Gott – und er bewegt uns doch…

BLOG: Hinter-Gründe

Denk-Geschichte(n) des Glaubens
Hinter-Gründe

Viele, die von Gott reden, kennen die biblischen Begriffe und Bilder vom "Vater", vom "Schöpfer" und "Herrn" über die Welt und die Menschen. Und dazu die ihm Eigenschaften zuschreibenden Begriffe, deren Kombination dem Verstand ziemlich viel zumutet: "Allmacht", "Allwissenheit", "Allgüte". Die Gläubigen nehmen diese Begriffe oft sehr schnell als Wirklichkeitsbeschreibungen – nun ja, unter dem Vorbehalt, dass hier eben in nur menschlicher Sprache etwas über Gott gesagt werde; aber insofern eben doch angemessen. Steht ja schließlich so ähnlich auch im Glaubensbekenntnis. Ja, und die andern, die Atheisten, werden nicht müde, die mit diesen Begriffen scheinbar oder anscheinend beschriebenen Behauptungen zu widerlegen. Manchmal erscheint es dabei mir, als solle hier in einem säkularisierten Harmagedon ein Kampf zwischen Licht und Finsternis ausgefochten werden. Finsterlinge sind dabei natürlich immer die andern 😉 . Wenn es sonst in der Welt blitzt und kracht, möchte man wenigstens mit der Tastatur sich als Held profilieren. Blinder Eifer schadet allerdings der Klärung.

Ich möchte nun hier besonders die Verteidiger des Glaubens ansprechen. Auch sie müssten sich dessen konsequenter bewusst werden: Jeder Gottesbegriff ist etwas, mit dem Menschen nach Gott greifen, geformt durch unser Vorstellungsvermögen. Und wenn es in der bekannten  Schöpfungserzählung heißt, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde schuf – so ist auch das eine bildhafte Sprache, geformt nach unserem Bilde. Sprachbilder sind Symbole, repräsentieren etwas von Wirklichkeit, können aber diese Wirklichkeit selbst nie wirklich abdecken. 

Gottessymbol
– Gottesname und Gottessymbol –
Karlskirche, Karlsplatz Wien
via Wikimedia Commons

 

Nach unserem Bilde
Jede Gottesvorstellung wird entworfen nach unserem Bild. Und leider begegnet auch mir dieses Gottesbild zu oft nach der Art eines Betreibers einer Spielzeugeisenbahn, der seine aufgebaute Landschaft von oben betrachtet, hin und wieder eingreift; der sich freut, wenn die Weichen richtig gestellt sind, aber auch mal die eine oder andere Entgleisung riskiert… In dieser Art eines Superakteurs, dessen geheimnisvollen Willen dann die Priester (und gewisse Rundfunk-Evangelisten) deuten könnten, gibt es Gott nicht. Die, die einen solchen Gott als überholte Märchenfigur abtun, haben einfach Recht.
Auf der anderen Seite wollen manche in den letzten, tiefsten Geheimnissen der Naturgesetze Gottes Spuren entdecken. Da gibt’s sicher erkenntnistheoretisch Interessantes, aber was man davon dann „Gott“ nennen will oder nicht – das verdunstet zwischen den Begriffen, erweist sich als belanglos fürs konkrete Leben. Und denen, die da Begriffs-Verwirrung unterstellen oder befürchten, muss auch ich oft Recht geben.

Im einen Fall verdunstet Gott aus unserer Wirklichkeit, im andern Fall wird er als Akteur unserer Wirklichkeit auf eine Weise behauptet, die manchmal mehr als naiv anmutet, zuweilen menschlich und moralisch fatale Folgen hat und in einigen schlimmen Fällen der Naturwissenschaft direkt in die Suppe zu spucken versucht, besonders in Bezug auf Kosmologie oder Evolution. Und es ist mehr als verständlich, dass manchmal (aber u.U. nicht sachgerechter) entsprechend zurückgegiftet wird. Wobei wir wieder beim blinden Eifer wären 😉

Gott und Wirklichkeit
Nun, auch ich frage nach dem Zusammenhang von „Wirklichkeit“ und „Gott“.  Dabei gehe ich von dem aus, was eigentlich längst klar sein könnte: dass die Gottesvorstellungen in einer Art kultureller Evolution entstanden sind. Die anthropologischen Wurzeln dafür sind zu suchen in der Begegnung mit gefährlichen Tieren (die Augen!), mächtigen Ahnen (die Moral!), verschiedenen Weggenossen („theory of mind“) – im Bemühen, Lebenszusammenhänge von der Geburt bis zum Tod durchschaubar, begreifbar, gestaltbar zu machen. Das habe andere – Religionswissenschaftler – bereits genügend ausführlich dargestellt.
Das heißt aber, dass diese Vorstellungen nicht belanglos sind und weder als private Gedankenspiele entstanden sind noch als von mächtigen Priestern heimtückisch aufgezwungene Ideologien. Diese Gefahren gibt es durchaus auch: ideologische Zementierung, Machtkämpfe, Gesinnungsterror und Ohnmachtserfahrungen. Und jedenfallsi ist dabei Vorsicht – kluge Kanalisierung – geboten. So wie mit anderen kulturellen und zivilisatorischen Verhaltensweisen des Menschen auch – vom Gebrauch des Feuers bis hin zur Marktwirtschaft.
Aber vor den Irrwegen sollte man sehen, aufgrund welcher Leistung diese Vorstellungen entstanden, sich als Universalie verbreiteten und allem Anschein nach – auch dazu äußern sich andere kompetenter – selbst durch starke erkenntnistheoretische Einwände sich nicht so einfach auflösen lassen.  
Denn: Für viele Menschen sind sie deshalb nicht belanglos, weil sie sehr viel mit Verarbeitung von Wirklichkeit zu tun haben. Beispielsweise als Corporate-Identity-Symbol für eine Gruppe, als Leitlinie für bestimmte Verhaltensweisen, die sich als bewährt herauskristallisierten: Beide Aspekte kann man z.B. in den Zehn Geboten sehen. Es sind durchaus menschenartige Reflexe und Reflektionen zur Handhabung von Lebenssituationen; es sind den vielfältigen Widerfahrnissen des Lebens entsprechende Lebensbewältigungsstrategien.  Und wenn das eben personifizierend geschieht – Gottesvorstellungen fast durchweg personhaft (siehe Nachbemerkung) – dann entspricht dies sehr wohl anthropologisch plausiblen Denkstrukturen (wie etwa bei Pascal Boyer eindrucksvoll nachzulesen ist). Geschieht doch in den Träumen ebenso; und wer meint, die Gestalten der Träume würden keine Wirklichkeit repräsentieren, der hat wohl nicht viel vom Menschen verstanden.
Die Gottesvorstellungen sind Sprachbilder – streng erkenntnistheoretisch nicht um ihrer selbst willen und nicht als direkte Wirklichkeitsbeschreibung zu verstehen. Aber als Tools zur Wirklichkeitsverarbeitung weitgehend unausweichlich. Ja, wäre es denn wünschenswert, sich von dieser bildhaften Form der Wirklichkeitsverarbeitung zu lösen, die sich als eine dem Menschen angemessene Form behauptet hat? Sie macht doch immerhin sprachlich vernehmbar, wie Menschen  mit dem Guten und mit dem Widrigen, das sie im Leben erfahren, zurechtzukommen gedenken.

Die Wandlung der Sprachbilder
Dem kundigen Leser müsste klar sein, dass auch in der Bibel die Gottesvorstellungen sich gewaltig wandeln. Das lernten wir als Schüler schon vor einem halben Jahrhundert – etwa im Vergleich zwischen der älteren Schöpfungserzählung (Gen 2) und dem jüngeren, priesterlichen Schöpfungs-Gedicht (Gen 1). Und wir lernten auch, dass der, der am Ende der Bibel geschildert wird als „Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis“ (Jakobus 1,17) – dass von dem über 1000 Jahre vorher auch mal (in 2.Mose 4,24) in einer merkwürdig dunklen ätiologischen Sage erzählt werden kann, er habe Mose nachts in der Herberge überfallen wollen, ihn zu töten. Bzw. die bekanntere nächtliche Geschichte vom Ringen Jakobs am Jabbok (1. Mose 32). Nein, das lässt sich nicht alles auf einen Nenner bringen. So wenig wie die rachsüchtigen Stellen und die andern, die eine Leitlinie von Gerechtigkeit und Liebe aufweisen. Das spiegelt verschiedene Lebenszusammenhänge wider; und es sind Zeugnisse einer innerbiblischen Diskussion, die weiter geht und immer wieder neu weitergehen sollte. Man muss auch über das mit den Vorstellungen verknüpfte Wirklichkeitsverständnis hinaus denken: Oder, um wieder mal die Erkenntnis eines meiner besten Professoren, Ernst Fuchs, anzubringen: In den Vorstellungen muss man nach der Lebens-Einstellung fragen.
Ist nicht schlecht, wenn dabei die biblischen Begriffe „Gerechtigkeit“ und „Liebe“ zu Leitbildern werden – dass durch diese Bilder Gott Gestalt gewinnt.  
Man könnte auch sagen:

Sage mir, ob diese Leitbilder dich bewegen und du darauf aus bist, und ich sage dir, ob dein Glaube den rechten Gott meint.

PS:
Als Nachträge bringe ich einige Abschnitte, Hinweise, die ich oben im Text aus Gründer der Lesbarkeit ausgliedern musste.

  • Neu begegnet ist mir heute ein Artikel im neuesten Publik Forum-Ausgabe Nr. 12/2011: „Abschied vom personalen Gott“, über den US-anglikanischen Bischof John S.Spong  
  • Zur personalen Vorstellung von Gott, siehe auch Johannes Huber (Mediziner und kath. Theologe) in „Physik und Religionen“, Schlussabschnitte: „Hinzufügen könnte man, dass [in altkirchlicher Dogmatik] mit „Person“ nicht die volkstümliche Auffassung verbunden ist, sondern beinahe das Gegenteil. „Persona“ war die Maske in der griechischen Tragödie“, sc. durch die dann auch a-personale Inhalte gesprochen werden. 
  • Vgl auch den Artikel von Rabbi Geoffrey A. Mitelman:„Why Judaism Embraces Science.”
    Besonders solche Sätze wie:  "God" isn’t really a noun at all — it’s a verb” …
    “God responds [Ex 3,14] that God’s name is "Ehyeh asher ehyeh," which is often translated as "I am what I am." But it could also be translated as, "I am what I will be." So God is whatever God will be — we simply have no idea. Indeed, for my own theology, I believe that God is found in the "becoming," transforming "what will be" into "what is."
  • Über den Begriff “Glauben” müsste ich mal gesondert bloggen. Es gibt da gewaltige Bedeutungsverschiebungen. Theologisch bedeutet der Begriff „Glaube“ jedenfalls nicht die unbeweisbare Vermutung über ein wie auch immer geartetes Über-Wesen, dessen Existenz erst mal plausibel gemacht werden müsste. Macht man mit dem Glauben an die Gerechtigkeit, an die Zukunft, an die Macht der Liebe…  ja auch nicht. Sondern: "Ich setze mein Vertrauen auf…", "halte die Treue…", "engagiere mich für…" .  Der Glaube an Gott also: die personifizierende Benennung einer Lebensperspektive, eines Lebensengagements.
  • Ich sehe wohl, dass im Nachbarblog „Wirklichkeit“ vor einiger Zeit, 2007, Christian Hoppe dazu grundlegende Dinge schrieb, besonders in diesen Artikeln  Spannend ist dabei ja, dass der Begriff „Wirklichkeit“ aus theologischen Gründen kreiert wurde, von Meister Eckhart in Übertagung eines Ausdrucks (actualitas) bei Thomas von Aquin. Der Begriff meint einiges mehr als messbare Realität. Interessant, die Begriffsprägung, die für die europäische Geistesgeschichte durchaus wichtig geworden ist. Aber darin verschwindet mir Gott doch zu sehr in abstrakter Richtigkeit.
    Hier verwende ich den Begriff "Wirklichkeit" im heute üblich gewordenen Sinn. 
  • Ähnliches müsste ich zu der Tradition der „Gottesbeweise“ sagen – derer vor Kant, die danach sind schlicht nicht mehr ernst zu nehmen: Sie waren trotz ihrer letztendlichen Zirkelschlüsse wichtige Katalysatoren für die europäische Geistesgeschichte. Und sie versuchten auf ihre Weise festzuhalten, dass die begrifflichen Aussagen zu Gott keine Glaubens-Sache ist sondern zumindest kompatibel sein müssen zu „weltlichen“ philosophischen Aussagen. Aber auch damit verschwand Gott in abstrakten Richtigkeiten – belanglos fürs konkrete Leben. 
  • Inzwischen zwitschere ich auch bei "TWITTER" :
            http://twitter.com/HumanoTheol

           "Follower" sind freundlich eingeladen   
    Smile

 

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Veröffentlicht von

Hermann Aichele Jahrgang 1945. Studium evang. Theologie in Tübingen, Göttingen und Marburg (1964-70), Pfarrer in Württemberg, jetzt im Ruhestand. Hinter die Kulissen der Religion allgemein und besonders des in den christlichen Kirchen verkündeten Glaubens zu sehen, das war bereits schon in der Zeit vor dem Studium mein Interesse: Ich möchte klären, was gemeint ist mit den Vorstellungen des Glaubens, deren Grundmaterialien vor Jahrtausenden geformt wurden - mit deren Über-Setzung für uns Heutige man es sich keinesfalls zu leicht machen darf und denen gegenüber auch Menschen von heute nicht zu leicht fertig sein sollten.

33 Kommentare

  1. Gottesbild

    Auch wenn sich dieser Text vorwiegend an die Verteidiger des Glaubens richtet, hat er mich als ausgewiesenen Agnostiker doch interessiert. Weil Sie ihn bei den Scilogs, also in einer eher naturwissenschaftlichen Umgebung veröffentlicht haben, denke ich, werden Sie sicher nicht böse sein, wenn ich einen Kommentar schreibe, auch wenn ich nicht zur angesprochenen Gruppe gehöre.

    Nach dem ersten Durchlesen habe ich mich etwas verwirrt gefragt, worum es eigentlich geht. Nun gut, das Gottesbild ist nicht konstant, aber das ist eigentlich nicht neu. Ich denke, den meisten Christen ist aufgefallen, dass das archaisch-persönliche Gottesbild von Gen 2 unendlich weit entfernt ist von der Gottesvorstellung in Vorrede des Johannesevangeliums (Im Anfang war der Logos …). Sie verwerfen viele Gottesbilder, aber eigentlich hätte ich erwartet, dass Sie ein aktuelles Gottesbild aufzeigen. Das habe ich aber nicht gefunden. Deshalb möchte ich gerne fragen: Lässt sich die Aussage des Blogs, das Fazit, kurz zusammenfassen? Dann wäre ich dankbar dafür.

    Etwas verwirrend fand ich die Schlussaussage:
    “Sage mir, ob diese Leitbilder dich bewegen und du darauf aus bist, und ich sage dir, ob dein Glaube den rechten Gott meint.”

    Die Aussage setzt voraus, dass es erstens ein einheitliches Leitbild von Gerechtigkeit und Liebe in der Bibel gibt (was ich bezweifle) und dass Sie den rechten Gott kennen, denn sonst könnten Sie über den Glauben Anderer nicht urteilen.

  2. Auch eine Frage!

    Lieber Hermann,

    den profunden Anfragen von Thomas möchte ich gerne eine eigene anschließen, die mir beim Lesen Deines anregenden Blogbeitrages gekommen ist – sozusagen eine Dialog-Frage von einem Religionswissenschaftler an einen Theologen. Diese wäre:

    Als Wissenschaftler nehmen wir ja an, dass wissenschaftlicher Erkenntnisfortschitt wesentlich in der beständigen Überprüfung, Überwindung und (verbesserten) Neuformulierung von Hypothesen und Theorien besteht. Beschreibt der Wandel (die Entwicklung?) von Gottesbildern aus theologischer Sicht einen religiösen Erkenntnisfortschritt?

  3. Jeder Atheist, der versucht Gott zu widerlegen, ist ein Narr. Die meiste Kritiker beruhen sich auf die schlechte Erkenntnistheorie der Gläubigen. Das moderne falsch angewandte Relativieren nach dem Motto: “Es ist doch Platz für alle da”, führt zu unüberbrückbaren Konflikten.

  4. Noch’n paar Ecken @Thomas G ff

    Ja, danke der ersten Nachfragen, des Nachhakens. Gestern Abend alles gesehen, aber nicht so schnell antworten wollen. Und heute fast den ganzen Tag unterwegs. Also jetzt doch schnell…

    Ich versuche zuerst mal so etwas wie eine Kurz-Fassung:
    Alle Gottesbegriffe sind Bilder und keine Wirklichkeitsbeschreibungen. Und das sollten besonders die „Gläubigen“ sich klar machen – dieser Punkt war besonders an sie gerichtet.
    Dass es Bilder sind, sieht man an ihrer Wandlungsfähigkeit – die, wie wir jetzt zweifach festgestellt haben, wirklich nichts Neues ist. Ja, und weil das mitzuteilein ein theologisch relativ sicheres Gelände, habe ich mich da wohl etwas unverhältnismäßig ausführlich aufgehalten.
    Aber es hat sich noch nicht herumgesprochen. Und deshalb werden die Bilder zu oft doch als Definitionen festgezurrt. Das hat im einen Extremfall (überirdisches persönliches Wesen mit einer undurchschaubaren , bzw nur für Priester ff durchschaubaren, Psyche) auch fatale menschliche Folgen; und es löst sich andererseits (in gewissen philosophischen Entwürfen) in Folgenlosigkeit auf.
    Ich möchte eigentlich nur darauf hinweisen, wie Gottesbilder selbst keine (jenseitige) Wirklichkeit beschreiben, aber zumindest menschliche Wirklichkeit bearbeiten.
    Sie sind evolutionär entstanden (und da möchte, könnte ich gerade von Ihnen, Thomas Grüter, noch manches lernen – „noch was profitieren“ 😉 Man kann sie nicht so einfach wegargumentieren, sondern sollte sehen, mit welcher Form von Wirklichkeitsbearbeitung sie verknüpft sind. Und um die geht’s mir eigentlich – egal, wie das Gottesbild im Hintergrund gepinselt ist (also egal, ob personal oder sonst wie – Hauptsache: nicht als Strafgericht, Beißzange, Prokrustesbett……)
    Gerechtigkeit und Liebe wäre nicht schlecht. Natürlich sind das nur Kurzformeln, über die es auch ungerechte und lieblose Streitereien gibt. Ähnliches Problem wie mit „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ – fragte ein kluger Mensch mal: und wie lassen sich die Schlagworte in Verben übersetzen?
    Auch in der Bibel gibt’s da natürlich unheimlich Diverses, Gegenläufiges dazu. Und die Diskussion muss weiter gehen!
    Ich nahm diese beiden Worte a) in indrekter Erinnerung an das, was ich aus HvHentigs Büchlein lernte (siehe das PS). Und b) um die beiden biblischen Testamente zusammenzuspannen und nicht gegeneinander auszuspielen. Aber man hat das auch schon mit diesen Begriffen getan.
    Das mit dem „rechten Gott“ konnte/kann tatsächlich einen falschen Zungenschlag bekommen. Ich dachte dabei an Luther: Der Glaube macht Gott und Abgott. Vielleicht hätte ich besser den auch mal konzipierten Satz stehen gelassen: Sage mir, wie dein Gott ist, und ich sage dir, worauf du aus bist. Ja, den beanstandenden Satz würde ich vielleicht besser so schreiben – nächstes Mal wird alles besser:
    Sage mir, ob diese Leitbilder dich bewegen und du darauf aus bist. Und ich sage dir, ob wir uns in demselben Gott verbünden können. Es kommt mir nicht auf Zählung von göttlichen Entitäten an – das ist eines der kindischsten Argumente, das mir in der Atheismus-Debatte begegnet ist. Sondern auf die Form der Wirklichkeitsbearbeitung.

    Ja, @Michael Blume hat Recht: „profunde Anfrage“. Und auch seine ist wichtig: Der Wandel von Gottesbildern – dieses Argument scheint sich wirklich als Haupteindruck des gesamten Blogbeitrags festzusetzen – ist sicher nicht ein religiöser Erkenntnisfortschritt, der womöglich dazuhin noch messbar sein könnte. Nicht in Richtung T. de Chardin o.ä.
    Ja, und auch aufgeklärteste Gottesbilder haben sich zuweilen mit moralisch-politischen fatalen Entwicklungen verbündet. Da sind mir u.U. die lieber, die mit einem ganz personalen Gottesbild und unter Berufung etwa auf den schönen Satz aus dem Anfang der Mosegeschichte („Sie fürchteten Gott und taten deshalb nicht, was der König befahl“) gewissen Gegenpersonen (Nazis ff) Widerstand leisteten.
    Ja, und wenn ich damit gerade nicht einen Fortschritt religiöser Gotteserkenntnis festmachen wollte – so gibt es natürlich doch (hoffentlich) Fortschritte in der Begrifflichkeit zu Gott. „Er fährt auf Wolkenwagen“ wird niemand mehr wörtlich nehmen. Und die Schwaben werden hoffentlich nicht zum Lachen in den Keller gehen, weil sie meinen, da könne sie Gott weniger sehen. Etwas aufgeklärter werden die meisten denken. Dem wollte ich noch etwas Nachschub zukommen lassen. Aber, nun ja, es ist vielleicht so wie bei den modernen Kommunikationsmitteln: Sie sind ein Fortsdchritt – unbestreitbar. Und doch stimmt auch der ironische Satz dagegen: Je besser die Kommunikationsmittel, umso schlechter (man könnte dafür alle möglichen Adjektive einsetzen: unmenschlicher… ) die Kommunikation.

    So viel – und doch wieder zu viel ? – für heute.

    Ach ja, das Argument von @A.Maier über die “Atheisten”. Für so närrisch würde ich es nicht halten. Es kommt vielleicht auch hier auf die genannten Leitlinien an. Ja, reine Erkenntnistheorie verfängt nicht; aber das ist noch kein Argument gegen Erkenntnistheorie. Ich würde sagen: Evtl ist es ein Versuch am untauglichen Objekt. Und da müsste man hauptsächlich den Begriff der “Existenz” bei Gott hinterfragen, den alle – Theisten wie Atheisten – oft zu ungefragt voraussetzen. Ich halte ihn für ziemlich ungeeignet. Aber das wäre ein eigenes Thema.

  5. Sehr überspitzte Anfragen

    Lieber Herr Aichele, ich lese ja ihre Posts mit viel Freude und stimme den meisten ihrer Aussagen auch gerne zu (insbesondere zur Erkentnissfähigkeit und dem Gehalt der Gottesbilder. Trotzdem sehe ich nie gute Gründe, warum Sie in ihren Bestimmungen so weit gehen und will deswegen, zugegeben sehr, überspitzt nachfragen.

    Denn, gerade wenn man überspitzt, ergibt sich aus ihrem Post, dass Gott genau in dem Maße wirklich ist, wie Traumbilder wirklich sind.

    Wird dann ihre Vorstellung dann selbst nicht zu einem in höchstem Maße abstraktem Konstrukt, das weder die Frage nach dem Grund meiner (und der anderen!) selbst, noch nach dem Grund der Welt beantworten und auch den Gläubigen nicht über “den Tod hinaus weitertragen” (um ihr einstiges Zitat zu benutzen) kann und deswegen für die meisten Gläubigen genauso folgen- und belanglos ist, wie das wildeste theoretische Konstrukt?

  6. “Sage mir, ob diese Leitbilder dich bewegen und du darauf aus bist, und ich sage dir, ob dein Glaube den rechten Gott meint.”

    “Sage mir, ob diese Leitbilder dich bewegen und du darauf aus bist. Und ich sage dir, ob wir uns in demselben Gott verbünden können.”

    Zustimmung -der zweite Satz ist besser. Denn niemand, wirklich niemand kann über “Gott” eine Aussage machen. Es ist eine intime Beziehung zwischen dem _Einzelnen_und _seinem_ Gott. Und das ist gut so! Freilich, das Mitteilungsbedürfnis läßt uns über “Gott” reden -und dagegen ist nichts einzuwenden. Nur, bei aller Liebe, wenn jemand spricht: “ihr habt gehört…ich aber sage euch…” -dann wird es schief, denn ein solcher Mensch entmündigt seine Mitmenschen. Vielleicht, das sei zur Ehrenrettung gesagt, war es in biblischen Zeiten nicht anders möglich, ein Bewußtseinswandel einzuläuten. Heute mutet es seltsam an, wenn Menschen andere Menschen belehren wollen. Als ob es denn möglich wäre, über das Leben alles zu wissen. (vgl.Udo Jürgens: Der werfe den ersten Stein)

  7. Nachtrag

    Versteht das Irgendwer? Auch ein Märchenonkel mit wallenden weißem Bart hat seine Berechtigung. Mein Gott -wem’s hilft…Nur: er sollte es doch für sich unterlassen, _seinen_ Gott als _den_ Gott anpreisen zu wollen.

  8. Nachtrag 2

    Es begab sich zu einer Zeit, da hatte sich “Gott” mir als Kuh vorgestellt. Als ich darüber nachdachte wurde mir schmerzlich bewußt, daß ich ihn anders nicht verstehen konnte. Da bin ich zu dem Schluß gekommen, daß _ich_ die Kuh bin…

  9. @Dietmar Hilsebein: Ich aber sage Euch…

    Sie schrieben: Nur, bei aller Liebe, wenn jemand spricht: “ihr habt gehört…ich aber sage euch…” -dann wird es schief, denn ein solcher Mensch entmündigt seine Mitmenschen.

    Nur ein kleiner Hinweis spezifisch dazu: Bei dieser Wendung, die jüdische Gelehrte und z.B. auch Jesus verwandten, geht es gerade nicht darum, andere mit dem Hinweis auf Gott zu “entmündigen”, sondern im Gegenteil: Eine eigenständige Interpretation der Tradition zu vertreten, die dann zu prüfen ist. So stehen in der jüdischen Tradition z.B. des Talmud bewusst häufiger mehrere Traditionen einander gegenüber, da eben kein Einzelner noch so berühmter Rabbi das Recht hat, alle Fragen abschließend zu beantworten. Übrigens auch Gott nicht, wie eine berühmte und weise-humorvolle Midrash berichtet:

    Unsere Weisen lehrten: An diesem Tag brachte Rabbi Eliezer jedes denkbare Argument vor, aber sie akzeptierten es nicht. Er sagte zu ihnen: Wenn die Halachah nach mir geht, so soll es dieser Johannesbrotbaum beweisen. Da rückte der Johanisbrotbaum hundert Ellen von seinem Orte fort; manche sagen: vierhundert Ellen. Sie aber erwiderten: Man bringt keinen Beweis von einem Johannisbrotbaum. Hierauf sprach er: wenn die Halachah nach mir geht, so mag dies dieser Wasserarm beweisen! Da trat der Wasserarm zurück. Sie aber erwiderten: Man bringt keinen Beweis von einem Wasserarme. Hierauf sprach er: Wenn die Halachah nach mir geht, so mögen dies die wände des Lehrhauses beweisen. Da neigten sich die wände des Lehrhauses (und drohten) einzustürzen. Da schrie sie R. Jehosua an und sprach zu ihnen: Wenn die Gelehrten miteinander diskutieren, was geht dies euch an. Sie stürzten hierauf nicht ein, wgen der Ehre R. Jehoschuas, und richteten sich auch nicht auf, wegen der Ehre R. Eliezers; sie stehen jetzt noch geneigt. Hierauf sprach er: Wenn die Halachah nach mir geht, so soll es vom Himmel bewiesen werden. Woraufhin eine Stimme vom Himmel erschallte: Warum diskutiert ihr mit Rabbi Eliezer. Die Halachah geht stets nach ihm. Da stand R. Joshua auf und sprach: Sie ist nicht im Himmel. Was heißt: sie ist nicht im Himmel? R. Jirmeja erwiderte: Die Torah ist bereits vom Berg Sinai her verliehen worden. Wir achten nicht auf eine Stimme vom Himmel, denn bereits hast du am Berge Sinai in die Torah geschrieben: nach der Mehrheit zu entscheiden. R. Nathan traf Elijahu und fragte ihn, was der Heilige, gepriesen sei er, in dieser Stunde tat. Dieser erwiderte: Er schmunzelte und sprach: Meine Kinder haben mich besiegt. Meine Kinder haben mich besiegt. (B.M. 59b)

    Hier eine lesenswerte Quelle dazu:
    http://www.berlin-judentum.de/…iner/assabi-1.htm

  10. Nachtrag 3

    Und so vll. der Mann aus Nazareth: Gott ist nicht der Gott des Zornes, sondern der Liebe, Vergebung…Und dann vermeinte er zu erkennen…

  11. Der rechte Gott

    Thomas Grüter – Ihre 1. Frage kann ich nachvollziehen – auch zur Schlussaussage.

    Anton Maier – Je mehr man sich mit der Geschichte unserer frühen Völker befasst, um so mehr lehnt man „Götter“ und einen Gott nicht ab.

    Hermann Aichele – Der Titel – eine Erinnerung an Galileo… Und Gottes Diener verurteilten ihn. Sie organisierten Kriege, Hexenprozesse… alles im Namen des rechten Gottes?

    „Alle Gottesbegriffe sind Bilder und keine Wirklichkeitsbeschreibungen.“ Wie wurden die vielen Götter unserer Vorfahren zu einem verbunden? Einer hat gesagt, dass er der rechte Gott wäre! Und er hat das durchgesetzt. 1 Mo 18: „Gott leitet das Volk durch seine Propheten“. Da bleibt für evolutionäre Gedanken zur Religion kein Platz.
    Wir sprechen vom lebendigen Gott, 1 Mo 1,26: „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen…“ Er war selbst vor Ort, bestimmte Propheten, die seine Befehle/Anordnungen umzusetzen hatten.

    Leitbilder: Gott aß mit Sara und Abraham, versprach ihnen noch ein Kind. Gott wies Moses an, um den Berg einen Sicherheitsbereich anzulegen, damit kein Mensch zu schaden kommt – er kam mit immer lauter werdendem Posaunenschall, eine Wolke bedeckte den Berg, weil der Herr im Feuer herabgekommen war. Das Volk hatte logischerweise Angst, es kannte so etwas nicht – das wäre heute anders, allerdings landet heute so kaum ein Fluggerät mit Feuer und Rauch, starten ja.

    Heute haben die Menschen auch einen Gott – nur jede Religion nennt ihn anders. Deswegen rief ein Papst zum Kreuzzug auf: Christen gegen Muslime – und umgekehrt, am 25.06.11 in n-tv. Aber einig sind sich Viele heute noch nicht!

    Es gibt etliche Leute, die lieber für sich beten – oder es ganz sein lassen – um sich aus diesem Streit raus zuhalten!
    Zweifelsohne kann die Religion ein Pfahl zum Aufrichten und für eine gesunde Gemeinschaft sein.

  12. @ Blume

    Ja -das ist genau der Punkt. Ein jeder Rabbi hätte schweigen sollen. Es war allein _sein_ Gott -oder was er dafür hielt. Nur so ergibt es einen Sinn. Es gibt keine Autoritäten in Gottesfragen…Oder anders ausgedrückt: wenn der “Gott” sich nicht durch den Einzelnen finden läßt, dann mag er zu Hölle gehen…

  13. Nachtrag 4..

    Ich präzisiere: zu einem Kinde spricht “er”: ich bin bei dir -auch wenn deine Eltern fehlen. Zu einem Jugendlichen: ich bin bei dir -auch wenn es dir nicht gelingt, das Herz eines Mädchens/Jungens zu erobern. Zu Erwachsenen: ich bin bei dir -auch wenn du mit deinem Verstande an deine Grenzen gerätst.

  14. „Überspitzte Anfrage“ @N.Hagthorpe

    Ja, N.Hagthorpe, irgendwie habe ich manches doch ziemlich unziemlich auf die Spitze getrieben. Sie haben Recht: in der Richtung sehe ich auch schon die Gefahr erkenntnistheoretischer Kurz-Schlüsse meinerseits. Ich muss wohl schon aufpassen, welche erkenntnistheoretischen Folgen meine erkenntnistheoretisch behaupteten Begrenzungen haben.
    Aber ich will eben nicht mehr behaupten als erkenntnistheoretisch sagbar ist – darüber hinaus soll man schweigen. Aber AUCH NICHT behaupten, das erkenntnistheoretische Jenseits sei das eigene Revier des Glaubens.
    Na, an einer Stelle dürfte es nicht so verkürzt sein, wie Sie vermuten:
    Dass bei mir „Gott genau in dem Maße wirklich ist, wie Traumbilder wirklich sind“. Ich meine zwar nicht direkt, dass Traumbilder als solche für sich selbst wirklich sind, aber: dass sie Wirksamkeiten repräsentieren. Traumbilder zeigen Kräfte, die HINTER ihnen wirken. Und das assoziiert zur Überschrift: Und sie bewegen uns doch.
    Ja, „abstraktes Konstrukt“? Ich kann das nicht ganz bestreiten – oder: die Gefahr ist mir auch bewusst. Aber deshalb betone ich die Wirksamkeit einer vielleicht nicht außermenschlichen Kraft, aber einer, die jenseits meiner mir eigenen (bewussten) Verfügungsmacht steht.
    Den „Grund meiner selbst“ und einen interpersonalen „Grund“ möchte ich mit meiner Begrifflichkeit wohl mitbedenken; den „Grund der Welt“ will ich allerdings betont ausklammern. Grob gesagt: Über einen Gott zeitlich VOR (Menschen-)Wesen, die bewusst über sich und andere reflektierten – also zumindest als es nur Einzeller gab, laienhaft ausgedrückt – möchte ich nicht reden. Ich weiß, was gegen diese Beschränkung spricht: der heutzutage gängige Schöpferglaube, auch der aufgeklärtere (außerhalb Kreationismus, ID ff) meint, ein ZEITLICHES Voraus Gottes postulieren zu müssen. Ich nicht. Sie vielleicht auch nicht – Sie reden ja vom „GRUND der Welt“. Ja, und da verweise ich doch gerne auf Hoppes Überlegungen – auch wenn ich dort befürchte, dass die WirkSAMkeit, Wirkkraft… nicht richtig zum Zuge kommt. Lasse ich da noch ein bisschen was offen…
    “Über den Tod hinaus weitertragen” – ich weiß nicht mehr, wo ich so formuliert habe. Kann ja schon sein. Vielleicht wollen Sie mir den Link mal schicken. Ich würde da auch jetzt wohl auch etwas vorsichtiger formulieren: Was mich im Leben trägt (und in der Liebe mit anderen verbindet), wird mich auch BIS ZUM Tod tragen. Ich falle am Ende nicht ins Nichts, sondern mir wird leuchtet die Liebe entgegen.
    Also, gegen das „belanglos“ würde ich mich wehren; aber, zugegeben, ich sehe die Gefahren. Ist gut, dass Sie mir bei der Gratwanderung da einen Warnruf zukommen ließen.

    So viel jetzt hierzu. Zu den anderen Einwürfen komme ich hoffentlich auch noch, aber an diesem Abend vielleicht nicht mehr.

  15. Intime Beziehung? @D.Hilsebein

    Ja, ich weiß, das ist modern geworden: Der Gott des Individualismus, der hierzulande seine Blüten treibt. (Auf eine andere Art in den spießbürgerlichen Verhältnissen der (Nach-)Metternich-Ära und in den „Datschen“ des „real existierenden Sozialismus“: Die freien Gedanken als einzig erlaubtes Vergnügen – solange sie politisch unwirksam sind…) Und vielleicht muss sich der Gottesbegriff in diese Richtung wandeln. Kann ja sein – ich möchte trotzdem dagegen halten und wenigstens daran erinnern, dass sehr viele Bewohner dieser Erde sich private Gedankenspiele nicht leisten können. Etikettiere ich es so: Der Gott in „When Israel was in Egypts land…“ ist keine privat-intime Beziehung. OK, der Einzelne wird dabei schon bis in sein Innerstes bewegt sein; aber er wird doch hoffentlich nicht Einzelner bleiben – nicht bloß als frommes Individuum sein seelisches Privatgärtchen pflegen und nicht privat seinen Gott vereinnahmen wollen, als süßes Betthupferl vernaschen…
    Dass Sie ausgerechnet dem Jesus in seinen anti-autoritären Reden Entmündigung vorwerfen – kannitverstahn. Und Michael Blume hat dazu auch schon das Nötige geschrieben.
    Vielen machtbewussten Priestern haben sie jedenfalls nicht gefallen; und viele machtbewusste Priester versuchten seine Gedanken nachträglich zu zähmen. Nun, das ist in manchen solchen Bewegungen so. Ich erinnere dazu nur mal an die Enttäuschung vieler Kommunisten über den „real existierenden Sozialismus“.
    Das „solchen Glauben fand ich in ganz Israel nicht“ wäre mal ein ganz eigenes, reizvolles Thema. Das, kombiniert mit „dein Glaube hat dir geholfen“, zeigt jedenfalls: Glaube lässt sich nicht in einen wie auch immer rechtgläubigen Katechismus pressen. Jesus versteht ihn eher als *verwegene Kraft*.

  16. @ Aichele

    “nicht bloß als frommes Individuum sein seelisches Privatgärtchen pflegen und nicht privat seinen Gott vereinnahmen wollen, als süßes Betthupferl vernaschen…”

    Würde ich nie tun -‘ne Frau wäre mir lieber 🙂

    Im ernst: So ganz schlau werde ich aus Ihrer Replik nicht. Wie soll der Zugang zu einem Gott denn sonst möglich sein, wenn nicht durch das einzelne Individuum? Jesus ging dafür in die Wüste. Soweit, wie ich mich verstehe, scheint Selbsterkenntnis mit Gotteserkenntnis zu korrelieren. Und wahrlich: süße Betthupferle habe mit jenen harten Nüssen wenig gemein!

  17. Gottes Diener? @Klaus Deistung

    Sie werden doch von mir nicht verlangen, dass ich denen, die Galilei verurteilten (Hexen verbrennen ließen ff) , ihr angemaßtes Selbstverständnis als „Gottes Diener“ auch noch bestätige. Wenn Sie da – autoritätsgläubiger ? – dieses Selbstverständnis unterstützen, ist das wohl Ihr Problem.
    Bei Galilei ist mir immer wieder interessant, dass der gregorianischen Kalenderreform 1582 anscheinend wie selbstverständlich heliozentrische Tabellen zugrundegelegt worden sind. Die häufig unterstellte Ablehnung dieses Weltbildes (aus theologischen Gründen) scheint es nicht gewesen zu sein. Eher Vatikan-interne Machtkämpfe und noch ein paar Dinge mehr. Ich kenne keine Christen, die das gut finden. Ich denke auch daran, dass es öfters schon Auseinandersetzungen gab zwischen Wissenschaftlern und Machtzentren; gewisse sowjetische Wissenschaftler wären zu gegebener Zeit froh gewesen, es wäre ihnen nur so ergangen wie Galilei und Havemann: Hausarrest.
    Was will ich damit? Das im Blogbeitrag ironisch skizzierte *Harmagedon* unterlaufen. Und Leute verschiedenster Couleur suchen, mit denen man die vielschichtigen Ingredienzien des Lebens wirklich besprechen kann. Aber bitte, Leute verschiedenster Couleur kommen sich manchmal immer noch und seit Neuestem wieder vor als die einzig wahrhaft Erleuchteten.
    In der Beobachtung uralter Gottesvorstellungen kein Platz für evolutionäre Gedanken? Dann schauen Sie mal auf ein paralleles Phänomen: Die Steinzeitmenschen haben nix von Evolution verstanden. Und trugen doch zur Evolution des Singens bei.
    Dass ich dagegen bin, Gottesvorstellungen der Antike dogmatisch festzuschreiben – das wenigstens werden Sie doch verstanden haben. Und da bin ich mit vielen Christen einig – auch wenn manche (in Machtzentren) noch betonieren wollen.

  18. @Dietmar Hilsebein

    Sie schrieben: Ja -das ist genau der Punkt. Ein jeder Rabbi hätte schweigen sollen. Es war allein _sein_ Gott -oder was er dafür hielt. Nur so ergibt es einen Sinn.

    Vielleicht fällt Ihnen der Selbst-Widerspruch auf: Sie äußern öffentlich Ihre Auffassung zu den einzig sinnhaften Gottesbezügen – und fordern zugleich, dass “ein jeder Rabbi hätte schweigen sollen”. Lehrverbot für alle – außer für Dietmar Hilsebein!?

    Ich habe ein anderes Freiheitsverständnis: Vertreterinnen und Vertreter von Philosophien, Weltanschauungen und Religionen sollen alles Recht haben, sich zu organisieren und ihre Lehren im fairen Wettbewerb zu verkünden. Weder Sie noch die Rabbiner sollen zum Schweigen verdonnert werden. Was m.E. niemand tun sollte, ist die Heranziehung staatlicher Macht zur Unterdrückung von Konkurrenz, wie es nicht nur einige Kirchen und Religionen, sondern auch antitheistische Parteien reichlich gemacht haben und teilweise weiterhin tun (z.B. im Iran oder in Nordkorea).

    Im übrigen ist die kleinste “Religionsgemeinschaft”, in der religiöse Traditionen von früh auf interpretiert, weiter gegeben und auch weiter entwickelt werden, die Familie. Wer aber im Namen eines ausufernden Individualismus auch Großeltern, Eltern, Paten und Kindern Lehre, Debatte, Rituale und letztlich (auch) religiöse Vergemeinschaftung untersagen wollte, würde selbst wieder totalitär werden müssen. Rein individuelle Religion hatte und hat in der realen Menschheits- und damit Evolutionsgeschichte keinen Bestand.

  19. @ Blume

    Jetzt kommt mal Leben in die Bude -vielen Dank! Nun, klar ist soweit, daß ein Ich über ein Du gebildet wird -also auch in der Familie. Aber wie wollen sie ihren Standpunkt beziehen, wenn sie nicht im eigenen Inneren zu einem Urteil gelangen? Sie bleiben schwammig -Toleranz bis zur Gleich-gültig-keit oder schlimmer noch, sie vertrauen blindgläubig Autoritäten.

    Was den Selbstwiderspruch anbelangt: Sie haben recht. Einziger Einwand: wenn ich mich äußere, so hat dies wenig Gewicht.

  20. @Dietmar Hilsebein

    Danke für die Blumen! 🙂 Zwischen den von Ihnen beschriebenen Extremen des haltlosen Individualismus und des autoritätsgläubigen Kollektivismus gibt es den Weg der Mitte: Die Erfahrungen und Meinungen anderer kennenlernen und achten – und auf dieser Basis dann auch den Mut zu eigenen Erfahrungen und Meinungen finden. Dabei werden stets unterschiedliche Interpretationen und Strömungen entstehen, die sich dann wiederum mit unterschiedlichem Erfolg an der Realität zu bewähren haben – wie es in jeder lebendigen Kunst-, Politik-, Wissenschafts-, Musik-, Sprach- und eben auch Glaubenstradition der Fall ist.

  21. Individualismus @Dietmar H

    OK, Dietmar Hilsebein. Ich gebe zu, dass ich das Individuum etwas zu unwirsch beiseite schieben wollte. Natürlich muss das ICH für Überzeugungen einstehen – was auch immer das Ich „ist“ (aber das wäre ein anderes, außertheologisches, Thema). Was mich da so unwirsch machte, das war das Wort „intim“. Das schien mir zu sehr auf den modernen Individualismus hinauszulaufen. Auch auf christliche Traditionen, denen alles außerhalb des frommen Ichs schon zu sehr egal war. Und das dem Satz „Religion ist Privatsache“ zu sehr nachgibt. Diese Idee entstand ja zur Zeit des Absolutismus; und gewisse Herren meinten dann, sie würden am liebsten ungestört ihre politischen/wirtschaftlichen Interessen verfolgen. Ich wollte über diese Idee „Privatsache“ auch mal bloggen – na, kann ja noch werden.
    Ich verwendete schon öfters gern für Religion die Analogie zum Spiel und will jedenfalls festhalten: Manchmal ist die Religion zwar ein Solitär-Spiel, christlich darf es aber dabei nicht bleiben. Es ist ein Gruppen-Spiel, bei dem die Einzelnen mitmachen – für die Gemeinsamkeit der eigenen Gruppe und die Gemeinsamkeit der Menschen. Also hat das Ding wie eine Ellipse zwei Pole oder wie eine Wurst zwei Enden. Und ich hätte nicht das eine Ende so unwirsch abschneiden sollen. Aber vielleicht verstehen Sie, was dem Vorschub leistete.

    Ja, und ich unterstelle hinter dem Gottesbegriff, hinter der Persona/Maske des Gottesbildes (siehe Johannes Huber in den Nachbemerkungen oben) eine inter-personale Wirklichkeit – so etwa nach dem – frei zitierten – Satz P.Boyers: Ein wie Robinson auf einer Insel lebendes Kind denkt von sich aus nicht an Gott, aber sobald es zwei sind – da wirken „theory of mind“, Empathie, Spiegelneuronen ff in dieser Richtung.
    Und dann gehört der schöne Kirchenlied-Satz dazu, der Ihnen wieder mehr entgegen kommt „Zum Ich gehört ein Du, um Wir zu sagen“.

    Und: alle Achtung für das Ping-Pong-Spiel mit dem und durch die Blume. So geht Erkenntnis weiter.

  22. @ Aichele

    Nun, auch ich bin nicht frei von Prägungen. Ich bin in einem System groß geworden, wo das “Wir” alles und das “Ich” nichts zählte. Mag sein, daß ich Autoritäten wittere, wo gar keine sind. Wenn ich “Wir” höre, so sehe ich rote Fahnen und stumpf und dumpf jubelnde Menschen, die an einer Autoritätentribüne vorbeiziehen. Ja und so kam es, daß ich unter Menschen Ekelgefühle bekomme, wenn sie einem Gotte huldigen, der außerhalb sich durch Bodenpersonal vermeintlich zu erkennen gibt. So verstehe ich auch jene, die von “Religion ist Privatsache” sprechen. Die Gefahr ist ja immer wieder gegeben, daß es zu Menschen kommt, die von sich glauben, näher an Gott/Wahrheit zu sein und sich zum Hirten über eine Herde zu machen. Das mache ich nicht mit! Und dabei ist es mir wurscht, ob sie sich Theisten, Atheisten, Antitheisten oder Agnostiker nennen.

  23. Ja! Dietmar Hilsebein

    Dann verstehen Sie ja meine Anspielungen mit den “Datschen”; UND warum es gut war, dass Leute aus den Datschen herausgekommen sind. Und ich verstehe, warum auch Christen mit dem Paulus-Wort “lasst euch nicht wieder in das knechtische Joch fangen” kritisch und selbstkritisch umgehen sollten.
    Von Angela Davis (die Ihnen wohl auch mal per Rotlicht nmahegebracht werden sollte) gebe es den schönen Satz: Die Kirchen – der einzige Ort, wo ich frei sprechen kann. Ja, und diese Erfahrung gab’s dann 1989 wieder. Aber nur durch Leute, die ideologische Grenzen übersprungen haben – beidseitig. Die keinem Verwalter der Wahrheit trauten, aber sich was trauten – gemeinsam.
    Aber ich schweife ab. Sie merken jedenfalls, wo meine Begeisterung liegt.

  24. Datschen

    Verfolgt man den Gang der Geschichte, so war die DDR die Wiederholung des Dritten Reiches unter einer anderen Farbe. In beiden Systemen zählte das “Ich” nichts. Schon Kant bemerkte in seinem schönen Aufsatz: Was ist Aufklärung?:

    Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.

    Was will ich damit sagen? Der Gang aus der Datsche war nur deshalb notwendig, weil zuvor in beiden Systemen das Hirn des Einzelnen an der Garderobe abgegeben wurde.

    “die Ihnen wohl auch mal per Rotlicht nmahegebracht werden sollte”

    Verstehe ich nicht.

  25. Wirklichkeit Gottes

    Dank an unseren Hermann Aichele, der den diffizilen Zusammenang von Gott und Wirklichkeit überzeugend ausführt,
    Eine klare, einfache und in Sachen Wirklchkeit Gottes entscheidende Frage kommt jedoch nicht vor. Nämlich die:
    Angenommen morgen hört die Menschheit auf zu existieren. Existiert Gott dann immernoch? Auf irgendeine, zB seine eigene Art und Weise? Oder verschwindet er mit der Menschheit? – in welchem Fall er nichts anderes als menschliche Fiktion, Konstruktion und Illusion wäre. Alle Ausführungen zu Gottes Wirklichkeit sollten sich dieser Frage stellen.

  26. Braucht Gott “Existenz”? @Johannes Wendnagel

    Ja, Johannes, diese „entscheidende Frage“ kommt nicht vor: Die nach der Existenz Gottes nach (oder auch: vor) der Zeit der Menschen, also die nach der Existenz Gottes unabhängig von der Existenz der Menschheit.
    Wenn dann noch jemand fragt, wird Gott es selbst beantworten 😉 Im Ernst: Ich halte für Gott den Begriff „Existenz“ für ungeeignet. Das ist ein in 1000-jährige europäischer Denktradition eingeschliffener Begriff – von den mittelalterlichen Gottesbeweisen bis hin zu Pascals Wette. Dabei habe ich den Verdacht, den Kundigere vielleicht belegen können, dass er im Lauf dieser Denktradition auch verflachte – von „Wirklichsein des Wirklichen“ (Vgl. Hoppe – aaO: oben sind die Links) hin zu „ist er wirklich?“ Und eine der fatalsten Folgen sehe ich in den Gedanken, die mit Pascals „Wette“ verknüpft sind: dass der „Glaube an“ Gottes Existenz – fifty-fifty ? – sich irgendwie gut rechne.
    Vielleicht ist es in unseren (europäischen) Denkstrukturen so angelegt, dass wir nur als wirksam ansehen können, was „existiert“. (Knotenpunkt für diese Denkweise: Descartes) Und wenn man das nicht so genau weiß, ob etwas existiert, dann „glaubt“ man es, vielleicht oder auch nicht (oder je nachdem „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ – als ob es ein mathematisches Denkexperiment wäre). Ist das noch Glaube?!
    Ich las vor Kurzem – gerade im Zusammenhang mit dem Thema und verlinkte es auch oben bei den Zusatzpunkten: den Artikel von Rabbi Geoffrey A. Mitelman:„Why Judaism Embraces Science.”. (Der Mittelman dürfte überhaupt ein spannender Autor sein!). Es geht ja – siehe die Überschrift – eigentlich um weitere Zusammenhänge: Science. Dabei aber in einem Unterabschnitt eben auch um Gott.
    Die daraus zitierte Sätze sagen für mich – auf Deutsch.
    „Moses“ Frage am „Dornbusch“ nach Gottes Namen = Unterscheidungsdefinition wird (in Ex. 3,14) beantwortet mit: „Ich bin, was (!) ich sein werde.“ Also, Spuren zu Gottes Sein sind im Werden zu finden, im Geschehen, in Widerfahrnissen (und Hoffnungen auf solche) – bei denen dann Menschen „Gott“ sagen. Und wenn es keine Menschen gibt, denen etwas widerfährt (oder die auf etwas hoffen, etwas befürchten…), dann ist die Rede von Gott auch sinnlos – so wie die Rede über Glück, Gerechtigkeit – Liebe ! – sinnlos ist.

    Aber ich sehe schon, ich redete bisher – aus verschiedenen Gründen – sehr formal. Mir fiel (auch aufgrund dessen, was Thomas Grüter monierte: fehlender eigener Entwurf zu einem Gottesbild) inzwischen ein, dass ich ja eigentlich schon öfters relativ anschaulich solche Lebenszusammenhänge, Widerfahrnisse ff beschrieb, aus deren Kraft Menschen leben und die sie personhaft ansprechen: Gott).
    Vielleicht mache ich das noch – auch mal hier. Aber ich weiß um die Gratwanderung, an die mich N.Hagthorpe erinnerte: Ist es dann „nur Projektion“? Nun, ich sage ja: Bilder sind selbst keine Wirklichkeit, aber sie repräsentieren Wirklichkeit. Bloß: Warum sind Menschen (besonders “Europäer”?) so drauf versessen, dass nur das Wirklichkeitsqualität hat, was außerhalb der Menschen (zeitlich davor und danach) „existiert“? Nachdenken wird nix schaden … 🙂 Und ich brauche noch etwas Zeit, mir Zeit dafür zu nehmen.

  27. @Aichele

    Hallo Herr Aichele, ich bin durch Michael Blume auf Ihren Blog aufmerksam geworden. Ich weiß allerdings nicht, wie dankbar Sie ihm sein werden, wenn Sie diesen Kommentar gelesen haben …
    Ich halte Ihre Blogpost für sehr, sehr wichtig, weil sich in ihr die fundamentale Misere der zeitgenössischen Theologie wiederspiegelt (sofern sie nicht ohnehin ein fundamentalistisches Brett vor dem Hirn hat). Das sagt ausdrücklich nichts über die Qualität Ihres Beitrags, vielmehr wird diese Misere durch die Sorgfalt und Tiefe des Textes in vorbildlicher Weise herausgearbeitet.
    Die Misere ist das Endprodukt einer konsequenten Immunisierungsstrategie. Die Theologie hat im Laufe der letzten Jahrhunderte fürchterliche Prügel bezogen, von denen sie sich mit der kritischen Exegese einen Großteil selbst zugefügt hat. In Folge dessen hat sie eine totale Unverbindlichkeit zum obersten Prinzip erhoben, eine Unverbindlichkeit allerdings, die so einfach nicht haltbar ist, wenn sie ihren Gegenstand nicht völlig aufgeben will, ja, wenn ihre Aussagen in sich konsistent bleiben sollen.
    Nun zu Ihren Ausführungen. Ich denke, ich tue ihnen nicht unrecht, wenn ich daraus die beiden folgenden Grundprinzipien ableite:

    (a) Vorstellungen von Gott, und damit die Fundamente der Theologie, sind absolut subjektiv, bestenfalls rein zufällig intersubjektiv („Sage mir, ob diese Leitbilder dich bewegen und du darauf aus bist. Und ich sage dir, ob wir uns in demselben Gott verbünden können.“)
    (b) Es gibt in diesen Vorstellungen kein Besser oder Schlechter. Siehe die eilfertige Rücknahme der Rede vom „rechten Gott“, siehe auch die Behauptung „Der Wandel von Gottesbildern ist sicher nicht ein religiöser Erkenntnisfortschritt“.

    Ich möchte mich zunächst auf (b) konzentrieren, falls dieses Prinzip fällt, ist auch (a) nicht mehr zu retten.
    Die erste Bemerkung dazu wäre die, dass Sie das bereits in Ihrem eigenen Beitrag nicht durchhalten können, siehe der Spott, den Sie über das Gottesbild mit der Spielzeugeisenbahn ausgießen mit dem abschließenden Urteil: „Die, die einen solchen Gott als überholte Märchenfigur abtun, haben einfach Recht.“ Meine Einwände gehen aber tiefer.
    „Die Gottesvorstellungen sind entstanden in einer Art kultureller Evolution … als Tools zur Wirklichkeitsverarbeitung.“ Dies ist wohl der Kernsatz Ihrer Gedankenführung, mit dem ich völlig einverstanden und solidarisch bin. Gerade daraus folgt aber, dass eben nicht alle diese Werkzeuge gleichwertig sind. Um zunächst bei dem Bild des Werkzeugs zu bleiben: Eine Axt kann eine Klinge aus Feuerstein haben, es gibt aber auch hoch gehärtete Äxte, mit denen Sie schadlos Eisenarmierungen durchschlagen können. Eine dieser beiden Versionen ist tatsächlich besser als die andere (Tipp: Es ist die Nr. 2)
    Einen Schritt weiter: Ich weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, dass diese Beschreibung (Tools zur Wirklichkeitsverarbeitung) ganz genau so auch auf wissenschaftliche Theorien passt. Und es würde einen Wissenschaftler sicher sehr verwundern, wenn er erfahren würde, dass es im Bereich der Theorien kein Besser oder Schlechter gibt. Tatsächlich sagt uns das ja bereits der Begriff der Evolution, den Sie verwenden: Bestimmte Mutationen erweisen sich als besser adaptiert als andere und setzen sich dementsprechend durch.
    Es müssen also speziell die Bilder von Gott (ich sage beherzt: die Theorien von Gott) Eigenschaften besitzen, die ihre Evolution prinzipiell qualitätsneutral macht. Sie entwickeln sich, sie wandeln sich, aber, wie Sie sagen, das ergibt niemals einen Erkenntnisfortschritt.
    Ich bestreite das und ziehe als Beispiel die Entwicklung des altjüdischen Gottesglaubens von der Monolatrie zum Monotheismus heran, also von der Anbetung eines einzigen Gottes (wobei es daneben auch andere Götter geben kann) zur Überzeugung, dass es nur einen einzigen Gott gibt (alle anderen sind bloße Erfindungen).
    In dem Moment, in dem ich die Monolatrie konsequent umgesetzt habe, in dem ich meine Ängste und Hoffnungen, meine ganze spirituelle Libido ganz auf diesen einen Gott ausgerichtet habe, haben alle anderen Götter keine Bedeutung mehr für mich, sie sind in meinem Weltbild nur noch dysfunktionaler Ballast, den ich aus alter, schlechter Gewohnheit mitschleppe.
    Und nun der Moment in dem ich den Sprung schaffe, das Neue zu denken: Die anderen Götter gibt es einfach nicht (die spirituelle Version des Occam’schen Prinzips). In diesem Moment habe ich etwas Neues, etwas Besseres von unvergleichlich höherer Schärfe und Durchschlagskraft (wer dafür einen Beleg braucht, den verweise ich auf Deuterojesaias und Mohammed: „La illah il allah!“).
    Angesichts dieser Tatsachen (und ich nenne sie Tatsachen), wie will man Prinzip (a) retten, dass Gottesbilder prinzipiell subjektiv sind? In dem Moment, in dem ich mich mit meinem Gottesbild auf den altjüdischen Monotheismus beziehe, kann ich mich natürlich seiner inhärenten Logik verweigern und z.B. bei der Monolatrie bleiben, aber nach wie vor an die Existenz der Göttin Athene glauben (des schicken Helmes wegen, mit dem sie normalerweise dargestellt wird). Das ist aber nicht ernster zu nehmen als der Entschluss, auf dem geozentrischen Weltbild zu bestehen.
    Oder aber ich weiche den Begriff „Gott“ so auf, dass er nichts mehr mit dem altjüdischen Monotheismus zu tun hat. Das ist heute überall zu beobachten, z.B. in der modischen Angewohnheit, dem Buddhismus einen „nichtpersonalen Gott“ zuzuschreiben. Da dort weder in den vier edlen Wahrheiten, noch in den drei Eigenschaften, noch im fundamentalen Paticca-Sammupadha irgend eine Spur von irgend einem Gott zu finden ist, kann ich darin nichts erkennen als die eiserne Entschlossenheit, „Gott“ bis zur absoluten Beliebigkeit zu zerfetzen, um ihn endlich auf eine Stufe mit Tarotkarten, Zeitschriftenhoroskopen und Neujahrsansprachen zu bringen und so endlich die spirituelle Arbeit von Jahrtausenden das Klo hinunter spülen zu können ohne die Gefahr, die Leitungen mit allzu sperrigem Gedankengut zu verstopfen.

  28. Gott und Gottesbilder @Djebe

    Hallo, Eric Djebe, über Ihren Kommentar bin ich nicht frustriert (oder dem Michael Blume für seinen Querverweis undankbar). Eher das Gegenteil. Ich empfinde es als positive Heraus-Forderung, der ich allerdings aus den verschiedensten (hauptsächlich privaten) Gründen derzeit nicht in gewünschter Weise nachkommen kann
    Nun, denn doch einige Punkte ansprechen, die Sie angesprochen haben. Und wenn es auch da oder dort weh tut – Sie haben schon wichtige Punkte getroffen.
    „Misere der zeitgenössischen Theologie“
    könnte ich natürlich so pauschal nicht sagen. Die kritische Exegese, die Sie anführen, bedeutet für mich: Ausweis, dass (zugegeben neben einigen anderen Gesichtspunkten) in der Theologie auch wissenschaftliche Arbeit geleistet werden kann. Sie schadet ja wohl nur denen, die Naivität und Glauben in eins setzen.
    Immunisierungsstrategien dagegen gibt’s natürlich. Auch bei Theologen. Ich sehe auch – viell parallel zu Ihnen? – bei manchen von ihnen die Gefahr, dass sie Glauben zu einem ästhetischen Begriffs-Ereignis verkommen lassen: Hauptsache, die Begriffe passen auf eigenem Spielfeld schön ineinander… Ohne Wirklichkeitsbezug zu dem, was Menschen wirklich bewegt. Viell meinten Sie das mit Unverbindlichkeit. Aber ich vermeide es im allgemeinen, das zu laut zu kritisieren. Kann ja sein, dass gerade ich die obergescheiten theologischen Sätze mancher Herren nicht verstanden habe…
    Ein weiteres Problem dabei ist, dass im Gemeindealltag irgendwie merkwürdig wenig von dem rüberkommt, was in der Theologie doch auch kritisch gedacht wird. In Akademien u.ä. schon – da wird einiges auch von verschiedensten Seiten (interdisziplinär heißt das so schön) als relevant anerkannt. Aber auf der normalen Gemeindeebene fehlt die konkrete Umsetzung. Da gibt es auch eine „Immunisierungsstrategie“ vieler auch eigentlich aufgeschlossener Verbraucher. Es gibt nicht nur die „Sprache Kanaans“ , erklärte uns mal ein Theologieprofessor. In welchem Sound ihr Pfarrer auch redet – es gibt viele Leute, die hören doch alles mit den „Ohren Kanaans“, wie es in ihr frommes Gemüt passt .
    Mit meinen Versuchen dagegen machte ich schon einige Negativerfahrungen; und manchmal lässt man es dann lieber bleiben. Meine Bloggerei kann man als nachgeholte Aufklärungsversuche eines Rentners interpretieren.

    „Unverbindlichkeit“:
    Sie wissen wohl auch, dass sich gerade im Lauf der protestantischen Theologiegeschichte der letzten 100 Jahre einiges ergeben hat, das alles andere als unverbindlich ist: die dialektische Theologie (K.Barth) im Widerstand gegen NS-Staat und angepasste Kirchlichkeit gleichzeitig. Und dieses Querlegen zu herrschenden Meinungen ging weiter. Ich denke hauptsächlich an Moltmanns ” Theologie der Hoffnung” und die gesamten Entwürfe politischer Theologie (“Theologie der Befreiung”). Allerdings wurde aus manchem Querdenker auch ein Querschläger. Trotzdem: Auch wenn nicht alles produktiv war; aber alles unverbindlich?!
    Ein anderes Problem ist es, dass zwar sehr entschieden (überhaupt nicht unverbindlich) in allen möglichen sozialethischen Bereichen geredet wird; aber der dahinter stehende Glaube wurde (etwa bei Friedensdemonstrationen) so offen formuliert, dass sich alle darin versammeln können: von den Fundamentalisten (in friedlicher Variante, die gibt es auch) bis zu den aufgeklärten Tillich- oder Sölle-Theologen. Hat ja auch praktische Gründe, die man nicht verachten soll. Aber ich hätte mir bei einigen Theologen auch begrifflich präzisere Aussagen darüber gewünscht, was ihren Glauben (etwa an die Gewaltlosigkeit im Namen Gottes) zum Glauben macht. Nicht bloß: Gott schafft Frieden, wir tun es.

    “Brett vor dem Hirn” – nicht nur bei Fundis.
    Da versuche ich noch immer, an einigen dicken Brettern zu bohren. Und ja, ich habe manchmal dabei den Eindruck, dass ich mich zwar auf manche Theologen berufen kann – ein paar nannte ich schon, Drewermann möchte ich noch dazu nennen (dem gerade kann man keine Unverbindlichkeit vorwerfen). Ich unterstelle auch, dass ich mich innerhalb dessen bewege, was bei einigen Theologen in Deutschland akzeptabel wäre. Aber in meinen Erklärungen hier versuche ich letzten Endes doch manches auf eigene Faust und eigene Rechnung; und dabei mag auch manches Brett für mich zu dick sein und ich mit dem Bohrer ausrutschen. Das ergibt manche Inkonsistenzen, die Sie ankreiden.

    Vorstellungen von Gott:
    Bitte nicht „absolut subjektiv“; sondern verbindend inter-subjektiv. Etwa so wie eine gemeinsame Corporate Identity. Insofern zwar wandelbar aber nicht der Beliebigkeit ausgeliefert. Man muss um manche Gottesvorstellungen kämpfen, manche auch bekämpfen – kann sich aber nicht einmal bei solchen Spinnern wie A.Breivik, H.Camping oder T.Jones so einfach aus der Verantwortung stehlen und sagen: wir haben gar nichts damit zu tun.
    Also, diese Extrembeispiele zeigen, es gibt schon unheimlich schlechte Ideen, denen man aber nicht absprechen kann, dass sie Gottesbilder sind. Und deshalb ist eine Bewertung zwischen besser und schlechter sicher nötig.
    Aber das ist zuerst mal auf moralischer Ebene (oder dass man schlicht sagen kann: Das passt doch nicht zu Jesus). Und auf dieser Ebene praktischen Handelns gibt es Fortschritte und Rückschritte und öfters dreht sich einiges im Kreis. Da wird in der Theologie und unter Pfarrern öfters um die richtige Richtung gestritten. Ich halte das nicht für blamabel. In Pädagogik, Juristerei ff gibt es das auch. Und das Ziel ist nicht unverrückbar klar; aber beliebig ist es denn doch auch wieder nicht. Ja, und eigentlich gibt es – über die Jahrhunderte hinweg gesehen – trotz mancher Rückschläge, die man ankreiden muss, eher Fortschritt als Rückschritt. Wo kämen wir hin, wenn wir behaupteten, es habe keinen Fortschritt gegeben gegenüber römischem Recht oder deren Pädagogik?

    Eine andere Ebene sind die begrifflichen, die ontologischen Überlegungen. Da, denke ich, gibt es doch einige Fortschritte: Als alten Mann mit Rauschebart stellt sich wohl niemand mehr ernsthaft Gott vor. Und ich halte den Weg von vielen Göttern zu einem vielfältigen Gott auch für einen begrifflichen Fortschritt, wobei die Subtraktionsvorstellung bei Dawkins u.a. (so viele Götter schon abgeschafft, schaffen wir nur einen weiteren ab) nicht gerade von Einsicht in die Zusammenhänge zeugt. Ja, aber den unsichtbaren Spielzeugeisenbahn-Gott – der je nach Belieben ma l diese oder jene Weiche stellt… – den stellen sich doch wohl viele irgendwie vor. Die begrifflichen Fortschritte sind in der Bevölkerung sehr ungleich verteilt.
    Ja, welche Bilder nicht sein sollen, lässt sich leichter beschreiben. Und ich sehe auch, dass in meinem ursprünglichen Beitrag keine Bilder gegen die Negativ-Bilder positiv gesetzt sind. Da will ich mich eigentlich (!) dran machen, auch wenn das ein ziemlich dickes Brett zu bohren sein dürfte. Ich müsste auch drauf raus: So entscheidend wichtig es ist, ob man sich wie Breivik zum Kreuzzug verhält oder wie Franz von Assisi – und welches Gottesbild dahinter steckt – alle Bilder sind nicht Gott selbst. Da wirkt bei mir natürlich auch was nach vom unendlichen Abstand Gottes von all unseren Begriffen. Aber ich will ja Gott nicht in den Begriffen der Unendlichkeit, sondern in konkreten Lebenserfahrungen. Vielleicht trifft deshalb die gespenstische Geschichte vom nächtlichen Kampf des Jakob am Jabbok (trotz Naivität des Gottesbildes) Gott besser als die Rede etwa vom unbewegten Beweger: sicher “aufgeklärter” aber irgendwo auch unverbindlicher.
    Es kann auch jemand mit einer Bilderbuchvorstellung von Gott besser verstanden haben als mancher Theologe, der Waffen segnet. Karl Barth schrieb deshalb mal in den zwanziger Jahren (ich suche es jetzt nicht raus, also frei zitiert:) Wenn die Gottlosen Gott besser verstehen als die Christen, muss man Gott die Ehre und also den Gottlosen Recht geben. – in Bezug auf die damaligen Sozialisten. Und bei einem Besuch in der DDR sagte er mal den Regierenden, die meinten, sie würden doch die ganzen Zehn Gebote erfüllen: Aber das erste Gebot? Ich denke, hoffe, es war gegen die Arroganz derer gesagt, die meinten, sie hätten unanfechtbar die richtige Moral auf ihrer Seite.
    Also ich müsste noch besser die Ebenen unterscheiden: religiöse/moralische Angemessenheit der Rede von Gott und begriffliche Angemessenheit. Für Letzteres lass ich ihren Einwand gelten: dass Tools durchaus als besser oder schlechter bewertet werden können und müssen.

    Ich muss zu Ende kommen. Ich versuche, es so zusammenzufassen:
    Alle Rede von Gott ist bildhafte Personifizierung von Wirklichkeit/Wirksamkeit – von dem, was Menschen (großenteils durch andere Menschen) widerfährt und womit sie umzugehen haben. Nun, es kommt sehr stark darauf an, dass in diese bildhaften Personifizierungen beispielsweise Aggressionen bearbeitet aber nicht festgeschrieben werden (die obigen Beispiele: Breivik ff). Oder positiv gesagt: dass die Gottesbilder zu einem wahrhaftigen Umgang mit eigenem und gemeinsamem Leben führen: zu einem lebensgerechten, also u.a. friedlichen.
    Im Vollzug der verschiedenen Reden von Gott (durch die verschiedensten Zeitläufte und damit verquickten Weltbilder hindurch) muss es nicht jedem gleich klar sein, dass und wie bildhaft die jeweilige Rede von Gott ist. Auch begrifflich naive Rede von Gott kann doch in ihrer Weise wahrhaftig mit den Widerfahrnissen des Lebens umgehen. Aber Theologie müsste konsequenter daran arbeiten: sagen, dass die Bilder selber keine Wirklichkeit sind, aber Wirklichkeitszusammenhänge repräsentieren: sie personifizieren, menschlich ansprechbar, kommunikabel machen…

  29. @Johannes Wendnagel

    Stellen Sie diese Frage mal an Menschen, die eine sogenannte Nahtoderfahrung gemacht haben. Die werden Ihnen die beste Antwort darauf geben.

  30. Nahtoderfahrungen – @Hans

    NTEs sind sicher eindrucksvoll. Und es gibt diverse Wechselwirkungen mit Religion(en). Aber ontologische Fragen können auch dadurch nicht geklärt werden, dass jemand sich auf eigene Erlebnisse beruft. Und auch nicht dadurch dass solche Erlebnisse überraschend ähnlich strukturiert zu sein scheinen. Diese Erlebnisse sind in verschiedene Richtungen auslegbar. So viel meinerseits zu der Anfrage an J.W.
    Es ging ja wohl auf seine Frageformulierung, ob manche Vorstellungen “menschliche Fiktion, Konstruktion und Illusion” seien.
    Jo mei, würd ich sagen. Es gibt auch menschliche Fiktionen und Konstruktionen, derer der Mensch sich nicht schämen muss. Und auch Fälle, in denen Illusionen lebensstabilisierend sein können. Und es gibt bei der Frage nach Gott auch Gesichtspunkte, die die (Ab-)Wertung aufbrechen, in der diese drei Alternativbegriffe gefangen zu sein scheinen.
    Daran sammle ich derzeit. Ich sehe immer deutlicher, ein zweiter Teil zu diesem Blogpost muss folgen.

  31. den dialog zwischen herrn aichele und herrn hilsebein verfolge ich sehr interessiert. echt spannend….

    vorstellung von gott: nicht subjektiv, sondern inter-subjektiv, (womit das kleine wörtchen objektiv schon fast entlarvt ist….)

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