Ist Wissenschaft relevant?

BLOG: MENSCHEN-BILDER

Mensch, Gesellschaft und Wissenschaft
MENSCHEN-BILDER

Gefährliche MischungVerändert Wissenschaft unsere Weltsicht? Oder ist sie mehr ein intellektueller Sport oder gar nur eine weitere Form der Unterhaltung unserer Mediengesellschaft? Die Wissensmagazine sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen und noch kein Verlag hat sich die Blöße gegeben, eines von ihnen wieder einzustampfen; auch gibt es nun eine Reihe deutschsprachiger Wissenschaftsblogs — all das spricht auf den ersten Blick für eine hohe Relevanz der Wissenschaft. Doch stelle ich mir die Frage: Was macht sie mit den Menschen, die nicht selbst Wissenschaftler sind?

Hat es Schicksale verändert, dass Hirnforscher und Psychologen wie Gerhard Roth, Wolf Singer und Wolfgang Prinz durch Deutschland reisen und der Allgemeinheit erzählen, der Mensch habe keinen freien Willen? Glaubt ihnen jemand das? Hat jemand sein Leben verändert, weil Thomas Metzinger die These vertritt, es gebe kein Selbst? Zumindest hat Herr Metzinger einmal erzählt, einer seiner Studenten sei ohnmächtig geworden, während er seine Selbstmodelltheorie (PDF; Download auf eigene Gefahr) erklärte. Mir wurde davon allerdings noch nicht einmal übel. Die Idee wurde dann von den Wissenschaftsredakteuren Werner Siefer und Christian Weber aufgegriffen, die schon im Vorwort warnen, ihr Buch (Besuch auf eigene Gefahr) würde das Leben verändern, denn in Wirklichkeit sei man ein Nichts, ein Niemand. Abgesehen von dem Ärger, den ich aufgrund der übertriebenen Thesen und der Widersprüche zur Illusion des Ichs hatte, hat sich bei mir nichts verändert. (Frage an die Juristen: Kann ich deshalb mein Geld zurück verlangen?) Zugegeben, ich bin nicht sehr repräsentativ.

Geht es nach dem Diplom-Physiker Sven Keßen von der FU Berlin, der meinen Telepolis-Artikel zu Wissenschaft, Gesellschaft und Philosophie in seinem Wissenschaftsblog zerrissen hat, müsste man diese Fragen wohl verneinen:

Es ist ein großes, weit verbreitetes Missverständnis, dass da draußen die große wissenschaftsgläubige Masse an den Lippen wissenschaftlicher Erkenntnisüberbringer hinge, was dringend wissenschaftskritischer Korrektur bedürfe. Das Gegenteil trifft zu. Wissenschaft wird als kuriose Beschäftigung einiger spleeniger Leute verstanden, aus der sich immer mal wieder, wie aus Glück, neue Technik entwickelt, die aber so weit vom realen Leben entfernt wahrgenommen wird, wie es nur geht. [Die meisten wollen sich] einfach nicht ihre persönlichen Weltbilder, ihren Aberglauben, ihre hübsche Märchenwelt kaputtmachen lassen […]. Es gibt mehr Widerstände gegen wissenschaftliche Nüchternheit als Glaube an sie. (Sven Keßen, 12. Juni 2008)

Ich muss zugeben, Herrn Keßens Sichtweise trifft mich völlig unvorbereitet. Ich hatte es immer für gegeben genommen, dass auch nach Galilei und Darwin die Wissenschaft die Gesellschaft prägt, wenn man beispielsweise an die oft behaupteten Implikationen für das Rechtssystem denkt oder wie wissenschaftlicher Fortschritt das Todeskriterium verändert. Drehe ich mich stattdessen nur im Kreis einer intellektuellen Clique, die das, was sie macht, viel wichtiger nimmt, als es eigentlich ist? War mein Buch, ja ist mein Blog unnötig, da es gar niemanden gibt, der, wie Keßen es nennt, „an den Lippen wissenschaftlicher Erkenntnisüberbringer“ hängt?

Doch halt, nicht so schnell. Zunächst geht es gar nicht um die „große Masse“, noch nicht einmal um eine Mehrheit. So lange sich Politiker, Interessenverbände oder andere Entscheidungsträger von den wissenschaftlichen Fortschritten beeinflussen lassen, ist die philosophische, soziologische oder auch historische Reflexion der Wissenschaft eine wichtige Aufgabe. Aber auch außerhalb dieser Fachkreise muss es Menschen geben, die sich entweder fortbilden wollen und aus intellektueller Freude mit Wissenschaft beschäftigen, oder im Hinblick auf eine bestimmte Anwendung mit der Wissenschaft beschäftigen.

Ich denke dabei nicht nur an die Käufer der Wissens- und Technologiemagazine, sondern auch an den Besucher einer Tagung in Iserlohn im Dezember 2006, der zu mir sagte, er habe nach dem Krieg eine handfeste Ausbildung machen müssen, mit der man schnell Geld verdiene, und wolle jetzt im Ruhestand das nachholen, was ihm ohne das eigentlich gewünschte Studium entgangen sei. Ich denke da an die Bauern, Imker und Konsumenten, denen es wichtig ist, ob ihre Produkte durch wissenschaftliche Forschung mit transgenen Pflanzen oder Tieren betroffen sind.

Ich denke da an die kranken Menschen oder ihre Angehörigen, die sich von der Wissenschaft eine Heilung erhoffen, und sich nicht die Wiederholung eines Dramas wünschen, bei dem ohne genaues Wissen an tausenden psychiatrischer Patienten die Nervenverbindungen zwischen den beiden Hirnhälften durchtrennt werden (Hirn-OP mit dem Eispickel). Im Einzelfall sogar bei Jugendlichen, deren einziger Fehler zu sein scheint, ihrer Stiefmutter nicht immer zu gehorchen. Ich denke da auch an diejenigen, welche die Hoffnung an die Wissenschaft heran tragen, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen oder die umgekehrt Ängste haben, wissenschaftliche Entdeckungen könnten unsere friedliche Fortexistenz gefährden.

Ich denke dabei aber vor allem an diejenigen Menschen, die sich für die Natur, das Universum oder das Bewusstsein interessieren, die von der Welt fasziniert sind und wissen möchten, wie viel es mithilfe der neuesten Forschungsinstrumente zu entdecken gibt; die Menschen, die sich von dem Rätsel, das uns das Leben aufgibt, herausgefordert fühlen und die Herausforderung annehmen. Mögen es auch nicht die großen Massen sein, die Herr Keßen beschwört: So lange es nur eine Handvoll ist, die in meinen Texten einen Beitrag zum Verständnis dieses Rätsels sieht, sei mir das genug.

Foto: © Paul-Georg Meister (pgm) / PIXELIO

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95 Kommentare

  1. Wissenschaften…..

    Leider scheinen die Wissenschaften – wenn es nach Sven Keßen geht – zu “einer” Wissenschaft zusammengeschmolzen zu sein……

    Ich denke jedoch, dass er als Diplom-Physiker übersieht, dass geisteswissenschaftliche Theorien, Methodiken und wissenschaftliche Herangehensweisen sich von rein naturwissenschaftlichen(wie der Physik),nicht unbeträchtlich unterscheiden.

    Sie dürften so weit auseinander liegen wie die Karibik von der Nordsee…….

    Insofern handelt es sich ja bei Sven Keßen um einen Naturwissenschaftler, welcher “fachfremd” bloggt und nach dem Motto “Bescheidenheit ist eine Zier, doch….” auch aus seiner fachfremden Position heraus einen unerschütterlichen Glauben an sich selbst hat, sich ein Urteil – auch über ihm weitgehend unbekannte Wissenschaftsgebiete,erlauben zu können……

    Warum wird also diesen Äußerungen überhaupt eine Bedeutung beigemessen?

    Wenn die Bild-Zeitung aus der Wissenschaft berichtet, dann kümmert sich doch auch fast niemand darum. Und diese hat sicherlich sehr viel mehr Leser ;-))

    An diesem Beispiel wird für mich nur deutlich, dass Wissenschaftler sich fachfremden Gebieten mit einer angemessenen Bescheidenheit nähern sollten und auch Wissenschaftsjournalismus in völlig fachfremden Bereichen seine Grenzen in der Person, ihrem Wissenschaftsverständnis und ihrer Kenntnis der weniger bekannten Wissenschaften hat…..

    Man stelle sich nur vor, wir würden uns in dieser Form mit der Physik auseinander setzen 😉

  2. Wissenschaftsphilosophischer Adressat

    Ich hatte es immer für gegeben genommen, dass auch nach Galilei und Darwin die Wissenschaft die Gesellschaft prägt, wenn man beispielsweise an die oft behaupteten Implikationen für das Rechtssystem denkt oder wie wissenschaftlicher Fortschritt das Todeskriterium verändert. Drehe ich mich stattdessen nur im Kreis einer intellektuellen Clique, die das, was sie macht, viel wichtiger nimmt, als es eigentlich ist?

    Ach, mitnichten. Wir sprechen nur von zwei ganz verschiedenen Ebenen. Zum Zusammenhang: es ging um einen Artikel, in dem für Wissenschaftsphilosophie als Vermittler zwischen Wissenschaft und Menschen geworben wurde.
    Aber die große Mehrheit der Bevölkerung betrachtet Wissenschaft nicht auf die Art und Weise, als dass sie daraus philosophische Ableitungen treffen oder über den Erkenntniswert des wissenschaftlichen Standes nachdenken würde. In dem Sinne eine wissenschaftsgläubige Masse auszumachen, die philosophischer(!) Aufklärung bedürfe, ist das Missverständnis, von dem ich sprach. Dass wir immer nur über eine Minderheit reden, sollte nicht derart überraschen, zumindest keine besonders provokante These sein.

    Das ist ein ganz anderer Aspekt als der, dass Wissenschaft und ihre Erzeugnisse immer mehr unseren Alltag bestimmen.

    So lange es nur eine Handvoll ist, die in meinen Texten einen Beitrag zum Verständnis dieses Rätsels sieht, sei mir das genug.

    Aber selbstverständlich. Und nicht zuletzt bloggen wir ja auch darum, die Zahl die sich mit Wissenschaft an sich auseinandersetzt und das von einer informierteren Warte aus tun kann, größer werden zu lassen.

    Aber auch da ist die Frage, wie man das tun kann. Meiner Meinung nach bedarf es vor allem wissenschaftlicher Aufklärung, die in sich schon trägt, wissenschaftlich daherkommende Aussagen besser einschätzen zu können. Sollte aus dem Bemühen dann tatsächlich der immer wieder beschworene Szientistische Buhmann sein böses Haupt recken, kann man gerne wissenschaftsphilosophisch dagegen argumentieren.

    Will man aber einer an den Grundlagen von Wissenschaft desinteressierten Mehrheit mit Wissenschaftsphilosophie als Gegenmittel gegen Wissenschaftsgläubigkeit kommen, einer Bevölkerung, in der Homöopathie, Alternativmedizin und Esoterik immer weiter blüht, werden die das ganz rigoros falsch verstehen. Man will Gutes und erreicht nur, die eh schon herumgeisternden Irrationalitäten weiter zu verstärken, im Sinne: “Wissenschaft kann es auch nicht wissen”.
    Darum meine Kritik an dem ursprünglichen Artikel.

    Naja, zu denken, dass da draußen eine große Mehrheit an den Lippen der Hirnforscher hängt und sich neuerdings von denen ihr Selbstbild erklären (oder verklären) lässt… Ich seh das nicht. Beim besten Willen.
    Was nicht heißt, dass die Diskussion nicht geführt werden muss; das sollte man aber nicht verwechseln mit der Vermittlungsfunktion zwischen Wissenschaft und Menschen.

  3. Relevanz

    Ich muss dabei an die einleitenden Worte Albert Einsteins denken, welche er in seiner Eröffnungsansprache zur 7. Großen Deutschen Funkausstellung und Phonoschau im Haus der Funkindustrie am 22. August 1930 in Berlin sprach.

    Der Titel seiner Ansprache lautete “Völkerverständigung als Aufgabe des Rundfunks”.

    Zitat:

    “Verehrte An und Abwesende

    Sollen sich auch alle schämen, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen, und nicht mehr davon geistig erfasst haben, als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst.”

  4. @ Michael Wald

    Sollen sich auch alle schämen, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen, und nicht mehr davon geistig erfasst haben, als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst.”

    Und um eben gerade die zu erreichen, braucht es wissenschaftlicher Aufklärung. Eine rein wissenschaftskritische Philosophie über die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnisfähigkeit wird denen gegenüber nicht zur Aufklärung beitragen, sondern sie in ihrer Indifferenz bestärken. Vermutlich wird sie nicht mal verstanden.
    Falscher Adressat für eine an sich diskutable Ansicht, die sich aber ein ein wesentlich kleineres Grüppchen richtet.

  5. Wissenschaftliche Aufklärung….

    ….braucht die Kenntnis der wissenschaftlichen Materie.

    Wenn Geisteswissenschaftler über Physik aufklären ist das genauso absurd wie wenn Physiker über Geisteswissenschaften Aufklärung betreiben…

  6. @ Armand: Aufklärung

    Liebe Frau Armand,

    natürlich sollte man sich mit dem Gegenstand auskennen, den man reflektiert; ich will es aber keinem Natur- oder Geisteswissenschaftler verbieten, sich auch einer anderen Disziplin zu nähern; gerade deshalb wünschen wir uns heutzutage doch Interdisziplinarität.

    Manchmal ist es ja auch erforderlich, dass ein Fachfremder kommt, um etwas in einem neuen Licht zu sehen (sagt der Philosoph in mir).

    Daher nehme ich Herrn Keßen auch ernst und stelle mich seiner Position in seinem Blog.

    Ihrem Punkt mit der Bescheidenheit stimme ich voll und ganz zu; steht ja so auch in meinem Buch *g*. Hoffentlich erinnert mich jemand daran, wenn ich diese Regel mal vergessen sollte.

    Viele Grüße

    Stephan Schleim

  7. @ Kamenin: Wissenschaft und Aufklärung

    Hallo Kamenin,

    ich kann mir denken, dass du viel zu schlau und zudem Experte bist, um auf die naive Interpretation wissenschaftlicher Experimente hereinzufallen. Daher kann ich verstehen, dass dir meine Texte unnötig erscheinen.

    Ich verstehe aber nicht, warum du immer von “wissenschafsgläubigen Massen” sprichst; habe ich das irgendwo gesagt, dass es die gibt? Außerdem ist es hier ja gerade die Frage, die ich an die LeserInnen stelle, welchen Stellenwert sie der Wissenschaft für ihr Leben beimessen (leider hat noch niemand darauf geantwortet).

    Ich sehe bloß das Problem, dass ein Nicht-Experte im Zweifelsfall nicht weiß, wem er glauben schenken soll, wenn Wissenschaftler A sagt: Das Experiment zeigt, dass wir keinen freien Willen haben; und Wissenschaftler B: Das Experiment ist aus diesen und jenen Gründen nicht dazu in der Lage. Tatsächlich belässt A es nicht bei der Interpretation seiner Daten, sondern behauptet, ein neues Menschenbild müsse her und ein neues Rechtssystem dazu. Würdest du nicht sagen, dass man sich dem dann stellen muss?

    Als Laie orientiert man sich dann oft an Ehrungen und Funktionen; damit spielen auch die Medien. Da ist vom Direktor X die Rede, oder vom Nobelpreisträger Y (selbst wenn es gar keinen derartigen Nobelpreis gibt, wie sich am Beispiel der Wirtschaftswissenschaften immer wieder beobachten lässt), zumindest aber vom Doktor oder besser Professor. Das ist erst einmal eine verständliche Heuristik, nach der man vorgeht; in der Praxis funktioniert das schließlich, wenn ich beispielsweise den Heizungsbauer frage, warum meine Wohnung im Winter kalt bleibt, und nicht den Bäcker. In der Wissenschaft ist aber Forscher viel weniger gleich Forscher; es werden oft nur Ergebnisse berichtet, keine Kontroversen, und die Mechanismen sind viel komplexer als Etagenheizungen.

    Ich würde sagen: Anstatt den Direktor, frage eben mal den Wissenschaftsphilosophen. Ich stelle mich da zwar oft stümperhaft an, aber ein paar gute Gründe fallen mir hin und wieder doch mal ein, siehe z.B. in meinem vorherigen Blogbeitrag oder meinen beiden Artikeln zur Willensfreiheit auf Telepolis.

    Was hast du eigentlich gegen Alternativmedizin? Ich habe damit zwar noch keine guten Erfahrungen gemacht aber allgemein scheint sie doch zu funktionieren; und an welchem anderen Standard sollte man Medizin denn messen?

    Noch vor zwanzig Jahren haben fast alle Schulmediziner die Akupunktur oder -pressur kategorisch abgelehnt, um mal ein Beispiel zu nennen; inzwischen haben viele eine Fortbildung gemacht, um die Methode selbst anbieten zu können! Und sie machen damit wohl ein gutes Geschäft.

    Womit wir wieder am Thema der Bescheidenheit angekommen wären, von dem Frau Armand hier schon sprach.

    Du sprichst sehr oft von Auklärung; das, was du schreibst, erinnert mich bei aller rhetorischen Brillanz, die du zweifellos besitzt, aber leider oft an das Vorgehen bestimmter Vorsokratiker, die bei Aristoteles und Platon nicht gerade hoch im Kurs standen; beispielsweise sich geringschätzig über “die anderen” zu äußern. Wie ich in deinem Blog schon kommentierte, heißt “Aufklärung” für mich, die Leute prinzipiell ernst zu nehmen und für einsichtsfähig zu halten. Anders kann ich mir keinen Journalismus vorstellen; und schon gar keine Philosophie.

    Viele Grüße

    Stephan

  8. Natur und Geisteswissenschaft

    Ich kann leider nicht nachvollziehen wie man darauf kommt, Naturwissenschaftler beschäftigt Geisteswissenschaft nicht.

    Von wem ist denn da die Rede?
    Newton, Einstein und Heisenberg fallen mir spontan als das genaue Gegenteil ein.

    Heinz von Foerster ist mir allerdings mein liebstes Beispiel, als Vertreter der “Kybernetik”.

    @kamenin

    Ich stimme Ihnen voll und ganz zu.
    Genauso verhält es sich mit Politik.

    Nur gibt es ja in nicht wenigen Fragen mit der sich Wissenschaft beschäftigt, eine oft unübersichtlich große Anzahl von Thesen, Antithesen, Hypothesen und Synthesen.

  9. @ Wald: Naturheilverfahren

    Was möchten Sie damit nun im Hinblick auf unsere Frage sagen?

    Wie ich schon schrieb, bin ich von “den” Naturheilverfahren nicht überzeugt. Daraus folgt aber nicht, dass ich alles, was Schulmediziner machen, gut finde; ein schlimmes Beispiel habe ich mit dem Fall “Walter Freeman” ja in meinem Blogtext zitiert.

    Würden Sie sagen, dass prinzipiell alle anderen Verfahren (von der Finanzierung) ausgeschlossen oder gar verboten werden müssten, die nicht aus der so genannten Schulmedizin stammen?

    Wissen Sie, ich habe Tinnitus. Schulmediziner konnten mir weder sagen, woher er kommt, noch, wie man ihn weg bekommt. Tatsächlich empfahlen mir zwei HNO-Ärzte sogar ganz explizit, es mit “alternativen Verfahren” zu versuchen. Also ging ich mal unvoreingenommen zu einer Heilpraktikerin der Osteopathie (zum ersten und bisher letzten Mal), die mir nach meiner Schilderung sagte, das höre sich so an, als stünden die Chancen gut, das Ohrgeräusch mit ihrem Verfahren weg zu bekommen. Nach ca. zehn bis fünfzehn Sitzungen, die überhaupt nichts brachten, brach ich die Behandlung dann ab.

    Was lerne ich daraus? Dass das Kriterium in medizinischer Behandlung sein muss, ob sie therapeutisch erfolgreich ist. Wenn ja, dann ist mir das egal, was der Arzt/Heilpraktiker studiert hat, von mir aus auch Mineralogie; und von mir aus kann es auch ein Plazebo-Effekt sein.

    Freilich könnten noch weitere Kosten-Nutzen-Abwägungen eine Rolle spielen, wenn man an die Frage der Finanzierung denkt; aber hier schneiden m.E. gerade die Verfahren der Schulmedizin oft schlechter ab, was ja wohl manche Krankenkassen auch dazu gebracht hat, bestimmte alternative Verfahren in ihren Erstattungskatalog aufzunehmen.

  10. “welchen Stellenwert sie der Wissenschaft für ihr Leben beimessen”

    Da gibt es einige einflußreiche Faktoren. Es kommt beispielsweise auf die Zielgruppe an.

    Ich habe mal fünf Jahre auf Wechselschicht als Chemiefacharbeiter gearbeitet. Die Leute waren so richtige Malocher (feine, verläßliche Leute mit denen man viel _Spaß haben konnte). Die hat Wissenschaft meist nicht interessiert, weil die wenig Berührungspunkte hatten. Die stärksten Berührungspunkte hatten technische Neuerungen. Quantentheorie war nicht von großem Interesse, aber ein Leser im CD Player ist ein tolles Ding.

    Ich persönlich interessiere mich für Naturwissenschaft (welch Wunder 😉 ). Ich habe aber wenig Interesse, wenn man mir ein neues Weltbild vermitteln möchte. Daran habe ich kein Bedarf. Natürlich lassen mich wissenschaftliche Erkenntnisse die Natur anders betrachten. Nur so Fragen wie nach dem eigenen Willen, da werde ich sehr skeptisch. Das lehrt auch die Geschichte, wie vorläufig wissenschaftliche Erkenntnis ist. Das mechanistische Weltbild beispielsweise hat nicht lange überlebt. Von daher ist es klug den aktuellen Trends nicht immer hinterher zu laufen, sich zurück zu lehnen und zu beobachten, wie steile Thesen zerbröselt werden (ok, bei manchen geht es nicht so schnell und werden erst nach unserem Tode widerlegt).

  11. Hallo,
    bei mir war es schon immer so, das ich wenn sich für mich durch Wissen eine Tür öffnete, ich einen Raum betrat, der neben der Tür durch die ich trat, vier bis fünf weitere Türen hatte.
    Irgendwann kommt dann der Moment, in dem man glauben muss, Wissen fühlen und schmecken muss.
    Wissenschaft bedeutet Realität auf ein berechenbares Model herunterbrechen.
    Wissenschaftshörig zu sein, könnte in dem Kontext bedeuten, zu feige fürs Leben zu sein.
    Was bedeutet bei der uns gegebenen Fähigkeit zu komunizieren (Wer W sagt muss auch atzlawick sagen!), überhaupt Wissenschaft für alle?
    Ich sehe ein Gewächshaus in der Wüste, egal wo man steht, es ist als innen definiert.

    Froh sei also der, welcher da steht wo die paradisischen Verhältnisse herschen.

    Es ist eine Kunst zu leben, nicht alles darüber zu Wissen.

    Ihre Kritik an Herr Keßen finde ich, naja so lala.

    Gruß Uwe Kauffmann

  12. @ Kauffmann: Erkenntnis

    Meinen Sie also, es wäre am besten, erst gar nicht vom Baum der Erkenntnis zu kosten oder habe ich Sie da falsch verstanden?

    Beziehen Sie sich jetzt auf meine Kritik in meinem oder in seinem Blog? Hier ging es mir gar nicht an erster Stelle darum, Herrn Keßen zu kritisieren; die Frage, wie sich die Erkenntnisse der Hirnforschung auf die Alltagswelt des durchschnittlichen Nichtwissenschaftlers auswirken, die treibt mich schon lange um.

    Es ist ja auch kaum verwunderlich, denkt man daran, wie manche eben von der Revolution sprechen, von einem neuen Menschenbild oder die neuen Funde gleich mit Galilei und Darwin vergleichen und von der “letzten Kränkung des Menschen” sprechen.

    Meine “richtige” Kritik — eigentlich ist es ja eine Verteidigung — finden Sie in Herrn Keßens Blog.

  13. Eine seltsame Frage, denn unsere Welt wäre ohne Wissenschaft nicht so, wie sie ist.
    Selbstverständlich mag es auch große Mengen Wissen geben, das nur für den Sammler des jeweiligen Wissens Bedeutung hat.

  14. Bewegt oder Reibung erzeugt Wärme.

    @Schleim,
    nein so war es nicht gemeint. Es ging eher darum, den absoluten Anspruch an das komsumierte Obst zu relatvieren. Ihre Kritik an Herr Keßen, empfand ich schon als, in Ordnung so.

    @Armand,
    ja so lala, damit waren Sie gemeint. Nun sind Sie ja eine belesene und intelegente Erscheinung, in der Szene.
    Ihre Beiträge kommen aber für mich, so Ernst und mit einem (sozusagen) Weltherrschaftsanspruch daher, der mir mit freiem Denken nicht vereinbar scheint.
    Denn neben dem stecken von Grenzen und dem errichten von Modellen, braucht es immer wieder den freien Geist, der dies alles Zerschlägt.
    Außerdem habe ich mich nicht im Ton vergriffen, sonder war schon in der Wahl der Mittel frech und ein wenig distanzlos.
    Warum soll den Menschen die Wissenschaft näher gebracht werden, wenn Leute wie Herr Keßen, die eindeutig etwas zu sagen haben, in die Fachidiotenecke gestellt werden. Es geht doch wohl darum den Menschen Erkenntniszugang zu verschaffen und nicht darum ein Forum für das eigene glänzen zu errichten.
    Übrigens der Akademiker an sich ist kein besserer Mensch, nicht nur was die Wortwahl angeht. Er hat den besseren Werkzeugkoffer (Bildung), das macht ihn aber nicht zum besseren Handwerker.

    Gruß Uwe Kauffmann

    (*Ja das ist das Ausleben von persöhnlichen Animositäten. Die kritik könnte aber trotzdem zum Nachdenken anregen. Es ist genereel unmöglich rein sachlich zu bleiben, den man ist eine Person und das gegenüber ist im Regelfall auch eine. Dies ist also keine Kritik an ihrer Person, sondern an dem Betriebsmodus mit dem Sie hier arbeiten.*)

  15. @Armand

    Nachtrag,
    wess Geist ich ess, des Brot ich bin.

    Ein PETER verLICHTetes Sprachgewurzel.

    Schöne Ferien noch.

    Gruß Uwe Kauffmann

  16. @ Kaufmann

    Lieber Herr Kaufmann, offenbar entsteht bzw. entstand hier ein unsägliches Missverständnis, darüber, wer, wo , wann gemeint war.

    Meine Stellungnahme galt dem, was Herrn Keßen an persönlichen Angriffen – ohne wirklich inhaltliche Kritik – in seinen Beiträgen an anderer Stelle geübt hatte. (Mich hat Herr Keßen “hysterisch gestört” genannt und Michael Blume, sowie Stephan Schleim waren gleichfalls persönlich herabsetzenden Angriffen ausgesetzt.Im Übrigen gibt es da noch einige Andere….)

    Wenn persönliche Angriffe die wissenschaftliche Auseinandersetzung ersetzen (darauf hatte sich auch der Hinweis im Beitrag von Herrn Schleim bezogen), dann denke ich, ist es legitim darauf hinzuweisen, dass ein Fachfremder , Wissenschaftskollegen “beurteilt” und nicht die Sache selbst, wobei die Frage gerechtfertigt ist, ob ihm dies mit dem ihm zur Verfügung stehenden Wissen überhaupt in dieser Form möglich sein kann.

    Ich bin nicht der Auffassung, dass fachfremde Wissenschaftler und wissenschaftliche Laien nicht auch konstruktive und sinnvolle Kritik an anderen Wissenschaftlern üben könnten.

    Allerdings funktioniert das eben nicht über “ad personaem – Argumente”, sondern über inhaltliche Argumente, wie Sie dies ja auch zu tun pflegen 😉

  17. @ Martin: Alltagsrelevanz

    Mit deiner kritischen Reflexion des mechanistischen Weltbilds bist du ja sozusagen schon ein gebranntes Kind (fast hätte ich gesagt: gebranntes Huhn). Insofern scheinst du mir bei SdW ganz an der richtigen Stelle gelandet zu sein. Gibt es da für dich als Admin eigentlich auch Wechselschichten? 🙂

    Ich denke inzwischen, dass unsere Alltagssicht, Husserl hat hier mit dem Begriff der Lebenswelt operiert, relativ stabil gegenüber wissenschaftlichen Ergebnissen ist. Schließlich ist und war uns diese Welt ja schon gegeben, bevor es die ersten Experimente gab. Das gilt vor allem für die psychischen Phänomene, nur in geringerem Maße für das Naturverständnis.

    Gerade deshalb wundert mich der exorbitante Erklärungsanspruch mancher Wissenschaftler; aber freilich gibt es dafür auch negative Beispiele in der Philosophiegeschichte.

    Ich frage mich allerdings, was ich von dem Einsteinzitat halten soll, das Herr Wald hier eingebracht hat. Natürlich ist es gut, wenn man weiß, wie Technik funktioniert; aber bei dieser Vielfalt, die heute zugegen ist, mit immer weiter miniaturisierten Mobiltelefonen und Computern, wer kann da noch den Überblick behalten? Ich glaube, selbst im Prozessordesign arbeitet man inzwischen mit statistischen Vorhersagen, weil die Materie so komplex geworden ist, dass man im Einzelnen den Mechanismus gar nicht mehr genau identifizieren kann. Diejenigen, die nicht so funktionieren, wie gewünscht, sortiert man dann im Testverfahren nach der Anfertigung aus.

  18. @ Kaufmann

    ” mit einem (sozusagen) Weltherrschaftsanspruch daher, der mir mit freiem Denken nicht vereinbar scheint.”

    Ihre Kritik hier ist ja auch nicht von schlechten Eltern…..nicht gerade nett…

    Sie finden in meinen Blogs nirgendwo einen solchen Ansatz, wenn doch, dann bitte ich um Nennung der Inhalte, welche auf diese Form Ihrer Annahmen hinweisen….

  19. @ Kauffmann:

    Ich möchte, dass niemand in meinem Blog als “Fachidiot” hingestellt wird; ich habe ja schon meine Meinung dazu geschrieben, dass es gerade vor dem Gedanken an Interdisziplinarität gewünscht ist, dass man sich mit fachfremden Themen beschäftigt. Manchmal mache ich die Erfahrung, dass jeder doch nur über sein eigenes “Ding” spricht, wenn er mit dem Kollegen aus der anderen Disziplinen am Tisch sitzt.

    Insofern sollten dann alle gemäß dem prinicple of charity auch einmal ein Auge zudrücken, wenn etwas nicht astrein daher kommt, als den Austausch im Keim zu ersticken, weil die anderen ja “eh keine Ahnung” haben.

    Wenn beispielsweise der Biologe erst vollständig Philosoph werden müsste, bevor er sich zu philosophischen Themen äußern dürfte (und umgekehrt), dann würde die Idee der Interdisziplinarität keinen Sinn machen; es wäre aber wünschenswert, wenn sich der Biologe (ebenso wie der Philosoph, der sich über Biologie auslässt), wenigstens mit ein paar Grundlagen auseinander setzt. Das machen viele ja auch; manche leider nicht, siehe Willensfreiheit.

    Das erinnert mich an die Begegnung mit einer Biologin an der Uni Frankfurt, die allen Ernstes zu mir sagte, Philosophie sei ja so toll, denn da könne jeder einfach so mitreden, ohne erst lange Grundlagen zu studieren (wie beispielsweise in der Biologie). Das ist ein falsches Verständnis von Philosophie als “Laberfach”, in dem alles geht. Umgekehrt entspricht das wohl dem Gestus auf Seiten mancher Philosophen, ohnehin alles schon besser zu wissen als die anderen, eben superschlau zu sein, ganz gleich was die empirischen Daten zeigen.

  20. @ Adenosine

    Ich nehme Ihren Beitrag gerne als Konsens: Manchmal ist Wissenschaft L’art pour l’art, manchmal ist sie aber auch L’art pour l’homme.

    Habe ich das jetzt richtig geschrieben? 🙂

  21. @ Schleim

    Besser gebranntes anstatt gebratenes Huhn. 😉

    Der Begriff Lebenswelt paßt hier sehr gut. Was ist denn für die meisten Menschen wichtig? Eigentlich doch, wie man lebt. Wie wohnt man, gibt es genug zu essen, lebt man allein oder in einer Familie, wer bin ich usw. Unser Leben hat sich durch den wissenschaftlichen, technischen Fortschritt verändert (Nahrung im Überfluß, gute medizinische Versorgung, Neuigkeiten sind neu und nicht erst ein paar Wochen alt etc.), aber wenn ich einige Frage betrachte, die mich umtreiben, die haben die Leute früher auch umtrieben. Da hat sich nicht viel verändert.

    Mich wundert vor allem wie bestimmt manche Wissenschaftler an die Themen rangehen. Da gibt es neue Erkenntnisse aus dem Labor, die Welt wird neu gedeutet und es als quasi Wahrheit verkündigt. Wenn ich mir die Reihe von Metzinger in G&G anschaue, da kann es in zwanzig Jahren durchaus sein, daß man sich darüber nur noch amüsiert, weil es von falschen Voraussetzungen ausging.

    Mit Technik muß sich nicht jeder, meiner Meinung nach, auskennen. Ist ja auch nicht jedermans Ding. Ich kann beispielsweise nichts mit moderner Kunst anfangen. Andere schauen sich das an und reden drüber, was das bedeuten mag. Ich finde da kein Bezug. So geht es anderen sicherlich mit der Technik. Es wäre nur nicht schlecht, wenn man mit Technik etwas behutsamer umgeht. Da steckt doch einiges an Gehrinschmalz drin und manchmal versagt die Technik halt. Manche hingegen erwarten eine perfekte Technik und das ist bei der Komplexität nicht zu leisten.

  22. @ Stephan Schleim

    Daher kann ich verstehen, dass dir meine Texte unnötig erscheinen.
    Ich verstehe aber nicht, warum du immer von “wissenschafsgläubigen Massen” sprichst;

    Nein, unnötig erscheinen sie mir gar nicht. Oft bin ich anderer Meinung, aber das wäre ja auch schade, wenn es anders wäre.
    In dem Fall hast Du in dem Telepolis-Artikel als eine mögliche Aufgabe eine Vermittlerfunktion zwischen Bevölkerung und Wissenschaft skizziert, eine Überwindung der Gegenüberstellung von Experten und Laien. Und in dieser Funktion scheint mir für die Art der gezeichneten Wissenschaftsphilosophie, der Adressat zu fehlen. Der ja an sich schon nicht an einem Mangel wissenschaftlicher Bildung, sondern an einem Übermaß von Szientismus leiden müsste.

    Ein reines Adressatenproblem. Wenn ich jemandem, der Newton nicht kennt, erklären will, dass Einstein ihn korrigiert habe, dann wird das nicht zum Verständnis der Physik beitragen, sondern nur zur Indifferenz gegenüber absolut gültiger Mechanik, auf der fast alle Technik beruht. Gleichsam werde ich niemandem Wissenschaft näherbringen mit einer philosophischen Betrachtung über die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnisfähigkeit, wenn demjenigen verständlich ist, warum Wissenschaft überhaupt Erkenntnis liefert. Das wird genauso missverstanden wie die an sich richtige Korrektur an Newton.

    Ich würde sagen: Anstatt den Direktor, frage eben mal den Wissenschaftsphilosophen.

    Absolut. Allerdings geschieht das meiner Meinung nach auch. Weder Direktor noch Philosoph haben heute die alleinige Deutungshoheit — und nach (ob jetzt kritischer oder unkritischer) Abwägung setzt sich halt eine, zumindest für eine Zeit durch. Das liegt aber doch nicht daran, dass Wissenschaftsphilosophen oder Geisteswissenschaftler nicht mehr gehört werden. Vielleicht überzeugen die Einwände einfach nicht? Selbst wenn man Direktor und Philosoph gehört hat, kann man die Ansichten des Direktors ja plausibler finden.

    Aber um das einzuordnen (grober Versuch): nach Statista.org/Allensbach 2001 glauben etwa 70% an eine “Seele”, was immer sie darunter verstehen. Wieviele bleiben da noch, die sich von Singer und Kollegen den Freien Willen wegerklärt haben lassen? Man soll sich nicht vertun, wir führen hier eine Minderheitendebatte.

    Was hast du eigentlich gegen Alternativmedizin? Ich habe damit zwar noch keine guten Erfahrungen gemacht aber allgemein scheint sie doch zu funktionieren; und an welchem anderen Standard sollte man Medizin denn messen?

    Es gibt doch schon Standards, an denen man das Funktionieren misst und an denen Alternativmedizin stets scheitert. Von Funktionieren kann man erst dann sprechen, wenn es besser funktioniert als Nichtstun + Placebo. Nichtstun + Placebo “funktioniert” nur in sehr vielen Fällen auch ganz hervorragend, und der Placeboeffekt steigt mit dem Aufwand an Gedöns, den man um das Placebo treibt.
    Das kann also jeder für sich ausprobieren oder nicht — nur mir bitte nicht danach kommen und erzählen, Wissenschaft verstehe das alles nicht und sei darum unfähig die Wahrheit überhaupt zu erkennen. (Nicht gegen Dich, gegen entsprechende Überinterpretierer von Einzelfällen)

    Wie ich in deinem Blog schon kommentierte, heißt “Aufklärung” für mich, die Leute prinzipiell ernst zu nehmen und für einsichtsfähig zu halten.

    Das tue ich, ich habe auch keine Angst vor klaren Worten. Ich bin jedem dankbar, der es anders macht, weil es meiner Meinung nach beider Ansätze braucht. Den verständnisvollen, vorschlagenden, aufzeigenden und den klar argumentierenden, notfalls deutlich ablehnenden.
    Good Cop, Bad Cop, wenn Du so willst 😉
    Die Ansätze sollen ruhig so vielfältig sein wie das Publikum dafür.

    Anders kann ich mir keinen Journalismus vorstellen; und schon gar keine Philosophie.

    Na, die Philosophiegeschichte spricht da aber auch deutlich andere Worte. Und was das Journalistische angeht, habe ich Respekt vor jedem, der streng journalistisch vorgeht. Gerade ein Blog kann aber auch gut als Kolumne oder als Meinungsseite geführt werden. Das sagt über den Inhalt noch wenig aus.

    Beste Grüße,
    k.

    ps: Ach ja, wenn Wissenschaftler sich nicht zu Wissenschaft kritisierender Philosophie (oder hier gar zur Vermittlung und Wahrnehmung von Wissenschaft) äußern dürften, wäre das wohl eine beliebig absurde Welt.

  23. @ “Relevanz von (Natur-)Wissenschaft”

    Ich weiss, Ihr hasst meine Tendenz zum Metaphysischen. Ist ja so unwissenschaftlich.

    Dennoch:

    Ich glaube, dass ihr alle miteinander in die Falle des Positivismus tappt. Dass das, was [natur]wissenschaftlich der Fall ist, das sei, was IST, das worum es GEHT, dass dies der Kern der Welt sei – das ist die Falle.

    Wenn ich – dem man nun wirklich nicht nachsagen kann, wissenschaftsfremd zu sein – in mich hineinschaue, dann finde ich da – wie wohl die allermeisten (?) – einen “Wesenskern” (saudummes Wort, mir fällt aber momentan kein anderes ein), der von aller Naturwissenschaft, Relativitätstheorie, Quantenmechanik und Hirnforschung ganz und gar unberührt bleibt.

    Ich war noch nie ein keulenschwingender Cro-Magnon Mench, habe das Neolithikum nie erlebt und sehne mich auch nicht danach. Aber der verwunderte, verwundete “Daseinskern”, den keine Technologie erreicht und an dem sich keine Philosophie – ausser der Metaphysik – abarbeitet: der war vermutlich damals schon da.

    Von daher kann ich die Indolenz der Massen gegenüber dem Wissenschaftsbetrieb verstehen: die Wissenschaft hat ihnen nichts Seinswesentliches zu sagen. Sie leiden an anderem.

    Allerdings – und hier kille ich mein eigenes Argument – “das Leid der Massen” dürfte zum allergrössten Teil in den Bereich fallen, den ich als “positiv” verunglimpfe. Verhungern hat nichts mit Metaphysik zu tun.

    Der Mensch nicht mehr der Mittelpunkt des Kosmos? Die Erde nicht das Zentrum der Welt? Der Mensch ein Cousin des Affen? Nicht Herr im Hause des eigenen Bewusstseins? Nicht frei, nicht gottähnlich, in die Fesseln des Determinismus gelegt? Das Universum – ein Symmetriebruch?

    Was schert’s mich.

    Mit der “Wirklichkeit”, da hat der Herr Hoppe schon recht, ringt man an ganz anderen Fronten. Die Waffen wechseln, aber der Gegner bleibt: das Negative, die Grundlosigkeit des Seins.

  24. Elche

    Eigentlich fahre ich ganz gut damit, nicht zu meinen, jede Meinungsäußerung kommentieren zu müssen. Weshalb ich normalerweise wesentlich weniger Worte benötige, um mich darüber auszulassen, wie irrelevant jemand ist oder zu sein habe. Aber bei einem direkten Angriff…

    Das ist hier nicht der Ort dafür, aber sollte ich irgendwann mal das dringende Verlange danach haben, kann ich gerne bei mir ein Best-of der nebulösen, andeututungsreichen und von keinem Sachargument begleiteten Anfeindungen und Verschwörungstheorien posten, die Monika bei mir auf dem Blog hinterlassen hat — bevor ich mich allerdings dazu hinreißen ließ, zu schreiben, sie komme da (in meinem Kommentarteil) “leicht hysterisch gestört” rüber und mir weitere Kommentare von ihr verbeten habe. Das war ein Fehler (das Erste, das Zweite hätte ich viel eher machen sollen) und steht schon lange nicht mehr da.

    Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe. Ich habe wenig Lust, hier ansonsten Monikas einseitig ausgelebte Privatfehde mit mir zu kommentieren. Außerdem denke ich, dass die Kommentare und die Art des Argumentierens durchaus für sich sprechen.

  25. Personen und die Meinungsfreiheit

    Inhaltliches und Persönliches lässt sich manchmal nicht eindeutig voneinander trennen; aber ich denke, wir haben jetzt verstanden, was manche Personen, die hier an der Diskussion teilnehmen, voneinander halten und können es darauf beruhen lassen.

  26. @Armand

    Hallo,
    die Vorgeschichte kannte ich ja nicht. Also erst mal einen Tupfer drauf.

    Nun kann ich mir schon vorstellen, das Herr Keßen einen Rennpferd Charakter pflegt.
    Und mit Ihnen die sich durch die Themen fräst wie eine Präzisionsmaschine, so seine Schwierigkeiten hat. Sich unheimlich aufregte und unschöne Sachen von sich gab.
    Das ist wohl der Preis, den wir dafür bezahlen müssen, das Genialität gelegentlich, in Männerhirnen mit dem Hang zum Authismus einhergeht (Wobei ich Herr Keßen nicht kenne und selbiges nicht behaupten möchte).

    Wir haben wohl alle unsere Macken und Vorzüge. Sie sind eine Frau mit einer sehr linearen Denke. Das ich Ihre Beiträge nicht gut verdauen kann, weil ich dann vieles lesen müste und nicht nach dem Lustprinzip vorgehen kann, heißt nicht, das diese nicht wertvoll für andere sein können.
    Für mich war Ihre Einstellung gegenüber Herr Keßen nicht einsichtig.

    nicht schön….

    Eine gewisse Art mit Wissen umzugehen, macht blinde Flecken, das ist ein Wahrnehmungsphänomen. Ich bin da genauso auf dem falschen Fuß zu erwischen.

    Gruß ein anderer Rucksack

  27. @ Kaufmann

    Das ist wohl der Preis, den wir dafür bezahlen müssen, das Genialität gelegentlich, in Männerhirnen mit dem Hang zum Authismus einhergeht

    Och, mir geht’s gut, aber von dem Vorwurf der Genialität fühle ich mich auch unbedingt angesprochen. Von daher ist’s schon recht.
    Was die Einstellung angeht, die war vorher schon dieselbe. Ich bin nur ein Rindvieh, dass ich ihr danach die Vorlage geliefert habe, auf die sie sich jetzt immer beziehen kann.
    Aber ohne die Kenntnisse, was und wie das wirklich abgelaufen ist, macht das Ganze vermutlich eh wenig Sinn.

    Beste Grüße,
    k.

  28. @kamenin

    Hallo,
    ich redete von Authismus, nicht von Alzheimer ;-), da haben ja die Frauen geschlechtsspezifische Vorteile.

    Muh, sind wir Männer nicht alle gelegentlich Rindviecher.

    Es macht auch keinen Sinn mit einem mänlich logischem Gedankengang, irgendeinen Nachweis führen zu wollen. Bis man damit durch ist, sind schon wieder fünf neue Baustellen am Wegesrand entstanden.
    Die sind uns in Struktur von Gedanken und Logik einfach über.

    Frau Armand klammere ich hier ausdrücklich aus.

    Das andere Geschlecht ist wohl oft, in der Komunikation, auf die Gnade des Gegenübers angewiesen.

    Gruß Uwe Kauffmann

  29. @ Umgangsformen

    Infos hier MonikaAr(at)web.de. Dann kann sich jeder selbst ein Bild machen. Für mich bleibt eine Beleidigung eine Beleidigung, auch wenn der Beleidigende offenbar eine Beleidigung für etwas ganz Normales hält….

    Ob die “Verteidigung” von “Wissenschaft” mit Beleidigungen genial sei….dazu meint A. Schopenhauer, dass jene Formen dann genutzt würden, wenn die echten Argumente fehlen…..mag sich jeder selbst ein Bild machen…

    @ Kaufmann
    Sie beurteilen mich, ohne wirklich meine Blogs zu lesen??????

  30. Relevanz

    Wie man an den letzten Kommentaren sehen kann, ist Wissenschaft nicht allzu relevant. 😉

  31. @ Martin: In Wirklichkeit…

    …ist mein Blog auch ein einziges sozialwissenschaftliches Experiment, in dem ich beobachten möchte, wie meine Leser (Versuchspersonen) auf meine Texte (unabhängige Variable) reagieren (abhängige Variable).

    Die Ergebnisse werde ich dann im Bonner Generalanzeiger veröffentlichen und damit den Nobelpreis gewinnen! Da du mich durchschaut hast, Martin, bekommst du dann von mir einen Cocktail spendiert; oder einen CD-Player.

  32. @ Helmut: Naiver Realismus

    Bei mir muss sich niemand dafür entschuldigen, Metaphysik zu betreiben und schon gar keine sprachlich versierten Anatomen aus Mainmetropolen.

    Das, was du Positivismus nennst, das würde ich einfach einen “naiven Realismus” nennen. “Positivismus”, das klingt so, als hätte sich jemand aus philosophischer Reflexion eine Position zu eigen gemacht und ich glaube, in vielen Fällen ist das gar nicht so, sondern eine gewissermaßen evolutionär nicht sinnlose Inferenz vom Schein aufs Sein zu begehen.

    Freilich kann sich die Philosophie nie mit dem Schein begnüngen und insofern ist sie nicht naiv.

    Ich denke, was du beschreibst, den Wesenskern usw., das lässt sich ganz gut unter Husslers Idee von der Lebenswelt fassen — eben so, wie uns die Welt vorwissenschaftlich gegeben ist und es schon lange vor den Wissenschaften war.

    An dieser Brücke zwischen Lebenswelt und Wissenschaft zu arbeiten, das würde ich mir für die mittelfristige Zukunft wünschen und daher will ich mich auch mehr mit Wissenschaftsphilosophie beschäftigen.

  33. @ Helmut: P.S.

    Aber genau deshalb treibt mich die Frage ja so intensiv um, was denn passiert, wenn (Natur-)Wissenschaftler kommen und sagen: Eure lebensweltlichen Vorstellungen, das sind nur Illusionen!

    Wenn ich mir denke, mein Schmerz, das ist nur ein Neuronenfeuern, dann verschwindet der Schmerz nicht. Oder wenn es heißt, es gebe kein Selbst, dann löst es sich nicht automatisch auf (vielleicht ist das aber bei dem Studenten passiert, zumindest kurzzeitig, der in Metzingers Vorlesung ohnmächtig wurde).

    Die psychischen Phänomene, die sind oft nicht kognitiv penetrabel; ebensowenig kann ein Patient mit Phantomschmerzen sagen: Ja, ich habe keinen Arm mehr, also ist mein Schmerz da nur Einbildung, also fühle ich ihn jetzt nicht mehr.

    Interessant wäre, inwiefern das nur für Psychisches oder auch für andere Phänomene der Lebenswelt gilt.

    Bestimmt ist (bei den meisten von uns) der “göttliche Zorn” verschwunden, seit wir Blitze für elektromagnetische Entladungen halten. Es wäre aber naiv zu glauben, dass deshalb auch alles andere aus der Lebenswelt nur ein Irrtum wäre. Schließlich sind ja auch nicht die Blitze verschwunden, sondern nur eine bestimmte Interpretation derselben.

  34. @ Kamenin: Wer darf die Welt deuten?

    Ich argumentiere nicht in die Richtung, dass nur Wissenschaftsphilosophen die Welt deuten dürften; ich denke, hier darf jeder seinen Standpunkt vertreten und wer die besten Gründe hat, der möge gewinnen.

    Tatsächlich scheint es mir in manchen Diskussionen aber oft nicht mehr um den Inhalt zu gehen, sondern darum, wer die Welt deuten darf und wer nicht (vgl. meinen ersten Artikel auf Telepolis, “Ist der Mensch ein Automat?”, auch in meinem Buch abgedruckt). Das ist dann nicht mehr Wissenschaft oder Philosophie oder Rationalismus, sondern Dogmatik und Dogmatik gilt es meines Erachtens zu vermeiden.

    Insofern ist mein Argument hier kein philosophisches, sondern ein soziologisches, wenn ich sage: Fragt die Wissenschaftsphilosophen (auch wenn ich hierfür philosophisch argumentieren könnte). Wenn ich aber sage, vermeidet Dogmatik, dann ist das sehr wohl ein philosophisches Argument (auch wenn ich im Einzelnen noch Gründe dafür anführen müsste usw.).

    Ich denke, dein Verweis zur Seele, der Trägt im Hinblick auf die Willensfreiheit nicht. Tatsächlich gibt es in der theologischen Debatte extrem starke Argumente gegen die Freiheit des Menschen (man denke z.B. an den Streit zwischen Luther und Erasmus von Rotterdam; oder an Calvin; ein Schlagwort ist hier sicher “göttliche Vorsehung” oder “Predeterminismus”). Frag mal Herrn Hoppe oder den Theologen deines Vertrauens, wenn du es genauer wissen möchtest.

    Du kommst immer wieder auf die Massen zu sprechen — tatsächlich fehlen uns hier die Zahlen und gerade als Naturwissenschaftler müsstest du doch auf Zahlen bestehen, bevor du diesen Punkt immer und immer wieder vertrittst.

    Schließlich noch das Thema Alternativmedizin: Auch ein Plazeboeffekt ist ein Effekt und wenn alle Behandlungsmethoden erlaubt sind, die (bei vertretbaren Kosten) wirken, warum dann nicht auch ein Verfahren, das den Plazeboeffekt ausnutzt? Wenn es nun Menschen gibt, die eben nicht darauf ansprechen, wenn man ihnen ein Zuckerstück mit Schleifchen drumherum gibt, sondern ihnen die Hände auflegt, warum dann also nicht, wenn es ihnen doch hilft?!

    Wie man sieht, geht es hier auch wieder um eine Art von Hoheit, nämlich die Behandlungshoheit. Das Kriterium in der Gesellschaft ist aber nunmal nicht (oder: soll nicht sein), ob die Schulmedizin das gutheißt, ob es in irgendeinem Sinne “wissenschaftlich” ist, sondern ein pragmatisches, ob es wirkt; und das könnte im Extremfall sogar Voodoo implizieren: Wenn du damit Leute vom Krebs befreien kannst (auch wenn ich das nicht glaube), dann mach es halt! Wieso diese ewige Diskussion? Weil es viele Dogmatiker gibt, das ist meine Vermutung, die eben nicht mit einem Pragmatismus leben wollen.

  35. @ Stephan: Begriffsbildung

    Lieber Stephan,

    ich hatte Deine Arbeit schon an anderer Stelle gegenüber @kamenins Kritik verteidigt und in der m.E. lebendigen und durchaus auch erkenntnisfördernden Diskussion schien mir persönlich eine Funktion von (Wissenschafts-)Philosophie von sehr großer Bedeutung zu sein: Das Prägen und Klären von Begriffen.

    So ringe ich als empirischer Forscher oft darum, wie ich bestimmte Befunde überhaupt benennen, darstellen, zu anderen in Bezug setzen soll. Die Versuchung, mit möglichst effektvollen Begriffen Öffentlichkeit zu erzeugen, ist dann natürlich da – trägt aber auf Dauer zu einer Abstumpfung bei. Und zwar nicht nur gegenüber einer (welcher?) “Masse”, sondern auch gegenüber den Kolleginnen und Kollegen anderer Disziplinen, die das Gefundene dann schnell als irrelevant abtun, nach dem Motto: Wenn schon die Begriffe durcheinander gehen… So hat sich inzwischen der Ärger darüber herumgesprochen, wie oft über Willensfreiheit diskutiert wird, ohne diesen Begriff überhaupt klar und kohärent zu definieren. Der ersten Erregung ist einige Ernüchterung gefolgt.

    Auch die Beliebtheit von @Helmut Wichts Beiträgen hat doch auch damit zu tun, dass er uns allen in die Unsicherheiten hineinschauen lässt, die Zweifel poetisch auskleidet, statt im dogmatischen Ich-erkläre-Euch-Laien-jetzt-mal-die-Welt zu erstarren.

    Aus genau diesem Grunde suche ich, zuletzt in Weingarten, ganz gezielt das Gespräch mit Philosophen und Theologen, auf der Suche nach einerseits konsistenten und funktionalen, aber auch vermittelnden Begriffen. Aus genau diesem Grund empfehle ich Dir auch, mir bei kommenden Begegnungen weit auszuweichen, weil ich schon eine ganze Batterie entsprechender Fragen mit mir rumtrage, zu denen ich Deinen Rat sehr begrüßen würde. 😉 Und aus genau diesen Gründen habe ich auch Dein “Gedankenlesen” bei mir im Bücherschrank – diese Arbeiten sind wichtig und werden m.E. immer wichtiger, umso schneller die Spezialdisziplinen Wissens- und Begriffsmengen produzieren, die dann konstruktiv-kritisch gesichtet, diskutiert und in Bezüge gebracht werden müssen, damit das Geschehen nicht in isolierte Inseln zerfällt.

    In diesem Sinne wünsche ich Dir weiterhin viel Freude und Erfolg beim Forschen, Schreiben und Bloggen! Und dieses Bloglob stammt von einem Schwaben, so! 🙂

  36. @ Blume

    “Die Versuchung, mit möglichst effektvollen Begriffen Öffentlichkeit zu erzeugen, ist dann natürlich da – trägt aber auf Dauer zu einer Abstumpfung bei.”

    Verstehe ich nicht. Wieso ist Ihnen, lieber Herr Blume, die weltliche Anerkennung so wichtig?

  37. @ Dietmar Hilsebein

    “Wieso ist Ihnen, lieber Herr Blume, die weltliche Anerkennung so wichtig?”

    Warum sollte sie das nicht sein? Ich halte sehr viel von anderen Menschen und ihren Ansichten, diskutiere sehr gerne mit ihnen – nicht zuletzt diese Faszination für das “Phänomen Mensch” hat mich auch zur Religionswissenschaft (und zum Bloggen) gebracht. Einen Anspruch auf höhere Heiligkeit oder Wahrheit, der mich über die Ansichten anderer erheben und also an ihnen uninteressiert machen würde, habe ich nicht zu bieten. Und oft sind es die sog. “einfachen Menschen”, die mich immer wieder am meisten beeindrucken. Ich sehe da keine “Masse”, sondern eine Vielzahl sehr unterschiedlicher und sehr interessanter Persönlichkeiten. Und bin deswegen auch z.B. der Meinung, dass deren Anerkennung durch Wahlen der beste Weg ist, Regierungen zu gestalten.

  38. @ Stephan Schleim

    Aber genau deshalb treibt mich die Frage ja so intensiv um, was denn passiert, wenn (Natur-)Wissenschaftler kommen und sagen: Eure lebensweltlichen Vorstellungen, das sind nur Illusionen!

    Was denn nun, das Erleben an sich oder der vorgestellte Erklärungsversuch? Das ist doch ein Unterschied.

    Wenn ich mir denke, mein Schmerz, das ist nur ein Neuronenfeuern, dann verschwindet der Schmerz nicht.

    Wenn ich Gravitation erkläre, verschwindet die ja auch nicht. Mir scheint es da manchmal Missverständnisse zu geben zwischen den Ebenen. Eine Erklärung hat noch nie was zum Verschwinden gebracht und wird das auch nicht mit Bewusstseinsinhalten tun. Und sei es ein Phantomschmerz, der, soweit ich mir das denke, auf durchaus realer Nervenreizung beruht und als Schmerz natürlich real ist — nur die Vorstellung, dass sie vom Arm ausgeht, ist lediglich Illusion.

  39. @ Stephan Schleim

    Das ist dann nicht mehr Wissenschaft oder Philosophie oder Rationalismus, sondern Dogmatik und Dogmatik gilt es meines Erachtens zu vermeiden.

    Ehrlich gesagt, verstehe ich in dem Zusammenhang nicht ganz, worin jetzt die Dogmatik besteht. Die Debatte wird doch nicht unterbunden. Also wer oder was ist denn jetzt konkreter Adressat des Vorwurfs?

    Tatsächlich gibt es in der theologischen Debatte extrem starke Argumente gegen die Freiheit des Menschen

    Aber mal ehrlich: werden die wahrgenommen von denen, die in Umfragen sagen, sie glaubten an eine Seele? Na, vielleicht, widerlegen kann ich es jedenfalls nicht.

    Du kommst immer wieder auf die Massen zu sprechen — tatsächlich fehlen uns hier die Zahlen und gerade als Naturwissenschaftler müsstest du doch auf Zahlen bestehen, bevor du diesen Punkt immer und immer wieder vertrittst.

    Auf “die Massen” kam und komme ich zu sprechen, weil die in anderen Worten in dem Ursprungsartikel als Adressaten genannt worden war. Und wenn wir über die gesellschaftliche Funktion von Wissenschaftsphilosophie reden, dann ist es vielleicht nicht ganz falsch, das vor dem Hintergrund der Gesellschaft zu tun.

    Zahlen habe ich nicht, Zahlen hast Du nicht und auch nicht Helmut Wicht und die anderen Teilnehmer an der Diskussion. Wir haben alle unsere Lebenserfahrung. Auch Physiker werden nicht im Elfenbeinturm geboren und hören nur im Radio über das, was die Menschen so umtreibt. Meine Erfahrung ist nicht, dass die Menschen dringend Aufklärung über szientistische Vorurteile bräuchten. Sollte Deine Erfahrung so anders sein als meine?

    Vielleicht habe ich doch zwei Statista-Umfragen über Interesse an Wissenschaft:
    http://de.statista.org/statistik/diagramm/studie/30507/umfrage/interesse-an-berichten-zu-wissenschaft/
    http://de.statista.org/statistik/diagramm/studie/11899/umfrage/interesse-an-wissenschaft-und-forschung/

    Natürlich mit der nötigen Vorsicht zu genießen. Aber gerade auch, weil man bei Umfragen mit Selbstauskünften eher einen Trend zu normativen Antworten erwartet, finde ich die schon bemerkenswert.

    Schließlich noch das Thema Alternativmedizin: Auch ein Plazeboeffekt ist ein Effekt und wenn alle Behandlungsmethoden erlaubt sind, die (bei vertretbaren Kosten) wirken, warum dann nicht auch ein Verfahren, das den Plazeboeffekt ausnutzt?

    Na ja, das habe ich ja auch geschrieben. Daraus die falschen Schlüsse über Wissenschaft und Medizin zu ziehen, ist der Fehlschluss, der leider zu oft damit einhergeht, und den wirst Du ja wohl auch nicht gutheißen wollen, nur weil der Plazeboeffekt hilft.

    Wenn du damit Leute vom Krebs befreien kannst (auch wenn ich das nicht glaube), dann mach es halt!

    Das ist jetzt natürlich eine ganz andere Diskussion. Aber das Beispiel ist doch auch lehrreich: man stellt immer in den Vordergrund, wo Voodoomedizin mal gewirkt hat; aber diejenigen, die sich in welcher Lage auch immer tatsächlich an den Voodoo-Künstler gewandt hatten und denen das Plazebo nichts gebracht hat, obwohl Medizin ihnen hätte helfen können, sollte man nicht vergessen.

    Weil es viele Dogmatiker gibt, das ist meine Vermutung, die eben nicht mit einem Pragmatismus leben wollen.

    Ich finde es nicht dogmatisch, einen Plazeboeffekt Plazeboeffekt zu nennen. Das es in Teilen schon arg feindselige Reaktionen auf Voodoomedizin gibt, räume ich auch ein — das ist aber auch viel Reaktion auf den Wissenschaftsmüll mit dem Esoteriker und Alternativmediziner ihre Theorien anreichern.

    Beste Grüße,
    k.

  40. @Armand

    Sehr geehrte Frau Armand,
    ich habe nie ernsthaft überlegt Sie zu beleidigen Ich stufe meinen Aussagen als provokant, mit agressivem Hintergrund ein.
    Ich bin kein Anhänger des Redekampfes, aber Provokation kann Erstaunliches aus Menschen herauslocken.

    Das passierte bei Ihnen aber nicht, daraus entnehme ich für mich, das Sie mich nicht verstehen, oder weit weg von dem sind, was für mich kritische Selbstbetrachtung ist (Für mich eine wichtige Grundvoraussetzung dafür sich nicht selbst an der Nase herumzuführen.).

    Mir erscheint es inzwischen so das wir in zwei verschiedenen Welten leben. Ich lasse Sie in Zukunft mit meinen Hirngespinnsten in Ruhe und lese dafür Ihre Arbeiten ( den das sind sie vor allen für mich)nicht mehr.

    Gruß ein unverbesserlicher Rucksack.

    (*Sorry dachte das hier wäre auch was für Laien*)

    [(* Ich komme auch aus der Technikecke, habe keinen Hochschulabschluß, aber wurde früh genötigt Selberdenken, als Überlebensstrategie anzuwenden und habe es dann kultiviert und zum Hobby gemacht. Bildungsunterbau dünn und riesen Blasen im Kopf, also kein Verlust für Sie*)]

    (*Auf meinem Kopfhörer läuft zur Begleitung Pink Floyd Animals*)

  41. @ Michael: Begriffspolizei

    Lieber Michael,

    ich wäre gerne bei der Begriffsbildung behilflich doch meine Erfahrungen damit waren bisher meist ernüchternd, denn von naturwissenschaftlicher Seite aus wurde das oft nicht geschätzt, manchmal sogar gerade heraus als unsinnig abgelehnt.

    Ich weiß, du siehst das anders, dann müsste ich aber darauf verweisen, dass ich zurzeit nicht viel Zeit dafür habe, mit dir philosophisch ernsthaft über Begriffe zu diskutieren.

    Viele Grüße

    Stephan

  42. @ Kamenin: Erklärungen

    Du hast recht, was Erklärungen allgemein betrifft, du irrst dich vielleicht, wenn es um reduktive Erklärungen geht und du irrst dich mit Sicherheit, wenn es um eliminative Erklärungen geht.

    Die Illusion ist natürlich nicht das Erleben, sondern der Gegenstand des Erlebens, eben die Vorstellung, wie ich schreib; beispielsweise diejenige Vorstellung, einen freien Willen zu haben. Das ist etwas anderes als die Vorstellung, das Erlebnis zu haben, Entscheidungen frei treffen zu können, worüber wir hier gar nicht reden.

    Und was den Schmerz betrifft, zieht hier deine Analogie zur Gravitation nicht; die eliminative Erklärung des Schmerzes, auf die ich anspielte, bestreitet schließlich die Schmerzhaftigkeit des Schmerzens, denn es sei ja nur ein Neuronenfeuern, wie ich wörtlich so auch schrieb. Wenn ich behaupte, die Gravitation sei ja nur eine Gravitationskraft, wieso sollte sie dann auch nicht mehr wirken, wenn es doch gerade das Wesen einer Kraft ist, dass sie wirkt? Davon abgesehen ist die Gravitation ein schlechtes Beispiel, denn wir haben sie ja noch gar nicht erklärt (eine Anomalie der Wissenschaft).

  43. @ Kamenin: Dogmatik usw.

    Die Dogmatik besteht nicht darin, etwas nur für einen Plazeboeffekt zu halten, sondern alternative Ansätze von vorneherein, ohne Prüfung der Daten und an einem allgemein anerkannten Standard (dem, ob es hilft) abzulehnen. Die Dogmatik besteht weiterhin darin, einen alternativen Ansatz abzulehnen, nur weil er einem nicht gefällt oder wenn man es “nur” für einen Plazeboeffekt hält daraus abzuleiten, die alternativen Methoden dürften nicht mehr angewandt werden, obwohl sie nachweislich wirken.

    Wie viele Menschen die theologischen Argumente ernst nehmen oder nicht, darüber können wir jetzt wieder nur spekulieren; Fakt ist, dass du die Vorstellung einer Seele als Beispiel dafür angeführt hast, dass viele Menschen sich deshalb für frei halten, und ich gezeigt habe, warum dein Beispiel falsch ist, weil es nämlich starke gegenteilige Argumente gibt. Wie viele Menschen theologische Argumente ernst nehmen, das stand und steht hier nicht zur Debatte.

    Was die Massen betrifft, stützen deine Zahlen doch meinen Standpunkt; danke für den Link; auch wenn die Frage natürlich inhaltlich nicht genau dieselbe war, die ich hier oder im TP-Artikel diskutiert habe.

    Im Hinblick auf Voodoo: Man darf natürlich nicht nur die positiven Fälle betrachten, sondern muss auch diejenigen betrachten, in denen das Verfahren nicht wirkt; dafür gibt es wissenschaftsphilosophische Gründe und statistische Prüfverfahren. Dass das wichtig ist (beispielsweise Unterschied: Selektivität und Spezifität), schreibe ich nicht zuletzt in meinen Artikeln und wiederhole ich immer wieder in Interviews, wenn Leute solche Fälle wie Gedankenübertragung o.ä. anführen.

    Deine Darstellung des Plazeboeffekts verkennt tatsächlich, dass es sich hier um eine ganz wesentliche Erklärungslücke der modernen Wissenschaft (Psychologie, Hirnforschung) und Medizin handelt. Dabei wissen wir doch spätestens seit Freud um die Kraft der Suggestion; die Mechanismen hingegen haben wir noch nicht erkannt. Das ist nicht an erster Stelle ein Problem der alternativen Verfahren, sondern der etablierten.

  44. @ Kauffmann: Laien

    Natürlich richten sich die Brainlogs an alle Menschen, die sich für Wissenschaft (und in meinem Fall auch Philosophie usw.) begeistern.

    Das ist aber kein Garant dafür, dass man sich in der Diskussion auch versteht; es kommt vor, dass es zu Missverständnissen kommt; gerade im Internet, wo so viele verschiedene Kulturen aufeinander treffen.

  45. @ Schleim und “kamenin”

    Ich find’s ein wenig blöd, dass Ihr Euren Dialog in gleich ZWEI blogs – eben hier und auf “kamenins” Seiten führt. Ich weiss gar nicht, wo ich zuerst hingucken soll…mitgelesen hab’ ich trotzdem, so gut es eben ging.

    Ich bin – das wird niemanden verwundern – mit dem Herzen und mit einem Teil meines Hirnes eher auf Stephans Seite. Ich hoffe, dass er das nicht als ein “Danaergeschenk” ansieht, einen Holzgaul, dessen Bauch Unberechenbares entquillt.

    “kamenin” – ich bewundere die Kühle, die Rationalität Deiner Argumente. Ich folge Dir aber nicht, was eine Deiner (unausgesprochenen, will mir scheinen, aber ich habe natürlich nicht jeden Deiner Texte lesen können) Prämissen angeht. Du scheinst mir implizite davon auszugehen, dass die Naturwissenschaften (und die Physik insbesondere) einen irgendwie “privilegierten” Zugang zur “Wirklichkeit” haben, ja, dass das, was die Naturwissenschaften abbilden, eben die “wirkliche Wirklichkeit”, das “Eigentliche” die “Substanz der Welt” sei (lauter vage Worte, ich weiss…)

    Ich bestreite dieses “Privileg”, notabene ohne dabei der Beliebigkeit eines “anything goes” das Wort reden zu wollen. Die Naturwissenschaften haben Regeln, diesen Regeln ist verdammt nochmal Folge zu leisten, so man Naturwissenschaften betreiben will. Aber es gibt AUCH Regeln darüber, wann Naturwissenschaften zum Einsatz kommen sollen: wenn ich etwas über Kausalzusammenhänge und daraus ableitbare Technologien wissen will.

    Es gibt aber oft genug Fälle, in denen ich das NICHT will. Um mal den lyrischen Hammer zu schwingen: wenn ich mich an eine Interpretation der “Todesfuge” von Paul Celan mache, und mich dabei der Methoden der “Neuroästhetik” bediene, dann ist das eine ebensolche Barbarei, als wenn ich versuchte, Newtons Graviationsgesetz verschwörungstheoretisch zu interpretieren. Als Spielerei (sowas mach’ich ja selber gerne) sei’s erlaubt: als ernsthafter Versuch der “Reduktion auf” aber ist’s in beiden Fällen ein Zerstörungswerk.

    Jeder “Wirklichkeitszugang” – selbst die obskurste Esoterik – hat einen irreduziblen Kern. Geht man ihn an, reduziert man ihn mit Gewalt – so zerstört man ihn.

    Ich weiss, ich bin auf allerdünnstem Eis. Ich bestreite, in dem was ich gerade sage, dass die Welt ein irgendwie hierarchisch geordnetes System sei, in dem “unten” die Strings wabern und auf dem oben drauf, einem Fettauge gleich, des Menschen geistig Teil schwimmt. Aber ich gebe zu bedenken, dass DIESE Sicht der Welt ihrerseits der Auswahl einer bestimmten Regel – eben der der Kausalität und der Naturwissenschaften, die von ihr und nichts sonst handeln – geschuldet ist.

    Es gibt andere Weltsichten, kontradiktorisch zur obigen und dennoch in sich kohärent. Und völlig inkohärente. Und wenn ich – wie oben – sage, dass dennoch nicht “anything goes”, dass es nicht beliebig ist, dann zwingt mich diese Aussage zu der “ad hoc”-Hypothese (denn ich tu hier nix weiter, als laut denken, wie ich gerade merke), dass “die Welt” oder “die Wirklichkeit” selbst inkohärent sein könnten. Wer sagt denn, dass wir EINE Welt bewohnen? Vielleicht bewohnen wir VIELE, mit vielen verschiedenen Regeln. Der Monismus ist eine Plage, den reduktionistischen Denken entsprungen.

    Und das ist der Kern meines Unbehagens an Deiner Argumentation, “kamenin”. Du beklagst die “Wissenschaftsfremdheit”, die Tatsache, dass die Einsichten der Naturwissenschaft nicht in den Köpfen ankommen (die resultierenden Technologien sind natürlich längst in der Gesellschaft angekommen und werden fröhlich genutzt. Gut so übrigens, dazu sind Naturwissenschaften da). Du aber missionierst: Du willst, dass die Metaphysik der Naturwissenschaften in den Köpfen ankomme, dass eines dort sei, wo vieles (auch widersprüchliches) Platz hat. Das wurmt mich.

    Stephan – DOCH ein Danaergeschenk, zumindest füchte ich fast, MIR eines gemacht zu haben. Statt EINES Kosmos gleich viele zu forden, bloss um die Pluralität der Wirklichkeitszugänge zu retten — weia.

    Aber wie ich schon schrieb: ich hab’ nur laut gedacht und nicht versucht, von irgend einer Kanzel herab zu reden. Ich persönlich fänd’ viele Kosmen nett. In dem des “Nichts” hab’ ich mich ja schon herumzutreiben versucht.

  46. @ Stephan Schleim

    die eliminative Erklärung des Schmerzes, auf die ich anspielte, bestreitet schließlich die Schmerzhaftigkeit des Schmerzens, denn es sei ja nur ein Neuronenfeuern, wie ich wörtlich so auch schrieb.

    Das “nur” hatte ich zwar gelesen, aber tatsächlich anders aufgefasst: im Sinne, dass es für die Beschreibung der Abläufe keiner anderen Entitäten bedürfe, wie man von einem Blitz sagt, er sei nur Elektromagnetismus in Aktion.
    Allerdings sehe ich auch nicht, wer diese eliminative Erklärung vertritt, die uns qua Beschreibung die Sensation nehmen will, die die Beschreibung erst nötig macht. Ich habe dunkel einen ähnlich gehenden philosophischen Ansatz im Gedächtnis. Aber soweit ich das übersehen kann, ist das doch nicht die Position der Hirnforscher.

    Wenn ich behaupte, die Gravitation sei ja nur eine Gravitationskraft, wieso sollte sie dann auch nicht mehr wirken, wenn es doch gerade das Wesen einer Kraft ist, dass sie wirkt?

    Und wenn ich als Wesen oder auch nur als Merkmal des Neutronenfeuers ausmache, dass es unsere geistigen Prozesse hervorruft (oder auch nur mediiert), dann wird sich daran ja auch nichts ändern.
    Ich bin ein wenig am Schwimmen, überhaupt ein Beispiel zu finden, wo Erklärung oder Beschreibung überhaupt das Phänomen abgeräumt hat. Selbst eine zweifelsfrei nachgewiesene optische Täuschung bleibt ja erst mal solche (kann zumindest als solche auch noch erlebt werden), wenn man sie aufgelöst hat. Bestenfalls erlaubt mir die Erklärung den Versuch, sie auch anders zu betrachten und zu erleben.

    Die Dogmatik besteht nicht darin, etwas nur für einen Plazeboeffekt zu halten, sondern alternative Ansätze von vorneherein, ohne Prüfung der Daten und an einem allgemein anerkannten Standard (dem, ob es hilft) abzulehnen.

    Aber es ist doch eher so, dass alternative Ansätze sich entweder Überprüfung verweigern oder an ihr Scheitern, oder nicht? Es gibt doch eigentlich genug Interesse, sowas wissenschaftlich zu fassen zu kriegen, und die Kritik an Alternativmedizin ist doch gerade, dass sie sich dem verweigert. Für die ganz ausgefallenen Sachen gibt’s sogar Preisgelder, die man mit seinen “übernatürlichen” Fähigkeiten gewinnen könnte, wenn man sie nur endlich in kontrolliertem Rahmen zeigen könnte.

    Die Dogmatik besteht weiterhin darin, einen alternativen Ansatz abzulehnen, nur weil er einem nicht gefällt oder wenn man es “nur” für einen Plazeboeffekt hält daraus abzuleiten, die alternativen Methoden dürften nicht mehr angewandt werden, obwohl sie nachweislich wirken.

    Das ist kompliziert. Was ist denn da jetzt das “Dürfen”? Verbote gegen Homöopathen oder Bachblütenverkäufer sehe ich nicht. Ist es dann schon Dogmatik zu sagen, dass die ganze Theorie über C30-Verdünnungen dummes Zeug ist, dazu wissenschaftlich unbewiesen, nur weil es andererseits einen Plazeboeffekt zeigt? Und das ganze Gerede der Voodoomediziner über “Schulmedizin” und wie sie den Menschen “ganzheitlich” nicht helfen kann — ist das nicht viel eher Dogmatik, die selbst noch viel kritikimmunisierter vorgetragen wird, weil sie eben nicht mehr auf überprüfbaren Begriffen beruht?

    Aber eigentlich ist das ein vollkommen anderes Thema und wir müssen auch nicht die Welt in einem Kommentarteil erklären.

    Was die Massen betrifft, stützen deine Zahlen doch meinen Standpunkt

    Nun ja, als Aufhänger für den Beitrag wurde ja mein Zitat genommen, dass ich nicht so die Masse Leute sehe, die wissenschaftsgläubig an Wissenschaftlers Lippe hänge und dringend wissenschaftsphilosophische Hilfe bräuchten. Meiner Meinung nach stützt eine solche Umfrage, dass nur 16% sich “besonders” für Wissenschaft interessieren, 84% aber “gar nicht oder kaum” oder “schon, aber nicht so sehr” eher den Punkt.
    Ich habe auch den leisen Verdacht, dass wir vielleicht da sehr gepflegt aneinander vorbeireden und eigentlich was ganz anderes meinen.

    Dabei wissen wir doch spätestens seit Freud um die Kraft der Suggestion; die Mechanismen hingegen haben wir noch nicht erkannt.

    Tatsächlich kenne ich auch nur plausibel klingende Erklärungsansätze, aber sicher noch keine stringente medizinische Theorie. Ich würde auch gern ein abschließendes Verständnis über die genauen Mechanismen beim Plazeboeffekt kennen, aber: a) macht das die alternativ-wissenschaftlichen “Just So”-Geschichten, warum Fledermauskot bei Blasenschwäche hilft, keinen Deut besser; b) ändert das ja nichts daran, dass man den Effekt wissenschaftlich durchaus untersucht hat, auch was die Auswirkungen von Aufwand und zum Beispiel Hochpreisigkeit von Medikamenten anbelangt; und c) ist medizinische Erkenntnis nun mal nicht so einfach zu erlangen, wie man es ansonsten im Labor probieren könnte, insbesondere, wenn es noch um einen geistig-körperlichen Mechanismus geht. Da findet man beim Rumstochern im Nebel halt auch mal ganz undeduktiv Potenzmittel, wenn man Konzentrationsstärker sucht.

    Ob der Plazeboeffekt jetzt ein so revolutionäres Potenzial hat, weiß ich nicht. Es ist ja nicht so, als zeigte Medizin den Placeboeefekt nicht oder al hätte man ihn nicht gerade da gefunden. Psychosomatik ist auch nicht so unbekannt, selbst wenn man nicht alle Mechanismen bis jetzt zweifelsfrei nachvollziehen kann. Dass über Gehirn vermittelte Prozesse z.B. blutdruckerhöhend wirken können, beweist doch auch das ein oder andere Wissenschaftsblog 😉 Warum sollte es dann nicht auch einen “Gemütszustand” geben (ich weiß, eine gewagte Gleichsetzung), der Heilung förderlicher ist als ein anderer und darum mit erhöhtem Funktionieren einer Therapie einhergeht, unabhängig, ob das jetzt Wasser ist oder ein Medikament?

    Aber in Anwesenheit Helmut Wichts möchte ich lieber nicht zu lang über Medizin philosophieren. Und wir schweifen hier ja auch schon ganz beliebig ab.

    Beste Grüße,
    k.

  47. W(olf)eichei(lei)? polypersöhnlich

    Hallo,
    von Philosphie als konkrete Wissenschaft halte ich mich mal fern. Den hingegen der Mathematik, ist die Grundlage zwars profund, aber nicht so eindeutig, wie in der Mathematik (Bewiesen ist bewiesen, auch wenn sie mir jetzt wahrscheinlich ein Tool der Philosophie nennen könnten, welches, in der Qualität, an den Beweis heranreicht.)
    Auf jeden Fall gibt es in dem Bereich einige sehr fähige und argumentativ gut bewaffnete Mitmenschen, dennen ich nicht gewachsen wäre (Der Zug ist abgefahren.)

    Ich halte mir aber zu gute das meiste hier zu verstehen und schon in Bereichen theoretisiert zu haben, in dennen die Luft schon ziemlich dünn ist.

    Aber das Wichtigste für mich ist, es macht mir einfach einen Höllenspass.

    Eigentlich höre ich in meiner Freizeit so gut wie nur noch Podcasts (WDR/DLF) und Musik. Unser Hund ist der eindeutige Profiteur dieser Leidenschaft.
    Den Rest nimmt sich dann der Pc, mit unter anderem dem Luxus Brainlogs und Wartung.
    Fernsehen nur noch mit den Füßen meiner Frau.

    Gruß Uwe Kauffmann

  48. Wozu Geisteswissenschaft

    In einem Interview sagte Wolfgang Wahlster, CEO des DFKI (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz) und Professor für Informatik an der Universität des Saarlandes kürzlich:

    “Wir sehen bereits, dass wir für das semantische Web Geisteswissenschaftler brauchen, die Begriffssysteme erstellen und Wissen gut organisieren können. Für Spezialisten wie diese eröffnet das Web 3.0 neue Berufsfelder.”

  49. @ Helmut Wicht

    Du scheinst mir implizite davon auszugehen, dass die Naturwissenschaften (und die Physik insbesondere) einen irgendwie “privilegierten” Zugang zur “Wirklichkeit” haben, ja, dass das, was die Naturwissenschaften abbilden, eben die “wirkliche Wirklichkeit”, das “Eigentliche” die “Substanz der Welt” sei

    Ich versuche es mal, aus meiner Sicht darzustellen, als deklamierte Gegenposition.
    Die Physik hat keinen privilegierten Zugang zur “wirklichen Wirklichkeit”, eher im Gegenteil. Über letztendliche Wirklichkeit und “Substanz der Welt” kann sie so gar nichts aussagen, weil da metaphysische Ansprüche drinstecken, die ihr nicht offen stehen.
    Aber, jetzt kommt die Wende, gleichzeitig hat Naturwissenschaft im ganz normalen Chaos, das allen offen steht, einen Weg, Muster zu modellieren und diese zu überprüfen. Und das eben nicht nur mal oder annäherungsweise, sondern inzwischen auf einem Stand, der eigentlich auch ganz nüchtern betrachtet doch zumindest sehr, sehr beeindruckend ist. Das reduziert sich nicht darauf, dass das Auto angeht, wenn man den Zündschlüssel in die richtige Richtung dreht (Technik ist nämlich gerade nicht Sinn der Wissenschaft, jedenfalls nicht der erste), sondern bezieht sich auf eine eigentlich kaum noch nachvollziehbare Genauigkeit an Vorhersagbarkeit soweit jenseits unserer Alltagserfahrung, die ich nur sehr schwer mit der Vorstellung übereinbringen könnte, Wissenschaft würde gar nichts über die “Wirklichkeit” aussagen.

    Vielleicht ist es nicht die elementarste Wirklichkeit oder die letzte, vielleicht ist auch morgen alles vorbei mit wissenschaftlicher Ordnung, aber für den Moment scheint zumindest eine sehr wichtige Ebene der Wirklichkeit auf irgendeine Art und Weise eben doch der mathematisch-naturwissenschaftlichen Beschreibung zugänglich zu sein.

    Dass letzte Wirklichkeit der Wissenschaft nicht unbedingt offen steht, sehe ich auch nicht so als Manko — vielleicht ist letzte Wirklichkeit für uns als Menschen ganz unbedeutend, mal so als Gedanke. Und vor allem glaube ich nicht, dass andere Anschauung besser über “Wirklichkeit” etwas aussagen können (von daher ist Michael Walds Hinweis auf den Konstruktivismus schon passend). Im Grunde startet Wissenschaft ja mit derselben Anschauung, auch wenn sie die dann runterbrechen muss.

    Vielleicht ist unser geistiges Empfinden ja tatsächlich in sich “wirklicher”, was man aus rein wissenschaftlicher Position nicht widerlegen kann. Ich halt’s nur nicht für so plausibel, z.B. aus physikalischer, aber auch von der Evolutionsgeschichte her. Wenn es auf eine Art reduktiv fassbar ist, die unser Denken auch nur als genauso natürlich ablaufend erscheinen lässt wie das Aufklatschen eines Apfels nach dem Fall, dann wäre das wohl so. Im ersten Moment auch sicher keine schöne Erkenntnis für unser Selbstbild, aber für mich auch nicht so dramatisch, wie Du es vielleicht empfindest. Vielleicht wäre es sogar eher demutsfördernd und würde uns wieder mehr in die Natur stellen, über die wir uns gerne erheben.

    wenn ich mich an eine Interpretation der “Todesfuge” von Paul Celan mache, und mich dabei der Methoden der “Neuroästhetik” bediene, dann ist das eine ebensolche Barbarei,

    Einerseits teile ich das. Auch wenn ich mir das intellektuell vielleicht sogar als befriedigende Beschäftigung vorstellen kann (was letztlich auch nur ein ästhetisches Argument ist). Andererseits fühle ich mich in meinem Innenleben nicht so sehr davon bedroht, dass man das Phänomen vielleicht vollständig reduktiv behandeln könnte. Vielleicht bedarf es mehr Selbstbewusstsein, angesichts einer “Automaten”-Theorie des Menschen sein Selbstbild zu verteidigen. Gut so, dass führt uns vielleicht zu einer Reflexion, was Menschsein und Menschlichkeit für uns ausmacht. Wenn ich ein Automat wäre, der Gedichte genießen kann, Babys beschützen will und sich verliebt, dann sei’s drum; dann bin ich das doch mit voller Überzeugung und werde mit derselben Überzeugung eine humanistische Ethik gegen die verteidigen, die meinen, mit uns Menschenautomaten dürfe man deshalb wie mit Blech umspringen.

    Italien wäre vermutlich noch bewaldet, wenn sich verschmähte Liebe rational hinwegerklären ließe. Ich bin guten Mutes, dass selbst Wissenschaft das nicht schafft.

    (Interessanter wäre noch, was passiert, wenn wir uns die Neuroästhetik plötzlich Celan überlegene Stücke in die Welt setzen würde und wo da die Grenze zur Neuromanipulation wäre; aber das sind dann endgültig politische Fragen, die mit der Suche nach der Wahrheit für mich wenig zu tun hat.)

    als ernsthafter Versuch der “Reduktion auf” aber ist’s in beiden Fällen ein Zerstörungswerk.

    Wir kämpfen im Grunde ja an derselben Front. Nur für mich verläuft die Verteidigungslinie irgendwo zwischen “das könnte halbwegs sichere Kenntnis über die Welt zu sein” und “das bin ich und lasse mir das durch eine Erklärung meiner selbst doch nicht nehmen”. Mein Eindruck ist, dass Du gerne weiter vorne eine Linie ziehen würdest. Ich bin mir nicht sicher, ob die verteidigbar ist, aber vielleicht treffen wir uns auf dem ein oder anderen Weg doch noch mal im selben Graben wieder.

    Auswahl einer bestimmten Regel – eben der der Kausalität und der Naturwissenschaften, die von ihr und nichts sonst handeln

    Ich habe eben ein Problem damit, die Grenzen dieser Regel zu finden. Warum gilt hier Kausalität, ganz reproduzierbar und prognostizierbar? An welchem Punkt ist Schluss damit, wenn doch alles natürlich erwachsen scheint?
    Vielleicht ist ja irgendwo Schluss, aber bis jetzt sehe ich noch nicht geklärt, ob das Gegenteil von “naturwissenschaftliche Objekte und nichts sonst” ein existierendes Objekt beinhaltet.

    Du beklagst die “Wissenschaftsfremdheit”, die Tatsache, dass die Einsichten der Naturwissenschaft nicht in den Köpfen ankommen

    Weil ich eben glaube, dass es der Menschheit nicht zum schlechtesten geraten würde, wenn sie sich mal vor Augen führt, wo der Mensch in der Natur steht. Irgendwo auf einem kleinen Schmutzball, der uns doch am Leben erhält, ganz am Rande des Randes allen Seins; phylo- und ontogenetisch irgendwo zwischen Tier und Tod. Und am absurdesten ist, dass das mit Abstand das Beste ist, was uns passieren konnte. Wenn wir uns wenigstens einigen könnte, welche Probleme wir rational angehen wollen und wo wir uns bewusst an Nichtrationalem erfreuen. Stattdessen schlagen wir uns darüber, was unsere imaginären Götter wohl von uns erwarten und lehnen rationale (also zielführende) Untersuchungsmethoden ab, wenn uns eine geeignete Esoterikerin nur das passende Wunder verspricht.

    Du aber missionierst: Du willst, dass die Metaphysik der Naturwissenschaften in den Köpfen ankomme, dass eines dort sei, wo vieles (auch widersprüchliches) Platz hat.

    Auch wenn wir sonst ganz widersprüchliche Dinge vertreten, in der Überzeugung von unseren Ansichten und einem gewissen Vebreitungsdrang diesen gegenüber treffen wir uns doch wohl.
    Ich will aber auch keine Zwangsbekehrungen zum Naturalismus. Mir reicht es, wenn wir uns in eine Lage begeben, wo wir noch die Möglichkeit zu sagen hätten: das ist ein Problem, dass wir rein rational lösen sollten. Und dazu gehört für mich auch die Erklärung der Natur und des Menschen, weil wir daraus Erkenntnis gewinnen können, wenn wir denn ein Problem ausmachen. Aber natürlich dient es vor allem dazu, in dem so geschaffenen Freiraum Mensch sein zu können, was nach anderen als rationalen Kriterien funktioniert. Auch bei Physikern übrigens nicht.

    Ich sag mal, wenn ich malariakranker Tropenbewohner wäre, dann sähe ich meine Probleme vielleicht nicht darin, ob der Naturalismus eine befriedigende philosophische Position wäre oder gar zu dogmatisch daherkäme. Wahrscheinlich würde ich mich aber ärgern, dass anstatt Gelder in die medizinische Forschung zu stecken, hierzulande Kranke und Krankenkassen inzwischen Placebologen fördern. Die Homöopathentante kommt nämlich nicht zu mir in den Sumpf, und ob ihre per Post versendeten Wasserfläschchen auch noch wirken ohne das Tamtam drumherum, wird dann an mir als Testobjekt ausprobiert. Oder eben auch nicht, weil eh keiner so wirklich dran glaubt.

    Darum ja, es gibt auch durchaus einen Reichtum, der durch die Vielfalt an widersprüchlichen Ansichten in den Köpfen entsteht. Aber der ist auch Luxus. Und den können wir uns am besten leisten, wenn wir unsere Widersprüche nicht in die Wissenschaft tragen und auch dafür werben, Wissenschaft als Erkenntnismittel ernst zu nehmen.
    Wenn die Kausalität irgendwo zusammenbricht, ist der Naturalist genauso machtlos wie der Ästhetiker im gegenteiligen Fall einer vollständigen Erklärbarkeit alles Psychischen. Welche Schlüsse wir dann daraus ziehen auf unser Menschenbild ist ein ganz anderes Problem. Und daraus politische Schlüsse zu ziehen, vielleicht noch heute, sollte allerdings skeptischst beobachtet werden.

    Und wenn das Ganze Geschwafel und der rant sonst nichts gezeigt hat, dann hoffentlich, warum mir der ästhetische Ansatz so sehr nicht liegt. Obwohl das vermutlich für nicht alle eine neue Erkenntnis wäre.

    Beste Grüße,
    k.

    ps. Schreibst Du eigentlich auch “Mark Twain”, wenn Du über Mark Twain schreibst? 😉 Ist auch egal, aber wenn Du das Pseudonym nicht magst, geht auch der Realname. “kamenin” brennt irgendwie in meinen Pupillen.

  50. @ kamenin (ohne Gänsefüsse!)

    Ich danke Dir für die Antwort und die Freundlichkeit, mir der Du NICHT in all die Breitseiten schossest, die ich Dir bot. Ich bin ein verwundetes, sinkendes Schiff, aber genau darin mag die Wahrheit liegen, von der _ich_ künden will.

    Ich muss, über das was Du schriebst, nachdenken. Ich sinke lamgsam…

    Das “kamenin” war reine Fiesigkeit. Es SOLLTE schmerzen – so wie mich es schmerzte, meine Zeit damit zu verplempern, herauszufinden, dass der “Keßen”, von dem Stephan redete, mit “kamenin” identisch ist. Ich komme aus dem Usenet, und zwar aus einer Ecke, in der darauf bestanden wird, dass man sein Visier unten habe. Die Welt ist verwirrend genug. Pseudonyme machen mich dann vollständig kirre.

  51. @ kamenin

    So, nachdem in wie ein leckendes Schiff hinab in Thanatos’ Arme gesunken bin, der sich, als ich heut’ morgen erwachte, als Morpheus entpuppte, will ich auf den Wogen des Disputes weitersegeln.

    Vorhersagekraft und Akkuratesse der Naturwissenschaften:

    Aber ja! Deshalb bringt man sie ja zur Anwendung, deshalb ist sie ja in “Techne” verwandelbar, die einer ihrer Zwecke ist. Vollständige Einigkeit.

    Nur: inwiefern ist “Vorhersagbarkeit” ein Siegel von “Wirklichkeit” und damit ein Gütesiegel einer Beschreibungsform des Wirklichen? Zum einen gibt es weite Felder, die auch der Naturwissenschaftler für “wirklich” hält (die Systeme des deterministischen Chaos – das Hirn sei eines, sagen manche, der ganze Kosmos sei eines, sagen andere), die notorisch unvorhersagbar sind. Zum anderen: wenn ich morgen plötzlich an einer “idiopathischen Erkankung”(unvorhersagbar, mit unbekannter Ursache) erkranken sollte: ist’s dann weniger “wirklich”? Post faktum wird der Naturwissenschaftler/Arzt sagen: “es MUSS aber eine Ursache geben”. Ja, freilich, er wird sie vielleicht sogar finden. Das Faktum des spontanen Auftretens der Wirklichkeit der Krankheit bleibt aber. Prädikabilität, will ich sagen, ist EIN Merkmal von “Wirklichkeit”, aber nicht ihr zentrales. Fast bin ich geneigt, genau andersherum zu argumentieren und die “Sponteneität des Wirklichen” in den Vordergrund zu stellen – aber das ist eine ganz andere, neue Baugrube (-> Freiheit usw.), die wir jetzt lieber nicht aufbaggern sollten.

    Celan/Neuroästhetik/Computerlyrik/l’homme machine:

    Auf den ästhetischen “Turing-Test” bin ich gespannt. Ich hab’ selber mal nette Dada-Gedichte, die ziemlich echt wirkten, mit einem simplen Basic-Programm gebastelt. SEHR spassig.
    Wir sind uns an dieser Stelle, will mir scheinen, eigentlich AUCH einig, wenn auch auf der Basis ganz unterschiedlicher Prämissen: ich bestreite die Reduzibilität, bestehe darauf, dass die ästhetischen Phänomene “sui generis” seien. Wurscht, solange wir uns darüber einig sind, dass sie sich nicht in der Reduktion erschöpfen, dass der Mensch, selbst wenn er – in Deiner Sicht – ein “l’homme machine” sein sollte, nicht wie eine Maschine behandelt werden darf.

    Den folgenden Satz muss ich jetzt verbatim zitieren, weil er so schön ist:

    “Weil ich eben glaube, dass es der Menschheit nicht zum schlechtesten geraten würde, wenn sie sich mal vor Augen führt, wo der Mensch in der Natur steht. Irgendwo auf einem kleinen Schmutzball, der uns doch am Leben erhält, ganz am Rande des Randes allen Seins; phylo- und ontogenetisch irgendwo zwischen Tier und Tod.”

    Denn an dieser Stelle, so fürchte ich, liegt der eigentliche Dissens. Dein Satz (eine Paraphrase der berühmten Klagen von Pascal, Schopenhauer und Monod)ist schlicht richtig, wahr und wirklich. Wahr in dem Sinne, dass das das ist, was die Naturwissenschaften den Menschen metaphysisch lehren. Er ist aber UNwahr in dem Sinne, dass er nur die Hälfte, besser: nur ein Bruchteil der Wahrheit über den Menschen ausspricht. Es ist eben nur das, was sich aus naturalistischer Sicht über ihn sagen lässt. Er ist aber ZUGLEICH die Mitte des Kosmos: denn ihn ihm kommt der Kosmos zu Bewusstsein, ohne ihn WÜSSTE der Kosmos nichts von sich selbst.

    (Jetzt müsste ich eigentlich noch alle möglichen anderen Argumente bringen, die mit dem “Nichts”, der ästhetischen Weltsicht, der Indolenz der Massen gegenüber JEDER Art von Metaphysik usw. zu tun haben, um zu zeigen, dass der Mensch JEDE MÖGLICHE Position innerhalb [vielleicht sogar ausserhalb: “Nichts”] des Kosmos einnehmen kann. Ich lass’ es aber bleiben, damit’s nicht zu lang wird, und schliesse lieber mit einem Malmot:)

    Der Mensch ist die Krone der Schöpfung und ihr Abtritt.

  52. @ Wald

    “Ja, wie jetzt, Schöpfung oder Evolution?”

    Nageln Sie mal einen Pudding an die Wand.

    Wenn ich als Biologe rede, werde ich von der Evolution reden. Wenn ich als Geschöpf rede, werde ich von Schöpfung reden. Wenn ich als Schöpfer rede, werde ich von meinen Werken reden. Und wenn ich versuche, kreativ zu sein, dann werde ich alle Formen der Rede durcheinander werfen, in der Hoffnung, dass dann etwas Neues entsteht.

    Pudding? Proteus?

    Nö.

    Nur halt kein Monist. Zumindest kein materialistischer.

  53. @ Martin Huhn

    Danke. Das passt wirklich!

    Die Position von Prof. Hogrebe gefällt mir.
    Seine Diktion weniger.
    Geht es Dir auch so, dass der phänomenologische Ansatz einem im Prinzip und intuitiv ganz nahe ist, dann aber durch die Sprache, in der er vermittelt wird, zu einem sperrigen “Gestell” wird?

    Ich les’ gerade Sarte, “Das Sein und das Nichts” Und oft genug sag’ ich mir: mein Gott, um wievieles KLARER könnet man die Sache sagen, wenn man nur versuchte, sie SCHÖNER zu sagen.

    Naja.

    Was man sich halt so denkt, als Laie.

  54. @ Helmut

    So lange du es aus guten Gründen tust, sei es mir recht, ob du meine Meinung stützt oder ihr widersprichst.

    Das ist eine Frage, die ich mir auch stelle, wie diese verschiedenen Beschreibungsebenen zusammenhängen und auch gerade eine, die für die Philosophie des Geistes eine große Rolle spielt.

    Tatsächlich haben im 20. Jh. Chemiker und Wissenschaftsphilosophen wie Paul Oppenheim über das Projekt der Mikroreduktion nachgedacht und dabei die älteren Überlegungen zur Emergenz in ein etwas naturalistischeres Gefüge übertragen; die Idee einer Einheitswissenschaft sehe ich angesichts der immer feineren Ausdifferenzierung der Disziplinen aber gerade nicht in greifbare Nähe gebracht.

    Selbst innerhalb der Physik erweisen sich Reduktionen doch schon als problematisch; was ist denn nun realer, die Temperatur oder mittlere kinetische Energie? Man bedenke, erstere lässt sich auf letztere wohl nur in idealen Gasen reduzieren.

    Wieso man deshalb einem Konstruktivismus anhängen muss, Herr Wald, sehe ich allerdings nicht.

  55. @ Kamenin: Willensfreiheit, Plazebo usw.

    Es ist ein Unterschied, ob ich sage, dass Hirnprozesse mentale hervorrufen (ein beliebter Begriff in der Philosophie ist derjenige der Realisierung), oder ob Hirnprozesse mentale sind (eine leicht zurückzuweisende Identitätsbehauptung). Zumindest implizit scheinen einige Hirnforscher von letzterer auszugehen.

    Den Kernpunkt, die Sache mit der Willensfreiheit, lässt du ja schön beiseite; hier gibt es doch das konkrete Beispiel, dass Hirnforscher die Vorstellung nur auf ein bloßes Erleben derselben reduzieren (es “Illusion” nennen). Schließlich haben auch Naturwissenschaftler schon einen Epiphänomenalismus vertreten, der die kausale Kraft des Mentalen schlechthin ablehnt. Das sind starke ontologische Thesen, die aus (oft in diesem Kontext zweifelhaften) Experimenten abgeleitet werden; ich verstehe nicht, warum du dich persistent weigerst zuzugeben, dass Wissenschaftsphilosophen hier einen wichtigen Beitrag liefern. Es reicht doch schon, wenn ich als WP sage, dass ein “spontaner Drang” keine relevante Willensentscheidung sein kann, und das Experiment ist für die Diskussion vom Tisch; quod erat demonstrandum.

    An den Zahlen hast du ja ganz schön gedreht; meine Frage ist diejenige, ob Wissenschaft relevant ist und wenn ja, für wie viele. Für 18% scheint die Frage ja ganz eindeutig in meinem Sinne beantwortet zu sein; die 40%, die “nein” antworten, die schenke ich dir. Wieso du aber die Leute dazwischen, die vielleicht “teils/teils” antworten, zu deiner Position zählst, das ist mir ein großes Rätsel. Ich wiederhole außerdem zum xten Mal, dass es mir nie um Mehrheiten ging, sondern um relevante Gruppen. Du hast ganz allein von wissenschaftsgläubigen Mehrheiten gesprochen, nicht ich; und 18% ist mehr Relevanz, als ich mir wünschen muss (siehe die “Handvoll” in meinem Blogbeitrag oben).

    Plazeboeffekt hin oder her — es bleibt dabei, dass es ein messbarer Effekt ist, den die Wissenschaft (noch) nicht erklären kann; es ist Spekulation, ob sie es jemals können wird. So lange es keine Erklärung dafür gibt, ist es Dogmatik, etwas als nur einen Plazeboeffekt abzutun, weil man dann vernachlässigt, dass man (wissenschaftlihc) gar nicht weiß, wovon man überhaupt spricht.

    Wenn sich alternative Ansätze dagegen immunisieren wollen, ihre Ergebnisse an dem pragmatischen Kriterium überprüfen zu lassen, das ich hier vorgeschlagen habe, dann ist das natürlich abzulehnen. Wie viele das so sehen und aus welchen Gründen, dazu sind mir keine Fakten bekannt. Gegenteiliges habe ich hier nie behauptet.

  56. @ Wicht

    Ja, Helmut, ich wollte Dir etwas Gutes tun. 🙂

    Ich bin nicht so der Sprachästhet, deshalb halte ich mich da lieber raus.
    Das Problem ist oft, daß das alles nichts greifbar ist. Bei den emirischen Wissenschaften ist alles klarer und präziser. Von daher liegt es schon nahe dies zum allein seligmachendem Prinzip zu erklären. Aber es gibt nunmal so viele Angelegenheiten, da habe ich nicht viel von der Naturwissenschaft. Wenn ich heiraten möchte und ich in Erfahrung bringen will, ob diese Frau die richtige ist und ob ich der richtige Mann für sie bin, dann kann ich da nicht großartig experimentieren. Ich kann auch keine Differenzialgleichungen bemühen, um den Erfolg/Mißerfolg vorauszuberechnen (bei turbulenten Strömungen oder ähnlichem bringt die Rechnerei auch nicht viel). Dennoch ist so eine Frage eine sehr wichtige für mich und mein Leben.

    Aber etwas greifbareres gibt es meines Erachtens schon. Beispiel Nahtodeserfahrungen. Damit meine ich jedoch nicht, diese außerkörperlichen Wahrnehmungen, die Röhre, das schöne Gefühl usw. Das könnte man ja alles mit einem Verschieben der Neurotransmitterverhältnisse erklären, wenn der Körper am Rande des Todes nicht mehr richtig funtkioniert. Etwas anders macht mich stutzig und zwar die Erfahung von Alois Serwaty. Der war bei seiner Operation außerhalb seines Körpers, konnte beobachten was geschah und die Nummer eines medizinischen Typenschildes erkennen, welches er aber liegend vom Operationstisch gar nicht lesen konnte. Diese Nummer hat er sich gemerkt und sie war korrekt. Genaueres kann man auf der verlinkten Seite nachlesen. Der entscheidende Absatz ist etwas weiter unten um das ägyptische Bild herum.
    Wie soll das gehen? Hat das Schild vor der Operation nicht gesehen, kann währenddessen nicht drauf sehen und nachher kann er es beschreiben.

    Und dann habe ich noch einen anderen Ansatz, warum mit Masse und Energie nicht alles erklärt ist, aber das ist ziemlich halbgares Zeug von mir. 😉

  57. @ Martin: Deidesheimer Wein

    Hast du dich etwa nicht für den Newsletter des Weinguts Reichsrat von Bühl angemeldet? Dann weißt du ja gar nicht, dass die neuen “Großen Gewächse” da sind;

    schade nur, dass sie für mein Portemonnaie zu groß sind. 🙂

  58. Wein

    Nein, ich habe mich nicht für den Newsletter angemeldet. Bei der Weinprobe hat er mir doch sehr zugesagt, aber als ich die Preisliste sah, da ist mein Portemonaie auch zu klein für. Warum soll ich Bedürfnisse wecken, die nicht befriedigt werden können? 😉

  59. Martin: Wein

    Für den kleinen Geldbeutel war doch auch etwas dabei; sonst hätte ich keine Sechserkiste mit 300 km/h gen Bonn befördern können. 🙂

  60. @ Kamenin: Philosophie vs Dogmatik

    Philosophy, though unable to tell us with certainty what is the true answer to the doubts which it raises, is able to suggest many possibilities which enlarge our thoughts and free them from the tyranny of custom. Thus, while diminishing our feeling of certainty as to what things are, it greatly increases our knowledge as to what they may be; it removes the somewhat arrogant dogmatism of those who have never traveled into the region of liberating doubt, and it keeps alive our sense of wonder by showing familiar things in an unfamiliar aspect.

    Russell, B. “The value of philosophy”

  61. @ Stephan Schleim

    Es ist ein Unterschied, ob ich sage, dass Hirnprozesse mentale hervorrufen (ein beliebter Begriff in der Philosophie ist derjenige der Realisierung), oder ob Hirnprozesse mentale sind (eine leicht zurückzuweisende Identitätsbehauptung).

    Ist das nicht, neben aller sprachlichen Schwierigkeiten, vor denen wir da stehen, gerade die zu untersuchende Frage? Aber selbst wenn Hirnprozesse epiphänomenal mentale sind, verschwindet doch das Epiphänomen dadurch nicht; ich sehe da keinen ernsthaft eliminativen Ansatz.

    Den Kernpunkt, die Sache mit der Willensfreiheit, lässt du ja schön beiseite; hier gibt es doch das konkrete Beispiel, dass Hirnforscher die Vorstellung nur auf ein bloßes Erleben derselben reduzieren (es “Illusion” nennen).

    Was das Erleben aber nicht in Frage stellt. Bewusstseinsinhalte können sich doch wohl als falsch (= ohne Pendant in der Realität) herausstellen, und Modelle, selbst wenn sie sich auf uns selbst beziehen und wir dieses Modell erleben, doch ebenso.

    Schließlich haben auch Naturwissenschaftler schon einen Epiphänomenalismus vertreten, der die kausale Kraft des Mentalen schlechthin ablehnt. Das sind starke ontologische Thesen, die aus (oft in diesem Kontext zweifelhaften) Experimenten abgeleitet werden;

    Ich kenne so jetzt kein Experiment, was sich zwingend um die Frage von Bestätigung oder Widerlegung von Epiphänomenalismus gedreht hat.
    Meiner Meinung nach gibt es ziemlich starke Gründe, die Epiphänomenalismus plausibel machen, gleichzeitig ziemlich große Probleme damit. Uns fehlt einfach die schlüssige Idee für eine Theorie des Geistes und den Zusammenhang zur Materie. Solange ist Epiphänomenalismus einfach nur eine philosophische Hypothese (aber auch nicht schäbiger als andere, nur weil Naturwissenschaftler sie vielleicht bevorzugen).

    ich verstehe nicht, warum du dich persistent weigerst zuzugeben, dass Wissenschaftsphilosophen hier einen wichtigen Beitrag liefern.

    Ach, das habe ich doch gar nicht. Warum sollte ich Wissenschaftsphilosophen nicht zugestehen, an der philosophischen Debatte teilzunehmen und Ideen und Deutungen zu entwickeln?

    Ich wiederhole außerdem zum xten Mal, dass es mir nie um Mehrheiten ging, sondern um relevante Gruppen.

    Wie gesagt, ich glaube wir reden aneinander vorbei. Ich habe ja meinerseits nie bestritten, dass es eine relevante Zielgruppe für WP gibt. Das steht doch auch weder in meinem Artikel, noch in dem Zitat von mir, das Du oben als Aufhänger benutzt hast.
    Nur hast Du bei Telepolis in einem weitgehend wissenschaftskritisch Artikel angedacht, dass doch Wissenschaftsphilosophen eine Vermittlerrolle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft bekommen sollten. Da ist es nicht unerlaubt zu fragen, ob die Gesellschaft als dringendstes philosophische Wissenschaftskritik benötigt oder ob wir gesellschaftlich nicht ganz andere Probleme in der Vermittlung von Wissenschaft haben.

    So lange es keine Erklärung dafür gibt, ist es Dogmatik, etwas als nur einen Plazeboeffekt abzutun, weil man dann vernachlässigt, dass man (wissenschaftlihc) gar nicht weiß, wovon man überhaupt spricht.

    Der Plazeboeffekt ist messbar. Solange eine Alternativmedizin nicht nachweisen kann, dass sie besser als Wasser oder Zucker heilt, gibt es keinen Anlass, es anders zu nennen als Plazeboeffekt. Das heißt nichts anderes, als das das Präparat wirkneutral ist (und die ganze Theorie dahinter, warum ausgerechnet das helfen soll und es gerade dieses Präparat sein muss, Stuss ist).

    Das hat gar nichts damit zu tun, ob ich den Effekt dazu noch vollständig erklären kann. Das kann ich heute mit der Gravitation ja auch nicht. Aber messen und feststellen kann man sie sehr gut.

  62. @ Kamenin: 2 kleine Fragen

    Du schriebst:

    “Aber natürlich dient es vor allem dazu, in dem so geschaffenen Freiraum Mensch sein zu können, was nach anderen als rationalen Kriterien funktioniert. Auch bei Physikern übrigens nicht.”

    Warum funktioniert das bei Physikern nicht? Oder hat sich hier Freud mit Wicht verbündet, uns Seelenauskünfte zu entlocken? 😉

    Aber, ganz ernsthaft, die zweite Frage. Wie Du weißt, teile ich das Anliegen einer naturalistischen Erklärung “mysteriöser” Phänomene ganz ausdrücklich. Aber unsere Wege scheinen sich, gerade auch in der Diskussion um Deiner Kritik an @Stephan, hier zu trennen, wenn Du schreibst:

    “Dass letzte Wirklichkeit der Wissenschaft nicht unbedingt offen steht, sehe ich auch nicht so als Manko — vielleicht ist letzte Wirklichkeit für uns als Menschen ganz unbedeutend, mal so als Gedanke. Und vor allem glaube ich nicht, dass andere Anschauung besser über “Wirklichkeit” etwas aussagen können (von daher ist Michael Walds Hinweis auf den Konstruktivismus schon passend).”

    Denn hier wäre meine Frage an Dich: Was ist “besser”? Ob etwas (ein Heilverfahren, eine Glaubensüberzeugung etc.) “vielleicht (!)… für uns als Menschen ganz unbedeutend” ist, würde ich (und wohl viele hier) empirisch daran orientieren, wie es sich auf das Leben auswirkt. Inwiefern kann hier naturalistisch orientierte Wissenschaft “besseres” aussagen als das natürliche Leben in all seiner Fülle und Vielfalt selbst?

  63. @ Kamenin

    Zur Replik auf Stephan nur eine kleine Ergänzung. Du schriebst:

    Nur hast Du bei Telepolis in einem weitgehend wissenschaftskritisch Artikel angedacht, dass doch Wissenschaftsphilosophen eine Vermittlerrolle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft bekommen sollten. Da ist es nicht unerlaubt zu fragen, ob die Gesellschaft als dringendstes philosophische Wissenschaftskritik benötigt oder ob wir gesellschaftlich nicht ganz andere Probleme in der Vermittlung von Wissenschaft haben.

    Zum einen bin ich schon der Auffassung, dass gerade auch der interessierte Teil der Gesellschaft Reflektion darüber braucht, wo Wissenschaftler in ihren Erklärungs- und Geltungsansprüchen ggf. überziehen – abschreckende Beispiele gab und gibt es genug (z.B. Eugenik). (Und wenn der wissenschaftsphilosophische Einspruch generell so irrelevant wäre, würde es doch nicht eine ganze Batterie von Beiträgen von Dir auslösen, oder?
    😉 )

    Vor allem aber sehe ich die Dichotomie Wissenschaft – Gesellschaft nicht. Wenn wir über Phyik diskutieren, bin ich Dir gegenüber schlicht Laie – bei Religionen dürfte es anders herum sein. Das Klären von Erkenntnissen und Begriffen ist damit nicht nur eine Aufgabe zu nichtakademischen Laien, sondern auch zu Vertretern je anderer Disziplinen, damit “Wissenschaft” nicht in tausend Spezialdiskurse zerfällt. Auch wenn wir hier z.B. über Naturalismus, Monismus, Reduktionismus etc. diskutieren – so sind dies doch nicht Begriffsprägungen der Physik, sondern der Philosophie.

  64. @ Stephan Schleim: Russell

    Das Russell-Zitat hat mich eigentlich gefreut, weil ich vor kurzem etwas ganz ähnliches geschrieben habe. Allerdings schwingt ein wenig mit, dass Du meine Position eher falsch einschätzt. Bei aller harten (und nötigen) Kritik an einzelnen Positionen bin ich kein Misosophist. Oder so ähnlich.

    Jedenfalls hatte ich am 19.06. schon im Kommentarteil zum dritten Teil geschrieben:

    “Gleichzeitig ist es nicht grundsätzlich schädlich, einen spekulativeren, theoretischeren Zugang zur Welt zu haben, der nicht so eng an das Messbare gebunden ist. Das kann direkt positive Auswirkungen auf die Wissenschaft haben. Ich denke z.B., dass der eh schon komplizierte Übergang zwischen Newton und RT eher noch schwieriger abgelaufen wäre, wenn nicht in der Philosophie schon weit früher über die Kategorien Raum und Zeit reflektiert worden wäre.
    Insofern kann das Philosophieren über die mögliche Natur der Welt durchaus fruchtbar sein, wenn es auch schließlich an der Wissenschaft liegt, darzulegen, welche dieser Möglichkeiten in der Welt realisiert ist — und für manche Fragen sind wissenschaftliche Antworten eben noch sehr vorläufig oder auch nur spekulativ.”

    Das sieht für mich sehr ähnlich aus wie Russells Aussagen.

  65. Philosophie

    “Liebe zur Weisheit” übersetzt wenn ich mich nicht irre.

    Langsam höre ich hier in Zwischentönen heraus, Philosophie sei ein netter Zeitvertreib aber keine Wissenschaft.

    Was hab ich verpasst?

    Oder ist das “Umgangssprachlich” gemeint?
    Kann ja auch sein ;-).

    Herr Ober, ein Bier bitte noch…

  66. @ Michael Blume

    Oder hat sich hier Freud mit Wicht verbündet, uns Seelenauskünfte zu entlocken? 😉

    Eher die typische syntaktische Falltür. Wenn man einen Gedanken im einen Satz umformuliert, stimmen plötzlich die Bezüge nicht mehr. Macht mich auch beim Programmieren manchmal wahnsinnig. Die Frage über Freud, Wicht und mich müsste ich erst meinem Therapeuten vorlegen 😉

    Was ist “besser”? Ob etwas (ein Heilverfahren, eine Glaubensüberzeugung etc.) “vielleicht (!)… für uns als Menschen ganz unbedeutend” ist, würde ich (und wohl viele hier) empirisch daran orientieren, wie es sich auf das Leben auswirkt.

    Im Originalsatz war “besser” ja eigentlich gemeint als bessere (also zutreffendere) Repräsentation der so genannten Wirklichkeit.
    Was Du meinst (und auch nur empirisch untersuchen kannst) sind aus einer Annahme abgeleitete Ansichten und Verhaltensweisen. Die sagen über den Wahrheitscharakter nicht viel aus, bestenfalls über eine zusätzlich zu definierende Nützlichkeit.

    Ansonsten ist das natürlich auch die alte, weitgehend unbeantwortbare Frage, wann eine sich positiv auswirkende Unwahrheit vielleicht besser wäre als eine ernüchternde Wahrheit. Nur dass man statt Wahrheit und Unwahrheit wohl hier eher von Plausibilität und Unplausibilität reden müsste.
    Man kann und soll nicht leben, ohne Mensch zu sein, aber dass es daneben faktenorientiertes Vorgehen gibt, dass auf persönliche Vorlieben keine Rücksicht nimmt, ist eine der Voraussetzungen, uns dafür den Rücken frei zu halten. Was dann jeder hinter seinen vier Wänden glaubt oder wie er mit seiner Krankheit umgeht, ist seine Sache. Aber halt auch nicht immer so einfach zu trennen.

    abschreckende Beispiele gab und gibt es genug (z.B. Eugenik)

    Die Eugenik beruhte nicht zuerst auf falscher wissenschaftlicher Logik, sondern auf einer falschen Ziel- und Wertsetzung. Und die war nicht auf Wissenschaftler in ihren Laboren beschränkt, sondern gesellschaftsweit — auch in der Philosophie (die seit Platos Euthanasiephantasien schon einen guten Vorsprung in der Frage hatte), in den Geisteswissenschaften, in der Politik, aber auch in den Religionen. Die meisten Kirchen sind glücklicherweise nicht den Weg über Zwangssterilisationen mitgegangen, aber eugenische Ratgeber gab es da auch. Das Problem war keines naturwissenschaftlicher oder philosophischer Erkenntnis, sondern der Ethik, vor allem aber der Politik.

    Und wenn der wissenschaftsphilosophische Einspruch generell so irrelevant wäre, würde es doch nicht eine ganze Batterie von Beiträgen von Dir auslösen, oder?
    😉

    Das Problem ist, dass Wissenschaftsphilosophie einerseits immer öfter als explizite Wissenschaftskritik in die Öffentlichkeit tritt; was an sich natürlich statthaft ist, in der manchmal erscheinenden Einseitigkeit aber schon, sagen wir mal, etwas erstaunt.

    Vor allem aber wird Wissenschaftsphilosophie von den falschen Leuten heute ganz falsch verstanden und missbraucht; inzwischen berufen sich Esoteriker ja nicht nur auf Quantenphysik, sondern genauso gern auf Gödel und Kuhn. Alles drei haben sie nicht verstanden, aber aus philosophischen Populärartikeln sehr starke Meinungen darüber gebildet, warum Wissenschaft deshalb ihre Esoterik nicht mal berühren kann.
    Ich finde das sehr ärgerlich, gerade wenn man Wissenschaftsphilosophie mit einem aufklärerischen Anspruch vertritt. Man muss dann auch abklären, ob das beim Adressaten so ankommt oder da nicht vielleicht ins Gegenteil verdreht wird. Und notfalls vielleicht auch mal gegen sowas argumentieren als gegen Wissenschaft.

    Das Klären von Erkenntnissen und Begriffen ist damit nicht nur eine Aufgabe zu nichtakademischen Laien, sondern auch zu Vertretern je anderer Disziplinen

    Mir mangelt es an Glauben, dass Philosophen dafür die natürlichen und besten Vermittler sind. Die mögen per Training bessere Chancen haben, Begrifflichkeiten zu hinterfragen und Verabsolutierungen von Begriffen aufzudecken. Aber gerade im interdisziplinären Diskurs (oder noch was das Darstellen von Erkenntnissen anbelangt), sehe ich das so nicht.

    Ich bin sogar regelrecht froh, dass sich eine Disziplin erst mal ihre eigenen Begriffe als pragmatische Arbeitsgrundlage schafft; dass Du z.B. in Deiner vereinfachenden Definition von Religiosität nicht den ganzen Heidegger darüber rezipieren und einbauen musst (und dann noch die Ansichten aller Anti-Heideggerianer).

  67. @ Kamenin: Weit…

    …liegen wir da nicht auseinander, denn Du schreibst doch auch:

    Im Originalsatz war “besser” ja eigentlich gemeint als bessere (also zutreffendere) Repräsentation der so genannten Wirklichkeit.
    Was Du meinst (und auch nur empirisch untersuchen kannst) sind aus einer Annahme abgeleitete Ansichten und Verhaltensweisen. Die sagen über den Wahrheitscharakter nicht viel aus, bestenfalls über eine zusätzlich zu definierende Nützlichkeit.

    Darüber sind wir uns ja schon mehrfach einig geworden – aber das ist eben eine ganz klar philosophisch-metaphysische Ebene (auf die Du im Hinblick auf meine Befunde dann auch gerne ausgewichen bist)! Was ist Wirklichkeit? Was Wahrheit? Gibt es diese Überhaupt und ist sie gleichlautend, unabhängig, gegenläufig, wichtiger als Nützlichkeit (Lebensdienlichkeit)? Was bedeutet es, wenn eine nichtreduktionistische Haltung biologisch erfolgreicher ist als eine reduktionistische?

    Diese Fragen sind m.E. empirisch nicht klärbar, dafür brauchen wir wohl Philosophie(n).

    Ich bin sogar regelrecht froh, dass sich eine Disziplin erst mal ihre eigenen Begriffe als pragmatische Arbeitsgrundlage schafft; dass Du z.B. in Deiner vereinfachenden Definition von Religiosität nicht den ganzen Heidegger darüber rezipieren und einbauen musst (und dann noch die Ansichten aller Anti-Heideggerianer).

    Ja, stimmt schon – aber ich gebe dann eben auch zu, dass ich mit pragmatischen Arbeitsdefinitionen arbeite und behaupte nicht, absolute Wahrheiten zu verkünden. Und selbst die von mir verwendete Begrifflichkeit geht ja auf Darwin zurück, der wiederum bei Aristoteles, der christlichen Theologie und europäischen Philosophie schürfte. Zudem: Wo immer es die Möglichkeit gibt, versuche ich auch weiterhin Begriffe im interdisziplinären Dialog zu verbessern und zu vertiefen bzw. überhaupt erst zu finden (deswegen ja auch meine “Warnung” an @Stephan 😉 ).

    Würde es denn wirklich Deine Physikerkrone um einen Zacken berauben, wenn wir als empirische Arbeitende einräumen, dass Philosophen wichtige Gesprächspartner sein “können”? Und ihnen verzeihen, dass sie ihre Bedeutung auch hin und wieder mal darlegen? Das tun Physiker und Religionswissenschaftler doch auch, hab ich mir sagen lassen! 😉

  68. @ Helmut Wicht

    Nur die Widersprüche, weil’s eh schon alles sehr viel hier ist:

    Nur: inwiefern ist “Vorhersagbarkeit” ein Siegel von “Wirklichkeit” und damit ein Gütesiegel einer Beschreibungsform des Wirklichen?

    Was könnten wir ohne Vorhersagbarkeit überhaupt über Wirklichkeit aussagen? Wie wollten wir unsere Ansichten überprüfen? Und wie entstünde die Illusion von Wiederholbarkeit, wenn sie durch nichts wirkliches gestützt würde?
    Wenn man Vorhersagbarkeit als Wahrheitskriterium ausschaltet, scheint es mir, als würde man einfach alle Wahrheitskriterien und damit den Wirklichkeitsbegriff selbst aufgeben. Ich glaube nicht, dass man das tun kann; dazu müsste man genauso Unmensch sein, wie um sein Innenleben zu verleugnen. Behaupten könnte man es, aber es wirklich tun…

    Zum einen gibt es weite Felder, die auch der Naturwissenschaftler für “wirklich” hält (die Systeme des deterministischen Chaos – das Hirn sei eines, sagen manche, der ganze Kosmos sei eines, sagen andere), die notorisch unvorhersagbar sind.

    Houellebecq nannte das glaube ich mal den Irrtum, von einer Nichtvorhersagbarkeit auf Freiheit zu schließen. Nehmen wir den Wetterbericht. Durch Vereinfachungen können wir eine einigermaßen verlässliche Prognose für morgen abgeben (bitte keinen Spott; es stimmt ja doch), aber über eine Woche kommen wir ins Schwimmen, weil sich die im Modell nicht wiedergegebenen Parameter und Ungenauigkeiten aufaddieren. Trotzdem würden wir dem Wetter keine Freiheit oder Indeterminismus vorwerfen, weil unsere Apparaturen, Rechner und Modelle nicht ausreichen.

    Für das Gehirn wäre die Frage, ob es eine verlässliche Beschreibung der Prozesse geben kann, die nicht eine 1:1-Simulation eines Gehirn wäre. Wie wir das Verhalten eines Gases voraussagen können, aber nicht die eines einzelnen Teilchens darin.

    Für den Kosmos gibt es bei aller Komplexität ganz wunderbare Voraussagen. Aus der Theorie von Kernfusion und einfachem Urknallmodell konnte man wahnsinnig früh die Häufigkeit der Elemente im Universum ableiten. Und daraus vorhersagen, wie die vom Urknall stammende Hintergrundstrahlung aussehen würde. Und die hat man exakt so gefunden, als man sie endlich messen konnte.

    Das ist natürlich keine vollständige Beschreibung, aber Wissenschaft ist immer nur die Karte, nicht das Gelände. Trotzdem unterscheiden wir ja auch zwischen richtigen und falschen Stadtplänen und denken nicht, dass ein Stadtplan wegen seine Unvollkommenheit darum keinen Aspekt der Wirklichkeit abbilden könne.

    Zum anderen: wenn ich morgen plötzlich an einer “idiopathischen Erkankung”(unvorhersagbar, mit unbekannter Ursache) erkranken sollte: ist’s dann weniger “wirklich”?

    War die Pest weniger real, als man ihre Ursachen nicht kannte? Die Beschreibbarkeit und die Beschreibung ändert an der Wirklichkeit nichts.
    Es ist darum ja gerade die Frage, ob die “Spontaneität des Wirklichen” eine solche überhaupt ist. Oft genug war sie es, gegenteiliger Behauptung zum Trotz, nicht.

    Er ist aber UNwahr in dem Sinne, dass er nur die Hälfte, besser: nur ein Bruchteil der Wahrheit über den Menschen ausspricht. Es ist eben nur das, was sich aus naturalistischer Sicht über ihn sagen lässt. Er ist aber ZUGLEICH die Mitte des Kosmos: denn ihn ihm kommt der Kosmos zu Bewusstsein, ohne ihn WÜSSTE der Kosmos nichts von sich selbst.

    Gerade in dem Beispiel habe ich die wissenschaftliche Sicht ja nicht verabsolutiert und als alleinige, vollständige Beschreibung verstanden; aber als wichtigen Teil, den man aller Ich-Bezogenheit zum Trotz trotzdem vor Augen haben sollte, auch um das Ich in größerem Rahmen zu sehen und vielleicht in seiner Verabsolutierung zumindest zu relativieren. Was ja auch keine naturalistische Entmenschlichung ist, sondern in Philosophien wie quasireligiösen Systemen auch oft so empfunden wurde.

    Die naturalistische Beschreibung hebt den Widerspruch auch insoweit auf, als dass das Erkennen natürlich dann Teil der Natur ist, die sich auch in uns verwirklicht. Wir sind uns die Mitte, aber dem Kosmos dürfte das wohl egal sein.

    Gegen die Gleichgültigkeit zu rebellieren ist eine Sache, menschlich und ehrenwert; sie zu bestreiten eine andere.
    Das ist dann aber vermutlich eher Camus als Sartre.

  69. @ Stephan Schleim

    Ich will ja nicht noch ein Fass aufmachen, weil es schon alles so unübersichtlich ist, aber doch noch zwei Punkte:

    die Idee einer Einheitswissenschaft sehe ich angesichts der immer feineren Ausdifferenzierung der Disziplinen aber gerade nicht in greifbare Nähe gebracht.

    Darum ist die ab und an anzutreffende Furcht von Geisteswissenschaft, per Reduktion um den Job gebracht zu werden, auch unsinnig. Die Naturwissenschaft reduziert zwar gerne, aber vor allem im Sinn einer Begründung. Die anderen Disziplinen behalten natürlich ihre Aufgabe.

    Chemiker sind heute glückliche, erfolgreiche Menschen, auch weil sie nicht gegen die Physik ihre eigenen Grundlagen noch mal begründen müssen. Schlimmstenfalls schmerzt es ein wenig, sich nicht mehr mit der elementaren Ursuppe der Wirklichkeit selbst zu beschäftigen, sondern nur mit emergenten Eigenschaften.

    was ist denn nun realer, die Temperatur oder mittlere kinetische Energie? Man bedenke, erstere lässt sich auf letztere wohl nur in idealen Gasen reduzieren.

    Das halte ich für falsch. Die Reduktion läuft nicht auf ein bestimmtes mathematisches Maß einer Eigenschaft hin. Bei einem idealisierten Gas gibt es eine einfache Proportionalität zur mittleren kinetischen Energie. Aber da stoppt die Wissenschaft ja nicht. Temperatur ist heute, meines besten Wissens nach, vollständig auf atomare Begrifflichkeiten zurückgeführt, zumal eben nur ein statistischer, makroskopischer Begriff.

    Ob deshalb die “mittlere kinetische Energie” real ist, ist eine Frage des etwas unklaren philosophischen Existenzbegriffs. Da verabschiedet sich die Naturwissenschaft (leicht schmunzelnd 😉

  70. Kategorien

    Die Eugenik beruhte nicht zuerst auf falscher wissenschaftlicher Logik, sondern auf einer falschen Ziel- und Wertsetzung. Und die war nicht auf Wissenschaftler in ihren Laboren beschränkt, sondern gesellschaftsweit — auch in der Philosophie (die seit Platos Euthanasiephantasien schon einen guten Vorsprung in der Frage hatte), in den Geisteswissenschaften, in der Politik, aber auch in den Religionen.

    Mir fällt es immer schwieriger nach zu vollziehen, was zu welcher Kategorie zählt.

    Also, es gibt die Kategorie Wissenschaftler (in Ihren Laboren), die Philosophie, die Geisteswissenschaften, die Politik und die Religion…

    Ehrlich gesagt klingt das ziemlich Wirr für mich.

  71. @kamein

    Hallo,
    was bedeutet das für Sie “syntaktische Falltür”?
    Ist das nicht eher ein Problem der Semantik?

    Gruß Uwe Kauffmann

  72. @ Kamenin: epiphänomenale Plazebos

    Aber selbst wenn Hirnprozesse epiphänomenal mentale sind, verschwindet doch das Epiphänomen dadurch nicht; ich sehe da keinen ernsthaft eliminativen Ansatz.

    …es wird eben nur seiner kausalen Kraft beraubt und das ist eben doch eine ontologische Aussage; und dadurch wird die Vorstellung, dass Gedanken (oder allgemeiner: Mentales) auf das Physische wirken kann, als Illusion dargestellt (ähnlich wie bei der Willensfreiheit).

    Das Epiphänomen verschwindet dadurch nicht aber verliert völlig an Relevanz; deshalb haben die Emergentisten des frühen 20. Jahrhunderts auch formuliert, man könne und solle die Realität gleich dadurch kürzen (vgl. Alexander’s Dictum).

    Für Naturalisten ist das sehr verlockend, denn so können sie einerseits an der Intuition festhalten, dass es Bewusstsein gibt, müssen sich dadurch aber nicht in ihrer naturwissenschaftlichen Forschung behindert sehen, denn es interagiert ja nicht mit ihrem Untersuchungsgegenstand; zum Eliminativisten ist es dann nicht mehr weit.

    Was ist denn deines Erachtens ein “ziemlich großes Problem” mit dem Epiphänomenalismus?

    Ach, das habe ich doch gar nicht. Warum sollte ich Wissenschaftsphilosophen nicht zugestehen, an der philosophischen Debatte teilzunehmen und Ideen und Deutungen zu entwickeln?

    Die Frage war doch gar nicht, ob sie an der philosophischen Debatte teilnehmen dürfen; wenn Philosophen schon nicht an ihnen teilnehmen dürfen, wer denn dann noch? Die Frage war doch, ob sie am gesellschaftlichen Diskurs über Wissenschaft und die Relevanz der Wissenschaft teilnehmen dürfen (oder gar sollen) und hier scheinst du dich gegen alle meine, zum Teil auch guten, Argumente zu verschließen.

    Der Plazeboeffekt ist messbar. Solange eine Alternativmedizin nicht nachweisen kann, dass sie besser als Wasser oder Zucker heilt, gibt es keinen Anlass, es anders zu nennen als Plazeboeffekt. Das heißt nichts anderes, als das das Präparat wirkneutral ist (und die ganze Theorie dahinter, warum ausgerechnet das helfen soll und es gerade dieses Präparat sein muss, Stuss ist).

    Hier steckt ein Widerspruch, denn entweder wirkt es und wir nennen das von mir aus “Plazeboeffekt”, weil uns keine bessere Erklärung dafür einfällt (und täuschen damit elegant über eine Erklärungslücke hinweg), dann ist es aber nicht “wirkneutral”; oder es wirkt nicht, dann hat es aber keinen Effekt und verdient auch nicht den Namen “Plazeboeffekt”.

    Ich wiederhole also meine frühere Frage: Wenn den einen das Zuckerstück mit Schleife drumherum hilft, den anderen das Handauflegen, so what? Wo ist das Problem? Die Hauptsache ist doch, dass es hilft.

    Das hat gar nichts damit zu tun, ob ich den Effekt dazu noch vollständig erklären kann. Das kann ich heute mit der Gravitation ja auch nicht. Aber messen und feststellen kann man sie sehr gut.

    Tatsächlich ist aber die fehlende Erklärung für die Graviation auch eine Anomalie und es könnte sein, dass man einen guten Teil der modernen Physik revidieren müsste, wenn man ihre Grundlagen entdeckte…

    …ebenso verhält es sich mit dem Plazeboeffekt im Hinblick aufs Psychische.

    Die naturalistische Beschreibung hebt den Widerspruch auch insoweit auf, als dass das Erkennen natürlich dann Teil der Natur ist, die sich auch in uns verwirklicht. Wir sind uns die Mitte, aber dem Kosmos dürfte das wohl egal sein.

    Dafür bräuchtest du erst einmal eine naturalistische Beschreibung dessen, was Erkennen bedeutet; und dem Kosmos ist es, im Gegensatz zu uns, weder egal noch nicht egal, denn “er” kann — behaupte ich jetzt mal — nicht den entsprechenden mentalen Zustand haben.

  73. @ Kamenin: Über die Wissenschaften

    Darum ist die ab und an anzutreffende Furcht von Geisteswissenschaft, per Reduktion um den Job gebracht zu werden, auch unsinnig. Die Naturwissenschaft reduziert zwar gerne, aber vor allem im Sinn einer Begründung. Die anderen Disziplinen behalten natürlich ihre Aufgabe.

    Wenn aber die Naturwissenschaften die geisteswissenschaftlichen Begriffe aufgreifen und der Meinung sind, diese vollständig auf natürliche reduzieren zu können — bräuchte man dann noch Geisteswissenschaften?

    Reden wir nicht von Reduktion, sondern von Erklärung: Wenn sie behaupten, sie könnten die Begriffe erklären und ihre Erklärung sei die einzig richtige — bräuchte man dann noch Geisteswissenschaften?

    Wie bereits geschildert, geht es in der Debatte auch um Erklärungsansprüche; und manche, wenn sie harte Materialisten sind, treten eben mit dem Anspruch auf, dass nur die “harten” Wissenschaften überhaupt Erklärungen liefern können.

    Die Schlüsse, die “Lebenswissenschaften” seien jetzt die Leitwissenschaften, das ist doch das Problem; schon bevor man richtig angefangen hat, will man den ganzen Kuchen für sich haben.

    Was die Reduktion von Temperatur auf mkE betrifft, so habe ich das aus einem (wissenschaftsphilosophischen) Aufsatz; müsste ich mal einen Philosophen der Physik fragen, von denen es hier in Bonn einige gibt, was der aktuelle Stand der Dinge ist…

    …interessant ist hier aber doch, dass der Physiker die Frage als Physiker gar nicht beantworten könnte, mangels eines Verständnisses von “Reduktion”. Ist eben ein wissenschaftsphilosophischer Begriff; und der (gute) WP würde wahrscheinlich antworten: Erkläre mir, was du mit Reduktion meinst, und ich gebe dir die Antwort.

  74. @ Michael Blume

    Was bedeutet es, wenn eine nichtreduktionistische Haltung biologisch erfolgreicher ist als eine reduktionistische?
    Diese Fragen sind m.E. empirisch nicht klärbar, dafür brauchen wir wohl Philosophie(n).

    Mal ketzerisch, weil ich ja eh hier der prototypene Antigeisteswissenschaftler bin: ich habe arge Zweifel, ob die Philosophie Methoden hat, diese Fragen zu “klären”. Ich glaube nicht an irgendeine so evident daherkommende Philosophie, die das schaffen wird. Und wenn es dann 4 verschiedene philosophische Schulen gibt, die alle was anderes sagen, wie eigentlich bei jedem Thema?
    Ich sehe Philosophie als Ideenentwickler und Hinterfrager, nicht als klärer.

    Wenn eine “nichtreduktionistische” Haltung biologisch erfolgreich ist, erschließt sich die Bedeutung daraus doch erst mal aus dem Warum. Welche Mechanismen machen sie biologisch erfolgreicher? Eine biologische wie geisteswissenschaftliche Frage, aber erst mal keine philosophische.

    Würde es denn wirklich Deine Physikerkrone um einen Zacken berauben, wenn wir als empirische Arbeitende einräumen, dass Philosophen wichtige Gesprächspartner sein “können”? Und ihnen verzeihen, dass sie ihre Bedeutung auch hin und wieder mal darlegen?

    Aber ich bin ein großer Fan, dass sie ihre Bedeutung darlegen und mich davon überzeugen, dass sie wichtige Gesprächspartner sind. Ich bin auch ein großer Fan davon, Sachen zu kritisieren, wenn ich anderer Auffassung bin. Wenn ich Philosophen eines Tages nicht mehr kritisieren würde, dann müsstest Du Dir vielleicht Sorgen machen, dass ich sie als irrelevant empfände.

    Wobei ich gar nicht über “die Philosophen” rede, bestenfalls über bestimmte Strömungen. Philosophie ist kein eigentlich geschlossenes Feld, sondern das, was der einzelne Philosoph oder die Gruppe daraus macht. Welche Philosophie ich für nützlicher empfände, habe ich ja auch skizziert (vielleicht bei mir, alles etwas durcheinander). Also kann doch der Vorwurf nicht sein, ich würde Philosophen als Gesprächspartner generell ablehnen.

    Ansonsten geht die Relevanz immer mit Kritik einher; umgekehrt ja übrigens auch.

  75. @ Kauffmann

    Von meinem semantischen Scheitern wollte ich noch gar nicht anfangen. Schlimm, wenn dann noch die Syntaktik nicht stimmt.

  76. @ Stephan Schleim

    Wir verrennen uns ein wenig in Einzelpunkte, und leider entfernen wir uns dabei doch wieder deutlich.

    und dadurch wird die Vorstellung, dass Gedanken (oder allgemeiner: Mentales) auf das Physische wirken kann, als Illusion dargestellt

    Die kausale Kraft von Mentalem ist erst mal nur Inhalt einer Vorstellung — die als möglicherweise falsch zu denken ist weder Dogmatik noch Eliminativismus. Auch wenn einem die Theorie nicht gefällt, ist sie deshalb weder falsch noch schlechte Philosophie.

    Für Naturalisten ist das sehr verlockend, denn so können sie einerseits an der Intuition festhalten, dass es Bewusstsein gibt, müssen sich dadurch aber nicht in ihrer naturwissenschaftlichen Forschung behindert sehen, denn es interagiert ja nicht mit ihrem Untersuchungsgegenstand;

    Nein, das gehört noch zu den zu klärenden Fragen. Jeder, auch Philosophen, kann sich die zukünftigen experimentellen Ergebnisse ansehen und in denen nach Hinweisen suchen, wie Geistiges doch auf das Gehirn einwirkt, denn irgendwie müsste es das ja wohl. Oder mal experimentell denken und sich überlegen, wie man das überprüfen könnte. Angeblich kennen sich Philosophen doch mit Mentalem so viel besser aus. Dann können sie für die Erkenntnis ja auch mal eine produktive Rolle spielen und die nicht immer einfach im eigentlich politischen Diskurs für sich beanspruchen.

    Was ist denn deines Erachtens ein “ziemlich großes Problem” mit dem Epiphänomenalismus?

    Aus meiner sehr begrenzten Anschauung darüber: die Parallelität zwischen mentalem Inhalt und Kausalem. Die mag zwar auch Illusion sein (oder, wofür es auch Indizien gibt: hinterher konstruiert). Aber was ruft dann diese Illusion hervor und zu welchem Zweck?
    Da bin ich an dem Punkt, wo ich denke, dass Schließen vom Bewusstsein auf die Materie hilflos ist und wir eine von unten kommende Theorie des Geistes bräuchten, aus der wir dann vielleicht nach oben schließen könnten.

    Die Frage war doch, ob sie am gesellschaftlichen Diskurs über Wissenschaft und die Relevanz der Wissenschaft teilnehmen dürfen

    Aber das stand schon in meinen Originalartikeln, dass der Diskurs ein offener ist. Aber in beide Richtungen: Philosophen dürfen teilnehmen, aber nur weil sie Philosophen sind, werden sie deshalb nicht lauter gehört werden. Die Inhalte müssen überzeugen, dann gibt es überhaupt keine Diskussion über die Frage.

    Hier steckt ein Widerspruch, denn entweder wirkt es und wir nennen das von mir aus “Plazeboeffekt”, weil uns keine bessere Erklärung dafür einfällt (und täuschen damit elegant über eine Erklärungslücke hinweg), dann ist es aber nicht “wirkneutral”;

    Da verwechselt Du die Ebenen. Man kann überprüfen ob in derselben Situation der vorgebliche Wirkstoff irgendeine Wirkung hat — hat er die nicht ist er wirkneutral und die ganzen Theorien über den Wirkstoff Pseudowissenschaft. Das ist doch oft das Ärgerliche in der öffentlichen Wahrnehmung von Wissenschaftsphilosophie, dass die oft zu so klaren, einfachen Statements nicht in der Lage scheint.

    Die Situation oder die ganze Behandlung kann ja immer noch hilfreich sein, nenn es von mir aus psychosomatisch, wenn Dir Plazebo nicht gefällt; aber, wie zu untersuchen wäre, dann auch mit Wasser anstatt C30.

    Ich wiederhole also meine frühere Frage: Wenn den einen das Zuckerstück mit Schleife drumherum hilft, den anderen das Handauflegen, so what?

    Und jetzt stell Dir vor, es wäre ein psychosomatischer Effekt der Behandlungsführung und -situation. Und wir haben gleichzeitig Medizin, die nachweislich darüber hinaus helfen kann. Wäre es nicht das Beste, wir würden beides zusammenbringen, Behandlunssituation plus Medizin, da wo wir es jetzt noch nicht tun? Hätte das nicht Auswirkungen, wie wir unser Gesundheitssystem einrichten? Und wäre, die wahren Zusammenhänge und Abläufe zu wissen, nicht ohnehin schon interessant genug, um nicht auf einer “scheint doch irgendwie zu wirken”-Ebene stehen zu bleiben?

    Tatsächlich ist aber die fehlende Erklärung für die Graviation auch eine Anomalie und es könnte sein, dass man einen guten Teil der modernen Physik revidieren müsste, wenn man ihre Grundlagen entdeckte…

    Jetzt steigen wir schon ganz hart in die eigentliche wissenschaftsphilosophische Debatte ein. Das halte ich so einfach ausgedrückt nämlich wieder für ziemlich verfehlt und sehr verallgemeinert. Die relevante Frage, gerade wissenschaftsphilosophisch wäre doch: was würde sich ändern und was nicht?
    Einige unserer Modelle würden sich ändern; die Zusammenhänge, die wir in Worte kleiden. Aber am eigentlichen Kern, an den Eigenschaften, die wir heute sehen und überprüfen, würde sich nichts ändern. Vielleicht erfolgt die Zusammenführung auch über einen weiteren reduktiven Schritt, aber bei aller vielleicht bahnbrechenden neuen Erkenntnis blieben unsere heutigen Modelle auf ihrer Erklärungsebene unverändert oder werden gar dadurch ausgebaut und bestärkt.

    Aber dass ein guter Teil der modernen Physik auf dem Spiel stände… nöh. Ich wette gerne schon heute um eine 300-Euro-Weinkiste, dass die Erklärung mehr mit Erweiterung der Physik als mit Korrektur heutiger physikalischer Inhalte zu tun haben wird. Ich weiß aber auch, dass wir uns danach dann außer in den eindeutigsten Fällen nicht darüber verständigen werden können, wer denn nun recht hatte 🙂

    Wenn aber die Naturwissenschaften die geisteswissenschaftlichen Begriffe aufgreifen und der Meinung sind, diese vollständig auf natürliche reduzieren zu können — bräuchte man dann noch Geisteswissenschaften?

    Wir brauchen auch Chemie, obwohl kein mir bekannter Chemiker heute davon ausgeht, dass Chemie nicht vollständig auf Physik beruht. Wir brauchen die Einzeldisziplinen für die Beschreibung und Erklärung der emergenten Eigenschaften auf ihrer Betrachtungsebene. Auch bei vollständiger Reduktion. Wenn die Physik ein Stadtplan ist, brauchen wir auch immer eine Weltkarte für die größeren, hier kulturelleren, Zusammenhänge. Alles andere wird wohl nie praktikabel sein, selbst wenn man zeigen könnte, dass es möglich wäre.

    Wie bereits geschildert, geht es in der Debatte auch um Erklärungsansprüche; und manche, wenn sie harte Materialisten sind, treten eben mit dem Anspruch auf, dass nur die “harten” Wissenschaften überhaupt Erklärungen liefern können.

    Erklärungen können Gesellschaftswissenschaften auch liefern. Was wir über den Geist rausfinden, sei es auch naturwissenschaftlich, ist doch keine Bedrohung, sondern eine Möglichkeit für die GW. Wobei ich beim momentanen Wissensstand allerdings auch vorsichtig wäre, gesellschaftswissenschaftliche Theorien zu sehr auf derzeitige Hirnmodelle zu basieren.

    …interessant ist hier aber doch, dass der Physiker die Frage als Physiker gar nicht beantworten könnte, mangels eines Verständnisses von “Reduktion”.

    Tja, was soll ich sagen? Vielleicht dass Reduktion untrennbar mit Physik verbunden ist. Dass die nichts als ein Regelwerk korrekter Beschreibung und Zurückführung inklusive Überprüfung und gnadenlosem Aussortieren ist. Dass tatsächlich reduktiv arbeitende Physiker eine unmittelbare Anschauung davon haben, was andere nur als theoretische Definition kennen. Oder doch, dass es nur ein aus der Physik entlehnter und entliehener Begriff ist, und dass das hier nur Spielchen über die Deutungshoheit sind, die nicht mehr physikalisch zu nennen.

    und der (gute) WP würde wahrscheinlich antworten: Erkläre mir, was du mit Reduktion meinst, und ich gebe dir die Antwort.

    Und die arrogante Naturwissenschaft würde vermutlich sagen: Danke, aber wir haben dafür bereits unsere eigenen Kriterien, und unsere funktionieren übrigens.

    Mal ehrlich, solange die WP nicht an der Sache diskutiert (hier ist ein Fehler…), ist die Physik sehr uninteressiert daran, die Deskription ihres Tuns als irgendwie normgebend anzuerkennen oder Belehrungen über ihr Tun im Allgemeinen zu erhalten. Das mag arrogant erscheinen. Ist aber mehr der unpersönliche Pragmatismus, der sich nach 300 Jahren Erfolgsgeschichte nicht mehr so schnell beunruhigen lässt, dass alle ihre Grundlagen philosophisch zweifelhaft sind. Sieht man da mehr als Problem der Philosophen…

  77. “…der sich nach 300 Jahren Erfolgsgeschichte nicht mehr so schnell beunruhigen lässt, dass alle ihre Grundlagen philosophisch zweifelhaft sind.”

    Alle Grundlagen haben sich wohl nicht als falsch erwiesen, aber es hat sich doch einiges getan…

    Vielleicht interessiert ja irgend jemand die Ausführung Philosophie und Quantentheorie von Werner Heisenberg…

  78. @ Kamenin: und noch kein Ende

    Die kausale Kraft von Mentalem ist erst mal nur Inhalt einer Vorstellung — die als möglicherweise falsch zu denken ist weder Dogmatik noch Eliminativismus. Auch wenn einem die Theorie nicht gefällt, ist sie deshalb weder falsch noch schlechte Philosophie.

    Mentale Verursachung ist ja wohl nicht nur (und auch nicht im Wesentlichen) ein Gehalt eines Gedankens, sondern eine ontologische Aussage, die entweder zutrifft oder nicht.

    Dogmatik wird es, wenn man (mangels Vorstellungskraft und entgegen alle Evidenzen) ohne gute Gründe behauptet, mentale Verursachung sei schlichtweg unmöglich. Erst in Folge werden die Vorstellungen als Illusionen dargestellt.

    Angeblich kennen sich Philosophen doch mit Mentalem so viel besser aus. Dann können sie für die Erkenntnis ja auch mal eine produktive Rolle spielen und die nicht immer einfach im eigentlich politischen Diskurs für sich beanspruchen.

    Wenn du im Experiment, beispielsweise mit der Elektroenzephalographie oder der funktionellen Magnetresonanztomographie nunmal keine Gedanken “sehen” oder messen kannst, geschweige denn ihre kausalen Kräfte, dann können Philosophen auch kein Experiment vorschlagen. Ist das dann ihre Schuld? Nein. Und es gibt gar keinen Grund, sie als Pessmisten oder Wissenschaftsfeinde darzustellen, wenn sie ihre Position rechtfertigen können.

    Wer würde beispielsweise behaupten, Gott mit dem Elektronenmikroskop finden zu können? Und wenn er ihn dort nicht findet, ihn für inexistent zu erklären? Auf diesem Niveau bewegt sich doch ein guter Teil der Diskussion um das Mentale, nicht so sehr auf dem Niveau, was (mit den derzeitigen Methoden) messbar ist und was nicht. Über die Frage des Messbaren treffen Wissenschaftler doch schon aus dem Grund kaum Aussagen, weil es schlecht fürs Geschäft ist, etwas als (gegenwärtig) nicht messbar zu deklarieren.

    die Parallelität zwischen mentalem Inhalt und Kausalem.

    Die ist experimentell doch noch gar nicht erwiesen; sprichst du hier als Philosoph?

    Da verwechselt Du die Ebenen. Man kann überprüfen ob in derselben Situation der vorgebliche Wirkstoff irgendeine Wirkung hat — hat er die nicht ist er wirkneutral und die ganzen Theorien über den Wirkstoff Pseudowissenschaft.

    Ich sehe nicht, wie du deinen Widerspruch auflöst; mein Argument war, auch ein Plazeboeffekt ist ein Effekt; jetzt schreibst du von einem Wirkstoff, der gar keine Wirkung hat und nennst ihn “wirkneutral”. Dieser Interpretation stimme ich zu, der vorherigen nicht; sie sind beide unvereinbar. Nach dieser, neuen Interpretation sind die alternativen Verfahren aber meines Wissens nicht wirkneutral.

    Und jetzt stell Dir vor, es wäre ein psychosomatischer Effekt der Behandlungsführung und -situation. Und wir haben gleichzeitig Medizin, die nachweislich darüber hinaus helfen kann. Wäre es nicht das Beste, wir würden beides zusammenbringen, Behandlunssituation plus Medizin, da wo wir es jetzt noch nicht tun? Hätte das nicht Auswirkungen, wie wir unser Gesundheitssystem einrichten?

    Klar, ich glaube sogar, dass sich viel mehr Erkrankungen in Zukunft als psychosomatisch (bedingt, beeinflusst, …) herausstellen, als Schuldmediziner heute im allgemeinen annehmen.

    Ich wiederhole ja immer nur wieder, wer helfen kann, der soll helfen; wenn es die psychosomatische Medizin besser (und unter angemessenen Kosten) kann, dann soll sie eben helfen; wenn nicht, was spricht dann gegen alternative Verfahren, wenn sie helfen?

    Das halte ich so einfach ausgedrückt nämlich wieder für ziemlich verfehlt und sehr verallgemeinert. Die relevante Frage, gerade wissenschaftsphilosophisch wäre doch: was würde sich ändern und was nicht?

    Das hängt doch entscheidend davon ab, welche experimentellen Funde gemacht werden und welche Theorien daraus entstehen. Wieso hältst du ausgerechnet diese Spekulation nun für eine wissenschaftsphilosophisch interessante Frage?

    Interessant wäre vielleicht, unter welchen Umständen sich etwas ändern würde (müsste).

    Einige unserer Modelle würden sich ändern; die Zusammenhänge, die wir in Worte kleiden. Aber am eigentlichen Kern, an den Eigenschaften, die wir heute sehen und überprüfen, würde sich nichts ändern.

    Ha, du meinst, genauso, wie wir heute noch am Bohrschen Atommodell oder der Newtonschen Mechanik festhalten?

    Sorry, aber damit argumentierst du gerade gehörig gegen die Relevanz der Physik; werde dich bei Gelegenheit daran erinnern.

    Wir brauchen auch Chemie, obwohl kein mir bekannter Chemiker heute davon ausgeht, dass Chemie nicht vollständig auf Physik beruht.

    Die interessante Frage ist doch, ob es überhaupt eine Rolle spielt, was der Chemiker über die Physik denkt; wenn es keine Rolle spielt, dann heißt das, dass für viele (einige, die meisten?) chemischen Fragen die Physik einfach irrelevant ist (vielleicht abgesehen von bestimmten unstrittigen Grundlagen), weil die Chemie schon aus sich heraus genügend relevante Fragen erzeugt…

    …und das bedeutet nicht, dass die Fragen oder Phänomene der Chemie weniger relevant oder real wären als diejenigen der Physik. Ich denke, ähnlich müssen wir auch als Geisteswissenschaftler denken — und sollte jemals eine vollständige Reduktion ihrer Theorien gelingen, dann ist immer noch Zeit genug, darüber zu reflektieren, was daraus folgt.

    Wir brauchen die Einzeldisziplinen für die Beschreibung und Erklärung der emergenten Eigenschaften auf ihrer Betrachtungsebene. Auch bei vollständiger Reduktion.

    Sorry, aber wenn Emergenz mit etwas nicht vereinbar ist, dann ist es gerade die Reduktion; Widerspruch.

    Tja, was soll ich sagen? Vielleicht dass Reduktion untrennbar mit Physik verbunden ist. Dass die nichts als ein Regelwerk korrekter Beschreibung und Zurückführung inklusive Überprüfung und gnadenlosem Aussortieren ist. Dass tatsächlich reduktiv arbeitende Physiker eine unmittelbare Anschauung davon haben, was andere nur als theoretische Definition kennen. Oder doch, dass es nur ein aus der Physik entlehnter und entliehener Begriff ist, und dass das hier nur Spielchen über die Deutungshoheit sind, die nicht mehr physikalisch zu nennen.

    Wenn dem so ist, wo ist dann der physikalische Begriff der Reduktion? Und welche Reduktionen waren erfolgreich (und ich meine hier wirklich voll und ganz erfolgreich, nicht nur unter idealisierten Bedingungen oder in Teilbereichen) und welche sind es nicht?

    Ich wage zu behaupten, für die zweite Klasse finden wir mehr Beispiele als für die erste.

    Mal ehrlich, solange die WP nicht an der Sache diskutiert (hier ist ein Fehler…), ist die Physik sehr uninteressiert daran, die Deskription ihres Tuns als irgendwie normgebend anzuerkennen oder Belehrungen über ihr Tun im Allgemeinen zu erhalten.

    Es zwingt sie auch keiner, die WP zur Kenntnis zu nehmen; wenn sie sich aber zu gesellschaftlichen und politischen Aussagen erheben, dann müssen sie sich der Kritik anderer Disziplinen sehr wohl stellen und da reicht es nicht zu sagen, “wir sind seit 300 Jahren erfolgreich, also klappe halten”.

  79. Goethe

    Der gleiche Gedanke kann hundert Dichter zu hundert Epigrammen anregen, über die Erfindung werden sie sich nicht streiten, denn die ist Gemeingut; beurteilen mag der Leser, wer den Gedanken am besten durchgeführt hat.

    Bei den Gelehrten ist das anders; da handelt es sich um feststehende Tatsachen: jede neue Tatsache ist eine Entdeckung, jede Entdeckung irgendjemands Eigentum. Taste aber nur einer das Eigentum an, dann zeigt sich der Mensch in seiner wahren Gestalt.

    Der Gelehrte, will sagen der ewige Rechthaber, kennt aber noch eine zweite Sorte Eigentum: Begriffe, die er schon übernommen, Gesetze, die er schon vorgefunden hat, stellt er gewöhnlich als unantastbar hin. Hält man ihm die Richtigkeit anderer Gesetze und widersprechender Ansichten vor, so vergreift man sich an seinen Rechten und an seinem Eigentum; er wird um so aufgebrachter, je mehr sein System bedroht ist. Er glaubt einem nicht, er versteht einen nicht, oder aber er betrachtet einen einfach nicht, und da kann es lange dauern, bis man ihn von seiner Ansicht belehrt…

  80. @ Stephan Schleim: zum Ende

    Das bringt wohl wenig, das noch weiter fortzuführen, außer vielleicht böses Blut. Und es stimmt schon, ich verstehe es einfach nicht. Schon was die Grundlagen anbelangt, habe ich offensichtlich ein ganz anderes Bild davon, was Wissenschaft und was Wissenschaftsphilosophie sein oder leisten können muss, als Du.

    Ich halte es für keinen philosophischen Einwand, dass man Gedanken nicht im EEG oder MRT “sieht” oder “misst”. Das Ding an sich, und sei es ein Atom, kann man nie sehen oder messen — aber ihre Wechselwirkungen nachweisen. Wer kausal wirkendes Mentales behauptet, behauptet Wechselwirkung mit Messbarem, also selbst messbares. Die wird aber nie im Instrument aufscheinen und “da sein”, sondern nur durch Modellierung und Überprüfung gefunden werden können. Es steht der WP frei, dazu was beizusteuern aus ihrem angeblich tieferem Verständnis, oder eben daneben zu stehen und jeden Schritt nörgelnd zu begleiten. Ungefähr so wird WP ja auch wahrgenommen, derzeit, leider.

    In meiner Sicht ist es Kernfrage der WP, als wie sicher welches wissenschaftliche Wissen gehalten werden kann. Ich sehe nicht, wie ohne Berücksichtigung quantifizierter Vorhersage dafür ein irgendwie richtiges Modell gefunden werden kann. Da spielt es nun mal eine Rolle, dass Newtons Modell unsere Umwelt besser beschreibt, als wir beide sie alleine je messen könnten. Was daran Physik die Relevanz nehmen soll, dass sie da nicht stehen bleibt, sondern sich aus den Effekten der 8. Nachkommastellen eine noch genauere Beschreibung der Welt entwickeln konnte, ist mir ein Rätsel.

    Nur wer an absoluter Wahrheit interessiert ist — etwas, was es nie geben wird, nicht in der Physik, schon gar nicht in der Philosophie –, wird die parallele Beibehaltung der Modelle von Newton und Einstein deshalb gegen die Physik auslegen können.
    Da weiß ich auch nicht, wie man eine voll und ganz gelungene Reduktion, eine, die sich nicht nur auf idealisierte Bedingungen Bedingungen beziehen soll, darlegen kann, ohne schon echte Physik, nicht Anschauliches, zu besprechen. Das Interessante ist doch, dass die Isolierung von Effekten und Zusammenhängen in idealisierten Situationen funktioniert und von da dann verallgemeinert werden kann. Aber es ist nicht das Problem der Wissenschaft, wenn die WP bei der Spezialsituation stehenbleibt (ideales Gasgesetz) und die komplexen mathematischen und experimentellen Verallgemeinerungen nicht mehr nachvollziehen kann oder will oder nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Eine solche Philosophie erscheint mir ihrem Objekt entfremdet und fern.

    Der naturwissenschaftliche Emergenzbegriff ist überhaupt nicht unvereinbar mit Reduktion. Es emergieren schon neue Wechselwirkungen und Eigenschaften, wenn ich mehrere vollständig bekannte Teilchen zusammenbringe und die aufeinander einwirken lasse; alles reduktiv beschreibbar, wenn auch mit schnell wachsemden Aufwand, und doch entsteht eine neue Funktions- und Phänomenenebene, die natürlich eigene Betrachtung verdient, selbstverständlich für sich ganz real und relevant ist und selbst wieder im Rahmen einer Einzeldisziplin modelliert werden kann. Wie die Chemie. Der Physik natürlich egal sein kann, solange sie nur auf die auf ihrer Ebene der dutzend bis zigtausenden Teilchen entstehenden Zusammenhänge zu modellieren versucht.
    In den Grenzgebieten funktioniert der interdisziplinäre Dialog da übrigens ganz hervorragend und ganz ohne Notwendigkeit, sich die Relevanz der Disziplinen gegenseitig beweisen (oder behaupten) zu müssen. Grüße aus der Biophysik.

    Aber das sind Grundlagen, über die wir hier sprechen und scheinbar nicht übereinkommen. Und da stellt sich mir schon die Frage, ob das an der zur Philosophie nicht fähigen Wissenschaft liegt oder an einer die Wissenschaft nur oberflächlich wahrnehmenden Wissenschaftsphilosophie. Vielleicht sind beide einfach in Zielsetzung und Interesse viel unterschiedlicher, als es den in Sonntagsreden verbreiteten Anschein hat; entsprechend viele Missverständnisse zieht das dann wohl nach sich. Was wohl ganz ungeklärt leider das Resultat der langen Unterhaltung bleiben wird.

    Alle Gute,
    k.

  81. @ Stephan Schleim: zum p.s.

    Ach ja, zu Hogrebe: Leben kann ich mit vielem. Aber im Kommentarteil findet sich eigentlich auch schon genug Kritik, die ich so formulieren würde, dass eine Begrifflichkeiten in Frage stellende Philosophie nicht mehr in der Lage scheint, ihre eigenen Begrifflichkeiten gleichsam zu hinterfragen, sondern Begriffe wie Kultur oder Bewusstsein plötzlich für absolut und gegeben hinnimmt. Kein Wunder, dass man sich von einer naturwissenschaftlichen Hinterfragung dieser Begriffe bedroht fühlt. Schlechte Philosophie, wenn man dann einfach so tut, als gäbe es gar keine Möglichkeit, diese Begriffe so zu hinterfragen, und sie per Definition aus der Welt reden will.

    Aber etwas anderes zu Hogrebe: “einer der profiliertesten deutschen Philosophen” nennt da Wissenschaftler und Philosophen, die eine Anschauung und Philosophie vertreten, mit der er nicht übereinstimmt, “militant”, “Wissenschaftssekte” und andeutungsweise “intellektuell verdunkelt”.
    Das ist schon fast identisch dem Sprachgebrauch, den Kreationisten gegenüber Evolutionsbiologen pflegen. An der Stelle kann ich dann solche Leute schon nicht mehr ganz ernst nehmen. Offensichtlich fühlen die die Bedrohung stärker als sie ihre eigenen Argumente halten.

  82. Warum immer nur das Gehirn als solches?

    Müssen wir nicht vielmehr eine philosophische Betrachtung vornehmen, die eine Grenzbefragung leistet zwischen reversiblen und irreversiblen Prozessen?
    Als eine solche Grenze zeigt sich die Blut-Hirn-Schranke, sie wäre eine Betrachtung wert, wenn wir etwas über die thermodnamisch Barriere zwischen Handeln und Erkennen oder “Glaube” und “Evolution.” erfahren wollen.

  83. Metzinger und Konsorten

    Also mich interessiert das Geschriebsel von Metzinger und Konsorten auch nicht. Wissenschaft hat für mich den Zweck, Leben zu erklären bzw. mir das aufzuzeigen, was ich nicht auf den ersten Blick erkennen kann. Daher ist Psychologie für mich z.B. nicht unbedingt eine Wissenschaft, da sie versucht, etwas zu konstruieren, was meistens gar nicht vorhanden ist. Dass die angebliche Wissenschaft von Metzinger und Konsorten gekünstelt ist, dass merkt man auch ohne Hochschulabschluß, denn sie widerspricht jeder Erfahrung des Menschen seit dem es ihn gibt. Von daher sind Metzinger und Konsorten auch nicht gefährlich so wie Karl Marx, denn sie finden keine Anhänger oder Resonanz (mal abgesehen vom Sturm im Wasserglas, den mal ein Artikel in der FAZ verursacht hat über die literarische Ansicht, der Mensch habe keinen freien Willen). Eine solche Ideologie läßt sich lebensweltlich mit einfachen Versuchen widerlegen.

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