Als Richard Dawkins Zuflucht bei Gott suchte

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Das Internet entwickelt beunruhigende Ähnlichkeiten mit der BILD-Zeitung: Wer diese Aufzüge nach oben nimmt, läuft Gefahr, mit ihnen auch herunter zu fahren. So ging es gerade in letzter Zeit Richard Dawkins, der so lange auf der Klaviatur des Netzes gespielt hatte – und sich nun wiederholt in ihm verhedderte.

Bild: Matthias Asgeirsson / Wikicommons

Es ging wohl los mit #Elevatorgate, in dem Dawkins auf die Beschwerde einer Mit-Skeptikerin über Sexismus unter “neuen Atheisten” mit einem höhnischen Kommentar geantwortet hatte. Es folgten Debatte und ein erster Shitstorm, selbst Teile seiner Anhängerschaft reagierten verstört.

Weiter ging es mit einem New York-Times-Online-Interview, in dem Dawkins nicht nur Freund und Feind mit seinem Glaubensbekenntnis zu “evolutionärem Fortschritt” (an der Seite von Simon Cornwall Morris) verblüffte, sondern auch verkündete, er gehe davon aus, dass andernorts im All bereits “gottähnliche Kreaturen” (God-like creatures) evolviert seien. Kann man glauben…

Und nun auch noch dieses BBC-Radiointerview: Dawkins hatte darin behauptet, dass ein Großteil der Briten nicht mehr als Christen bezeichnet zu werden verdienten, vermochte doch weniger als ein Drittel der Befragten einer Studie Matthäus als ersten Evangelisten zu benennen. Doch sein Diskussionspartner, Reverend Giles Fraser, hakte nach (Transkript übersetzt):

Giles Fraser: Richard, wenn ich dich nach dem vollen Titel von der “Entstehung der Arten” fragen würde, könntest du mir diesen sicher nennen.

Richard Dawkins: Ja, könnte ich.

Giles Fraser: Na dann los.

Richard Dawkins: ‘Die Entstehung der Arten’ … Uh. Mit, Oh Gott. ‘Die Entstehung der Arten.’ Dazu gibt es einen Untertitel der sich auf die Erhaltung bevorzugter Rassen im Ringen um das Leben bezieht.

Giles Fraser: Du bist der Hochpapst des Darwinismus… Wenn du Leute fragtest, ob sie an die Evolution glauben und kämest zurück und berichtetest, zwei Prozent bekämen es hin, dann würde es doch furchtbar einfach für mich sein zu sagen, ‘die glauben es ja gar nicht’.

Aus Dawkins Sicht kein optimaler Diskussionsverlauf. Und dann, im Moment der Verzweiflung, auch noch eine Anrufung Gottes! Das schaffte es gleich bis in die Huffington Post…

Aber, wissen Sie was? Solche Irritationen mögen für diejenigen ein Problem sein, die Dawkins wahlweise für einen unfehlbaren Guru oder einen Reiter der Apokalypse halten. Aus meiner Sicht machen solche Lapsen Dawkins dagegen doch vor allem als Mensch von immerhin schon 70 Jahren erkennbar. Das ist m.E. nichts, was gegen Menschen sprechen sollte. Wer im Internet sezierend attackiert wird – wie derzeit z.B. auch Joachim Gauck -, wird mir persönlich eigentlich eher sympathischer. Auch da ist sie wieder – die Parallele zu den Opfern der BILD-Zeitung…

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

39 Kommentare

  1. Mich irritiert

    dass es einen Glauben an die Evolution geben sollte.
    Evolution ist ein Modell/Konstrukt der Wissenschaft. Wo bitte in der Wissenschaft sollte “geglaubt” werden? Solch ein Glauben an Modelle/Konstrukte bedeutet intellektuellen Stillstand.
    Ach und bitte- was ist denn ein Christ? Da gibt es so viele Schattierungen, dass ichmich nicht festlegen wollte.

  2. “Wenn du Leute fragtest, ob sie an die Evolution glauben”

    An eine Theorie wird aber nicht geglaubt wie beispielsweise an einen Gott, von daher nehme ich nicht an, das Dawkins diese Frage so stellen würde. Reverend Giles Fraser wendet hier einen ziemlich fragwürdigen rhetorischen Trick an, oder er hat den Unterschied zwischen Religion und Wissenschaft nicht verstanden. In diesem Sinne hat er dann tatsächlich mal eine “dumme” Frage gefunden.

    Was mich persönlich an diesen “sezierereien” im Internet immer etwas irritiert, ist eigentlich die Unfähigkeit mancher Leute, andere Meinungen ohne persönliche Diffamierungen zu ertragen und zu diskutieren. Da wird aus kleinen Meinungsverschiedenheiten oder Ähnlichkeiten dann gleich auf den Charakter geschlossen und eine Ablehnung bzw. Vergötterung ganzer Personen hergeleitet.

  3. Dawkins hatte darin behauptet, dass ein Großteil der Briten nicht mehr als Christen bezeichnet zu werden verdienten

    Da muß ich ihm mal recht geben. Das betrifft ja nicht nur GB, sondern ganz Westeuropa. Wie es in Osteuropa aussieht, weiß ich nicht genau, aber wahrscheinlich kann man es auf ganz Europa ausdehnen. Das christliche Abendland gibt es schon lange nicht mehr.

  4. An eine Theorie wird aber nicht geglaubt wie beispielsweise an einen Gott

    So sollte es eigentlich sein, aber in der Praxis sieht bei bestimmten Personengruppen oft anders aus. Da muß es nur mal jemand wagen die Evolution in Zweifel zu ziehen, das wird dann wie Blasphemie aufgenommen.

  5. Naja

    Die Frage, ob jemand Christ ist oder nicht, daran festzumachen, ob die Leute die Reihenfolge der Evangelisten kennen (ich kenne sie) ist schon reichlich albern. Damit kann man den Dawkins dann auch gerne mal aufziehen und es dann bei einem Schmunzeln belassen.

    Nichts passiert, eigentlich.

  6. Das Internet entwickelt beunruhigende Ähnlichkeiten mit der BILD-Zeitung: Wer diese Aufzüge nach oben nimmt, läuft Gefahr, mit ihnen auch herunter zu fahren.

    Was ist denn „das Internet“? Wohl mehr als die Kommentarspalten von ein paar Blogs.
    Das Internet ist als allererstes ein Verbund von Computern. Man kann es unter anderem zur Kommunikation verwenden (E-Mail, Skype), zur Diskussion (Usenet, Web-Foren, Kommentare unter Web-Blogs), zum Publizieren (Twitter, Blogs, Online-Zeitschriften) oder zur Datenspeicherung und -übertragung.

    Und trotzdem, selbst wenn man das ganze „Internet“ mit den Kommentarspalten gleichsetzt, sind diese viel zu divers, um so ein Rundum-Urteil darüber zu fällen. Ist es nicht vielmehr so, dass diese Kommentare teilweise einfach die Stimme des sich selbst aufgewiegelnden Mobs widerspiegeln? Die Bild-Zeitung dagegen stachelt doch zentralistisch den Mob auf und „macht“ Meinungen.

    Davon abgesehen, weiß ich nicht, was der Artikel nun sagen soll: Dawkins ist menschlich und fehlbar? Gibt es jemanden, der das bezweifelt?

    Sicher schlägt Kritik manchmal über die Stränge – aber warum sollte man nicht „sezierend“ kritisieren dürfen? Worin besteht der Zusammenhang zur Sympathie?

    Das ist doch alles Unsinn!

  7. Trivial Pursuit

    Abgesehen davon, dass es wie erwähnt wurde ein Unterschied ist, ob man sich via offenbarte Wahrheiten definiert oder sich auf die akumulierte Forschung seit Darwin beruft.

    Abgesehen davon, dass es bei der obigen Geschichte auch um eine aus akutellem Anlass (Gerichtsurteil, politische Statements) in Grossbritannien heftig geführte politische Debatte zur Säkularisierung geht.

    Abgesehen davon dass es wohl nur jene erstaunt, dass man Dawkins auch “aus dem eigenen Lager” widerspricht, die meinen, es gäbe etwas wie eine weit verbreitete religiöse “Dawkins-Verehrung” (und daher vermutlich seine Position eben nicht richtig verstanden haben).

    Abgesehen von all dem, wäre es tatsächlich dumm, die Selbstdeklaration als Christ als falsch zu bezeichnen, weil jemand nicht weiss, wer der erste Evangelist ist. Nur hat Dawkins das wirklich gemacht?

    Ich habe nach einer solchen Aussage gesucht und habe keinen Anahaltspunkt gefunden, dass er sich so undifferenziert geäussert hätte (etwas, das tatsächlich kritikwürdig gewesen wäre). Alle Aussagen die ich finden konnte bezogen sich auf die Umfrage, die sich für die Selbstdeklaration und die gelebte Praxis im politischen Kontext Grossbritanniens interessierte.

    Die Evangelisten waren nur eine Frage unter vielen. Es wurde auch festgestellt, dass nur 1/3 der sich selbst als Christen bezeichnenden Befragten, sich aus Glauben als solche in der Volkszählung deklariert haben. Nur ein Drittel glaubt an die Wiederauferstehung und die Hälfte glaubt nicht, dass er der Sohn Gottes sei. Zumindest kann man wohl in Frage stellen, inwiefern diese sich tatsächlich einer gängigen Definition von “Christ” entspricht und ganz sicher kann man sich Fragen ob man sich auf diese Zahlen berufen kann, wenn man behauptet, es handle sich um eine “christliche Nation”, wie das vor kurzem auf der Insel gemacht wurde.

    Soweit ich das Überblicke, hat Dawkins nur dies getan. Nun eine Wissensfrage rauszupicken und sie auf die gleiche Stufe zu stellen wie der Untertitel eines Buches, das den Wissenstand aus dem vorletzten Jahrhunderts reflektiert, ist wirklich nur noch ein kindischer rhetorischer Kniff.

    Auf diesen reinzufallen und mit einer falschen Dichotomie zu schliessen, könnte auch als boulevard-verdächtig durchgehen. Aber da wir hier ja im Netz sind und sezieren Dawkins Aussagen, dann hat das wohl seine Richtigkeit.

  8. Dawkins versus Alain de Botton

    Dieser Artikel labt sich an Dawkin’s Hinfälligkeit und freut sich über die zunehmenden (Alters-)Schwächen des schon 70-jährigen, vor kurzem noch wortgewalting Religionsspötters. Für mich sind Aussagen Dawkins wie “Heute noch monotheistische Glaubensbekenntnisse zu verbreiten, heißt wie jemand handeln, der auf allen Straßen geladene Gewehre verteilt“. zwar durchaus berechtigt, auch wenn sie bewusst provokativ sind.

    Andererseits ist provokativer Atheismus nur eine Gegenreaktion auf eine vorherrschende Religiosität und Atheismus sollte in einer Welt, die nicht mehr durch religiösen Glauben dominiert wird (da hat Dawkins zweifellos recht: es gibt kein christliches Abendland mehr) an Bedeutung verlieren und durch eine neue Ethik jenseits der Religion ersetzt werden wie das beispielsweise Alain de Botton versucht.

    Dawkins fanatisch antireligiöse Haltung weist ihn als Mann eines in der Vergangenheit vielleicht notwendigen Umbruchs aus und nicht als Zukunftsgestalt. Jetzt weiss ich auch warum Dawkins in dieser Haltung verbleibt: Es ist sein Alter von schon 70 Jahren, das man ihm nicht unbedingt ansieht, was aber wohl erklärt, dass er Gedanken die in der Zeit seines reifen Erwachsenlebens noch richtig und nötig waren, nun immer weiter weiterverfolgen muss. Denn für ihn selbst kommt nicht mehr viel neues.

  9. Schöpfungsmythen

    So verhält es sich mit der Welt: Die Menschen erschaffen Götter und sie verehren ihre Schöpfungen. Es wäre angemessen, dass die Götter die Menschen verehren, wie es der Wahrheit entspricht.

    (Nag Hammadi Library / Philippusevangelium / Spruch 85)

    Götter sind durch Schöpfungsmythen – es geht um die Schöpfung von Kultur und nicht um die „Schöpfung von Natur“ – im kollektiv Unbewussten einprogrammierte, künstliche Archetypen zur Anpassung eines Kulturvolkes an eine noch fehlerhafte Makroökonomie durch selektive geistige Blindheit.

    Die originale Heilige Schrift (die Bibel nur bis Genesis 11,9 sowie ein wesentlicher Teil der Nag Hammadi Schriften), die dadurch gekennzeichnet ist, dass ihre Verfasser die wirkliche Bedeutung der in Genesis 3,1-24 beschriebenen Erbsünde noch kannten, ist aufgebaut wie ein komplexes Gleichungssystem, in dem archetypische Bilder und Metaphern die “Unbekannten” darstellen. Das Gleichungssystem hat nur genau eine Lösung, die einen vollkommenen Sinn ergibt und die gesamte Kulturgeschichte der halbwegs zivilisierten Menschheit seit dem “Auszug der Israeliten aus Ägypten” bis heute erklärt.

    Bei der Vielzahl von Gleichnissen, insbesondere in den Nag Hammadi Schriften, in denen immer wieder die gleichen Bilder und Metaphern in vielen Kombinationen und Zusammenhängen verwendet werden, wäre es absolut unmöglich, den makroökonomischen Sinngehalt “hineinzuinterpretieren” – und das auch noch mit 100-prozentiger Signifikanz –, wenn die originale Heilige Schrift irgendeine andere Bedeutung hätte, als die in “Der Weisheit letzter Schluss” beschriebene.

    Herzlich Willkommen in der Wirklichkeit: http://www.deweles.de

  10. @Martin Holzherr

    Warum empfinden Sie es als ein Problem, dass Alter und Hinfälligkeit bei einem Menschen sichtbar werden? Warum ist das etwas, wofür sich irgendjemand schämen muss? Wer nahm z.B. Papst Johannes Paul II. oder nimmt z.B. dem Dalai Lama das höhere Alter übel?

    Wie geschrieben: Als Dawkins eifrig hochgejazzt wurde, habe ich das mit einiger Skepsis gesehen. Jetzt, wo er zunehmend herunter geschrieben wird, sehe ich ihn mit stärkerer Sympathie. Ich kann mit Menschenbildern nichts anfangen, in denen nur jung, dynamisch, widerspruchs- und fehlerfrei “gilt” und z.B. Alter oder auch einfach Schwächen versteckt werden müssen. Wir werden alle alt – wenn wir Glück haben… Und wenn einige beim “Umgang” mit dem Papst darüber mal nachdenken, dann vielleicht ja andere bei Debatten rund um Dawkins.

  11. @Blume

    Troll-Blog-Post

    Ich kann die Leute hier nicht verstehen.
    zum 1. Punkt: Wenn man sich anschaut, wie die ganze Geschichte entstanden ist, sieht man dass es nur halb so schlimm ist. So wie ich das sehe, wollte die Frau nur darauf aufmerksam machen, dass das man das nicht machen soll aus x Gründen. Die Reaktion Dawkins ist offensichtlich nicht die Reaktion darauf, sondern die Reaktion auf eine stärkere Verurteilung. Entweder hat er die Frau nicht verstanden oder hat einfach auf den Hype innerhalb und außerhalb der Szene reagiert, der schon vor seinem Kommentar bestand. Es ist schlichtweg eine Fehleinschätzung des Hypes.
    zu 2. s.o.
    zu 3: Das Argument Frasers ist valide wenn auch nicht perfekt symmetrisch zu dem ursprünglichen Argument. Ich fall vom Hocker, Dawkins hat einen argumentativen Fehler gemacht… Menschen machen halt Fehler.
    Dass er noch zusätzlich “Oh God” sagt ist völlig irrelevant. a) ist es nicht das erste mal und b) er hat es schon öfters erklärt.
    Das OH God ist der normalfall und kein Fehler seitens Dawkins. Weiter bleibt die Frage ob die Christen eigentlich noch Christen sind trotzdem streitbar. Als Beispiel: “Eine Umfrage in Deutschland zum Beispiel ergab, dass nur noch 23 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder an einen personalen Gott glauben” Frage an M.Blume: Welche Bedingungen müssen aus Sicht eines R.-wissenschaftlers erfüllt sein um Christ genannt werden zu dürfen? Wenn es reicht an einen nicht-personalen Gott zu glauben würde ich gerne Wissen warum und wie das mit der Bibel vereinbar ist. (Die Beispielliste ist unendlich lang. Angefangen beim 1. Gebot)

  12. @alle: Blogexperiment – Zwischenstand

    Wer bis hierher gelesen hat, der und dem möchte ich auch den Zwischenstand eines kleinen Blogexperimentes mitteilen.

    Ich hatte in den letzten drei Posts einmal drei verschiedene Phänomene vorgestellt: 1. Einen religionsbezogenen Ort – die St. George Kapelle in Heathrow
    https://scilogs.spektrum.de/…aum-am-flughafen-heathrow

    2. Einen (auch) religionsbezogenen, dynamischen Prozess – die Evolution
    https://scilogs.spektrum.de/…edeutet-evolution-f-r-sie

    Und 3. eine religionsbezogene Person, Richard Dawkins (hier).

    Aus Sicht evolutionärer Psychologie wäre zu erwarten, dass der personenbezogene Beitrag am stärksten nachgefragt wird, gefolgt von Prozess und Ort. Auch das “Erregungspotential” in den Kommentaren verteilt sich entsprechend: Sehr wenig beim Ortspost, sachlich beim Evolutionspost, teilweise emotional bis persönlich hier beim Dawkinspost. Diese Annahmen haben sich also bestätigt.

    Der Dawkins-Beitrag hat bereits heute so viele Zugriffe erzielt, wie der St. George-Beitrag seit Erscheinen! Und auch der Evolutions-Beitrag wird, trotz hoher Kommentarzahl, wohl schon morgen vom Dawkins-Beitrag überholt werden.

    Das kann man gut oder schlecht finden (als Wissenschaftler mit hohem Interesse an Prozessen bedauere ich dies etwas), aber so scheinen wir Menschen wohl tatsächlich evolviert zu sein: Personenbezogene Informationen empfinden wir als durchschnittlich relevanter und spannender als prozess- und ortsorientiere.

  13. @Anton Maier: Ab wann Christ?

    Lieber Herr Maier,

    Sie fragten konkret: Frage an M.Blume: Welche Bedingungen müssen aus Sicht eines R.-wissenschaftlers erfüllt sein um Christ genannt werden zu dürfen?

    Aus religionswissenschaftlicher Sicht handelt es sich bei Identitätsaussagen grundsätzlich um Narrative (Erzählungen), die ggf. auf soziale Anerkennung angewiesen sind.

    Demnach kann derjenige als Christ (oder Jude, Muslim, Atheist etc.) gelten, der und die sich selbst so versteht/erzählt und von anderen auch in dieser Identität anerkannt wird.

    Ab- und Ausgrenzungsdebatten gab und gibt es dabei immer: So hält mancher Christ nur “Wiedergeborene” für “echte” Christen, manche Muslime grenzen z.B. die Ahmaddiya als vermeintliche Nichtmuslime aus, manche Juden lehnen Konversionen zum liberalen Judentum als ungenügend im Sinne eines echten Jude-Werdens ab, manche Humanisten debattieren, wieviel Religiosität “noch humanistisch” sei usw.

    In einem zweiten Schritt kann dabei dann auch wiederum erkundet werden, wie die jeweilige Selbsteinschätzung mit religiöser Praxis, religiösen Kenntnissen, demografischen Faktoren etc. korreliert. Und da ist nicht erst heute, sondern war auch in der Vergangenheit stets sehr viel im Fluss, handelt es sich um spannende, der Beobachtung und Erforschung werte Prozesse! 🙂

  14. @Blume

    Was ist mit der 2. Frage?
    Wie ist ein nicht-personaler Gott mit der Bibel zu vereinbaren?
    Könnte man die betroffenen Leute Nicht-Bibel-Christen nennen?

  15. @Anton Maier

    Das ist problemlos vereinbar. Zum Beispiel, wenn man auch die Bibel als Produkt jenes universalen Prozesses versteht, der z.B. auch Sie, mich, Dunya Hayali und unsere je einzigartigen Identitäten, Weltbilder etc. hervorgebracht hat. Vor einer wörtlichen Bibelauslegung warnte z.B. auch schon Augustinus, dem wenige das Christ-Sein bestreiten. 🙂

  16. @Michael Blume “Blogexperiment”

    Wer bis hierher gelesen hat, der und dem möchte ich auch den Zwischenstand eines kleinen Blogexperimentes mitteilen.

    Könnte es vielleicht schlicht daran liegen, dass die anderen zwei erwähnten Einträge weitgehend deskriptiv sind und im Gegensatz zu diesem weder Verzerrungen, noch Widerspruch provozierende Aussagen enthalten?

    Da ist also ein Fotoroman zu einer Flughafenkapelle, der weniger Hits und Kommentare produziert, als ein Artikel der mit der grobschlächtigen These “[d]as Internet entwickelt beunruhigende Ähnlichkeiten mit der BILD-Zeitung” beginnt und dann logische Fehlschlüsse noch dazu auf der Basis falsch dargestellter und kontextbefreiter Aussagen folgen lässt. Daraus eine Bestätigung abzuleiten, dass eine evolutionär geformte Präferenz bestätigt wird, ist nicht einmal mehr methodisch fragwürdig. Es fällt mir wirklich schwer so etwas überhaupt noch ernst zu nehmen.

  17. Glauben und Wissenschaft

    @Ch.

    Evolution ist ein Modell/Konstrukt der Wissenschaft. Wo bitte in der Wissenschaft sollte “geglaubt” werden? Solch ein Glauben an Modelle/Konstrukte bedeutet intellektuellen Stillstand.

    So wie der Webbaer an die Moderne Wissenschaftlichkeit glaubt, so ist die Beziehung des einen oder anderen bspw. zur ET oder RT in gewissem Sinne ein Glauben.

    Es gibt ja auch andere Wissenschaft, bspw. die nicht-konstruktivistische “realistische” W. oder die die Verifizierung suchende W.

    Tatsächlich ist eine Art Glaubensentscheid erforderlich, wenn man die auf der Europäischen Aufklärung basierende und zurzeit hauptsächlich als konstruktivistisch verstandene Wissenschaftlichkeit annimmt.

    MFG
    Dr. Webbaer

    PS und ergänzend: Papst Benedikt betont denn auch den im Katholizismus zu erfolgen habenden Glaubensentscheid – womit er Vernunft und Christentum wie auch Wissenschaftlichkeit versöhnt. Oder es zumindest versucht, die Vernunft genießt im Rahmen des Christentums nach Kenntnis des Webbaeren einen hohen Stellenwert. BTW: Nur so wird Theologie erst möglich.

  18. nicht hinfällig

    Ich kann keine Hinfälligkeit von Dawkins erkennen (Mit 70 ist ein geistig tätiger Mensch noch weit von der Hinfälligkeit entfernt). Im Gegenteil: Dawkins ist er selbst wie eh und je. Die Diagnose der Hinfälligkeit kommt mir eher vor wie eine Entschuldigung seiner Jüngerschaft für das immer deutlichere Hervortreten seines Radikalismus, den er mit vollem Bewusstsein vertritt. Er scheint eher nur die Hemmungen zu verlieren, die ihn gebremst haben.

  19. @ali

    Manchmal fürchte ich, dass die deutsche Blogsophäre das Spielerische, Selbstironische und auch Selbstkritische verliert. Wenn du es dir genauer anschaust, wirst du feststellen, dass ich auch hier Debatten rund um Dawkins “beschreibe” und ihm auch meine Sympathie ausspreche. Mir ist aber durchaus bewusst, dass sich das bei vielen nicht so “anfühlt” – siehe die Erregungen hier in den Kommentarspalten in beide Richtungen. Ebenso galt Gauck im Netz einst als “Kandidat der Herzen” (rauf) und wird jetzt zum “bösen Gauck” (runter). Wir Menschen sind nun einmal soziale Wesen (um nicht zu schreiben: Herdentiere), die sich gerne einreden, rationale Individuen zu sein. Das ist ja auch okay und gut so. Gefährlich wird es jedoch m.E. wenn wir uns das nicht einmal mehr selbst eingestehen, wenn wir keinen Platz mehr für Widerspruch und freundlichen Humor lassen. Tut mir wirklich Leid, dass ich in diesem zunehmend einfarbigen Strom nicht einfach mitschwimmen kann und will. M.E. sollte Bloggen immer auch für Vielfalt stehen.

  20. Blogexperiment

    Aha! Ein Experiment war es auch noch! (Oder wurde dieses erst nachträglich hinzugebaut oder behauptet?)

    (…) aber so scheinen wir Menschen wohl tatsächlich evolviert zu sein: Personenbezogene Informationen empfinden wir als durchschnittlich relevanter und spannender als prozess- und ortsorientiere.

    Personen stehen für Konzepte, man kann mit einer Person gleich ein ganzes Bündel Konzepte zu packen bekommen, Dawkins, der Papst, Bush jr., neuerdings geht das auch mit Gauck. Gossip ist das ja nicht.

    MFG
    Dr. Webbaer

  21. @Webbaer

    War spielerisch schon länger angelegt. Und, ja, in Personen bündeln sich Konzepte. Allerdings sind auch viel mehr Emotionen beteiligt. M.E. teilen die wenigsten Dawkins-Anhänger z.B. den Glauben an evolutionären Fortschritt oder die Existenz von ‘god-like creatures’. Dennoch fühlen sie sich ihm verbunden, vgl. auch die Guttenberg-Fans. Wir sind halt Menschen…

  22. Dawkins

    Spielerisches ist OK, kommt Dr. Webbaer auch irgendwie bekannt vor, im Web zurzeit noch eher selten vertreten – weil oft noch RL-Verhalten einfach übertragen wird -, aber durchaus im Kommen…

    Ob Dawkins’ Anhänger dem evolutionären Prinzip (ein verdammt unklares Konzept – nichts gegen die Memetik als weiche politische Wissenschaft – Dr. W hat sich auch mal Virus of the mind reingezogen, schlauer Bursch dieser Richard Brodie, angeblich auch i.p. M$ Word legendär) folgen, ist idT nicht ganz klar, sog. Brights und god-like creatures scheinen hier manchmal anders, und zwar: sich erhebend, unterwegs. Die Sache mit dem “Skepchick” war natürlich köstlich und wurde von Dr. W auch ein wenig intensiver recherchiert.

    MFG + weiterhin viel Erfolg!
    Dr. Webbaer (der im Unterschied zum geschätzten Inhaltemeister aber allgemein meist weniger wohlmeinend unterwegs ist, sich nun aber ausklinkt)

  23. Schnell- & Fehlschluss

    Himmel, zieht dieser Blogpost Zugriffe. Personalisierungen wirken viel stärker als… befürchtet…

    Klar doch.

    Eine Porträtserie über den Teilzeit-Seelsorger der Flughafenkapelle von London Heathrow hätte garantiert ebenso viele Hits generiert. Personalisierungen wirken einfach so viel besser! Ganz im Gegensatz zu steilen Thesen, polemischen Faktenverzerrungen und angedeuteten Behauptungen (mit Vorgeschichte).

    Oder um mit Max Frisch zu fragen: “Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Selbstkritik?”

    Ich kann nur noch den Kopf schütteln. Das ist nicht einmal Pop-Science, das ist freie Assoziation.

    Diesen Hit von meinem Kommentar gab es übrigens auch nicht für die Personalisierung, sondern für den völlig uneinsichtigen letzten Kommentar auf welchen ich mich beziehe.

  24. @ali

    Vielen Dank dafür! Und angekommen ist auch: Nichts Kritisches über Dawkins darf wahr sein, aber alles Kritische über Papst und Pastor Gauck. Denn was die eine absolute Wahrheit sei, bestimmen jetzt wir unfehlbaren und deshalb zu Recht humorfreien Nerds. Oh, brave new world, in der es bald nur noch eine Weltsicht geben darf! So erleuchtet mich per Gruppendruck, auf dass ich es nicht mehr wage, gegen unseren neuen Mainstream zu ketzern! 🙂 (Achtung, Ironie aus freieren Zeiten enthalten…)

  25. @Michael Blume

    Ich glaube ich habe sachliche Kritik geäussert, die ignoriert wurde. Mit was ich mir eine Auflistung von Vorwürfen verdient habe zu Dingen die man nicht einmal mit viel Kreativität aus meinen Kommentaren hier lesen kann, ist mir ein Rätsel.

    Ironisch ist es übrigens tatsächlich, dass man mit völlig aus der Luft gegriffenen Unterstellungen (“Nichts Kritisches über Dawkins darf wahr sein, aber alles Kritische über Papst und Pastor Gauck” “es bald nur noch eine Weltsicht geben darf!”) das Diskussionsniveau beklagt. Den Eindruck, dass wirklich ein Interesse an einer echten Diskussion bestanden hätte, habe ich bei den Reaktionen auf meine Kommentare zumindest nicht gekriegt. Und dann mit den Finger auf andere zeigen.

    P.S.: Sollte ich unsachlich gewesen sein, hätte man mich natürlich auch gerne darauf hinweisen dürfen.

  26. @ali: Respekt

    Nun, gleich dein erster Kommentar hier hat mir der – zugegeben wirklich lustigen – Überschrift “Trivial Pursuit” begonnen und angesetzt: Abgesehen davon, dass es wie erwähnt wurde ein Unterschied ist, ob man sich via offenbarte Wahrheiten definiert oder sich auf die akumulierte Forschung seit Darwin beruft.

    Und, tja, darauf kann ich wirklich nur noch mit freundlicher Ironie antworten, denn mit Argumenten habe ich es schon Hundertfach versucht. Gerne noch einmal:

    1. Ich bin Religionswissenschaftler, kein Theologe. Entsprechend berufe ich mich gerade nicht auf “offenbarte Wahrheiten”, sondern forsche empirisch, ausdrücklich auch auf den Spuren des studierten Theologen und empirischen Naturforschers Darwin. Das kann man wissen, ich bin nämlich nun seit vielen Jahren mit Publikationen, Büchern, Vorträgen und auch diesem Blog dazu aktiv und verhalte mich dir und anderen Wissenschaftsbloggern gegenüber ja auch interessiert und konstruktiv. (Dein Schwerpunkt Politikwissenschaft war übrigens mein zweites Hauptfach, promoviert habe ich dann aber in RelWiss.)

    2. Gerade Dawkins ignoriert in Sachen Religion die von Darwin selbst formulierten Begriffe und Hypothesen völlig. So ging Darwin davon aus, dass der Glauben an “unsichtbare und spirituelle Wesenheiten” biologisch veranlagt sei, der Kooperation und Kohäsion in Gruppen diene und damit adaptiv sei – und damit hat er aus heutiger, empirischer Sicht in vielen Punkten Recht. Dawkins schweigt dazu – vielleicht weiss er es nicht einmal. Auch dazu gab es hier schon ganze Blogposts, zum Beispiel den auch oben verlinkten hier:
    https://scilogs.spektrum.de/…eutung-von-charles-darwin

    3. Da also ganz offensichtlich das, was ich so schreibe und forsche, für dich eh keine Rolle spielt, sondern du mich für einen gegen Darwin “offenbarte Wahrheiten” verkündenden Theologen hälst, habe ich mir erlaubt, an deinem sachlichen Interesse ernsthaft zu zweifeln.

    4. Was uns wohl unterscheidet: Ich finde deinen Blog, wie auch den von Anatol, Florian und vielen anderen hochklassig und spannend, lese gerne darin und kommentiere konstruktiv, gerade weil ich Themen gerne aus verschiedenen Blickwinkeln kennen lernen und diskutieren möchte. Ich sehe aber mit Sorge, dass sich hier ein neuer Mainstream etabliert, der zunehmend hochnäsig gegenüber anderen Auffassungen agiert. Nun, da bin ich Stuttgart-21-gestählt: Auch hier wussten die “Kritiker” zunehmend ganz genau, was richtig war, traten am liebsten laut und in Scharen auf und wollten anderen Argumenten gar nicht erst zuhören. Die lautesten Schreier glaubten schließlich wirklich, “das Volk” zu repräsentieren und waren völlig überrascht, das selbst im Stadtkreis Stuttgart eine (leisere, aber größere) Mehrheit für Stuttgart 21 votierte…

    5. So, wie ich mich weder auf Stuttgarts Straßen noch im Web von Nürnberg 2.0-Rechtsextremen habe einschüchtern lassen, werde ich es nun auch auf meinem Blog nicht tun. Wir müssen nicht in allem der gleichen Meinung sein. Aber wenn du wirklich mit mir diskutieren willst, dann solltest du die gleiche Bereitschaft zum Dialog auf Augenhöhe aufbringen, die auch du umgekehrt verdienst. Sonst bleibt dir nur Hohn und mir nur Ironie. Wäre doch schade, wir könnten es beide sicher besser.

  27. Klarstellung

    Nun, gleich dein erster Kommentar hier hat mir der – zugegeben wirklich lustigen – Überschrift “Trivial Pursuit” begonnen und angesetzt: Abgesehen davon, dass es wie erwähnt wurde ein Unterschied ist, ob man sich via offenbarte Wahrheiten definiert oder sich auf die akumulierte Forschung seit Darwin beruft.

    Nur dass sich das auf den hanebüchenen Vergleich von Fraser zwischen Bibelkenntnisse und Kenntnisse des Untertitels der Origin of Species respektive die gemachte Parallele zu den Umfragergebenisse bezog und nicht auf dich. Wenn natürlich die Grundannahme ist, das ad hominem diskutiert wird, hatte ich natürlich nie eine Chance verstanden zu werden. Ein Hinweis darauf wäre vielleicht gewesen, dass der Rest von meinem Kommentar sich auch vorwiegend zu diesem Punkt äussert.

    Mir ist der Unterschied zwischen Theologie und Religionswissenschaften durchaus bewusst und ich habe hier sogar schon Kommentatoren darauf hingewiesen.

    Kannst du mich bitte kurz auf die Textstelle hinweisen wo ich dich versucht hätte “einzuschüchtern” oder mir erklären, wo ich in meinem Blog “hochnäsig gegenüber anderen Auffassungen agierte” und selbst wenn ich es täte, was das mit meinen Argumenten hier zu tun hat?

    Ja, ich habe den Post ernstgenommen und versucht “auf Augenhöhe” zu diskutieren. Ich habe gesagt, warum ich glaube, dass die Dawkins Anekdoten m.E. a) keinen Zusammenhang haben und b) der “Lapsus” eigentlich keiner war und wenig zur Sache hatte. Das wurde ignoriert, ist aber auch OK, ich habe keine Antwort erwartet.

    Als du aber das ganze als “Experiment” dargestellt hast, wollte ich noch einmal darauf reagieren (als Sozialwissenschaftler bewege ich mich da ja nicht völlig auf mir unbekanntem Gebiet), weil ich es für relativ offensichtlich halte, dass die Klickzahlen auf diesen Beiträge etwas mit den Schwächen/Provokationen des Inhaltes zu tun haben und eine Schlussfolgerung zu einer evolvierten Tendenz in Bezug auf Personalisierung zu tun hatte. Du hast dann einfach diese Behauptung, die ich wirklich unhaltbar finde wiederholt.

    Alles was ich zur Antwort kriegte war Hohn und Spott zu Dingen die ich nie gesagt habe und auch gar nicht vertrete während du gleichzeitig den Diskussionstil lamentierste.

    Und nun kriege ich gleich wieder eine Runde Vorwürfe an den Kopf geworfen, weil du davon ausgehst, dass etwas eine persönliche Attacke war und nicht ein Diskussionsbeitrag, was eigentlich die Grundannahme sein sollte.

    P.S. Die Vergleiche von meinem Kommentar in Bezug auf diesen Post mit dem Tonfall von Stuttgart 21 (wozu ich übrigens keine Meinung habe) und das Nürnberg 2.0 Projekt (das ich, wie du weisst, für grauenhaft halte) empfinde ich gelinde gesagt als etwas befremdlich.

  28. @ali: Okay, angenommen

    Danke für die Klarstellung – ich hatte die “Eröffnung” in der Tat als höhnisches ad-hominem-Argument empfunden. Dass Dein Spott eigentlich Dawkins Diskussionspartner Fraser galt – den Du gut zu kennen scheinst? – ist zwar auch eine Stilfrage, hilft aber doch insofern, als dass er ja wirklich Theologe ist. (War Darwin aber übrigens auch – und trotzdem großartig…) 😉

    Hatten die hier berichteten Vorfälle einen Zusammenhang? Na klar, sie fanden alle im Internet statt und boten also Anlass, über Online-“Kritik” und deren Methoden nachzusinnen. (Dass Offline-Medien nicht unbedingt besser sind, bewies übrigens neulich der Sunday Telegraph, der eine “Enthüllungsstory” über Sklavenhalter unter Dawkins Vorfahren brachte… -> Hier, mit Dawkins Reaktionen:
    http://www.guardian.co.uk/…-slave-trade-ancestor

    Hätte ich über klassische Medien geschrieben, hätte ich auch diesen “Vorfall” berichtet – in dessen Bewertung ich mit Dawkins weitgehend übereinstimme.)

    Und war der oben berichtete “Lapsus” eigentlich keiner? Nun, wir sind uns wohl einig, dass es tatsächlich zu beiden Seiten hin unhaltbar ist, aus Wissensfragen auf Glaubens- bzw. Weltanschauungshaltungen zu schließen. Und dass Dawkins im Eifer des Wortgefechtes nach Gott rief halte ich für völlig menschlich – wir alle nehmen ja auch vorbewusst Prägungen, Ausrufe, Vorstellungen etc. auf, die dann gerade auch unter Streß und im gehobenen Alter schonmal aufbrechen können.

    Wirklich schlimm finde ich das (im Gegensatz z.B. zum doch heftigeren #Elevatorgate) nicht und habe daher ja auch geschrieben, dass ihn diese Online-Berichterstattungen in meinen Augen doch eher menschlicher und sympathischer gemacht haben. Bis dahin hattest du schon gelesen, oder!?

    Zum “Experiment” sind wir uns, hoffe ich, einig, dass ein streng sozialwissenschaftlicher Versuchsaufbau gleichzeitig (auch z.B. am gleichen Wochentag, Zugriffs- und Kommentarzahlen schwanken ja) und mit eng vergleichbaren Themen hätte stattfinden müssen. So hoch hatte ich das nicht gehängt, sondern zunächst einfach mal spielerisch experimentiert. Und schau an: Obwohl z.B. mit der islamischen Gebetsecke in der ursprünglich nur christlichen St. George-Kapelle und den sehr verschiedenen Evolutions-Perspektiven auch genug “Erregungspotentiale” für einschlägige Milieus bestanden hätten – “gezündet” haben sie mal wieder nur bei Dawkins… Der überholt mir gleich den Bürgerwissenschaftler-Post über Albert Einstein UND Charles Darwin… Kann aber natürlich auch einfach an der Qualität unserer jetzigen Debatte und Deinem neuesten Tweet liegen. 😉

  29. @all: Beschimpfung öffentlicher Personen

    Die Politikwissenschaftlerin und Piratin Julia Schramm hat in der Süddeutschen Zeitung einen Kommentar zum wachsenden Problem der “Beschimpfung öffentlicher Personen” im Netz geschrieben, der mir aus dem Herzen spricht. Link hier:
    http://www.sueddeutsche.de/…dergemacht-1.1296258

    Zitate z.B.:
    “Früher wurden die Bürger von den Medien mit Meinungen und Polemik übergossen – Feedbackchancen gab es kaum. Heute ist das anders: Das Internet ermöglicht die Kommunikation von Gleich zu Gleich. Dabei ist es normal geworden, in der Öffentlichkeit stehende Menschen zu bekämpfen, zu beschimpfen und zu beleidigen. Eine gefährliche Entwicklung. […]
    Es ist üblich geworden, Menschen, die in irgendeiner Form aus dem Brei der (Netz-)Menschen herausstechen, anzugreifen. Jede sichtbare Person wird bekämpft, beschimpft und beleidigt. Die Motive sind altbekannt, mannigfaltig – und in Zeiten der direkten Kommunikation übers Netz brennen sie sich ihren Weg zum Adressaten. […]
    Denn wer will öffentliche Verantwortung übernehmen, wenn sie (oder er) dann unter Dauerbeschuss steht und die Menschen ihr Innerstes über ihr (oder ihm) auskippen? Wer kann sich dem stellen, außer jenen Menschen mit ausgeprägt narzisstischer Natur, die sich an jeglicher Form der Resonanz selbst bestätigen? Aber oft sind es diese Menschen, die in öffentlichen Ämtern Schaden anrichten: weil zu ihnen der Ruf nach Gerechtigkeit nicht mehr durchdringt, weil sie ihre Karriere zur Überwindung verletzter Eitelkeiten nutzen.

    Die empathischen, reflektierten und idealistischen Menschen dagegen entziehen sich irgendwann dem Stampfen der beschleunigten Öffentlichkeit – zum Schaden der Gemeinschaft, die auf diese Menschen angewiesen ist.”

    Aus meiner Sicht eine sehr gelungene und lesenswerte Anregung! Ein Dank dafür an Julia Schramm und die SZ!

  30. Von Sack und Esel!

    1. Es gibt ja den berühmten Spruch mit “er schlug den Sack und meinte den Esel” oder “den Sack schlägt man; den Esel meint man”.
    Man sollte sich vor so einem Fehler insbesondere in Bezug auf das Internet hüten. Das Internet ist nicht mit einer einzige Zeitung zu vergleichen – ebenso könnte man die Journale, die nach Entwicklung des Buchdrucks herauskamen vergleichen mit einem speziellen Werk der klassischen Literatur – , sondern, wenn, dann mit den Zeitungen als Medium. Und dort gewinnt das Internet meines Erachtens deutlich gegenüber bedruckten Zeitungen. Denn redaktionelles Arbeiten usw. sind auch im Internet möglich (sogar mit ähnlichen Finanzierungsmodell), aber solche Blogs wie dieses hier wahrscheinlich nicht.
    (Mal ganz laienhaft ausgedrückt, ich hoffe, keine groben Fehler gemacht zu haben.)
    2. Man kann über Dawkins Ansichten im Einzelfall sicher streiten, allerdings scheint mir ein “Oh Gott”, doch mehr als legitim zu sein.
    3.@ “Ch. Mich irritiert”

    Wo bitte in der Wissenschaft sollte “geglaubt” werden?

    Insofern ja “geglaubt” nichts anderes als “für-wahr-gehalten” bedeutet, werden wissenschaftliche Ergebnisse sehr wohl geglaubt.

  31. @Komment

    Ich würde sagen, im Netz kommen große Chancen und Gefahren zusammen.

    Gefahren sehe ich z.B. in den Tendenzen zu persönlichen Angriffen bis hin zu Mobbing, zumal sich im Netz viel leichter Gruppendynamiken (bis hin zu Shitstorms) aufschaukeln können.

    Große Chancen sehe ich dagegen in Aufklärungs- und Diskussionsmöglichkeiten und habe z.B. fasziniert gesehen, dass sich zur BMI-Islam-Studie schnell ein entsprechendes Angebot entwickelt hat:
    https://scilogs.spektrum.de/…nd-bild-dir-deine-meinung

  32. Netzkultur

    Da ich @alis Kritik fälschlicherweise auf mich bezogen habe, twitterte ich vorhin:
    @zoonpolitikon Thought about it. And just wanted to tweet a sorry for having misunderstood your critique. #ReachingoutaHand

    Und er antwortete:
    @BlumeEvolution It is OK for me. I moved on. But thank you. I don’t think it is easy to do what you did (it never is for me). #handaccepted

    Kleine Gehversuche zu einer besseren Netzkultur… Diesmal mit einem kleinen Happy End.

  33. Das Christentum Dawkins

    Ich möchte in diesem Zusammenhang an ein Interview mit Dawkins erinnern, in dem er sich selber als Kulturchristen bezeichnet hat.
    “This is historically a Christian country. I’m a cultural Christian in the same way many of my friends call themselves cultural Jews or cultural Muslims.”
    http://news.bbc.co.uk/…news/politics/7136682.stm

    Man könnte also ironisch vermuten, Dawkins pochte als Kulturchrist, also als Vertreter der kulturellen Tradition, in der er steht, auf einen minimalen christlichen Kanon. Aber das ginge vielleicht zu weit. Etwas ernsthafter ließe sich darüber spekulieren, wiefern der (nicht mehr ganz so) “Neue Atheismus” tatsächlich im Kern eine Auseinandersetzung um Glaubensinhalte bedeutet, sondern eher eine Gemengelage unterschiedlicher Interessen darstellt, die eigentlich kaum eine gemeinsame Basis hat.

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