Religiöser Glaube kann Schmerzen lindern

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betende Jungfrau Maria Hirnforscher von der Universität Oxford haben in Zusammenarbeit mit Theologen und Philosophen untersucht, inwiefern religiöser Glauben das Empfinden von Schmerzen reduzieren kann. Ihre Ergebnisse bringen sie mit der allgemeineren Fähigkeit der Emotionsregulation in Zusammenhang. Millionen Menschen leiden allein in Deutschland an chronischen Schmerzen. Wenn Medikamente kaum helfen oder mit gravierenden Nebenwirkungen einher gehen, können psychische Methoden eine Hoffnung sein. Unter dem Stichwort der Emotionsregulation wird von Psychologen und Neurowissenschaftlern untersucht, welche Strategien hier am besten helfen. Die reappraisal genannte Methode der Umdeutung besteht beispielsweise darin, einer unangenehmen Situation ihren Schrecken zu nehmen, indem man sie in einem angenehmeren Licht sieht.

Allerdings waren schon lange Zeit vor dieser Forschung Zeugnisse aus religiöser Überlieferung bekannt, in denen Gläubige scheinbar kraft ihres Glaubens schier unmenschliche Qualen überstehen konnten. Was von manchen Menschen als Beweis der Wirkung einer höheren Macht gedeutet wird, könnten Skeptiker als die Verwendung eines psychischen Tricks wie der Autosuggestion im religiösen Gewand verstehen.

Freilich sind Katja Wiech und ihre Kollegen aus Oxford nicht davon ausgegangen, den Wettstreit dieser unterschiedlichen Deutungen im Hirnscanner beilegen zu können. Dennoch wollten sie etwas mehr darüber erfahren, was im Gehirn von Gläubigen vorgeht, während sie ein religiöses Bild kontemplieren und dabei einen Schmerzreiz erfahren. Dafür haben sie nicht nur zwölf praktizierende Katholiken, sondern zur Kotrolle auch ebenso viele Atheisten und Agnostiker in den Hirnscanner gebeten. Abwechselnd bekamen diese entweder ein Bild der Jungfrau Maria in der Darstellung “Vergine Annunciata” des italienischen Malers Sassoferrato (*1609, †1685) oder Leonardo Da Vincis (*1452, †1519) “Dama con l’ermellino” gezeigt, die keinerlei religiöse Gefühle aufkommen ließ.

In dieser Studie zeigen wir, dass Gläubige die erlebte Intensität von schmerzhafter Stimulation herunter regulieren können, wenn man ihnen ein religiöses Bild präsentiert. (Katja Wich und Kollegen, 2008, S. 473; dt. Übers. S.S.)

Soweit der angenehme Teil der Studie, die mit einem funktionellen Magnetresonanztomographen durchgeführt wurde. Nachdem die Versuchspersonen das Bild für 30 Sekunden angesehen haben, bekamen sie nämlich für zwölf Sekunden einen schmerzhaften elektrischen Reiz angelegt. Nach jedem dieser Durchläufe mussten sie auf einer Skala von 0 bis 100 angeben, wie stark sie den Schmerzreiz empfunden hatten. Die Auswertung dieser Verhaltensdaten hat ergeben, dass die praktizierenden Katholiken die Intensität beim religiösen Bild um durchschnittlich ca. zehn Prozent geringer, von 74 auf 66, einschätzten als bei der säkularen Darstellung. In der Gruppe der Atheisten und Agnostiker gab es keinen solchen Unterschied.

Durch die Auswertung der Hirnaktivität fanden die Forscher heraus, dass bei den Katholiken in der religiösen Bedingung der rechte ventrolaterale präfrontale Kortex stärker aktiv war, also genau dann, wenn der schmerzlindernde Effekt auftrat. Dieser Hirnbereich ist nicht nur in früheren Studien gefunden worden, wenn Versuchspersonen einen Schmerz regulierten, sondern wird auch mit Emotionsregulation in Zusammenhang gebracht. Weil die Gläubigen in einer Nachbefragung angegeben hatten, sich beim Betrachten der Jungfrau Maria ruhig und sicher gefühlt zu haben oder so, als ob sich jemand um sie kümmere, halten es Wiech und ihre Kollegen für plausibel, die Ergebnisse mit einer Strategie der Umdeutung in Zusammenhang zu bringen.

Es mag durchaus sein, dass religiöse Kontemplation die Situation für die Katholiken angenehmer gemacht hat und sie daher die Schmerzen als weniger gravierend einstuften. Während damit gezeigt wurde, dass religiöser Glaube einen positiven Effekt auf den Erlebnischarakter unangenehmer Situationen haben kann, wirft die Studie auch eine Reihe weiterer Fragen auf. Lässt sich dieser Effekt mit Methoden der Hirnforschung von Strategien der Emotionsregulation unterscheiden? Könnte es sein, dass die religiösen Versuchspersonen den Hintergedanken der Studie durchschaut haben und die Jungfrau Maria besser abschneiden lassen wollten? Wie auch immer die Antworten lauten mögen, könnte ihre Erforschung letztlich auch für Atheisten und Agnostiker von Nutzen sein.

Einen ausführlicheren Artikel zur Studie habe ich im Telepolis-Magazin veröffentlicht: Religiöses Erleben reduziert Schmerzwahrnehmung.

Quelle: Wiech, Farias, Kahane, Shackel, Tiede & Tracey (2008). An fMRI study measuring analgesia enhanced by religion as a belief system. Pain 139: 467-476

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11 Kommentare

  1. Opium

    “Religion ist Opium fürs Volk” sagte ein kluger Mann, und Opium ist bekanntlich ein wunderbares Schmerzmittel.

    S.R.

  2. Pfusch, Pfusch und nochmals Pfusch

    Das vorliegende Experiment ist ein schönes Beispiel für eine stümperhafte Versuchsplanung, -durchführung und -Auswertung = 3-fach Pfusch.

    Wenn sich Menschen auf etwas konzentrieren, werden andere Sinneseindrücke weniger oder gar nicht wahr genommen (Wikipedia > Unaufmerksamkeitsblindheit) => dies erklärt die Abnahme der Schmerzempfindlichkeit.

    Bei diesem Experiment wurde gläubigen Menschen ein Bild gezeigt, zu dem sie zusätzlich(!) eine emotionale (religiöse) Bindung aufbauen.
    Die Vergleichsgruppe erhielt einfach nur irgendein Bild zum Betrachten.
    => D.h. Die Ausgangslage des Versuches war nicht für alle Teilnehmer gleich – und deshalb sind die Versuchsergebnisse nichts wert.

    Die Vergleichsgruppe hätte andere Bilder zu sehen bekommen müssen, zu denen sie ebenfalls eine emotionale Bindung aufbauen konnte: z.B. Fußballfans hätte man das Bild eines Lieblingsspielers zeigen müssen. Oder man hätte den Personen der Vergleichsgruppe nur das Bild eines lieben Verwandten zeigen müssen.

  3. Bilder

    Für die Atheisten wurden falsche Bilder verwendet. Denen hätte man Fotos von Dawkins, Marx oder Nietzsche zeigen sollen. Das hätte sie vollkommen schmerzfrei gemacht. 😉

  4. @ Rehm: Opium

    Lieber Herr Rehm,

    der “kluge Mann”, an den ich da denke (Karl Marx), schrieb jedoch nicht, Religion sei Opium fürs Volk, sondern Opium des Volks. Das ist ein kleiner aber feiner Unterschied.

    Viele Grüße

    Stephan Schleim

  5. @ KRichard: Nicht so viel Pfusch

    So viel Pfusch, wie Sie im Experiment sehen, gab’s gar nicht. Denn wie ich schrieb, haben die sowohl die Ziel- als auch die Kontrollgruppe jeweils zwei Bilder gezeigt bekommen, ein religiöses und ein nicht-religiöses.

    Daher zieht Ihre Erklärung mit der bloßen Konzentration nicht, denn auf das Bild Da Vincis mussten sich die Katholiken ja auch konzentrieren. Tatsächlich handelt es sich bei dem Effekt im VLPFC um einen Interaktionseffekt, das heißt, die Hirnaktivität wird nicht nur mit den Aktivierungen der anderen Gruppe, sondern auch mit denen der eigenen Gruppe bei der nicht-religiösesn Darstellung verglichen. Das ist saubere Arbeit.

    Das Experiment mit den Fußballfans können Sie dann ja durchführen.

  6. @Stephan Schleim

    Das Ergebnis, dass gläubige Menschen die Schmerzintensität beim säkularen (emotionsfreien) Bild um 10 % höher erlebten als bei der religionsbezogenen Darstellung, spricht genau für meinen Kommentar des 3-fach-Pfusches.
    Denn das säkulare Bild hatte für sie ebenfalls keinerlei emotionale Bedeutung.

    Für eine saubere Versuchsplanung hätte man z.B. Menschen als Testpersonen untersuchen müssen, die sowohl gläubig wie auch Fußballfans eines bestimmten Vereins sind. D.h. sie haben sowohl zum Glauben, wie auch zum Verein eine emotionale Beziehung.
    Dann hätte man gesehen, ob Unterschiede beim Testergebnis entstehen.

    Ich bezweifle allerdings, ob bei HSV-Anhängern eine Schmerzreduktion eintritt, wenn man ihnen z.B. ein Vereinsemblem des FC-Bayern zeigt ;-))

  7. @ KRichard: Konfundierende Faktoren

    Hervorragend, Sie schlagen also vor, dass das Ergebnis durch den Faktor “emotionale Bindung” konfundiert ist.

    Dem könnte ich spontan erwidern, dass die Atheisten/Agnostiker sich Da Vincis Bild gegenüber signifikant stärker hingezogen fühlten als der Jungfrau Maria. Ihrer These nach hätte man aber erwarten müssen, dass diese Gruppe von Versuchspersonen dann auch signifikant schwächere Schmerzen erlebt. Zugegeben, diesen Fund habe ich aus Gründen der Sparsamkeit nicht berichtet.

    Jetzt könnten Sie erwidern, vielleicht sind das andere Emotionen, welche die Atheisten/Agnostiker bei Da Vincis Bild haben. Dann müssen wir aber zu dem Ergebnis kommen, dass wir ein neues Experiment brauchen.

    Anstatt Fußballfans zu verwenden, würde ich vielleicht vorschlagen, zwei unterschiedliche religiöse Darstellungen bei Katholiken zu verwenden, nämlich einmal eine mit einer hohen emotionalen Komponente (wie der Jungfrau Maria) und einmal eine ohne diese Komponente.

    Wenn auch ohne die emotionale Komponente eine Reduktion des Schmerzerlebens bei einer religiösen Darstellung auftritt, spricht das gegen Ihre Alternativerklärung.

    So funktioniert eben Wissenschaft; man kann in keinem Experiment alle Faktoren kontrollieren.

    P.S. Ich kenne mich mit Fußball nicht so aus aber vielleicht würde die Darstellung des FCB-Emblems die Schmerzen ja verstärken?! Nun, das wäre auch ein interessanter Fund!

  8. Zustimmung; @Schleim

    Sie haben vollkommen recht – man braucht ein neues Experiment.

    Wie bereits vorgeschlagen, sollte man dazu Menschen untersuchen, welche zu beiden Bildern (religiös / Vereinsemblem) eine emotionale Beziehung herstellen können. Dann erst wird man sehen, wo die Schmerzreduktion am größten sind.

    Die Fans des 1.FC Nürnberg sind sehr leidensfähig – möglicherweise kommt als Ergebnis heraus, dass man vor schmerzhafter medizinischer Behandlung erst 1.FCN-Fan werden muss ;-)))

    Aber Spass beiseite. Wenn sich Atheisten zu Da Vinci´s Bild eher hingezogen fühlen, dann ist das möglicherweise das Ergebnis ihrer Allgemeinbildung – man kennt das Bild.
    Aber allgemeines Wissen ist dem semantischen Gedächtnis zuzuordnen – während emotionale Erfahrungen dem episodischen Gedächtnisbereich zuzuordnen ist; da dort emotinale Erlebnisse gespeichert sind.
    Eine saubere Studie sollte dies berücksichtigen.

  9. @ Schleim: Zuviel Forschungsgeld?

    „Religiöser Glaube kann Schmerz lindern“ – klingt irgendwie albern, vor allem in einem wissenschaftlichen Magazin und von jemandem, der wie Sie von sich sagt „ über den Tellerrand der Naturwissenschaft“ zu blicken. Dass Glaube Berge versetzen, Krankheiten heilen, Schmerzen total abstellen – und noch viel mehr kann, das ist doch nun wirklich ein uralter Hut.

    W i e das aber zustande kommt, was im Gehirn z.B. beim Placeboeffekt oder in der Hypnose geschieht, ist ja noch immer weitgehend unbekannt. Darüber hätten die Hirnforscher aus Oxford mal forschen sollen. Um die Wirkung des Glaubens zu untersuchen, ist die Vorgehensweise bei dieser Untersuchung denkbar ungeeignet.

    Für mich wieder nur ein typischer Fall der Verschwendung von Forschungsgeldern.

  10. Mr.Bean

    In der aktuellen Gehirn&Geist, Seite 18 ist ein Beitrag über ein Experimen; wonach bereits eine kurze Vorführung von ´Mr. Bean´ – d.h. Humor – die Schmerzgrenze senkt

  11. @ Elsässer

    Ich verstehe Ihren Einwand nicht; sich mit so einer interdisziplinären Studie zu beschäftigen, ist doch gerade ein Beispiel dafür, über den Tellerrand der Naturwissenschaft hinaus zu schauen.

    Was die Finanzierung der Studie betrifft, wenden Sie sich am besten direkt an die Forscher.

    Viele Grüße

    Stephan Schleim

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