Formel M

BLOG: MATHEMATIK IM ALLTAG

Notizen über alles und nichts, von Günter M. Ziegler
MATHEMATIK IM ALLTAG

Das Mathematikjahr 2008 ist vorbei. Was gab’s Neues aus der Mathematik? Ergebnisse? Große Primzahlen! In der Tat, die Rekordmeldung von zwei neu-entdeckten Primzahlen mit mehr als 10 Millionen Stellen ist um die Welt gegangen, und wurde jetzt vom Time Magazine als eine der 50 wichtigsten Erfindungen des Jahres 2008 gefeiert:

Times Magazine: Mersenne-Primzahlen als Entdeckung des Jahres 

Das wirft Fragen auf. Warum sind Primzahlen so interessant? Sind sie Erfindungen? Sind sie "gute" Erfindungen?? Natürlich sind sie keine Erfindungen, große Primzahlen kann man suchen und entdecken, aber nicht erfinden.

Primzahlen sind die "Atome der Arithmetik", ganz grundlegende Bausteine der Mathematik. Was Primzahlen sind, weiß jedes Kind aus der Schule. Man kann Primzahlen herzeigen – die 2, die 3, die 5, die 11, die 73, die 91. Die Primzahlen sind aber auch ein Glücksfall der Wissenschaftskommunikation:

  1. Weil man von den Anfängen und den kleinen Beispielen so schnell zu ungelösten Fragen kommt: Gibt es unendlich viele Primzahlzwillinge (wie etwa 5 und 7, 11 und 13, 71 und 73)? Lässt sich jede gerade Zahl ab 4 als Summe von zwei Primzahlen schreiben (die Goldbach-Vermutung)? Wie viele Primzahlen mit 1000 Stellen gibt es? (Letzteres ließe sich recht präzise beantworten, wenn man die Riemann’sche Vermutung beweisen könnte.) 
  2. Weil sich Primzahlen zum Wettrennen anbieten. Rekordmeldungen über Primzahlen sind ja wunderbar – und im Rahmen des GIMPS-Projekts kann jeder und jede mitmachen, mitsuchen. Und es gibt Preise zu gewinnen – 150.000 $ für eine Primzahl mit mehr als 100 Millionen Stellen. Das Rennen geht weiter – auch 2009 wird es Rekordmeldungen geben. Die "Formel M" der Mathematik hat ja auch keine Finanzprobleme, ganz im Gegensatz zur "Formel I" … Mathematik ist eben eine billige Wissenschaft, liefert viel Nutzen mit wenig Geld und viel Hirn, ganz im Gegensatz zur "Formel I" …
  3. Und dann sind Primzahlen auch noch wichtig – für die Kryptographie, also etwa für die Sicherheit des Internet-Banking. Sogar der Suche nach großen Primzahlen hat noch praktischen Nutzen, etwa als Test für neue Computertechnologie. Das klingt theoretisch, ist es aber nicht – den berühmten "bug" im Pentium-Chip hat Thomas Nicely im Jahr 1994 bei der Berechnung der Brun’schen Konstante gefunden, die die Häufigkeit von Primzahlzwillingen misst.

Wunderbar auch, wenn mitten in der Finanzkrise, Krieg und Hunger ein Artikel von Wolfgang Blum über Primzahlen auf spiegel.de den Status "meist-gelesen" bekommt, zwei Plätze vor der Welternährungskrise:

Spiegel Online Screenshot: Primzahlen meistgelesen 

"Most wanted" bei den Spiegel-Lesern sind also Primzahlen! Keep on going! Trotzdem der Vorsatz für’s Neue Jahr: 2009 soll auch wieder Mathematikjahr sein, aber Sie sollen nicht nur Primzahlen zu sehen kriegen, sondern auch Geometrie – mit vielen Bildern. Und Optimierung, zwar eine theoretische Wissenschaft, aber unglaublich wichtig. Und vielleicht sogar Topologie. Topologie ist dem "Mann auf der Straße" schwer zu erklären – aber trotzdem. Vorsatz für’s neue Jahr.

PS: ja, ich weiß, 91 ist keine Primzahl. Aber es ist die kleinste Zahl, die "aussieht wie eine Primzahl". Ich mag sie. 

Veröffentlicht von

Professor für Mathematik an der Freien Universität Berlin, Leiter des “Medienbüros” der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, Aktivist, Kommunikator, Sekttrinker, Gelegenheitsblogger, Kolumnist und Buch-Autor: "Darf ich Zahlen?" und "Mathematik - Das ist doch keine Kunst!".

4 Kommentare

  1. 91

    91 ist keine Primzahl. Aber es ist die kleinste Zahl, die “aussieht wie eine Primzahl”. Ich mag sie.

    91 ist ja auch Produkt aus zwei Primzahlen (7×13), reinrassig!

  2. Jede natürliche Zahl ist ja Produkt aus Primzahlen. Haben aber diejenigen Zahlen, die aus prim-vielen Faktoren bestehen andere Eigenschaften, als Zahlen, die z.B. aus vier Primfaktoren bestehen?

    Das fände ich mal interessant…

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