Der Buddhismus als Glücksfall für die Evolutionsforschung zur Religion

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Die Faszination für indische Religionen insgesamt und den Buddhismus im Besonderen hat in der deutschsprachigen Geistesgeschichte – einschließlich der Religionswissenschaft – eine lange Tradition. Vergleicht man zum Beispiel die Zahl der Abrufe von Hans Küngs siebenteiliger Spurensuche – Die Weltreligionen auf dem Weg auf YouTube, so fällt auf, dass die Teile über Hinduismus und Buddhismus mit Abstand am häufigsten abgerufen wurden.

Neben der menschlichen Neugier nach farbenfroher Exotik (die umgekehrt wiederum indische Bollywood-Filmproduzenten für Alpenkulissen begeistert) erschien und erscheint gerade auch vielen gebildeten, individualisierten Menschen das Versprechen persönlich überprüfbarer Einsichten statt eines beobachtend-richtenden Gottes als sehr viel attraktiver. Essentialistische Religionsdefinitionen, die beispielsweise Religion über den Glauben an Götter bestimmen wollen, treffen so stets schnell auf den Einwand, dass doch der Buddhismus eine “Religion ohne Gott” sei.

Der Buddhismus als Chance für die Evolutionsforschung

In der Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen wird Religiosität seit Charles Darwin (in Varianten) als “Glauben an (bzw. Verhalten zu) überempirische(n) Akteure” gefasst – also an als anwesend und ggf. ansprechbar geglaubte Wesenheiten, die sich beispielsweise in Sternen, Leichnamen, heiligen Stätten, Statuen oder auch dem gesamten Weltall manifestieren können.

Aus dieser evolutionären Perspektive erscheint es als durchaus denk-, ja geradezu erwartbar, dass auch spirituelle und philosophische Systeme aufkommen, die zunächst völlig ohne überempirische Akteure auskommen. Zu erwarten wäre dann jedoch, dass solche Systeme bald überempirische Akteure aufnehmen und so zu überlebensfähigen Religionen “werden”.

Und genau dies trifft auf den Buddhismus zu (wie übrigens auch auf weitere Systeme wie den Jainismus, Taoismus usw.). Ursprünglich ging die buddhistische Lehre vom völligen Erlöschen des Erleuchteten aus, was “Gebete” an ihn überflüssig machte: Er war ja nicht mehr da, konnte weder schauen noch antworten.

Doch in der gelebten Realität beschränkten sich diese Einsichten bald auf schmale Eliten, wogegen der Buddhismus in religiösen Traditionen die Verehrung und auch Bändigung zahlloser überempirischer Akteure wie der Ahnen, der Geister, zahlreicher Götter, geistiger Lehrer (wie tibetischer Lamas, die in Kindern wiedergeboren werden können) und Bodhisatvas aufnahm und entfaltete. Das Verbot, den Buddha bildlich darzustellen, wurde nach kaum zwei Jahrhunderten durchbrochen und heute erscheint der Buddha in unzähligen Plastiken von riesigen Statuen bis zu kleinen Hausfigurinen. Ebenso haben sich buddhistische Reliquienscheine – Stupas – zu einem festen Bestandteil buddhistischer Gebets(!)praxis entwickelt.

Bild: Tempelanlage von Borobudur, Indonesien. Gunkarta / Wikimedia

Der real existierende Buddhismus ist nicht a-theistisch, sondern quasi-theistisch – und dies lässt sich nicht aus seiner ursprünglichen Lehre erschließen, sondern allein aus den religiösen Veranlagungen des Menschen und dem höheren kooperativen und damit reproduktiven Potential religiöser Vergemeinschaftungen. Noch ist die Demografie des Buddhismus nicht im Detail erforscht – so vermeintlich profane Themen wie Kinder und Familien spielen in der gängigen, westlichen Buddhabegeisterung bis tief in die Wissenschaften bislang leider kaum eine Rolle. Aber die noch wenigen, vorliegenden Befunde deuten doch bereits stark darauf hin, dass Religionsdemografie auch für den Buddhismus eine große Rolle spielt: Umso theistischer, umso kinderreicher. In seinem Herkunftsland Indien wurde der Buddhismus daher auch vom kinderreicheren, polytheistischen Hinduismus wieder überwachsen, der derzeit wiederum vom monotheistischen Islam demografisch herausgefordert wird.

Dafür haben Buddhisten gemeinhin weder mit der engen Verwandtschaft von Menschen und Tieren noch mit der Evolutionstheorie insgesamt ein Problem und wiesen 2009 in einer US-Befragung sogar eine höhere Zustimmung zu dieser auf als Konfessionslose.

Der Buddhismus – aber auch Hinduismus, Jainismus und andere – bietet also gerade aus evolutionärer Sicht ein hervorragendes Fallbeispiel. Zudem wirft er natürlich viele interessante Fragen auf – so plane ich als nächsten Beitrag in dieser (neuen) Kategorie die Rezension eines Religion-Wissenschafts-Buches des tibetischen Dalai Lama.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

26 Kommentare

  1. Der Buddhismus

    Ich bin nich sicher, wie weit die Rede von ‘dem Buddhismus’ wirklich trägt. Es gibt unzählig viele Strömungen, von denen viele mittlerweile Götter verehren. Es gibt aber ebenso immernoch den klassischen Zen Buddhismus, der bis heute ganz gut ohne Gottesbild auskommt. Die Annahme, dass religiöse Systeme irgendwann nicht mehr ohne überempirische Akteure auskommen, halte ich für schwierig.

  2. @ole: Zen-Buddhismus & Überempirische A,

    Ja, (auch) alle lebendigen, religiösen Traditionen prägen ständig neue Vielfalt aus – ohne Variation wären ja auch keine Evolutionsprozesse beobachtbar.

    Der Zen-Buddhismus ist ein wunderbares Beispiel für eine “eigentlich” a-theistische Lehre, die über die Adoption religiöser Elemente überlebt(e) – hier ein paar Zitate aus einem spannenden Forschungsprojekt der Heidelberger Kolleginnen und Kollegen:
    http://www.uni-heidelberg.de/…ca/2009-1/die.html

    “Die meisten Japaner besuchen einen Zen-buddhistischen Tempel, um an einer Begräbniszeremonie oder an einem Ahnengedenkritual teilzunehmen. Hunderttausende von Japanern zieht es jährlich zu einem der großen Zen-buddhistischen Klöster, um dort Bittrituale für die Lösung von Problemen oder die Erfüllung ihrer Wünsche von Zen- Priestern durchführen zu lassen. Die großen Zen-buddhistischen Tempel, besonders in der alten Kaiserhauptstadt Kyoto, die Scharen von Besuchern anziehen, sind Orte der Erinnerung, an denen sich die Besucher ihrer kulturellen Vergangenheit und Identität vergewissern.

    […]

    In Japan wird der Familientempel wichtig, wenn es zu einem Todesfall in der Familie kommt. Dann wird der Priester der wichtigste Ansprechpartner für Fragen hinsichtlich des komplizierten Zeremoniells einer Beerdigung. Er ist es, der die komplexen Bestattungszeremonien durchführt. Weitere Besuche im Tempel finden anlässlich von Ahnengedenkzeremonien statt. Darüber hinaus hat die Mehrheit der Japaner vor allem in den großen urbanen Zentren kaum Kontakt mit ihrem Familientempel.

    Den Großteil ihrer Einnahmen beziehen die Fami­lientempel aus Begräbnis- und Ahnengedenkritualen. Aus diesen Gründen wird der japanische Buddhismus der Gegenwart häufig abfällig als „Begräbnisbuddhis­mus“ tituliert. Auch in den Zen-buddhistischen Schulen sind die Priester vor allem für den Tod verantwortlich.

    […]

    Im Mahayana-Buddhismus, dem „Großen Fahrzeug“, werden der historische Buddha, die Bodhisattvas und mythischen Buddhas sowie der buddhistische Dharma, das heißt die Wahrheit, die der Buddha erkannt hat, als Quelle besonderer Kraft angesehen. Mit dieser Kraft kann das buddhistische Erlösungsprogramm, alle Lebewesen zum Heil zu führen, verwirklicht werden. Je größer die Nähe zu den Quellen der Kraft ist, desto wirksamer kann sie leidenden Wesen zum Heil verhelfen. Die Zen-Buddhisten verfügten im Mittelalter mit dem rituellen Sitzen und der Koan-Literatur über eindrucksvolle performative Mittel, ihre Nähe zum historischen Bud­dha und dem Dharma unter Beweis zu stellen. Das zazen avancierte zu einer mächtigen rituellen Inszenierung, mit dem die Zen-Buddhisten ihre religiöse Überlegenheit demonstrierten.

    Mit diesen rituellen Inszenierungen begegneten sie einem der drängendsten Probleme der religiösen Szenerie Japans: Die religiöse Landschaft war bevölkert von Furcht erregenden, zornigen und übelwollenden Geistern. Japanische Religionshistoriker gehen soweit, die japanischen Religionen vor Einführung des Buddhismus als Religion des Terrors zu bezeichnen. Die Priester der Zen-buddhistischen Schulen, insbesondere der Soto-Schule, lehrten, dass es sich bei diesen übelwollenden Geistern um leidende Lebewesen handelt. Sie begannen, diese Geister mithilfe ihrer besonderen Kraft zu erlösen.

    Die Geister wurden formell in den Sangha, die Gemeinschaft der Buddhisten, konvertiert und so von ihrem Leid befreit. Mit ihrem Groll und Zorn erlosch auch ihr negativer Einfluss auf die Menschen. Nach und nach wurden die Ordinationsrituale, mit denen die Geister in die Gemeinschaft der Zen-Buddhisten aufgenommen wurden, auf alle Verstorbenen ausgeweitet. Die Soto-Schule entwickelte Begräbnisrituale, die die Verstorbenen durch die Verleihung eines posthumen Namens in den Zen-buddhistischen Sangha aufnahmen. Mit der Zeit übernahmen die meisten anderen buddhistischen Schulen diese Praxis, die bis in die Gegenwart die Grundlage für den „Begräbnis-Buddhismus“ bildet.

    Ab dem 17. Jahrhundert wurden alle Japaner von der Regierung gezwungen, sich an einem buddhistischen Tempel registrieren zu lassen. Ausschlaggebend für die Frage, an was für einem Tempel die Registrierung erfolgt, waren keine doktrinären Fragen, sondern vor allem die räumliche Nähe zu einem Tempel. Besonders die Soto-Schule nutzte diese Regierungsmaßnahme, um die Angehörigen ihrer Familientempel zur Teilnahme an Begräbnis- und Ahnengedenkritualen zu verpflichten. Sie brachte immer neue Rituale und Zeremonien hervor, an denen die Tempelangehörigen teilnehmen mussten.

    In der Gegenwart können die buddhistischen Schulen niemanden mehr zwingen, die buddhistischen Begräbnis- und Ahnengedenkrituale zu nutzen. Sicher ist es auch auf die jahrhundertealte Verbindung zwischen Totenritualen und Buddhismus zurückzuführen, dass sich kaum ein Japaner vorstellen kann, auf die Anwesenheit eines Priesters bei den Beerdigungszeremonien zu verzichten.”

    Gerade auch der Zen-Buddhismus legitimiert sich in Japan über seine Fähigkeiten im “Umgang” mit überempirischen Akteuren, was sich aus einer Betrachtung nur der Texte nicht erschließt. Zu den erwartbaren Entwicklungen aus einer evolutionären Perspektive passen die realen Befunde jedoch perfekt!

  3. Weniger Abwehrhaltungen im Buddhismus

    Während die meisten abrahamistischen Religionen wie der Islam oder die christlichen Konfessionen (hier allem aber der Katholizismus Benedikts des sechzehnten) mit der Moderne hadern und immer wieder in Versuchung kommen, etablierte wissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien wie die Evolutionslehre in Frage zu stellen oder sogar offen abzulehnen, sind buddhistische und sogar hinduistische Schulen viel offener für die Wahrheiten der Wissenschaft. Ihre Lehren sind abgesehen davon auch weniger exklusiv und dogmatisch und offener für verschiedene Interpretationen.

    Anstatt den Buddhismus als Gegenbild zum christlichen Bekenntnis zu sehen, wäre ein vielversprechender Ansatz auch, in den monotheistischen abrahamistischen Religionen eine tief verankerte Intoleranz am Werk zu sehen. Eine Intoleranz, die im Islam so weit geht, dass Ungläubige getötet werden dürfen – oder sogar fast müssen, wenn es sich um Konvertiten handelt, die vom Islam abfallen.

    Aus evolutionstheoretischer Sicht kann man diese monotheistischen Religionen als extreme Ausbildungen eines Gruppenbewusstseins interpretieren. Eines Gruppengefühls das andere – eben die Ungläubigen – nicht nur ausschliesst, sondern sogar als Feinde betrachtet. Diese Sichtweise ist auch historisch gerechtfertigt. Das Judentum kann als Religion gesehen werden, die einer ethisch zusammengehörigen Gruppe von deklassierten Menschen – den in Aegypten exilierten Juden – ein neues Selbstbewusstsein und das Gefühl des AuserwähltSeins gab und ihnen damit ein Überleben, aber auch den Kampf gegen die feindliche Aussenwelt ermöglichte. Das Judentum wiederum ist der Ursprung der anderen abrahamistischen Religionen Christentum und Islam. Während das Christentum sich als Religion der Liebe vermarktete, geschichtlich aber die gewaltsamste Form eines missionarischen Kultes war, ist der Islam die Religion des Friedens – eines Friedens, der einkehrt, wenn ein Gebiet von Ungläubigen dem Boden gleich gemacht wurde.

    Das Christentum verliert zunehmend an Überzeugungskraft und Bedeutung, denn es wurde von einer globalen Kultur abgelöst, die vieles dessen aufnahm, was im Christentum als Praxis der Nächstenliebe verkündet wurde (auch wenn es gerade von den Eliten ins Gegenteil verkehrt wurde). Dem Islam ist dieser Anschluss an die globale Kultur nicht gelungen. Deshalb sind ihm sogar die Menschenrechte fremd und suspekt.

    Wir dürfen nur hoffen, dass die globale Kultur, die ihre Wurzeln in der Aufklärung hat und die Wissenschaft und Technik als Mittel sieht, den Menschen von seinem atavistischen Erbe zu befreien, weiter an Zugkraft gewinnt und die abrahamistischen Religionen verdrängt.

  4. klassische Lehre

    Die von Buddha überlieferte, klassische Lehre und das, was heutzutage praktiziert wird, sind zwei verschiedene paar Schuhe. Wenn ich von Buddhismus spreche, meine ich den Weg der vier edlen Wahrheiten. Also eine Lehre, die zunächst einmal als Grundlage das Leiden des Menschen nimmt und die Ursachen dafür in seinem eigenen Geist sucht. Deshalb muss dieser Buddhismus auch zu der Überzeugung gelangen, dass der Mensch nur durch sich selbst geheilt werden kann. Da ist kein Platz für Götter oder übernatürliche Wesen. Ich bin sicher viele Vertreter dieser Position, und das dürften auch heute noch einige sein, empfinden einen Buddhismus, der Übersinnliches anbetet, als pervertiert.

    Bezogen auf Ihren Aufsatz möchte ich damit nur deutlich machen, dass es problematisch ist anzunehmen, es gäbe so etwas wie eine Entwicklung oder gar Evolution des Religiösen. Bestenfalls lässt sich hier von Veränderungen sprechen, die bedingt durch die große Verbreitung des Buddhismus und den Einfluss anderer Kulturen und Religionen auf ihn, die verschiedensten Formen angenommen hat. Um über die unterschiedlichen Ausprägungen, die auch heute noch in vielfältigster Weise nebeneinander existieren, Aussagen zu treffen, reicht es nicht naturwissenschaftlich zu argumentieren. Schon ein Blick in die Verbreitungsgeschichte liefert gute Erklärungsmodelle dafür, dass Strömungen entstanden sind, die plötzlich übernatürliche Akteure hatten. Um einem so komplexen Phänomen wie Religion und ihrer historischen Entwicklung, gerecht zu werden, ist ein Verweis auf Darwin zu wenig.

  5. @Martin Holzherr

    Ja, die Vorstellungen vom “guten” Buddhismus und “bösen” Islam/Monotheismus sind gängige Topoi im deutschen Bildungsbürgertum. Und sind als Pauschalurteile natürlich ebensowenig haltbar wie andere Vorurteile auch.

    So war, um nur wenige Beispiele zu nennen, das buddhistisch-shintoistische Japan Achsenverbündeter von NS-Deutschland und wütete in China, Korea u.a. Ländern furchtbar. Bis heute gibt es kaum ein Industrieland mit restriktiveren Regeln gegen Zuwanderer. Auch nichtbuddhistische Minderheiten in Sri Lanka, Thailand und Birma könnten zur vermeintlich wesensmäßigen “buddhistischen Toleranz” einiges berichten… Und zu buddhistischen Kulturen gehören auch ausdrückliche Kriegerideale, z.B. des Samurai. Dagegen breiten sich in freien Gesellschaften wie Südkorea oft gerade auch monotheistische Traditionen aus, da sie häufig intensivere und auch sozial aktivere Gemeinschaften begründen.

    Dass ich den Buddhismus wie andere Weltreligionen auch sehr hoch schätze steht dabei außer Frage. Aber m.E. sollte Wissenschaft positive Klischees ebenso hinterfragen wie negative. Guter Buddhismus – böser Islam wird den realen Gegebenheiten weder in buddhistisch noch islamisch geprägten Gesellschaften gerecht.

  6. @ole: Evolutionsforschung

    Ja, schon (der studierte Theologe) Darwin machte sich Gedanken über die Entstehung und Entwicklung von Religion(en) – und unterschied dabei ausdrücklich zwischen biologischen Veranlagungen und kulturellen Ausprägungen. Seitdem – und insbesondere in den letzten Jahren – hat sich die entsprechende Evolutionsforschung in diesem Bereich dynamisch weiterentwickelt. Dass und wie sich der real existierende Buddhismus aus seinen Ursprüngen weit weg entwickelt hat, ist doch gerade das wissenschaftlich Spannende! Wissenschaftler fragen, warum und wie so etwas geschieht. Dumpfe Reduktionismen haben wir längst ebenso hinter uns gelassen wie Tabuisierungsversuche. Evolutionsforschung ist dabei stets ein empirisches Unterfagen, das historische Entwicklungen erkundet und keine letzten Wahrheitsfragen.

    Hier finden Sie zum Beispiel einen einführenden Artikel zum (kostenfreien) Download:
    http://www.gehirn-und-geist.de/…eligiosus/982255

    Oder hier auch ein Buch zum Thema:
    https://scilogs.spektrum.de/…ce-shop.de/artikel/969531

    Lassen Sie mich zuletzt betonen, dass ich Ihren persönlichen Glauben dabei völlig respektiere und die Evolutionsforschung an sich vielleicht manche überkommene Vorstellung herausfordert, aber den Buddhismus grundsätzlich ebenso wenig bedroht wie das Christentum oder sonst eine Religion.

  7. Danke –

    und wieder hilft deine Darstellung dazu, die Vielschichtigkeit einer Religion zu sehen, „den“ Buddhismus differenziert zu sehen.
    An einer interessanten Ergänzung kam ich heute vorbei: Julian Baggini in guardian.co.uk, „Can a religion survive being stripped of its superstitions?“. Man sieht es der Überschrift nicht an , aber es geht hauptsächlich um den Buddhismus, den Baggini als wesentlich abergläubischer sieht als es hierzulande gesehen werde. Jedenfalls mit überweltlichen („supernatural“) Vorstellungen angefüllt. Das ist – in Gegensatz zu Deinem Blogbeitrag – nicht durchweg fair argumentiert („superstitious“), und manche Gesichtspunkte auch etwas bunt zusammengefügt. Aber, wie gesagt: interessante Ergänzung.
    Bei dem Stichwort „real existierende Buddhismus“ dachte ich an das historische Vorbild für diese Wortprägung „real existierend“: an den Sozialismus, der immer seine reale Existenz betonen musste – als schlagendes Argument, als Totschlagargument. Nun, das könnte doch auch ein gewisses Grinsen auslösen: Gibt’s da nicht ein paar Parallelen, wie in angeblich rein wissenschaftlich-rationalen Überlegungen und Plänen doch religiöse Mechanismen wirksam werden? Aber man sollte nicht zu sehr grinsen, ohne sich selbst an der Nase zu fassen… Ja, ist wohl alles, was menschliche Lebensentwürfe betrifft, nicht ganz einfach einzuordnen.
    Gut’s Nächtle.

  8. Überempirische Akteure

    Ich empfinde diesen Post in einer Hinsicht als problematisch: Es wird eine Definition von Religion und demgemäß von Religiosität vorausgesetzt, ohne kenntlich zu machen, dass sich diese nicht mit dem Alltagsgebrauch des Wortes „Religion“ deckt. Zitat:

    Aus dieser evolutionären Perspektive erscheint es als … erwartbar, dass auch spirituelle und philosophische Systeme aufkommen, die zunächst völlig ohne überempirische Akteure auskommen. Zu erwarten wäre dann jedoch, dass solche Systeme bald überempirische Akteure aufnehmen und so zu überlebensfähigen Religionen “werden”.

    Hier wird schlicht stipuliert, dass z.B. ein reiner Theravada-Buddhismus keine Religion ist, sondern erst durch den überirdischen Akteur Buddha einer „wird“ (die Anführungszeichen hier sind wohl die Anzeichen eines doch schlechten Gewissens ob solcher ex-cathedra-Entscheidung). Ein anderes Beispiel: Der christliche Mystiker Angelus Silesius dichtet:

    Wo ist mein Auffenthalt? Wo ich und du nicht stehen:
    Wo ist mein letztes End in welches ich sol gehen?
    Da wo man keines findt. Wo sol ich dann nun hin?
    Jch muß noch über GOtt in eine wüste ziehn.

    Wenn er also so über seinen überempirischen Akteur Gott hinausgeht, hat er dann keine Religion mehr und keine Religiosität? Das wäre sicher ein überraschender Befund.

    Um meinem Gastpost demnächst ein Stück vorzugreifen: Natürlich steht es einer Wissenschaft frei, eigene Definitionen einzuführen und für diese Definitionen Alltagsausdrücke zu verwenden, die dann eine eigene Bedeutung bekommen. So versteht die Chaostheorie „Chaos“ in einem Sinn, der wesentlich enger ist als das übliche Verständnis. Es muss nur klar sein, in welchem Bezugssystem dieser Ausdruck zu verstehen ist, dem wissenschaftlichen oder dem alltagssprachlichen.
    Allerdings würde ich bezweifeln, dass eine evolutionäre Religionsforschung ihren (empirischen) Gegenstand wirklich trifft, wenn sie auf ihre überirdischen Akteure als harte Definition dieses Phänomens besteht.

  9. @Eric: Empfindungen & Definitionen

    Lieber Eric,

    danke für die offene Mitteilung Deiner Empfindung, mit der ich emotional durchaus sympathisieren kann. Gleichwohl muss ich Dir doch widersprechen, wenn Du den Vorwurf erhebst: Es wird eine Definition von Religion und demgemäß von Religiosität vorausgesetzt, ohne kenntlich zu machen, dass sich diese nicht mit dem Alltagsgebrauch des Wortes „Religion“ deckt.

    Abgesehen davon, dass “Natur des Glaubens” ja erkennbar ein (religions-)wissenschaftlicher Blog ist (und nichtwissenschaftliche Posts als solche kenntlich gemacht werden), schrieb ich hier auch ganz explizit: In der Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen wird Religiosität seit Charles Darwin (in Varianten) als “Glauben an (bzw. Verhalten zu) überempirische(n) Akteure” gefasst…

    Es ist m.E. also doch sehr deutlich, dass es sich hier nur um eine wissenschaftliche Arbeitsdefinition handelt. Und diese kann nicht umfassend sein – übrigens nicht nur im Bezug auf Religion, sondern ebenso auf Sprache, Musik, Sport, Kultur usw., die je für Menschen mehr, weniger und anderes bedeuten werden als jede einzelne Definition abdecken kann.

    Das Gleiche gilt ja z.B. auch für juristische Definitionen – wenn eine Juristin eine Religionsdefinition anwendet, um zu entscheiden, ob ein bestimmtes Verhalten in den Bereich der Religionsfreiheit fällt, so wird sie nie eine Definition finden können, der alle zustimmen.

    Deinem Kommentar entnehme ich zum Beispiel, dass Du “Religion” als ein positives Symbol und Gütesiegel erfährst. Gleichwohl gibt es auch Menschen gerade auch im (Theravada-)Buddhismus und Christentum die den Religionsbegriff für ihre Glaubensüberzeugungen ablehnen würden.

    Keine wissenschaftlich-empirische Definition kann für sich Allgemein- und Letztgültigkeit beanspruchen. Wenn wir ernsthaft empirische Wissenschaft betreiben wollen, können wir aber auch nicht auf Arbeitsdefinitionen verzichten.

    In diesem Blogpost freue ich mich darüber, dass gerade auch die beobachtbaren Entwicklungen des Buddhismus den verwendeten Arbeitsbegriff bestätigen – nicht weniger, aber auch nicht mehr.

    Die Problematik religiöser (wie auch musikalischer, künstlerischer etc.) Innen- und Außensicht nehme ich gleichwohl ernst und habe daher bewusst auch den bekennenden Mystiker Stefan um ein Web-Interview zum Thema gebeten:
    https://scilogs.spektrum.de/…efan-vom-blog-seelengrund

    So sehr ich Deine Empfindungen achte, möchte ich doch hoffen, dass Du nicht letztlich erwartest, dass ich diesen zuliebe das wissenschaftliche Forschen und Argumentieren einstelle. Denn auf nichts anderes liefe ein Verzicht auf Arbeitsdefinitionen am Ende heraus.

  10. @Hermann: Real existierend

    Lieber Hermann,

    ganz lieben Dank für Deinen ermutigenden Kommentar!

    Und, ja, die Assoziationen rund um “real existierend” finde ich spannend. Denn einerseits waren und sind damit ja Hoffnungsbilder verbunden – etwas existiert schon beobachtbar. Andererseits aber kann damit auch eine Ernüchterung verbunden sein – den “real existierenden Sozialismus” empfanden viele dann doch als sehr viel beklemmender als das erträumte Ideal.

    Beim Buddhismus (und eigentlich jeder Religion) sehe ich diese Spannungen auch. Persönlich finde ich den gelebten Buddhismus, das gelebte Christentum (etc.) sehr viel interessanter als die reinen Wunsch- und Idealbilder. Aber ich kann selbstverständlich verstehen und akzeptieren, dass Andere die “real existierenden” Zustände nur als matten Abklatsch wenn nicht gar als Verrat der “eigentlichen” Lehren ansehen.

  11. @ Michael Blume: Sorry!

    Tut mir leid, ich habe die Passage

    ‘In der Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen wird Religiosität seit Charles Darwin (in Varianten) als “Glauben an (bzw. Verhalten zu) überempirische(n) Akteure” gefasst …’

    zwar gelesen, aber nicht als formale Definition aufgefasst.(Typischer Fall von Wegfiltern aufgrund “kann ja gar nicht sein”). Gut zu wissen, ich werde meinen Post noch einmal dementsprechend überarbeiten. Macht die Diskussion umso spannender!

  12. @Eric Djebe

    Respekt & Danke für die Korrektur. Nun, da dieser Aspekt abgeräumt ist, bin auch ich noch gespannter auf Deinen nächsten Gastpost und unsere Debatte (terminiert auf den 17.2). 🙂

  13. @Michael Blume

    Lieber Herr Blume, ich freue mich, dass wir im Bezug auf Reduktionismus einer Meinung sind, habe aber dennoch Schwierigkeiten mit Aussagen über Religion, die sich auf die darwinistische Evolutionstheorie stützen. Zunächst möchte ich einem meiner Vorredner zustimmen. Der Religionsbegriff gefasst als Glaube an übernatürliche Akteure ist ein verkürzter. Aus philosophischer Sicht gibt es gute Argumente, diesen auf eine andere Weise mit Sinn zu füllen. Dazu kann ich nur sehr das Buch ‘Religion’ von Hans Julius Schneider empfehlen. Der Begriff ist demnach selbst als Arbeitsbegriff nicht unproblematisch.

    Auf der anderen Seite ist mir nicht ganz klar, welche Argumente sich anführen lassen, nur wegen der Korrelation des ‘Überlebens’ und des angeblichen Aufkommens des theistischen Glaubens, anzunehmen dass das eine Ursache des Anderen sei. Schon David Hume erkannte, dass in solchen Fällen häufig eine Verwechslung von Korrelat und Causa vorliegt.

    Ich habe in einem früheren Beitrag bereits versucht zu zeigen, das ich die These vom Überleben des theistischen Glaubens schwierig finde, doch nehmen wir einen Moment an, sie träfe zu. Was bedeutet es eigentlich von einer Religion zu sagen, sie sei ‘überlebend’? Ist damit nicht nur der Fakt gemeint, dass es diese Lehre noch gibt? Ist das nicht wenigstens irreführend? Wenn wir an die Entwicklung der Informationtechnologie der letzten 30 Jahre denken, könnte man diese auf eine ähnliche Weise beschreiben, wie sie es mit dem Buddhismus machen. Man könnte von einer Evolution sprechen, in der sich leistungsstärkere Technologie gegen schwächere durchgesetzt hat. Wäre diese Beschreibung sinnvoll? Ist es nicht vielmehr so, dass es sich um einen vom Menschen gesteuerten Prozess handelt, der wegen wissenschaftlicher, militärischer, ökonomischer und zahlreichen anderen Faktoren seine Entwicklung genommen hat? Wenn eine Religion überlebt, ist dann nicht genau das gemeint? Nämlich dass sie sich nicht aus sich selbst heraus verändert, sondern ihre Entwicklung auf zahlreiche andere komplexe Zusammenhänge zurückgeht, die wohl eher im menschlichen, kulturellen Bereich zu suchen sind? Das führt uns zurück zur Eingangsfrage. Mir ist auf der einen Seite nicht klar, welche triftigen Gründe Sie für ihren Punkt anführen könnten, wie gezeigt ist Korrelation streng genommen zu wenig, und auf der anderen Seite halte ich, abgesehen vom verkürzten Arbeitsbegriff, die Rechtfertigung einer darwinistischen Theorie über Religion für schwierig.

    Lassen Sie mich abschließend bitte noch feststellen, dass ich mich sehr über diese anregende Diskussion freue. Danke.

  14. @ole

    Im Kern geht es bei der Evolutionsforschung stets um die Rekonstruktion von Geschichte. Wenn die Evolutionstheorie zutrifft, so müssten sich alle Lebensäußerungen aus ihr erklären lassen. Wenn nicht, sollten wir das unbedingt wissen!

    Zu Ihren wesentlichen Einwänden: Der Religionsbegriff gefasst als Glaube an übernatürliche Akteure ist ein verkürzter. Aus philosophischer Sicht gibt es gute Argumente, diesen auf eine andere Weise mit Sinn zu füllen.

    Dazu kann ich nur “Ja” schreiben. Selbstverständlich ist dieser Religionsbegriff “verkürzt”, er ist nämlich nur eine empirische Arbeitsdefinition. Damit hat er eine einfache Funktion: Er soll die beobachtbaren Phänomene empirisch erforschbar machen. Ohne Arbeitsdefinitionen gibt es keine empirische Forschung – und umgekehrt sollte eine empirische Definition (wie jede Hypothese) aufgegeben werden, wenn ein besserer Vorschlag vorliegt. Ein solcher ist mir aber nicht bekannt – obwohl ich auch hier auf dem Blog bereits aktiv dazu eingeladen habe:
    https://scilogs.spektrum.de/…e-definition-von-religion

    Während empirische Arbeitsdefinitionen “nur” der Herleitung und Beschreibung von Phänomenen dient, ist Ihr Anliegen, diese “mit Sinn zu füllen” tatsächlich Aufgabe von Philosophie(n) und Theologie(n). Man kann die Perspektiven in den Dialog zueinander bringen, sollte das aber m.E. nicht einfach vermischen.

    Zu David Hume & der Vermutung, dass Evolutionsforschung zirkulär wäre: Ja, jede empirische Hypothese und Theorie gilt nur so lange, bis sie widerlegt ist. Deswegen kann die Evolutionstheorie nie abschließend “bewiesen” werden, aber sie ist bisher durch unzählige unabhängiger Befunde bestärkt werden. Hier einige Beispiele für Möglichkeiten, die Evolutionstheorie zu widerlegen:
    http://youtu.be/wfwYlZ2EBVc

    Und, ja, in einem umfassenden Sinn umfasst die Evolution nicht nur biologische, sondern auch kulturelle Prozesse, die auseinander hervorgehen und miteinander wechselwirken. Darwin hat ja nicht nur die “Herkunft der Arten”, sondern auch die “Abstammung des Menschen”, in der er Begriffe und Hypothesen zur Evolution von Sprachfähigkeit (biologisch) und Sprachen (kulturell), zu Musikalität (biologisch) und Musiken (kulturell), zu Religiosität (biologisch) und Religionen (kulturell) usw. formulierte. So würden wir beide diese Unterhaltung nicht führen können, wenn unsere Vorfahren nicht die kulturelle Fertigkeit des Kochens erworben, damit die Verdauung samt Energieausbeute verschnellert und verbessert und damit die biologische Evolution größerer Gehirne – samt sprachlicher, musikalischer, religiöser u.a. – Fertigkeiten ermöglicht hätten.
    https://scilogs.spektrum.de/…er-evolution-des-menschen

    Daher lässt sich Ihre Frage beantworten: Wenn eine Religion überlebt, ist dann nicht genau das gemeint? Nämlich dass sie sich nicht aus sich selbst heraus verändert, sondern ihre Entwicklung auf zahlreiche andere komplexe Zusammenhänge zurückgeht, die wohl eher im menschlichen, kulturellen Bereich zu suchen sind?

    Gemeint ist, dass eine Religion (religiöse Tradition) sowohl biologische wie kulturelle Grundlagen benötigt, um überhaupt entstehen zu können – und dann ihrerseits wiederum auf alle anderen Lebensbereiche (von der Fortpflanzung über die Künste bis zu Technologien, “Kulturen”) rückwirkt. Dieses unendlich komplexe Geschehen findet in einem Universum statt, ist Teil des einen, auf immer mehr Ebenen interagierenden Evolutionsprozesses. Dass wir diesen erforschen und immer besser können, gehört zu den großen Wundern unseres Seins.

    Morgen sollte zum Darwin-Day hier auf NdG ein Blogpost erscheinen, der Ihnen vielleicht zusagt bzw. zu dem mich Ihre Meinung interessieren würde.

  15. Religionsbegriff… @ole und @E.Djebe

    Autsch, das mit dem Religionsbegriff ist was Schwieriges. Da bin ich auch schon angeeckt: Zuerst mal ironisch gesagt: Fast scheint es mir, es gehöre zu den höheren Weihen der Religionswissenschaft, dass man Religion nicht definieren darf. Wer doch mit einer Definition kommt, wird als Stümper angesehen. Oder: als Eurozentrist, Kulturimperialist ff. Und als verkappter Theologe. Das darf ja nun gar nicht sein.
    Aber ich lese derartige Reaktionen nicht an Michael Blume ab; da gibt es andere. Und ich will es auch nicht nur ironisieren, sondern will und muss auch Verständnis dafür aufbringen – kritisches und selbstkritisches. Denn am Problem sind eben auch christliche Theologen schuld. Sie haben bisher schon zu viel an anderen Religionen definiert und festgezurrt, was dann religionswissenschaftlich wieder mühsam aufgedröselt werden musste. Also klar: eine Religionswissenschaft, die aus wissenschaftshistorischen Gründen des öfteren immer noch in die theologischen Fakultäten eingebunden ist, ist mit Recht misstrauisch gegenüber einer Begrifflichkeit, die durch eine lange Tradition abendländischer Theologie und Metaphysik vorgeformt und beherrscht worden ist.

    Nun gut, aber als Arbeitshypothese brauchen auch Religionswissenschaftler eine Definition. So ähnlich wie ein Musikwissenschaftler abgrenzen muss, welche Töne auf einem Jahrmarkt Musik sind und welche eben dann doch nicht mehr. Und da gibt es die Tradition, die Religion als Glaube an übernatürliche Wesenheiten definiert. Jetzt steckt genau in diesem Begriff die Prägung durch abendländische Metaphysik, die nicht so einfach zB in ostasiatische Zusammenhänge übersetzt werden kann. Gefahr des Kulturimperialismus… Deshalb gibt es Ausweichbegriffe wie „überempirisch“, „spirituell“ ff. Diesem schließt sich Blume an. Es ist absolut nicht nur sein Thema; es wird von verschiedensten Religionswissenschaftlern diskutiert. Er hat es nur deutlicher als manch anderer in die Internet-Öffentlichkeit getragen. Hauptsächlich in solchen Artikeln wie Charles Darwin about the Evolution of Religion.

    Problematisch ist auch dieser Begriff; denn Glaubende berufen sich ja einerseits öfters auch auf Erfahrung, andererseits bestehen sie meist darauf, dass diese Erfahrung nicht wissenschaftlich empirisch nachprüfbar sein muss. Was heißt dann überempirisch? Aber: welche Vorschläge benennen das Gemeinte zugleich präziser und sind zugleich in der Wahrnehmung gegenüber den verschiedenen Kulturen genügend offen?!
    Das andere – und das scheint mir hinter dem Einwurf von „ole“ zu stecken: Gibt natürlich auch das grundsätzliche Problem: Ob die Frage nach über- (empirischen oder natürlichen) Akteuren das Wesentliche einer Religion trifft. Ist es nicht das Ganze des Zusammenspiels verschiedener geglaubter UND wahrgenommener ODER für wahr gehaltener Kräfte? Jedenfalls könnte es schon sein, dass die Definition über Über-Empirische das Ganze zu eng fasst. Ich habe deshalb Religion schon zu definieren versucht als Spiel(-Regeln), Regelkreise des Lebens u.ä. Aber von Profi-Religionswissenschaftlern wird da zu Recht die Gefahr gesehen, dass mit solchen Definitionen das Phänomen der Religion(en) nicht mehr klar eingrenzbar (=definierbar) ist sondern „ausfranzt“: zerfließt in alle möglichen Phänomene, so dass man schließlich alle möglichen menschlichen Äußerungen als religiös bezeichnen könnte. Und aus eingangs genannten Gründen bin ich mit meinen Vorschlägen leise geworden und halte mich als Theologe hier lieber doch etwas zurück. 🙂

    Ja, inzwischen sehe ich, dass Michael Blume längst eine profunde Antwort gegeben hat. Nun, ich setze dies trotzdem dazu – hoffentlich kommt es nicht quer, sondern ergänzt sich sinnvoll. 🙂
    Gut’s Nächtle…

  16. @Hermann: Spielregeln

    Wow, was für ein Kommentar… Und ich sehe es wesentlich genau so. So wäre mir die Arbeitsdefinition von Religion als “Spielregeln, Regelkreis des Lebens” in der Tat sympathisch und ich denke, dass man damit auch theologisch arbeiten kann. Aber empirisch wäre die Abgrenzung gegenüber Rechtsordnungen wie z.B. dem Grundgesetz oder gar Finanzsystemen o.a. schwierig, nach denen sich ja auch Menschen ausrichten. Es beschreibt eine Funktion, die Religionen erfüllen können – aber eben nicht nur diese und wohl auch nicht alle. Trotzdem: Theologisch schön! 🙂

  17. Judentum,Christentum,Islam intolerant

    @Michael Blume

    Sie haben auf meine “Verdammung” der antimodernen Einstellung traditioneller abrahamistischer Religionen geschrieben: Guter Buddhismus – böser Islam wird den realen Gegebenheiten weder in buddhistisch noch islamisch geprägten Gesellschaften gerecht. und ich muss ihnen zustimmen, dass ich vom Buddhismus nur das zu uns transportierte Bild einer vergeistigten Religion kenne, nicht aber die Realität.

    Leider ändert das an meiner Einstellung zu Islam und Christentum (das Judentum kenne ich zuwenig) nur wenig. Wie sie wahrscheinlich richtig vermuten, halte ich den Islam wie er sich heute zeigt für ein Abbild dessen, was im noch voll christianisierten Abendland auch gang und gäbe war und wenn sie den Islam verteidigen, verteidigen sie für mich möglicherweise eine Zeit, in der der Inquisitor die Hexe zuerst noch eingeritten hat, bevor sie dann im Fluss versenkt wurde.

    Das Gegenbild zur Umma des Islams war vielleicht die Verbundenheit all der christilichen Nation in der gemeinsamen Religion, die sie gemeinsame Projekte, wie die Kreuzzüge unternehmen liess.

    Doch in vielerlei Hinsicht geht der praktizierte Islam in seiner Verfolgung von Ungläubigen über das hinaus was mir vom Christentum bekannt ist. Hier ein aktuelles Beispiel aus SPON mit dem Titel Malaysia liefert Mohammed-Zweifler an Saudi-Arabien aus

    Malaysia hat einen wegen seiner kritischen Bemerkung über den Propheten Mohammed gesuchten saudi-arabischen Journalisten an sein Heimatland ausgeliefert. … Jetzt ist der 23-Jährige Journalist Hamsa Kaschgari von Malaysia an Saudi-Arabien ausgeliefert worden – dort droht ihm die Todesstrafe wegen Blasphemie.

    Der 23-Jährige hatte auf Twitter ein fiktives Gespräch mit dem Propheten geführt, inzwischen sind die drei Beiträge wieder gelöscht. “An deinem Geburtstag werde ich mich nicht vor dir verbeugen”, hatte Kaschgari geschrieben. “Ich habe Sachen an dir geliebt und ich habe Sachen an dir gehasst und es gibt viel, was ich über dich nicht verstehe.”

    Angesichts zehntausender empörter Reaktionen hatte Kaschgari sich entschuldigt. Ein hochrangiges Komitee islamischer Geistlicher erklärte ihn aber zum “Ungläubigen” und forderte, dass er vor Gericht gestellt werde. Mehr als 13.000 Menschen schlossen sich daraufhin einer Facebook-Seite ein, die seine Hinrichtung fordert.

    Wenn der Journalist schreibt Ich habe Sachen an dir [Mohammed] geliebt und ich habe Sachen an dir gehasst und es gibt viel, was ich über dich nicht verstehe. könnte übrigens mancher hin und wieder zweifelnder Christ auch äussern, sogar ein Theologe wie Max Küng – weswegen er vom aktuellen Papst ja auch fast exkommuniziert wurde (in früheren Zeiten wäre er exkommuniziert worden).

  18. Exkommunikation genügt nicht:Todesstrafe

    Hier noch der Schlusssatz (der es nur in meine Notiz aber nicht in den Blog geschafft hat) meines letzten Kommentars zum SPON-Artikel Malaysia liefert Mohammed-Zweifler an Saudi-Arabien aus:

    Wenn der Journalist schreibt Ich habe Sachen an dir [Mohammed] geliebt und ich habe Sachen an dir gehasst und es gibt viel, was ich über dich nicht verstehe. könnte übrigens mancher hin und wieder zweifelnder Christ auch äussern, sogar ein Theologe wie Max Küng – weswegen er vom aktuellen Papst ja auch fast exkommuniziert wurde (in früheren Zeiten wäre er exkommuniziert worden).

    Doch, hier kommt der Unterschied zwischen früherem Christentum und heutigem Islam: Exkommunikation genügt den Muslimen nicht – es muss schon etwas mehr sein, das Todesurteil besipielsweise

  19. @Martin Holzherr

    Das Regime von Saudi-Arabien steht für Sie also einfach für “die Muslime”? Steht das Militärregime von Birma dann für “den Buddhismus”?

    Da dies hier ein Wissenschaftsblog ist, eine Denksportaufgabe: Wenn das Regime von Saudi-Arabien für “die Muslime” steht, warum benötigt es dann eigentlich Schutz durch US-Truppen und deutsche Waffenlieferungen?

  20. @Michael Blume: Mord als Verteidigung

    Der pakistanische Politiker Shahbaz Bhatti (ein Christ, doch deshalb trotzdem auch ein Mensch), wurde am 2.3.2011 (was, schon so lange her!) in Islamabad wegen seinem Eintreten gegen das Blasphemie-Gesetz ermordet. Die Organisation Tehrik-i-Taliban Pakistan bekannte sich dazu.

    Das Regime von Saudi-Arabien will also einen islamkritischen Journalisten wegen “Ungläubigkeit” aburteilen und die pakistanischen Taliban töten einen Ungläubigen, weil er für die Rechte der Ungläubigen eintritt.

    Da gebe ich ihnen absolut recht: Das saudische Regime und die pakistanischen Taliban sind nicht repräsentativ für den Islam.

    Doch sie wissen genau so gut wie ich, dass das Taten sind, die weiten Rückhalt in der moslemischen Bevölkerung haben. Es gab ProAssassinations-Demonstrationen auf Islamabads Strassen an denen tausende die Ermordung von Bhatti bejubelten.
    Und wer hat den Tod des saudischen Journalisten Hamsa Kaschgari gefordert. Nicht die saudische Regierung, die fordert vorerst nur seine Auslieferung. Ausgeliefert wird er von der malayischen Regierung, die “kein sicherer Hafen für Terroristen” sei. Gefordert haben seinen Tod auf einer Facebook-Seite (Zitat Spiegel) Mehr als 13.000 Menschen.

    Aller guten Dinge sind drei, deshalb will ich auch noch den Fall von Salman Taseer, einem Politiker der Pakistanischen Volkspartei, Gouverneur des Punjab, aufführen, der am 4. Januar 2011 ermordet wurde, wiederum weil er sich gegen das Blasphemiegesetz stellte. Auch bei diesem Tod gab es viel Jubel, diesmal auch von Geistlichen. Im folgenden ein Zitat aus dem Wikipedia-Artikel Salman Taseer

    Gleichzeitig wurde die Ermordung Taseers wegen dessen Haltung gegenüber dem Blasphemiegesetz von mehreren Hundert Geistlichen der in Pakistan einflussreichen islamischen Organisation Jamaat Ahle Sunnat, die der ultrakonservativen sunnitischen Barelvi-Bewegung angehört, begrüßt und der Attentäter als Held gefeiert. Auch bei seiner Ankunft vor Gericht wurde der Attentäter von zahlreichen Personen bejubelt.

    Zuletzt möchte ich noch ihren letzten Kommentar zitieren:

    Da dies hier ein Wissenschaftsblog ist, eine Denksportaufgabe: Wenn das Regime von Saudi-Arabien für “die Muslime” steht, warum benötigt es dann eigentlich Schutz durch US-Truppen und deutsche Waffenlieferungen?

    Dieser von der Sache ablenkende Kommentar zeigt, dass man sie recht schnell in die Ecke treiben, sie also verunsichern kann. Das verwundert mich nicht. Ihre vielen Blogbeiträge gehen nämlich in die Breite, nicht in die Tiefe. Deshalb fehlt ihnen das Rüstzeug um kontroverse Themen wirklich zu durchdenken und um Widerspruch auszuhalten.

    Meine Überschrift zu diesem Kommentar Mord als Verteidigung ist übrigens meine Interpretation für religiös motivierte Morde an Ungläubigen. Ungläubige und hier vor allem vom Islam abfallende und den Islam kritisierende Moslems verunsichern die Glaubensgemeinschaft, die Umma so stark, dass der (Seelen-)Frieden nur mit der Liquidation des Unruhestifters wiederhergestellt werden kann.

  21. @Martin Holzherr

    Abgesehen davon, dass Sie meiner Nachfrage einfach ausgewichen sind – was haben Ihre Anti-Islam-Posts noch mit dem Buddhismus und Evolutionsforschung zu tun? Es gibt doch genug finstere Ecken im Netz, in denen man über andere Kulturen herziehen kann (und die millionenfachen Morde der eigenen, unter dem Jubel so vieler, verdrängen). Die Scilogs eignen sich nicht dafür, lieber Herr Holzherr. Und wenn Ihnen mein Blog nicht ‘tief’ genug ist, finden Sie andernorts bestimmt entsprechende Tiefen ganz nach Ihrem Geschmack.

  22. Buddhismus, Religion+Gewalt

    Was haben meine Kommentare zu den monotheistischen Religionen und hier zur momentan noch stärksten monotheistischen Religion, dem Islam, mit diesem Blogbeitrag über den Buddhismus zu tun?

    Das dürfte wohl klar sein: Es geht um das Verhältnis von Religion und Gewalt.
    Praktisch alle Religionen verurteilen Gewalt. Mord sowieso. Doch das scheint vor allem für Gräueltaten innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft zu gelten, nicht aber für das Verhalten Menschen anderen Glaubens gegenüber oder für die Behandlung von Abtrünnigen. Diese kann man und muss man in gewissen Fällen bekämpfen, vielleicht sogar töten. Die Ausnahme bildet vielleicht das, was über Jesus im neuen Testament berichtet wurde, wo kaum über zu tötende Feinde gesprochen wird. Doch die religiösen Praxis sah dann wieder ganz anders aus.

    Der Buddhismus scheint dagegen zuerst einmal als Gegenmodell, denn er kennt keine so klare Abgrenzung von Gläubigen und Ungläubigen. Wichtiger als der Glaube ist im Buddhismus die eigene Anstrengung, der selbst eingeschlagene Weg. Man kann sich also im Buddhismus nicht einfach mit seinen Glaubensgenossen verbünden. Damit erreicht man noch nichts. Auch gibt es keinen Kanon von Glaubenssätzen und -regeln, den man nur kennen und an den man sich halten muss um Erlösung zu finden. Wenn der Buddhismus so funktioniert wie von mir beschrieben, dann bildet er schlechte Voraussetzungen für Gruppenzusammenballungen und damit für Gewalt, die von einer Gruppe ausgeübt wird. Ich bin mir aber bewusst, dass die Wirklichkeit wiederum ganz anders aussehen kann. Die Quellen des Buddhismus liegen stärker im Geistigen als bei den meisten anderen Religionen. Das macht den Buddhismus aber auch zu etwas Elitärem. Es verwundert deshalb nicht, dass er sich eher auf dem Rückzug befindet und nicht das Zeug zur Massenreligion hat.
    Doch er hat vielleicht das Zeug, einen Weltethos mitzubegründen und mitzuhelfen universell gültige Aussagen über das Leben und Zusammenleben von Menschen zu liefern.

    Religion in einem weiteren Sinn könnte nämlich beitragen zu einer neuen Form des globalen Menschseins und sie könnte höhere und wertvollere Prinzipien verteidigen als diejenige des uneingeschränkten globalen Marktes.

  23. Islam (saudisch-wahabitisch)

    auch wenn es nicht zum Thema “Buddhismus” paßt: die besondere Rolle der saudisch-wahabitischen Koran-Interpretation für die restliche islamische Umma kommt wohl primär dadurch zustande, daß jeder Hadschi bei seiner Pilgerreise nach Mekka dortselbst zwangsläufig mit ebendiesen Wahabiten in Kontakt kommt. (Man kann auch schlecht nach Rom pilgern, ohne Katholiken zu begegnen)

    Und Mekka ist nach wie vor die meistbesuchte Pilgerstätte aller Weltreligionen, noch vor Jerusalem.

    Insofern kann man auf die Frage “ist Saudi-Arabien DER Islam?” durchaus antworten “Saudi-Arabien ist *ein wichtiger Aspekt* des Islam”. Veschiedene christliche Konfessionen beweisen, daß sie ohne den Papst in Rom auskommen, aber welche islamische Konfession kommt ohne die Kaaba in Mekka aus? Weder die Sunniten noch die Shiiten, soweit mir bekannt ist.

    Der “Geist des großen Steines”, der bereits in vorislamischer Zeit “Allah” genannt wurde, spielt immer noch eine Rolle, die von der Allgegenwart des biblischen Gottes irgendwie verschieden ist.

  24. @Martin Holzherr & @Störk

    Ja, Herr Holzherr, da kann ich mitgehen: Religionen stärken oft die Kooperationen innerhalb der Gruppe auf Kosten der Abgrenzung nach Außen. Und, ja, monotheistische Traditionen weisen in beide Richtungen besonders starkes Potential auf. Gerade deswegen empfiehlt es sich m.E. besonders genau hinzuschauen und nicht Extremisten die Defitionshoheit zu überlassen.

    @Störk

    Sehe ich auch so. Dass im Christentum weltliche und religiöse Macht bald auseinander fielen hat zwar Missbräuche nicht verhindern, aber doch freiheitliche Entwicklungen begünstigen können. Dagegen sehe ich mit Unbehagen, wie stark der Westen das saudische Regime stützt, das seine extrem intolerante Lesart des Islam ja auch exportiert (z.B. nach Bosnien etc.)

  25. Macht / Herrschaft

    > “Dass im Christentum weltliche und
    > religiöse Macht bald auseinander fielen
    > hat zwar Missbräuche nicht verhindern,
    > aber doch freiheitliche Entwicklungen
    > begünstigen können.”

    Bevor sich “weltliche und religiöse Macht” zu Zeiten von Kaiser Konstantin erstmals verbündeten, hatte das Christentum immerhin 300 Jahre, eine einzigartige Tradition der Verachtung weltlicher Macht zu etablieren. Jesus selbst ist das beste Beispiel:
    – als er vom Satan mit der Option auf weltliche Herrschaft versucht wird, lehnt er rigeros ab
    – angesprochen auf Steuern und Zölle sagt er “gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist”
    – im Verhör durch Pilatus erklärt er “mein Königreich ist nicht von dieser Welt”

    Diese offene Geringschätzung weltlicher Macht macht das Christentum zu einer geradezu anarchistischen Religion – womit es im krassen Gegensatz stand zu allen früheren (heidnischen) “Staats-Religionen” und später auch zum Islam der Kalifen.

    Um den Bogen zurück zum Buddhismus zu schlagen: auch Buddha Siddhartha Gautama hielt nichts von weltlicher Macht und Herrschaft, aber aus einer wesentlich komfortableren Ausgangssituation heraus…

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