Sir Michael Atiyah: Mit Einfachheit zum Erfolg

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Michael Atiyah (rechts) und der Autor. Bild: Tobias Meier
Bild: Tobias Meier

Ich hatte Sir Michael Atiyah (auf dem HLF-Blog schon hier mit “21 essential quotes” verewigt) eigentlich eine eher technische Frage zur Vereinfachung des Noether-Theorems stellen wollen (ein Problem, das ich seit langem für die Königsdisziplin der physikalischen Populärwissenschaft halte), aber ich hatte kaum “simplified version of Noether’s theorem” gesagt, als Michael Atiyah richtig in Fahrt kam.

Michael Atiyah: Direkt zum Kern kommen

Man solle doch die ganzen technischen Dinge lassen. Der Kern von Noethers Theorem sei etwas, das man einem fünfjährigen Kinder erklären könne, am einfachen für räumliche Verschiebungen: die Gesetze der Physik seien überall dieselben, egal wo man sei. Die Evolution habe uns das quasi mit eingebaut. Wir wüssten, dass wir uns im Raum bewegen und uns daher auf das wesentliche konzentrieren können, wie etwa Fressfeinden zu entkommen, anstatt bei jedem Ortswechsel darüber nachdenken zu müssen, welche anderen physikalischen Gesetze am neuen Aufenthaltsort gelten könnten.

Bei meinen Versuchen, das ganze mit üblichen mechanischen Begriffen (kinetische Energie, Newtonsche Gesetze) zusammenzubringen fährt mir Atiyah sofort in die Parade. Damit solle ich sofort aufhören; das würde nur von dem ablenken, was wirklich wichtig sei. All diese Formeln seien doch nur da “to impress foreigners.” Es gäbe für jede Fragestellung Begriffe, mit denen sich die Fragestellung einfach und andere Begriffe, mit denen sich dieselbe Fragestellung kompliziert ausdrücken ließe. Von letzteren solle man ganz die Finger lassen, sondern sich auf die einfachste Formulierung beschränken. Wenn man nur die richtigen Begriffe wähle, sei jede mathematische Aussage eine Tautologie.

Heiratsvermittler für Ideen?

In einem Artikel im Quanta Magazin vom letzten März, den ich vorhab gelesen hatte, wird Atiyah als eine Art Heiratsvermittler für mathematische und physikalische Ideen und Konzepte beschrieben, der diejenigen, mit denen er interagiert, auf die richtigen Ideen bringt und ihnen die richtigen Zusammenhänge zeigt. Ich hatte bei meinem kurzen Gespräch den Eindruck, dass ich gerade live eine Spielzeugversion dieses Persönlichkeitszuges mitbekommen hatte – einen Mathematiker, bei dem am Anfang eine machtvolle Intuition steht, dadurch begünstigt, dass Atiyah im Kopf nicht den Formalismus, sondern jeweils die einfachen Kernideen hat, und nichts ihm den Blick auf mögliche Querverbindungen verstellt.

Einige der jungen Wissenschaftler hier beim HLF kommen offenbar in den Genuss des  vollen Programms Atiyah’scher Assoziationen – jedenfalls sieht man Atiyah häufig in angeregte Gespräche verwickelt, und sein Assistent (?) notiert, mit welchen Teilnehmern sich Atiyah unbedingt noch weiter unterhalten möchte. Man darf gespannt sein, was für Impulse das den Forschungsprojekten der betroffenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer gibt!

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

4 comments

  1. Lieber Herr Pössel,

    Ist Herr Atiyah einen Post wert ?
    Was er da von sich gibt, ist doch eine Plattheit !
    Natürlich muß man einen Sachverhalt vereinfachen, wenn man ihn verständlich machen will – mit den richtigen Begriffen natürlich und mit dem Blick aufs Wesentliche. Sollte das etwas Neues sein ?
    Ein Beispiel für die überragenden Kernideen des Herrn Atiyah sind Sie uns schuldig geblieben.
    Sind Sie doch nicht etwa auch auf dem Heidelberg Laureate Forum –
    und erstarren dortt vor Ehrfurcht vor den Giganten des Geistes ?
    Grüße
    Fossilium

    • Zur Plattheit wird das nur in ihrer überspitzten Zusammenfassung, soweit ich sehen kann. Klar vereinfacht man, um zu erklären. Aber üblicherweise ist das ein Prozess: Man redet erst unter sich, benutzt die fortgeschrittenen Begriffe, und einigt sich in diesen Begriffen, wie man was vereinfachen will. Dass Atiyah sich darauf (siehe die erwähnten Newtonschen Gesetze) überhaupt gar nicht einließ sondern darauf bestand, von vornherein und auch unter denjenigen, die die komplizierteren Begriffe durchaus kennen, nur mit den einfachsten Begriffen miteinander zu reden, hat mich schon überrascht. Und ich halte es für plausibel, dass da ein direkter Zusammenhang besteht damit besteht, wie Atiyah ganz allgemein tickt.

      Dazu, nach seinem Index-Theorem und der K-Theorie und danach zu fragen, wie seine Zusammenfassung dieser beiden Themen in einfachen Begriffen aussähe, bin ich leider aus Zeitgründen nicht gekommen. Vielleicht ergibt sich noch die Gelegenheit.

      In Ehrfurcht erstarrt ist hier auf dem HLF soweit ich sehen kann niemand. Den Laureaten werden von den jungen Wissenschaftlern stattdessen kräftig Löcher in den Bauch gefragt.

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