Für den Gabentisch: Bücher und Filme

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Die Welt ist also gestern doch nicht untergegangen. Eigentlich schade; jetzt muss man sich ein andermal davor fürchten. Aber man kann nicht immer Glück haben. Zeit also, sich ein paar Gedanken über Weihnachten zu machen und über passende Geschenke.
Wir Erwachsenen in der Familie schenken untereinander nichts mehr. (Das ist jetzt seltsam doppelsinnig, nicht wahr?) Geschenke sind etwas für die Kleinen, für Kinder und Enkel. Aber ab und zu durchbrechen wir diese Regel (wofür sonst sind solche Regeln da?), oder wir schenken uns selbst etwas. Für solche Gelegenheiten sind die folgenden Vorschläge gedacht: sich selbst oder jemandem, den man gern hat, wider die Regel zu Weihnachten (oder wann auch immer), etwas Gutes zu tun. Mit einem kleinen Geschenk eigener Wahl.

Ausführliche Würdigung der einzelnen Vorschläge demnächst. Falls nicht vorher doch noch die Welt untergeht. Vielleicht war der Maya-Kalende ja irgendwie falsch berechnet. Der Dreizehnte würde doch auch viel besser zum Aberglauben in puncto Unglücksbringer passen als so ein schlichter Zahlendreher wie der 21. 12. 2012. Man kann ja nie wissen. Vielleicht geht die Welt wirklich erst am 13. Januar  unter.

Hier also einige Bücher und Filme, die mir so gut gefallen haben, dass ich Sie gerne weiterempfehle.

 

Die Bücher

Da ist zunächst ein Krimi, der weit mehr ist als das: Termiten an Bord”, geschrieben von dem Berner Psychiater und Psychotherapeuten Hansruedi Gehring. Wir begeben uns an Bord eines französischen Schiffes auf dem Weg von Indien nach Frankreich, erleben ein Stück Selbstfindung des jungen Arztes und Protagonisten als Detektiv wider Willen. Und wir lösen mit deienr Hilfe natürlich den Fall.

“Erloschene Feuer. Industrie & Glück” nennt Gerald Sammet seine Dokumentation der Industrialisierung und ihres allmählichem Wiederverschwindens in meiner früheren Heimat Oberfranken. Mag sich als Empfehlung für Weihnachten etwas seltsam ausnehmen – aber zum einen ist diese Dokumentation sehr gut geschrieben und zudem ebenso informativ wie unterhaltsam. Und es soll ja auch Oberfranken geben, die Sachbücher lesen – vielleicht sogar unter den Besuchern dieses meines Blogs? Für mich war es jedenfalls wie ein Trip zurück in die Kindheit und Jugend. Gerald Sammet stammt nämlich aus dem selben Ort Rehau wie ich, und dieses Rehau kommt recht umfangreich im Buch vor – mit Schauplätzen, die ich als Kind selbst frequentiert habe. Rein zufällig, versteht sich.

Wer es mit der Industrialisierung und ihrer allmählichen Veränderung einer ganzen Landschaft nicht so hat, wird sich prächtig unterhalten in einem Buch vom selben Autor mit einem völlig anderen Sujet: Dem Leben von neun ausgewählten Katzen. Großartig beobachtet und erzählt, dieser “Unsinkbare Kater” und seinesgleichen! Ein köstlicher Lesegenuss nicht nur für Katzen-Fans.

Das Original von Anton M. Kolnbergers Zukunftsabenteuer “Auf unbekanntem Stern” wird man in der Ausgabe von 1948 kaum mehr finden. Jedenfalls nicht bei amazon; dort gibt es jedoch für einen Cent (kein Fehler: ein einziger Cent) mehrere Exemplare der gekürzten Taschenbuchausgabe. Für mich war die erneute (vierte) Lektüre als Selbsterfahrungstrip und Kindheitserinnerung genauso ergiebig und anregend-aufregend wie damals, 1948. Da bekam ich den Roman als erstes eigenes Buch meines Lebens überhaupt zu Weihnachten geschenkt. Wer das Original noch irgendwo im Internet ergattern kann und SF mag, sollte es tun – schon allein wegen der vier farbigen und an die fünfzig schwarzweißen Illustrationen von des Autors eigener Hand. Sense of wonder pur!

“Mendelejews Traum” von Paul Strathern dokumentiert die wirklich abenteuerliche Entdeckung des Periodensystems der Elemente durch den russischen Chemiker Dmitrij Mendelejew. Sie führt “Von den vier Elementen zu den Bausteinen des Universums” (so der Untertitel) und basiert tatsächlich, wie der Titel andeutet, auf einem Traum des Wissenschaftlers. Von daher ist das Buch für mich als Kreativitätspsychologen zusätzlich interessant gewesen.

Wer all das nicht mag und vielleicht eher neugierig darauf ist, was die Weltbestsellerautorin Joanne K. Rowling außer Harry Potter sonst noch drauf hat – der/dem möchte ich sehr ihren neuen Roman “Ein plötzlicher Todesfall” empfehlen. Den halte ich für weit gelungenener als manche ihrer naserümpfenden Literaturkritikaster zugeben würden. Das wird näher zu begründen sein.

Kann man von der Rowling viel für das direkte eigenen Handwerk des Schreibens wie Charakterzeichnung, Schauplatzbeschreibung und den raffinierten Ausbau eines Plots zu einer vielschichtigen Handlung lernen – so ist Christopher Voglers “The Writer´s Journey” ein Muss für jeden, der sich Gedanken über die Konstruktion einer tragfähigen Geschichte nach dem Konzept der Heldenreise macht. Außerdem – der Titel der amerikanischen Originalausgabe signalisiert es bereits, erfährt man viel über die Heldenreise, die man selbst als Autor beim Verfassen eines eigenen Buches durchlebt und durchleidet. Vogler erspart einem nicht nur die – etwas altväterlich-gravitätische – Lektüre von Joseph Campbells grundlegender mythologischer Studie “The Hero with a Thousend Faces”, diesem Klassiker von 1949.
Die besonders erfreuliche Nachricht: War die begehrte deutsche Ausgabe von Voglers Sachbuch plus Ratgeber “Die Odyssee des Drehbuchschreibers” vor nicht allzulanger Zeit vergriffen und nur via Antiquar für stolze 140 (!) €uro erhältlich, so liegt sie jetzt wieder zu erschwinglichen 39,80 € bei Zweitausendeins vor.

Am 15. August des Jahres starb Harry Harrison (geb. 1925). Keiner der ganz Großen der Science Fiction – aber einer der sehr wenigen Autoren dieses Genres, die echt humorvoll schreiben konnten. Seine “Stahlratte”-Abenteuer haben wirklich Spaß gemacht, als ich sie 1961 als Fortsetzungsroman in – damals noch – Astounding Science Fiction (danach Analog SF) las. Ein durchtriebener Gauner mit dem Spitznamen Stainless Steeel Rat wird von seinen Verfolgern aus der Polizei “umgedreht” und zum sehr erfolgreichen Geheimagenten gemacht. Empfehlen kann ich auch noch seine “Deathworld”-Trilogie. Vor allem deren erster Band gilt aus gutem Grund als Vorbild oder Anregung für Camerons Riesenerfolg “Avatar”. Aber Harrison hat noch ganz andere Verdienste, die in den Nekrologen und im Wikipedia-Artikel nicht vorkommen – davon demnächst mehr. (S. auch unten den Film “Soylent Green” nach einem seiner Romane.)

“Angst” (The Fear Index) von Robert Harris ist die Art von SF, die ich heute am liebsten lese: Sehr nah an der Wirklichkeit, mit einem Tick sense of wonder. Den Labyrinthologen freut, dass im Thriller viermal Labyrinthisches auftaucht.

Bleibt noch die Erinnerung an Hermann Kern, dessen bahnbrechendes, nach wie vor unübertroffenes Buch über die “Labyrinthe” vor dreißig Jahren erschienen ist. Wer das besitzt und immer wieder darin schmökert, wird reich beschenkt. Es lohnt sich in jedem Fall, nicht die lieferbare Paperback-Ausgabe zu erwerben, sondern antiquarisch das ursprüngliche Hardcover von 1982. Ein Sachbuch, das einen durch das ganze Leben begleitert – wenn man sich für Labyrinthe und das ganze Drumherum interessiert.

 

Die Filme

Vor einigen Tagen starb, 92jährig, der indische Sitar-Virtuose Ravi Shankar. Diesem Musiker habe ich weit mehr zu verdanken als die Sensibilisierung für die Welt der indischen Musik. Vor zwölf Jahren wurde ein großartiges Konzert von ihm in London von der BBC aufgenommen. Man kann sich dieses optische und musikalische Erlebnis auf DVD gönnen: “Ravi Shankar in Portrait”.

Von der Ariadne-Geschichte, als einem der zentralen Aspekte der Labyrinthiade, gibt es mehr als vierzig (!) Opernbearbeitungen. Diese “Ariadne auf Naxos” von Hugo von Hoffmannsthal (Libretto) und Richard Strauß (Musik) ist nicht nur ein musikalischer und intellektueller Genuss, sondern zudem meines Wissens die bisher einzige Ausgabe auf Blu-ray. Es handelt sich um eine Aufnahme aus dem Opernhaus in Zürich der Aufführung von 2006, mit Christoph von Dohnáni als Dirigent, Claus Guth als Regisseur, Ronnie Dietrich als Dramaturg und der brillanten Gundula Janovitz in der Titelrolle der Ariadne.

Wer von DVD gerade auf Blu-ray umsteigt und Science Fiction mag, wird mit Freuden lesen, dass die “Barbarella” (mit Jane Fonda in der Titelrolle) den Umzug ins neue Medienformat ebenso geschafft hat wie ein andererer Klassiker, “Alarm im Weltall” (Forbidden Planet). Barbarella wurde optisch gegenüber der DVD deutlich verbessert; nur der Sound ist immer noch recht klirrend und in mono. Aber das macht nichts: Diese unglaublich schräge und – für die SF früherer Jahre (1968) – unglaublich erotische Blitzreise durch das Universum des Jahrs 40.000 vor uns ist den Kauf allemal wert.

Auch “Soylent Green” (Regie: Richard Fleischer) ist jetzt auf Blu-ray herausgekommen – die recht gelungene Umsetzung von Harry Harrisons SF-Roman “Make Room, make room!”. Der Name des Regisseurs ist, zumindest im Deutschen, ausgesprochen makaber – denn um “Fleisch” geht es im Film, genau: um Menschenfleisch. Eine Pointe nur im Film, die dem Autor Harrison überhaupt nicht – pardon – geschmeckt hat.

 

Eine Ausstellung

Bis zum 10. März ist im “Haus der Geschichte” (Bonn, Willy-Brandt-Allee 14) die Ausstellung “Science Fiction in Deutschland” geöffnet. Bisher kenne ich nur das aktuelle Heft der hauseigenen Zeitschrift museumsmagazin, in deren Dezember-Heft die Ausstellung auf 18 Seiten farbenprächtig vorgestellt wird (Zander 2012). Einer der Beiträge enthält ein Interview mit Jesco von Puttkamer, dessen Lebenslinie meine immer wieder kreuzt (diesmal nur virtuell), seit wir uns 1957 im Science Fiction Club Deutschland kennengelernt haben. Wer die Ausstellung nicht persönlich besuchen kann, sollte sich das Heft bestellen – es lohnt sich (für zwei €uro).
(Danke für den Hinweis, Rainer Eisfeld, und für die Zusendung des Heftes! – auch so eine kreuzende Lebenslinie aus jener frühen Zeit des SF-Fandoms.)

 

Wie der Zufall so will, haben alle diese Vorschläge etwas Labyrinthisches in sich

Dafür kann ich nichts. Das ist wirklich Zufall. Nur die “Ariadne auf Naxos” habe ich bewusst wegen des Labyrinth-Themas ausgesucht; denn Opern interessieren mich normalerweise nicht. Naja: Ich erinnerte mich auch, dass die vielfach geplagte “Barbarella” sich durch einen veritablen Irrgarten schlagen muss, um diesen seltsamen Engel Kygar zu retten. Nachdem sie ihn vernascht hat.

Quellen
Campbell, Joseph.: Der Heros in tausend Gestalten. ((The Hero with a Thaosand Faces _ New York 1949, Bollingen Foundation) Frankfurt am Main 1978 (Suhrkamp/Insel) 4., Aufl. (19. April 2007)
Dohnáni, Christoph von (Dirigat), Guth, Claus (Regie), Dietrich, Ronnie (Dramaturgie): Ariadne auf Naxos. Aufführung im Opernhaus Zürich Dezember 2006 (Blu-ray). Arthaus Musik GmbH
Fleischer, Richard: Soylent Green. USA 1973 (Metro Goldwyn Mayer) – dt. Jahr 2022… die überleben wollen
Gehring, Hansruedi: Termiten an Bord. Zürich 2010 (Wolfbach Verlag). ISBN 978-3-905910-06-3
Harris, Robert: Angst (The Fear Index). (London 2010_Hutchison?) München 2011 (Heyne TB)
Harrison, Harry: New York 1999 (Make Room! Make Room!) (Great Britain 1969). München 1992 (Heyne TB)
Kolnberger, Anton F.: Auf unbekanntem Stern. Nürnberg 1948 (Die Egge).
Mainwaring, Marion: Neun auf einer Fährte (Murder in Pastiche_New York 1954_Macmillan). Reinbek 1964-01 / 2. Aufl. 1979-01 (Rowohlt Thriller TB)
Kern, Hermann: Labyrinthe. Erscheinungsformen und Deutungen – 5000 Jahre Gegenwart eines Urbilds. München 1982 (Prestel)
Kidel, Mark (Regie): Ravi Shankar in Portrait. Great Britain 2002 (BBC / Opus Arte)
Puttkamer, Jesco von (Interview) → Zander
Rowling, Joanne K.: Ein plötzlicher Todesfall ((The Casual Vacancy, London 2012_Little Brown) Hamburg 2012 (Carlsen Verlag)
Sammet, Gerald: Erloschene Feuer. Industrie & Glück. Schwarzenbach/Saale 2012. (Transit Verlag)
ders.: Der unsinkbare Kater. Neun Katzenleben. Schwarzenbach/Saale (Transit Verlag)
Strathern, Paul: Mendelejews Traum. (London 2000) München 2000 (Ullstein)
Vadim, Roger(Regie): Barbarella. Frankreich Italien 1968 (Dino de Laurentiis)
Vogler, Christopher: Die Odyssee des Drehbuchschreibers (The Writers Journey). (1998) Frankfurt am Main 2004 (Zweitausendeins)
Wilcox, Fred McLeod (Regie): Forbidden Planet (Alarm im Weltall). USA 1956 (MGM)
Zander, Ulrike (Redaktion): “Science Fiction in Deutschland (Ausstellung in Bonn)”. In: museumsmagazin Haus der Geschichte Bonn, Heft 4 – Dez 2012, S. 03-21 (
Darin: Interview mit Jesco von Puttkamer, S. 20/21)

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem Willkommen im Labyrinth des Schreibens und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.

228 / #757 Jvs /1487 SciLogs / Begonnen in der Virtuellen Schreib-Werkstatt #319 vom 22. Dez 2012

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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