Meteoritenhoax auf Spiegel Online

BLOG: Himmelslichter

ein Blog über alles, was am Himmel passiert
Himmelslichter

Sollte man über den deutschen Qualitätsjournalismus überhaupt noch lästern? Einerseits ist es müßig, außerdem pietätlos – de mortuis nihil nisi bene. Andererseits durften wir gerade letzte Woche wieder ein leuchtendes Beispiel knallhart recherchierter journalistischer Wertarbeit bewundern. Nicht nur, aber vor allem vom Nachrichtenflagschiff des deutschsprachigen Internets: Spiegel Online.

Schauen wir uns dazu doch erst mal dieses Video aus dem Youtube-Kanal eben dieser Seite an. Ich empfehle, das erst mal ohne Ton zu tun, und am besten auch die Überschrift zu ignorieren: Nachtrag: Das Video ist auf Spiegel Online nicht mehr verfügbar (siehe Kommentare). Auf Youtube findet man es aber noch.

Ohne Kommentar angeschaut, wird der ein oder andere meiner Leser sich sicher gefragt haben, was denn so besonderes war an diesen Kondensstreifen. Sie waren ja ganz nett von der tief stehenden Sonne angeleuchtet, aber so was sieht man ja alle paar Tage mal.

Meteoritenregen Kondensstreifen über Rheda-Wiedenbrück. Verletzt wurde niemand, berichtet auch nicht. (Jkl-foto, via Wikimedia Commons)

Schauen wir uns dazu das Filmchen nun noch einmal mit Ton an!

Da hat wohl jemand in Peru einen Kondensstreifen für einen Meteor (nicht Meteorit) gehalten. Man ersetze „Peru“ durch „China“ und „Kondensstreifen“ durch „Sack Reis“, und erhalte ungefähr den Nachrichtenwert dieser Meldung. Ist nicht das erste Mal, dass so etwas vorkommt, und wer will es einem Laien verdenken, dass er sich mal irrt. Kennt man sich ein wenig aus, dann sieht man gleich, dass das kein Meteor sein kann: das Ding ist schlicht viel zu langsam. Eine Reihe "schöner" Kondenstreifen findet man in Videos wie diesem hier:

Journalisten sind auch Laien, meistens jedenfalls. Was die Astronomie in weitestem Sinne angeht, fast immer. An sich auch nicht schlimm, denn ihr Handwerkszeug  (Stichwort: Quellenrecherche) sollte es ihnen gestatten, die Echtheit und Relevanz einer Nachricht abzuklopfen. Das ist eigentlich sogar ihre Aufgabe. Meist helfen auch schon ein bisschen gesunder Menschenverstand und ein funktionierendes Paar Augen im Kopf. Man muss alles aber auch benutzen. Zur Not muss man mal fragen.

Doch das scheint hier wie so oft alles nicht passiert zu sein. Vermutlich weil es die respektable Nachrichtenagentur Reuters war, die sich der Verbreitung dieser Hoaxmeldung in Deutschland angenommen hat, wurde das Video auch von andere Qualitätsmedien übernommen, so etwa von der Süddeutsche Zeitung, der F. A. Z., Focus Online, Welt Online und natürlich auch von Bild.de. Keiner der Genannten hat sich aber die Mühe gemacht, den eigentlichen Urheber des Videos herauszufinden oder auch nur zu nennen. Der Name "Reuters" machte das wohl überflüssig. Außerdem wurde der Quark ja schon in den englischsprachigen Medien durchgerührt, da kann man nicht abseits stehen!

Im Gegensatz zu Spiegel Online haben sich SZ, F. A. Z., Welt, Focus und Bild nicht mal an einer redaktionellen Überarbeitung versucht. War wohl auch besser so. Im Original-Reuters-Material ist immerhin von einem „mutmaßlichen“ Meteoritenabsturz die Rede. „Mutmaßlich“ – das ist wohl Journalistendeutsch und bedeutet übersetzt: „keine Ahnung was das ist, wir gehen mal von der unwahrscheinlichten aber spektakulärsten Erklärung aus“. Mutmaßlich ist keiner der genannten Akteure von Reuters bis Bild auf die Idee gekommen, jemanden zu fragen der sich mit Meteoritenabstürzen auskennt.

Spiegel Online jedenfalls mutmaßt nicht – Spiegel Online weiß. Und schafft das Kunststück, aus einem 27-Sekunden-Hoax-Video eine 57-Sekunden-Version zu stricken, in der aus einer bestenfalls ahnungslosen Aussage eine falsche wird: "Es handelt sich offenbar um einen abstürzenden Meteoriten" – nein, das tut es nicht. "Offenbar" ist auch Journalistendeutsch und bedeutet: "Wir haben auch keine Ahnung, aber wäre es nicht ganz toll, wenn es so wäre?" Garniert wird das Ganze mit ein paar Happen nutzloser Information. So wissen wir jetzt immerhin, dass Cuzco in Peru liegt und mal die Hauptstadt der Inkas war. Ein entscheidender Hinweis in diesem Zusammenhang.

Aber Spiegel Online leistet noch mehr und stellt Fragen: Wie groß war er denn, der Meteorit? Und wo ist er runtergesummst? Vermutlich werden wir das nie erfahren, heißt es auf Spiegel Online. Dafür habe ich ein paar Insiderinformationen, exklusiv für Sie, liebe Leser der Kosmologs! Es ist mir nämlich in nächtelanger Recherche gelungen, ein hochauflösendes Bild des Meteoriten aufzutreiben. Und das beste: er wurde schon einmal gesehen, und dabei von der US Air Force verfolgt und fotografiert:

Dieser Meteorit trägt die Bezeichnung C-141B Starlifter. Der nun über Peru angestürzte sah "mutmaßlich" ganz ähnlich aus. (USAF, via Wikimedia Commons)

Das mysteriöse Objekt aus dem All war demnach höchstwahrscheinlich zwischen 35 und 70 Meter lang und hatte eine Spannweite zwischen 30 und 40 Metern. Es ist auf irgendeinem Flughafen aufgeschlagen und dort noch ein Stück weiter gerollt. Gerüchten zufolge sollen in den darauf folgenden Minuten zweibeinige Aliens aus dem unverkohlten Rest des Meteoriten ausgestiegen sein. Nachdem sie mit beunruhigend mürrischen Blicken viel zu lange auf ihr Gepäck warten mussten, haben sie sich in alle Himmelsrichtungen verstreut. Sie sind unter uns!

Das bleibt jetzt aber vertraulich! Denn wenn die bei Spiegel Online das rauskriegen – was glauben Sie, was dann los ist!

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Mit dem Astronomievirus infiziert wurde ich Mitte der achtziger Jahre, als ich als 8-Jähriger die Illustrationen der Planeten auf den ersten Seiten eines Weltatlas stundenlang betrachtete. Spätestens 1986, als ich den Kometen Halley im Teleskop der Sternwarte Aachen sah (nicht mehr als ein diffuses Fleckchen, aber immerhin) war es um mich geschehen. Es folgte der klassische Weg eines Amateurastronomen: immer größere Teleskope, Experimente in der Astrofotografie (zuerst analog, dann digital) und später Reisen in alle Welt zu Sonnenfinsternissen, Meteorschauern oder Kometen. Visuelle Beobachtung, Fotografie, Videoastronomie oder Teleskopselbstbau – das sind Themen die mich beschäftigten und weiter beschäftigen. Aber auch die Vermittlung von astronomischen Inhalten macht mir großen Spaß. Nach meinem Abitur nahm ich ein Physikstudium auf, das ich mit einer Diplomarbeit über ein Weltraumexperiment zur Messung der kosmischen Strahlung abschloss. Trotz aller Theorie und Technik ist es nach wie vor das Erlebnis einer perfekten Nacht unter dem Sternenhimmel, das für mich die Faszination an der Astronomie ausmacht. Die Abgeschiedenheit in der Natur, die Geräusche und Gerüche, die Kälte, die durch Nichts vergleichbare Schönheit des Kosmos, dessen Teil wir sind – eigentlich braucht man für das alles kein Teleskop und keine Kamera. Eines meiner ersten Bücher war „Die Sterne“ von Heinz Haber. Das erste Kapitel hieß „Lichter am Himmel“ – daher angelehnt ist der Name meines Blogs. Hier möchte ich erzählen, was mich astronomisch umtreibt, eigene Projekte und Reisen vorstellen, über Themen schreiben, die ich wichtig finde. Die „Himmelslichter“ sind aber nicht immer extraterrestrischen Ursprungs, auch in unserer Erdatmosphäre entstehen interessante Phänomene. Mein Blog beschäftigt sich auch mit ihnen – eben mit „allem, was am Himmel passiert“. jan [punkt] hattenbach [ät] gmx [Punkt] de Alle eigenen Texte und Bilder, die in diesem Blog veröffentlicht werden, unterliegen der CreativeCommons-Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

19 Kommentare

  1. Danke!

    Infolge einer Jornalistenanfrage (allerdings nicht von Spiegel Online, denn wie du richtig schreibst, SPON fragt nicht, SPON weiß!) machte dieser Film auch bei uns die Runde und sorgte für große Heiterkeit.

    Danke für die unmissverständliceh Klarstellung!

  2. @ Beskow

    Ich habe es mal mit einem iframe probiert, aber der Code wird nicht abgespeichert. Der Editor ist konfiguriert iframes anzunehmen, daran liegt es nicht. Ein anderer Filter wird den Code blocken. Aber welcher kann ich nicht sagen. Da müßte ich suchen und das kann länger dauern.

    Die Video von Spiegel kann man sich eh nicht auf dieser Seite anschauen. Das geht nur bei youtube, weil ein Abspielen auf anderen Seiten unterdrückt wird.

  3. Dacht ich mir doch

    Als ich das Video auf SPON gesehen habe (bin nur interessierter Laie), dachte ich mir sofort “das ist aber langsam”. Und warum sollten zwei Bruchstücke so nah nebeneinander durch die Atmosphäre düsen?
    Auf die Idee, dass es sich um Kondensstreifen handelt, bin ich allerdings nicht gekommen 😉

  4. Nun ist es weg …

    Sorry, dass das Video nun weg ist. 🙂

    SPON wurde auf den Fehler hingewiesen und hat absolut sachlich und schnell reagiert. Im Gegensatz zu Springer/Welt – dort möchte man, dass man beweist, dass es ein Flieger ist. Und beim Focus-Online werden Kommentare zensiert.

  5. @A380:
    Die oben verlinkte YouTube-Kopie im SpOn-Kanal ist noch da… 😉

    Sonst wäre der nächste Spektakuläre Schnellschuss vorprogrammiert: “Warum nimmt SpOn ein Video vom Server? War es vielleicht doch ein Raumschiff?”

  6. Genau! 🙂

    Wenn SPON jetzt versucht, die Sache aus dem Netz verschwinden zu lassen, werden das einige Verschwörungstheoretiker propmpt für einen Beweis für UFOs oder mindestens Chemtrails halten… Besser wäre es, SPON hätte den Mut zu einer Klarstellung und Verlinkung hierher. DAS würde journalistische Größe zeigen! *Hoff*

  7. @ Blume

    SPON ist in der Hinsicht eigentlich korrekt. Wenn die einen Fehler gemacht haben, korrigieren sie ihn und weisen am Ende des Artikels darauf hin. Fand ich bisher immer ganz gut.

  8. Humor hilft

    ich lach mich wech hier vor meinem Rechner. Weiter so.

    Da ich mich selber seit Monaten mit Irrtümern von wem-auch-immer (Fachleuten wie Privatpersonen) beschäftige, finde ich Ihr Beispiel jornalistischer “Wahrheitssuche” sehr erheiternd. Des deckt sich mit meiner Erfahrung

  9. Und es passiert immer wieder und wieder

    Das Aergerlichste ist, dass die Verwechslung von roetlich beleuchteten Kondensstreifen mit gewaltigen Meteoren wieder und wieder passiert und offenbar keiner dazu lernt. Hier ein ‘Klassiker’ von 2003: http://www.astro.uni-bonn.de/…/news/760.html#753 – damals blamierten sich sogar einige Profiastronomen kraeftig …

  10. Deutscher Qualitätsjournalismus

    Mir ist nicht bekannt, dass früher weniger Müll in den Medien zu lesen, hören und sehen war als heute.

    Man kann auch nicht sagen, dass der Qualitätsjournalismus in Deutschland nicht existent sei. Ich nenne nur mal einige Beispiele von Journalisten, die Qualifikation und Engagement ihre Arbeit machen und sich damit deutlich von der breiten Masse abheben: Dr. Günter Paul von der FAZ und Dirk Wagner vom hessischen Rundfunk.

    Auch die Journalisten, die zumindest mal nachgefragt haben, ob das wirklich Meteore sein können, sollte man positiv sehen. Man kann nicht alles wissen, und wenn man etwas nicht weiß, ist es keine Schande, wenn man einen fragt, der einem weiter helfen kann.

  11. @ Khan

    Finde ich gut, daß Du hier für den Qualitätsjournalismus in die Bresche springst. Nicht nur beim Journalismus auch bei anderen Dingen geht es mir so. Ich finde das manchmal etwas zu einfach. Da wird zu wenig differenziert und pauschal werden alle möglichen Gruppen kollektiv “öffentlich hingerichtet”. Und die Leute, die da die Ausnahme sind? Wie geht es denen dabei? Das ist nicht fair. Es sollten nur die was auf den Deckel bekommen, die es auch verdient haben. Aber dabei sollte auch bedacht werden, daß wir alle Fehler machen.

  12. @Huhn, Khan

    Ich habe mir die Freiheit genommen, in diesem (satirischen) Text zu überspitzen und zu verallgemeinern. Dass nicht alle Vertreter dieses Berufszweiges schlechte Arbeit machen, versteht sich von selbst.

    Aaaber: Wenn diese Leute “die Ausnahme” sind, dann läuft etwas gewaltig schief. Das einige Journalisten tatsächlich nachgefragt haben, ändert nichts daran, dass viele es eben nicht taten. Von Einzelfällen kann im hier beschriebenen Fall nun wirklich keine Rede sein. Nahezu die gesamte Riege der vorgeblichen Qualitätsmedien haben den gleichen Mist wiedergekäut – und in vielen Fällen steht das Video auch heute noch unkommentiert online (s.o.).

    Wenn ich mir selbst in Leitmedien wie den genannten (außer Bild selbstredend) nicht mehr halbwegs sicher sein kann, dass das dort Geschriebene und Gesagte einigermaßen mit der Wirklichkeit kompatibel ist (und dabei meine ich nicht nur den Bereich Naturwissenschaften) dann ist der “Qualitätsjournalismus” für mich gestorben. Dumm für die wenigen “guten” Vertreter dieses Fachs. Vielleicht sollten die sich beizeiten mal mit ihren Kollegen unterhalten, die für sein Ableben verantwortlich zeichnen!

  13. @ Hattenbach

    Ja, Jan, ist schon ok. Von Dir weiß ich, daß Du differenzierst und nicht alle ganz billig über einen Kamm scherst. Da gibt es ganz andere.

  14. @Jan

    Die Frage, die ich stellte, ist doch nicht, ob in den Medien viel Müll publiziert wird. Ich fragte, ob das denn jemals anders war? Einige publizieren Blödsinn, die meisten anderen schreiben den Blödsinn einfach ungeprüft ab und einige wenige denken nach oder wissen Bescheid.

    So war das schon immer, und mit dem Aufkommen der Blogs ist das auch nicht wesentlich anders, nur dass jetzt zumindest die Wenigen, die Ahnung haben, aber keine Journalisten sind, sich trotzdem Gehör verschaffen können. Dafür krähen jetzt aber auch die Fefes dieser Welt lautstark ihre Meinung heraus und tragen kräftig Entropie bei: die Leute die meinen, sofort alles ganz genau durchschaut zu haben, auch wenn sie eben gerade zum ersten Mal von einer Sache gehört haben.

    Dass sich an der Qualität der Berichterstattung in der Presse gegenüber früher eine dramatische Verschlechterung bemerkbar macht, kann ich nicht registrieren.

  15. @Khan: Früher genauso?

    Dass auch vor Zeiten des Internets viel Unsinn publiziert wurde – geschenkt. Damals haT man es nur weniger mitbekommen, weil diejenigen, die sich Gehör verschaffen wollten, nur den Leserbrief zur Verfügung hatten. Da konnte man froh sein, wenn der dann abgedruckt wurde.

    Ich verfolge “die Medien” vielleicht noch nicht so lange und nicht so intensiv, aber ich habe schon den Eindruck, dass gerade durch das Internet die Gesamtmenge des publizierten Mülls zugenommen hat. Eine Online-Newsseite muss mehrfach täglich geupdated werden, der Publikationsdruck ist enorm (jedenfalls scheint diese Meinung in den Redaktionen vorzuherrschen). Da wird schonmal eine Blödsinnsmeldung angenommen, die früher keine Chance hatte, oder nach eingehender Recherche rausgeflogen wäre. Das ist wie gesagt mein Eindruck, ohne dass ich dafür Zahlen und Belege hätte.

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