Zukunft der Kopfschmerzen

BLOG: Graue Substanz

Migräne aus der technischen Forschungsperspektive von Gehirnstimulatoren zu mobilen Gesundheitsdiensten.
Graue Substanz

Bereitet uns die Zukunft mit Vorstellungen von Elektroden im Hirn Kopfschmerzen oder befreit sie uns davon?

Wo liegt der Unterschied, ob man Gehirnaktivität, die außer Kontrolle gerät, mit einer pharmakologischen Substanz korrigiert oder mit einer implantierten Stimulationselektrode? Vier invasive, neurochirurgische Technologien sind aktuell im Gespräch. Sie alle nutzen sogenannte neuromodulierende Verfahren mit jeweils spezifischen elektrischen Sequenzen, die Gehirnnerven oder Zellverbände stimulieren.

  • occipital nerve stimulation (ONS),
  • vagus nerve stimulation (VNS),
  • cervical spinal cord stimulation (cSCS), 
  • hypothalamic deep brain stimulation (hDBS)

Es gibt weitere neuromodulierende Verfahren als nichtinvasive Methoden.

  • transcutaneous electrical nerve stimulation (TENS),
  • transcranial magnetic stimulation (TMS),
  • transcranial direct current stimulation (tDCS)

Wer würde sich einen Hirnschrittmacher einpflanzen oder ein externen “elektrischen Revolver” an den Kopf halten und abdrücken, um von Kopfschmerzen befreit zu werden? Der Gedanke bereitet heute noch eher Kopfschmerzen, als dass er hoffnungsvoll stimmt.

Beginn einer neuen Ära
für invasive Hirnstimulation

Aufklärend sind hierzu die Therapieempfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft über den Einsatz neuromodulierender Verfahren bei primären Kopfschmerzen. Fazit: für die meisten Kopfschmerzarten und Stimulationsverfahren fehlen derzeit überzeugende Daten, die auf einen Therapieerfolg hinweisen.

Trotzdem, vielleicht stehen wir am Beginn einer neuen Ära für invasive Hirnstimulation, eine neurochirurgische Therapie, die Elektroden implantiert, um die Gehirnaktivität zu verändern. So sieht es jedenfalls Brenda Patoine, die für die Dana Foundation-Website überDeep Brain Stimulation: Beyond Movement Disorders” (Tiefe Hirnstimulation: Jenseits von Bewegungsstörungen) folgendes schrieb:

Unterstützt durch eine viel versprechende Erfolgsbilanz bei der Behandlung von Morbus Parkinson und anderen Bewegungsstörungen, hat sich, wenn alle anderen Stricke reißen, die tiefe Hirnstimulation (DBS) als feste Möglichkeit in der Psychiatrie verankert und wird zur Behandlung von Zwangsstörungen und Depression untersucht, zusammen mit einer wachsenden Liste von anderen experimentellen Verwendungen.

Zu dieser List gehören auch refraktäre Kopfschmerzen, also Kopfschmerzen, die seit mindestens 24 Monaten bestehen und üblicherweise jeden Tag auftreten und bisher erfolglos behandelt wurden.

Nun kam man nicht einfach von der Behandlung schwerer Bewegungsstörungen (wie z.B. Morbus Parkinson oder essentiellen Tremor) mit DBS aufgrund deren nachgewiesener Erfolgsbilanz zu Kopfschmerzen übergehen.

Bei  Bewegungsstörungen ist der Thalamus das Ziel der Stimulationselektroden, bei Kopfschmerzen der Hypothalamus. Der Unterschied ist aber nicht nur die präzise stereotaktische Platzierung der winzigen Elektroden in den jeweiligen Zielbereich. Zusätzlich muss das Protokoll, mit dem stimuliert wird, angepasst und optimiert werden. Die Art der Stimulation ist natürlich abhängig von den abnormalen Aktivitätsmustern der Gehirnzellen, die korrigiert werden müssen innerhalb der thamalischen bzw. hypothalamischen Netzwerke. Diese Optimierung kann empirisch oder modell-basiert bewerkstelligt werden. Bei letzteren kommt die Mathematik in Form von Modellen neuronaler Netzwerke ins Spiel.

Die Entwicklung intelligenter Software für die Hirnschrittmacher ist zukünftig eine vorrangige Aufgaben der Medizintechnik. Dies ist die  entscheidende  Schnittstelle zwischen Neurowissenschaften und Regelungstechnik. Die Hardware ist heute schon, im Vergleich zur Software, weit entwickelt. In der Software liegt die Zukunft der refraktären Kopfschmerzen.

Aber die Frage bleibt: Ist es nicht doch ein Unterschied, ob man Gehirnaktivität mit einer pharmakologischen Substanz korrigiert oder mit einer Stimulationselektrode? Wer würde was unter welchen Umständen machen?

 

Hinweis

Clusterkopfschmerz-Akademie am 10. und 11.8.2012

“Diesjähriger Schwerpunkt sind aktuelle Neurostimulationsverfahren und deren Vergleich mit der konventionellen Behandlung.”

 

 

Weitere Literatur

Goadsby, PJ, “Neurostimulation in primary headache syndromes.” Expert Rev. Neurotherapeutics 7(12), 1785-1789 (2007).

Andere Blogbeiträge:

 

Bildquelle

Stereotaxiegerät zur Platzierung einer Stimulationselektrode aus Wikidedia, GNU-Lizenz für freie Dokumentation.

 

© 2012, Markus A. Dahlem

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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

16 Kommentare

  1. Ursache vom Symptom

    “Wer würde was unter welchen Umständen machen?”

    -> Es ist ja so: Wie beschrieben wird bei anhaltenden Kopfschmerzen also in Erwägung gezogen, das Symptom zu behandeln. Zudem sogar noch mit einer Implantierung von hardware mit elektrischen Eigenschaften.
    Die eigendlich perverse Fehlleistung an der Angelegenheit sei hier aber die Tatsache, dass wiederum nur am Symptom therapiert wird und nicht das Symptom zum Anlass zur Suche nach den Ursachen wird.

    Das man es mit solchen Methoden eventuell vielleicht annähernd lösen könnte, sei eine zu würdigende Leistung – bringt sie doch auch bestimmte Erkenntnisse zur Funktionsweise des Gehirns und der Schmerzen. Aber dies sollte kein Anlass sein, dass man eine derart vorsindflutige Methode (Symptomtherapie) bis zur Vollendung vorrantreibt, sondern es sollte Mut machen, sich mit dem Wissen darüber auf die Ursachen der Kopfschmerzen zu machen, damit man an eben dieser die Kopfschmerzen abstellen kann – irgendwann einmal.

    Es ist absolut herabwürdigend und eigendlich unannehmbar, dass man sich aufgrund von unerforschten Ursachen erneut nur mit Symptomtherapien zufrieden stellen soll. Und die Kröhnung des ganzen sei dann noch die Tatsache, das man zum Android evolvieren muß, wenn man schmerzfrei sein wollte. Implantate ins Gehirn werden aus diesen Gründen keine besonders zu würdigende “Lösung” des Problems sein. Als Übergangslösung wären aber vielleicht am Kopf montierte Geräte wohl gerade noch akzeptabel erscheinen. Das Hauptziel aber sei uneingeschränkt natürlich der Therapieansatz an der Ursache und nicht am Symptom.

    Und ich wäre froh darüber, wenn sich die Forschungsgemeinschaft endlich einmal mit solchen Strategien anfreunden würde und dem interessierten beobachter diesbezüglich sichtbare Beweise für die Zielsetzungen (Ursachenbeseitigung) geben würde.

  2. Ursache

    Würden wir mal einem Moment von einer genetischen Ursache ausgehen (s. letzten Post und dort verlinkte Inhalte) wird es natürlich schwierig mit dem Therapieansatz an der Ursache.

    Allerdings spielt die Unterklasse der refraktären Kopfschmerzen sicher gesonderte Rolle, bei der das Argument nicht zieht.

    Die unterschiedlichen neurochirurgische Technologien weisen aber darauf hin, dass man mit den Elektroden (auch) versucht den Ursprungsort zu erreichen.

    Einmal da, ist es dann noch ein Unterschied zur pharamkologischen Behandlung (die aufgrund der Pharmakokinetik eingeschränkt ist)?

    Andere Krankheiten sind vielleicht Netzwerk- oder dynamische Phänomene, die auch das Bild einer Ursache etwas komplizierter machen.

    Auf die Gefahr hin etwas technisch zu werden:

    Migräne sehe ich z.B. als sogenannte Dynamische Krankheit.
    Dynamische Krankheit ist ein Begriff, der Krankheiten benennt, für deren physiologische Prozesse wir mathematische Bewegungsgleichungen aufschreiben können, die uns dann Einblick verschaffen, wie die Dynamik der (autonomen) Regulierung kippt und pathologisches Verhalten hervorruft, obwohl die Sytemparameter im physiologischen Bereich sind. Dieses Verhalten wird im Phasenraum durch ein ihn kennzeichnendes Verzweigungsmuster (Bifurkation) des Flussfeldes, Multistabilität oder Intermittenz beschreiben.

    Bei solchen Krankheiten würde Neuromodulation schon bei der Ursache angreifen, denn diese ist ja genau einer dieser drei Sachen.

  3. Bei einer genetischen Ursache von Kopfschmerzen…(obwohl mir das nicht so einleuchtet), sei die Ursache also genetisch bedingt und genau da anzusetzen. Wie wir wissen, ist das Genom der Menschen nicht derart Starr, dass sich daran nicht was ändern lassen sollte – Stichwort Epigenetik.

    Und die refraktären Kopfschmerzen haben aufgrund ihres Auftretens im Laufe des Lebens eben irgendeine Ursache, die es gilt zu finden und dann auch abzustellen. Diese Strategie finde ich in keiner Weise irgendwie absurd oder unlogisch. Nur ob sie dann auch so einfach zu erfüllen sind, darüber habe ich ja nicht gesprochen. Mir geht es meiner Meinung nach um strukturell unnützen Lösungsstrategien – hier eben erneut wieder die Symptomtherapie. Es wäre die logisch richtigere Strategie, wenn man an der Ursache forscht und diese abstellen oder unterbinden kann. Ich befürchte eben die Aufwendung von Kapazitäten, die man wahrscheinlichst sinnvoller benutzen könnte.
    Mir scheint in der Implantierung von technischen Gerät in den menschlichen Körper irgendein sonderbarer Reiz zu bestehen, denen sich die Forscher wie die Mediziner nicht entziehen können. Es sind ja auch so tolle Visionen, die uns da etwa in “Raumschiff Enterprise” und den Borg so vorgespielt wurden. Aber ich halte Zielsetzungen in dieser Richtung für einen bedenklichen/falschen Aktionismus. Ausserdem geben sie mir den Eindruck einer “Bastlermentalität”, die an allem Gegebenen irgendwie mit herumfummeln noch irgendwas verbessern will. Aber es kann allen Ernstes nicht davon ausgegangen werden, dass der menschliche Organismus in seinem Normalfall und Konstitution (und hier speziell bezüglich der Annormalität Kopfschmerzen) durch ein Implantat eine “Verbesserung” erfährt – der ist nur zusätzlicher Balast, der wahrscheinlich nie exakt genug und ohne Nebenwirkungen funktionieren wird. (Ich kenne einige Erfahrungen aus der Anwendung von Implantaten bei M. Parkinson und dem Cochleaimplantat)

    Und was diese vielen neuronalen “Unregelmäßigkeiten” betrifft (Migräne, Hörschädigungen, andere neuronale Schädigungen), befürchte ich allerdings ganz besondere Ursachen mit ganz besonderem “Beigeschmack”, was möglicherweise eine Ursachenbeseitigung oder gar die Forschung daran selbst unmöglich macht.

    Und ich schwöre ja selten bis gar nicht, aber hier mache ich es:

    Ganz sicher will niemand wissen wenn er etwa refraktäre Kopfschmerzen hat, wie man diese mathematisch in ihrem Ablauf simulieren kann. Und Begriffe wie Flussfeld, Multistabilität oder Intermittenz werden Leidende sicher nicht im Sinne der Schmerzvermeidung wünschenswert effektvoll erreichen. Will sagen, dass sie ganz andere Probleme haben, als zu ergründen, was der Fachman diesbezüglich aussagen kann. Die Gefahr bei der Aussage war dir aber wohl bewusst. Trotzdem danke, dass es (noch) einmal besprochen wurde (ich laß darüber hier schon – glaube ich).

    Strategisch ist zu fragen, ob man die “Krankheit” inzwischen ausreichend hat beobachtet und beschrieben. Wenn ja, dann solle man vielleicht beobachten, was denn zur Krankheit führen könnte. Wenn nein, dann muß eben weiterhin beobachtet werden und aber einen sinnvollen Therapieansatz nicht aus den Zielsetzungen verlieren – oder gemäß meinen Hinweisen oben überhaupt erst darin aufnehmen.

    Ich glaube, bevor ich mir ein Implantat in das Gehirn einsetzen lassen würde, müsste ich den Verstand vollends verloren haben – für so absurd und abwegig halte ich diese Lösung. Und wenn ich daran denke, dass ich dann nicht nur darauf achten muß, das mein Handy aufgeladen ist, sondern auch meine Elektrode im Kopf genug Strom für den Tag hat…!?

    Nicht böse werden bei meiner Kritik, aber sie musste einmal ausgesprochen werden. Und ich weiß wohl, dass du nicht der Representant der gesamten Forschergemeinde (Migrände-Kopfschmerz) bist und also nicht als prädestinierter Ansprechpartner dastehst. Aber vielleicht ist mit meinen Aussagen trotzdem geholfen, wenn diese Sichtweise eines Menschen auch mal bedacht wird.

  4. Ich antworte später!

    Danke für die Kritik. Am Beispiel der Intermittenz bei einem Billard will ich dann bald mal versuchen, meinen Einwand zu kontretisieren.

  5. pathologisches Verhalten

    Hat jede Krankheit immer eine Ursache?

    Das Beispiel der Intermittenz könnte ein etwas differenziertes Bild zeichnen.

    Man stelle sich vor: Ein Billardtisch mit einem Wand-nahen Hindernis. Die Kugel gerät fast nie zwischen Wand und Hindernis, wenn aber doch, verfängt sie sich und schlägt hin und her und hin und her und hin und her und hin und her und hin und her und hin und her…
    bis sie durch den Kanal ist und wieder befreit über den ganzen Tisch fegt. Diese eingeschränkte Zickzack-Dynamik symbolisiert die krankhafte Nervenzelldynamik.

    Wie die Ursache bekämpfen? Hindernis wegräumen? Vielleicht liegt das aus guten Grund da, also bei jedem Billard (Menschen) und ist nicht in diesem Sinn abnormale Ursache. (Das Hindernis könnte gar ein Loch verdecken.) Die Krankheitursache könnte der Zufall sein. U.a. sowas meinte ich oben mit: dass “pathologisches Verhalten hervorruft, obwohl die Sytemparameter im physiologischen Bereich sind”.

    Wie bekämpft man dies?

  6. “Hat jede Krankheit immer eine Ursache?”

    -> Ja, …ohne jetzt groß auf die Umgebungsbedingungen des Begriffs “Krankheit” einzugehen. Es wird suggeriert, dass Krankheit eine Abnormalität darstellt und alle Forschung verspricht selbstverständlich gegen Krankheiten Therapieansätze zu entdecken. Und jede Begebenheit kann auf bestimmende Ursprungsbedingungen zurückgeführt werden.

    Ein wenig muß man an den Billardbeispiel zweifeln. Denn das Hinderniss ist vorsätzlich aufgestellt worden. Und auch der Grund der Aufstellung ist nicht mit den Spielregeln des Billards zu vereinbaren. Und ich kann auch nicht anerkennen, dass “Spielregeln” bestehen sollen, die Kopfschmerz als quasi normalen Bestandteil von Gehirnfunktionen vorsehen. Dein Systembeispiel beschreibt auch nur “unter diesen Bedingungen (Hindernis) normale Systemparameter und erwartbare Funktionsbereiche.”

    Übertragen auf das Gehirn muß ich also nun annehmen, dass aus heiterem Himmel und ohne erkennbarer Not (und vor allem ohne Kenntnis und Willen des betroffenen) also das Pendant eines Hindernisses in die Nervenzellen “eingebaut” wurde…!?

    Wer oder was hat dies veranlasst? Aufgrund welcher Aktivität oder Zielsetzung war dies geschehen? Auf jeden Fall wäre wohl dieses “Hindernis” eine Ursache der Schmerzen, woraufhin man also einen Forschungsgegenstand besitzt – wennauch der strategisch bessere Weg der Vermeidung von solchen Begebenheiten die Verhinderung der Ursache des Entstehens dieses (im übertragenden Sinne) “Hindernisses” ist.

  7. Intermittenz

    Das Beispiel soll nur verbildlichen, dass ein nichtlineares dynamisches Systems meist reguläres Verhalten (gesund) zeigen kann, aber durch andere, kurzweilige Phasen (krank) unterbrochen wird.

    Das erklärt natürlich nicht, warum nicht jeder dann dieses Verhalten zeigt, sondern nur einige. Trotzdem würde ich das mit der Krankheitsursache etwas differenzierter sehen.

    Was wenn die Krankheit potentiell ausbricht. Wie ein Schlaganfall. Danach kann man nicht die Ursache bekämpfen (ohne Zeitmaschine).

    Dein Einwand hat allgemein schon eine hohe Berechtigung. Nur ist es wirklich so, dass die medizinische Forschung mehr in Symptome investiert als in Ursachenforschung?

  8. Schmetterlinge

    Es heißt, dass ein winziger Faktor wie der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Hurrikan an der Westküste der USA auslösen kann. Ein Schmetterling ist also an allem Schuld. Die Ursache wäre gefunden, jetzt gilt es den einen besonderen Schmetterling zu identifizieren und unter Kontrolle zu bringen der für den Sturm kommende Woche verantwortlich sein wird. Kein Schmetterling verhält sich auffällig, sie tun alle das was Schmetterlinge eben tun. Wir könnten die Schmetterlinge ausrotten. Die Frage was mit einer Welt ohne Schmetterlinge passiert und warum Hurrikane sich bislang auf die Westküste beschränken, warum andere Gegenden trotz flatternder Schmetterlinge nie mehr als einen willkommenen Wind erleben bleiben offen.

    Ich glaube Migräne ist etwas das erst auf dem Weg zwischen Brasilien und der Westküste entsteht. Ein zusammentreffen von normalen Faktoren, die in ihrer Gesamtheit den Sturm begünstigen. Die Schmetterlinge auszurotten würde gar nichts ändern, genau wie ich nie alle denkbaren Auslöser meiden und so Migräne dauerhaft verhindern kann. Vielleicht gibt es einfach nichts das sich bekämpfen oder schadlos ausschalten lässt.

    So stelle ich mir Migräne vor, deshalb hoffe ich nicht auf ein Heilmittel. Ich gehe nicht davon aus das es jemals etwas geben wird das Migräne erfolgreich unterdrückt und kein massiver Eingriff ins Leben der Betroffenen bedeuten würde. Für etwas wie einen Schrittmacher würde ich mich möglicherweise entscheiden wenn ich täglich schlimme Migräne hätte, zum jetzigen Zeitpunkt käme das für mich nicht in Frage, genauso wenig wie ein Medikament das auf ähnliche Weise in meinen Kopf eingreifen würde.

    Ich wäre dankbar für Vorhersagbarkeit, das ist es was ich mir in erster Linie von Markus erhoffe. Abschätzen zu können wann die Migräne passiert, das würde mir das Leben schon sehr erleichtern.

  9. Descartes’sche Vorstellung

    Die Chaostheorie liefert eine Antwort, die Sensibilität von den Anfangsbedingungen. Es lohnt aber trotzdem, genau hinzu gucken.

    Schmerz immer nur als Symptom sehen zu wollen, ist das erste Problem. Ihm liegt oberflächlich eine Descartes’sche Vorstellung zu Grunde, Schmerz als Folge von Verletzungen zu begreifen. Tiefer betrachtet ist das Problem daher eine eingeschränkte Vorstellung der Bedeutung von „Ursache“ als eine dingliche Ur-Sache, die man wie einen Schmetterling greifen kann.

    Montag kommt dazu noch ein eigener Beitrag.

  10. Notwehr

    Wenn der Leidensdruck groß genug ist, wird mensch vieles tun, was er in “gesunden” Zeiten für undenkbar hielt. Will sagen: Ich kann es mir vorstellen.

  11. Schwierige Gratwanderung

    Stimulationsverfahren sind nicht mehr wegzudenken aus der Therapie bestimmter Erkrankungen. So ist die THS bei Parkinson inzwischen fest etabliert und nachgewiesen höchst wirksam. Ebenso die spinal cord stimulation und die vagus nerve stimulation bei therapieresistenten Depressionen.

    Die Wirkung der Stimulation bei o.g. Verfahren kann man nachvollziehen und auch erklären.

    Ganz anders bei der Migräne. Das Hauptproblem des Migränikers ist ja der fehlende Reizfilter, was bedeutet, dass nicht unterschieden werden kann zwischen wichtigem und unwichtigem (sich ständig wiederholendem, bekanntem usw.) Reiz. Jeder Reiz wird wahrgenommen, analysiert – das Gehirn beschäftigt sich damit. Auch dann noch, wenn der selbe Reiz zum hundertsten Male auf einen reinprasselt. Ein “gesundes” Gehirn blendet Reize, die sich wiederholen und keine Relevanz mehr haben, ganz einfach aus. Das kann der Migräniker nicht und als Folge dessen die erhöhte Ausschüttung der Neurotransmitter- neurogene Entzündung und alles nimmt seinen Lauf.

    Durch die Occipitalis-Stimulation wird das Gehirn durch einen zusätzlichen Reiz traktiert. Wie soll das Gehirn jetzt “wissen”, dass dies ein guter Reiz ist, wenn es das bei den anderen Reizen und Impulsen auch nicht unterscheiden kann? Was soll damit gewonnen, verbessert werden?

    Und da, finde ich, besteht der grundlegende Unterschied zur medikamentösen Prophylaxe, die ja in der Regel darauf basiert, die übermäßige Erregungsbereitschaft der Nervenzellen runterzufahren. Daher wirken sie ja auch mehr oder weniger gut.

    Ich frage mich wirklich, ob ein Migränegehirn jeweils von zusätzlichen Reizen würde profitieren können.

  12. Primäre Kopfschmerzen

    Ich schreibe bewusst nicht von Migräne sondern allgemein von Kopfschmerzen. Primäre Kopfschmerzen meine ich dabei natürlich, aber Cluster-Kopfschmerz oder trigeminoautonome Kopfschmerzen sind vielleicht (momentan noch) die besseren Beispiele für den Einsatz neuromodulierender Verfahren. Allerdings gibt es auch Konzepte für Migräne.

  13. Habe seit über neun Jahren einen Hirnschrittmacher wegen einer Myoklonusdystonie, ausgelöst durch eine Zangengeburt mit Sauerstoffmangel. (Bin mittlerweile 58 Jahre alt)
    Würde den Schrittmacher nicht wieder hergeben.
    Mein Leben ist seither viel leichter geworden.
    Nur Menschen die ähnlich betroffen sind, seien es Bewegungsstörungen oder Schmerzen,
    egal welcher Art, können sich ein Urteil erlauben.
    Gesunde dagegen reden meist über Ihnen nicht bekannte Dinge.

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