Galilei und der Planet Neptun – Teil 4

BLOG: Himmelslichter

ein Blog über alles, was am Himmel passiert
Himmelslichter

Galileo Galilei hat im Winter 1612/13 den Planeten Neptun beobachtet und seine Position zeichnerisch festgehalten, zweimal am 28. Dezember 1612 und einmal am 28. Januar 1613. Bei dieser letzten Beobachtung bemerkte er zudem eine Eigenbewegung, verfolgte diese Spur jedoch seltsamerweise nicht weiter. Dass er während der Zeit der engsten Begegnung zwischen Jupiter und Neptun letzteren kein einziges Mal in seinem Beobachtungsbuch vermerkte, lässt sich wohl nur dadurch erklären, dass der ferne Planet immer dann, wenn Galilei sein Fernrohr auf die Himmelskörper richtete, ungünstig nahe bei Jupiter oder einer seiner Monde stand.

Es existiert jedoch eine weitere Beobachtungszeichnung, auf der möglicherweise doch die Position des Neptun angezeigt ist. Sie ist auf den 6. Januar 1612 1613 gegen 06:00 Uhr Ortszeit datiert. Neptun befand sich zu diesem Zeitpunkt, drei Tage nach der Bedeckung durch den Riesenplaneten, wieder rund drei Bogenminuten südwestlich von Jupiter. Von Io, dem zu diesem Zeitpunkt westlichsten Mond im Jupitersystem, trennten ihn 1,6 Bogenminuten. Wie aus dem Vergleich der Abbildungen 13 und 14 hervorgeht ist, könnte eine deutliche Markierung in Galileis Skizze mit viel gutem Willen mit der Position des Neptun übereinstimmen. Die Markierung besteht, wie Kowal und seine Kollegen 1979 herausfanden, tatsächlich aus Tinte, es handelt sich also nicht um einen Schmutzpartikel. Ist dies etwa eine weitere aufgezeichnete Beobachtung des Planeten Neptun durch Galilei?

Abb. 13: Am frühen Morgen des 6. Januar 1613 notierte Galilei abermals die Position des Neptun – oder handelt es sich um die längliche Markierung rechts unterhalb der unteren Zeichnung nur um einen unbeabsichtigten Fleck?

Abb. 14: Die Simulation (05:00 UTC) wurde zeitlich so fixiert, dass die beiden Monde Callisto (dritter von links) und Io (erster rechts neben Jupiter) in etwa gleich weit von Jupiter entfernt sind, entsprechend den Angaben aus Galileis Beobachtungsbuch, der sie mit 4,35 und 4,30 Jupiterradien etwa gleich weit entfernt platziert (vgl. Abbildung 13). Neptun (ganz rechts) befand sich zu diesem Zeitpunkt deutlich weiter westlich, als der Fleck in Galileis Skizze.

Drei Argumente sprechen dagegen. Zum einen unterscheidet sich die Form dieses Tintenflecks deutlich von den übrigen Markierungen, mit denen Galilei Monde und Sterne zeichnete. Sie ist eher lang gezogen und dicker als die Übrigen. Zweitens fehlt die Entfernungsangabe zu Jupiter in Jupiterradien, die Galilei sonst an alle Objekte seiner Zeichnungen notierte. Drittens, und das ist für mich das schlagkräftigste Argument, stimmt die Position des Flecks nicht mit der tatsächlichen Position des Neptun überein, dies zeigt deutlich der Vergleich mit der Simulation. Die beiden der Jupiterscheibe nächstgelegenen Monde, Callisto und Io, befinden sich in Galileis Skizze in beinahe gleichen Abständen östlich und westlich des Jupiter. Dies war etwa gegen 5:00 UTC der Fall, für diesen Zeitpunkt ist die gezeigte Simulation gerechnet. Neptun befindet sich hier ein gutes Stück weiter westlich als der Fleck in Galileis Zeichnung. Weil der Astronom, wie ich im dritten Teil des Artikels erwähnte, bei der Positionierung der Monde in seinen Zeichnungen außerordentlich genau arbeitete, und Neptun sich immer noch relativ nah am Jupitersystem befand (bei weiter entfernten Sternen gab sich Galilei weniger Mühe), glaube ich, dass die Markierung in der Zeichnung vom 6. Januar 1613 ein unbeabsichtigter Fleck ist, und kein reales Objekt darstellen soll.

Interessant ist, dass dieser Fleck, der zweifelsohne von Galileis Feder verursacht wurde, in neueren Auflagen seines Werks fehlt – offenbar hat ihn ein Restaurator für einen Schmutzfleck gehalten und retuschiert. Kowal untersuchte seinerzeit Fotografien der Originaldokumente und fand daher auch den Fleck. Er kommt jedoch zu keinem eindeutigen Schluss über seine Bedeutung.

Bei der Suche nach Quellen zu diesem Thema in der neueren Literatur stieß ich auch auf einen Artikel, der im April 2007 in der leider zwischenzeitlich eingestellten Zeitschrift „Astronomie Heute“ erschienen ist. Dieser beschreibt Galileis Werk und erwähnt auf Seite 40 auch die Neptunsichtungen. Der Autor präsentiert jedoch ausgerechnet die fragwürdige Zeichnung Galileis vom 6. Januar 1613. Im Bildtext heißt es, dass Galilei in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar zweimal einen Fixstern beobachtet habe, bei dem es sich um Neptun handele. Erstaunlich aber ist, dass es sich bei der in der präsentierten Skizze offensichtlich um die retuschierte Version handelt, denn der betreffende Fleck, in Abbildung 13 deutlich sichtbar, ist hier nur als dunkle Verfärbung des Papiers zu erkennen.

Abb. 15: Die in der „Astronomie Heute“ vom April 2007 dargestellte Skizze Galileis zeigt an der Stelle, an der in Abbildung 13 noch ein deutlicher, dunkler Fleck zu erkennen ist, nur einen schwachen Schatten (Pfeil). Offenbar handelt es sich um eine Kopie aus einer jüngeren, retuschierten Veröffentlichung von Galileis Beobachtungsbuch. (aus: Astronomie Heute, April 2007, S. 40)

Es handelt sich um ein schönes Beispiel, zu welchen Verwirrungen die Vielzahl der Versionen von Galileis Werk führt. Denn auch die gezeigte Simulation des Jupitersystems beseitigt die Verwirrung nicht – im Gegenteil. Sie zeigt die Stellung der vier Jupitermonde, ähnlich der Abbildung 14, doch der Teil des Bildausschnitts, der Neptun zeigt, fehlt in der Abbildung. Wurde hier versehentlich ein Jupitermond für Neptun gehalten? Bei dem in der unteren Skizze (Abbildung 15) eingezeichneten Objekt, dass mit der Entfernungsangabe „4.30“ versehen ist, handelt es sich jedoch um den Mond Io, wie in Abbildung 14 klar zu erkennen ist.

Bleibt also festzuhalten, dass es für den Beginn des Januar 1613 keinen eindeutigen Hinweis auf eine Sichtung des Planeten Neptun durch Galilei gibt. Immerhin: Die Sichtungen vom 28. Dezember 1612 und 28. januar 1613 sind über jeden Zweifel erhaben. Galileo Galilei darf also mit Recht als der "Erstbeobachter" des Planeten Neptun gelten!

Damit endet diese (für einen Blog doch etwas längere) Geschichte von Galileo Galileis Neptunsichtungen. Ich habe mich bemüht, die Begebenheiten so umfassend und vollständig wie möglich darzustellen. Bis vor ein paar Wochen hatte ich selbst noch keine Ahnung von dieser Kuriosität der Astronomiegeschichte. Das Stöbern in alten Quellen in und außerhalb des Internet hat mir aber so viel Spaß gemacht, dass ich in Zukunft vielleicht öfter mal einige Anekdoten aus der Geschichte der Astronomie hier aufschreiben werde, wenn es meine Zeit erlaubt!

Dank an Thilo Körkel für die Hilfe bei der Quellensuche im Archivkeller von Spektrum der Wissenschaft!

Galilei und der Planet Neptun – Teil 1

Galilei und der Planet Neptun – Teil 2 

Galilei und der Planet Neptun – Teil 3 

Folgende Quellen habe ich für diesen Artikel verwendet:

"Galileo’s Sighting of Neptune", Drake S., Kowal C.T. 1980, Scientific American, 243, pp.74-81

"Galileo’s Observations of Neptune", Standish, E.M., Nobili, A.M., 1997, Baltic Astronomy, vol. 6, pp. 97-104

"Galileo’s Observations of Neptune", Kowal, C.T., DIO, The International Journal of Scientific History, http://www.dioi.org/Kowal-Galileo.pdf

"Auf Galileis Spuren", Quinn, J., Astronomie Heute, April 2007, S. 36-42

"Die Astronomie Galileis und ihre Aktualität heute und morgen", Liesenfeld, C., aus: Augsburger Schriften zu Theologie und Philosophie, LIT-Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-6815-x

Außerdem sei hier der ebenfalls von Kowal/Drake verfasste Artikel in Nature genannt, den ich allerdings nicht verwendet habe:

"Galilei’s Observations of Neptune", Kowal, C.T, Drake, S., Nature 287, pp. 311-313, 25. Sept. 1980

Die Simulationen wurden mit dem Programm Stellarium (0.10.1) erstellt und mit Guide (Version 7) verifiziert.

 

 

Avatar-Foto

Mit dem Astronomievirus infiziert wurde ich Mitte der achtziger Jahre, als ich als 8-Jähriger die Illustrationen der Planeten auf den ersten Seiten eines Weltatlas stundenlang betrachtete. Spätestens 1986, als ich den Kometen Halley im Teleskop der Sternwarte Aachen sah (nicht mehr als ein diffuses Fleckchen, aber immerhin) war es um mich geschehen. Es folgte der klassische Weg eines Amateurastronomen: immer größere Teleskope, Experimente in der Astrofotografie (zuerst analog, dann digital) und später Reisen in alle Welt zu Sonnenfinsternissen, Meteorschauern oder Kometen. Visuelle Beobachtung, Fotografie, Videoastronomie oder Teleskopselbstbau – das sind Themen die mich beschäftigten und weiter beschäftigen. Aber auch die Vermittlung von astronomischen Inhalten macht mir großen Spaß. Nach meinem Abitur nahm ich ein Physikstudium auf, das ich mit einer Diplomarbeit über ein Weltraumexperiment zur Messung der kosmischen Strahlung abschloss. Trotz aller Theorie und Technik ist es nach wie vor das Erlebnis einer perfekten Nacht unter dem Sternenhimmel, das für mich die Faszination an der Astronomie ausmacht. Die Abgeschiedenheit in der Natur, die Geräusche und Gerüche, die Kälte, die durch Nichts vergleichbare Schönheit des Kosmos, dessen Teil wir sind – eigentlich braucht man für das alles kein Teleskop und keine Kamera. Eines meiner ersten Bücher war „Die Sterne“ von Heinz Haber. Das erste Kapitel hieß „Lichter am Himmel“ – daher angelehnt ist der Name meines Blogs. Hier möchte ich erzählen, was mich astronomisch umtreibt, eigene Projekte und Reisen vorstellen, über Themen schreiben, die ich wichtig finde. Die „Himmelslichter“ sind aber nicht immer extraterrestrischen Ursprungs, auch in unserer Erdatmosphäre entstehen interessante Phänomene. Mein Blog beschäftigt sich auch mit ihnen – eben mit „allem, was am Himmel passiert“. jan [punkt] hattenbach [ät] gmx [Punkt] de Alle eigenen Texte und Bilder, die in diesem Blog veröffentlicht werden, unterliegen der CreativeCommons-Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

2 Kommentare

  1. (Kl)eine Bemerkung

    Im Text wird der 6.Januar 1612 genannt ( Anfang 2. Absatz ) – richtig ist, wie in der Bildunterschrift zu Abb.13 sowie im folgenden Text der 6 Januar 1613, wie sich mit einem Planetariumsprogramm, hier Guide 7.0 leicht nachweisen lässt.

Schreibe einen Kommentar