Klaus Vondung: Keine Kluft zwischen den “Zwei Kulturen”

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Salon der zwei Kulturen
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Es gibt nicht viele Germanisten ohne jegliche Scheu vor den "exakten Wissenschaften". Klaus Vondung, der mich heute und beim nächsten Mal in der Guten Stube besucht, hat in dieser Hinsicht keine Berührungsängste. Der emeritierte Literaturwissenschaftler von der Uni Siegen engagiert sich seit vielen Jahren für den Dialog mit den Naturwissenschaften, wovon Forschungsprojekte wie etwa "Mystische und naturwissenschaftliche Weltbilder: Gegensatz oder Gemengelage?" Zeugnis geben. Und so diagostiziert er denn auch heute, dass die oft beschworene "Kluft" zwischen den beiden Kulturen bei Lichte besehen gar nicht existiert. Herzlich willkommen, Herr Vondung!

 

Keine Kluft zwischen den "Zwei Kulturen"

Klaus Vondung in der Guten StubeGeisteswissenschaftler können bisweilen ganz schön arrogant sein. Entsprechend geißelte der Journalist und Brainlogger Ferdinand Knauß, der im Handelsblatt die Seiten „Geisteswissenschaften“ und „Naturwissenschaften“ betreut, den „hartnäckigen Snobismus“ vieler Geisteswissenschaftler gegenüber den Naturwissenschaften – aber auch „die teils erschreckend naiven Allmachtsansprüche“ mancher Naturwissenschaftler.

Wir begegnen hier einem Topos, den der Physiker C. P. Snow vor einem halben Jahrhundert (1959) auf den Begriff der „zwei Kulturen“ gebracht hat. Zwischen diesen zwei Kulturen, so stellte Snow fest, zwischen der geisteswissenschaftlich-literarischen und der naturwissenschaftlich-technischen, bestehe eine tiefe Kluft, herrsche wechselseitige Ignoranz, wenn nicht Feindschaft.

Bernulf Kanitscheider, Professor für Philosophie der Naturwissenschaft an der Universität Gießen, vertritt die Auffassung, Snow habe „in Bezug auf seine kulturtheoretische Diagnose […] bis heute Recht behalten. Es ist nach wie vor in ‘gebildeten Kreisen’ unschicklich, bei einer Abendunterhaltung das Gespräch auf den Entropiesatz (Snows Beispiel) oder noch schlimmer auf die Singularitätentheoreme der Allgemeinen Relativitätstheorie zu bringen, man würde mit Verachtung gestraft und als stimmungsverderbender Eigenbrötler betrachtet werden.“

Aber ist die Kluft zwischen den zwei Kulturen wirklich so tief?
Ich halte die angeführten Beispiele nicht unbedingt für überzeugend. Bei einer Abendunterhaltung in gebildeten Kreisen wäre es auch unschicklich und stimmungsverderbend, das Gespräch auf die unterschiedliche Behandlung des Spondeus im aklepiadeischen Versmaß griechischer und deutscher Odenstrophen zu bringen.

Es ist richtig: es gibt Snobs unter Geistes- wie Naturwissenschaftlern; es gibt im universitären Alltag Verteilungskämpfe um Haushaltsmittel für Lehre und Forschung; es gibt wechselseitige Unkenntnis über die jeweiligen Gegenstände der Forschung. Allerdings gibt es bei der heutigen Ausdifferenzierung von Spezialgebieten solche Unkenntnis auch innerhalb der einzelnen Disziplinen selbst.

Andererseits haben die prominenten Köpfe sowohl in den Geisteswissenschaften wie in den Naturwissenschaften seit jeher und bis heute sich nicht nur wechselseitig gelten lassen und anerkannt; sie haben sich auch mit den Erkenntnissen der anderen Wissenschaft beschäftigt, sie gegebenenfalls für eigene Fragestellungen nutzbar gemacht. Dies galt in den Geisteswissenschaften seit Wilhelm Dilthey, dem Erfinder des Begriffs ‘Geisteswissenschaft’, und gilt bis heute, z.B. für den Philosophen Michael Pauen, Sprecher der Berlin School of Mind and Brain. In dieser von der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder geförderten Einrichtung forschen Vertreter natur- wie geisteswissenschaftlicher Fächer gemeinsam. Auch an dieser Stelle plädierte Pauen bereits dafür, nicht über die Unterschiede zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zu lamentieren, sondern sie wechselseitig fruchtbar zu machen: „Die Spannung zwischen den beiden Kulturen ist […] kein Hindernis, sondern geradezu eine Bedingung für eine fruchtbare Kooperation“.
 
Umgekehrt haben herausragende Naturwissenschaftler stets auch geisteswissenschaftliche, meist philosophische Interessen verfolgt; es genügt der Hinweis auf die Nobelpreisträger Albert Einstein, Wolfgang Pauli, Werner Heisenberg. Es geht hierbei nicht um die erbauliche Kompensation für die nüchterne und trockene Betätigung in der eigenen Disziplin, sondern letztlich – wie Max Weber scharfsichtig erkannt hat – um das Problem, dass die Naturwissenschaften aufgrund ihrer objektivierenden Methode grundsätzlich die Frage nicht beantworten können, „ob die Welt, die sie beschreiben, wert ist zu existieren, ob sie einen Sinn hat und ob es einen Sinn hat, in ihr zu existieren“.

Neben der Sinnproblematik als genuinem Ressort der Geisteswissenschaften gibt es aber auch noch geisteswissenschaftliche Theorien und Methoden, ohne die moderne Naturwissenschaften gar nicht auskommen. Werner Heisenberg war wohl derjenige Physiker, der diesem Sachverhalt die differenziertesten Reflexionen gewidmet hat; an seinem Beispiel will ich dies kurz erläutern.

Heisenberg ging aus von der Feststellung, dass die moderne Physik in Bereiche der Natur vorgedrungen ist, „die unseren Sinnen nicht mehr unmittelbar zugänglich sind“. In Zusammenhängen, „die in der Quantentheorie analysiert und mathematisch dargestellt worden sind“, versage demzufolge auch „die gewöhnliche Sprache oder die Sprache der klassischen Physik“. Das Problem der Versprachlichung sah Heisenberg begründet in dem, was man das ‘Erfahrungssubstrat’ nennen könnte: „Wir haben uns jetzt daran gewöhnt, daß die Welt nicht ‘wirklich’ so ist, wie es uns die gewöhnlichen Begriffe glaubhaft machen, daß wir uns also in neuen Erfahrungsbereichen auf Paradoxien gefaßt machen müssen.“

Heisenberg bezog sich hier auf die Paradoxien der Quantenmechanik. Diese haben zur Folge, dass sich auch die Sprache (außerhalb der „mathematischen Kunstsprache“, wie Heisenberg die Sprache der Zahlen und Formeln nannte) paradoxer Formen bedienen muss. Es hat sich eine Redeweise herausgebildet – so Heisenberg –, „in der man zur Beschreibung der kleinsten Teile der Materie abwechselnd verschiedene, einander widersprechende anschauliche Bilder verwendet […], so daß erst durch das Spielen mit den verschiedenen Bildern schließlich eine angemessene Beschreibung des Vorgangs erreicht wird.“

An anderer Stelle ergänzte Heisenberg die Charakterisierung dieser Redeweise „mit Bildern und Gleichnissen“ durch die Bemerkung: „fast wie in der religiösen Sprache“. Die Probleme, mit denen es Physiker hier also zu tun haben, sind Probleme der Interpretation, der Hermeneutik. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich die gegenwärtig so notorische Hirnforschung mit ihren bildgebenden Verfahren ähnlichen Problemen gegenüber sieht!

Wenn aus solchen Feststellungen die Notwendigkeit der Geisteswissenschaften abgeleitet wird – abgesehen natürlich von ihrer grundständigen Bedeutung –, so geschieht dies ohne Arroganz und ohne auf sogenannte ‘Alleinstellungsmerkmale’ zu pochen. Mit Michael Pauen ist für Interdisziplinarität zu plädieren und mit Bernulf Kanitscheider auf neuartige Kooperationen hinzuweisen; ich zitiere: „Speziell neue Brückendisziplinen wie Neuroanthropologie, Evolutionäre Erkenntnistheorie und Ästhetik lassen den Methodenstreit des 19. und 20. Jahrhunderts hinter sich.“

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Veröffentlicht von

Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

3 Kommentare

  1. Also

    wenn ich in gebildeten Kreisen so erzähle, was Brünnhilde in der Hochzeitsnacht mit Gunter angestellt hat, hebt das die Stimmung auch unter Naturwissenschaftlern ganz erheblich, besonders bei den Damen.

    Es kommt halt drauf an was man so erzählt…

  2. Soso.

    Ist also für Naturwissenschaftler neu, was Brunhild da gemacht hat? Das bestätigt ja dann Snows Diagnose. Oder haben Sie nähere Kenntnisse, die der Allgemeinheit bislang verborgen geblieben sind?

  3. Unnütz

    Die Geisteswissenschaften haben ihre Bedeutung verloren. In einer Welt, die mehr und mehr als ganzes von der Naturwissenschaft erklärt werden kann und erklärt wird, benötigt kein Mensch mehr kleinkarierte historische Betrachtungen.

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