Von Pfeifen und heißer Luft – Whistleblowerpreis für Gentechnikkritiker

Die Vereinigung deutscher Wissenschaftler hat dieses Jahr einen Whistlerblower-Preis verliehen. Whistleblower, das sind Menschen, die die Öffentlichkeit auf geheime und falsche Machenschaften von diversesten Organisationen aufmerksam machen. Am bekanntesten in Deutschland ist sicherlich Edward Snowden, der die massenhafte Überwachung der NSA an Zivilpersonen offenlegte und nun im Exil lebt, da ihm in seiner amerikanischen Heimat ein Verfahren wegen Hochverrats droht. Ähnlich bekannt ist auch Chelsea Manning, die den Folterskandal in Kriegsgefangenenlagern der USA sowie der Ermordung von Zivilisten im Irak aufdeckte. Sie ist mittlerweile aufgrund von Spionage zu 35 Jahren Haft verurteilt.2014-03-10 18.18.51

 

Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) hat nun beschlossen, einen Preis, den zuvor auch Edward Snowden und Chelsea Manning bekamen, einem Herrn namens Gilles-Eric Séralini zu geben. Séralini hatt 2014 durch eine umstrittene Studie an Ratten zu Glyphosat auf sich aufmerksam gemacht, welche wieder zurückgezogen wurde. Die VDW schreibt in seiner Pressemeldung dazu: „Das führte zur Zurückziehung der Veröffentlichung durch den Herausgeber der genannten Zeitschrift wegen „Unschlüssigkeit“ („inconclusiveness“) und damit zur Nichtzitierfähigkeit der darin enthaltenen Daten, was klar gegen internationale Regeln der Publikationsethik verstieß, wie sie das „Committee on Publication Ethics (COPE)“ festgelegt hat. Denn das Zurückziehen von Publikationen und der darin enthaltenen Daten ist danach nur bei schweren Verstößen wie nachgewiesener Fälschung oder Manipulation, ‘ehrlichem’ Irrtum (honest error) oder bei Plagiat gerechtfertigt.“ Hier wird jedoch etwas ausgelassen. Die COPE-Guidelines zur Zurückziehung von Artikeln gilt für „unreliable data“, also „nicht vertrauenswürdige Daten“ aufgrund von Fälschung, Manipulation und Irrtum. Der Editor in Chief des Journals bezeichnet die Séralini-Studie als unschlüssig wegen der geringen Anzahl der Versuchstiere und der hohen spontanen Krebsrate der verwendeten Rattenart. Das könnte man als unschlüssig wegen ehrlichem Irrtum bezeichnen.

Die Studie wurde danach jedoch bei Environmental Sciences Europe veröffentlich und die VDW „konnte damit auch für die kürzlich veröffentlichte Neubewertung von Glyphosat als ‘wahrscheinlich krebserregend’ durch die „International Agency for Research on Cancer (IARC)“ der Weltgesundheitsorganisation WHO herangezogen werden.“ (Beide Zitate stammen aus der Pressemitteilung zum Preis)

Es gibt jetzt eine Reihe von Dingen, die man hier erklären müsste: Séralini selbst, die WHO und ihre Annahmen darüber, ab wann etwas krebserregend ist, Glyphosat, die VDW und zu guter Letzt Whistleblowing.

 

 

Séralini

Séralini ist Professor der Molekularbiologie in Frankreich. Dort hat er selbst eine Anti-Gentechnik-Organisation gegründet, die er präsidiert. Das macht ihn schon einmal voreingenommen. Generell sollten Studien ja ergebnisoffen durchgeführt werden und nicht die eigene Haltung unterstützen. Zusammen mit Greenpeace führt Séralini einen Kampf gegen den Agrar-Konzern Monsanto, der bekanntermaßen gentechnisch veränderte Maissorten vertreibt. Der Artikel zur Schädlichkeit von gentechnisch verändertem Mais wurde von Forschungsarbeiten der EFSA widerlegt. Gleichzeit verkaufen Monsanto und 90 weitere Unternehmen (das Patent ist in den meisten Ländern abgelaufen) ein Herbizid namens Glyphosat, besser bekannt in seiner Formulierung „Roundup“. Und darum geht es nun.

 

 

Die WHO – und das Wort „krebserregend“

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Wort krebserregend zu beschreiben. Generell würde man sagen, wenn man etwas ausgesetzt ist, das Krebs auslöst, dann ist es krebserregend. Das klingt logisch. Nun nehmen wir aber mal eine Zigarette. Zigarettenrauch ist krebserregend. Wenn ich aber in meinem Leben ein einziges Mal eine Zigarette rauche, dann bekomme ich wahrscheinlich deswegen keinen Lungenkrebs. Ich muss schon ein paar Päckchen die Woche rauchen – und selbst dann muss ich nicht unbedingt Krebs bekommen. Da geht man normalerweise mit Paracelsus: Die Dosis macht das Gift. Je höher die Dosis, desto höher auch das Risiko, negativen Effekten ausgesetzt zu sein. Das ist der WHO allerdings egal. Die WHO untersucht Stoffe nicht darauf, ab wann sie Krebs verursachen, sondern nur ob. Das ist eine reine „True/False“-Frage, die auch recht einfach zu beantworten ist. Die schwierige Frage ist: ab wann und wie hoch ist das Risiko. Das beurteilt die WHO überhaupt nicht. Auch ob man dem Stoff überhaupt ausgesetzt wird, wird dabei nicht beachtet. So etwas macht – zumindest in Deutschland – der BfR. Und das sieht bei Glyphosat keinen Handlungsbedarf. (Verständlicher bei Detritus)

 

 

Was aber ist eigentlich Glyphosat?

Glyphosat ist eines der am häufigsten angewendeten Pflanzenschutzmittel. Glyphosat hemmt die Synthese der Aminosäuren Phenylalanin, Tryptophan und Tyrosin, wichtige Bausteine des Lebens. Nun ist es aber so, dass nur Pflanzen diese Aminosäuren selbst produzieren. Menschen müssen Phenylalanin und Tryptophan aufnehmen – und später aus ersterer dann Tyrosin herstellen. Somit greift es in einen Prozess ein, der beim Menschen gar nicht vorhanden ist, wirkt aber gegen alle Pflanzen. Daher wird Glyphosat im konventionellen Anbau vor dem Aussäen versprüht (manchmal aber auch kurz vor der Ernte). Oder aber man nimmt genveränderte Pflanzen, die gegen Glyphosat immun sind. Generell geben diverse Organisationen wenig Anlass zur Bedenklichkeit, während wiederum andere es verteufeln. Genaueres kann man im Wikipedia-Artikel nachlesen. Das Séralini-Paper zu Glyphosat hingegen hat Detritus hier auf Scilogs schon wunderbar zerpflückt.2014-07-18 10.00.20

 

Die VDW

 

Kommen wir nun zu der Organisation der VDW. Die VDW wurde 1959 von namhaften Physikern wie Carl Friedrich von Weizsäcker und die Nobelpreisträger Max Born, Otto Hahn, Werner Heisenberg und Max von Laue gegründet, die sich vor allem gegen Atomwaffen stark machen wollten und für Abrüstung eben dieser eintraten. Vorsitzende der VDW – und Kontaktperson für den Whistlerblowerpreis ist Ulrike Wunderle, ihres Zeichens Geschichtswissenschaftlerin. Vorsitzender der Jury für diesen Whistleblowerpreis ist Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht für Kommunalrecht. Des Weiteren wird der Vositzende des Kooperationspartners IALANA aufgeführt, Reiner Braun, Journalist und Aktivist bei der „Kooperation für den Frieden“. Letztere kooperierten im Winter 2014/2015 mit den sogenannten „Mahnwachen für den Frieden“, einer fragwürdigen Vereinigung (allerdings wurde nach Querelen von dieser Verbindung Abstand genommen).*

Diese drei Leute haben vor allem eines nicht: Naturwissenschaftliche Bildung. Sie haben nicht mal medizinische Bildung. Daher haben sie die Ereignisse um Séralini schlicht fehlgedeutet.

 

Zunächst einmal hat Séralini – im Gegensatz zu wirklichen Whistleblowern – kein fehlerhaftes Verhalten einer Organisation aufgedeckt. Er hat schlichtweg Studien publiziert. Auch dass seine Ergebnisse depubliziert wurden ist kein Vertuschen. Schließlich hätte Séralini die Ergebnisse ja auch ins Internet stellen können. Kann man es als Repressalie werten? Wurde Séralini als Verräter beschimpft? Nein, seine Studie wurde kritisch zerrissen und seine Unabhängigkeit angezweifelt. Das diskreditiert ihn und ist rundum nicht sonderlich angenehm, ist aber noch lange keine Repression. Es ist vielmehr so, dass man als Wissenschaftler mit seinen Ideen vor anderen Bestand haben und schließlich auch Beweise liefern muss. Letztendlich waren es auch keine geheimen Informationen die er an die Öffentlichkeit brachte, schließlich steht Glyphosat ja bereits seit Jahren immer wieder in der Kritik. Es gibt auch keinen Grund zur Annahme, das Wissenschaftler die Forschung zu Glyphosat boykottieren wollten – oder konnten.

 

Wir können aus dieser Preisverleihung nur lernen. Zum einen benötigen wir dringend unabhängige toxikologische Forschung welche Substanzen auf Toxizität prüfen und alle Studien offen legen müssen. Dann muss man bei Studien das Peer Review Verfahren transparent machen. Wie oft wurde etwas geändert und was wurde weshalb beanstandet? Vielleicht sollte man zu jeder Studie auch einen Text in einfacherer Sprache verfassen, um die Bedeutung der Studie auch Laien verständlich zu machen. Schließlich sollten die, mit den besten Daten gewinnen und nicht die, die am lautesten die Medientrommel rühren.

 

 

 

 

 

*Der Zufall wollte es, mir diesen Link in den Weg zu legen. Falls man sich weiter über Reiner Braun informieren will: http://restgedanken.de/?p=230

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Mein Name ist Anna Müllner, ich bin Biologin und habe in der Krebsforschung promoviert. Ich wohne im schönen Hessen und bin als PR-Beraterin für Gesundheitskommunikation tätig. Nach meinem Abitur beschloss ich Biologie zu studieren. Das tat ich zunächst an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, die weder in Bonn ist, noch am Rhein. Aber einer der drei Campusse liegt wirklich an der Sieg. Das letzte Jahr dieses Studiums verbrachte ich in Schottland, an der Robert-Gordon University of Aberdeen wo ich ein bisschen in die Biomedizin und die Forensik schnuppern durfte. Danach entschied ich mich für ein Masterstudium an der Universität Heidelberg in Molekularer Biotechnologie was ich mit der Promotion fortsetzte. Weitere Informationen und Möglichkeiten zu unterstützen finden Sie hier: https://linktr.ee/_adora_belle_

9 Kommentare

  1. Vielen Dank dafür! “Unabhängig” ist heutzutage eigentlich niemand mehr, denn dazu müßte man die eigene Forschung komplett selbst finanzieren (und selbst dann gäbe es auch noch “peer pressure”). U.a. gibt es aus diesem Grund in der Toxikologie zahlreiche Regeln (z.B. von der OECD) zur Durchführung von Studien und zur Interpretation von Ergebnissen. Séralini hat genau diese Regeln mißachtet und viele seiner Ergebnisse lassen sich genau dadurch erklären. Die verwendeten Ratten sind anfällig für Tumorbildung, besonders im höheren Alter.

    IARC hat Glyphosat als “wahrscheinlich krebserregend” eingestuft, auch ohne die zurückgezogene Studie (daß IARC dabei andere Studien ignoriert hat und das Ergebnis nicht ganz so eindeutig ist, ist eine andere Sache).

    Den meisten Menschen fehlt das Fachwissen, toxikologische Studien auszuwerten, und ähnlich wie bei Wakefield[1] bleibt hier einfach nur das diffuse Gefühl, daß es hier vielleicht doch Risiken gibt, die vertuscht werden sollen. Das ist verständlich – was ich allerdings nicht so ganz verstehe ist, daß auch Wissenschaftler, für die Daten über der Ideologie stehen sollten, ebenso agieren. Würde der VDW auch Andrew Wakefield einen Whistleblower Preis verleihen?

    [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Andrew_Wakefield

  2. Studien dienen heute oft politischen Zielen..ein weitere Schritt in diese Richtung ist es Forschern eine Robin-Hood Persönlichkeit aufzusetzen und sie als Whistleblower zu lobpreisen. Man sollte sich erinnern: auch schon zur Nazizeit wurde Forschung instrumentalisiert (Rassentheorien). Das Phänomen ist also nicht neu.

    Nicht selten können Studien trotz unklaren Resultaten die Öffentlichkeitsmeinung beeinflussen und politisch nachwirken. So haben mehrere Ladenketten Glyphosphat auf die WHO-Meldung hin verbannt.

  3. “Zum einen benötigen wir dringend unabhängige toxikologische Forschung welche Substanzen auf Toxizität prüfen und alle Studien offen legen müssen.”

    Als ob es das nicht längst gibt. Warum machen sie sich die Mühe, einen neutralen Bericht zu schreiben, um dann im letzten Absatz genau auf die gleiche Schiene der “Gentechnik-Verschwörungsgegnern” zu fahren?

  4. Gentech-, pharma- und agrokritische Einstellungen sind heute weit verbreitet, werden von bekannten Organisationen wie Greenpeace verfochten und haben die kritischen Konsumenten erreicht. Die kritische Haltung besteht typischerweise gegenüber einem ganzen Sektor,einer ganzen Technologie und trägt oft religöse Züge was sich in der Überzeugung der Gruppenmitglieder äussert, es gehe um einen Kampf zwischen Gut und Böse. In diesem Umfeld verwundert es nicht, dass auch zweifelhafte Studien Wirkung erzielen, denn in derartigen Kreisen ist die Bereitschaft gross, sich die skeptische Haltung bestätigen zu lassen. Forscher die mit ihren Studien den “Glauben” an das Richtige unterstützen, werden deshalb tendenziell heroisiert oder gar als Widerstandskämpfer ausgezeichnet (ein Whistle Blower kann als eine Art Widerstansdkämpfer, Antiverschwörer betrachtet werden).
    Mich beunruhigt vor allem, wie stark solche Überzeugungen inzwischen die Zivilgesellschaft infiltriert haben. So weit nämlich, dass Konsequenzen bis in den Alltag spürbar sind. Die Skepsis gegenüber genmodifizierten Nahrungsmitteln wurde gar in Gesetze gegossen und die zunehmend impfkritische Einstellung nicht mehr nur kleiner Kreise der Bevölkerung macht es unmöglich , die Masern auszurotten. Auch die Angst vor Mobilfunkstrahlung hatte und hat Konsequenzen: es wurden teils sehr tiefe Grenzwerte für Radiofrequenzen im Mobilfunk festgeschrieben und es gibt einen Widerstand gegen neue Mobilfunkmaste. Ich frage mich hin und wieder wohin das noch alles führt. Steuern wir gar auf einen neuen Luddidmus hin, gibt es neue Formen eines säkularen, antitechnischen Glaubensbekenntnisses? Welche Götzen werden da angebetet?

  5. Pingback:Irritierende Wissenschaftspreise: Ig-Nobelpreis und Whistleblower-Preis

  6. Das hätte ich nicht für mölich gehalten. Séralini bekommt einen Preis von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler.
    Das diskreditiert sowohl den Verein, als auch generell deutsche Wissenschaftler und leider auch bisherige Preisträger.
    Korrekt müsste es also Vereinigung Deutscher “Wissenschaftler” heißen, wie bei Deutsche “Demokratische” Republik und bei Klima-“Skeptiker”.

    Apropos, die Erfahrung zeigt, dass es unmöglich ist, Weltbilder, welche im Kern auf der klaren Kategorisierung von Dingen, Organisationen und Menschen in Gut und Böse beruhen mit Fakten und rationalem Denken ins Wanken zu bringen. Im Gegenteil:
    https://youtu.be/CtSk03efSqQ
    Das 10 minütige Video zeigt Untersuchungen, in denen man bibeltreuen Christen, “Skeptikern” oder Impfgegner Fakten präsentiert, die eindeutig gegen die Grundfesten Ihres Glaubens sprechen, Hinterher sind sie um so gefestigter in Ihrem Glauben, auf der Seite der Guten zu stehen, umzingelt von bösen Mächten,
    Man muss die Menschen also in ihrem Glauben abholen. Dazu braucht es wohl eher Prediger oder Verkäufer, die gleichwohl rational denken können, als rational artikulierende Politiker oder Wissenschaftler. Gibt es sowas oder ist das ein Widerspruch in sich?

  7. Pingback:ZellMedienThe Wurst Case | ZellMedien

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  9. Pingback:Psiram » Sie haben es wirklich getan: Ein Preis für Gilles-Éric Séralini

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