Wie kann man außergewöhnliche Behauptungen hinterfragen?

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Wenn man mit einigermaßen offenen Augen durch die Welt geht, stößt man früher oder später auf jemanden, der eine  (mehr oder weniger) außergewöhnliche Behauptung in den Raum stellt. Nun steht man schnell vor dem Problem, hier die Spreu vom Weizen zu trennen, wenn man nicht als vollkommen ignorant auf der einen oder leichtgläubig auf der anderen Seite sein will.

Magnifying glass with focus on paper
Außergewöhnliche Behauptungen sollte man unter die Lupe nehmen. Abb. Niabot (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons/commons/e/ea/Magnifying_glass_with_focus_on_paper.png
Eigentlich gibt es dafür eine gut erprobte Technik, mit denen man sich zumindest ad hoc ganz gut helfen kann. Man nennt sie auch wissenschaftliches Denken oder kurz Wissenschaft. Michael Shermer, der Herausgeber des Sceptic-Magazins erläutert die Sache in einem Video.

 

  1. Wie verlässlich ist die Quelle der Behauptung?
  2. Macht die Quelle ähnliche Behauptungen?
  3. Wurden die Behauptungen von jemand anderem bestätigt?
  4. Entspricht es der Art und Weise, wie die Welt funktioniert?
  5. Hat jemand versucht, die Behauptung zu widerlegen?
  6. Wohin deutet das Hauptgewicht des Beweises?
  7. Spielt derjenige, der die Behauptung aufstellt, nach der Regeln der Wissenschaft?
  8. Bietet derjenige, der die Behauptung aufstellt, positive Beweise an?
  9. Ist die neue Theorie auf so viele Phänomene anwendbar wie die alte?
  10. Basiert die Behauptung auf Aspekten des persönlichen Glaubens?”

 

 

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

8 Kommentare

  1. Hier eine aussergewöhnliche Behauptung: Ab dem Jahr 2030 wird unsere Zivilisation kollabieren und jedes Folge-Jahrzehnt werden 500 Millionen Menschen sterben (verhungern etc.)
    1. Wie verlässlich ist die Quelle der Behauptung? Konsistenz und Persistenz ist festzustellen
    2. Macht die Quelle ähnliche Behauptungen? Neben LimitsToGrowth gibts noch andere Club of Rome-Berichte mit ähnlichen Behauptungen
    3. Wurden die Behauptungen von jemand anderem bestätigt? Ja, 30/33/40 year update von Jørgen Randers, Meadows, Ugo Bardi
    4. Entspricht es der Art und Weise, wie die Welt funktioniert? Ja
    5. Hat jemand versucht, die Behauptung zu widerlegen? Ja, “The Limits to Growth was ridiculed as early as the 1970s”, aber nie streng widerlegt
    6. Wohin deutet das Hauptgewicht des Beweises? Exponentielles Wachstum kann nicht ewig weitergehen
    7. Spielt derjenige, der die Behauptung aufstellt, nach der Regeln der Wissenschaft? Die World3-Computersimulation war/ist wissenschaftlich fundiert
    8. Bietet derjenige, der die Behauptung aufstellt, positive Beweise an? Prinzipielle Überlegungen wie finite Ressourcen versus infinites Wachstum stehen im Vordergrund
    9. Ist die neue Theorie auf so viele Phänomene anwendbar wie die alte? Es gibt keine alte Theorie, ausser die Ökonomie und die hat schon oft danebengelegen
    10.Basiert die Behauptung auf Aspekten des persönlichen Glaubens?” Nein

    Hier nun eine Quelle mit der obigen Prognose (ab 2030 1/2 Milliarde Tote pro Jahrzehnt) mit dem Titel Updated Comparison of The Limits to Growth with Historical Data (Download drücken)

    Diminishing per capita supply of services and food cause a rise in the death rate from about 2020 (and somewhat lower rise in the birth rate, due to reduced birth control options). The global population therefore falls, at about half a billion per decade, starting at about 2030. Following the collapse, the output of the World3 model for the standard run (figure 1 to figure 3) shows that average living standards for the aggregate population (material wealth, food and services per capita) resemble those of the early 20th century

    Diskutiert werden solche Szenarien im ETH-Zukunftslog (schöne Zukunft), nämlich im Artikel Die echte Debatte beginnt jetzt

  2. es fehlt noch
    11. Sind verwendete Begriffe nachvollziehbar definiert?

    Wenn etwas behauptet wird, sollte man immer nachprüfen, welche Begriffe dabei verwendet werden, wie die Begriffe verwendet werden bzw. ob Begriffe suggestiv verwendet werden. Manche Behauptungen/Theorien brechen zusammen, weil die Begriffe, auf denen sie aufgebaut sind, unsinnig sind.

    • Ja, das ist richtig; aber warum wenden Sie diese Erkenntnis nicht bei Ihren eigenen Behauptungen über Nahtoderfahrungen und Bewusstsein an? Was genau bedeutet “nachvollziehbar”? Viele Behauptungen funktionieren mit impliziten Assoziationen und Suggestionen, so ähnlich wie das Orakel von Delphi, oder das astrologische Horoskop. Die meisten Begriffe haben mehrere oder variable Bedeutungen, abhängig vom Kontext oder von der Absicht des Benutzers. Redewendungen und Metaphern haben andere Bedeutungen als die Begriffe darin erwarten lassen. Oftmals ist die außergewöhnliche Behauptung nur im außergewöhnlichen Gebrauch von Begriffen, in außergewöhnlichen Beziehungen zu anderen Begriffen, begründet. Abstrakte und vielseitig gebrauchte Begriffe wie “Energie” oder “Information” werden gerne mit eigenwilliger oder sachfremder Sinngebung verwendet.

  3. also ich finde man sollte jede zweifelhafte behauptung hinterfragen, indem man selbst nachdenkt und eine eigene lösung findet. Für mich ist also der ganz wesentliche Punkt Punkt 4.

    Tut man dies nicht, sollte man zugeben, dass man dazu nichts sagen kann, weil man es nicht weiß oder zumindest noch nicht darüber nachgedacht hat. Das ist nichts Schlimmes.

    • Ja: “AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit” Mehr als 200 Jahre nachdem dieser Satz geschrieben wurde sind aber immer noch die meisten Menschen nicht aufgeklärt. Sie müssen das glauben, was in den Zeitungen steht und wenn sie den Zeitungen nicht glauben, dann glauben sie einer für sie vertrauenswürdigen Referenz oder ihren Facebook-Freunden.

      Ein guter Rat ist sicher:

      [man] sollte zugeben, dass man dazu nichts sagen kann, weil man es nicht weiß oder zumindest noch nicht darüber nachgedacht hat.

      Das Problem ist hier: Sobald man emotional engagiert ist und etwas glauben will, ist es mit der Neutralität vorbei. Dann sagt man nicht mehr: Ich weiss es nicht, sondern höchstens: Ich weiss es selber zu wenig, aber ich glaube ihm.

  4. Es fehlen die Fragen aus der Kriminalistik:
    Wer profitiert von der Behauptung? was sind die Mittel, die Behauptung zu verkaufen?

  5. Wir haben in unserer Humanistischen Hochschulgruppe den Versuch unternommen, die Ideen von Carl Sagan / Michael Shermer und einigen weiteren Leuten zu dem Thema mal zusammen zu werfen, strukturieren und mit Beispielen zu versehen. Das ganze soll als Lesezeichen auf der einen Seite “kritische Fragen”, auf der anderen “häufige Argumentationsfehler” enthalten und auf der Website einen langen Text mit Beispielen bieten. Leider fehlt im Moment die Zeit, den langen Text ( http://gbs-heidelberg.de/unsinnerkennungshilfe/ ) gründlich zu überarbeiten und bessere Beispiele zu finden. Kannst Dich gerne dort inspirieren lassen (oder wir tun uns zusammen?).

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