Weihnachten auf Fimbulisen

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Gastbeitrag von Tore Hattermann

Viele kennen die Satellitenbilder der antarktischen Küste. Kilometerdicke Eismassen fließen vom Kontinent ins Meer und formen schwimmende Schelfeise. Sie bedecken rund 1,5 Millionen Quadratkilometer des küstennahen Ozeans – das entspricht mehr als der Hälfte der Fläche des europäischen Mittelmeeres – und bilden eine wichtige Verbindung zwischen dem gefrorenen Wasser an Land und dem flüssigen Inhalt der Weltmeere (siehe KlimaLounge). Welchen Einfluss der Klimawandel auf diese Schelfeise hat, ist spätestens seit dem Zerbrechen einiger Schelfe an der Westantarktischen Halbinsel zu einer wichtigen Fragestellung in der Klimaforschung geworden.

Besonders die Schmelzrate an der Unterseite bestimmt, ob Schelfeise schrumpfen oder wachsen (siehe KlimaLounge). Der Wärmehaushalt an der Kontaktfläche zwischen Eis und Ozean wird dabei maßgeblich durch die regionale Ozeanzirkulation bestimmt. Sie vermischt kaltes Schmelzwasser mit vergleichsweise warmem Wasser aus den Tiefen des Ozeans und stellt auf diese Weise die nötige Schmelzwärme zur Verfügung. Das Verständnis dieser Mischprozesse ist für eine realistische Beschreibung des Schelfeisschmelzens in globalen Klimamodellen unverzichtbar.

 

Tore Hattermann Oktober 2009
Abb1: Das Fimbul-Schelfeis oder „Fimbulisen“ liegt an der Küste von Dronning Maud Land, etwa 300 km nördlich von der ganzjährig bemannten, norwegischen Forschungsstation „Troll“. Wir werden Troll in der ersten Novemberwoche per Flugzeug aus Kapstadt erreichen. Auf dem benachbarten Eckström-Schelfeis westlich von Fimbulisen liegt außerdem die vom deutschen Alfred Wegener Institut betriebene Neumayer-Station.

Da auch modernste Satellitenbilder nicht zeigen, was sich unter dem Eis abspielt, sind Messungen vor Ort nach wie vor die einzige Möglichkeit, um die komplizierte Zirkulation zu beobachten. Aus diesem Grund wird sich unser elfköpfiges Expeditionsteam Anfang November im Auftrag des Norwegischen Polarinstituts auf den Weg in die Antarktis machen. Im Rahmen des „Fimbul Ice Shelf – Top to Bottom” Projektes werden wir bis Mitte Januar in Zelten auf einer schwimmenden Eisschicht an der Küste von Dronning Maud Land leben (Abb. 1 & 2). Währenddessen wollen wir durch aufwändige Messungen mehr über die Physik des Schelfeises und des darunter liegenden Ozeans lernen. Ich werde hier in der KlimaLounge regelmäßig über den Fortschritt der Expedition berichten.

Mit Hilfe von kochendem Wasser werden an drei Stationen Löcher in das mehrere hundert Meter dicke Eis geschmolzen, um anschließend dort eine Reihe von Messinstrumenten in den Ozean herunter zu lassen. Diese Instrumente sollen einige Jahre die Temperatur, den Salzgehalt und die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers aufzeichnen und damit wertvolle Anhaltspunkte für unser Verständnis und letztendlich für Computersimulationen liefern. Die Bohrdauer für ein Loch mit 20 cm Durchmesser wird je nach Dicke des Eises am jeweiligen Standort etwa 12-24 Stunden betragen. Dennoch erwarten wir, dass am ersten Standort bis zu drei Wochen vergehen, bevor die Instrumente ausgesetzt sind. So lange wird es dauern, bis alle Gerätschaften aufgebaut, getestet und betriebsbereit sind.

Tore Hattermann Oktober 2009
Abb. 2: Querschnitt durch das Landeis-Schelfeis-Ozean System entlang der Küste von Dronning Maud Land. Die Farben im Ozean zeigen die Wassertemperatur, basierend auf Messungen des dt. Forschungsschiffes Polarstern im Januar 2008 (Illustration: Ole Anders Nøst, Norwegisches Polarinstitut). Trotz der relativ geringen Größe des Schelfeises, ist der vermutliche Massenverlust unter Fimbulisen vergleichbar mit der Schmelzwassermenge unter den vielfach größeren Filchner-Ronne- und Ross-Schelfeisen im Weddell- und Rossmeer. Der Grund hierfür ist der kurze Kontinentalsokkel, der nur etwa 50 Kilometer nördlich des Schlefeises auf rund dreitausend Meter Tiefe abfällt. Auf diese Weise gelangt warmes Wasser aus der Tiefe fast bis an die Schlefeiskannte.  Eine zentrale Aufgabe des Fimbul – Top to Bottom Projektes ist es, den Wärmetransport durch die „Antarctic Slope Front“ besser zu verstehen.

Generell ist die wissenschaftliche  Arbeit in Antarktis mit extrem viel Aufwand verbunden. Nicht allein die unwirtliche Umgebung, sondern insbesondere die fehlende Infrastruktur stellt uns vor zusätzliche Herausforderungen. Bereits vergangenes Jahr wurden zwölf Tonnen Ausrüstung verschifft, die nun in der norwegischen Forschungsstation „Troll” darauf warten, von uns auf Schlitten verladen zu werden. Dazu kommen noch eine mobile Werkstatt- und eine Kücheneinheit sowie 120 Fässer Treibstoff und eine halbe Tonne mit persönlicher Ausrüstung. Mit diesem Gepäck im Schlepptau werden wir uns etwa zwei Wochen nach unserer Ankunft in Troll auf den Weg zum ersten Bohrloch machen. Zwei bis drei Tage wird es dauern, bis wir die 500 km mit dem Pisten Bully zurückgelegt haben. Kritisch ist dabei der Übergang vom Landeis auf das Schwimmende Schelfeis. Vom Schnee verdeckte, meterbreite Gletscherspalten sind in dieser Region keine Seltenheit. Zwei erfahrene Sicherheitsingenieure werden ein paar Tage vorausfahren, um mit Hilfe von aktuellen Sattellitenaufnahmen eine zuverlässige Route für den Konvoi zu finden.

Auch das tägliche Leben auf dem Schelfeis birgt allerhand ungewohnte Schwierigkeiten. Da ein Großteil der Arbeit im Freien stattfindet, sind wir völlig den Launen des Wetters ausgesetzt. Bei starkem Wind und schlechter Sicht werden wir nichts anderes tun können, als im Zelt auf Besserung zu warten. Auch die Bandbreite dessen, was ich bisher über die Körperhygiene bei Antarktisaufenthalten gehört habe ist groß, aber ich glaube, dass wir mit unserer zusammenlegbaren Campingdusche durchaus in der gehobenen Mittelklasse rangieren. Nicht zuletzt stellt das dauerhafte Zusammenleben und der begrenzte Kontakt zur Außenwelt eine Herausforderung für das gesamte Expeditionsteam dar. Aber ich glaube nicht nur ich habe ein paar Kleinigkeiten eingepackt, um uns den bevorstehenden Weihnachtsabend zu versüßen – Hoffentlich in guter Gesellschaft mit der strahlenden Mitternachtssonne! 

  Tore Hattermann Oktober 2009
Abb. 3 Tore Hattermann wird in den nächsten Wochen und Monaten direkt vom Eisschelf in der Antarktis über Alltag und Forschung während der Expedition berichten. Er hat Physik in Bremen und Göttingen studierte und seine erste Begegnung mit der Polar- und Klimaforschung während des Auslandsstudiums auf Spitzbergen gemacht. Danach fertigte er seine Dipomarbeit über Eisschelf-Ozean Prozesse in einem globalen Klimamodell am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung unter Betreueung von Anders Levermann an. Zur Zeit forscht er für seine Doktorarbeit über den Wärmeaustausch durch die „Antarctic Slope Front“ und dessen Implikationen für das Schelfeisschmelzen am norwegischen Polarinstitut unter Betreuung von Ole Anders Nøst. „Felderfahrung“ erlangte er auch durch langjähriges ehrenamtliches Engagement bei der Christlichen Pfadfinderschaft Deutschlands e.V. (CPD) als Leiter von nationalen und internationalen Lagern und Fahrten mitunter als Organisator eines Jugendaustausches zwischen russischen Pfadfindern am Baikalsee und regionalen Gruppen der CPD und zuletzt als Leiter des bundesweiten Sommerlagers 2008 mit über 1500 Teilnehmern im Nördlinger Ries. (Foto: Stein Tronstad, Norwegisches Polarinstitut)

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Anders Levermann ist Professor für Dynamik des Klimasystems im physikalischen Institut der Universität Potsdam. Er leitet den Forschungsbereich Globale Anpassungsstrategien am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er ist unter anderem einer der leitenden Autoren im Meeresspiegelkapitel des letzten IPCC-Klimareports und beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen zwischen Ozean und Cryosphäre in Vergangenheit und Zukunft.

6 Kommentare

  1. Komfort – Ersatz

    Hallo Tore,

    ich wünsche Ihnen viel Glück und Erfolg bei der Expedition. Wenn man in Situationen kommt wo man einen gewissen Komfort vermisst, gibt es eine gute Methode um darüber hinwegzukommen:

    Man muß nur daran denken wie es den Leuten in früheren Zeiten in ähnlichen Situationen ergangen ist. In Ihrem Fall könnte z.B. ein Buch über die Shackleton – Expedition extrem hilfreich sein. Immer nach dem Motto:

    Früher waren die Schiffe aus Holz und die Männer aus Stahl…

    PS: Falls es mir hier auf den Philippinen mal zu heiß werden sollte werde ich an Sie denken…

  2. Weihnachten auf Antarktis

    Weihnachten auf Antarktis, das wäre ja ein Traum 🙂

    Vielen Dank für den sehr ausführlichen Bericht, Tore.

    Gruss
    Dagmar

  3. viel

    so eine Unternehmung ist immer eine spannende Herausforderung. Vor 4 Jahrzehnten sah die Anreise noch ganz anders aus, dauerte Wochen und man war dann wirklich sehr sehr abgeschnitten, Kontakt zu Familie etc. oft über Monate NULL. Dennoch, viel Glück!
    Ich glaube zwar nicht, dass man diverse Eisschelfkollapse auf eine Erwärmung zurück führen kann und ich frage mich auch, wer dertige Forschungsreisen finanziert? Nicht das ich sie für überflüssig halten würde, nur kommt es mir leider schon wieder irgendwie so vor, dass man dort irgendwas finden müsste, was eine Erwärmung zeigt. Wenn man schon an Land und rund herum nichts nennenswertes an Änderungen messen kann (excl. die Westantarktische HI vielleicht), dann vielleicht unter den Eisschelfen. Sehe ich mir die T Werte der Ozeane rund um die Antarktis an, finde ich doch eher negative Anomalien, auch die Tiefenmessungen zeigen keine signifikante Erwärmung. Wenn nun ein “Deckel” Eis über dem Meer liegt, was erwartet man sich denn? Einen “Hitzestau” ohne Quelle? Warum legt eigentlich die antarktische Meereisfläche seit Jahrzehnten zu? Sagen sie bitte nicht durch gewisse Schmelzvorgänge. Naja, ich traue mich fast wetten, dass ihre Ergebnisse eine beschleunigte Erwärmung zeigen werden und das in absehbarer Zeit mit dem Kollaps weiterer großer Eisschilde “likely” zu rechnen sein wird…ich kann mich aber auch täuschen.

    [Antwort: Die Strömungen unter den Eisschelfen sind noch sehr wenig verstanden. Wie Sie hervorgehoben haben, gibt es ja schon sehr lange Expeditionen in die Antarktis auch ohne einen direkten Bezug zur globalen Erwärmung. Hier geht es um das Verständnis einer wichtigen Komponente unseres Klimasystems, der Eisschelfe. Anders Levermann]

  4. Antarktische

    Hallo Tore,

    ich kann mich ganz schwach an einen Bericht erinnern, wonach Wissenschaftler auf einer Antarktis-Station mit Pflanzenzucht experimentieren. Falls Sie damit zufällig in Berührung kommen sollten würden mich nähere Infos interessieren.

    Da ich mich mit Landwirtschaft unter extremen tropischen Bedingungen (out of season planting, also z.B. Tomaten im monatelangen Dauerregen…) befasse, kann es bestimmt nicht schaden von Experimenten unter anderen Extrembedingungen zu lernen.

    Gruß aus dem Tropenbüro, Jochen

  5. eine Frage noch

    wenn es schon in kalte Gegenden geht, so kann man ja auch mal die T abhängige Absorbtionsfähigkeit des CO2 ansprechen. Man kennt die bekannten Banden und Linien, deren Maxima etc.
    Nun wird ja auch gesagt, der Anteil am natürlichen GHE von ca. 33°C wird im Mittel mit ca. 20% vom CO2 getragen.
    Heisst das nun 20%, wenn man sich den Rest der Atmosphäre wegdenkt?
    In der realen Atmosphäre hat man eben auch Wasserdampf in sehr unterschiedlicher Konzetration und auch Wasser in Form von Wolken und natürlich auch Eiskristalle. Alles existiert gleichzeitig neben den CO2 Molekülen.

    Die Frage nun:

    wenn ich theoretisch alles CO2 aus der Troposphäre entferne, wie viel bleibt von den 33°C GHE lt. Strahlungsbilanz übrig?

    Bzw. wie hoch ist der % uelle Anteil des CO2 am GHE in der realen Atmosphäre inkl. Wolken und aller IR absorbierenden Gase und Stoffe, Überlagerungen der Banden etc…

    Danke für Antworten bzw. Links.

    [Antwort: Link (englisch): http://www.realclimate.org/index.php/archives/2005/04/water-vapour-feedback-or-forcing/ Urs Neu]

  6. Weihnachten mal anders

    Ich kam über eine andere Seite auf diesen Blog und war ganz begeistert von diesem Beitrag. Weihnachten doch auch mal ganz anders feiern.

    Gruß
    Kai