Abschied von Jürgen Schmid

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Ein großartiger Mensch und großer Wissenschaftler ist plötzlich und viel zu früh von uns gegangen. Jürgen Schmid, der am Montag verstarb, war einer der Visionäre und Pioniere der erneuerbaren Energien. Er hat das Fraunhofer IWES zu einem der weltweit führenden Forschungsinstitute auf diesem Gebiet gemacht, das er bis zu seiner Pensionierung Ende 2012 leitete.

Ich hatte das große Glück und Privileg, die vergangenen acht Jahre mit Jürgen Schmid im Wissenschaftlichen Beirat globale Umweltveränderungen (WBGU) zusammen zu arbeiten. Ich habe sehr viel von ihm gelernt, und seine Zuversicht und sein Optimismus waren ansteckend.

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Vor kurzem wurde Jürgen Schmid durch den WBGU-Comic auch zum Comic-Helden. Dort sieht man ihn, wie er vom Hubschrauber auf ein Offshore-Windrad abgeseilt wird. Das war sein Leben. Jürgen Schmids Kapitel im WBGU-Comic ist überschrieben: “Technisch geht alles”. Das passt gleich in mehrfacher Hinsicht sehr gut zu ihm.

Erstens durch die Selbstironie, die in dieser flapsigen Übertreibung zum Ausdruck kommt: Jürgen Schmid nahm sich nicht zu ernst und sprach gerne mit einem Augenzwinkern und mit viel Humor. Andererseits bringt die Formulierung aber auch Jürgen Schmids unerschütterlichen Optimismus auf den Punkt, dass die Menschheit über die technischen Möglichkeiten verfügt, das Klimaproblem ebenso wie die Energiearmut in den Griff zu bekommen, indem wir unser Energiesystem (nicht nur die Stromversorgung) transformieren. Und drittens muss man den Satz in seinem Sinne auch lesen als: Technisch geht alles – die schwierigeren Fragen sind aber die ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen. Dessen war Jürgen Schmid sich sehr bewusst – er war ein Vollblutingenieur, aber eben nicht mit einem nur auf das Ingenieurwesen beschränkten Horizont. Er hielt 100% Erneuerbare in Deutschland für völlig machbar, aber die Umsetzung der Energiewende durch die Bundesregierung für planlos (siehe z.B. FAZ-Bericht).

Er dachte dabei immer an das Gesamtsystem, nicht an einzelne Technologien. Er war ein gänzlich unideologisch denkender, lösungsorientierter wissenschaftlicher Systemanalytiker. Er dachte darüber nach, wie das gesamte zukünftige Energiesystem möglichst effektiv und kostengünstig ausgestaltet werden kann. Und er dachte immer an die Menschen, die die Technologien nutzen. Er wusste, dass man nicht einfach einem afrikanischen Dorf eine Photovoltaikanlage hinstellen kann, die dann womöglich bald defekt ist und nicht weiter genutzt wird. Er wusste aus eigener Erfahrung mit solchen Projekten, wie man erfolgreich gemeinsam mit den Menschen vor Ort in Entwicklungsländern eine dauerhafte Versorgung mit erneuerbaren Energien aufbaut.

Als wir mit Jürgen durch Indien reisten und das Centre for Sustainable Technologies in Bangalore besuchten, sah man ihn nach kurzer Zeit umringt von Studenten in einer konzentrierten Diskussion, wie er mit einem Block in der Hand Lösungen für irgendein technisches Problem der Studenten skizzierte.

Bei der Beratungstätigkeit des WBGU für die Bundesregierung geht es nicht nur darum, Umweltprobleme wie Klimawandel, Ozeanversauerung oder Bodendegradation zu beschreiben, sondern gerade auch darum, mögliche Lösungswege auszuloten, und dabei war Jürgen Schmid in seinem Element. Im letzten Hauptgutachten Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation (auf dem auch der Comic beruht) werden in einem Kapitel auch die Potenziale unterschiedlicher Energietechnologien durchleuchtet und eine ganze Reihe von Energieszenarien aus der Fachliteratur analysiert und verglichen. Das Ergebnis: die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 Grad ist nicht nur möglich, sondern es gibt sogar “nicht nur einen Transformationspfad für die Energiesysteme in Richtung Klimaschutz“. Darum ging es Jürgen Schmid (gemeinsam mit dem gesamten WBGU): wider die vermeintliche Alternativlosigkeit in der Politik konkrete Alternativen und gangbare Wege in die Zukunft aufzuzeigen, die Politik und Gesellschaft wählen und gestalten können.

Bei jedem der monatlichen Treffen mit Jürgen Schmid hatte ich immer eine Reihe technischer Fragen in petto, die ich in den vorherigen Wochen angesammelt hatte, und die er immer erschöpfend beantworten konnte. Die letzte Frage, die ich ihm gestellt habe, war nicht ganz ernst, aber gerade dafür war er auch immer zu haben: ich wollte wissen, wie viel Strom ein Windrad mit einer einzigen Umdrehung erzeugt. Seine Antwort: beim größten Enercon-Modell 5,8 KWh. Damit wusste ich, dass ich mit einer einzigen Windraddrehung immerhin gut zehn Wochen Stromrad fahren (und damit meinen alltäglichen Mobilitätsbedarf in und um Potsdam abdecken) kann. 

Wir haben viel gelacht mit Jürgen Schmid – auch das wird mir fehlen. Vor allem aber werden Deutschland und der Welt in den nächsten Jahren sein herausragendes Fachwissen und sein systemischer Weitblick bei der Transformation der Energiesysteme fehlen.

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Strom aus Biomasse: Jürgen Schmid im Einsatz für den WBGU in Indien (2008)  Foto: S.R.

Weblinks

Lesenswertes Portrait von Jürgen Schmid im März-Heft von Neue Energie

Interview mit Jürgen Schmid vom September 2012

Nachruf des IWES und ausführliche Info zur Person

Nachruf des WBGU

 

 

 

 

 

 

 

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

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