Die Freiheit, die wir meinen

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Wie Wirtschaft und Ethik zusammenpassen
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Nach der Finanzkrise ist wirtschaftliche Freiheit wieder ein großes Thema. Ich möchte heute hier etwas tiefer einsteigen und die Frage stellen: Was meinen wir eigentlich, wenn wir von Freiheit reden? Und ich würde mich für einen sparsamen Begriff einsetzen.

Von Isaiah Berlin gibt es die klassische Unterscheidung in negative und positive Freiheit, wobei er – und ich auch – die negative Freiheit bevorzugt. Negative Freiheit heißt Freiheit "wovon", es geht darum, dass sich keiner unseren Plänen in den Weg stellt. Die positive Freiheit ist die Freiheit "wozu": Dabei geht es laut Berlin darum, innerlich zu etwas Höherem frei zu sein. Dieses Höhere kann aber zum Beispiel auch der Nationalismus sein, weswegen dieser Freiheitsbegriff leicht auszubeuten ist. Das läuft dann darauf hinaus, dass man negative Freiheit im Namen von positiver Freiheit beschneidet. Berlin hält nach den Erfahrungen mit Diktaturen im 20. Jahrhundert davon nicht viel.

Wichtig ist aber: Dieser positive Freiheitsbegriff ist auch ein Erbe des deutschen Idealismus. Da ging es, am deutlichsten bei Kant, darum, frei zu sein für ein Leben, das nach Vorgabe der Vernunft gestaltet ist. Also um eine Selbstbeschreibung des Menschen als "vernünftiges Wesen". Der zeitgenössische amerikanische Philosoph Robert Brandom hat diese Philosophie wieder aufgegriffen und geradezu enthusiasisch gefeiert. Er deutet sie allerdings so, dass sie weniger eine Selbstbeschreibung ist als ein Anspruch an sich selbst. Das Erbe des deutschen Idealismus wäre demnach, dass der Mensch an sich selbst den Anspruch stellt, vernünftig zu handeln, also sein Handeln nachvollziehbar begründen zu können. Dieses Erbe spielt eine große Rolle, auch in der heutigen Philosophie. Die Frage ist nur, ob man, um dieses Erbe anzunehmen, diesen Anspruch von Vernunft mit dem Begriff der Freiheit in Übereinstimmung bringen muss, so wie die Idealisten es getan haben.

Axel Honneth hat in diesem Jahr ein sicher bedeutendes Buch veröffentlicht, das zugleich an Hegel, aber auch die Tradition des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt (mit den Heroen Horkheimer, Adorno und Habermas), das er leitet, anknüpft. Er versucht dort, ähnlich Hegel mit der "Philosophie des Rechts" für seine Zeit, für die heutige Zeit eine Philosophie von Freiheit und Gerechtigkeit zu formulieren, die an die geschichtlich gewordene Realität anknüpft, also nicht irgendwo aus dem unhistorischen Raum kommt, zugleich aber auch diese Realität kritisiert. Dabei ist mir vor allem ein Begriff aufgefallen: "soziale Freiheit".

Honneth versteht darunter eine Freiheit, die quasi durch gesellschaftliche Institutionen repräsentiert wird. Dabei können auch Sitten und übliche Verhaltensweisen solche Institutionen sein. Er knüpft dabei an Hegel an, der ebenfalls keinen abstrakten Begriff von Freiheit wollte (und das bei Kant kritisiert hat), sondern eine Freiheit, die in der Gesellschaft wirklich lebbar ist. Hier knüpft Honneth also an die alte deutsche Auffassung von Freiheit an verschafft ihr neue Geltung.

Es gibt aber auch einen angelsächsisch geprägten Denker, der eine positive Freiheit fordert, die tatsächlich als Chance lebbar ist, wenn er auch vielleicht weniger Akzent auf die Institutionen legt als Honneth. Dieser Denker ist Amartya Sen. Er spricht von Freiheit als "Chance".

So sympathisch mir vor allem der Standpunkt von Sen ist, der gleichzeitig wirtschaftliche Freiheit und Rückbindung der Wirtschaft an eine moralische Grundlage fordert – und sich mit beidem auf Adam Smith bezieht -: Ich frage mich trotzdem, ob ein zu umfassender Begriff von Freiheit nicht zur Verwirrung führt.

Einer der mit Sicherheit verwirrt war (und mit dem ich mich im Studium intensiver beschäftigt habe), war Fichte, der ja quasi zwischen Kant und Hegel gelebt hat. Fichte hat mit dem "Geschlossenen Handelsstaat" eine Schrift vorgelegt – im Jahr 1800, die schon zu seiner Zeit umstritten war. Im Grunde erinnert vieles darin an die späteren Verhältnisse in der DDR. Ursache dafür war aber Fichtes Bemühen, jedem Bürger ein Auskommen zu verschaffen. Zu diesem Zweck schlug er eine staatlich genau kontrollierte und nach außen geschlossene (war also ein früher Globalisierungsgegner) Wirtschaft vor, in der der Einzelne schrecklich gegängelt werden sollte, bis hin zu einem aus DDR-Zeiten noch gut bekannten Reiseverbot. Hier schlägt also ein Freiheitsbegriff in sein Gegenteil um.

Man kann, wenn man mit weiten Begriffen arbeitet, bei einer sehr komplizierten Dialektik landen. Aus Freiheit wird dann Unterordnung unter eine wie auch immer geartete Vernunft oder auch eine Beschneidung von Freiheit auf der einen Seite, um reale Chancen auf der anderen Seite zu ermöglichen. Ich bin aber kein Freund von Dialektik. Ich glaube, wir sollten Freiheit sehr schlicht als Freiheit "wovon" definieren. Und dann auf der anderen Seite von Chancen und Gerechtigkeit sprechen. Dann versteht jeder, was gemeint ist. Dann kann man auch Widersprüche zwischen Freiheit und Gerechtigkeit ausdiskutieren (oder wirtschaftlicher Freiheit und sozialen Forderungen), ohne dass einem die Begriffe selbst entgleiten. Deswegen bin ich, bei aller Bewunderung für Sen oder auch für das neue Buch von Honneth, der Meinung, wir sollten bei der Empfehlung von Berlin bleiben und Freiheit sparsam verwenden.

Freiheit ist eben nicht alles, was wir brauchen. Und es hat wenig Sinn, Freiheit als Begriff auf beinahe alles auszudehnen, was wir brauchen – um so eine handfeste politische Diskussion, die immer wieder geführt werden muss, auf eine höhere begriffliche Ebene zu ziehen, wo sie auch niemals zu endgültigen Ergebnissen führen kann. Ganz ähnlich, um das abschließend nur anzumerken, bin ich auch kein Freund von Begriffen wie "struktureller Gewalt": Gewalt und andere Formen von Unterdrückung sollte man klar trennen. 

 

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Ich habe Betriebswirtschaft in München und Philosophie an der Fernuni Hagen studiert, früher bei einer großen Bank gearbeitet, und bin seit über 20 Jahren Journalist beim Handelsblatt mit Spezialisierung auf Finanzthemen, davon fünf Jahre in New York und seit November 2017 in Frankfurt. Im Jahr 2013 habe ich das Buch „Wie fair sind Apple & Co?“ veröffentlicht.

14 Kommentare

  1. für mich ist freiheit das selbstbestimmungsrecht des einzelnen, dass institutionell durch regeln, wie meinetwegen die zehn gebote, beschnitten wird, da wo es anderen einzelnen schadet, sprich, dessen selbstbestimmungsrecht verhindert. im sinne von rosa luxemburg: freiheit ist die freiheit des andersdenkenden….hier muss man die einsicht in diese notwendigkeit voraussetzen, die man auch ohne zwang anerziehen kann, so dass diese freiwillig geschieht….

  2. “Dieses Höhere kann aber zum Beispiel auch der Nationalismus sein, weswegen dieser Freiheitsbegriff leicht auszubeuten ist.”

    Gewiß. Ist aber nur dort ein Problem, wo der Mensch sich in seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit einem Alphaäffchen unterwirft.

  3. Finanzkrise Freiheit

    Wird Finanzkrise mit Freiheit verknüpft, so sollte man Ursachen betrachten.
    Eine ökonomische Grundidee ist es, dass der Staat in wirtschaftlich schlechten Zeiten sich verschuldet und mit Konjunkturprogrammen eingreift um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen – Dann aber (und das ist wichtig) muss diese Verschuldung zeitnah wieder abgebaut werden!
    Die derzeitige Finanzkrise ist u.a. darauf zurückzuführen, dass diese gute Idee verfälscht wurde: In unseren Industrieländern hat man die Schulden nicht abgebaut sondern in Form von Steuerermäßigungen, besonders an die Reichen, die Steuereinnahmen umverteilt. Dies führt dazu, dass eine kleine Gruppe immer reicher, die große Masse (Unter-/Mittelschicht) aber immer ärmer wird; außerdem werden Sozialleistungen, Kultur und Forschung reduziert.
    Dies hat direkte Auswirkung auf die Freiheit vieler Menschen, da dadurch ihr Lebensstandard/-qualität reduziert wird.

    Wir sind empört über Familienclans in manchen Entwicklungsländern, welche das ganze Land als ihr Eigentum betrachten und finanziell ausbeuten – aber bei uns passiert genau das Gleiche. Eine kleine Schicht bereichert sich auf Kosten der Masse.
    Ein schönes aktuelles Beispiel ist Griechenland: eine kleine Schicht hat 200 Milliarden in die Schweiz gebracht und die im Lande verbleibende Bevölkerung (und wir auch!) wird jetzt massiv geknebelt um die Staats-Schulden abzubauen.

  4. Freiheit ‘von’

    Ist der Begriff Freiheit ‘von’ wirklich so eindeutig? Wenn jemand frei von Kriminalität, Armut und Leistungsdruck leben will, so impliziert dies doch jeweils wieder Forderungen an den Staat und also andere, Steuern zahlende Menschen. Und wenn Menschen frei von Familie und anderen Verpflichtungen leben wollen, so verpflichten sie andere, für ihr Alter zu sorgen usw. Was meinen Sie?

  5. Ja, Sie haben Recht, so besehen ist Freiheit “von” auch keine klare Definition – das war mir selbst bisher nicht so bewusst. Man muss vielleicht noch stärker betonen, dass die “negative” Freiheit meint, dass der Einzelne vor direkten Einschränkungen, vor allem seitens des Staates, geschützt ist. Freiheit “von” der eigenen Verantwortung (z.B. für die Altesvorsorge) kann nicht gemeint sein. Und wenn es um Freiheit “von” Kriminalität geht, würde ich das eben unter dem Begriff “Schutz” abhandeln, der zwar mit “Freiheit” zusammenhängt, aber hier besser passt.

  6. Was hier nicht erwähnt wurde: Freiheit “wovon” ist der klassische liberale (neoliberale) Freiheitsbegriff, der gerne darauf hinausläuft, dass der Kapitalismus die Krönung der Freiheit ist, der Sozialstaat Freiheitsbeschneidung.

    Setzt man die negative über die positive Freiheit, erhält man folgendes Ergebnis: die Freiheit des Großverdieners VON dem Steuerzwang ist wichtiger einzuschätzen als die Freiheit des Arbeitslosen sich etwas zu essen zu kaufen. Stimmt ja im Prinzip, man muss Freiheit nicht mit Gerechtigkeit gleichsetzen, auch wenn das eine ohne das andere praktisch nur schwer funktioniert.

    Aber, weitergedacht: Kann man jemanden FREI nennen, der nicht besitzt, was er zum überleben braucht?

    Liberale Denker sagen wiederum: ja. Ich glaube aber, das ist bei Licht betrachtet Zynismus. Bzw.: zieht einen extrem wichtigen Wert in den Schmutz.

  7. christoph

    Ja, das stimmt, es ist der klassische (neo)-liberale Begriff; Sen, den man als linksliberal bezeichnen könnte, erweitert ihn dann in Richtung “Freiheit” als Chance. Ich halte tatsächlich diesen “rechtsliberalen” Begriff für richtig, weil er klar und relativ eindeutig bestimmbar ist. Das heißt aber nicht, dass ich für eine rechtsliberale Politik bin: Freiheit ist eben nur ein Punkt, man sollte meiner Meinung nach nicht alles, was wichtig, darunter einordnen.

  8. Friedrich August von Hayek

    Mich hat ja kaum ein Sozialphilosoph so beeindruckt wie Friedrich August von Hayek, der aus der Perspektive der Evolutionsforschung argumentierte, zutiefst freiheitlich engagiert war und genau “deswegen” den individualisiert-egoistischen Freiheitsbegriff ablehnte. Denn er merkte bereits an: Wenn sich die Menschen “von” allen Verpflichtungen z.B. gegenüber Familien, Vereinen, Religionen etc. befreien wollten, so würden sie schließlich vereinzelt, abhängig und in völliger Abhängigkeit vom Staat zurück bleiben!

    Daher bedeutete Freiheit für ihn immer auch die Freiheit zur Vergemeinschaftung, damit die Freiheiten der Menschen einzeln, in Gemeinschaften der Zivilgesellschaft und als Staatsbürger erhalten blieben.

    Immer noch sehr lesenswert: Sein letztes Werk, “The Fatal Conceit”

  9. Hayek

    Ja, aber Hayek war auch ausgesprochen staatsfeindlich und deswegen einer der Säulenheiligen des Neoliberalismus. Er spielt ja im Grunde familiäre und ähnliche Bindungen gegen staatliche Bezüge aus. Wer immer den Sozialstaat abbauen will – nicht aus finanziellen, sondern aus ideologischen Gründen – beruft sich auf Hayek. Sein letztes Werk kenne ich nicht, aber frühere, vor allem “The road to serfdom” – da setzt er den Wohlfahrtstaat und einen totalitären Staat mehr oder minder gleich. Ich glaube, Hayek kann man gut als intelligenten Kritiker einer allzu naiven Staatsgläubigkeit lesen – aber als nicht zum Kern eines politischen Programms machen.

  10. @ Wiebe

    Ich bin auch gegen Staaten, weil ich das einzelne Individuum schätze und es von Staaten verraten sehe. Lehnen Sie sich zurück und bleiben Sie nur einen Augenblick bei mir: wie kann ein Vertreter im Namen des Volkes sprechen, das aus Einzelnen besteht? Wie kann eine Kanzlerin von “Deutschland” sprechen, welches irgendwo verteidigt werden müsse? Man muß sich mal den Wahn vor Augen führen -nur für einen Augenblick. Ich kenne mich im Wahn gut aus -bin selbst verrückt. Doch wie kann es möglich sein, im Namen des Volkes -sie erinnern sich, das Volk besteht aus Einzelnen- Krieg zu führen, wo Männer im Felde stehen, die Väter von Kindern, Männer von Frauen sind?

    Ich hasse Staaten!

  11. Nachtrag

    Staat heißt das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: “Ich, der Staat, bin das Volk.” Lüge ist’s! Schaffende waren es, die schufen die Völker und hängten einen Glauben und eine Liebe über sie hin: also dienten sie dem Leben. Vernichter sind es, die stellen Fallen auf für viele und heißen sie Staat: sie hängen ein Schwert und hundert Begierden über sie hin.

  12. @Wiebe

    Ja, so ähnlich würde ich es auch sehen. Hayek argumentiert im Kern evolutionär und empirisch – und zeigt damit auf, dass alle Modelle und Ideologien auch fehlerhaft sind und das Leben nicht durch gedachte, sondern durch gelebte Varianten wächst.

    Heute berufen sich viele auf ihn, die kaum eine wirkliche Ahnung von seinem Ansatz haben. So lehnte er beispielsweise das Modell des “Homo oeconomicus” und die Annahme rationaler Akteure entschieden ab, da sie unrealistisch seien und letztlich gewachsene Strukturen und Freiheiten bedrohen würden. Wie Recht er hatte! Neulich hatte ich eine Promotion über Hayeks entsprechende Kritik rezensiert:
    https://scilogs.spektrum.de/…tion-von-christoph-sprich

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