Gott rechtfertigen? Menschengerecht denken? Die unendliche Theodizee…

BLOG: Hinter-Gründe

Denk-Geschichte(n) des Glaubens
Hinter-Gründe

„Warum schleppt sich blutend, elend,
Unter Kreuzlast der Gerechte,
Während glücklich als ein Sieger
Trabt auf hohem Ross der Schlechte?
"

Eine Strophe aus einem Gedicht Heinrich Heines – "Lazarus" . Es  begegnete mir erstmals 1959, als ich 14 Jahre alt war – in einem Gedichtband, den ich zur Konfirmation bekam. Es hat natürlich mehr Strophen. Aber diese Strophe merkte ich mir, auswendig bis heute. Und ich merkte mir von den Strophen, die ich nicht mehr so gut auswendig kann, dass sie harte Fragen stellen, für die oft allzu wohlfeile Antworten ausgegeben werden: Wie steht Gott zum Leid, zu den Schmerzerfahrungen Einzelner bis hin zu den Katastrophen, die viele auf einmal treffen, Menschenleben auslöschen und Lebensgrundlagen ruinieren? Diese Fragen werden ja immer wieder aufgerührt, nicht nur wegen Fukushima; aber jetzt auch das noch.   
Ja, was wird in der Kirche dazu gesagt? Dass die Rede von dem unergründlichen, ewigen Ratschluss Gottes nicht genüge, konnte mir als 14-Jährigem schon klar sein. Und dass, was Heine ja auch thematisiert, auch kirchliches Reden gerade die Unschuldigen beleidigen und Fragen nach Gerechtigkeit abblocken kann. Ja, kann, aber nicht muss. Da hörte ich doch auch damals schon einiges Andere, auch von Christen.
Aber die Fragen blieben, die Denk-Aufgabe. Und als ich vollends wusste, dass ich Theologie studieren würde, wollte ich damit gerade auch solchen Fragen nachgehen: Jedenfalls hinter die Kulissen sehen und sehen, was die Pfarrer glauben – die mit den glatten Reden und die, die es sich gewiss nicht leicht machen. Selber Antworten finden, mit denen ich nicht mir in die Tasche lüge und nicht andere betrüge.

 

William Blake
Satan schüttet die Plagen über Hiob aus

Wikimedia Commons

Fertige Antworten?
Dabei habe ich in der Theologie zwar vielerlei Antworten kennengelernt, aber die ehrlichsten erschienen mir immer mehr die zu sein, die nicht als Antwort fertig waren, sondern wie Suchbewegungen, wie Wegzeiger unterwegs, wie Zwischenschritte. Und ich halte das nicht einmal für einen Fehler. Ist doch schon in der Bibel so: Wenn man sie nicht bloß auf fertig formulierte dogmatische Wahrheiten oder – kirchlich glattgeschliffene – Kernsätze abklopft, sondern sie wirklich ernst nimmt, könnte man doch sehen: Da haben Menschen in immer wieder neuen Lebenssituationen Wegzeiger aufgestellt, aber sie sind offensichtlich damit nie schon am Ziel. Ja, sie suchten nach Antworten im Fluss der unterschiedlichsten Widerfahrnisse; aber sie waren nie einfach damit fertig. Auch die von Heine aufgeworfenen Fragen stellten sie. Und arbeiteten daran, ließen sich herausfordern zum Denken. Das kann man gerade in der Mitte der Bibel, den Psalmen, sehr wohl sehen: Da passen die Sätze oft gar nicht wirklich auf eine Linie. Aber in Spruch und Widerspruch bringen sie so das widersprüchliche Leben vor Gott. Und können damit auch gegenüber den Schrecken des Lebens Worte finden, anstatt nur stumm daran herum zu würgen.
Was ich in der Bibel entdeckte und zu schätzen lernte  – das ist, dass sie uns nicht auf der Meinung sitzen lässt, es sei alles schon richtig zu regeln, wenn man es nur mit den richtigen Rezepten – und klängen sie noch so fromm wie bei den Freunden Hiobs (u.a. Hiob 15)  – anpacke oder sich recht führen lasse. Sondern uns auf einen Weg mitnimmt. Dass sie uns davon abhält, uns um die schwierigen Fragen des Lebens elegant zu drücken. Dass sie uns mitnimmt in eine Suchbewegung.

Geschlossenes logisches System?
So leicht fertig mit den Fragen ist der Glaube an den unerforschlichen Ratschluss Gottes natürlich nicht. Und er ist jedenfalls redlicher als die da und dort gehörte, öfters marktschreierische, Unterstellung, Gott würde die oder jene Bevölkerung mit einer Katastrophe strafen, etwa jetzt die Japaner für Pearl Harbour. Wer so genau zu wissen meint, wofür er straft, der sagt – viel mehr als über Gott – einiges über seine eigene perverse Phantasie aus: über seinen eigenen Hass, seine eigene Unversöhnlichkeit. Und auch darüber, wie kindisch sein Gottesbild ist. Manchmal klingt es mir, als würden manche sich Gott vorstellen wie einen allmächtigen Marionettenspieler mit merkwürdigen psychischen Eigenschaften oder einen, der sich eine Spielzeugeisenbahn aufgebaut hat und dabei mal hier, mal dort entscheidet, welche Unglücke geschehen dürfen und welche lieber doch nicht. Oder, wenn nicht Marionettenspieler, dann: dass Katastrophen und Verbrechen eben der Preis der Freiheit sei, die doch Gott uns gegeben habe.
Doch mir scheinen alle derartigen Begründungen eher der Preis dafür zu sein, dass man meint, die Rede von Gott in das Prokrustesbett eines geschlossenen logischen Systems einspannen zu müssen – anstatt mit der Bibel zu lernen, dass angemessene Rede von Gott immer mit Verarbeitung der Erfahrungen des Menschseins zusammenhängt und nicht logischer aufgehen darf als diese. Manche begeben sich (frei nach Kant 😉 ) in die selbstverschuldete Unmündigkeit eines geschlossenen logischen Systems. Sie wollen auch Gott in ihrer Vernunft dingfest machen und berauben sich selbst damit der Empathie (frei nach Jer. 2,13).  Oder siebenützen die Unergründlichkeit Gottes, um sie mit ihrer angeblich höheren Einsicht zu vermischen, hinter die das einfache Volk natürlich nicht sehen könne. Auch das dient nicht gerade der Mündigkeit.

Für nicht direkt Betroffene mag es als Entlastung wirken, einen plausiblen Grund für das Ergebnis eines Unfalls oder einer Katastrophe zu finden. Aber sie mögen zusehen, was sie den Opfern damit antun und den Tätern. Und sich selbst: Möchten sie sich vielleicht der Pflicht entheben, helfend einzugreifen? Entlastung des eigenen Gewissens?

Not-wendendes erkennen – Wege entdecken
Trotzdem, und da wird’s für mich spannend: Gerade auch die Opfer schrecklicher Katastrophen und Verbrechen suchen gerade im Glauben Entlastung. Man braucht oft Jahre keine Kirche, belächelt auch manche Weltfremdheit, aber man verlangt, u.U. mit entsprechendem Nachdruck, von den Pfarrern und den Kirchen, dass sie in einem Katastrophenfall zur Verfügung stehen und ihre Dienste anbieten. Vom Glauben erwartet man ja, zu Recht, mehr als museale Pflege antiker Vorstellungen, mehr als private Geschmacksverstärker.
Da bricht ein ganz anderes Gottesverständnis durch:
nicht das eines allmächtigen Marionettenspielers oder eines alles zulassenden Vaters, sondern als Kraft gegen das Verhängnis – um sich nicht nur stumm in ein Schicksal zu ergeben, sondern es durchzustehen und Wege zu benennen, die darüber hinaus führen. So können auch Opfer in schrecklichen Widerfahrnissen nach Ursachen im eigenen Verhalten, in der eigenen Lebenseinstellung fragen. Und fragen: Was ist jetzt der Wille Gottes? Sie müssen nicht, aber sie können daraus gestärkt hervorgehen. Und es kann jedenfalls hilfreich sein, dafür Wegzeiger aufzustellen. Manche Unfallopfer oder durch Krankheit Behinderte haben schon mehr für Menschlichkeit getan als die, denen nichts was anhaben kann. Das ist eine nicht zu übersehende und nicht zu verachtende Dialektik des Leidens. Ist natürlich entsetzlich, wenn Gesunde, Gutsituierte, Mächtige sich deshalb am Leiden anderer freuen und als argumentative Trumpfkarte ausspielen. Besser wäre es – und auch dafür gibt es überzeugend beispielhaftes Verhalten – , mit den Opfern zusammen zu lernen, wie das geht, dem Leid Widerstand zu leisten – Gott als Kraft in Anspruch zu nehmen, dorthin zu gehen, wo andere achselzuckend oder hilflos vorübergehen. Besser und Gott entsprechender: Christen führen dafür Gottes Mit-Leiden an – Gott im Sym-pathein (nach D.Sölle).  
Es kann dann auch die Rede davon sein, dass Gott einen „prüfen“, „bessern“, „vom falschen Weg abhalten“ … wollte. Und davon: „Ohne Glaube an Gott wäre es nicht durchzustehen gewesen“. Menschen, die das Leid kennen, können so reden. Aber man sollte es nicht in ein logisches System pressen; und ohne Empathie wäre es besser zu schweigen.

Albert Camus, homenaje
Eduardo Pola
 Albert Camus zu Ehren

Wikimedia Commons

Mit am meisten bewegt mich die Szene in Camus’ „Pest“ (dort S. 107): Das Kind, das sich in Todeskrämpfen windet. Der Arzt Rieux und der Pater Paneloux kämpfen um das Kind und leiden mit an dessen Leiden. „Es ist empörend, weil es unser Maß übersteigt. Aber vielleicht sollen wir lieben, was wir nicht begreifen können“, meint der Pater. „Nein, Pater“, sagte der Arzt, „ich habe eine andere Vorstellung von der Liebe. Und ich werde mich bis in den Tod hinein weigern, die Schöpfung zu lieben, in der Kinder gemartert werden.“ Der Priester erschrickt – und muss ihm doch Recht geben. Schließlich der Arzt: „Wir arbeiten miteinander für etwas, das uns jenseits von Lästerung und Gebet vereint. Das allein ist wichtig.“

Ja, „lieben, was wir nicht begreifen können“? Jedenfalls lieben; und nicht mit einem System der Theodizee Gott oder das Leid zu be-greifen versuchen. Diese Männer haben gemeinsam mehr begriffen, sind (nach 1. Kor. 12,31 ff) auf dem besseren Weg.

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Veröffentlicht von

Hermann Aichele Jahrgang 1945. Studium evang. Theologie in Tübingen, Göttingen und Marburg (1964-70), Pfarrer in Württemberg, jetzt im Ruhestand. Hinter die Kulissen der Religion allgemein und besonders des in den christlichen Kirchen verkündeten Glaubens zu sehen, das war bereits schon in der Zeit vor dem Studium mein Interesse: Ich möchte klären, was gemeint ist mit den Vorstellungen des Glaubens, deren Grundmaterialien vor Jahrtausenden geformt wurden - mit deren Über-Setzung für uns Heutige man es sich keinesfalls zu leicht machen darf und denen gegenüber auch Menschen von heute nicht zu leicht fertig sein sollten.

12 Kommentare

  1. Prima!

    Schöner Beitrag, wahre wahre Worte.

    Ob man die Bibel für solche Erkenntnisse braucht oder nicht, lasse ich mal dahingestellt – den die bietet leider teilweise auch viele z) einfache Antworten.

    Aber sie scheint einen auch nicht zu hindern, zu mehr kommen zu können – egal ob mit oder ohne Gott.

  2. Not und Leid sind eben auch häufig Folge von Zufällen. Eine rein deterministische Welt wäre langweilig, irgendwie sinnlos, es gäbe keine Evolution. Nicht umsonst haben das Glücksspiel und die Sportarten mit Zufallskomponenten unter Menschen einen so hohen Stellenwert. Kein vernünftiger Schöpfer eines System, das der Unterhaltung dient, wird auf den Zufall verzichten.

  3. Quellen der Erkenntnis @Sascha B.

    Na, Sascha Bohnenkamp, ist ja schon interessant, wen wir loben und von wem wir gelobt werden. Aber auch so: danke!
    Ja, man hat schon aus den vielen einfachen Antworten der Bibel sich ein zu einfaches Ergebnis gebastelt. Worauf ich hinaus wollte: Man sollte nicht bei einer Antwort stehen bleiben.
    Spannend (aber auch nicht auf einen einfachen Nenner zu bringen) finde ich immer wieder die Szene in Joh 9: Man möchte doch eine Schuld finden, um Leiden richtig einordnen zu können. Da nützt der Einspruch Jesu relativ wenig – ein Zwang zur moralisierenden Selbstverurteilung Betroffener scheint stärker: Womit habe ich es verdient? Ich habe es gewiss verdient… . Und natürlich auch (parallel und doch nochmals anders: Luk 13,1 ff) die Fremdverurteilung: Die haben es verdient.
    Dass dieser Zwang stärker ist, zeigte sich mir oft, wenn selbst plausible Gründe etwa für eine Berufskrankheit von Betroffenen ausgeblendet werden und nur auf individuelle Schuld fokussiert wird.
    Ist aber bei allen Arten von psychosomatischen Krankheiten auch sinnvoll, nach verkorkstem Verhalten zu fragen und nicht nur objektive Gründe (sind meine Gene) anzuführen, also Eigenverantwortung – insofern auch „Schuld“. Zu Erkenntnissen in dieser Richtung hat religiöse Praxis durch Jahrtausende schon einiges dazu beigetragen, natürlich nicht nur positiv.
    Ja, ob man dazu die Bibel braucht? BRAUCHEN sicher nicht; aber auch da gibt’s Erkenntnisse, Wegzeiger, Impulse… – in einem Mischungsverhältnis, aus dem man sich ganz ordentliches Schwarzbrot für den täglichen Bedarf backen kann. Geht natürlich auch anders, kommt immer auf die Mischungsverhältnisse an (und die Nebenwirkungen… ).
    “Ob mit oder ohne Gott: da lernte ich – womöglich auch in so früher Zeit wie das mit Heine – einen interessanten Gesichtspunkt bei S. Freud, vermutlich aus einem Taschenbuch über die „Freudschen Fehlleistungen“: Wenn ein Römer morgens beim Überschreiten der Türschwelle stolperte, ahnte er: Die Götter wollen mich von diesem Weg abhalten. Na, wenn man sich’s genau überlegt: so dumm ist das gar nicht. Es wäre dumm, diesen Wink der Götter zu ignorieren.
    Und wenn ich mich zu oft vertippe, dann höre ich jetzt lieber auf. Und schreibe doch noch was, zu adenosine.

  4. Zufall und Gerechtigkeit @adenosine

    Zufall ist ja schon recht, wäre sonst wirklich langweilig; das Problem fängt damit an, dass dem einen so wenig und dem andern so viel zufällt – wir lieben es eben auch, wenn’s irgendwie annähernd gerecht zugeht. Danach sieht’s in unsrer Welt nicht aus. Und daran haben sich die biblischen Erzähler, Dichter, Propheten… abgemüht.
    Wichtig wurde im Verlauf der Diskussion die Umkehrung der Blickrichtung: Wenn nicht (nicht mehr gegenüber Gen 1) „alles gut“ ist, dann muss doch Gottes Gerechtigkeit werden: heilsame Unzufriedenheit.
    Und zugespitzt – in den beiden gegenüber Sascha B. erwähnten Erzählungen (Joh. 9 und Luk 13) – die Haltung von Jesus: Fragt nicht so sehr nach den (göttlichen) Ursachen (lenkt nicht von eurer eigenen Verantwortung ab), jetzt wirken wir am Ziel. In dieser Umkehrung der Blickrichtung – da wird’s für (christliche) Theologen interessant.

  5. @ adenosine: der “Determinismus” ist doch sowieso nur ein Denkmodell

    Wir wissen von “der Welt” doch gar nicht, ob sie deterministisch ist. Die Tatsache, dass wir sie erst erforschen müssen, weist darauf hin, dass wir über Wahrnehmungen hinaus nichts von ihr wissen, auch nicht, ob sie (durchgehend, also im Ganzen) deterministisch ist. Dass sie so sein könnte, stellen wir uns lediglich vor. Der Laplace’ Dämon ist ein Phantasieprodukt.

    Die Doktrin oder Ideoloie des Determinismus beruht die auf dem deduktiv-nomologischen Erklärungsmodell , das aus methodischen Gründen als einziges in den Naturwissenschaften zur Anwendung kommt. Aus der Tatsache, dass sich in diesen Wissenschaften kein anderes kausales Erklärungmodell anwenden lässt, folgt nicht einmal logisch, dass sich deswegen alles in der Welt kausal bzw. deterministisch erklären ließe. Vielmehr muss in jedem Einzelfall empirisch erst nachgewiesen, was sich denn und wie kausal erklären lässt. (Alles andere wird nicht kausal erklärt, sondern schlicht beschrieben zB. in Verlaufs- oder Sukzessionsgesetzen und Zustands- oder Koexistenzgesetzen wie Symmetriegesetzten, Verhältnisangaben, Erhaltungssätzen u.dgl.)

  6. Camus und das Absurde

    Die “Pest” von Camus hat mich ebenfalls sehr beeindruckt. Und auch sein “Mythos vom Sisyphos” beschäftigt sich mit Fragen nach dem Sinn des Lebens. Ein Gläubiger kann sich natürlich fragen, wie Gott zum Leid steht. Aber was fragt jemand, der nicht an einen Gott glaubt? Ich weiß nicht, ob Sie das Buch “Der Fremde” von Albert Camus kennen, denn da wird deutlich, dass, wenn man nicht an einen Gott glaubt (oder vielleicht auch, wenn man glaubt?), die Welt absurd erscheint, weil man für ihre Widersprüche keine Erklärung findet.

    Es gibt natürlich eine Reihe ganz unterschiedlicher Interpretationen des Buches. Ich frage mich aber, ob uns Meursault, der Protagonist des Buches, vermitteln soll, dass die Gewissheit der eigenen Existenz die einzige Erkenntnis ist, wenn man sich des Absurden um sich herum bewusst wird und man dadurch innerlich frei wird. Oder verkörpert er (der Fremde) das Absurde selbst.

    Camus selbst sagt dazu: “Ich bin auch so weit gegangen zu sagen – und auch dies klingt paradox -, dass ich in Meursault den einzigen Christus darzustellen versuchte, den wir verdienen.”

    Siehe hier: http://literatur-community.de/…camus-der-fremde/

    Aber ob mit oder ohne Gott, den Ausspruch des Arztes in Camus Buch „Wir arbeiten miteinander für etwas, das uns jenseits von Lästerung und Gebet vereint. Das allein ist wichtig.“, kann ich nur unterstreichen. Ob man etwas lieben kann, was man nicht begreift, weiß ich nicht. Ich stehe dem eher neutral gegenüber, aber das unterscheidet einen Agnostiker wohl auch von einem Gläubigen.

  7. Zufall ff @adenosine @IW Kittel

    Aus dem philosophischen Streit um Zufall und Notwendigkeit möchte ich mich heraushalten. Im Prinzip dazu IW Kittel Recht geben: man muss bei Erklärungen auch die methodischen Beschränkungen von Erklärungsmodellen beachten. Aber Sie, adenosine, wollen ja auch keinen Determinismus. Ich finde es manchmal lustig – oder schon nicht mehr lustig – wie flugs irgendwelche Untersuchungsergebnisse für bestimmte Weltbilder vereinnahmt werden – oft gegen die Intention derer, die Untersuchungsergebnisse vorstellten (Libet).

    Theologisch möchte ich natürlich daran festhalten:
    Die Formulierungen wie „Kein vernünftiger Schöpfer wird…“ begegnen zwar in der (Bild-)Sprache des Glaubens, aber man sollte dahinter sehen, sie jedenfalls nicht als Ausgangspunkt des Denkens nehmen. Nicht die psychische Struktur eines Schöpfer untersuchen (ihn nicht auf die Couch legen wollen), sondern sehen, welche psychischen Strukturen des Menschen zu solchen Aussagen über „die Welt“ führen, wie sie denn geordnet oder chaotisch sei. Und das nicht nur individual-psychologisch, sondern es dürfte es plausible anthropologische Gründe geben, wie solche Aussagen sich in ein Gottesbild einzeichnen. (Und wiederum können solche Überlegungen über die Entstehung von Gottes-Bildern keine abschließende Ontologie Gottes sein).

  8. Im Absurden lieben @Mona

    Ob ich Camus verstehe, weiß ich nicht. Den „Fremden“ habe ich wohl mal vor Jahrzehnten gelesen und nicht verstanden. Die verlinkte Besprechung ist ja auch kompliziert genug.
    In der „Pest“ versuche ich diese Szene vorsichtig in folgender Richtung zu verstehen: Beide reden zuerst innerhalb, aber am Rand, ihrer Ideologie: der Pater spricht vom Unbegreiflichen – von der Unergründlichkeit Gottes? – aber denn doch nicht mit dem Etikett „Gott“. Der Arzt weigert sich, „die Schöpfung zu lieben, in der Kinder gemartert werden“. Er weigert sich, dieses Leiden innerhalb des Denkschemas „Schöpfung“ zu lieben. Da springt ein Funke über, mit der vielleicht am schwersten zu erklärenden Bemerkung des Paters (die ich unterschlug): „eben habe ich erkannt, was Gnade heißt“. Hat er erkannt, dass der Arzt sich doch wohl aus Liebe weigert, diese Schöpfung zu lieben?
    Nachher benützen sie nicht mehr das Wort „Liebe“, das tausendmal verkitschte, sondern „wir arbeiten miteinander für etwas…“.
    Verkürzt würde ich am liebsten sagen (und das könnte Sisyphus entsprechen, den ich auch nicht mehr so richtig kenne): Im Absurden Liebe bewähren, und – ja, da wird’s glaubend – es ist dann nicht mehr so absurd. Und das entspricht in etwa Drewermann, der (nach einem Klappentext) Gott als Chiffre versteht – dafür, dass wir in einer an und für sich nicht sehr menschengerechten Welt doch „Menschlichkeit bewahren und bewähren“.

  9. Gott als Chiffre @H.Aichele

    Drewermann hat ja mehr einen tiefenpsychologischen Ansatz. Aber Galileo Galilei glaubte, dass das Buch der Natur in mathematischen Zeichen geschrieben sei: “Die Philosophie ist geschrieben in jenem großen Buche, das immer vor unseren Augen liegt; aber wir können es nicht verstehen, wenn wir nicht zuerst die Sprache und die Zeichen lernen, in denen es geschrieben ist. Diese Sprache ist Mathematik, und die Zeichen sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne die es dem Menschen unmöglich ist, ein einziges Wort davon zu verstehen; ohne diese irrt man in einem dunklen Labyrinth herum.”

    Ist es die Chiffre der Natur die entschlüsselt werden muss? Ist Gott in unserem Innersten zu finden oder ist er ein Gegenüber, wie Drewermann vermutet? Mit seinen zahlreichen Analogien zwischen den Glaubensvorstellungen der verschiedenen Religionen und indem er die archetypischen Wurzeln der Religionen herausarbeitet, nähert es sich sicherlich einem allgemeinen und besseren Verständnis von Religion an. Er sagt: “Wer Gott findet, wer ein Gegenüber hat, dem er absolut vertrauen kann, und damit aufhört, irgendetwas auf der Welt sonst noch zu „fürchten“, der reift wie ein blühender Baum, und die Schönheit seines Wachsens und die Fülle seiner Früchte sind das, was wir weise nennen.” Trotzdem widerspricht seine Anschauung in vielen Dingen der christlichen Religion. Wurde ihm nicht die Lehrerlaubnis entzogen, weil er Zweifel an der Jungfrauengeburt Jesu durch seine Mutter Maria äußerte?

    Aber wie dem auch sei, wenn man Gott als Chiffre versteht, welche wir nicht begreifen, dann bleibt uns nur die Menschlichkeit, da sind wir uns einig. Auch Buddha konnte die Frage nach Gott nicht beantworten, ihm blieb daher nur der Weg an die Einsicht der Menschen zu appellieren um sie vom Leid zu befreien.

  10. Gott als “Chiffre” – bes. bei Drewermann

    Danke, @Mona, für Ihre Gedanken.
    Bei der Theologie/Philosophie Galileis kenne ich mich kaum aus. Interessanter Nebengedanke dazu: Anscheinend war er eher wegen dieser im Clinch mit Teilen (!) der katholischen Hierarchie als wegen seiner naturwissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Kalenderreform 1582, war ja vor dem Galilei-Prozess, sei anscheinend relativ vorurteilslos mit heliozentrischen Tabellen berechnet worden. Bei Bedarf suche ich es heraus.
    Grundsätzlich würde ich nicht sagen: die Natur in mathematischen Zeichen geschrieben. Sondern: mathematische Zeichen bilden die Sprache, in der wir Menschen die Natur wissenschaftlich verstehen können. Es gibt auch andere Verstehensweisen, ästhetische, künstlerische, religiöse…
    Zu Drewermann:
    Ihm geht es, wie jedenfalls ich ihn verstehe, beim Thema „Gott“ nicht um die “ Chiffre der Natur die entschlüsselt werden muss“. Sondern Gott als Chiffre, als Symbolsprache, durch die der Mensch sein eigenes Verhältnis zu sich, zu seinem Umfeld, zur Welt zu verstehen versuchen kann. Insofern etwas Innerpsychisches, aber (wenn ich Drewermann recht verstehe) nicht was Individualistisches. Und: eben auch Ausdruck des Gegenüber zur „Welt“, aber nicht im Sinn eines objektiven Gegenüber, einer eigenen Entität, der man dann alle möglichen (psychischen) Eigenschaften zuschreiben kann, sondern eben ein Relationsbegriff. (Ich vergleiche das mit Relationsbegriffen wie „Zukunft“, „Erfahrung“, „Schönheit“, „Gerechtigkeit“… – die „existieren“ ja auch nicht so einfach)

    Ja, und ich würde natürlich nicht sagen, dass Drewermanns Anschauungen „der christlichen Religion“ widersprechen. Denn die Deutungshoheit darüber muss man ja nicht gerade gewissen Kirchen-Hierarchien überlassen. Auch an der „christlichen Religion“ sind mit das Wertvollste – die Dissidenten. Die verstehen manches besser als die in ihren Machtstrukturen Verfangenen.
    Wegen der Jungfrauengeburt – ich schrieb ja auch mal was dazu -: Wer sie symbolisch versteht, der versteht sie tiefer als die, die daraus biologische Aussagen machen. (Das macht man ja bei Platos Geburt aus der Jungfrau auch nicht; oder bei Pythagoras, Simon Magus, übrigens auch Buddha).
    Er versteht Bedeutungsbezüge (u.U. auch politische), kann sie mit religiösen Urbildern/Archetypen verbinden und dadurch wichtige Erkenntnisse über sein Verhältnis zu sich und zur Welt gewinnen – womit wir wieder bei der „Chiffre Gott“ wären.
    Na, und das fällt mir noch auf: „Chiffre, welche wir nicht begreifen“. Da möchte ich widersprechen und sagen: Chiffre, um zu begreifen, von innen heraus Leben zu ergreifen und zu gestalten.
    So viel mal für heute; und ich muss mich jetzt wohl mal mit den Opfern einer gewissen Kreuzestheologie beschäftigen.

  11. @ Herrn Aichele

    Wie mir scheint, ist es ohne etliche große persönliche Katastrophen schwer, HINzuhören. Zu verstehen.
    Erst wenn man mehrfach unten und dann ganz unten ist, ist es offensichtlich einigen möglich, es sich unbewußt zu erarbeiten, um zu erkennen.
    Selbst wenn es ausreichend Gelegenheiten, Möglichkeiten (Rufe?) gab.

    Erst in großem Leid findet der Mensch Ruhe und zu sich selbst.
    Im Alltag ist das heute kaum mehr möglich, und wenn, dann nur für sehr kurze Zeit.
    Zu sich selbst zu finden und sich zu erkennen scheint aber der wichtige Beginn des Prozesses zu sein.
    Wenn wir uns erkannt haben, schließt sich ein Verlangen danach an, die Welt zu erkennen (im wissenschaftlichen Sinne), mit vielen Wenn und Aber, ein permanenter Zwiespalt, bis eine Ahnung auftaucht, ein Hinterherhechten beginnt, es sich immer weiter von allen verschiedenen Seiten (Wissenschaftszweigen) auf einen Punkt zu verdichtet, und dieses aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse in ein Erkennen mündet.

    Ich denke, schon der tiefe Glaube kann einem das Leid erleichtern, so den Menschen der großen Naturkatastrophen und Unglücke, das Erkennen aber läßt das Leid nicht mehr durchdringen.

  12. theodizee als lernprozeß

    Die Theodizeefrage ist Ausdruck einer Kommunikationsblockade zwischen Mensch und Gott.
    Ein grundlegendes Mißtrauen des Menschen Gott gegenüber kann entstehen, wenn sich katastrophale Zustände im gesellschaftlichen Miteinander über Jahrzehnte hinweg nicht bessern, auch wenn es schon lange möglich war, die bekannten Ursachen zu beseitigen. Der allmächtige, allgegenwärtige und allwissende Gott könnte all diese Probleme sofort lösen.
    Die dieser Bestrebung des in jeder Hinsicht liebenden Gottes widersprechende Willensfreiheit des Menschen, die an dieser Stelle immer wieder genannt wird, ist kein Gegenargument, weil glückliche RealLife-Spielfiguren/IRL-SIMS/First=Secondlife-Avatare Gottes sich wohl fühlen und es sehr viele Vorteile hat,
    von Gott 100% ferngesteuert zu werden. Nur will Gott uns nicht fernsteuern, wir sollen selber lernen, können uns dabei jedoch von ihm/ihr leiten lassen.
    Leider hat sich Gott, die oberste Rechnerarchitektin, SchöpferIn aller Welten und Wesen, bisher immer noch geweigert, die im folgenden aufgelisteten Probleme in Gänze zu lösen:
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    Menschenhandel
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    http://sensiblochamaeleon.blogspot.com/…man.html

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    Tierquälerei
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    http://sensiblochamaeleon.wordpress.com/…lissen/

    http://sensiblochamaeleon.wordpress.com/…handel/

    http://sensiblochamaeleon.wordpress.com/…kittel/

    http://sensiblochamaeleon.blogspot.com/…-im.html

    _________
    Krankheiten
    _________
    http://sensiblochamaeleon.wordpress.com/…heiten/

    ___________________
    Raubbau an den Wäldern
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    http://sensiblochamaeleon.wordpress.com/…aldern/

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    zerstörerische Überproduktion
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    http://sensiblochamaeleon.wordpress.com/…uktion/

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    Ungerechtigkeit und Logistikfehler in der Verteilung der Nahrung
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    http://www.tristramstuart.co.uk/
    http://www.tastethewaste.com/
    http://www.we-feed-the-world.at

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    Naturkatastrophen
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    http://sensiblochamaeleon.wordpress.com/…-sagen/

    Der allmächtige, allgegenwärtige und allwissende Gott könnte all diese Probleme sofort lösen, tut das von seiner ewigen, Raum und Zeit transzendierenden Sphäre aus aber nicht immer sofort oder anders als von Menschen erwünscht und antwortet den Gebeten des enttäuschten Menschen nicht immer direkt, nichtsprachlich oder auf seine eigene Weise.
    Das führt gepaart mit wirtschaftlicher Not, krankmachenden Verhältnissen, Hektik, Streß, beschränktem Denken, mangelnder Kreativität,Reizüberflutung, Frust,Überforderung,Wut, Traumata, Verwirrung, unreflektierter Kritik und eingefahrenem Verhalten leider zu oft zu einem Vertrauensbruch, nährt die Theodizeefrage und fördert atheistische, rein auf das Diesseits und das Vergängliche, Sichtbare, rational Erfaßbare ausgerichtete Weltbilder. Eine depressive Wahrnehmung mit Schwerpunkt auf belastenden Mißverhältnissen kann entstehen und einem das Staunen über die vielen Wunder, die Freude an dieser genialen Schöpfung und das Geschenk des Lebens vermiesen.

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