die spezifischen Beiträge der Frauen gäbe es die kath. Kirche wohl längst nicht (mehr). Und da stellt sich die Frage, “ob religiöse Frauen einfach dumm sind, sich gerne ausbeuten lassen etc.” (wie ich es immer wieder zu hören kriege) – oder ob ihr Verhalten nicht ebenso biologisch sinnvoll zu beschreiben ist wie jenes von Männern. Und, siehe da, obwohl die entsprechenden Forschungen gerade erst begonnen haben, stellt sich heraus, dass (auch) Frauen in religiösen Kontexten offenkundig aktiv und adaptiv handeln können.
    http://www.chronologs.de/…-religi-se-frauen-dumm

    Im Bezug auf die vorzeitlichen Religionen heißt dies schon einmal, nach den spezifischen Wechselwirkungen der Geschlechter zu fragen. Nimm dann noch die o.g. geschilderten Funde dazu, und es wird erkennbar, warum eines sehr sicher ist: Die eigenständige Rolle von Frauen in der Religionsgeschichte wurde und wird deutlich unterschätzt. In der deutschsprachigen Religionswissenschaft hat die entsprechende Debatte gerade erst begonnen:
    http://www.amazon.de/…wissenschaft/dp/3826040031

    Sicher wird es auch auf diesem Wege wieder zu Übertreibungen kommen, klar, aber der Grundansatz ist m.E. wichtig.

    Artemis, Astarte das sind ja hoch verehrte Göttinnen alter Religionen. Hatten in diesen Gesellschaften die Frauen eine starke Rolle? Ich denke nicht. Das waren doch männerdominierte Gesellschaften.

    Erneut: Das tradierte Bild in Politik und Gesellschaft ist das Eine, die soziale Wirklichkeit (gerade in den Religionen) eine andere. So gab es nicht nur Göttinnen und Priesterinnen, sondern auch eigene, religiöse Mythen und Rollen für Mädchen und junge Frauen, eigene Rituale und Ämter, Opferformen etc. Ein wunderschöner Band dazu, der Bild und Text auf hohem Niveau vereint (und den ich eigentlich auch schon lange mal hier besprechen wollte *seufz*):
    http://ancienthistory.about.com/…p/Priestess.htm

    Auch Maria, Ephesus und die Konzilien wären ein großartiges Thema… Himmel, da bestückt man zwei Blogs und hat dennoch stets noch mehr Ideen als Platz… 😉

    Danke für Deine – wie Du siehst anregenden – Anfragen!

  12. @ KRichard

    Männer tauchen in größerer Zahl erst vor 15-13000 Jahren (meist) als Bogenschützen auf; als Jäger bzw. Krieger.

    Ja, und eine Möglichkeit wäre z.B., dass gerade die Entwicklung des Bogens Jagd-, Geschlechter- und Konfliktrollen verändert hat – darauf gibt es Hinweise. Spannend wären z.B. vergleichende Untersuchungen beispielsweise mit Regionen, in denen kein Bogen entwickelt worden war.

    So ist das halt immer mit der Evolutionsforschung – hinter jeder beantworteten Fragen tauchen zwei Neue auf, die mindestens genauso spannend sind. Positiv gesehen: Uns Menschen wird es nie an Raum für Entdeckungen mangeln.

    Danke für die Rückmeldung, ich werde also versuchen, mindestens einmal im Monat einen Urgeschichte-Post zu schalten.

  13. @ Rüdiger Sünner

    Welche Stellung die Frauen hatten, wissen wir nicht genau, auch nicht bei den alten Griechen. Da können wir auch nicht moderne Ideen wie Emanzipation einfach zurückprojizieren, sondern es müsste noch mehr geforscht werden.

    So ist es. Umso genauer wir hinschauen, umso vielfältiger und vielschichtiger wird das Bild. Und es ist auf jeden Fall auch zeitlich und geografisch gegliedert, so beginnt und endet die Zeit der dominierenden Frauenfigurinen in Eurasien. Statt der großen Übertheorien (a la “Die Urmenschen…”) werden wir sicher ein sehr viel differenziertes “Fall-zu-Fall”-Bild erhalten. Neu und vielversprechend dabei ist, dass das evolvierte, religiöse Verhalten heutiger Homo sapiens mit den Mitteln der Evolutionsforschung erkundet und damit eine zusätzliche Perspektive in den interdisziplinären Dialog eingespeist wird. Schließlich waren die Gestalter und Nutzer der “Venus vom Hohle Fels” “nur” ein paar tausend Generation von uns entfernt. Mal schauen, was die kommenden Jahren so an neuen Erkenntnissen bringen. Ich habe das Gefühl, es bleibt spannend!

  14. Die Frau im alten Testament @Martin Huhn

    „Die “Mutter Gottes” im Katholischen Glauben wird hoch verehrt, aber ansonsten ist das eine männerdominierte Kirche…“.

    Ich habe da eine schöne Seite für Sie gefunden:
    http://www.wibilex.de/…18521///cache/45b4ed3d9b/

  15. Sexuelle Selektion – wer wen?

    Klitzekleine Frage: ich habe es so sonst noch nicht gehört, und es scheint doch eine unumstrit-tene Tatsachen-Aussage zu sein:
    „Die sexuelle Selektion … geht gerade auch bei Säugetieren (einschließlich Homo sapiens) überwiegend von Frauen aus“.
    Der unmittelbare Eindruck aus der Kulturgeschichte in den verschiedensten Gesellschaften scheint dem doch entgegen zu stehen: Männer bestimmten doch zumindest in geschichtlicher Zeit zumeist, wer welche Frau kriegt. Ja, ich weiß, es gibt die Geschichten, Sagen, auch My-then u Märchen… über die männlichen Bewerber, über deren Erfolg dann eine Frau bestimmt. Aber das wird doch zumeist als Ausnahmefall, eben beim Adel, erzählt. Im normalen Leben hat-ten doch durch die Jahrtausende die Frauen dem zu gehören, der durch Vereinbarung etwa zwischen dem Vater eines Mädchens und dem künftigen Schwiegersohn oder durch Kampf zwischen Rivalen zum Zug kommt.
    Und zumindest Letzteres scheint doch auch unter den Wirbeltieren so zu sein – bei den andern lässt es sich etwas schwerer beobachten 😉 .
    Also: Welche Gesichtspunkte stehen diesem unmittelbaren Eindruck entgegen? Wäre mir auch wichtig im Zusammenhang damit, für wie gewichtig die Rollenverteilung in der Gretchenfrage zu nehmen ist. Konnten überhaupt die Frauen so oft fragen: „Wie hältst du’s mit der Religi-on?“
    Der Computer „tut“ mal wieder, punktuell…. Aber gibt ja auch viel anderes. Ich muss für heute aufhören. Sorry, hoffentlich doch bald mal wieder…
    Basty

  16. Venus vom Hohle Fels

    Die Frage lautet: »Religiöse Kunst – oder doch “nur Erotica”?«

    Ich würde sagen: Religiöse Kunst UND Erotica. Vorausgesetzt, man möchte die Reduzierung der Frau auf ihre Gebärfähigkeit als religiöse Kunst bezeichnen.

    Denn: Bloß weil heutzutage (bei uns) diese beiden Sphären hübsch getrennt sind, muss es vor 40000 Jahren ja nicht genauso gewesen sein.

    Und zweitausend Generationen sind ja nun in der Tat nicht so viel, als dass man grundlegende biologische Veränderungen im Männerhirn erwarten dürfte.

    (Schöner Denkanstoß, herzlichen Dank, Herr Blume 😉 )

  17. @ Basty

    Ja, das hat auch schon Darwin vermutet: Dank seiner großen Überlegenheit habe der Menschen-Mann die Natur ausgeschaltet und herrsche nun also über die untergeordnete Frau als seinen Besitz. Sehr beliebtes Klischee.

    Fakt aber ist: In Gesellschaften von Jägern und Sammlern haben Frauen in der Partnerwahl regelmäßig viel zu sagen und auch in den Agrargesellschaften üben sie oft durchaus Mitsprache und Veto aus. Zumal auch das (genetisch entscheidende) Überleben der Kinder von der Eintracht der Eltern mitbestimmt wird.

    Inzwischen kennen wir sogar Fälle, in denen Schimpansenweibchen dominante Herren abgewiesen und subalternen Auserwählten den Vorzug gaben. Und es sind übrigens auch die Weibchen, die die Gruppe auf der Suche nach nicht-verwandten Beziehungspartnern verlassen, da sie weniger Gefahr laufen, angegriffen zu werden. Auch bei unseren nahen Verwandten also: Viel female choice.

    Wo ein Geschlechterkampf mal im Ausnahmefall recht eindeutig entschieden wurde, werden meistens die Männchen verspeist. 😉 Oder, wie jetzt bei einer Ameisenart befunden, schlicht aufgegeben:
    http://www.sciencedaily.com/…08/090825203339.htm

    Jetzt ernsthaft: Auch wenn es uns Männern bisweilen sehr gefallen würde, unter Säugetieren ist “female choice” nach bisherigem Kenntnisstand zwar einschränk-, nie aber abschaffbar. Denn wie der Name schon sagt, erhöht sich beim Säugetier das weibliche Investment in die Nachkommen – und entsprechend der selektive Druck, möglichst geeignete Partner zu akzeptieren.

    Neu und lesenswert für alle am Thema Interessierten: Sarah Hrdy “Mothers and Others”. Wollte ich eigentlich auch schon ewig hier vorstellen…

  18. @Blume Soziale Entwicklung

    Es war von mir nicht so gemeint, dass jetzt verstärkt Urgeschichte_Themen kommen. Sondern eher so wie Sie es am Beispiel von Pfeil/Bogen angesprochen haben: wie z.B. bestimmte technische Erfindungen/Ideen das soziale Verhalten verändern.

    Tipp: Ich weiß nicht, ob sie das Buch ´Dschungelkind´ von Sabine Kuegler kennen. Hier sieht man sehr schön, wie eine einzige Familie das soziale Verhalten einer ganzen Gegend änderte.

  19. @Balanus

    Ich würde sagen: Religiöse Kunst UND Erotica.

    Ja, religiöse Kunst kann stets auch sekundäre Effekte erzeugen. 🙂 Aber wenn die Erotik im Vordergrund gestanden hätte, wären zum einem kaum Schwangere und Gebärende dargestellt worden (die sich auch heute nicht im Playboy finden, nehme ich an 😉 ) – vor allem aber dürften wir eine zeitlich, geografisch und kulturell größere Verbreitung erwarten. Denn, wie Sie richtig geschrieben haben:

    Und zweitausend Generationen sind ja nun in der Tat nicht so viel, als dass man grundlegende biologische Veränderungen im Männerhirn erwarten dürfte.

    Genau! 🙂

    Vorausgesetzt, man möchte die Reduzierung der Frau auf ihre Gebärfähigkeit als religiöse Kunst bezeichnen.

    Warum denn Reduzierung? Das klingt ja, als wäre Gebären etwas Schlimmes, das damals und heute keine Würdigung verdiene. Nun, uns beide gibt es nur, weil tausende Generationen von Müttern unter Schmerzen und Gefahren Vorfahren geboren und (meist) gesäugt und aufgezogen haben. Der männliche Beitrag dürfte dagegen extrem geschwankt haben: Von Super-Pappis bis zu 5-Minuten-und-weg. Ich habe mich immer gewundert, warum wir in jeder Stadt Statuen tapferer Krieger normal finden, aber finden, Mutterschaft, Geburt und Kinderaufzug habe keine soziale Würdigung verdient.

    Denn: Bloß weil heutzutage (bei uns) diese beiden Sphären hübsch getrennt sind, muss es vor 40000 Jahren ja nicht genauso gewesen sein.

    Ja, das sehe ich auch so – zumal es auch heute so ist. In Islam und Judentum gelten z.B. eheliche und beiderseitig glückliche sexuelle Betätigung nach wie vor als religiös verdienstvoller Akt. Die verheiratet Liebenden erfüllen die göttlich angelegte Ordnung. So heißt es z.B. in jüdischer Tradition: “Wenn ein Mann seiner Frau in Heiligkeit anhängt, manifestiert sich die göttliche Gegenwart. Im Mysterium von Mann und Frau ist Gott. Wenn sie aber nur erregt sind, verläßt sie die göttliche Gegenwart, und es entsteht Feuer.”
    Also gerade “keine” Reduktion auf Religion oder Erotik, Zeugung oder Freude – sondern die Lehre, dieses zusammen zu bringen.
    http://www.judentum.net/kultur/schachter.htm

    (Schöner Denkanstoß, herzlichen Dank, Herr Blume 😉 )

    Danke, @Balanus! Da das Thema vielen Lesern offenkundig Freude macht, möchte ich für 2010 monatlich einen Urgeschichte-Post versuchen zu schaffen. Harte Arbeit, aber die Rückmeldungen helfen! 🙂

  20. @ KRichard

    Danke, so sehe ich das auch – das Blogformat erlaubt ja eigentlich auch immer nur Schlaglichter auf Einzelaspekte. Für die Gesamtschau brauchen wir m.E. erfreulicherweise weiter das gute, alte Buch.

    Und ja, ich habe Sabine Kuegler mit sehr hohem Interesse gelesen – “Dschungelkind” und ihr neues “Jägerin und Gejagte” (soviel zum Thema, ob Frauen in der Partnerwahl mitbestimmen, @Basty! 😉 ). Interessiert war ich auch deshalb, weil sie ja keine bestimmte wissenschaftliche Theorie im Blick hat(te), sondern biografisches Erleben schilderte. Und das m.E. großartig!

  21. Umdenken

    Das Bild von der traditionellen Ehe scheint sich ja stark in den Köpfen festgesetzt zu haben. Wenn man aber annimmt, dass es in der Steinzeit eine Sippenherrschaft (Matriarchat) gab, wo die Männer in den Clan der Frau einheirateten, schaut die Sache anders aus. In vorchristlicher Zeit hatte die Frau einen anderen Stellenwert, erst patriarchal geprägte Kulturen und Religionen sorgten für die Unterdrückung der Frau. Hier das Beispiel Irland, England und Schottland:
    http://matriarchat.net/welt/irland.html

  22. @Michael – Klarstellungen

    Lieber Michael, mein Post bezog sich nur auf die Dame vom Hohle Fels. Und die hat Prof. Nicholas Conard so beschrieben: “There can be no doubt that the depiction of oversized breasts, accentuated buttocks and genitalia results from the deliberate exaggeration of the sexual features of the figurine.”

    Dass die Figurine eine Schwangere darstellt, ist fraglich: “Although the Venus has numerous unique features, the presence of a ring for suspension in place of the head, and the upright, oversized breasts and massive shoulders relative to the flat stomach and small, pointed legs are particularly noteworthy.” (Hvm)

    Dass diese Beschreibungen des Figürchens bei dem einen oder anderen Kollegen die entsprechenden Reflexe (Pin-up) auslöste, kann ich nachvollziehen 😉

    Vorausgesetzt, man möchte die Reduzierung der Frau auf ihre Gebärfähigkeit als religiöse Kunst bezeichnen.«

    »Warum denn Reduzierung? Das klingt ja, als wäre Gebären etwas Schlimmes,… «

    Aber nein, Gebären ist auch in meinen Augen nichts Schlimmes, im Gegenteil. Aber schauen Sie, die Figurine hat statt eines Kopfes nur eine Öse. Die Figurine besteht im Wesentlichen aus Brüsten, Gesäß und Vulva. Das ist doch ein reduziertes Frauenbild, oder nicht?

    Denn: Bloß weil heutzutage (bei uns) diese beiden Sphären hübsch getrennt sind, muss es vor 40000 Jahren ja nicht genauso gewesen sein.

    »Ja, das sehe ich auch so – zumal es auch heute so ist.
    […]
    Also gerade “keine” Reduktion auf Religion oder Erotik, Zeugung oder Freude – sondern die Lehre, dieses zusammen zu bringen.«

    Plädieren Sie also für erotische Darstellungen à la Venus vom Hohle Fels in Gotteshäusern? (natürlich modifiziert, passend zu den heutigen Vorlieben ;-))

  23. Erotik in Gotteshäusern

    Balanus fragt: Plädieren Sie also für erotische Darstellungen à la Venus vom Hohle Fels in Gotteshäusern?

    In unserer christlich geprägten Kultur wurden Eros und Spiritualität jahrhundertelang voneinander getrennt. Da ist eine Versöhnung oder Vermittlung wohl nicht mit einem Paukenschlag herbeizuführen. Oder vielleicht durch eine künstlerische Aktion, die so etwas aus dem provokativen Freiraum der Kunst heraus anregt. Der kürzlich verstorbene Bildhauer Alfred Hrdlicka hätte so etwas machen können, vielleicht auch Beuys. Das Hohelied des Königs Salomo im Alten Testament enthält sehr sinnliche und erotische Passagen, das könnte eine gute Vorlage für einen Künstler sein. Aber ich glaube, dass christliche, jüdische oder islamische Gemeinden hier sehr schnell an ihre Grenzen stossen würden. Es hat auch etwas mit dem Begriff “Reinheit” in den monotheistischen Religionen zu tun, der ja automatisch eine Abgrenzung gegen das Unreine, die Körpersäfte etc. beinhaltet.
    Nein, wahrscheinlich ist keine Vermittlung zwischen Monotheismus und dem heidnischen Kosmos der Urzeit möglich. nicht umsonst reagieren Sektenbeauftragte der Kirchen ja immer noch allergisch gegen neuheidnische Gruppen und Aktivitäten. Ausstellungen wie die in Stuttgart sind sicherlich auch deswegen gut besucht, weil man dort u.a. einer tabuisierten Unterströmung des Christentums begegnen kann: ein Indiz für das wachsende Interesse an vorchristlicher, animistischer Spiritualität insgesamt.

  24. Eros und Spiritualität

    Die Trennung von Eros und Spiritualität war auch dringend nötig, wenn man mal die vorchristlichen Riten und Gebräuche anschaut. Das waren religiöse Orgien, Tempelprostitution, Eltern mußten ihre jungfräulichen Mädchen dem Kult zur Verfügung stellen, wo sich dann mehrere drüber her machten und als so “delikate Dinge” (wobei wir diese Verhältnisse nur halt ohne Spiritualität wieder haben). Selbst die alten Hebräer, die aus Ägypten zogen tanzten ums Goldene Kalb und beendeten das “Fest” mit einer Massenorgie. Das soll ja gottgeweiht sein. Aber was soll Gott damit, wenn die Menschen bar jeglicher Intimität so übereinander herfallen?

    Daß das Christentum übertrieben hat und diese Leibfeindlichkeit dabei herauskam ist ein anderes Thema.

    Uh, ich habe eigentlich gar keine Zeit hier mitzumischen. Kann sein, daß man nix mehr von mir hört.

  25. @Martin Huhn

    Wo ich herkomme lebten in vorchristlicher Zeit, vor den Eroberungszügen der Römer, die Kelten. Wenn Sie meine beiden Links (in meinen oberen Kommentaren) anschauen, können Sie sich über dieses Volk informieren. Wo finden Sie da Orgien?

    Siehe auch:
    http://centros.edu.xunta.es/…Activ/CeltsHist.htm

  26. Verfolgte Frauen @Martin Huhn

    Ja, dass es Tempelprostitution gab und gibt ist mir bekannt. Nur wo ich herkomme lebten die Kelten und da gab es keine Tempelprostitution. Das Christentum brauchte hier also nicht “aufzuräumen”. Wir hätten also ruhig heidnisch bleiben können und den Frauen wäre viel erspart geblieben. Denn 1487 wurde der “malleus maleficarum” (Hexenhammer) von den Dominikanermönchen Jakob Sprenger und Heinrich Institoris, der zudem Theologieprofessor war, publiziert. Er enthält ein äußert aufschlussreiches Frauenbild und war maßgeblich für die Hexenverfolgungen verantwortlich, die vielen Frauen den Tod brachte.
    http://www.museumonline.at/…xen/hexenhammer.html
    Auch mit Foltermethoden war man nicht zimperlich: http://members.fortunecity.com/…0825/folter.html

  27. Diskussion

    Wow, danke an alle für die lebhafte Diskussion! Sie unterstreicht m.E. sehr schön, worum es geht:

    1. Jede religiöse Kunst steht immer in Kontexten, die wir im Bezug auf die vorschriftliche Vergangenheit bestenfalls annäherungsweise rekonstruieren können (und davon sind wir noch recht weit entfernt).

    2. Das Thema löst auch heute noch Ängste und Abwehr aus. So ist die diskutierte Venus vom Hohle Fels wenige Zentimeter groß, kleiner als ein Daumen. Die Diskussion darüber, ob sie ggf. Frauen auf etwas “reduziert” oder ob ganze Gebäude mit entsprechenden Motiven bestückt werden sollten, kenne ich so interessanterweise im Bezug auf oft meterhohe Männerstatuen nicht. So wurden (und werden!) z.B. oft Krieger oder Politiker, in religiösen Kontexten auch Religionsstifter und Heilige in meterhohen Plastiken gewürdigt, ohne dass der Vorwurf erhoben würde, damit würden Männerrollen auf ein bestimmtes Verhalten reduziert. Aber sobald es um Frauen geht, gelten offenkundig auch heute noch manchmal andere Regeln…

    3. Religiöse und politische Rollen lassen sich nicht einfach übertragen und schon gar nicht überzeitlich und überregional vereinheitlichen. Wir dürfen (z.B. an Studien an Native American-Stämmen noch im 17. und 18. Jahrhundert) von einer extrem hohen, kulturellen Vielfalt an Männer- und Frauenrollen ausgehen, die freilich durch gewisse Trends verbunden waren. So wirkt sich z.B. die Einführung des Ackerbaus auf Erwerbs-, Familien- und schließlich Gemeinschaftsstrukturen massiv und vergleichbar aus, ohne dass aber eine kulturell einheitliche Form des Bauerntums von Irland bis Australien dabei entstünde. Dabei entstehen häufig, aber nicht immer, Patriarchate. Umgekehrt dürfte auch für die Vorgeschichte kein einheitliches Familien- und Gesellschaftsbild zu erwarten sein.

    4. Das Verhältnis von Religiosität und Eros gilt zurecht als ein Schlüsselthema, auch Papst Benedikt XVI. hat diesem ja seine letzte Enzyklika “Caritas in veritate – die Liebe in der Wahrheit” gewidmet:
    http://www.vatican.va/…ritas-in-veritate_ge.html

    Oder denken wir an die unterschiedlichsten Positionen von Religionen zu homosexuellen Eheschließungen, die z.B. in einigen Kirchen verdammt und in anderen gesegnet werden.
    http://www.pewforum.org/gay-marriage/

    Wichtig ist dabei im Kontext der (evolutionären) Religionswissenschaft die Unterscheidung zwischen der persönlichen Haltung und der Beobachtung. Wir mögen je bestimmte Haltungen für richtig befinden, zugleich gilt es aber die Existenz auch anderer Haltungen anzuerkennen. Und die strikte Trennung von Eros und Religion ist eben nicht universal, sondern eine spezifische (und sich m.E. im globalen Kontext und auch z.B. der christlichen Theologie eher auf dem Rückzug befindende) Ausprägung.

  28. @ Mona

    Ich habe nicht von den Kelten bezüglich der Tempelprostitution gesprochen. Die Wiege des Christentums war auch nicht in Europa. Aber Germanen und Kelten haben dafür etwas anderes gemacht. Bei denen gab es Menschenopfer. Auch nicht so schick. Aber das führt jetzt zu weit vom eigentlichen Thema weg.

  29. @Martin Huhn

    Man nimmt an, dass es Menschenopfer in vielen antiken Kulten gab. Die Kelten selbst hinterließen keine schriftlichen Aufzeichnungen, man kann es deshalb nur vermuten.
    Der römische Historiker Tacitus, ein “Kriegsfeind” der Germanen, beschreibt jedoch in seiner Germania die Opferung eines Sklaven beim Nerthuskult.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Germania_(Tacitus)

  30. @Michael Blume

    “Religiöse und politische Rollen lassen sich nicht einfach übertragen und schon gar nicht überzeitlich und überregional vereinheitlichen. Wir dürfen (z.B. an Studien an Native American-Stämmen noch im 17. und 18. Jahrhundert) von einer extrem hohen, kulturellen Vielfalt an Männer- und Frauenrollen ausgehen…”.

    Ja, stimmt! Gerade die Indianerkulturen genießen bei Feministinnen hohes Ansehen. Auch im Hinblick auf die Unterdrückung derselben. Ich las einmal eine Studie wonach die europäischen Einwanderer die Indianer so negativ sahen, weil sie so anders waren. Es wollte diesen Leuten auch nicht in den Kopf, dass die Frauen dort einen anderen Stellenwert hatten.

  31. @ Mona

    Danke, dass wir hier auch einmal gewürdigt werden! 🙂

    Aber wie ich ja auch immer sage, vor Evolutionsforschung braucht keiner Angst zu haben. So meldet die NY-Times gerade, dass offenkundig das männliche Y-Chromosom (dem bis vor kurzem noch der unausweichliche Verfall voraus gesagt war) sehr fidel ist und sehr schnell evolviert:
    http://is.gd/6iy2J

    Und was den Erfolg des Christentums und Spiritualität auch um Fragen von Geburt und Mutterschaft (einschließlich großer Darstellungen @Balanus 😉 ) angeht, so darf ich auf das Weihnachtsfest verweisen. Ursprünglich theologisch nicht zentral, hat sich das Fest um die Sonnenwende (Tief- und Endpunkt der dunklen und früher oft lebensbedrohlichen Jahreszeit) mit der Botschaft von Geburt und Kindheit verbunden – und zwar nicht in Palästen, sondern in Armut.

    Die Wirkung dieser Botschaft zur Eindämmung z.B. von Kindesmord, Ausgrenzung armer Menschen etc. ist schwer zu ermessen. Nicht umsonst schlossen sich gerade Frauen (!) dem frühen Christentum überdurchschnittlich häufig an.
    http://www.chronologs.de/…te-und-siegte-der-eine

    Ich finde, dass der respektvolle Blick auf andere Kulturen auch stets helfen kann, die eigenen Traditionen neu zu erkunden.

  32. Christentum und Spiritualität

    Lieber Michael,

    Christentum und Spiritualität geht für mich nicht zusammen. Mystiker, wie Meister Eckhart, wurden der Häresie beschuldigt. Und bereits das frühe Christentum hat ja die Gnostiker als Ketzer gebrandmarkt, unterdrückt und mitsamt ihren Anhängern ausgerottet.

    „Unter Gnosis versteht man eine religiöse Strömung, die in der Spätantike ihren Höhepunkt hatte. Das griechische Wort »Gnosis« bedeutet »Erkenntnis«. Die Erkenntnis ist für den Gnostiker in erster Linie Selbsterkenntnis: Die Seele des Menschen ist himmlischen Ursprungs. Durch einen Fehltritt einer göttlichen Macht entstand die Welt, die – wie alles Materielle – fehlerhaft ist. Die göttliche Seele ist in dem materiellen Körper gefangen und hat ihre wahre Heimat vergessen. Durch den Ruf des Erlösers, den die christlichen Gnostiker mit Jesus gleichsetzen, erwacht die Seele aus ihrem Schlaf und ihrer Trunkenheit. Sie wird über ihre Herkunft und ihren Fall belehrt. Diese Erkenntnis bringt ihr Erlösung und läßt sie wieder eins werden mit dem Pleroma (=Fülle), aus dem sie stammt.
    Eine »gnostische Programmformel« lautet folgendermaßen: Wer waren wir? Was sind wir geworden? Wo waren wir? Wohinein sind wir geworfen? Wohin eilen wir? Wovon sind wir befreit? Was ist Geburt? Was ist Wiedergeburt? (Exzerpte aus Theodot 78,2). Die Gnostiker haben versucht, auf diese Fragen eine Antwort zu finden. Doch taten sie dies nicht durch abstrakte Denkübungen oder mit Hilfe theoretischer Systeme. Vielmehr haben sie in unübertroffener religiöser Kreativität die Geschichte des menschlichen Selbst geschildert, welches in den gnostischen Texten oft mit der Seele des Menschen oder mit einem Lichtfunken gleichgesetzt wird. Dabei wurden erzählte Mythen mit gewaltigen Bildern zu Ausdrucksmitteln der Gnosis.“

    Zitat von hier (unter Einleitung): http://wwwuser.gwdg.de/~rzellwe/Prayers.html

    Du schreibst: „Und was den Erfolg des Christentums und Spiritualität auch um Fragen von Geburt und Mutterschaft (…) angeht, so darf ich auf das Weihnachtsfest verweisen. Ursprünglich theologisch nicht zentral, hat sich das Fest um die Sonnenwende (Tief- und Endpunkt der dunklen und früher oft lebensbedrohlichen Jahreszeit) mit der Botschaft von Geburt und Kindheit verbunden“

    Na gut! Ich weiß jetzt gar nicht, ob so eine Anschauung auch im Sinne der Kirche ist. Außerdem ist für mich der Begriff „Spiritualität“ umfassender. Vielleicht könntest Du darüber mehr sagen.

  33. Emanzipation in antiken Kulten?

    Wie wenig wir noch wissen über die Rolle der Frau in heidnisch-antiken Kulturen, zeigt diese interessante Webseite: http://axonas.twoday.net/topics/Frauenwelt/
    Dort wird darauf hingewiesen, welch erstaunliches emanzipatorisches und individualistisches Potential z.B. der römische Isis-Kult besass, in dem sich Frauen aus allen Gesellschaftsschichten (auch Prostituierte) treffen und “stärken” konnten. Wissenschaftlerinnen wie Eva Cantarella und Sarah Pomeroy haben darüber interessante Studien geschrieben. Die Gleichung Monotheismus=Fortschritt und Polytheismus=Rückschritt ist also viel zu einfach. Das haben in letzter Zeit ja auch Autoren wie Jan Assmann (“Die mosaische Unterscheidung”) und Peter Sloterdijk (“Gottes Eifer”) bemerkt.

  34. @ Mona: Spiritualität

    Vielen Dank für Deinen Beitrag! Gerade von einem Seminarwochenende in Jena zurück (und noch ganz begeistert von Engagement und Diskussionsfreude der Studierenden) gehe ich gerne auf Deinen Kommentar ein!

    Christentum und Spiritualität geht für mich nicht zusammen. Mystiker, wie Meister Eckhart, wurden der Häresie beschuldigt.

    Wobei das ja gerade Meister Eckhart ganz anders gesehen hat… Ja, das Spannungsverhältnis zwischen Institution und Spiritualität hast Du immer: Einerseits sind religiöse Traditionen auf Impulse angewiesen, andererseits gefährden diese den Zusammenhalt. Auch z.B. sufische Strömungen des Islam, Mystiker des Judentums u.a. hatten es da nicht immer leicht – und zwischen verschiedenen buddhistischen Strömungen kam es zu erbitterten (und teilweise auch gewaltförmigen) Konkurrenzen. Ich möchte also in keiner Weise etwas schönreden, sondern vielmehr darauf hinweisen, dass jede religiöse Tradition immer im Spannungsfeld von Gemeinschaft und Individuum, Zusammenhalt und Beliebigkeit steht. Und gerade dann, wenn sich Religionen mit staatlicher Gewalt verbinden, auch oft versagen.

    Und bereits das frühe Christentum hat ja die Gnostiker als Ketzer gebrandmarkt, unterdrückt und mitsamt ihren Anhängern ausgerottet.

    Einspruch. Das frühe Christentum war eine unter vielen Strömungen und hatte gar keinen Zugriff auf staatliche Macht. Andere, auch “gnostische” Strömungen wie der Manichäismus waren da viel weiter und hatten ihrerseits auch keine Probleme, Juden oder Christen des Unglaubens zu bezeichnen. Die Religionen, wie wir sie heute kennen, stellen die Traditionen dar, die am Ende siegreich gewesen sind – und gerade das Christentum hatte dies die ersten Jahrhunderte “gegen” staatliche Gewalt errungen. Dass das Bündnis mit der Staatsgewalt furchtbare Auswirkungen auch auf die innere Struktur und Glaubwürdigkeit hatte, darin stimme ich zu.

    Zur Gnosis nur soviel: Das war und ist keine einheitliche Lehre, sondern eine sehr komplexe und auch in sich völlig unterschiedliche Strömung von der von der absoluten Askese bis zur sexuellen Libertinage, von der Gewaltlosigkeit bis zur Befürwortung von Gewalt alles vertreten war. Die intensive Armenfürsorge oder starke Familienorientierung erfolgreicher, christlicher Strömungen hatten z.B. viele Gnostiker nicht aufzubieten. Da ist es schon wichtig, dass z.B. Apologeten des Christentums nicht nur das Negative sehen, andere aber nur das Positive. Sorry, wenn ich da nerve: Aber selbst der kleine Teil der historischen Realität, der uns zugänglich ist, war und ist nicht schwarz oder weiß, sondern voller Grautöne.

    Na gut! Ich weiß jetzt gar nicht, ob so eine Anschauung auch im Sinne der Kirche ist. Außerdem ist für mich der Begriff „Spiritualität“ umfassender. Vielleicht könntest Du darüber mehr sagen.

    Ja, das ist eine sehr gute Anregung! Ich denke wirklich darüber nach, deutlich mehr zum Thema Evolution der Spiritualität zu arbeiten und hoffe, noch dieses Jahr etwas dazu schreiben zu können. Danke auch für Deine Anregungen dazu!

  35. @ Rüdiger Sünner

    Vielen Dank für den Kommentar, auf den ich gerne eingehe!

    Wie wenig wir noch wissen über die Rolle der Frau in heidnisch-antiken Kulturen, zeigt diese interessante Webseite

    Vielen Dank – und, ja. Ich lese gerade voller Begeisterung “Portrait of a Priestess. Women and Ritual in Ancient Greece” von Joan Breton Connelly und gehe (wie ja auch in diesem Blog geschrieben) davon aus, dass die Rolle der Frau(en) in der Evolution von Religiosität und Religionen deutlich unterschätzt worden ist! Ich hoffe, dass wir da in den kommenden Jahren weiterkommen.

    Dort wird darauf hingewiesen, welch erstaunliches emanzipatorisches und individualistisches Potential z.B. der römische Isis-Kult besass, in dem sich Frauen aus allen Gesellschaftsschichten (auch Prostituierte) treffen und “stärken” konnten. Wissenschaftlerinnen wie Eva Cantarella und Sarah Pomeroy haben darüber interessante Studien geschrieben.

    Ja, dem stimme ich zu. Ebenso ist bemerkenswert, dass sich auch viele Frauen – von Sklavinnen bis zur Oberschicht – vom griechisch-römischen Polytheismus ab und dem verbindlicheren Monotheismus in jüdischer und christlicher Gestalt zugewandt haben. Interessant sind auch die wechselseitigen Einflüsse. Hier im Blog hatte ich einmal zu Osiris, Isis und Horus und zu Einflüssen des Isis- auf das Marienbild geschrieben:
    http://www.chronologs.de/…/osiris-isis-und-horus

    Die Gleichung Monotheismus=Fortschritt und Polytheismus=Rückschritt ist also viel zu einfach.

    Ja, das sehe ich auch so. In evolutionären Zusammenhängen ist “Fortschritt” ohnehin ein problematischer Begriff. Eher ist es so, dass jede Entwicklung Vor- und Nachteile hat. Deswegen wende ich mich ja immer wieder gegen allzu starke Vereinfachungen, die z.B. im Polytheismus nur menschenopferndes Heidentum oder umgekehrt die multikulturelle Idylle sehen wollen. Beides wäre zu einfach.

    Das haben in letzter Zeit ja auch Autoren wie Jan Assmann (“Die mosaische Unterscheidung”) und Peter Sloterdijk (“Gottes Eifer”) bemerkt.

    Ja, und mit Assmann habe ich in Heidelberg gerne darüber diskutiert und finde durchaus, dass er eine wichtige Diskussion angestossen hat. Monotheismen sind verbindlicher – das kann man zum Guten wenden (z.B. in der Verpflichtung für die Armen, dem Schutz der Familien, Neugeborenen und Mädchen etc., in denen der Monotheismus deutliche Impulse setzte), aber auch zum Bösen (z.B. Glaubensverfolgungen, Intoleranz, Terrorismus). Geschichtsforschung und Religionswissenschaft können m.E. etwas zur (Selbst-)Reflektion von Glaubenstraditionen beitragen, gerade, wenn sie sich nie von einer Sicht völlig vereinnahmen lassen.

  36. Erotik

    Schade, heute ist Montag, und ich wollte doch ein “erotisches Wort zum Sonntag” schreiben – na dann eben zum Montag.

    Mir fiel auf, daß in der Diskussion wiederholt der Begriff “Erotik” falsch verwendet wurde.
    Erotik ist nicht denkbar ohne eine geistige Dimension, weshalb kopf- und gesichtslose Gestalten wie die besprochenen Figurinen nicht nur nicht erotisch sein sollten, sondern niemals erotisch sein könnten!
    (und weshalb Reduktionisten, die die Existenz des Geistigen bestreiten, auch konsequenterweise nicht, oder besser: nicht einmal 😉 von Erotik sprechen sollten!)

    Das Wesen der Erotik erschießt sich (annäherungsweise), wenn man sich in der Kunstgeschichte nach erotischer Kunst umsieht und feststellt, daß diese dem Anspruch, erotisch zu sein, meist nicht genügt. Das liegt m.E. daran, daß es insbesondere der bildenden Kunst, der Malerei und Bildhauerei, nur selten gelingt, die geistige Dimension darzustellen, und ohne diese entsteht Pornographie.
    Ich glaube, es kann auch kaum gelingen, denn Erotik ist etwas Lebendiges, Situatives, Spontanes und dabei immer Intimes, das sich zwischen zwei Personen ereignet und das im statischen, abgebildeten Zustand sowie der Öffentlichkeit preisgegeben seinen höchsten Reiz, das Eigentliche und Wunderbare gänzlich verliert.

    Dieses Wunderbare ist genauso schwer zu analysieren und zu beschreiben wie das Numinose, und wie dieses erfaßt es den Menschen in unübertrefflicher Weise GANZ, d.h. körperlich, geistig und in seinem intensivsten Kontakt zum Anderen, wobei die Ich-Grenzen überwunden werden, manchmal sogar Zeit und Raum.

    Deshalb kann Erotik von ihren zartesten bis zu ihren ekstatischen Momenten spirituell erlebt werden und ist dann nichts Geringeres als das gemeinsame Feiern des Wunders der Schöpfung.
    Klingt das kitschig? Nein. So wenig wie der vielleicht schönste Satz, den je ein Dichter zu Papier brachte. Er stammt aus “Lucinde” von Friedrich Schlegel:

    “WIR UMARMTEN UNS MIT EBENSOVIEL AUSGELASSENHEIT ALS RELIGION.”

  37. Erotik der Altsteinzeit

    Figurinen der Altsteinzeit mit modernen Begriffen wie “Erotik” und “Pornographie” in Verbindung zu bringen, ist sicher problematisch. Die “Venus” und andere Skulpturen weisen eher daraufhin dass hier erstmals Lebewesen in künstlerischem Spiel mit Vorgängen umgehen, die bei Tieren instinkthafte Naturnotwendigkeit bleiben.
    Andererseits: Warum sollten nicht die Cromagnon-Menschen schon ein Gefühl für Erotik besessen haben, gerade wenn sie in der Lage waren, Sexualität etc. auch mit ästhetischer Distanz zu sehen? Ich vermute, dass die Figurinen eher spirituelle als erotische Zusammenhänge thematisieren, was spätere Fund-Kontexte nahelegen: Sie tauchen auch im Neolithikum auf, in Kultstätten wie in Malta oder als “Dolmengöttin” in Hünengräbern Mitteleuropas, scheinen also auch mit den Mysterien von Tod und Wiedergeburt in Verbindung zu stehen.

  38. @Basty Castellio: “Sexuelle Selektion – wer wen?”

    Ich möchte Michael Blumes Antwort auf diese Frage kurz ergänzen. Ich habe nämlich das Gefühl, dass der Term “sexuelle Selektion” eher umgangssprachlich denn wissenschaftlich gebraucht wurde („Die sexuelle Selektion … geht gerade auch bei Säugetieren (einschließlich Homo sapiens) überwiegend von Frauen aus“ , und “Sexuelle Selektion – wer wen?“).

    “Sexuelle Selektion” bezeichnet nicht den Akt der Partnerwahl, sondern den darauf beruhenden Evolutionsmechanismus als besonderen Aspekt der natürlichen Selektion. Geschlechtliche Fortpflanzung bedingt notwendigerweise, dass die Sexualpartner zusammenkommen müssen. Die Paarung entscheidet darüber, ob und wie sich die Genfrequenz in einer Population verändert.

    Geschlechtliche Individuen haben über viele Generationen hinweg ein bestimmtes, artspezifisches Paarungsverhalten entwickelt, wobei sich die Geschlechter aufgrund unterschiedlicher “Interessen” unterschiedlich verhalten.

    Es geht bei der sexuellen Selektion also nicht so sehr darum, wer wen “selektiert”, sondern darum, wie sich das Paarungsverhalten BEIDER Sexualpartner über Generationen hinweg evolutiv entwickelt und phänotypisch ausgewirkt hat (und immer noch auswirkt). So, wie bei der natürlichen Selektion niemand selektiert, so selektiert bei der sexuellen Selektion auch niemand—auch wenn es so scheinen mag.

    Ein sehr augenfälliger Effekt des Prozesses “sexuelle Selektion” ist der Geschlechtsdimorphismus (andere Effekte können beide Geschlechter gleichermaßen betreffen). So sind Männer beispielsweise im Durchschnitt größer und stärker als Frauen. Das könnte auf eine intrasexuelle Selektion zurückzuführen sein (der stärkere Rivale gewinnt den Kampf um das Weibchen), oder auf eine intersexuelle Selektion: die Frau verspricht sich von einem größeren (älteren) Partner mehr Sicherheit, bzw. der Mann bevorzugt eine kleinere (jüngere) Partnerin, weil er diese besser kontrollieren kann. Wie auch immer, offenbar hat sich dieser Größenunterschied zwischen Mann und Frau evolutiv bewährt, so dass heute diese geschlechtsspezifischen Präferenzen recht fest in uns verankert sind.

    Noch einmal: Aktuell beobachten können wir nur ein bestimmtes Fortpflanzungsverhalten. Zum Evolutionsprozess der sexuellen Selektion tragen beide Geschlechter über viele Generationen hinweg gleichermaßen bei.

    Einen engen Zusammenhang zwischen sexueller Selektion und Religion (“Gretchenfrage”) sehe ich übrigens nicht. An der rasanten Entwicklung des menschlichen Gehirns (und damit der geistigen und spirituellen Fähigkeiten) hatte die sexuelle Selektion sicherlich wesentlichen Anteil. Dass zu diesen geistig-spirituellen Fähigkeiten auch kulturelle Ausprägungen wie Religiosität oder Rechenkunst zählen, ist wohl ein sekundärer Effekt

  39. @ all

    Auch im Hinblick auf die letzten Kommentare möchte ich auf einen Essay des Anthropologen und Primatologen Volker Sommer hinweisen, der bereits vor etwa 10 Jahren über die Entstehung von Religiosität, Gehirnentwicklung und das Verhältnis der Geschlechter nachdachte. Einer meiner Studenten hat seine (bislang nur in deutsch vorliegende) These gerade für Wikireligiosus aufbereitet:
    http://www.wikireligiosus.eu/…gin_of_Religiosity

    Herzliche Grüße!

  40. @ all (Vor allem @Basty)

    Nun habe ich im englischen Scilog schon einmal auf Sarah Hrdys geniales “Mothers and Others” hinweisen können:
    http://is.gd/6Kmm1

    Spätestens wenn es als Übersetzung erscheint, feiere ich es auch hier im Blog – es gehört m.E. zu den wichtigsten Grundlagenbüchern der neueren Evolutionsforschung.

  41. Sarah Hrdy

    Der Hinweis auf Sarah Hrdy hat mich veranlasst, noch einmal das Hrdy-Interview auf Zeit-online zu lesen, von dem mir vor allem folgende Passage im Gedächtnis haften geblieben war:

    »Klein: Dabei hatte Trivers eigentlich ganz soziobiologisch argumentiert: Von Natur aus ist jeder Organismus nur für die Fortpflanzung da. Statuserwerb ist zweitrangig.

    Hrdy: Eben nicht. Mutter Natur, meine Metapher für die Evolution, hat uns keinen Kinderwunsch eingepflanzt. Sie schuf uns so, dass wir genug Nahrung und Fett für den Eisprung bekommen, Sex haben und dadurch von selbst Kinder bekommen. Und sie legte Primaten darauf an, andere zu kontrollieren und nach Status zu streben, weil das die eigenen Fortpflanzungschancen verbessert. Wenn wir heute die Wahl haben, entscheiden wir uns daher natürlicherweise für Statusgewinn – und versuchen als Frauen, die erste Geburt so weit wie möglich hinauszuschieben.«

    Statusstreben beeinflusst die Fertilität demnach mehr als der Grad der Religosität.


    Beim neuerlichen Lesen fiel mir auf, dass auch S. Hrdy undifferenziert von “sexueller Selektion” spricht, obgleich es doch nur um Fortpflanzungsverhalten oder Partnerwahl geht:

    »Aber auch das ist Soziobiologie: Der Wettbewerb zwischen Männern um Frauen; der Versuch, die Frauen zu kontrollieren; deren Anstrengungen, der Kontrolle zu entgehen – all das nennen wir sexuelle Selektion.«

    Aber das mag der Interview-Situation geschuldet sein, da legt man nicht jedes Wort auf die Goldwaage.


    Die Sache mit der “kollektiven Brutpflege” war nicht in den Fokus meiner Aufmerksamkeit geraten. Vielleicht, weil mir die Geschichte irgendwie vertraut vorkam. Jedenfalls kam mir, als ich den oben verlinkten Blog “Humans are Cooperative Breeders! – Evolving Religion? Sarah Hrdy” las, Adolf Portmann in den Sinn.

    Der veröffentlichte 1956 in seinem Buch “Biologie und Geist” einen Aufsatz mit dem Titel: “Die Biologie und das Phänomen des Geistigen”. Den folgenden Abschnitt aus dieser Abhandlung kann man durchaus auch im evolutionären Kontext lesen:

    »Dieses Einzelwesen [Mensch] ist aber eingefügt – also planmäßig zugeordnet – einer Sozialstruktur, in der es mindestens bis zum vierzehnten bis sechzehnten Jahr bei allen Menschenrassen in behüteter Kindheit und Jugend zum Geschlechtswesen heranwächst. Wir können diese lange Periode unschwer erfassen als eine jener bewahrten Zeiten – hier besonders lang ausgedehnt –, in der im Schutze elterlicher Pflege auch bei höheren Tieren die Anzeichen von Freiheit auftreten können. In dieser Zeit erfolgt die Übermittlung der gesamten Sozialstrukturen – ein langsames wachsendes Hineinlernen und ein lernendes Hineinwachsen in die bereits bestehende Sozialwelt. Diese gehört von vornherein zum Einzelwesen dazu; es ist undenkbar ohne sie. Das menschliche Leben ist primär in seiner ganzen Struktur bereits sozial. «

    Portmann beschreibt hier also die Besonderheiten der menschlichen Brutpflege. Die von ihm geprägten Begriffe „physiologische Frühgeburt“ und „sekundärer Nesthocker“ stehen, wie ich meine, in einer engen Beziehung zum Heranwachsen des Kindes in einer “pflegenden” Gemeinschaft.

    In dem Zeit-Interview begründet Sarah Hrdy, wie die gemeinsame Brutpflege eine kooperative und intelligente Art hervorbringen konnte, folgendermaßen:

    »Hrdy: Der Schlüssel liegt bei den Kindern. Wenn sie von mehreren Bezugspersonen abhängig sind, brauchen sie mehr Fähigkeiten als ein Schimpansenkind, das alles von seiner Mutter automatisch bekommt: Sie müssen sich in ihre verschiedenen Pfleger hineinversetzen können und lernen, sie zu manipulieren. Je besser sie sich darauf verstehen, umso größer ihre Überlebenschance. So entstand unter den Kindern ein Wettbewerb hin zu immer mehr sozialer Intelligenz. Wenn Sie heute die Intelligenz eines Zweijährigen mit der eines Schimpansen vergleichen, werden Sie keine sehr großen Unterschiede bemerken – mit einer Ausnahme: Das Kleinkind kann die Sicht eines anderen annehmen, von ihm lernen und teilen. Und genau darauf kam es an. «

    Was also bei Portmann “lernendes Hineinwachsen in die bereits bestehende Sozialwelt” ist, wird bei Hrdy evolutionär zugespitzt auf die natürliche Selektion begabter Kinder, als direkte Folge der kooperativen Brutpflege. Wenn man sich vorstellt, dass von durchschnittlich acht Kindern pro Frau nur 2-3 überlebten bzw. selbst zur Fortpflanzung gelangten—das müssen harte Zeiten gewesen sein.

    So viel vorab zum angekündigten Blog über Sarah Hrdys neues Buch: “Mothers and Others: The Evolutionary Origins of Mutual Understanding”. Wird sicher interessant… 😉

  42. @ Balanus

    Ja, absolut! Das Buch von Hrdy ist einfach großartig (wogegen Interviews gut sein mögen, aber in der Tat verkürzen). Freilich ist ihr Fokus ja der Vergleich unter Primaten, (menschliche) Religiosität streift sie entsprechend nur – ihre soziale und demografische Funktion dabei fast “nebenbei” erfassend! Danke auch für das Portmann-Zitat, das tatsächlich bereits in die gleiche Richtung weist und interessante Fragen aufwirft. Ich versuche, Februar oder März Hrdy aufzugreifen (auch eine Studentin arbeitet sie derzeit für Wikireligiosus auf).

  43. Der Faktor Armut @Balanus

    Das Interview mit Sarah Hrdy hat mich jetzt richtiggehend erschreckt. Frau wirft ja den Männern gerne vor, die Dinge nur aus ihrer eigenen Sicht zu sehen, was hier gemacht wird ist im Prinzip jedoch dasselbe. Ich will nur einen einzigen Punkt herausgreifen, wo es um die Aussetzung von Kindern geht: „Solches Verhalten war viel häufiger, als die Geschichtsschreibung zugeben will. In der Toskana etwa wurden zwischen 1500 und 1700 mindestens zwölf Prozent aller Kinder in Waisenhäusern abgegeben. Allein das größte Waisenhaus in Florenz nahm bis zu 5000 Kinder im Jahr auf. Und die Frauen kannten die Aussichten eines Findelkinds genau: In Sizilien etwa überlebten noch im 19. Jahrhundert ganze 20 Prozent der ausgesetzten Babys…“. Sarah Hrdy unterstellt nun indirekt, die Frauen hätten einfach ihre „lästigen“ Kinder im Waisenhaus abgegeben, wahrscheinlich um sich selbst zu verwirklichen. Wer sich jedoch mit der Geschichte Italiens und Europas näher befasst, dem dürfte nicht verborgen bleiben, dass damals Bauern und kleine Handwerker extrem arm waren. Am Beginn der Neuzeit kam es dann zu einer Bevölkerungsexplosion, ausgelöst u.a. durch die Hexen-Bulla von 1484, die den heilkundigen Frauen den Garaus machte.
    „Sie bringt ab etwa 1490 fast über Nacht sechs bis sieben überlebende Kinder pro Frau statt nur zwei bis drei in der Zeit davor. Die Hexen-Bulla von 1484 entfaltet auf dem Alten Kontinent nämlich umgehend Wirkung für die »Repöplierung« nach dem Bevölkerungsabsturz von 80 auf 50 Millionen seit der Großen Pest von 1348 – 1352. Europaweit verhängt Papst Innozenz VIII. die Todesstrafe für »Personen beiderlei Geschlechts … welche die Geburten der Weiber umkommen machen und verursachen … dass die … Frauen … nicht empfangen«.“
    Von hier:
    http://www.zeit.de/…buch_162/1_heinsohn?page=all

  44. @Mona

    Vielen Dank für Deinen Kommentar. Ein eigener Hrdy-Post kommt ja noch.

    Nur soviel: Hrdy verurteilt ja gerade nicht. Vielmehr wies sie schlicht nach, dass das “romantische” Naturbild, wonach sich Mütter “natürlich” stets für ihre Kinder aufopfern, so nicht stimmt – nicht bei Affen und nicht bei Menschen.

    Vielmehr benötigen (v.a. Menschen-)Mütter beim Aufzug der Kleinen Unterstützung: Durch Partner, Familien, Freunde, Gemeinschaft(en). Einerseits hat dies die sozialen, kulturellen (und schließlich auch religiösen) Veranlagungen unserer Spezies enorm begünstigt. Aber es bedeutet eben auch: Familienleben gelingt eben nicht “von alleine”, gerade nicht beim Menschen. Versprochen: Hrdy-Post(s) kommen bald!

  45. Kritischer Nachtrag @Michael Blume

    ” Vielmehr benötigen (v.a. Menschen-)Mütter beim Aufzug der Kleinen Unterstützung: Durch Partner, Familien, Freunde, Gemeinschaft(en). Einerseits hat dies die sozialen, kulturellen (und schließlich auch religiösen) Veranlagungen unserer Spezies enorm begünstigt. Aber es bedeutet eben auch: Familienleben gelingt eben nicht “von alleine”, gerade nicht beim Menschen.”

    Eine so reiche Frau, wie Sarah Hrdy, kann das Wort Armut wahrscheinlich nicht einmal buchstabieren. Wenn Menschen so verzweifelt sind, dass sie ihre Kinder weggeben hilft auch die Unterstützung durch die ebenfalls bitterarme Verwandtschaft nichts mehr. Außerdem war ja Papst Innozenz VIII nicht gerade unschuldig an der Misere.
    Buchempfehlung: Christus kam nur bis Eboli von Carlo Levi . Die Geschichte spielt sich zwar im Italien der 1930er Jahre ab, zeigt aber auf, wie es ist, wenn Menschen in einem Kreislauf ewiger Armut dahinvegetieren.

  46. @Mona

    Danke, mir ist nur nicht ganz klar, was Du Sarah Hrdy vorwirfst. Sie würde Dir Recht geben – hat ja Infantizid bei Affenmüttern erforscht und aufgezeigt, warum (auch) die Tiere das tun. Entsprechend lenkt sie den Blick auf die Umstände, in denen Mütter und Kinder gedeihen (sollten). Von ihr ist auf Deutsch z.B. bereits erschienen: “Mutter Natur: Die weibliche Seite der Evolution”
    http://www.amazon.de/…3375173&pf_rd_i=301128

    Eine Abwertung von Frauen, armer Menschen o.ä. finde ich bei ihr einfach nicht, liebe @Mona.

  47. Sarah Hrdy @Michael Blume

    Hier geht es nicht um Abwertung von Frauen oder armen Menschen, sondern um Motive. Sarah Hrdy “…hat ja Infantizid bei Affenmüttern erforscht und aufgezeigt, warum (auch) die Tiere das tun.” Dass ist ja der springende Punkt! Die Affen tun es ja offensichtlich um ihre eigenen Fortpflanzungschancen zu maximieren, auch auf Kosten des eigenen Nachwuchses. In meinem Bespiel hingegen versuchen Eltern die Kinder zu retten, da sie sie selber nicht mehr ernähren können. Ob den Leuten damals die genaue Todesstatistik der Waisenhäuser bekannt war weiß ich nicht. Ich würde aber auf keinen Fall unterstellen, dass die Kinder zum Sterben ins Waisenhaus gegeben wurden. Für mich klingt das sehr theoretisch und weltfremd.

  48. @Mona

    Also würdest Du davon ausgehen, dass Affenmütter nicht auch ihre Kinder retten würden, wenn sie eine realistische Chance dafür sähen, sie durchzubringen? Ihre Vorplanungs- und Abwägungsfähigkeiten sind natürlich deutlich begrenzter als bei Homo sapiens, aber auch bei ihnen tritt ja das Aufgeben von Kindern ja nicht beliebig, sondern als Reaktion auf bedrückende Lebensumstände auf.

  49. @Michael Blume

    Ich glaube ich habe da zwei Bücher von Sarah Hrdy durcheinander geschmissen. Tut mir leid!
    Soweit mir bekannt ist, sind Affenmütter in der Regel sehr fürsorglich und tun alles um ihre Jungen durchzubringen. In diesem speziellen Fall (die Aussage von Sarah Hrdy in ihrem Buch Mutter Natur – Die weibliche Seite der Evolution) geht es aber darum, dass die Männchen mitunter Babys ihrer eigenen Art umbringen. „Die Horden bestehen aus weiblichen Tieren, in deren Mitte ein einziges Männchen weilt. Die anderen Männchen lauern darauf, den Harem zu übernehmen. Wenn das einem gelingt, beißt er die Kinder seines Vorgängers tot – damit die Weibchen wieder empfängnisfähig werden und der Neue sich ohne Verzögerung fortpflanzen kann.“

    Von hier: http://www.zeit.de/2009/48/Klein-Muetter-48?page=2

  50. @Mona

    Kein Thema, das ist ja auch ein komplexes Feld! Und die lebendige Debatte mit Dir hat mich angeregt, andere Posts nach hinten zu verlegen und den Beitrag über Sarah Hrdy vorzuziehen, hier:
    http://www.chronologs.de/…sforscherin-sarah-hrdy

    Vielen Dank für Deine Anregungen und fürs Beine-machen! 🙂

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