Kick it like Einstein – Klick zu Italiens Waldensern

BLOG: Hinter-Gründe

Denk-Geschichte(n) des Glaubens
Hinter-Gründe

Italien, das Land, wo die Zitronen blühn – das Land, aus dem die Spaghetti kommen und die Pizzen. Und natürlich Super-Fußballer – AC Mailand und Juventus Turin. Kick it like Einstein

Wenn die Besten in der Nationalmannschaft zusammen spielen, die Spannung ist gerade beim Titelverteidiger von 2006 garantiert. Ganz anders spannend auch: Italien, das Land der Mafia, Berlusconi und Lega Nord. Ja, und zu alledem der Papst, Blutwunder von Neapel und Turiner Grabtuch. Der Katholizismus ist dort zwar nicht mehr offiziell Staatsreligion, aber er bestimmt das Klima.

In ganz Italien? Nein!
Einige von unbeugsamen Protestanten bevölkerte Dörfer, einige Zentren in ein paar Städten hören nicht auf, am römisch-katholischen Einheitsbild zu kratzen. Sie machen, um das Plagiat-Zitat abzuschließen ;-), es nicht leicht für die römische Kirche. Es sind die Waldenser.

Ihre eigentlichen Wurzeln führen sie ja zurück auf die Bewegung der „Armen Christi“ im Anschluss an Petrus Waldes aus Lyon, vor 800 Jahren: Kritik an klerikaler Machtentfaltung – Kirche von unten. Sie hatten sich schon in vorreformatorischer Zeit weit ausgebreitet: über Nord-Italien, die Schweiz, Österreich, Böhmen, bis einerseits nach Ungarn und andererseits nach Brandenburg und an die Ostsee. Mit den Hussiten hatten sie sich verbündet, mit der Genfer Reformation, mit den Hugenotten. Und immer wieder – besonders von 1545 bis etwa 1700 –  verfolgt, blutig dezimiert, vertrieben. Ihre Spuren sollten ausradiert werden.

Letzter Rückzug im Piemont
Region der Waldenser-TälerDurch hartnäckigen Widerstand, auch Guerilla-Kämpfe und Bündnissen mit protestantischen Mächten eine letzte Rückzugsmöglichkeit in den heutigen italienischen Alpen ertrotzt: Sich festgekrallt in Piemont – einst Grenzgebiet zwischen Savoyen und Frankreich. Heute zwischen  Pinerolo und der französischen Grenze: an den Hängen über den Flüssen  Chisone und Pellice und in deren engen Nebentälern, besonders im Germanasca-Tal und Angrogna-Tal (etwa im Bereich des roten Rechtecks auf der kleinen Karte; genauere Karte über Google-Map – eingestellt auf Angrogna, etwa der geographische Mittelpunkt des kleinen Gebiets zwischen Massello, Prali, Bobbio Pellice, Pra Rostino, Inverso Pinasca). Man sieht an dieser Beschränkung auf unwirtliches Gelände außerhalb der fruchtbaren Täler noch die Ghetto-Existenz derer, die in Savoyen seit 1694 gerade noch diskriminierend geduldet waren. Endlich dort 1848 offiziell anerkannt, mit Auflagen. Die Diskriminierungen hörten deshalb nicht auf. Aber seither zogen sie auch herunter in die großen Täler, breiteten sich aus in Italien. Ihre schon seit dem Mittelalter begonnene Errichtung von Schulen wurde intensiviert, Krankenhäuser und Altenheime kamen dazu. Sie haben nun auch Gemeinden in den größeren Städten außerhalb ihres Rückzugsgebietes, in Mailand, Turin, Rom. Neue Ansiedlungen in Sizilien, selbst bis nach Südamerika: Uruguay und Argentinien. Nach eigenen Angaben sind es nur 30 000 Waldenser in Italien, vielleicht auch knapp 50 000 – jedenfalls nichts gegen die 50 Millionen Katholiken. Und doch wichtig genug.

Waldenswer-Zeichen

 

Waldenser :
lokal beschränkt – weltweit engagiert

Sie sind schon ein eigenes Völkchen
im sonstigen Einerlei, mit eigenem Selbstbewusstsein und mit einem für die kleine Zahl durchaus respektablen politischen Engagement: Zumeist positiv interessiert an Aufklärung, Demokratie und Menschenrechten – öfters Rückhalt für italienische Intellektuelle, die sich freier äußern wollten. Ganz wichtig eine hervorragende Schul-Arbeit, in der Mitte des 19. Jahrhunderts in „ihrem“ Gebiet flächendeckend begonnen, 1832 bereits wurde in der jetzigen Zentralstadt Torre Pellice ein Gymnasium gegründet, das „Collegio Valdese“.  Am auffälligsten dürfte heutzutage das Internationale Jugend- und Begegnungszentrum in Agape sein. Tullio Vinay ( 1909-1996) hat es 1947-1951 hoch über dem Germanasca-Tal mit Jugendlichen aus den verschiedensten europäischen Ländern zusammen aufgebaut. Der damals für diesen Ort gewählte Name ist Programm: aus dem neutestamentlichen Griechisch, meist als „Liebe“ übersetzt; besser würde passen: „Ort der internationalen Solidarität“. Jedes Jahr finden dort wichtige Jugendtreffen mit brisanten gesellschafts-, umwelt-, friedenspolitischen Themen statt. Siehe die Homepage von Agape.
Später, 1961, gründete Vinay das „Servizio Cristiano“, das protestantische Sozialzentrum in Riesi auf Sizilien: Jugendarbeit in der sozial und politisch hoch explosiven Region. Schließlich war er auch für die kommunistische Partei Italiens 1976-1983 in den italienischen Senat gewählt worden –  besonders für süddeutsche Förderer und Freunde doch sehr irritierend, während es  für italienische Waldenser kein sehr überraschendes Bündnis bedeutete. Sie orientieren sich heutzutage eher am linken Parteienspektrum in Italien.

Lieber sozial als unchristlich 

Nun, italienisch links zu sein bedeutet auch etwas anderes als das, was einst in Osteuropa als Einheitsdoktrin verordnet war. Mit Einheitsdoktrin haben italienische Linke genug negative Erfahrung gemacht – und eben auch die Waldenser.  So haben auch sie für die Winkelzüge  der Berlusconi-Regierung für das Kruzifix an öffentlichen Stätten kein Verständnis: Sie haben es sowieso längst schon  abgelehnt, denn nach ihrer Erfahrung können sie es nur als katholisches Herrschaftszeichen verstehen. Das tut weh, dass es so weit kommen musste. Aber miit dieser Geschichte auf dem Rücken… 
Ein anderes Zeichen aber: 2003 hingen in vielen größeren Städten die pace-Fahnen. – hier ein (freies) Bild wenigstens aus Mailand gefunden:

Pace-Fahnen in Mailand

Nun, in den Gebieten, in denen verstärkt Waldenser wohnen, sah man genau diese Fahnen sehr lange noch an Balkonen und Wänden. Ein deutliches Signal: Wir sind nicht Teil einer stummen Masse. Wir Waldenser nicht.
Von  deutschen Protestanten wird oft die Bekenntnis-Treue der Waldenser gerühmt und – verklärt. Den Waldensern aber ist wichtig: dass diese Treue sich bewährt im gesellschaftlichen, besonders bildungs- und sozialpolitischen Engagement. Sich um die Probleme des Lebens drücken – das hat bei ihnen nie gegolten. Das gilt auch heute bei ihnen nicht.
Doch auch sie sind Italien.

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Veröffentlicht von

Hermann Aichele Jahrgang 1945. Studium evang. Theologie in Tübingen, Göttingen und Marburg (1964-70), Pfarrer in Württemberg, jetzt im Ruhestand. Hinter die Kulissen der Religion allgemein und besonders des in den christlichen Kirchen verkündeten Glaubens zu sehen, das war bereits schon in der Zeit vor dem Studium mein Interesse: Ich möchte klären, was gemeint ist mit den Vorstellungen des Glaubens, deren Grundmaterialien vor Jahrtausenden geformt wurden - mit deren Über-Setzung für uns Heutige man es sich keinesfalls zu leicht machen darf und denen gegenüber auch Menschen von heute nicht zu leicht fertig sein sollten.

3 Kommentare

  1. Wunderbarer Beitrag!

    Lieber Hermann,

    die Geschichte der Waldenser habe ich immer sehr spannend gefunden, weil sie ja manches “reformatorische” um Jahrhunderte vorweg genommen haben!

    Ich hätte zwei Fragen an den Experten:
    1. Haben sich auch die Waldenser in verschiedene Flügel gespalten?

    2. Weiss man spezifisches über die Demografie der Waldenser? Waren bzw. sind sie kinderreich, befürworten sie Familienleben?

  2. Danke, Michael und halbe Antwortversuche

    Demographie und Richtungsunterschiede bei Waldensern? Da musste ich gleich versuchen, wirkliche “Experten” aufzutreiben.
    Direkt dazu ist mir aber nichts gegenwärtig.
    Man könnte dabei die Vermutung überlegen (bestätigen oder widerlegen), dass die Literatur über die italienischen Waldenser, die ins Deutsche übersetzt ist, vielleicht solche Fragen ausklammert, die die notwendige freundschaftliche Unterstützung irritieren könnte. Das schien beim Engagement Tullio Vinays (siehe fokgendes Zitat) ein bisschen so – aber ein durchaus von manchen gewünschtes Schweigen durchbrach er ja selbst.
    In diesem Zusammenhang las ich jetzt:
    Der Marxismus hat in der Waldenserkirche vor allem die junge Intelligencija beeinflußt, die ihn dann auch innerhalb der Kirche in die Diskussion brachte. Gegen diese Tendenz richtete sich 1976 aus Anlaß der Kandidatur Tullio Vinays auf die Liste des PCI (Partito Comunista Italiano ) als Unabhängiger (Bouchard 1990: 134) die TEV , die Testimonianza Evangelica Valdese , eine “große ‘pietistische’ Minderheit” (Bouchard 1990: 125), die das Eindringen politischer – vor allem marxistischer – Ideen in die Kirche verhindern wollte. Die TEV blieb jedoch eine Minderheit und wurde 1991 aufgelöst, während der Einfluß Agapes bis heute, 1993, ungebrochen fortbesteht.
    Diese Ausführungen http://lucy.ukc.ac.uk/lien/Sandra/wald2.html sind überhaupt spannend. Und mir bis heute neu gewesen. Du siehst, Deine Nachfrage provozierte zu weiterem Bohren meinerseits. Ich wüsste natürlich Leute hier in Deutschland, die ich direkt befragen könnte. Wie heftig ist Dein Interesse?

    Abgesehen von solchen Einzelbewegungen wie die TEV scheint es aber keine Diskussionen zu geben, die zu Flügeln/Richtungen/Spaltungen geführt hätten, die über einen längeren Zeitraum greifbar gewesen wären.
    Na ja, aus der Geschichte ist mir erinnerlich, dass etwa in der Zeit des Widerstands gegen Faschismus, der schon auch von der Mehrheit der Waldenser getragen wurde, es doch durchaus eine Bandbreite von Einzelentscheidungen gab. Weiter: Der etwas gemäßigte Pietismus besonders des 19. Jahrhunderts wurde in dieser Zeit, Mitte des 20. Jhdts, immer mehr durch barthianische Theologen zu einer Frömmigkeit mit weltverantwortlicher Ethik gewandelt. Das ging sicher auch nicht überall gleichzeitig. (Daraus dann eben die marxistisch eingefärbte Diskussionslage, Kontakte zu Prager Theologen und Dissidenten).
    Oder aus der frühen Geschichte: Es gab dezidierte Pazifisten UND Leute, die zum bewaffneten Widerstand entschlossen und fähig waren. Köstliche Äußerung dabei – auswendig zitiert, vermutlich von Josua Javanel: An die großen, gefährlichen Geschütze möge man erfahrene Männer setzen – damit sie damit nicht blindwütig und unnötig Feinde töten (sondern nur angreifende Soldaten) und damit Gott Unehre machen.
    Also Pazifismus UND Guerilla. Es gab sicher sehr verschiedene Überzeugungen.
    Zurück zu heute: Eine solche Mini-Minderheit kann sich wohl keine sichtbaren Richtungskämpfe leisten. Außerdem kennen im Grunde alle Wortführer sich gegenseitig persönlich. Und schließlich: Die Waldenser sind seit den 70er Jahren des letzten jahrhunderts mit Methodisten, Baptisten (und anderen versprengten Protestanten) zusammengeschlossen. Da gibt es sicher unterschiedliche Akzente, aber keine Flügel.
    Zur Demographie fand ich schlicht nichts. mein persönlicher Eindruck: So kinderlieb und unbekümmert wie viele andere Italiener in vergleichbaren sozialen Zusammenhängen. Aber vielleicht findet man auf dem genannten Link doch noch etwas dazu – ich bis jetzt nicht.
    Grüßle
    HERMANN

  3. @ Hermann

    Vielen Dank für die Recherche und frischen Funde! Und wenn zu Waldenser-Demografie je mal etwas auftauchen sollte, weißt Du gleich jemanden, der sich darauf freut! 🙂

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