Spannungen

Gestern war wieder einer jener Tage… Ich schlage ein Motiv für unser Foto zum 7-monatigen vor und beginne, nachdem die Crew zugestimmt hat, meine Kamera aufzubauen. Daraufhin stellt Shey ihre Kamera direkt neben meiner auf, mit der Begründung, dass ja wohl jeder ein Crewfoto aufnehmen könne. Carmel versucht kurz, zu schlichten. Cyprien und Tristan dagegen schauen sich kurz an, schnappen sich ihre Kameras, und arrangieren sie mit einem Kichern kunstvoll genau zwischen den beiden großen Stativen, zum Ärger Sheys.

In gewisser Weise war diese Situation typisch, denn sie spaltete die Crew wie so oft in letzter Zeit in zwei Lager. Die Gruppe, die sich vor ein paar Monaten noch eher aus drei Zweiergruppen zusammensetzte, besteht heute ganz klar aus 4+2. Bei Diskussionen tritt diese Spaltung besonders klar zu Tage, wenn die immer gleichen Leute sich gegenseitig mit Argumenten unterstützen. Aber auch bei harmloseren Gelegenheiten ist die Spaltung sichtbar: Es sind immer die gleichen vier, die bei Entdeckungstouren dabei sind und freudestrahlend über noch so halsbrecherische Lavafelder ziehen, während die immer gleichen zwei zurück im Habitat bleiben, wo es viel sicherer ist. Gelegentlich findet man mich in Carmels Zimmer, oder Cyprien oder Tristan in meinem, aber die anderen beiden bleiben lieber unter sich.

Das Bild ist natürlich gestellt: Tristan "attackiert" mich mit einer Axt.
Das Bild ist natürlich gestellt: Andrzej “attackiert” mich mit einer Axt.

Zum Teil liegt das natürlich an persönlichen Vorlieben. Eines unserer Crewmitglieder fragt mindestens einmal täglich: „warum ein Risiko eingehen?“; ein anderes besteht darauf, bei jedem unserer Außeneinsätze, die weiter als 200 Meter vom Habitat wegführen, eine Sammlung an Pflastern im Erste-Hilfe-Beutel mitzuführen. Dabei ist zweifelhaft, inwieweit eine einfache Pflasterwunde einen Simulationsbruch rechtfertigen würde, denn ohne den sind die Heftpflaster überhaupt nicht verwendbar. Klar dagegen ist, dass die beiden, wenn überhaupt, nur noch pro forma gefragt werden, wenn eine neue Gegend oder gar eine neue Höhle erkundet werden soll. Carmel und ich zum Beispiel werden zwar auch nicht mehr gefragt, aber aus dem entgegen gesetzten Grund: Natürlich sind wir dabei, wenn es auf neues Terrain geht!

Die zweite Ursache für unsere 4+2 Spaltung sind vergangene Meinungsverschiedenheiten und daraus folgende Streits, die zumindest Narben hinterlassen haben. Ich habe zum Beispiel recht schnell gemerkt, welchem Crewmitglied ich besser aus dem Weg gehe, und da diese Einschätzung auf Gegenseitigkeit beruht, sind wir beide recht schnell zu einer Art stillen Übereinkunft gekommen. Carmel als Kommandantin hat diesen Luxus jedoch nicht, sie muss mit allen Crewmitgliedern im Dialog bleiben. So hat es zwischen den beiden etwas länger gedauert, bis sich der angestaute Frust dann doch entladen hat.

Spiel für die gesamte Crew: Pandemic.
Das Spiel, bei dem die gesamte Crew mit Begeisterung dabei ist: Pandemic.

Es wäre natürlich einfach zu sagen, dass die meisten Spannungen ihren Ursprung bei den „2“ haben, aber so einfach ist es dann doch nicht. Letztens kam die eine „Zwei“ nach einem Streit in mein Zimmer und ging erst wieder, nachdem wir beide zusammen gelacht hatten. Und wir „4“ machen bei Weitem auch nicht alles richtig. Ich selbst neige dazu, Leute vor den Kopf zu stoßen, wenn mir etwas nicht passt. Zufällig sind es immer die gleichen Leute; nichtsdestotrotz sage ich lieber rundheraus meine Meinung, als dass ich selbst frustriert in meinem Zimmerchen sitze. Cyprien ist zwar an sich eben so geradlinig, neigt aber dazu, schlechte Verhaltensweisen erst einmal zu lange durchgehen zu lassen, bevor er sich wehrt. Tristan dagegen sagt überhaupt nichts Negatives, es sei denn die betreffende Person ist außer Hörweite. Dann aber kann er umso gemeiner sein. Dieses Verhalten ist nicht nur unfair, es ist auch gefährlich: Wer ständig schlecht hinter jemandes Rücken redet, kann unmöglich den Respekt beibehalten, den ich vor einiger Zeit als essentiell für eine funktionierende Crew identifiziert hatte.

Vielleicht sind unsere aktuellen Spannungen ja ein Symptom des gefürchteten Dritten-Viertels, in dessen Mitte wir uns gerade befinden, und das berüchtigt für seine Stimmungs- und Produktivitätstiefs ist. Unsere 4+2 Spaltung ist nicht ganz neu, aber es fällt zunehmend schwerer, über kleine Ärgernisse hinwegzusehen. Noch zähle ich nicht die Tage bis zum Missionsende, aber jede Woche zähle ich die Tage bis zur nächsten EVA – wenn die Vorsichtigen im Habitat bleiben und ich Carmel durch das nächste unbekannte Loch in eine bisher unentdeckte Lavaröhre ziehen kann. Wo es auch ganz sicher zu keinem Streit über Motivkopien kommen wird.

Carmel und Tristan, in der wohl größten Höhle, die wir bisher gefunden haben.
Carmel und Tristan in der wohl größten Höhle, die wir bisher gefunden haben.

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Christiane Heinicke bloggt als Wissenschaftlerin und Versuchskaninchen aus der HI-SEAS-Forschungsstation auf Hawaii. Zuvor studierte sie Physik in Ilmenau und Uppsala und promovierte anschließend zu einem kontaktlosen Strömungsmessgerät. Zuletzt arbeitete sie in Helsinki an brechendem Meereis. Vor ihrer Zeit auf Hawaii verbrachte sie zwei Wochen auf der Mars Desert Research Station in Utah. Ständig umgeben von Wänden oder Raumanzug, wird sie während des Jahres am meisten das Gefühl von Sonnenstrahlen auf der Haut vermissen, dicht gefolgt vom Geschmack frisch gepflückter Himbeeren.

4 Kommentare

  1. Hi Cookie,
    das klingt (von außen berachtet) nach einem interessanten Spannungsfeld, intern jedoch manchmal schwierig damit leben zu müssen. Als ich deine Zeilen gelesen habe, fand ich sofort parallelen in meinem kleinen Kollegenteam auf der Arbeit. Darin haben wir auch devote und dominate, sowie risikofreudige und ängstliche/sicherheitsbewusste Mitarbeiter. Wir müssen zusammenarbeiten (dafür werden wir ja auch bezaht 😉 jeder ist Spezialist auf seinem Gebiet also ergänzen wir uns interdisziplinär. Was eigentlich gut ist, aber wir sind nun mal auch verschieden, was so wie schreibst zum “Aus dem Weg gehen” führt. Für das Teamüberleben ist dieser Abstand natürlich mal gut/notwendig. Aber für die fachlichen Sachen nicht. Du hast die Kernursachen, für eure 4-2 Aufteilung gut beschrieben, eben das es menschliche Verhaltensunterschiede gibt, ich sag mal in der “Gesinnung”. Jeder von euch als Hochschulabsolventen ist schlau genug dies zu erkennen. Ich vermute beide Seiten würden auch gerne die Gegenseite überzeugen, aber das wird nicht geschehen. Man ist wie man ist. Eine offener und kompromissbereite Umgang miteinander macht es zwar erträglich jeden Tag, aber im Hinterkopf werden die Vorbehalte bleiben.
    Ich denke ihr habt in Mission-Control doch ein paar sehr helle Leuchten sitzen, was schlagen die denn vor als Teambuildingmaßnahme? Ich sehe, dass bei uns eigentlich ganz gerne, dass auch mal Impulse von außen kommen. Ich bin eher für etwas Praktisches, dass ihr zusammen machen solltet, als nur darüber zu reden oder Fragebögen auszufüllen. May the force be with you, J

    • Hallo Jedi,
      Google forscht schon seit Jahren zu der Frage, was ein gutes Team ausmacht. Die fachliche Seite ist natürlich wichtig, aber der wichtigste Faktor ist, wie offen die Teammitglieder sich trauen miteinander umzugehen. Teambuilding kann natürlich genau da helfen, aber es muss bei jedem eine gewisse Grundbereitschaft vorhanden sein. Ich bin mir nicht sicher, ob die bei wirklich jedem Teammitglied gegeben ist. Ein relativ harmloses Beispiel: Kurz vor Weihnachten haben wir zweimal versucht, uns über die Traditionen in unserer jeweiligen Heimat auszutauschen. Beide Versuche wurden von der gleichen Person abgewürgt. Anders gesagt: wenn ein Teammitglied das Teambuilding aktiv verhindert, helfen auch die besten Gegenvorschläge nicht. Und der Rest bildet eben ein “Unterteam”, was genau das ist, was in unserem Team gerade passiert bzw. schon passiert ist.

  2. Hi,
    hmm, diese Anekdote scheint dich nachhaltig zu ärgern. Ich finde gut, dass du erkannt hast, dass Spott ein zweischneidiges Schwert ist. Es löst eigene Frustation auf, beschädigt aber den Teamzusammenhalt. Dein genanntes oder ähnliche Beispiele sind schade für das Teamfeeling. Ich denke, hättet ihr vor der Misson schon längere Zeit (z.B. 1-2 Jahre) alle beruflich zusammengearbeitet oder eine längere Prüfungszeit durchlaufen/-lebt mit intensiven Stresssituationen, hätte sich zwangsläufig eine noch besseres Vertrauensverhältnis und Ehrlichkeit miteinander entwickelt, wie bei einer eingespielten Gruppe von Bergsteigerprofis. Ich denke eure gebildetes Team hatte von Anfang an einen Nachteil. So etwas wie ein Verfallsdatum. Dadurch, dass alle wussten, dass es ein Ende gibt, war die Bereitschaft zur individuellen Anpassung an die Teammehrheit begrenzt. Je näher nun das Ende der Simulation kommt, um so weniger wird jedes Individuum noch bereit sein zu sich “beugen” oder Kompromisse einzugehen.
    Ein reales Weltraumszenario über mehrere Jahre, würde so etwas verringern, aber andere Probleme aufwerfen. Ich denke/befürchte, so etwas wie langzeit Projektmüdigkeit, Schicksalsängste o.ä.
    Zurück zur gefühlten Realität der Gruppenteilung, was tun, was für Möglichkeiten hast du, dass es dich nicht nervt/stört? Ignorieren – klappt nicht (so weit kennt man dich jetzt schon) und würde noch mehr Kraft kosten. Überzeugen – klappt nicht, da du dich nicht ändern wirst und die anderen Erwachsenen auch nicht. Akzeptieren – erscheint mit hier die vernünftigste Lösung für dich zu sein. Ich ziehe noch mal meine teilweisen schrulligen oder schwierigen Kollegen als Beispiel heran. Ich habe erkannt und akzeptiert, dass ich sie nicht mehr ändern kann. Sie sind so wie sie sind, ich muss damit Leben, jeden Arbeistag. Durch meine Akzeptanz/Toleranz, kann ich aber auch ausgeglichen damit Leben ohne dies in mich hinein zu fressen.
    Ich glaube, Einstein hat mal gesagt, die größte Leistung des menschlichen Gehirns ist “das Vergessen” können. (Andernfalls wären wir vermutlich auch alle wahnsinnig depressiv, wenn man seine eigen Fehler/Schmerzen/Niederlagen nie mehr los würde…)
    Vorschlag: Jeder im Team könnte mal abwechselnd 1-3 Dinge nennen die er gerne vergessen bzw. zurücknehmen würde auf eure Missionszeit bezogen die er selber gesagt hat.
    Keep the Spirit up!
    J

  3. Hallo Jedi!
    Ich denke, wenn wir mehr Zeit vor der eigentlichen Simulation gehabt hätten, hätten wir unser Team anders zusammen gestellt. Denn wie du schreibst, man kann die Menschen nicht ändern, schon gar nicht zu mehr Kooperationsbereitschaft erziehen. Die gute Nachricht ist jedoch, dass Astronauten für den echten Mars jahrelanges Training durchlaufen und Antipathien nicht erst nach eigentlichem Missionsbeginn entdeckt werden. Die zweite gute Nachricht ist, dass die “Unter”gruppe vermutlich gerade engere Freundschaften schmiedet, als es sonst der Fall gewesen wäre.
    Inwieweit sich eine dreijährige von einer einjährigen Mission unterscheidet, ist fraglich. Die typischen Missionsphasen dürften die gleichen sein, “nur” etwas länger. Projektmüdigkeit und Schicksalsängste sehe ich jedenfalls auch bei uns…
    Was das Vergessen angeht, stimme ich dir voll und ganz zu. Ich habe irgendwann angefangen, ein Missionstagebuch zu führen – das meiste, was ich da reintippe, habe ich am nächsten Morgen wieder vergessen. Und das ist auch gut so, schon allein weil ich mich sonst wegen all meiner bisherigen Fehler schämen müsste 😉

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