Nachhaltige Katastrophe

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„Die soziale Nachhaltigkeit versteht die Entwicklung der Gesellschaft als einen Weg, der Partizipation für alle Mitglieder einer Gemeinschaft ermöglicht. Dies umfasst einen Ausgleich sozialer Kräfte mit dem Ziel, eine auf Dauer zukunftsfähige, lebenswerte Gesellschaft zu erreichen.“ (Wikipedia, Stichwort Nachhaltigkeit)

Abgesehen davon, daß eine nicht auf Dauer „zukunftsfähige“ Gesellschaft gar keine „zukunftsfähige“ ist und daß eine Nachhaltigkeit gar nichts versteht, man statt dessen  wohl lesen muß: „Unter sozialer Nachhaltigkeit versteht man die Entwicklung …“, obwohl auch gemeint sein könnte, daß die Entwicklung die Nachhaltigkeit versteht: Man findet hier sehr schön die schon von etlichen Denkern ausgesprochene These bestätigt, daß die Erfindung von „Nachhaltigkeit“ die Welt in einen geistigen Abgrund geschleudert hat.

Was bedeutet „nachhaltig“? Nachhaltig ist z. B. ein chirurgischer Eingriff, dessen Wirkung lange nachhält; besser wäre es allerdings, nur die Wirkung nachhaltig zu nennen. Auch eine Ohrfeige kann eine nachhaltige Wirkung haben. Nennt man aber nicht nur eine bestimmte wirtschaftliche Maßnahme hinsichtlich einer bestimmten Wirkung nachhaltig, sondern eine ganze Wirtschafts- oder Gesellschaftsform, so ist das sprachlich schon ziemlich gewagt, aber wir wollen mal nicht so sein. Wir erdulden es, daß man auch Dingen von der Art einer Gesellschaft Nachhaltigkeit zuschreibt, und nehmen die Vergewaltigung der Sprachlogik hin, die darin liegt, daß man nachhaltig mit stabil gleichsetzt, wo sich doch das eine nur auf Wirkungen und allenfalls auf Ereignisse oder Akte beziehen kann, das andere dagegen auf Dinge oder Systeme.

Wenn wir das alles hinnehmen: Wie aber kommt man darauf, daß eine Gemeinschaft deshalb stabil – das heißt hier offenbar dauerhaft – ist, weil sie allen Mitgliedern Partizipation ermöglicht? Kann nicht auch eine Gesellschaft dauerhaft, ja vielleicht viel dauerhafter sein, die Partizipation unterbindet? Überdauerten die chinesische und die altägyptische Gesellschaft nicht Jahrhunderte, ja Jahrtausende in kaum veränderter Form, und hat man je davon gehört, daß dort das Partizipationswesen besonders entwickelt war? Wurden die Pläne für die Große Mauer oder die Cheops-Pyramide in den Rathäusern ausgelegt? Durfte ein Steineschlepper oder eine Haussklavin Einsprüche einreichen? Na also. Was geht im Hirn eines Experten oder Politikers vor, der meint, auf einen Weg, der Partizipation für alle Mitglieder einer Gemeinschaft ermöglicht, das Wort Nachhaltigkeit anwenden zu dürfen? Wahrscheinlich Ähnliches wie das, was in einem vorgeht, der die Diskriminierung von jemandem wegen seiner Religion Rassismus nennt: Nachhaltigkeit ist gut, ja in der Ecke des politischen Geschehens, in der man sich gerade tummelt, der Inbegriff des Guten. Darum muß Nachhaltigkeit alles, was es sonst noch an Gutem in der Welt gibt, umfassen, z. B. Partizipation.

 

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

5 Kommentare

  1. Scheinbar positiv

    Zudem kann man aus gutem Recht (Erfahrung) sagen, dass die guten Vorsätze sich mehr dazu eignen, eine Wahl zu gewinnen oder einem thematischen Sachverhalt und ihre Diskussion zu besänftigen, als dass damit wirklich besondere Vorteile (im Sinne der sozialen Gemeinschaft etwa) zu erlangen seien.
    Nachhaltigkeit hat einen solchen Faktor. Es suggeriert, dass man etwas noch besser machen kann, als es bisher getan werden konnte. Sowas ist gut für ein Weltbild. Dass es sozusagen mehr nicht ist, als diese Suggestion, fällt einem nur auf, wenn man sich tatsächlich einmal mit der Systematik beschäftgt.
    Die Gesellschaft wird stabil, nicht weil sie etwa partizipiert, sondern weil sie glaubt zu partizipieren und sich so in ihrer Litargie weiterhin wohlfühlen kann. Denn sie könnte, wenn sie wollte … partizipieren. Das aber tritt in den meisten Fällen sowieso nicht ein.

    Und überhaupt ist die Beschäftigung der Gemeinschaft mit sozialer Nachhaltigkeit ein böses Zeichen für einen sonderbaren Sinneswandel (vielleicht). Unter globalisierten Verhältnissen nämlich fällt sozusagen der Feind weg, weil ja alles eins sei. So kommt es dazu, das sich Gemeinschaften nun einen neuen suchen müssen. Ihn in sich selbst zu entdecken, sei dabei zwar ein löblicher Akt – der aber auch besondere Gefahren in sich birgt. Ähnliche strukturen gab es etwa im Nationalsozialismus, wo man die eigene Gesellschaft kritisch beäugte (Juden, Zigeuner, Ausländer…. sonstige Sozialversager, welche nicht ins Weltbild passen). Es bedeutet schlichtweg, dass man vor seiner eigenen Türe fegen soll/wird. In der heutigen Schnelligkeit, wie die Probleme angegangen werden, kann dies besondere Gefahren für Individuen in Gesellschaft bedeuten. Aus erfahrung seien dies meist jene, die sich dagenen aus vielen Gründen nicht wehren können – was nichts damit zu tun haben muß, dass kein Grund zur Abwehr bestehe, sondern, wei sie sich vielleicht nicht genügen artikulieren können.

  2. Partizipation des Pöbels…?

    Das ist symptomatisch. Natürlich können alle “partizipieren” – aber nur von dem, was sich sozial, wirtschaftlich und sonstwie irgend positiv (be)nutzen lässt. “Humankapital” ist nicht umsonst eine derart präziese Floskel. Es begibt sich also so, dass sich die Partizipation für alle nur auf einen bestimmten Teil des Wissensschatzes der Menschheit bezeiht. Niemand soll etwa unbedingt wissen müssen, wie eine Bombe gebaut wird oder diverse Pflanzengifte wirken. Damit kann ja jeder Schaden anrichten.

    Gutes beispiel sind totalitäre Strukturen, wie die alten Ägypter, die ja sicher nicht ihr zugrundeliegendes Volk an dem derzeitig möglichen Wissen haben Teilhaben lassen. Die Mär von der fantastischen Bibliothek in Alexandria mag dahingehend war sein, dass sie bestand. Jedoch nicht dahingehend, dass sie jedem zugänglich war – geschweige denn sie aus eigener Kunst überhaupt zu entschlüsseln (weil vielleicht des Lesens nicht mächtig).

    Wir müssen also damit rechnen, dass wir trotz allergrößter Mühe und Anstrengung des einzelnen nicht alle Wissensinhalte aneignen können – und, wenn dies möglich wäre, dass wir überhaupt alle Wisseninhalte verfügbar hätten. Wissen ist Macht. Da ist es unwahrscheinlich, das wirklich jeder gerade dazu befähigt werden solle, sich durch Wissen diese Macht etwa anzueignen oder auch nur von den darin liegenden Möglichkeiten kenntnis zu erhalten.

  3. @ Quentin Quencher

    Ich weiß es nicht mehr. Ich habe es nur schon hier und da gelesen und habe das hier nur hingeschrieben, damit nicht der Eindruck erweckt wird, ich sei als erster darauf gekommen.

    Vielen Dank dafür, daß Sie auf diesen Beitrag hingewiesen haben.

  4. Herr Trepl, Sie schreiben:

    “Man findet hier sehr schön die schon von etlichen Denkern ausgesprochene These bestätigt, daß die Erfindung von „Nachhaltigkeit“ die Welt in einen geistigen Abgrund geschleudert hat.”

    Wäre es Ihnen möglich, dies etwas zu konkretisieren und eventuelle Quellen nennen. Ich stimme der These durchaus zu, nur weiß ich nicht ob das aus dem selben Grund ist wie die “etlichen Denker.” Ich habe mir übrigens erlaubt, auf diesen Beitrag hier hinzuweisen.

  5. Nachhaltigkeit und “Limits to Growth”

    Der 1972 erschienene Bericht des Club of Rome “Limits to Growth” zeigte, dass fortgesetztes exponentielles ökonomisches Wachstum (jedes Jahr ein paar Prozent mehr) unvermeidlich im Kollaps enden muss – und dass bei Fortsetzung dee damaligen Wachstums schon Mitte des 21. Jahrhunderts.
    Das implizite Gegenmodell – nämlich ein Gleichgewichstszustand – wurde in diesem Bericht so eingeführt:
    „We are searching for a model output that represents a world system that is: 1. sustainable without sudden and uncontrollable collapse (…)“
    Der Brundtlandt-Bericht gab dann diese Definition: “Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.”
    Schon bald wurde der ursprünglich nur auf physische Ressourcen und Verschmutzung gemünzte Nachhaltigkeitsbegriff dann zur Trias der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit erweitert.

    Konsens ist, dass es unklar ist, was genau soziale Nachhaltigkeit meint. In der Wikipedia kommt das gut zum Ausdruck: (Zitat)

    Insgesamt hat der Begriff noch keine vollkommen klaren Konturen und kann daher je nach Kontext auch unterschiedlich verstanden werden; insbesondere ältere Texte unterscheiden sich z.T erheblich in der Verwendung des Begriffes. Nach einem anderen Verständnis sozialer Nachhaltigkeit kann nur durch die Überwindung sozialer Probleme ein Gleichgewicht im ökologischen Bereich hergestellt werden. Eine wieder andere Perspektive kommt zunehmend aus dem wirtschaftlichen Sprachgebrauch, die den Begriff soziale Nachhaltigkeit verwendet, um dauerhafte Phänomene und Effekte in der Gesellschaft zu erklären, z.B.: „nachhaltige Schädigung des Verbrauchervertrauens“. Teilweise wird der Begriff soziale Nachhaltigkeit auch synonym für Corporate Social Responsibility verwendet.

    Ludwig Trepl’s Einwände sind vor dem Hintergrund der jüngsten Geschichte des Begriffs Nachhaltigkeit allerdings zu allgemein. Ausgehend vom Bericht des Club of Rome, der die ganze Nachhaltigkeitsdebatte anschob, geht es bei diesem Begriff um unsere heutige industrielle/posindustrielle Gesellschaft und die hat ihren Ausgangspunkt in gewachsenen Demokratien, in welchen Partizipation nun mal wichtig. Da Demokratie in dieser Denkschule als Endzustand gedacht wird (das Ende der Geschichte beginnt dort) werden nicht-partizipative Gesellschaften als unstabil betrachtet.

    Das Problem der Nachhaltigkeit gab es in den von Ludwig Trepl genannten altägyptischen Gesellschaft und im kaiserlichen chinesichen Reich nicht, weil der Begriff Nachhaltigkeit immer zusammen mit seinem Gegenpart, dem geradezu explosiven wirtschaftlichen Wachstums unserer Jetzt-Zeit gedacht werden muss.

    Fazit: “Junge” Begriffe müssen im Kontext ihrer Entstehungsgeschichte verstanden werden und nicht aufgrund ihrer angestammten sprachlichen Bedeutung.