Theologie – um des Menschen willen

BLOG: Hinter-Gründe

Denk-Geschichte(n) des Glaubens
Hinter-Gründe

Ob es Theologie überhaupt noch braucht, wurde ich vor kurzem gefragt. Ich frage mich das schon lange. Die Frage müsste jeden Theologen ständig begleiten.
Das kann zum einen natürlich sehr vollmundig behauptet werden: Um der göttlich geoffenbarten Wahrheit willen… Dann streitet man sofort darum, was ist Wahrheit? Und um den Wahrheitsbegriff selbst. Man kann aber auch von unten anfangen. Und das ist jedenfalls bescheidener; und kann wohl eher Wege erkunden als nur Denkmale aufstellen.
Ich fange lieber bei den Graswurzeln an – gewissermaßen mit Überlegungen von außen her; und mache dazu Anleihen bei der Religionswissenschaft. Wenn man so will, methodisch agnostisch. Ich bin ja zwar nicht Religionswissenschaftler, aber Theologe, der gerne auch mal die Brille der andern aufsetzt, um das eigene Gebiet besser zu erkunden.

Religionen Religionen – Lebensstrategien
Menschen haben seit Menschengedenken Strategien entwickelt, wie sie ihr Leben bewältigen und das Zusammenleben gestalten können. Im Grunde kann man davon auch zumindest bei sozialen Tieren ausgehen. Ist wohl eine wichtige theoretische Frage, inwieweit dies ihnen bewusst ist. Uns Menschen ist das jedenfalls bewusst. Und vor allem: Menschen können – womöglich in bewusster, evtl. betrügerischer Absicht – anstatt lebensdienlicher Strategien auch gefährdende Prozesse in Gang setzen, für sich und andere. Die Fähigkeit dazu ist bei uns im Vergleich zu unserer Verwandtschaft enorm gewachsen. Kraft unseres Verstandes können wir sehr effektiv Dinge tun, die sehr unvernünftig sind. Ja, bei allen von unserer Natur her vorgegebenen Mechanismen können wir nie ganz sicher sein, ob und wie wir selber mit uns selbst und anderen zurechtkommen – ob und wie auch die anderen mit uns zurechtkommen. Es gibt mehr unvorhergesehene Fälle – Zwischenfälle, auch Unglücksfälle – als es uns lieb ist. Glücksfälle hin und wieder auch. Aber Glück und Glas… Ist gut, wenn es nicht in der Hand zerspringt, leichtsinnig oder mutwillig zerstört wird.
Man kann ja mal darüber nachdenken und dazu vorausdenken. Deshalb haben wir Menschen die inneren Regelkreise des Lebens zu erkunden versucht und aus den längst schon in uns gewachsenen Verhaltens-Mechanismen auch bewusste Regeln heraus destilliert. Ich nenne sie gerne Spielregeln des Lebens, um einer moralisierenden Verkürzung vorzubeugen. Wir üben sie ein und geben sie kulturell weiter. Dabei, ist ja klar, bilden sich regional und gesellschaftlich (und auch qualitativ) unterschiedliche Regeln heraus. Die unterschiedliche Bündelung solcher Erkenntnisse über die Regelkreise und die Spielregeln des Lebens führt zu den unterschiedlichen Religionen.  Das ist meine (nicht mit Profi-Religionswissenschaftlern abgesprochene!) Arbeitshypothese, was Religion ist.
Religionen arbeiten natürlich nicht in der Form wie moderne anthropologische Lehrbücher. Deren Lehrmethode ist sowieso erst in menschheitsgeschichtlich neuester Zeit erfunden worden, auch  selbst heute nicht jedem zugänglich und vor allem auch auf ihrer rein kognitiven Ebene sowieso nicht sehr effektiv …  Deshalb hat sich die Bündelung und Weitergabe der entsprechenden Erkenntnisse und Verhaltensweisen von Alters her eher in Riten, in Feiern zum Tages- und Jahreslauf und zu Altersstufen gestaltet. Und dazu gehören Rechts- und Weisheitssprüche, lehrhafte Geschichten, Gebete und Meditationen, Lieder …. Die trägt man nicht wie Lehrbuch-Inhalte getrost Schwarz auf Weiß nach Hause, sondern das wirkt nach innen. Was sich dabei bewährt, wird als Wahrheit erkannt.
Damit ist Wahrheit übrigens nicht weit von dem, was evolutionäre Erkenntnistheorie zu dem sagt, was Menschen als Wahrheit anzuerkennen gelernt haben. Ja, und ein Mensch (oder Gott) ist wahrhaftig, wenn man ihm (Dativ !) glauben, trauen… kann. Eine Idee (wie Gerechtigkeit, Friede…) ist dann wahr, wenn man für sie einiges einzusetzen bereit ist – wenn sie zum Lebensengagement werden kann.
Damit bildet sich so etwas wie eine corporate identity derer, die unter demselben Gottes-Himmel leben – faktisch eben: Sinn, lebenspraktischer Zweck der Religionen.

 

Jesaja-Buchrolle
Hebräische Jesaja-Buchrolle 

 

Theologie – die religiöse Wahrheitssuche denkend verantworten
Theologie nun wird diese Art der Wahrheitssuche begleiten, durchdenken und dabei auch zu ordnen, zu systematisieren versuchen. Theologie ist damit nicht Religion, sie hat nicht die Religion erfunden. Sondern sie ist ein erst nachträglich entstandenes Bemühen, das was da längst vorher gewachsen ist, von innen heraus zu verstehen und auch nach außen zu vertreten. Das schließt nicht aus, dass wie im Falle des Christentums und des Islam zwar nicht Theologen diese Religionen gezeugt habe, aber sie sind ziemlich schnell dafür Pate gestanden. Und, könnte ja sein, weil diese Theologen auch spürten, wie viel Protest gegen die etablierten Religionsdenker in solchen religiösen Neugründungen (Neu-Bündelungen) stecken kann, haben sie diese durch eigene theologische Setzungen schnell zu bändigen versucht. Das Dogmatische bekam gerade hier einiges Übergewicht. Das ist andererseits nicht nur schlecht. Vulkane bieten ja auch dann erst fruchtbares Gartenland, wenn sie nicht mehr spucken. Das Gartenland muss dann auch vermessen und bearbeitet werden. Nur um den Vulkan zu tanzen und das Ereignis rituell zu vergegenwärtigen – das bringt ja nichts.
Und das Christentum wäre wohl im religiösen Markt der Spätantike als absonderliche Naherwartungs-Sekte so untergegangen wie die anderen auch – wenn nicht theologisch auch auf hohem Niveau gedacht worden wäre. Die Juden haben in jener Zeit, nachdem sie ihren Tempel und weitgehend ihre angestammte Heimat verloren hatten, zwar keine hohe Dogmatik entwickelt aber begonnen, ihre besondere Diskussionskultur zu verschriftlichen. Und die Moslems hatten die schnell eroberten Länder auch ideologisch zu einigen. Auch da standen die Theologen Pate.
Nun ja, das ist in diesen Fällen gewissermaßen Theologie zwecks Selbsterhalt dieser Religionen. Wohl überall, in denen Religionen sonst geographisch und demographisch unüberschaubar werden, brauchen sie auch Theologen. Na, und auch Leute, die skeptischer gegenüber der Theologie sind, könnten es wertschätzen, dass die religiösen Strömungen, in denen Theologen arbeiten, jedenfalls nicht so leicht einem tumben Fundamentalismus anheimfallen – dass es hier zumindest Leute gibt, die man auf einem annehmbaren Niveau zur Rede stellen kann. Und wer etwa die Theologie von den Universitäten verbannen wollte, sollte überlegen, wem er da die Gläubigen in die Arme treibt. Man kann ja auch aus gesellschaftlichen Gründen klugerweise für den Bau von Moscheen sein – um manchen Hinterhof-Unternehmungen das Wasser abzugraben. Religion ist – ob man das gut findet oder nicht – eben nicht nur Privatsache sondern eine gesellschaftlich wirkende Kraft. Und da ist’s für alle gut zu wissen, wer auf die Gestaltung dieser Kraft einwirkt und wie.

 

Rembrandt Hundertguldenblatt
Rembrandt – Hundertguldenblatt
 

 

Um des Menschen willen…
Nun, man könnte sich auch ganz andere Verhältnisse vorstellen. Aber die sind zwar schon angedacht und ausgedacht, sie laufen aber nicht so einfach wie gewünscht. Und damit  schwenke ich wieder den Blick auf die Menschen:
Sie gestalten ihr Leben zwischen Geburt und Tod. Sie haben dafür einen vielfältigen Vorrat an Vorstellungen und Einstellungen, und dieser Vorrat ist zu einem guten Teil von Religionen geformt – selbst wenn das im Einzelnen nicht mehr bewusst ist. An den wirklich kritischen Punkten des Lebens wird das aber bewusster. Und es ist nicht nur tumbe Fantasielosigkeit, auch nicht bloß Machtanspruch der Kirchen, wenn für manche Wechselfälle des Lebens auf den religiösen Fundus zurückgegriffen und der Beistand von Pfarrern in Anspruch genommen wird. Denn die haben ja da was davon zu verstehen – die Menschen zu verstehen und die Situation helfen zu bewältigen. Dafür sind sie angestellt. Aber auch in den weniger kritischen Situationen ist es gut, jemand zu haben, der sie benennt – dem Kind einen Namen gibt und dazu hilft, die vielschichtigen Dimensionen des Lebens zu ermessen und ihnen angemessen zu begegnen. Wenn man da die aus religiöser Tradition gewachsenen Fäden rigoros abschneidet – etwa die Feste konsequent meidet -, dann wird es mitunter zu einer relativ tristen, manchmal zu einer ohnmächtig-stummen Angelegenheit. Ich erinnere mich noch mit Grausen, wie Wolfgang Leonhardt in „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ sich mit Grausen erinnert, wie stumm und stur in Moskau an einem Weihnachtstag eine Feier der Apparatschiks inszeniert wurde.
Das Leben soll nicht wie ein trockenes Stück Brot besinnungslos hinabgewürgt werden. Menschen brauchen brauchbare individual- und gruppenpsychologische Einsichten und Verhaltensweisen. Wie sorgt die wissenschaftliche Erforschung des Menschen dafür? Gibt es eine wissenschaftliche Lebensgestaltung? Die Christen jedenfalls , ob vor-, anti- oder unwissenschaftliche oder auch der Wissenschaft zugeneigte, haben dafür zu Formen gefunden. Und dass die unterstützend begleitet und verantwortlich gestaltet werden, gibt es Pfarrer. Damit die auch wenigstens wissen, wovon sie reden, lernen sie darüber nachzudenken – durch Theologie. Die hat’s mit dem Denken.
Aber es geht nicht um ihre Denkmale, es geht um die Menschen.

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Veröffentlicht von

Hermann Aichele Jahrgang 1945. Studium evang. Theologie in Tübingen, Göttingen und Marburg (1964-70), Pfarrer in Württemberg, jetzt im Ruhestand. Hinter die Kulissen der Religion allgemein und besonders des in den christlichen Kirchen verkündeten Glaubens zu sehen, das war bereits schon in der Zeit vor dem Studium mein Interesse: Ich möchte klären, was gemeint ist mit den Vorstellungen des Glaubens, deren Grundmaterialien vor Jahrtausenden geformt wurden - mit deren Über-Setzung für uns Heutige man es sich keinesfalls zu leicht machen darf und denen gegenüber auch Menschen von heute nicht zu leicht fertig sein sollten.

54 Kommentare

  1. @all: Wolfgang Leonhardt

    “Ich erinnere mich noch mit Grausen, wie Wolfgang Leonhard in „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ sich mit Grausen erinnert, wie stumm und stur in Moskau an einem Weihnachtstag eine Feier der Apparatschiks inszeniert wurde.”

    Das war die Sylvesterfeier in der Komintern-Schule 42/43 in Kuschnarenkowo, nachdem Leonhard aus der Evakuierung nach Karaganda zurückgerufen wurde. Und er selbst hat das auch nicht als “typisch stalinistisch”, sondern als typisch deutsch beschrieben, da der Sektionsleiter Paul Wandel mit dem Parteinamen “Klassner” die Sache organisiert hat: Der bulgarische Direktor Michailov der Komintern-Schule wird da ganz anders geschildert.

  2. Vielen Dank für den Artikel erstmal.

    Auf die Spitze getrieben legitimiert sich Theologie dadurch, dass es Religionen gibt.

    Aber eine Notwendigkeit für ein gutes Zusammenleben untereinander seh ich weder in der Religion noch der Theologie.

    Sie sind ja sehr liberal… aber Religion ohne Hoffnung (oder eigentlich korrekter Gewissheit)auf ein “Danach” ist tot.

    Ist es nicht ein grosses Problem (in meinen Augen wärs ja eine Chance) der evangelischen Kirche, dass sie eine grosse Unverbindlichkeit hat, ja fast atheistisch und somit überflüssig ist?

  3. @ Thomas

    Stimmt! Theologie legitimiert sich durch die Religionen, ebenso, wie sich Maschinenbau durch die Existenz von Maschinen legitimiert oder Philosophie durch die Existenz der “großen Fragen”. Die Frage ist: Spricht das gegen die Legitimation der Theologie oder ist es ein Problem, dass sich die Theologie durch die Existenz der Religionen sozusagen selbst legitimiert?

    Wo finden sich heute Gründe oder Notwendigkeiten für ein gutes Zusammenleben und was macht dieses Zusammenleben eigentlich aus? Wir berufen uns auf ethisch und moralisch richtiges Handeln – auf das große Humanum! Doch wie viele ethische Grundnormen wurden nur durch religiöse Traditionen und dogmatische Theologie auf den Weg gebracht und gefestigt?

    Es gibt auch durchaus Religionen, die auf ein “Danach” verzichten können. Aber ich gebe Ihnen in so fern recht, dass das Christentum ohne die Hoffnung auf ein “Danach” tot ist. Wieso aber sollte das Christentum diese Hoffnung verlieren oder aufgeben?

    Was meinen Sie mit “Unverbindlichkeit” der evangelischen Kirche?

    Herzliche Grüße,
    A. Waidler

  4. @Hermann

    Ein sehr schöner Text, wirklich! Obwohl ich Dir weitgehend zustimme, erlaube mir aber einen Einwand: Religiöse Traditionen lassen sich m.E. von anderen dadurch unterscheiden, dass sich erstere auf überempirische Akteure (Ahnen, Geister, Götter, Gott etc.) beziehen. Die von Dir so genannten “Spielregeln des Lebens” werden also nicht einfach von etwas her legitimiert (wie es z.B. eine Philosophie machen könnte), sondern von einem “jemand”. Aus der Sicht des Glaubenden erhalten theologische Aussagen damit ein höheres Gewicht (es geht immerhin um die Lehren eines Gottes, Deus, Theos!) und sind zugleich nicht nur abstrakte Spekulationen, sondern auch Aussagen über Beziehungen (wie z.B. “Gott liebt Dich!” Das ist ja schon eine gewagte Aussage, aber sie wirkt sich aus, wo sie geglaubt wird.)

    Aus genau diesem Grund glaube ich übrigens auch nicht, dass die Religionswissenschaft die Theologie(n) ersetzen kann. Die normative (und ggf. reflektiert verantwortete) Rede von einer personal begründeten Tradition her ist m.E. das Alleinstellungsmerkmal von Theologie(n) im wissenschaftlichen und weltanschaulichen Bereich.

  5. Theologie vs. Fundamentalismus

    @Thomas: Wenn ich die Überschrift des Textes richtig verstehe, gehts hier nicht um die Frage “Brauchen wir Religion?” sondern um die Frage “Brauchen wir Theologen für unsere Religionen?”.

    Sehr interessant finde ich die Aufforderung, muslimische Theologen durch Unterstützung von Moscheen mehr in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu rücken um damit niveauvollen Dialog zu fördern und unreflektierten Fundamentalismus zu bekämpfen. Vielen Dank für diesen wertvollen Gedanken!

  6. @Waidler

    Nun, die LEgitimation greife ich auch nicht ein, das führt zu nichts. Mir geht es um die Notwendigkeit.

    Kunst z.B. hat keine wirkliche Notwendigkeit (und das sage ich, der damit sein Brot verdient), sie hat “nur” den Anspruch, sich selbst zu genügen.

    Religionen haben aber (wie im Artikel ausgeführt) den Anspruch aus ihrer Entstehung heraus, unser Zusammenleben besser zu gestalten als ohne und darüber hinaus noch eine Beziehung zu “Gott” zu kultivieren.

    Ich glaube, dass unser Zusammenleben gut ohne Religionen funktioniert, es also in dieser Hinsicht keine Notwendigkeit gibt. Dass damit nicht eine Forderung nach Abschaffung von Religionen verbunden ist, versteht sich von selbst.
    (Ob und in welchem Masse Religionen evolutiv bedingte Moralvorstellungen kulturell gefestigt haben, ist für mich hier eher sekundär. Dass wir eine angeborene Moral haben, ist ja nicht mehr abzustreiten)

    Was also bleibt, ist die Beziehung zu Gott, das ewige Leben, das Aufgehen im Nirvana als (Lebens?)-Ziel. Hier haben Religionen natürlich einen Sinn und (und das bringt mich zu Ihrer letzten Frage) die katholische Kirche hat z.B. eine Heilsnotwendigkeit.
    Ich muss also ein guter Katholik sein, sonst wird das nix mit der Party im Himmel, salopp gesagt.

    Und wenn ich dann konkret die evangelische Kirche(genauer gesagt die reformierte Kirche in der Schweiz) betrachte, fällt diese Verbindlichkeit weg. Es gibt keine Notwendigkeit den Gottesdienst zu besuchen, am Abendmahl teilzunehmen, etc. um irgendetwas zu erreichen.
    Mir persönlich ist das sehr sympathisch, Gemeinschaft und Kultur zu leben ohne Deutungsanspruch auf “etwas danach” zu haben.
    Nur ist es eben meine Vermutung, dass das vielen Menschen zu wenig ist und darum lieber in Freikirchen Zuflucht suchen, wo (vermeintlich) klare Antworten auf alles gegeben wird.
    Wers mag…

  7. @Elmar Diederichs

    Ja, OK, wird so anders richtig sein. Da ist das mit dem Lang- und Kurzzeitgedächtnis scheints mal wieder so eine Sache. Doch nicht ganz passend; und mir ist natürlich auch klar, dass es auch in meiner Erinnerung kein Totschlag-Argument gegen *den* Atheismus sein darf.
    Ja, die Beispiele, die so schön glatt reinlaufen, sind nicht unbedingt „das Wahre“. Womit ich wieder bei dem bewussten Thema wäre. Und dazu habe ich ja auch hier was weiter auseinanderzulegen und zu klären versucht.
    Danke jedenfalls, dass der Abschied von damals doch nicht so endgültig war 🙂

  8. @Thomas und @A.Waidler

    Gruß zuvor dem neu Hinzugekommenen :-). Und Dank an beide, überhaupt an alle, auch Lukas, für eine schon spannende Diskussion!
    Ja, man kann es so auf die Spitze treiben: Theologie weil es Religion gibt. Dann natürlich auch: Zwar nicht Urzeugung der Religion aber Lebenserhaltung/ Überlebenshilfe für Religion. Schrieb ich ja auch. Und ist doch gut daran zu erinnern, dass Ähnliches auch in anderen Bereichen gilt. Ich wäre zB nie auf die Idee gekommenen, dass es Sport gibt, wenn ich nicht Sportlehrer erlebt hätte.
    Dahinter die Frage: „Notwendigkeit für ein gutes Zusammenleben“. Ich bin da aus verschiedensten Gründen vorsichtig zu sagen, erst durch Religionen sei das in gute Hände gekommen. Einmal natürlich, weil mögliche oder denkbare Alternativen erst in relativ neuerer Zeit in den Blick gekommen sind. Und dann hauptsächlich versuchte ich eine wohl zu seltene und deshalb vorsichtige Argumentation, die man leicht überliest. Da spekuliere (!) ich etwas über das Entstehen von Religion bzw. versuche (!) die Hypothese: dass sie eben daraus entstand, dass man das Zusammenleben in eine bestimmte verlässliche Form brachte und dies auch gebündelt weitergeben wollte. Oder: Religion ist die Form dessen, worauf man sich in einer Gruppe verständigt und verpflichtet. Aber das ist vielleicht schon zu neuzeitlich ausgedrückt. Also nicht erst durch den Umstand, dass es Religion gab, wird gutes Zusammenleben ermöglicht; sondern Religionen als Ausdruck dessen, was man (oft nach mühsamen Versuchen) für gutes Zusammenleben hielt.
    Dabei bitte auch nicht zu vergessen, dass es nicht nur ums gute Zusammenleben geht, sondern um das Ganze, das ich so benannte: „die vielschichtigen Dimensionen des Lebens zu ermessen und ihnen angemessen zu begegnen“; und ich sagte ja auch ausdrücklich „Spiel-Regeln“ des Lebens. Einsiedelei würde ich z.B. nicht als Kooperations-Spiel ansehen. Und auch sonst gab es ausgerechnet im Christentum schon Strömungen, dass Leute meinten, es sei gar nicht gut, sich in dieser Welt zu sehr einzumischen. Auch eine, aber nicht meine Religion.
    Na, so atheistisch sind die protestantischen Kirchen nun auch wieder nicht. Doch auch nicht die in der Schweiz. Aber es ist gut, wenn man sich manche gar zu naive Rede von Gott (manchmal sogar vermischt mit Einblicken in seinen inneren Seelenhaushalt) abschminkt. Und es ist gut, wenn man manche Dinge auch sagen kann, ohne dabei Gott zu benennen. Ich kann mir vielleicht keine Karfreitagspredigt aber eine Bußtagspredigt auch mal als eine Rede vorstellen, in der das Wort Gott nicht vorkommen muss, aber anthropologische Begriffe (hoffentlich gut übersetzt).
    Unverbindlichkeit sehe ich auch als Gefahr. Die kann aber auch in sehr religiös aufgeladener Form daher kommen – wenn man Religion nur zum Eiapopeia wird: Man muss zwar alle möglichen Dinge inhaltlich glauben; aber das sind ja Dinge für die man heutzutage und hierzulande nicht die Hand ins Feuer und den Kopf hinhalten muss. Sind ja eh nicht nachprüfbar. Und ab geht’s – mein Lieblingszitat dazu – „im Wiegenschritt gen Bethlehem“.
    Das, was mit „Danach“ etikettiert werden kann, ist im Christentum (und einigen anderen Religionen auch) wichtig. Schon auch interessant, dass es große Religionen und lange Traditionen gab oder gibt, in denen das gar nicht wichtig ist. Aber ok, im Christentum. Ich würde dazu auch auf dem Zusammenhang mit der Lebensbewältigungsstrategie bestehen. Und das zeitlich verstandene Danach doch etwas relativieren – jedenfalls nicht unendliche Verlängerung des Lebens. Und es ist schon zu viel ausgemalt worden. Aber: das Leben von der andern Seite her schauen, gut aufgehoben sein in Gott, in seiner Liebe. Oder mit dem für meine Begriffe sehr schönen Bild von Dorothee Sölle: Ich möchte ein Tropfen im Meer der Liebe Gottes sein. Ein apersonales Bild; und dabei bin ich doch auch auf personale Bilder angelegt – „von Angesicht zu Angesicht“ heißt’s doch in 1.Kor. 13,12. Und entsprechende Übersetzungen dieser Stelle tragen auch zur Veranschaulichung des andern Angesichts gleich Gott als Subjekt ein. Mal sehn… Aber man wird garantiert nicht wegen der richtigen Vorstellungen selig; also darf ich mich jetzt an den „kupfernen Spiegel“ halten und mich dazu mit Aussagen zurückhalten.

  9. @Michael Blume

    Die überempirischen Akteure, las ich doch gerade irgendwo, der Ausdruck sei so sexy. Aber man kann auch Hiebe dafür bekommen. Ich sage innerhalb meines Glaubens dann lieber: Gott – meiner Verfügung entzogen, dem ich glaube . Aber was Religionswissenschaftler da noch definieren?!
    Doch nicht deshalb, sondern im Ernst: das mit dem „gewissermaßen agnostisch“ wollte ich schon mal konsequent durchziehen. Na ja fast. Ist doch auch mir klar, dass in die Grundaussagen der Religionen allermeist der überempirische Akteur dazu gehört. Und dass die Art seines Wirkens große Einflüsse darauf hat, wie die Religion insgesamt wirkt. Wobei mit personaler Gottesvorstellung – klar ! – die Verbindlichkeit wachsen kann. (Mit dem Monotheismus erst recht. Aber da kenne ich die polytheistischen Formen zu wenig. Du und ich werden diese jedenfalls nicht als heiteres, unverbindliches Spiel sehen wollen, in dem Eifersucht und Krieg ausgeschlossen wären.) Dabei hat (ich glaube, das habe ich mal bei Marx aufgeschnappt) der Protestantismus diese Verbindlichkeit sehr in das Gewissen der Einzelperson hineinverlegt. Und Kant hat da ja schön was auf den Nenner gebracht. Aber ist schon klar: Auf Gottes Augen kommt’s schon an. Schwaben gehen ja in den Keller um zu lachen, damit er sie nicht so leicht dabei ertappt.
    Den Unterschied zwischen Religionen und Philosophien möchte ich allerdings weniger an der Gottesvorstellung markieren sondern an den Riten, an der verbindenden Lebenspraxis, die womöglich die Lebenspraxis vieler gestalten will (Und ähnlich könnte man vielleicht auch einen Unterschied markieren, dass der Kommunismus, der allerdings auf eine besonders brutale Weise „gestaltete“, schon religiöse Züge annahm; aber Marx ein Philosoph war, na ja mit folgenschwerer Verwechslung von Seins-Aussage und Sollens-Aussage).
    Und ich will natürlich auch nicht, dass Religionswissenschaft die Theologie ersetzt. RW soll doch wohl nur die Religion(en) von allen Seiten kritisch beobachten – Theologie soll aber zwischen Beobachtung und aktiver Gestaltung vermitteln; z.B. nicht nur Entwicklungen analysieren sondern: rausbringen was läuft und überlegen, was machbar ist. Vielleicht etwa der Unterschied wie zwischen Botaniker und Gartenarchitekt – die Gartenfeste (nicht nur die lustigen!) machen dann die Pfarrer.
    OK mit dieser Aufteilung ?
    Und eine *gute* Nacht!

  10. Religion, Theologie

    Religionen haben den Sinn, moralische Werte und Weltbilder generationenübergreifend weiter zu geben. Damit wirken sie sozial stabilisierend auf Gesellschaften, weil sie langfristig verlässlich sind und nicht gleich jedem neuen Trend hinterherlaufen.

    Theologen sind sozusagen die Archäologen der Religionen, weil sie deren Wurzeln erforschen. Gleichzeitig sind sie aber auch Trendsetter, weil sie die Religionen an das sich ändernde gesellschaftliche Umfeld anpassen müssen.

  11. @all: Experten?

    Leider sind meine Vorschläge zum Verständnis von theologischer Wahrheit und theologischer Weisheit zu diesem post

    Theologie: Alles “nur Natur” oder “natürlich Natur”?

    von den hier diskutierenden Experten weitgehend unkommentiert geblieben. Und auch dieser post hilft dem nicht wirklich ab, wenn ich das richtig sehe:

    Daß Religion eine Lebenseinstellung ist und Theologie daher eine Rolle bei der Entwicklung von Strategien spielt, wie Personen ihr Leben bewältigen und das soziale Leben gestalten können, ist eine These (1), die ich recht unproblematisch finde. Da bin ich – im Gegensatz zu den missionierenden Religionen – ganz liberal und lasse die Leute machen, was sie eben wollen. Auch dann, wenn ich das alles überhaupt nicht verstehen kann und ziemlich sicher bin, daß Glaube und personale Autonomie unverträglich sind, so daß missionarische Arbeit von Religiösen damit gegen die Menschenwürde verstößt.

    ABER:

    Wie zu erwarten, geht auch dieser post in absolut provozierender Weise über die o.g. These (1) hinaus.

    Anmerkung: Das scheint schon ein charakteristischer Punkt bei Religionen zu sein, den man auch sehr schön beim bloggewitter “Neuroenhancement” bei den Beiträgen von Christian Hoppe und der unterirdisch schlechten Verbalentgleisung des Theologieprofessors Ulrich Eibach sehen konnte.

    Dieser post lebt von zwei Thesen:

    (2) Es gibt eine psychologische Natur der menschlichen Spezies. (die inneren Regelkreise des Lebens)

    (3) Religionen haben intrinsisch etwas damit zu tun.

    Und die Folgerung läßt dann auch nicht lange auf sich warten:

    “Theologie nun wird diese Art der Wahrheitssuche begleiten, durchdenken und dabei auch zu ordnen, zu systematisieren versuchen.”

    Anmerkung: Mit (2) und (3) wagt sich eine Religion auf philosophisches Terrain. Das ist auch unter Physikern und Psychologen sehr beliebt und es geht so gut wie immer schief. In diesen post ist es der postulierte Zusammenhang von “Wahrheit” und “lebenspraktischer Bewährung”.

    Und noch schlimmer:

    “Und wer etwa die Theologie von den Universitäten verbannen wollte, sollte überlegen, wem er da die Gläubigen in die Arme treibt.”

    Ich habe noch NIE – und natürlich sucht auch in diesem post vergebens nach einem entsprechenden Argument – einen Begründungsversuch für (2),(3) und ihre Folgerungen gehört. Und genau deshalb haben Philosophen die Religionen zu recht auf dem Kieker.

    In diesem Sinne gibt es eine Sache, die mich an Religionen wirklich interessiert: Warum weigern sie sich, bescheiden im Sinne von (1) zu sein und schwingen sich regelmäßig zu so etwas wie (2) und (3) auf?

    Da ist doch irgendwas kaputt!

    Und noch ein anderer wichtiger Punkt ist da:

    “Wie sorgt die wissenschaftliche Erforschung des Menschen dafür?”

    Selbstverständlich so: Die politischen und Sozialwissenschaften, Geschichtswissenschaft und Psychologie, die Philosophen und sogar die Künstler beleuchten verschiedene Facetten des sozialen Lebens. Ich frage mich, wie diese einfache Antwort nicht sofort auf der Hand liegen kann.

    “Gibt es eine wissenschaftliche Lebensgestaltung?”

    Eine Frage, die mir die Zornesader instantan auf Abflußrohrgröße treibt: Denn hinter dieser Frage steht die Forderung, daß der einzelne Mensch bei der Lösung dieser Aufgabe an die Hand genommen werden müßte – eine Sache, die die Kirche ja natürlich auch nur zu gerne tun würde. Aber das ist nicht der Fall: Es ist geradezu der Witz der Freiheit von Menschen, daß sie das selbst tun, daß sie sich selbst bei den o.g. Wissenschaften frei bedienen und sich darauf etwas zusammenbasteln, was ihnen selbst gefällt.

    Mit dieser Art von Sinnsuche ist der Mensch als Mensch auch nicht überfordert, wie dies immer so gerne behauptet wird, sondern wenn es eine Bestimmung des Menschen als Spezies gibt, dann besteht sie darin, die o.g. Aufgabe zu lösen.

    Es gibt sicher auch Leute, die das nicht wollen.

    Bitte sehr.

    Die gehen dann z.B. zur Kirche.

    Ist in Ordnung. Mir egal.

    Aber sie sollen dieses Desaster der Vernunft gefälligst nicht nachträglich mit (2) und (3) aufhübschen und schön reden.

    Es tut mir leid, aber hier wiederholt sich lediglich, was wir schon immer über Religionen wußten:

    Von Freiheit verstehen sie gar nichts.

    Und deshalb sind sie auch Stümper in Bezug auf die sog. inneren Regelkreise des Lebens – no way out.

  12. @ KRichard

    “Theologen sind sozusagen die Archäologen der Religionen, weil sie deren Wurzeln erforschen. Gleichzeitig sind sie aber auch Trendsetter, weil sie die Religionen an das sich ändernde gesellschaftliche Umfeld anpassen müssen.”

    An sich finde ich das eine sehr schöne Formulierung, würde mich allerdings als Theologe auch vehement dagegen wehren, weil ich es als Theologe nur sehr partiell als meine Aufgabe ansehe, die Wurzeln der Religionen zu erforschen. Dafür gibt es das breite Feld der Religionswissenschaften. Außerdem hoffe ich doch sehr, dass sich die Religion, der ich angehöre – nämlich der christlichen – (Religion muss hier von Denomination unterschieden werden) nicht der veränderten Gesellschaft anpassen muss, sondern ich es als Theologe schaffe, die “Wahrheiten” oder auch “Lebensbewältigungsstrategien”, wie sie uns in der Heiligen Schrift gelehrt werden, durch eine zeitgemäße Theologie für die sich wandelnde Gesellschaft zugänglich zu machen – Trendsetter gerne, aber dann in dieser Form!

    Herzliche Grüße!

  13. Theologie und Grundlagen

    „Ob es Theologie überhaupt noch braucht…“ – nun kann es wieder darauf ankommen, wie breit wir Theologie erfassen. Theologie hat einen Anfang mit immer mehr Verzweigungen. Religionen wurden sowohl von „Oben“ geschaffen (Judentum um 3760 v. Chr., Islam um 620, Mormonen um 1830) als auch durch die Menschen (Christentum katholisch, Christentum evangelisch, 6000-Jahre-Erde-Kreationisten), auch andere Religionen sind gespalten, selbst wenn sie eine Heilige Schrift haben. Diese Streits hatten oft auch harte militärische Auseinandersetzungen zur Folge, die in einigen Fällen heute noch „laufen“. Das nützt weder den Religionen und schon gar nicht ihren Mitgliedern. Eher zeigt sich, dass die Führer ihren Willen durchsetzen wollten, wollen. Da geht das eigentliche religiöse Anliegen „baden“. Bestimmte Ernährungsvorschriften sind dann oft nur noch auf dem Papier – wenn der Magen leer ist.

    Vorlesung Gilgamesch Epos (der König war immerhin ein 2/3-Gott: Mutter Göttin Ninsun, Vater Mensch, Priester, König Lugalbanda) – ich fragte die Dozentin anschließend: „Wo kommen nun die Götter her? Haben sie nach 1 Mo 1,26 (Lasset uns…) den Menschen geschaffen – oder haben sich die Menschen die Götter geschaffen, damit sie sich erklären konnten, was sie sich nicht erklären konnten?“ – „Genau so war es!“ Dem kann ich literarisch gegenüber halten, dass Prof. S. N. Kramer in seinem Buch „Die Geschichte beginnt mit Sumer“ beschreibt, wie Götter mit konkreten Namen den Menschen etwas lehren, was sich zum Teil in der Bibel wieder findet. Religion kann also auch einen sehr praktischen Hintergrund in Landwirtschaft, Tierzucht… haben.
    Die Götter der Ägypter, Griechen… haben alle den Hintergrund der Götter der Sumerer.

    Wie weit geht Theologie auf die Grundlagen zurück? Theologie kann ja auch studiert werden und die Uni D-Essen hat es im Programm:
    http://www.uni-due.de/…urse-stuff/meso-enuma.htm
    http://www.uni-essen.de/Ev-Theologie/courses/course-stuff/enuma%20elish.doc.
    Wenn wir von einem lieben Gott ausgehen und unseren Herrn Jesus einschließen, können wir Seelsorge betreiben und den Menschen im Alltag – nicht bloß bei Katastrophen – helfen.

  14. Marduk –Schöpfungsmythos – @Klaus Deistung

    Ja, das lasen wir schon Anfang der 60er-Jahre in der Oberstufe des kirchlichen Gymnasiums. Ich denke, dass es auch heute in entsprechenden Lehrplänen für Religionsunterricht ist. (Die Einleitung/Arbeitsanweisung in der DOC-Datei scheint mir das zu belegen).
    Das ist ja im Übrigen ein weltweit verbreitetes Vorstellungs-Schema. Aus den regional und zeitlich unterschiedlichen Ausformungen dieser Vorstellungen kann man versuchen zu erheben, welche Lebenseinstellung die jeweiligen Erzähler hatten; und was sie weitergeben wollten. So auch in der Bibel. Aber das ist jetzt nicht mein Thema. Deshalb nur kurz, ausnahmsweise mal 🙂

  15. Trendsetter @A.Waidler

    Ja, da hast du recht; und so ähnlich würde ich es auch sagen. Nicht nur Anpassung an die Gesellschaft oder gar an Modeströmungen in der Form der Darbietung. (Mit dieser Masche werden ja dann auch manchmal ganz konservative Inhalte verkauft). Und auch u.U. manchen politischen oder gesellschaftlichen Strömungen, manchem „Zeitgeist“ Widerpart bieten, das müsste dazu gehören. Ich habe ja in dem vorigen Blogbeitrag „Nur Natur…“ einleitend daran erinnert. Da beispielsweise wird für mich das mit der Verbindlichkeit relevant. Nicht am Festhalten an antiken Vorstellungen, das dann auch noch als Glaubenstreue missverstanden wird.
    Ja, und damit habe ich doch eine Ebene notwendiger Anpassung markiert. Vermutlich meinst du mit „zeitgemäßer“ Theologie auch dies. Und dass dies etwas anderes ist als Zeitgeist.
    Im Übrigen: Einverstanden mit Deiner Verhältnisbestimmung zur Religionswissenschaft. Die macht Wurzelforschung, die für uns interessant ist. Aber wir müssen nicht bei jedem Spatenstich dabei sein.

  16. @Waidler

    Eventuell hätte ich ” ” verwenden müssen, damit der Text verständlicher wird.
    Z.B. Luther erforschte “archäologisch” die Grundlagen des Christentums; als er die gelebte Praxis der katholischen Kirchenvertreter sah. Und er setzte Trends, die bis heute fortwirken (z.B. protestantisches Christentum, Heilige Schrift in Landessprache)

  17. Nicht bloß Theorie – praktische Gestaltung @Diederichs

    O Elmar Diederichs, da musste ich zuerst mich in die Neuro-Enhancement-Dinge einlesen. Spannend. Na ja, und dabei auch gelesen, wie Sie auch Nicht-Theologen ganz dicke Brocken dazu hinwerfen, was als adäquate Definition von Begriffen vor Ihnen bestehen kann. Und gegenüber Theologen wird’s noch ein bisschen dicker. Stelle ja nicht nur ich fest, dass auf diese Weise ein Dialog schwer möglich ist :-(. Trotzdem, irgendwie versuchen Sie’s ja immer wieder, auch wenn manchmal die Tür knallt. Muss also was dran sein am Dran-Bleiben. 🙂 Aber ich will es nicht mir oder der Religion zugute halten, wird was anderes sein. (Und weil es ab da unpersönlich wird, nicht „ad hominem“ – kommen wir, bevor wir uns möglicherweise in Deidesheim sehen, auch zum Du oder bleiben wir beim Sie? Nun ja, ich höre, in einem gewissen Rahmen, gern auf alles).
    Ich will hier nur mal an meiner Definition für Religion rummachen. Ich bringe es auch nur „bescheiden“, zumindest vorsichtig vor, als Arbeitshypothese. Und ja nicht direkt persönlich gemeint, sondern für alle geneigten oder abgeneigten Leser
    Der Ansatz dazu, wie ich Religion zu verstehen versuche, ist wie bereits gesagt, nicht mit RelWissenschaftlern abgesprochen (und hat deshalb auch schon partiellen Widerspruch erfahren). Er könnte eingefahrene Geleise aufbrechen, die gerade in dieser Diskussion und sonst oft sichtbar werden – wenn es um so etwas geht wie die Behauptung von Religionsvertretern, für Lebensmaßstäbe zuständig zu sein.
    Ich verstehe Religion von ihren Wurzeln her nur eingeschränkt als Lebensbewältigungsstrategie, zu der Menschen aufgrund verschiedener Überlegungen (oder durch entsprechenden Zwang) gekommen wären – obwohl sie auch hätten anders können. So sieht es erst heute aus, nachdem vielerlei Religionen und andere Lebensentwürfe auf dem „Markt der Möglichkeiten“ im Angebot sind.
    Sondern gewissermaßen anders herum: Menschen probieren mit viel Versuch und Irrtum das Leben zu erkunden. Das, was sie dann als Ergebnis bündeln und weiter tradieren, das wird zur Religion. (Das, was sie aufgrund der Erfahrungen mit dem Erziehen ihres Nachwuchses sich als Erkenntnisse merken und bündeln, das wird zur Pädagogik. Es gibt verschiedene Pädagogiken, aufgeklärte und nicht so aufgeklärte.) Es gibt in den ersten Bündelungen von Lebensbewältigungsstrategien zumeist Geister, Götter oder auch nur einen Gott. Und nur diese Bündelungen benennen Religionswissenschaftler (nicht alle) als Religionen. Ebenso der allgemeine Sprachgebrauch.
    Es ist dann verständlich, dass Religionsvertreter sich gern auf ihre lange Erfahrung mit der Bündelung berufen und das als ihr Monopol ansehen. Könnte ja jetzt jemand lästern: Nur mit der Postkutsche können Briefe zugestellt werden. Ernsthafter: In jeder Bündelung ist viel von Versuch und Irrtum untergemischt. Wenn die Behauptung von Irrtumsfreiheit nun zu sehr mit Macht verquickt ist und einem Alleinvertretungsanspruch, wird die Sache nur verbarrikadiert. Doch gerade dazu gibt es auch aus der Mitte von Religionen heraus härteste Kritik gegen die Machtspitze. Aber es ist auch klar, dass alternative Bündelungen (Anbetung der Göttin Vernunft) auch nicht besonders irrtumsfrei sein müssen. UND sehr verständlich: dass alternative Bündelungen es sich verbitten, als Religionen bezeichnet zu werden. Besonders bei zu Religion gewordenen politischen Ideologien spielt in der Begrifflichkeit auch politisches Kalkül mit: Man kann Kulte/Gebete/Zuschreibung übermenschlicher Kraft an die Heroen nicht leiden, außer man tut dies selber.
    Für interessant halte ich dagegen solche Ansätze, die ich doch in letzter Zeit über Schmidt-Salomon erwähnte. Ich weiß nicht mehr wo, aber was: Humanismus darf nicht Theorie bleiben, er muss praktisch werden., dort auf S. 6, frei formuliert .Auf eine gewisse Weise praktisch wird es auch in den „religionsfreien Zonen“ oder bei „Heidenspaß statt Höllenangst“.
    Das sind aber bis jetzt nur Ansätze, möglicherweise entwickelt sich etwas daraus, was eine echte Alternative zu Religionen werden kann und für Leute auch in schwierigeren Situationen hilfreich. Aber ich bin ja nicht dazu da, dafür Tipps zu geben ;-), und willkommen wären diese wohl auch nicht.
    Jedenfalls, ich muss zum Schluss kommen, suchen Leute heutzutage Lebenshilfen natürlich auch aus Büchern ff (insofern auch aus wissenschaftlichen und eben auch halbwissenschaftlichen Veröffentlichungen); aber vorzugsweise auch in Gruppen und Versammlungen, in denen nicht nur argumentiert wird, sondern gelebt, Leben gestaltet wird. Deshalb meine zugegeben etwas süffisante Frage, welche praktischen, gruppendynamisch relevanten… Formen anthropologische Forschung denn gefunden habe. Ich könnte auch nach den Bastelkursen fragen, in denen die wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammengebastelt werden. Und ich hoffe nicht, dass das als Gängelei verstanden werden muss.
    (Dass ich nichts gegen deren theoretische Arbeit habe, dürfte doch inzwischen klar sein).
    Und dass Religionen (oder aus Religion Herausgewachsenes wie Yoga…) da Angebote haben, nach denen in völliger Freiheit besonders dann gegriffen wird, wenn (nicht die alternativen Theorien versagen aber) das bloße Theoretisieren versagt, das ist nicht nur eine Frage der Gängelei oder tumber Fantasielosigkeit sondern entspricht hierzulande jedenfalls dem freien Prinzip von „Angebot und Nachfrage“.

  18. @Herrmann: Antworten?

    Ich muß zugeben, daß ich nicht verstehe, inwiefern dein Kommentar eine Antwort auf meinen Kommentar ist, da auf meine Thesen und Fragen gar nicht Bezug genommen wird, oder?

    “Aber ich will es nicht mir oder der Religion zugute halten, wird was anderes sein.”

    Falls sich hier die Frage verbirgt, warum ich in diesem blog überhaupt Kommentare schreibe, so habe ich diese Frage bereits beantwortet: Nach meiner Ansicht erleiden Religiöse einen charakteristischen Verlust an personaler Autonomie.

    “Ich verstehe Religion von ihren Wurzeln her nur eingeschränkt als Lebensbewältigungsstrategie”

    Sicher, daß ist eine These deines posts. Aber meine Frage war, wie es zu der metaphysischen Spekulation über die psychische Natur der menschlichen Spezies kommt.

    “Menschen probieren mit viel Versuch und Irrtum das Leben zu erkunden. Das, was sie dann als Ergebnis bündeln und weiter tradieren, das wird zur Religion.”

    Ja, das ist auch eine These aus deinem post. Gibt es für diese hahnebüchend skurrile These auch ein Argument?

    Und warum eigentlich stellst du eine derart beleidigende These auf, die die Menge der Menschen in zwei Untermengen teilt: Die einen, die religiös sind und offenbar das Leben erkunden und die, die es nicht sind, was nur den Rückschluß zuläßt, daß sie vom Leben eine Ahnung haben? Leiden Religiöse immer an dieser Art Selbstüberschätzung oder liegt es in der Natur der Religion, Atheisten zu verunglimpfen?

    “Es ist dann verständlich, dass Religionsvertreter sich gern auf ihre lange Erfahrung mit der Bündelung berufen und das als ihr Monopol ansehen.”

    Ich sehe da keinerlei Notwendigkeit – tut mir leid.

    “Aber es ist auch klar, dass alternative Bündelungen (Anbetung der Göttin Vernunft) auch nicht besonders irrtumsfrei sein müssen.”

    Bitte was? Es scheint mir zwei Widersprüche in dieser Behauptung vorzuliegen: Vernunft kann keine Göttin sein und auch niemals angebetet werden.

    “Das sind aber bis jetzt nur Ansätze, möglicherweise entwickelt sich etwas daraus, was eine echte Alternative zu Religionen werden kann und für Leute auch in schwierigeren Situationen hilfreich.”

    Liest sich ein bißchen so, als wärest du der Meinung, daß Nachdenken um so unpraktikabler wird, je schwieriger die Situation ist. Oder liegt es an dem von dir imaginierten Typ von Situation?

    “aber vorzugsweise auch in Gruppen und Versammlungen, in denen nicht nur argumentiert wird, sondern gelebt, Leben gestaltet wird.”

    Auweia – darf ich daran erinnern, daß das soziale Leben nicht erfühlt, sondern verstanden werden muß, um von seiner Existenz zu erfahren, so daß zu argumentieren von selbst Teil des Lebens ist und nicht etwa in irgendeine Art von Widerspruch dazu steht?

    Was sind denn das für Vorurteile? Begünstigen solche Ansichten psychisch die Entstehung von Religion vielleicht?

    “Ich könnte auch nach den Bastelkursen fragen, in denen die wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammengebastelt werden.”

    Sowas gibt es. Aber nicht als Frontalunterricht wie in der Kirche, sondern ganz anarchistisch unter Freunden. 😉

  19. Religionen

    Wenn man alles auf die Spitze treibt, so scheiden sich die Geister wohl tatsächlich am Glauben an Gott. Daß ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhält,” lässt Goethe seinen Faust sagen. Und so wie er suchen viele nach einer Antwort auf diese Frage. Ausgenommen natürlich streng gläubige Monotheisten, die ja davon ausgehen das Wissen über diese Frage von “oben” erhalten zu haben.

    Andere Glaubenssysteme sind sich da längst nicht so sicher. In der Hindu-Religion z.B. bestehen sehr unterschiedliche Auffassungen von Gott. So gibt es Systeme, die nur einen Gott kennen und andere, die gleich mehrere Götter verehren. Daneben gibt es aber auch Richtungen, die ganz ohne Gott auskommen. Auch der Buddhismus klammert Gott aus, er wird jedoch weder geleugnet noch behauptet. Und die ebenfalls gottlose Lehre des Daoismus besagt, dass sich die Menschen am Dao orientieren sollten, indem sie den Lauf der Welt beobachten, in welchem sich das Dao äußert. Auf diese Weise können sie die Gesetzmäßigkeiten und Erscheinungsformen des Weltprinzips kennenlernen. Eine moralische Lehre und Verhaltensweisen zum rechten Leben will auch der Konfuzianismus seinen Anhängern geben, der in China “Schule der Gelehrten” genannt wird, was schon auf seine philosophische Grundeinstellung hinweist. Bis hierher kann man Herrn Aichele also noch folgen, wenn er sagt: “Man kann ja mal darüber nachdenken und dazu vorausdenken. Deshalb haben wir Menschen die inneren Regelkreise des Lebens zu erkunden versucht und aus den längst schon in uns gewachsenen Verhaltens-Mechanismen auch bewusste Regeln heraus destilliert. Ich nenne sie gerne Spielregeln des Lebens, um einer moralisierenden Verkürzung vorzubeugen. Wir üben sie ein und geben sie kulturell weiter. Dabei, ist ja klar, bilden sich regional und gesellschaftlich (und auch qualitativ) unterschiedliche Regeln heraus. Die unterschiedliche Bündelung solcher Erkenntnisse über die Regelkreise und die Spielregeln des Lebens führt zu den unterschiedlichen Religionen.”

    Da gibt es m.E. jedoch gravierende Unterschiede. In den “östlichen” Religionen kennt man z.B. kein statisches Weltbild und jeder Mensch darf seinen eigenen individuellen Weg zum Heil selbst finden. Viele dieser Religionen sind daher auch eher eine Philosophie, als eine Religion. Herr Aichele beschreibt die hier vorgestellte christlichen Religion aber so: “Theologie nun wird diese Art der Wahrheitssuche begleiten, durchdenken und dabei auch zu ordnen, zu systematisieren versuchen.” Auch im Hinblick auf Gott, der hier oberste Prämisse ist und nicht negiert werden kann. Natürlich kann man als Andersdenkender, wie Herr Diederichs, der Auffassung sein: “Die gehen dann z.B. zur Kirche. Ist in Ordnung. Mir egal.” Ich bin ebenfalls der Meinung, dass Religion Privatangelegenheit sein sollte, die verbindende Klammer sind ja der Staat und seine Gesetze an die sich jeder halten muss. Schön wäre es natürlich, wenn man die verschiedenen Weltanschauungen unter einen Hut bekäme und friedlich zusammenleben könnte, aber dazu gehört natürlich auch Dialogbereitschaft.

  20. Mona: Daoismus

    “Ich bin ebenfalls der Meinung, dass Religion Privatangelegenheit sein sollte, die verbindende Klammer sind ja der Staat und seine Gesetze an die sich jeder halten muss.” – Da bin ich völlig Ihrer Meinung.

    Ihrer Beschreibung der “Drei Lehren” scheint mir ein bißchen unvollständig. Soweit ich weiß, existiert neben den von Ihnen beschriebenen Ausprägungen in allen drei Lehren auch noch ein Volksglaube, in dem Götter durchaus existieren. Wikipedia unterscheidet z.B. beim Daoismus (die mir – neben dem eng verwandten Zen – sympathischste Religion) die philosophische und die religiöse Form. (http://de.wikipedia.org/wiki/Daoismus)

    Kennen Sie eigentlich Robert van Gulik und seine Krimireihe mit Richter Di (http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_van_Gulik)? Darin werden die drei Lehren im Milieu der Tang-Dynastie ganz wunderbar dargestellt. Ich habe mit diesen Werken vor 15 Jahren einige sehr glückliche Monate verbracht. Geschmack ist natürlich auch Privatsache, aber vielleicht haben wir ja an dieser Stelle denselben.

  21. @Mona: Geht auch anders

    “In den “östlichen” Religionen kennt man z.B. kein statisches Weltbild und jeder Mensch darf seinen eigenen individuellen Weg zum Heil selbst finden.”

    Dagegen wäre nichts einzuwenden.

    “Schön wäre es natürlich, wenn man die verschiedenen Weltanschauungen unter einen Hut bekäme und friedlich zusammenleben könnte, aber dazu gehört natürlich auch Dialogbereitschaft.”

    Warum eigentlich? Warum soll ich mit “Erleuchteten” reden? Ich kann auch nicht sehen, wie Religiöse mit Atheisten in dieser Hinsicht reden könnten, solange sie ohne Argument behaupten im Besitz irgendeiner Wahrheit zu sein und auch noch so intolerant sind und uns Atheisten bekehren wollen.

    Aber das ist die alte Leier mit denen – und egal, wen man fragt, man kommt immer wieder zu dieser christlichen Grundhaltung zurück.

    Jedes weitere Wort ist einfach Zeitverschwendung.

  22. @ Jürgen Bolt

    “Ihrer Beschreibung der “Drei Lehren” scheint mir ein bißchen unvollständig.”

    Mehr bekam ich in einem Satz eben nicht unter. 🙂 Aber mir ging es hier auch mehr um die Tatsache, dass diese Religionen einen Weg zur Selbsterlösung anbieten. Ob mit oder ohne Götter ist da zweitrangig.

    Vielen Dank für den Hinweis auf Robert van Gulik und seine Krimireihe mit Richter Di, diese Bücher werde ich mir bei Gelegenheit mal besorgen, da ich sowas gerne zum Einschlafen lese. Zumal der Autor anscheinend über interessantes Hintergrundwissen verfügt. 😉

  23. @Elmar Diederichs

    Sie schrieben: “Warum eigentlich? Warum soll ich mit “Erleuchteten” reden? Ich kann auch nicht sehen, wie Religiöse mit Atheisten in dieser Hinsicht reden könnten, solange sie ohne Argument behaupten im Besitz irgendeiner Wahrheit zu sein und auch noch so intolerant sind und uns Atheisten bekehren wollen.
    Aber das ist die alte Leier mit denen – und egal, wen man fragt, man kommt immer wieder zu dieser christlichen Grundhaltung zurück.”

    Nun, sie verwechseln hier etwas. Christen streben keine Erleuchtung an, dass sind die Buddhisten und das auch nur Aufgrund eines Übersetzungsfehlers, denn eigentlich müsste es “Erwachte” heißen. Ich schrieb über dieses Thema schon einmal einen Beitrag hier: http://www.chronologs.de/…ne-gott-zen-buddhismus

  24. @ Mona

    Wir haben heute den Monotheismus. Wir Wissen, dass es damit in Ägypten Probleme gab und er vom Folgepharao wieder abgeschafft wurde.
    Marduk/Amun/Re/Zeus hatte sich im Enuma Elisch für alle Göttertaten eingesetzt – eine erste Form des Monotheismus?
    Die christliche Zeitschrift Nachfolge bezeichnete Marduk als „heidnisches Phantasieprodukt“, was H.Aichele wohl so nicht kennengelernt hat.

    Mehrere Götter – in anderen Ländern hatten sie andere, landestypische Namen – wie Ea/Enki/Ptah/Poseidon, Ningischzidda/Thot/Hermes/Quetzalcoatl, Ninti/Ninhursag/Hathor, Inanna/Ischtar/Aphrodite, nur Enlil hieß immer Enlil, um Beispiele zu nennen. Auch in Indien sollen die sumerischen Götter ihre Spuren hinterlassen haben – oder gab es auch andere? – Die Vielgötterei hatte ihre konkreten Ursachen.

    Religion Privatangelegenheit –
    eigentlich ja. Aber es gab auch in Europa Zeiten, wo der Papst das obere Sagen hatte. Was unterschied diese Zeit vom Gottesstaat?
    Auch „unsere“ Regierung hatte Zeiten, wo man die Religion in Staatsdokumente bringen wollte.

  25. Gottesstaat @Klaus Deistung

    “Aber es gab auch in Europa Zeiten, wo der Papst das obere Sagen hatte. Was unterschied diese Zeit vom Gottesstaat?”

    Der Papst hatte nie eine direkte Macht, auch wenn er einen Kaiser schon mal nach Canossa schicken konnte.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Gang_nach_Canossa

    In Konstantinopel z.B. hatte der Kaiser die weltliche und geistliche Macht inne und der Patriarch war der oberste Berater in geistlichen und moralischen Dingen. 1188 gab es dann das große Schisma, wo sich die westliche Kirche mit dem Papsttum von Kaiser und Patriarch trennte.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Schisma

    Der irregeleitete Kreuzzug des Papstes, im Jahre 1204, der zur Eroberung von Konstantinopel führte, zeigt auch, wie sehr der Wille des Papstes der Auslegung der Machtinteressen des Adels hilflos gegenüberstand.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Vierter_Kreuzzug

    Der christliche Gedanke wurde in der Geschichte so verfälscht und als Machtinstrument missbraucht, dass von der ursprünglichen Idee kaum mehr etwas zu erkennen war.

    “Auch „unsere“ Regierung hatte Zeiten, wo man die Religion in Staatsdokumente bringen wollte.”

    In der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland wird Religionsfreiheit als Grundrecht garantiert. Problematisch wird es jedoch, wenn von Politikern eine christliche Leitkultur angemahnt wird, denn das würde Atheisten und Andersgläubige ausschließen.

  26. Berichtigung

    Mir ist beim großen Schisma ein Fehler unterlaufen, die Jahreszahl ist falsch. Wikipedia schreibt: “Oft wird als Datum für das Schisma 1054 angegeben, als Papst Leo IX. den Patriarchen von Konstantinopel exkommunizierte, aber tatsächlich handelte es sich um einen Prozess, der sich etwa vom 5. bis ins 15. Jahrhundert hinzog. Heute stimmen Historiker darin überein, dass Ostkirche und Westkirche sich aufgrund einer fortschreitenden Entfremdung trennten, die mit dem Wachstum der päpstlichen Autorität zusammenfiel. Entscheidend für die Trennung waren nicht theologische Differenzen, sondern kirchenpolitische Faktoren.”
    http://de.wikipedia.org/…l%C3%A4ndisches_Schisma

  27. Antworten? Nicht so “leicht fertig” – @all, bes. @Elmar D.

    Oh, das ging ja munter weiter. Danke – ringsum, gerade auch @Elmar D., der da den Ball weiter gestoßen hat.
    Ich muss um Nachsicht bitten. Ausführlicher möchte ich schon noch schreiben, aber kann damit nicht so leicht fertig werden ;-). Erschöpfende Antworten habe ich sowieso nicht. Hoffentlich meint nicht jemand, ich hätte gemeint, ich hätte sie. Und ich mag überhaupt das mit den Schnellschüssen nicht. Wollte eigentlich auch zeigen, dass ich nicht jemand abschießen will. Habe ich nicht mal was geschrieben: raus aus den Schützengräben?
    Die weiße Flagge ist aber auch nicht recht sichtbar. Da liegt zuviel Pulverdampf in der Luft.
    Ja, Elmar, zu meinem „ich will es nicht mir oder der Religion zugute halten, wird was anderes sein“: Ich meinte das nicht vorwurfsvoll fragend, wie du dazu kommst, da zu schreiben. Und eben auch nicht als heimlichen missionarischen Triumph. Beides kenne ich von christlicher Seite in parallelen Diskussionen, die dann immer wieder in denselben Schützengräben landen.
    Ich meinte das mit dem „wird was anderes sein“ etwa Folgendes: Da du ja Religiöse nicht gerade für argumentativ zugänglich hältst und derartige Versuche doch für Zeitverschwendung – da du ja überhaupt nicht missionieren willst, deshalb könnte ich mir noch einen Grund denken: In einer Diskussion mit einem Vertreter der Giordano-Bruno-Gesellschaft wurde mir besonders deutlich deren Befürchtung bewusst, dass fundamentalistischer Aberglaube die Welt erobern könnte; und damit verliert wissenschaftliches Denken immer mehr Boden. Ich merkte, ich muss diese Befürchtung ernst nehmen. Und die mir entgegen gehaltene vorwurfsvolle Anfrage, ob selbst solche Theologie, die sich als aufgeklärt verstehen will, in Wirklichkeit doch einen Deckmantel abgibt, unter dem dann ganz anderes umso schlimmer wuchern kann.
    Zum Austausch darüber konnten wir aber nur kommen, weil keiner mit hochgeklapptem Visier gekämpft hat.
    Ja, und mit meinem “wird was anderes sein“, wollte ich daran stupfen: Worum geht’s eigentlich beim „Dranbleiben“ am Thema? Möglicherweise um solche oder andere Befürchtungen um die Zukunft der Menschheit und der Menschlichkeit?

    Ja, und mit meinen Ausführungen zur Entstehung der Religionen aus dem – wie Elmar wohl sagen würde, *fehlgeleiteten* – Versuch, eine menschengerechte Lebensstrategie zu entwickeln, das sollten keine direkten Antworten sein, sondern – na ja sagen wir so wie beim Bowling: ein bisschen schräg anschießen. Das direkteste war: Es kommt auf die praktische Vermittlung an. Und da sehe ich bemerkenswerte Ansätze auf atheistisch-humanistischer Seite; aber sehe auch, dass in tiefer gehenden Krisen auch hierzulande Leute denn doch eher nach kirchlichen Angeboten greifen. Da ist sichtbar, dass es mehr gibt als Lehrbücher.
    Im Übrigen finde ich das Zitat aus dem Daoismus „… die Gesetzmäßigkeiten und Erscheinungsformen des Weltprinzips kennenlernen“ für interessant. Begegnete mir wohl schon manchmal, werde ich mir aber jetzt intensiver merken. Danke @Mona!

    Auch dieser kurze Zwischeneinwurf viel zu lang. Vielleicht erst am Montag weiter… Jedenfalls: ein schönes Wochenende.

  28. Befürchtung @H. Aichele

    Sie schrieben @Elmar Diederichs: “Da du ja Religiöse nicht gerade für argumentativ zugänglich hältst und derartige Versuche doch für Zeitverschwendung – da du ja überhaupt nicht missionieren willst, deshalb könnte ich mir noch einen Grund denken: In einer Diskussion mit einem Vertreter der Giordano-Bruno-Gesellschaft wurde mir besonders deutlich deren Befürchtung bewusst, dass fundamentalistischer Aberglaube die Welt erobern könnte; und damit verliert wissenschaftliches Denken immer mehr Boden. Ich merkte, ich muss diese Befürchtung ernst nehmen. Und die mir entgegen gehaltene vorwurfsvolle Anfrage, ob selbst solche Theologie, die sich als aufgeklärt verstehen will, in Wirklichkeit doch einen Deckmantel abgibt, unter dem dann ganz anderes umso schlimmer wuchern kann.”

    Ja, da könnte etwas dran sein, denn von “christlichen” Politikern wurde ja bereits versucht den Schöpfungsglauben im Biologieunterricht zu verankern: http://www.cicero.de/…ess_id=21&kol_id=10390

    Gleichzeitig fürchtet man sich aber vor islamischen Fundamentalisten, die häufig außer dem Koranunterricht keine weitere Schulbildung genossen haben. M.E. sollten sich aufgeklärte Menschen, und die gibt es auch unter religiösen (siehe Link unten), solcherlei Ansinnen entgegenstellen. Denn was man damit erreicht wird keine friedlichere Welt sein, sondern ein Kampf der Kulturen mit allen Mitteln, der uns direkt ins Mittelalter katapultiert.
    http://www.welt.de/…_Bibel_im_Fach_Biologie.html

  29. Sinnfrage

    Um zu verstehen wofür Theologie gut ist und warum es Religionen gibt, sollte man eventuell die Sinnfrage stellen:
    Welchen Sinn hat das Ganze für die Menschen / Warum sind Menschen gläubig / Welche Vorteile bringt Religiosität / Warum werden Rituale ausgeführt / usw.usw. ?

    Diese Sinnfrage könnte man eventuell über den Umweg beantworten, dass man andere Aktivitäten vergleichend bewertet: z.B. Fussball.

    Denn Fussballspiele sind – bei genauer Betrachtung – doch wirklich absolut sinnlos und unnötige Zeitverschwendung. Man könnte das Ergebnis doch auch auswürfeln oder die ganze Bundesliga am Computer berechnen lassen (unter Berücksichtung des Sonderfalles, dass der FC Bayern 50% der Berechnungen gewinnen muss).
    Warum wird eine dermaßen sinnlose Aktivität trotzdem intensiv und mit Begeisterung ausgeführt?

  30. Befürchtungen @ Mona @ Elmar Diederichs

    Ja, Mona; danke für die beiden komplementären ergänzenden Hinweise. Die Anzeichen für gewisse Versuche, die den Kreationismus u.ä. auch in Deutschland fördern wollen, sehe ich. Und das seit weit über 20 Jahren. Ich sehe auch, dass trotz aller offiziellen Verlautbarungen in der Kirche, auf die Sie, Mona, dankenswerter Weise hingewiesen haben, es *vor Ort* in Kirchengemeinden nicht nur oft blödsinnige kreationistische Behauptungen gibt sondern man (einschließlich mir) öfters „um des lieben Friedens“ willen dazu lieber den Mund hält. Doch dann denke ich auch wieder: Hauptsache die Leute engagieren sich (in sozialen u.ä. Belangen) auf der richtigen Seite. Dann könnte doch egal sein, ob sie noch „an Adam und Eva glauben“, das wird sich auch mal von selbst auflösen. Aber löst es sich von selbst auf? Oder *wächst* die Gefahr? Bzw. welche (sozialen, gesellschaftspolitischen…) Folgen ergeben sich daraus?
    Dass Amerika (Teaparty ff ) ein warnendes Signal ist, ist klar. Und ganz erschreckt hat mich gestern das “Religiöser Fanatismus – das Ende des amerikanischen Traums“. Da könnte ja kraft der damit verquickten Wirtschaftsinteressen was auf Europa durchschlagen. Aber wie weit müssen solche Befürchtungen gehen? Oder ernährt sich das Feuer dieser Befürchtungen gewissermaßen selbst? Schwer einzuschätzen; oder ist das auch schon zu beschwichtigend, wenn ich meine, hier könnte man sich in solchen Diskussion doch angstfreier begegnen?

    P.S. Zu den begrifflichen Fragen um Wahrheit ff habe ich gestern Abend einen Kommentar zum vorigen Blogbeitrag (Natur…) reingesetzt, wo es eigentlich hingehört.

  31. Sinnfrage und Fußball @KRichard

    Danke KRichard, für diesen Einwurf, um ein Wort aus der Fußballsprache zu benützen.
    Also, die „Sinnfrage“ würde ich schon ein bisschen anders stellen. Aber auch so reizt Ihr Einwurf reizt zu interessanten Vergleichen:
    Das runde aufgeblasene Stück Leder ist für sich genommen uninteressant. Die meisten wüssten über die Konsistenz und die Produktionsbedingungen für dieses Stück nichts zu sagen. Und gewisse Zufallsergebnisse, die dann doch nicht einem blinden Schicksal ausgeliefert sein dürfen, könnte man tatsächlich am Computer errechnen und manipulieren.
    ABER an gewissen Orten, in gewissen Interaktionen ergeben sich sehr vielfältige Sinnbezüge: Spieltrieb; Gesundheit, Reaktionsvermögen, Kultivierung von Aggressionen einerseits und Lust auf Schlägereien andererseits. Nicht zu vergessen die wirtschaftlichen Interessen (Werbebanner, Alkoholverkauf, Tourismus)
    Der Vergleich mit Religion(en) reizt tatsächlich ungemein; WENN man nicht, wie in den letzten Jahrzehnten üblich geworden, Vergleich mit Gleichsetzung verwechselt (oder meint, einzelne Vergleichspunkte Eins zu Eins umsetzen zu müssen).
    Da denke ich mal daran weiter.

  32. @Aichele

    Meine Anregung geht erst mal in eine andere Richtung.
    Herr Diederichs unterstellt ja den Theologen und Gläubigen ein irreales Verhalten – da sie an etwas glauben, was seiner Ansicht nach nicht wirklich existiert. Dieser Gedanke ist sehr interessant und ich finde es schade, dass er immer nur einseitig betrachtet wird (Theologie/Religion). Daher meine Anregung auch mal über den Tellerrand zu schauen, ob/wie es solches irreales Verhalten auch an anderer Stelle in unserer Kultur gibt – und wenn ja, wieso.

    Z.B. bei der Fussball-Bundesliga spielt man mit sehr großem finanziellen und persönlichem Einsatz darum, ein Spiel zu gewinnen. Dann bekommt man drei Punkte! Diese Punkte sind aber real nicht wirklich vorhanden, man kann sie weder sehen, noch mitnehmen – sie sind damit irreal/übersinnlich. Sie gelten im Ausland gar nichts und verlieren auch sofort ihren Wert, wenn die Saison vorbei ist.

    D.h. der Glaube an übersinnliche Phänomene – hier: an Punkte, existiert nicht nur im Bereich der Religion.

    Es ergeben sich daraus interessante Fragestellungen: die Sinnfrage – warum sind Religionen/Fußball-wettbewerbe so beliebt? die Glaubwürdigkeitsfrage – ist ein Atheist glaubwürdig, wenn er zwar Götter ablehnt, aber Fußball-Fan bleibt? usw. …

  33. @KRichard:

    “Herr Diederichs unterstellt ja den Theologen und Gläubigen ein irreales Verhalten – da sie an etwas glauben, was seiner Ansicht nach nicht wirklich existiert.”

    Der Punkt ist nicht, daß Religiöse an etwas glauben, daß nicht existiert, sondern daß sie an etwas glauben, ohne sich auch nur im entferntesten über die Quelle dieser Überzeugungen klar sind:

    Da man leicht zeigen kann – siehe mein blog – daß niemand etwas glauben kann, daß er selbst für falsch hält, das Wesentliche am Glauben aber die Tatsache ist, daß der Gläubige seine religiösen Überzeugungen nicht durch Argumente belegen kann, gibt es keine andere Option, als Religiosität als monumetale Verwirrung eines Geistes über dessen eigene Arbeitsweise und effiktiv wirksamen Belege einzustufen.

    Aber ich weiß schon, daß diese Bemerkung wieder alle kollektiv ignorieren werden – genauso wie meine Fragen nach einem eifersüchtigen und ungerechten Christentum: Wie üblich sind sich die Gläubigen zu fein, um über so etwas zu reden.

  34. Fußball u Religion @ KRichard

    Na, ich habe ja meinen Vergleich noch nicht ausgesponnen. Die von Ihnen vorgeschlagene Richtung fände ich gar nicht so übel, würde ich jedenfalls mit einbeziehen können. Danke für die Anregungen. Sie weisen darauf hin, dass mehr im Menschen steckt als mancher denkt, der nur von seiner Schulweisheit träumt… Gibt eben nicht nur vernünftige Lebensbewältigungsstrategien. Und das ist gut so.

  35. @Diederichs

    Mir geht es nicht darum, Ihre Argumentation zu ignorieren – sondern darum, zu zeigen, dass Religiosität keine andere Verhaltensweise ist, als wie sie auch an anderer Stelle zu finden ist.
    Ich folge nur konsequent Ihrer eigenen Argumantation – allerdings erschließt sich mir nicht, wieso man an Gott nicht glauben sollte, an die Existenz von Bundesliga-Punkten aber schon (um beim Beispiel zu bleiben).

  36. Amerika – Mit Gewalt in den Gottesstaat @H.Aichele

    Sie schrieben: “Doch dann denke ich auch wieder: Hauptsache die Leute engagieren sich (in sozialen u.ä. Belangen) auf der richtigen Seite. Dann könnte doch egal sein, ob sie noch „an Adam und Eva glauben“, das wird sich auch mal von selbst auflösen. Aber löst es sich von selbst auf? Oder *wächst* die Gefahr? Bzw. welche (sozialen, gesellschaftspolitischen…) Folgen ergeben sich daraus?”

    Interessante Fragen, auf die man ja nicht so leicht eine Antwort bekommt und ich finde es auch mutig, dass Sie dazu ein Atheisten-Blog verlinkten. Für Furore sorgte auch Gerhard Padderatz, der Autor des Buches “Amerika: Mit Gewalt in den Gottesstaat”, der sich kritisch mit den religiösen Eiferern in Amerika auseinandersetzt (hier die Mitschrift seines Vortrags – leider mit etlichen Tippfehlern):
    http://www.glaube.org/…lt-in-den-gottesstaat.php

    Und hier ein Artikel des Autors in der christlichen Familienzeitschrift “Top Life Magazin”:
    http://www.toplife.at/…geschehen/artikel124.html

  37. @Aichele

    “Doch dann denke ich auch wieder: Hauptsache die Leute engagieren sich (in sozialen u.ä. Belangen) auf der richtigen Seite.”

    Mmh der Zweck heiligt die Mittel?
    Das entspricht aber gar nicht den (angeblichen) Aussagen des Jesus.

  38. Fußball

    Gestern, eine Twittermeldung aus Ägypten, die in einer vom Tagesschau-Newsticker verlinkten Seite auch mit zu lesen war:
    Surreal scenes … children playing football within 250 metres of the standoff between the two sets of demonstrators.

    Das ist bewegend. Gesegnet sei der Fußball!

  39. Verhärtete Fronten @Mona and all

    Das fand ich heute:
    http://news.yahoo.com/…_re/us_rel_religion_today :
    Martin Gaskell, ein Astronom, bekam an der Universität Kentucky die von ihm angestrebte Stelle nicht, weil er sich als Christ outete, der Widersprüche zwischen Glaube und Naturwissenschaft nicht gelten lassen will. Er habe sich auch kritisch zur atheistischen Rezeption der Evolutionstheorie geäußert, was auch immer das heißen mag.
    Die Fronten sind verhärtet. Und das finde ich schlimm. Wobei ich unheimlich viel Verständnis habe für die Entscheidungsträger der Universität. Es wundert mich nicht, dass es nach den fundamentalistischen Machenschaften der letzten Jahre so weit kam. Und Gaskell bekam anscheinend auch Beifall von der falschen Seite. Kein Wunder, dass die in Kentucky meinen, sich so abschotten zu müssen. Und kein Wunder, dass Dawkins meint, sich in seiner unnachahmlichen Weise äußern zu müssen… Möchte er Francis Collins auch aus der Wissenschaft ausschließen?
    Wenn Diskussion um Wissenschaft auf diesem Niveau weiter geht, dann Gute Nacht.
    Die von Mona am 29.1. und 3.2. verlinkten Schilderungen – danke! – zeigen ja einige Gefahren auf.
    Also, leicht will ich die nicht nehmen. Ich will mit ihnen nicht so leicht fertig oder leichtfertig sein.
    Und richtig schlecht kann’s einem werden bei fundamentalistischen Machenschaften in anderer Sache – Homosexualität: http://hpd.de/node/11097
    Ja, thematisch schon eine andere Sache; aber da sich die Sache zu einem gesamtgesellschaftlichen Giftgebräu verknüpft…
    Nur, bitte nicht gutwillige Leute zurückstoßen, die Humanismus auch noch mit Religion zu verknüpfen wagen.
    Da finde ich den Button gut – habe es mal (wo?) ausgerechnet über Dawkins gelesen, dass auch er ihn sich angeheftet habe: “Atheists for Jesus”.

  40. @Herrmann Aichele: Fundamentalismus

    “Und kein Wunder, dass Dawkins meint, sich in seiner unnachahmlichen Weise äußern zu müssen… Möchte er Francis Collins auch aus der Wissenschaft ausschließen?”

    Pinker hat in der Tat Bedenken zu Collins geäußert – die ich teile:

    http://whyevolutionistrue.wordpress.com/…ollins/

    Da Sie wie Dawkins zu dem Thema schreiben: fänden Sie diese Formulierung angemessen? “Und kein Wunder, dass Aichele meint, sich in seiner unnachahmlichen Weise äußern zu müssen.” Dawkins Beispiel vom Gynäkologen, der glaubt, Kinder würden vom Klapperstorch gebracht, finde ich übrigens erhellend.

    Ich verstehe, daß Sie verhärtete Fronten nicht mögen, das geht mir genauso. Aber ich mag auch anderes nicht, wie Intoleranz, Manipulation, Machtmißbrauch. Und wenn Menschen meinen, sie könnten ihre wissenschaftliche Reputation mißbrauchen, um für ihren religiösen Glauben zu werben, finde ich es angebracht, dagegen Front zu machen.

    Die Lösung ist eigentlich ganz einfach. Religion sollte Privatsache sein und der öffentliche Raum agnostisch. Warum fällt es vielen Gläubigen so schwer, ihren Missionsdrang zu zügeln?

  41. Konformitätsdruck

    Wes Brot ich ess, des Lied ich sing, heißt ein alter Spruch, der noch auf die Zeit der Minnesänger zurückgeht, die von Burg zu Burg zogen und der Herrschaft in ihren Liedern huldigten. Ein bisschen ist es auch heute noch so, denn wer eine Anstellung finden und behalten will, der muss die Firmenphilosophie vertreten. Kritik war und ist hier nicht erwünscht, denn sonst gibt es kein Einkommen und im schlimmsten Fall auch noch Sanktionen.

    Auch der Glaube wurde häufig als Mittel zum Zweck der Herrschaft missbraucht und dazu beseitigte man auch schon mal zur Last gewordene Ex-Anhänger. Hier in Bayern ist es ja noch immer so, dass sich Ungläubige auf keine Stelle zu bewerben brauchen, auch nicht als Putzfrau, wenn die katholische Kirche ein Mitspracherecht hat. Noch rigider handhabt es die evangelische Kirche, hier dürfen sich nur “reinrassige” Evangelische bewerben. Umgekehrte Fälle sind mir jetzt allerdings nicht bekannt, sieht man von Ihrem Link einmal ab. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass moderne amerikanische Unternehmen keinen Mann einstellen, “der Widersprüche zwischen Glaube und Naturwissenschaft nicht gelten lassen will.” und dies auch noch öffentlich verkündet. Da haben manche Universitäten anscheinend von den Kirchen gelernt.

    Gut finde ich diese Sachen nicht. M.E. sollte der Glaube (oder Unglaube) eine Privatangelegenheit sein. Der Arbeitgeber darf sich da nicht einmischen, außer es wird damit hausieren gegangen und der Betriebsfrieden gestört.

  42. Dawkins – Collins @Jürgen Bolt

    Ihr Kommentar hat bei mir eine Lesegefräßigkeit ausgelöst – bis hin zur BioLogos Foundation und zur Templeton Stiftung. Die verschiedenen Verstrickungen sind mir bis jetzt nicht so bekannt gewesen. Und inhaltlich hätte ich Bedenken gegen BioLogos. Doch eine gewisse Theologisierung der Naturwissenschaft, die ich nicht mag. Ich las auch manches bei Dawkins rum, habe aber seinen Gotteswahn gerade verliehen.

    Vorneweg aber: wenn mir jemand „unnachahmlich“ nachsagte – den Vergleich mit dem, was ich bei Dawkins aufspießen wollte, den würde ich aushalten. Seine taschenspielerische Art, verächtlich machende Anschaulichkeit zu erzeugen, ist wirklich unnachahmlich:
    Ob einer Theologie mit Feeologie vergleicht – als ob er keine Ahnung hätte von der europäischen Geistesgeschichte…
    Oder ob einer die Aneignung religiöser Vorstellungen mit dem Klapperstorch vergleicht – das sollte er mal Kant sagen, den er kraft naturwissenschaftlicher Autorität kurzerhand zum Atheisten erklärt… (ähnlich den Buddhismus als Nicht-Religion)
    Ob einer die Geschichte vom sog. Sündenfall als Geschichte eines harmlosen Obstdiebstahls meint interpretieren zu können (wie interpretiert er die Prometheus-Geschichte?!)
    Ob einer die Entstehung der Religion aus kindlichem Autoritätsglauben herleitet und dazu sein Mottenbeispiel für fehlgeleitete Handlungsimpulse…
    –– das alles zeigt, dass er viel zu wenig Ahnung hat von dem, was sonst wissenschaftlich, insbesondere religionswissenschaftlich dazu diskutiert wird. Da lachen auch die atheistischen Religionswissenschaftler.

    Seine Beispiele sind marktgerecht, lassen sich leicht als Bonmot verwenden; aber analytisch haben sie schlicht keinen Wert. Wer Atheismus ernst nehmen will, sollte sich wo anders informieren. Dass aber viele Leute gerade seine Beispiele begierig aufsaugen, das erinnert mich wieder an eine gewisse kindliche Autoritätsgläubigkeit, die eben – aufgeklärt, wie man sein möchte – sich auf die Herren im weißen Kittel projiziert. Siehe auch Milgram-Experiment. Doch wäre er lieber bei der Biologie geblieben.
    „Und wenn Menschen meinen, sie könnten ihre wissenschaftliche Reputation mißbrauchen,…“ schreiben Sie zu Recht gegen Religiöse; und spiegelbildlich wende ich das gegen Dawkins.

    Nun, ganz unnachahmlich ist es nicht. Auf etwa gleichem Niveau schreibt und polemisiert (und beruft sich auf seine wissenschaftliche Reputation… ) Manfred Lütz.

    Ja, Dawkins möchte Collins nicht aus der Wissenschaft ausschließen; wie könnte er auch. Aber ist wohl auch bedacht darauf, dass sich das religiöse Denken von Collins nicht in die Wissenschaft und die Wissenschaftspolitik auswirken soll.
    Viel differenzierter erlebte ich in dem von Ihnen verlinkten Statement den Steven Pinker: Kein religiöser Lackmus-Test, aber…
    Nun, da ich diese Form der religiösen Begründung bei Collins auch nicht mag und etwa die Parallelisierung von Glaube und Wissenschaft in der Kosmologie über das fine-tuning und sonstige anthropischen Spekulationen… – da wurde es mir bei Collins unheimlich, aber eben nur theologisch, nicht naturwissenschaftlich – deshalb hätte ich auch meine Anfragen an Obamas Entscheidung. Aber würde gleichzeitig als Gesichtspunkt einzuwerfen versuchen: Vielleicht war es innenpolitisch ein geschickter Schachzug Obamas, denn diesen Wissenschaftler konnten auch die Leute vom bible belt nicht ablehnen.
    Nur ja – siehe Kommentar zu Mona – schrecklich, dass man in Amerika solche Winkelzüge in Erwägung ziehen muss.

    Und insgesamt sehe ich, dass bei Wissenschaftlern, die aus welchen lebensgeschichtlichen Zusammenhängen auch immer ihren christlichen Glauben für eine gute und hilfreiche Sache halten – und sie wollen ihn auch aufgeklärt äußern, ohne Klapperstorch ff – dass bei solchen die religiöse Begrifflichkeit ihrem aufgeklärten Anspruch doch öfters sehr stark hinterher hinkt. Das tut manchmal richtig weh, wenn die so bieder daher formulieren, was sie über Gottes Absichten (etwa in der Geschichte unseres Alls) zu wissen meinen.
    [Nachträgl eingefügt: Und es wundert mich nicht, dass Dawkins auf solche Naivität abfährt; ich kann das nicht einseitig nur ihm zum Vorwurf machen]
    Gegen begriffliche Naivität in Sachen des Glaubens wären Theologen in der Pflicht. Und sie könnten den Atheisten dankbar sein dafür, dass die die schlimmsten Naivitäten aufspüren.
    Ja, Mission? Vielfältige Aspekte. Aber jeder, der in der Öffentlichkeit was schreibt, will andere für seine Meinung interessieren. Sie doch auch. Meinungen, gerade auch private, möchten eben doch öffentlichkeitsrelevant werden. Den Anspruch kennen wir doch auf allen Seiten: Wenn nur alle so wären wie ich (meinem Anspruch nach) bin – oh, wie schön wäre dann die Welt…

  43. Konformitätsdruck? Wagenburg? @Mona

    Ja, wes Brot ich ess… Schon auch wahr. Nun, jeder Sportverein stellt als Hausmeister lieber einen ein, der durch Vereinsmitgliedschaft bereits sein Interesse bekundete. Jede Gewerkschaft verfährt bei solchen Einstellungen ähnlich. Dass die Kirchen es auch so machen und ihre eigenen Mitglieder bevorzugen, möchte ich auf dieser Linie sehen. Oder man stelle sich vor, wie der ADAC reagieren würde, wenn einer seiner Angestellten womöglich demonstrativ die Mitgliedschaft kündigen würde.
    Doch bei den Kirchen und jetzt in Kentucky geht’s natürlich mehr ans Eingemachte. Und ist ja richtig, dass die Uni sich an der Wissenschaftlichkeit der Evolutionstheorie nichts abmarkten lassen will. Nur, dass sie jetzt auch gegen einen wie Martin Gaskell die Stacheln rausstellte, das zeigt, wie weit in den USA der Karren schon verfahren ist. (Wobei ich Gaskell selber jetzt gar nicht genauer kenne). Und da drin steckt eine Gefahr. So weit darf es nicht hierzulande auch noch kommen.
    Um zum Auslöser dieses Neben(!)themas zu kommen: Das kann wohl wieder die Befürchtung nähren, dass entsprechende wissenschafts-politische Konstellationen dann auch die Zukunft der Menschheit und der Menschlichkeit bedrohen könnten. (siehe unsere Kommentare vom 28./29. Jan).
    Theoretisch wär’s doch so egal, ob die Menschen die Evolution akzeptieren oder nicht; aber wenn die Grabenkämpfe weg von der theoretischen Ebene ins Gesellschaftspolitische gehen, dann Gnade uns Gott. In den USA ist’s so weit. Wie gefährlich ist’s bei uns? Und setzen sich DESHALB manche so ein – im Sinne von „wehret den Anfängen“ – und meinen, auch hier im Blog gegen solche Gefahren vorbauen zu müssen? Während ich eigentlich lieber noch Verbündete auf vielerlei Seiten suche…

    „Widersprüche zwischen Glauben und Naturwissenschaft“? Ja, ich kenne die, wenn Theologen meinen, doch im innersten Kern (der Atome oder) der Naturwissenschaft herumspionieren zu müssen und sich daraus zwar keinen Gottesbeweis aber eine Spur zu Gott basteln zu können. Und wenn Naturwissenschaftler meinen, auf der gleichen Ebene theologische Aussagen machen zu können. Menschlich verständlich, dass man da gegeneinander auftrumpfen will; aber dient der Sache nicht. Ich würde den Unterschied nicht so brutal betonen wie Karl Barth, der die zu unterscheidenden Sichtweisen vergleicht mit dem Unterschied eines Staubsaugers und einer Orgel. Aber auf der Linie: Etwa so wie der Unterschied zwischen botanischer Wissenschaft und Landschaftsgärtnerei. Man sollte voneinander wissen, hat aber verschiedene Aufgaben. Ich weiß nicht, wie Gaskell zu dieser Unterscheidung stehen würde. Collins anscheinend nicht. Er ist garantiert ein guter Wissenschaftler, aber gerade ihm würde ich die theologische Bestimmung des Verhältnisses von Glaube und Wissenschaft nicht abnehmen. Dazu im Kommentar zu Jürgen Bolt.

  44. BioLogos und Collins – Bedenken?

    Ich denke es ist hilfreich auf eine wohl übersehene Tatsache hinzuweisen, die BioLogos und die Ansichten von Francis Collins betrifft. Sie wollen nämlich nicht Wissenschaftler und Theologen erreichen, sondern vor allem amerikanischen Evangelikalen zu zeigen, dass sie die Evolutionstheorie nicht ablehnen müssen. Entsprechend ist das benutzte Gottesbild und auch einige spezifische Argumentationslinien. Auch mir erscheint da einiges suspekt, aber weder ich noch Sie gehören da zum Zielpublikum sondern die young earth creationists. Und die von Steven Pinker befürchteten Auswirkungen finde ich doch schon reichlich überzogen. Collins will ja nicht die Forschung beinflussen, sondern ihre Darstellung in der Öffentlichkeit – nämlich die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Glauben vermitteln. Was soll daran denn bitte falsch sein? Dass er als Naturwissenschaftler da mit naturtheologischen Argumenten liebäugelt ist schon eine ganz andere Sache. Es wäre allerdings hizuweisen, dass z.B. John Polkinghorne, nicht gerade einer der letzten angloamerikanischen Theologen, eine ganze Apologetik auf dem finetuning Argument aufbaut. Naturtheologie floriert eben auch heute als EINE mögliche Denkrichtung. Und dass da einige enthusiastische und im Thema nicht allzugut gewandte Wissenschaftler etwas voreilige Schlüsse ziehen, steht auf einem anderen Blatt und soll nichts daran ändern, dass ein Verständniss der generellen Vereinbarkeit von Ratio und Credo gerade in den USA nur nützen kann.

  45. @Aichele: Mission

    Ich habe bisher nicht bemerkt, daß Sie versucht hätten, mich zu missionieren. Und Sie haben auch hoffentlich nicht das Gefühl, ich wolle Sie von Ihrem Glauben abbringen.

    Das unterscheidet uns beide eben vorteilhaft von Francis Collins. Jedenfalls soweit ich meinen abgebrochenen Lektüreversuch erinnere. Meine Freundin bekam das Buch von ihrer Schwester geschenkt. Der Vater war hier Pfarrer:

    http://seikokai.org.s7514.gridserver.com/

    Und die in den USA gebliebene Verwandschaft ist nach wie vor episcopal-christlich. Das Buch lag dann einige Zeit irgendwo herum, bis Obama Collins zum Leiter des NIH machte. Ich begann, es zu lesen, kam aber überhaupt nicht klar. Meine Freundin sagte mir gestern, als ich es vergeblich suchte, sie habe es weggeworfen.

    Diese Art der Begründung, daß Ratio und Credo einander nicht ausschließen, finde ich unangebracht. Danach würden sie einander nicht ausschließen, weil niemand letztlich die Wahrheit kennt und religiöse Aussagen, z.B. daß mit der Verschmelzung von Spermium und Eizelle besseltes menschliches Leben entsteht, genauso richtig sind wie die wissenschaftliche Aussage, menschlicher Geist sei die Funktion eines ausreichend komplexen und entsprechend organisierten Gehirns. Also eine Form des Relativismus.

    Da hat Kant 1781 in bis heute gültiger Weise viel besser argumentiert: Ratio und Credo betreffen zwei völlig unterscheidliche Bereiche, deshalb können sie einander gar nicht ausschließen. Allerdings verlangt das vom Credo auch, sich keine Wissensaussagen anzumaßen.

    Und damit kann ich auch erklären, warum mir scheint, daß einer von uns beiden Dawkins mißversteht. Sie denken, er kritisiert jede Religiosität. Ich denke er kritisiert nur die nicht aufgeklärte Form und äußert sich zu der aufgeklärten Religiosität, die Sie vertreten, überhaupt nicht. “The mission of the Richard Dawkins Foundation for Reason and Science is to support scientific education, critical thinking and evidence-based understanding of the natural world in the quest to overcome religious fundamentalism, superstition, intolerance and human suffering.” Er schreibt explizit ‘religious fundamentalism’, nicht ‘religiousness’.

    Hier übrigens Dawkins Lieblingsmusik, passend zur bevorstehenden Passionszeit:

    http://www.youtube.com/…D9s8&feature=related

  46. @Jürgen Bolt – Relativismus?

    Wieso denn Relativismus? Wenn z.B. ein Philosoph normative Ansprüche z.B. eines evolutionären Psychologen, wie gerechtes Verhalten auszusehen habe, zu Recht abweist, dann aber eine Theorie des moralischen Realismus entwickelt, wohlwissend dass sie zwar philosophisch nachvollzogen und diskutiert, nicht aber empirisch überprüft werden kann – bekennt er sich dadurch zum Relativismus? Oder wenn ich als Historiker mit Quellen arbeite, ich übe methodisch unglaublich Kompliziertes Handwerk und habe für das gefundene auch einen bestimmten Wahrheitsanspruch, trotzdem sind auch diese Ergebnisse nicht experimentell übeprüfbar, mehr als dass, es kann sich eine ganze Reihe Historiker finden, die mir aus Gründen der Plausibilität widersprechen werden… und auch einen Wahrheitsanspruch pflegen. Das Stichwort scheint mir nicht Relativismus zu sein, sondern Methodenklarheit bei gleichzeitiger Anerkennung der Methodenpluralität.

    Und die Sache mit Collins würde ich nicht auf die Ecke treiben. Schließlich ist auch für ihn, soviel ich mich an dasselbe Buch erinnere, “menschlicher Geist die Funktion eines ausreichend komplexen und entsprechend organisierten Gehirns”.

    Übrigens, wir kommen viel schneller weiter, wenn wir die Debatte zwischen Collins und Dawkins betrachten: http://www.time.com/…le/0,9171,1555132-3,00.html
    Da kommen Positionen und auch Missverständnisse beider Seiten sehr gut zum Ausdruck.

  47. Noch mehr Wagenburgen @Jürgen Bolt

    Sie schreiben an @H. Aichele: “Und damit kann ich auch erklären, warum mir scheint, daß einer von uns beiden Dawkins mißversteht. Sie denken, er kritisiert jede Religiosität. Ich denke er kritisiert nur die nicht aufgeklärte Form und äußert sich zu der aufgeklärten Religiosität, die Sie vertreten, überhaupt nicht.”

    Ja, das hat was! Aber wahrscheinlich fällt es Dawkins halt leichter, die einfältigen Schäfchen zu kritisieren. Umgekehrt betrachten fundamentalistisch ausgerichtete Religiöse ja auch jegliche Form von Atheismus als Affront gegen ihren Glauben. Was nun die “aufgeklärte Form” der Religiosität betrifft, so ist Michael Schmidt-Salomon, der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, der Ansicht, dass es zu einer Polarisierung kommt. Er sagt: “Ja. Der aufgeklärte Glaube verliert seine Funktion als Vermittlungsinstanz zwischen konsequentem Säkularismus und religiösem Fundamentalismus. Das ist, wie es scheint, ein unaufhaltsamer Prozess, den man nicht ignorieren sollte.” Und hat für beide Seiten den “Vorteil”, dass man sich mit den Argumenten des “Gegners” erst gar nicht auseinanderzusetzen braucht, sondern man kann gleich anfangen aufeinander einzuschlagen.
    Zitat von hier: http://newsnetz-blog.ch/…cht-an-personalen-gott/

    In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass da auch gleich ein Buch der Religiösen auf den Markt geschmissen wird, mit dem Titel: „Hating God: The Untold Story of Misotheism“, in dem der Autor, Bernard Schweizer, aufzeigt, dass viele berühmte Atheisten gar nicht so harmlos waren, wie es scheint, sondern gefährliche Gotteshasser waren und von übersteigerten moralischen Ansprüchen heimgesucht wurden.
    http://newsnetz-blog.ch/…2/ist-gott-ein-schurke/

  48. @Mona: Dawkins

    “Aber wahrscheinlich fällt es Dawkins halt leichter, die einfältigen Schäfchen zu kritisieren.” Glaube ich nicht. Ich denke, daß aufgeklärte Religiosität zwar nicht seine Haltung ist, daß er an ihr aber nichts zu kritisieren findet. Aus dem von N. Hagthorpe verlinkten Interview: “If there is a God, it’s going to be a whole lot bigger and a whole lot more incomprehensible than anything that any theologian of any religion has ever proposed.”

    Nun, eine Religion, der philosophische Daoismus, hat das gleiche gesagt: “Der Weg, den man zeigen kann, ist nicht der ewige Weg. Der Name, den man nennen kann, ist nicht der ewige Name.” Und viele Christen denken nach Kant ebenso.

    Wenn Atheisten diese Art von Religiosität angreifen, muß ich ihnen tatsächlich Intoleranz und Arroganz vorwerfen. Und ich vermute, Richard wäre in dem Fall auf unserer Seite.

  49. @N.Hagthorpe: u.a. Relativismus

    Danke zunächst für den Link. Er hilft zwar auch nicht weiter in der Frage, wieweit Dawkins Gegnerschaft gegen Religiosität reicht. Ist mir aber auch nicht so wichtig, ich bin ja nicht sein Pressesprecher. Ich denke nur, wenn man ihn möglicherweise mißversteht, sollte man sich vielleicht weniger polemisch über ihn äußern, als Herrmann Aichele es tat. Das sticht aus seinen Texten jedesmal raus, weil das sonst so gar nicht seine Art ist.

    Was Collins betrifft, haben Sie nicht ganz unrecht. Zwar sträuben sich mir die Haare, wenn er sagt, die Genesis würde besonders gut durch moderne kosmologische Wissenschaft bestätigt. Aber andererseits scheint er doch ein umgänglicher Mann. Und das ist vielleicht letzten Endes wichtiger.

    Ihre Bemerkungen zu Relativismus und Methodenkritik und -pluralismus habe ich nicht verstanden. Ich habe mich aber, fürchte ich, auch selbst unverständlich ausgedrückt, ein unpassendes Beispiel und einen falschen Begriff gewählt.

    Ich denke, seit Kants ‘Kritik der reinen Vernunft’ sollte klar sein, daß nichts, was wir über die Welt wissen können, auf die Existenz Gottes hinweisen kann. Ich zitiere mal wikipedia: “Im (in der menschlichen Vernunft notwendig entstehenden) Versuch, das Unbedingte zu erkennen, und die sinnliche Erkenntnis zu übersteigen, verwickelt die Vernunft sich in Widersprüche, da keine Wahrheitskriterien mehr vorhanden sind. Die metaphysischen Beweise z. B. für die Unsterblichkeit der Seele, die Unendlichkeit der Welt oder das Dasein Gottes führten zu unauflöslichen Antinomien (Widersprüchen), die Ideen der Vernunft sind nur als regulative, die Erfahrungserkenntnis leitende Begriffe von sinnvollem Gebrauch.”

    Wenn jemand an der Stelle, an der die Vernunft scheitern muß, an einen Gott glaubt, so ist das nicht zu kritisieren. Wenn aber da, wo die Vernuft sinnvoll gebraucht werden kann, in der Erfahrungserkenntnis, jemand religiös argumentiert, so ist das sehr wohl zu kritisieren. Und mehr hat Dawkins, wenn ich ihn richtig verstehe, nicht getan.

  50. Collins u seine Argumentationsrichtung @Hagthorpe

    Danke, Herr @Hagthorpe. Sie sind ein besserer Brückenbauer als ich. Hat sich ja schon mal bewährt. Meine Bedenken gegen Collins war wohl etwas zu scharf; und die amerikanische Umgebung, die Zielgruppe, muss man besser berücksichtigen. Ja, und auch die finetunig-Argumentation hat es natürlich bis in respektable Kreise gebracht, gegen die ich so leichtfüßig nicht anstänkern sollte. Nun, ich könnte mich wohl auf Drewermann berufen (ohne jetzt den Beleg dafür zu finden). Der ist kein theologisches Leichtgewicht, aber natürlich auch nicht sehr repräsentativ. Ein Hoch auf die Außenseiter…
    Wichtig wäre mir noch zu betonen, dass ich – wenn ich schon einerseits Verständnis aufbringe für Naturwissenschaftler (bis hin zu Dawkins), deren theologische Begrifflichkeit zu wünschen übrig lässt – dass ich dann andererseits die theologischen Schnitzer so scharf betone. Man muss es wirklich nicht auf die Spitze treiben.
    Ich selber habe schon so argumentiert: Was Naturwissenschaftler mit methodisch richtiger (agnostischer) Zurückhaltung als „Zufall“ bezeichnen, darf der Glaube als „Gottes Fügung“ bezeichnen. Nur, er soll nicht so tun, als ob er damit etwas weiß, wofür die Naturwissenschaftler blind sind.
    Steven Pinker hat ( was ich im Vergleich zwischen Pinker und Dawkins etwas sträflich vernachlässigte) nicht nur differenziert, sondern auch die Ebene höchst privater religiöser Erfahrungen mit der Ebene naturwiss-licher Experimente verwechselt und Collins unterstellt, der würde das ineinander fließen lassen.
    Na ja, es leben die Feindbilder…

  51. Argumentationsebenen / Dawkins @J. Bolt

    Ja, Jürgen Bolt, das mit der Mission können wir wirklich auf der Seite lassen und nicht falschen Gefühlen aufsitzen. Dass sich Glaube und Wissenschaft nicht ausschließen müssen, dafür würde ich ebenso wie Sie auch als Voraussetzung nennen, dass wir es auf der Linie Kants sehen: „Ratio und Credo betreffen zwei völlig unterschiedliche Bereiche“ – wobei ich das Wort „Bereiche“ vermeiden würde (In meinem Beispielvergleich: Botanik und Landschaftsgärtnerei geht es um denselben Bereich, aber unter verschiedenem Blickwinkel; aber das wird egal sein).
    Und mit Recht schreiben Sie: “Allerdings verlangt das vom Credo auch, sich keine Wissensaussagen anzumaßen“. Das wäre im Falle der Bestimmung des Zeitpunktes der Lebensentstehung so eine falsche Anmaßung. [Für unübertroffen halte ich die anekdotische Aussage eines Rabbiners: Menschliches Leben beginnt, wenn die Kinder aus dem aus und der Hund tot ist ;-). Ernsthaft:] Da haben sich bis zum Beginn der neuzeitlichen Grabenkämpfe die Theologen besser daran gehalten: als man von einer Erdscheibe sprach, dies ebenso von dem, was man damals zu wissen meinte, übernommen wie frühzeitig schon das Wissen von ihrer Kugelgestalt. Und vor dem Galilei-Prozess zwecks Kalenderreform 1582 sogar relativ unbekümmert eine heliozentrierte Planetentabelle.
    Zu Dawkins: Ich kenne auch diese Argumentationslinie, Dawkins sei überhaupt nicht polemisch, zumindest nicht gegenüber aufgeklärterer Theologie. Nun, es scheint bei ihm so zu sein wie mit der Bibel: Man kann wie aus ihr auch aus ihm alles herauslesen. Nur aufgrund des von Hagthorpe verlinkten Times-Interview, das ich jetzt auch noch gelesen habe – huch, gibt das viel zusammen – würde ich zwar mit keinem der beiden einverstanden sein (theologisch!), könnte aber gegen keinen polemisieren; denn es ist doch höheres Niveau als der „Gotteswahn“. Dort ist mir immer noch und immer wieder eindrücklich sein Zentralsatz, den ich jetzt wieder aus dem Internet rausfischte, weil ich das Buch derzeit nicht zur Hand habe: „Die Religion lehrt uns, damit zufrieden zu sein, dass wir die Welt nicht verstehen“. Das soll er mal in einem religionswissenschaftlichen Seminar behaupten und an einigermaßen religionsgeschichtlich nachprüfbaren Zusammenhängen nachweisen…Und eindrücklich (der Klappentext?): „Ein furiose Streitschrift wider die Religion“. Ist natürlich alles gar nicht polemisch gemeint; und überhaupt keine auf jede Religion verallgemeinernde Aussage…?! Ja, aber schön, dass er – wenn er schon die Kohlen im Ofen der Religion nicht mag – sich doch an mancher Wärme dieses Ofens (Bachs Matthäus-Passion) freut.
    In dieser Richtung ginge übrigens mein Tipp für Atheisten: Sich nicht bei ontologischen Debatten aufhalten sondern Wärme erzeugen – nicht bloß atheistische Slogans durch London ff fahren und meinen, mit der Parole „now stopp worrying and enjoy your life“ sei’s getan, sondern Suppenküchen anbieten wie die Kirchen oder Wärme signalisieren wie in der von Ihnen verlinkten Gemeinde Sei Ko Kai in San Francisco… Anders gesagt: Wenn die Religionen nur ihr kognitives Gerippe hätten, wären sie längst tot. Aber es kann sein, dass sie ohne dieses Gerippe nicht zusammenhalten könnten. Doch es ist wohl zu beachten, dass zwar Religionsdefinitionen oft über diese Gerippe formuliert werden und dabei wegen deren Verschiedenheit immer wieder Schiffbruch erleiden…

  52. Misotheismus u Schmidt-Salomon @ Mona

    Danke, Mona, für Ihre Links. Das mit dem Misotheismus war ja interessant. Aber noch interessanter dürfte sein, dass sich dafür nicht nur im Buch Hiob Wurzeln finden lassen sondern noch einige mehr, besonders in den Psalmen.
    Nun, Gott ist eben nicht nur Ausdruck von Freude. Sondern es ist gut, wenn Menschen auch ihren Hass zum Ausdruck bringen können – um nicht stumm dran zu ersticken. Da gibt es gerade von Elie Wiesel und anderen Juden unheimlich beeindruckende Begebenheiten aus den KZs. Aber das wäre ja wirklich ein eigenständiges theologisches Thema.
    Na, und ich wundere mich manchmal etwas, wie manche Leute heute meinen, ihre aufgeklärte Moral wäre ihnen einfach so in den Schoß gefallen, ohne die Geschichte(n) solcher bitteren Kämpfe zu würdigen. Alle Achtung vor Heine und Nietzsche!

    Was anderes ist mit Schmidt-Salomon. Den finde ich auch immer wieder spannend. Und an seinem Satz, den Sie zitierten, werde ich – ebenso wie an den “Light-Christen“ – noch ein bisschen weiter knabbern:
    “Der aufgeklärte Glaube verliert seine Funktion als Vermittlungsinstanz zwischen konsequentem Säkularismus und religiösem Fundamentalismus. Das ist, wie es scheint, ein unaufhaltsamer Prozess, den man nicht ignorieren sollte.
    Ich weiß, wo ich Light-Christ bin; aber das hindert mich nicht, gar nicht „light“ allen Ernst und allen Nachdruck doch auf die Gestaltung bestimmter Lebenszusammenhänge zu legen. (Und nehme es auch Collins übel, dass er seine religiöse Erfahrung hauptsächlich mit schönen Stimmungen zu verbinden scheint). Ich glaube, nachdem das (im andern Blog-Beitrag zu „Gott als Schöpfer“) wohl etwas zu „light“ herauskam, dass Theologen „Melodievorschläge“ hätten zur Lebensgestaltung – dass ich dazu mal was im Zusammenhang schreiben müsste. Ja, hierzulande geht es wohl weitgehend nicht anders als dass „light“-Melodien erklingen. Und obwohl sich die Kirchen noch am wenigsten um die ernsten (z.B. Sozial-)Situationen drücken, klingt das kaum durch bis in die Gottesdiensträume. Aber in der Richtung, da kann man auf einen Glauben kommen, der zwar dogmatisch aber sonst gar nicht „light“ ist.
    Und dazu ist einiges auch aus der Geschichte des kirchlichen Widerstands im Dritten Reich zu lernen, auf den ich ja mehrmals anspielte.
    Also, das soll mal kommen, aber nicht so leicht ;-).
    Jetzt muss ich doch wohl auch mal Schluss machen für heute.
    Beste Wünsche ringsum.

  53. Misotheismus @H.Aichele

    “Aber noch interessanter dürfte sein, dass sich dafür nicht nur im Buch Hiob Wurzeln finden lassen sondern noch einige mehr, besonders in den Psalmen.
    Nun, Gott ist eben nicht nur Ausdruck von Freude. Sondern es ist gut, wenn Menschen auch ihren Hass zum Ausdruck bringen können – um nicht stumm dran zu ersticken. Da gibt es gerade von Elie Wiesel und anderen Juden unheimlich beeindruckende Begebenheiten aus den KZs.”

    Ja, da haben Sie recht. Ich ging wohl zu sehr davon aus, dass konsequente Säkulare mit Gott nichts am Hut hätten und vergaß dabei deren religiöse Sozialisation. Man kann sich ja nur von Gott verlassen fühlen, wenn man an ihn glaubt(e). Und nur hassen was man kennt oder zu kennen glaubt.
    Es gibt sogar eine sog. Holocaust-Theologie, wie man hier sieht: http://de.wikipedia.org/wiki/Holocaust-Theologie

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