An wen richtet sich Ethik?

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Wie Wirtschaft und Ethik zusammenpassen
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Mir fällt häufig auf, dass es bei ethischen Fragen einen großen Unterschied zwischen der Selbstwahrnehmung und der Fremdwahrnehmung gibt. Viele Menschen gehen bei sich selbst ganz selbstverständlich davon aus, dass sie ethisch handeln, und sind genauso selbstverständlich der Meinung, dass die meisten anderen Leute genau das nicht tun. Besonders stark sind dann noch die Vorbehalte gegenüber bestimmten Berufsgruppen. Allen voran sind Politiker die Projektionsfläche für alles, was man den Mitmenschen an Schlechtigkeit zutraut. Aber auch “Konzerne”, Manager und natürlich Banker bieten sich an, Journalisten bekommen hin und wieder ebenfalls ihr Fett weg.

Ethische Diskussionen werden daher sehr häufig nach dem dem Motto geführt: WAS SOLLTEN DIE ANDEREN TUN? Anders gesagt: Ethik wird auf diese Weise die intellektuelle Fortsetzung des Zeigefingers. Dem gegenüber möchte ich daran erinnern: Ethik richtet sich vor allem an denjenigen selbst, der sich damit beschäftigt. Die richtige Frage lautet: WAS SOLLTE ICH TUN? Jedenfalls ist das letztlich das Ziel. Allgemeine Diskussionen über allgemeine Probleme sollten eben dahin führen, dass jeder diese Frage sich selber stellt und hoffentlich auch Antworten findet. Ich würde nie behaupten, dass ich ein Vorbild dafür bin – so besehen richtet sich auch dieser Beitrag auch an mich selbst.

Ich glaube, dass Ethik auch genau in diesem Sinne eine Wissenschaft ist. Sie wird manchmal als Reflexions-Wissenschaft bezeichnet. Es gibt zwar “empirische Ethik”, dabei wird untersucht, nach welchen ethischen Regeln sich Menschen tatsächlich richten. Das ist sicher interessant, aber Kern der Ethik ist etwas anders: darüber zu reflektieren, nach welchen Regeln man sich verhalten sollte. Wissenschaftlich ist das Fach nicht durch eine empirische Basis, sondern eben durch das Argumentieren, das Für und Wider, und damit auch durch das kritische in Frage stellen von bisher nicht hinterfragten Positionen. Eine derartige Reflexion ist aber nur authentisch, wenn sie vor allem dazu dient, die eigenen Standpunkte zu hinterfragen. Anders gesagt: Wer sich nur mit den Verfehlungen anderer beschäftigt, der ist noch gar nicht beim Thema angekommen.

Ein anderer Punkt ist mir aber auch wichtig: Nach meiner Erfahrung sind zum Beispiel Politiker und Manager relativ normale Leute. Sie sind nicht schlauer als andere Menschen, was manchmal ein Problem ist. Sie sind in der Regel auch nicht moralischer oder unmoralischer als andere – es gibt halt so’ne und so’ne wie überall. Natürlich zeigt sich in manchen Berufen eine Art deformation professionnelle: Politiker neigen in der Öffentlichkeit zur Vereinfachung und hin und wieder auch zu Polemik. Journalisten neigen manchmal auch dazu, zu übertreiben oder sich besonders auf negative Nachrichten zu stürzen. Das heißt aber nicht, dass Leuten in diesen Berufen eine ethische Basis fehlt. Es heißt höchstens, dass es in manchen Berufen schwierig ist, immer mit beiden Füßen auf diesem ethischen Fundament zu stehen.

Wer anderen Leute oder bestimmten Gruppen von vorneherein die ethische Grundlage abspricht, der verzichtet im Grunde auch darauf, irgendetwas verändern zu wollen. Denn nur, wenn man den anderen grundsätzlich auch als ethisches Wesen anerkennt, kann man mit ihm auf eine sinnvolle Weise darüber streiten, was richtig und falsch ist.

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Ich habe Betriebswirtschaft in München und Philosophie an der Fernuni Hagen studiert, früher bei einer großen Bank gearbeitet, und bin seit über 20 Jahren Journalist beim Handelsblatt mit Spezialisierung auf Finanzthemen, davon fünf Jahre in New York und seit November 2017 in Frankfurt. Im Jahr 2013 habe ich das Buch „Wie fair sind Apple & Co?“ veröffentlicht.

12 Kommentare

  1. Der “protestantische Ansatz” also

    Denn nur, wenn man den anderen grundsätzlich auch als ethisches Wesen anerkennt, kann man mit ihm auf eine sinnvolle Weise darüber streiten, was richtig und falsch ist.

    Was hier aber auch hineinspielt – es steht außer Frage, dass alle ethisch handeln, der Mensch funktioniert nur im Verbund -, ist die Qualität der jeweiligen Ethik.

    Und die ist politisch zu bestimmen und auch ein ethisch verwahrloster Mensch (oder Bär) kann die allgemeine Sittlichkeit betreffend hervorragende Analysen abliefern. Soviel zum Sich-an-die-eigene-Nase-fassen.

    Im allgemeinen Sinne ist Ethik immer die Ethik der anderen und politisch/kulturalistisch zu bearbeiten.

    MFG
    Dr. W (dem die Nuance bei der Frage ‘Was sollte ich tun?’ (vs. ‘Was soll ich tun?’) durchaus positiv aufgefallen ist)

  2. “richtig und falsch”

    “WAS SOLLTEN DIE ANDEREN TUN? …. WAS SOLLTE ICH TUN?”

    “Ich denke also bin ich”, … richtig in gutbürgerlich-gebildeter Suppenkaspermentalität auf stets systemrationaler Sündenbocksuche???

    Was sollten WIR tun?, damit WIR den geistigen Stillstand (unser bisher einzige GEISTIGE Evolutionssprung seit der “Vertreibung aus dem Paradies”) und seine blöd-, stumpf-, schwach- und wahnsinnigen Symptomatiken des “Individualbewußtseins” (deshalb teils LOGISCH brutal-egoisierend) im nun “freiheitlichen” Wettbewerb um … glaub- / menschenwürdig beenden, für die bisher nur erahnbaren Möglichkeiten eines geistig-heilenden Selbst- und Massenbewußtseins, OHNE …!!!

  3. Thema – Sinn

    “… wenn sie vor allem dazu dient, die eigenen Standpunkte zu hinterfragen.”

    Und wenn das Hinterfragen nur dazu führt sich auf einen Stein zu setzen, weil die Ethik nur im Ganzen / mit allen Menschen zur Perfektion gestaltet werden kann, dann ist der Stein doch sicher auch nicht das Vorbild!?

  4. Ethik will Macht beschränken und lenken

    Ethische Fragen stellen sich meist, wenn die Versuchung gross ist, zu manipulieren, zu betrügen, zu täuschen oder die schwierige Lage anderer auszunutzen. Ethische Fragen haben mit Macht und Machtbegrenzung, mit Fairness und Verantwortung zu tun.
    Macht haben bestimmte Berufsgruppen, Macht hat ein Staat (Krieg, Behandlung von Minderheiten etc), Macht haben aber auch immer mehr Systeme und Gruppen, weshalb von der Ethik des Kapitalismus oder der Ehtik des Konsums gesprochen wird.

    Ethische Richtlinien wollen meist Machmissbrauch innerhalb von Berufsgruppen verhindern und ehtische Richtlinien werden von Berufsveränden aufgestellt um “schwarze Schafe” brandmarken zu können, bezugsweise um die Zahl der schwarzen Schafe möglichst klein zu halten. Versagt die Berufsethik leidet oft eine ganze Berufsgruppe – wie das die Folgen des Transplantationsskandals zeigen.

    Hier zwei Beispiele zur Berufsethik:

    Unter Ethik im Journalismus liest man : Ethik-Kodex ist ein selbstregulatorisches Instrument der Medienschaffenden. Selbstegulatorisch, weil die “Zunft” der Journalisten staatliche Regulierungsversuche abwehren will.

    Zur Wissenschaftsethik hat Selbstbeschränkungen in der Forschung (z.B. Tierversuche) als Thema

    Fazit: Je mehr Macht jemand hat desto wichtiger sind ethische Fragen. Versagt Ehtik werden Gesetze erlassen und wenn es Gesetze braucht gilt wohl Laotses Spruch “Je mehr die Gesetze und Befehle prangen, desto mehr gibt es Diebe und Räuber.” In einer Welt in der alle ethisch handeln braucht es nur wenig Gesetze, denn alle werden dann von inneren Gesetzen geleitet. Eine durch und durch von Ethik geleitete Welt wäre eine Welt in der jeder jedem vertrauen kann.

  5. @Holzherr

    Die Ethik wird immer für die Kooperation zwischen Erkennenden benötigt, sie ist die Grundlage von Kultur und Rechtspflege, umgangssprachlich wird von ethischem Handeln gesprochen, wenn es gutes ethisches Handeln ist. Letzteres ging hier – durchaus sozusagen unethisch – ein wenig durcheinander.

    BTW und aus der Erinnerung: Im doitschen Journalismus kam der Presserat und der Pressekodex, vorgeschoben als ethisch bemüht, irgendwann in den frühen Siebzigern. Moralisch zweifelhafte Personen haben die BILD dermaßen unter Druck gesetzt, dass die politische Lage so beruhigt werden musste. Die gesetzliche Einschränkung der Pressefreiheit wurde offen diskutiert.

    Der Ethikrat

  6. @Holzherr

    Da war ein Webverweis wohl nicht korrekt gesetzt, das hiesige System hat dann sozusagen ganz unethisch Text abgebissen.

    Interesse an einer Wiederholung besteht aber nicht, Sie ahnen sicherlich was da gestanden haben könnte. So eine Art Warnung, dass öffentlich bemühte Ethik oft heuchlerisch und schlicht dumm daherkommt.

    MFG
    Dr. W

  7. Naja….

    der dummbär webbt mal wieder rum ist blöd wie immer. Damit geb ich mich nicht ab, jeder darf sich so blamieren, wie er kann, auch ein dummbär.

    Zum Thema und damit zu Intelligenz: “Nach meiner Erfahrung sind zum Beispiel Politiker und Manager relativ normale Leute. Sie sind nicht schlauer als andere Menschen, was manchmal ein Problem ist.”

    Falsch. Politiker und Manager sind intelligenter als normale Menschen, ansonsten wären sie keine Politiker und Manager, sondern dumme Web-Bären……

  8. Zumal

    man auch um so etwas bestimmen zu können – ‘Nach meiner Erfahrung sind zum Beispiel Politiker und Manager relativ normale Leute. Sie sind nicht schlauer als andere Menschen, was manchmal ein Problem ist.’ – selbst ausgesprochen verständig sein muss.

    Man kann sich vielleicht darauf einigen, dass einige nicht “schlauer”, aber -aus welchen Gründen auch immer- erfolgreicher sind.

    MFG
    Dr. W

  9. @ Dr. W @ Statistiker

    “Falsch. Politiker und Manager sind intelligenter als normale Menschen, ansonsten wären sie keine Politiker und Manager”, “Man kann sich vielleicht darauf einigen, dass einige nicht “schlauer””

    Vielleicht sollte man sich, bevor man sich an solche Fragen macht, erst einmal überlegen, was der Unterschied zwischen Begriffen wie Intelligent, schlau, klug, weise, vernünftig und ähnlichem ist. Da könnte dann herauskommen, daß Politiker und Manager vielleicht im allgemeinen überdurchschnittlich schlau sind, aber unvernünftig. Und wenn man weiter fragt, ob “vernünftig” nicht vielleicht ganz verschiedene Bedeutungen hat, dann ergibt sich möglicherweise, daß sie vernünftig indem einen Sinn, aber unvernünftig in einem anderen sind.

  10. @Trepl

    Gehen Sie mal davon aus, dass der Schreiber dieser Zeilen sich der Unterschiede zwischen rational/vernünftig, verständig, klug, schlau, abgefeimt und was es da noch alles gibt (z.B. die Intelligenz, die sozusagen quizmässig vor vielleicht 100 Jahren entwickelt worden ist), bewusst ist.

    Es scheint jedenfalls vernünftig erfolgreichen Menschen Erfolg zu attestieren. Wie sich der hiesige Autor hier erheben konnte, vermag man als rational Denkender nicht nachvollziehen, korrekt!, aber das Bemühen gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen, ist eben letztlich subjektiv.

    MFG
    Dr. W

  11. negative Auswahl

    “Nach meiner Erfahrung sind zum Beispiel Politiker und Manager relativ normale Leute. Sie sind nicht schlauer als andere Menschen, was manchmal ein Problem ist. Sie sind in der Regel auch nicht moralischer oder unmoralischer als andere – es gibt halt so’ne und so’ne wie überall. “

    Jein.
    Potenziell ja , aber in der aktuellen Ausformung unseres Gesellschaftsystems wird negativ selektiert.
    Ethisch denkende Personen kommen kaum noch oder überhaupt nicht nach oben, vorhandene wurden weitgehend verdrängt.

    Das hat zur Folge , daß insbesondere im Journalismus und in der Finanzwirtschaft ein sehr skrupelloser Typus vorzufinden ist , woraus Viele dann schließen , daß alle Vertreter dieser Berufsgruppen so seien.

    Das ist zwar ein Fehlschluß , aber ein verständlicher , und Viele , die ihn scheinbar ziehen , wissen schon , daß es auch anders sein könnte – und wollen eigentlich genau dieses erreichen mit ihrer Kritik.

  12. Ich tippe mal, dass Menschen sich selten an den ethischen Grenzen bewegen, sondern sich eher im Graubereich aufhalten. Es ist nicht unvernünftig anzunehmen, dass andere Menschen ähnlich wie man selbst in erster Linie im Eigeninteresse handeln. Das eigene Interesse wird rein subjektiv aber eher als ethisch eingeschätzt. Echt unethisches Verhalten ist eher eine Frage der Verhältnismäßigkeit. In wie weit muss ich vermuten, dass Andere wegen kleiner eigener Vorteile, schwere Schäden bei mir in Kauf nehmen? Und dass hängt in erster Linie wohl davon ab, ob man die Anderen eher als Mitmenschen mit gleichen Werten und Zielen wahrnimmt, oder als bedrohliche Fremde als Aliens.

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