Transparenz mit widersinnigen Konsequenzen

BLOG: Graue Substanz

Migräne aus der technischen Forschungsperspektive von Gehirnstimulatoren zu mobilen Gesundheitsdiensten.
Graue Substanz

Interessenkonflikte offen zu legen reicht nicht, wenn weitere wirkungsvolle Maßnahmen, die die Transparenz erhöhen, daraufhin ausbleiben.

Was nutzt es, wenn unter jeder wissenschaftlichen Veröffentlichung steht, dass die Autoren von hier oder dort finanzielle Unterstützung erhielten? Trägt es immer zur Erhellung bei oder kann es sogar widersinnige Konsequenzen haben?

Führen wir uns erstmal ein alltägliches Beispiel vor Augen. Nehmen wir an, Sie suchen ein neues Handy und bekommen einen Rat von einem Kollegen. Er empfiehlt Ihnen ein neues Smartphone mit herausragenden Funktionen, alles was man sich so wünschen kann. Er selbst, so legt er frei offen, bekommt sogar eine Prämie, wenn Sie bei der Bestellung dieses Smartphones seinen Namen angeben. Das Smartphone sei aber auch wirklich mit großem Abstand zur Zeit das Beste auf dem Markt, beeilt sich Ihr Kollege zu versichern.

Ich weiß, dass Du weißt, dass ich weiß,
dass ich Deine Meinung ändern will.

Gleich zwei Fragen stellen sich hier.

Wie hat die Offenlegung des Interessenkonflikts des Kollegen Ihr potenzielles Kaufinteresse beeinflusst? Er will Sie einerseits objektiv beraten. Andererseits steht dem seinen Wunsch, die Prämie zu bekommen, womöglich entgegen. 

Und wie wiederum hat es ihn selbst beeinflusst, dass er sein Interesse offen legte? Hier ist die Frage, ob er ohne diese Transparenz Sie anders beraten hätte? Dieser zweite Aspekt, der dazu führen kann, dass ein Offenlegen durchaus widersinnige Konsequenzen haben kann, wurde im Februar im Journal of the American Medical Association besprochen.*

Zwei Phänomene – ein strategisches und ein moralisches – haben Forscher in Studien durch speziell nachgestellte Situationen, ähnlich der anfangs beschrieben Situation mit dem Kauf eines Smartphones, bei Menschen die zur Transparenz gezwungen waren, beobachtet.

Strategisch übertreiben oder
ein solches zurückhalten?

Sie fanden sowohl eine “strategische Übertreibung” als auch die entgegengesetzte “strategische Zurückhaltung”. Mit “strategischer Übertreibung” bezeichnen die Autoren die Tendenz eines Beraters, einer möglichen negativen Bewertung des Ratnehmers aufgrund der Offenlegung mit von ihm einseitig verfälschten Behauptungen entgegenzuwirken. Der Berater weiß also vielleicht gar nicht, ob das Smartphone das Beste auf dem Markt ist. Aber weil er das Smartphone für gut hält und fürchtet, der Beratene glaubt ihm sowieso nur noch eingeschränkt, weil der Konflikt ja offen liegt, wertet er seine Aussage durch eine solche Übertreibung auf.

Demgegenüber will der Berater mit einer “strategischen Zurückhaltung” nach seiner Offenlegung die antizipierte negative Bewertung eigentlich wahrer, doch nun für den Ratnehmer vielleicht übertrieben klingenden Aussagen, unbedingt verhindern. Da wird beispielsweise der sehr günstige Testsieger und Marktführer zu einem “wohl schon recht guten Telefon”, nur damit der Berater nicht in Verdacht gerät, sowieso zu lügen, des eigenen Vorteils willen. Strategien sind komplex: “Ich weiß, dass Du weißt, dass ich weiß, dass ich Deine Meinung ändern will.”

Moral ist dagegen einfacher. Was die Forscher “moralische Lizenzierung” nannten, führt immer zur Übertreibung des Beraters. Es geht um das oft unbewusste Gefühl, eine einseitig verfälschte Behauptung ist nun gerechtfertigt, da der Beratene ja hinreichend gewarnt wurde.

Smartphone, Häuser und Medikamente.
Lässt sich das vergleichen?

Die Ergebnisse der Studien wurden, wie es der Name der Zeitschrift vermuten lässt, auf die Medizin übertragen. Und dort auf die Arzt-Patient-Beziehung im Zusammenhang mit offengelegten Zuwendungen der pharmazeutischen Industrie und der Medizingeräteindustrie an Ärzte bei Veröffentlichungen in Zeitschriften.

Dabei ist klar, dass die eigentliche Studie, auf die sich die Autoren berufen, nur sehr eingeschränkt Aspekte der Arzt-Patient-Beziehung imitiert. In dieser vorangegangenen Studie im Journal of Consumer Research mussten nämlich Probanden den Marktwert von Häusern schätzen, ähnlich wie im Beispiel den Wert des Smartphons. Abhängig vom erfolgten Schätzwert wurde der Berater (im Experiment waren das ebenso Probanden) belohnt, wobei dies sowohl mit als auch ohne Offenlegen dieser Abhängigkeit erfolgte und so verglichen wurde.

Das hat wenig mit medizinischen Veröffentlichungen zu tun, auf die die Autoren ihre Ergebnisse zu übertragen versuchen.

In der Medizin spielen viele besondere Gegebenheiten ein Rolle. Würde ein Arzt seine Patienten wirklich über das Ohr hauen, weil er einen finanziellen Vorteil hat? Allzu naiv darf man solche ethischen Fragen nicht wegwischen, ebenso wenig aber kann man Verhalten in gestellte Situationen eines Experimentes, in den weiterreichende Konsequenzen für die Probanden gar keine Rolle spielten, einfach übertragen. Generell frage ich mich, ob überhaupt der Patient ins Spiel kommt bei den angeführten Offenlegungen (“Disclosure”) in medizinischen Fachzeitschriften. Es geht weniger um eine transparente Arzt-Patient-Beziehung als um ratsuchende und sich weiterbildende Ärzte selbst, die diese Veröffentlichungen lesen. Sie stehen in einer indirekten Beziehung zu den meinungsmachenden Koryphäen auf ihren Fachgebiet und müssen deren “Disclosure” bewerten. 

Wann ist genug Sonnenschein?

Abgesehen von diesem Kritikpunkt der eingeschränkten Übertragbarkeit sehe ich zwar schon ein, dass die von den Autoren genannte “strategische Übertreibung” und “Zurückhaltung” sowie auch die “moralische Lizenzierung” auch bei medizinischen Veröffentlichungen mit Disclosure eine Rolle spielen könnten. Doch ist in meinen Augen der eigentlich entscheidende Punkt, dass allein Interessenkonflikte offen zu legen so oder so nicht ausreicht. Dies würde nämlich allein deswegen schon negative Konsequenzen haben, wenn weitere effektive Maßnahmen danach einfach ausbleiben, unabhängig davon, wie wirkungsvoll die ersten Maßnahmen letztlich schon allein für sich genommen sind. Wenn man meint, längst schon etwas sinnvolles getan zu haben, denkt man nicht mehr über weitergehende nächste Schritte nach. Auch diesen Gesichtspunkt erwähnen die Autoren. Er sollte zentral sein, auch wenn er viel banaler erscheint als die strategischen und moralischen Aspekte.

Welche zusätzlichen Maßnahmen könnten zu einer weitergehenden Transparnz in der medizinischen Forschung führen? Die Autoren spielen den Ball zum Justizministerium der Vereinigten Staaten: Ganz neue Regelungen müssten hier gefunden werden.

Seit Mitte der 1970er Jahre gibt es in den USA ein schön klingendes Gesetz, den “Government in the Sunshine Act”, das für mehr Transparenz in der Regierung sorgen soll. Unter diesem Gesetz werden künftig auch neue sogenannte “Sunshine Provisions” die Patientensicherheit beim Marketing im Gesundheitswesen stärker regulieren. Unter anderem müssen nun schon ab Januar 2012 Reisen, Geschenke, Mahlzeiten, Honorare und andere Kostenübernahmen über $25 zusammen mit weiteren detaillierten Daten gemeldet werden.

Disclosure

Ich halte die Erarbeitung von solchen und anderen zusätzlichen Maßnahmen und Regelungen für sinnvoll. Doch ich berate das Justizministerium der Vereinigten Staaten nicht dahingehend. Einer der Mitautoren legt allerdings am Ende seiner Veröffentlichung zu den Teils widersinnigen Effekten in seinem eigenen Disclosure offen, dass er für die Bereitstellung von Gutachten zu genau diesem Thema vom Justizministerium der Vereinigten Staaten bezahlt wurde. Ein Schelm wer ihm bei der Problembeschreibung strategische Übertreibung und moralische Lizenzierung vorwirft.

Apropos: Interessenkonflikte treten soagr auch beim Bloggen auf und so fragte ich schon vor 2 Jahren, ob wir einen Verhaltenskodex auch dort brauchen? Denn Wissenschaftsbloggen ist auch Lobbyismus.

 


Fußnote

* George Loewenstein, PhD; Sunita Sah, MD, PhD; Daylian M. Cain, PhD, The Unintended Consequences of Conflict of Interest Disclosure JAMA. 2012;307(7):669-670. doi:10.1001/jama.2012.154 

Die American Medical Association (AMA) ist eine Vertretung der Ärzte und Medizinstudenten in den Vereinigten Staaten, vergleichbar mit der Bundesärztekammer. Das JAMA ist eine von mheren Zeitschriften die die AMA herausgibt.

 

© 2012, Markus A. Dahlem

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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

1 Kommentar

  1. Maßnahmen für sinnvolle Transparenz

    Aus meiner Sicht gibt es einen Weg ganz ohne die Juristen, der mir auch vielversprechender scheint: Metastudien.

    Allgemein entsteht doch gerade bei Metastudien das Problem, dass es sich scheinbar widersprechende Ergebnisse gibt. Man kann dann oft kein wirkliches Ergebnis festhalten. Wenn man nun aber weiß, wie die jeweiligen Studien (oder Forscher) finanziert werden, dann kann man dies in Modelle integrieren. Und dann gelangt man (jedenfalls eher) zu stimmigen Aussagen. Denn wo es finanzierungsunabhängige Differenzen gibt, da gibt Forschungsbedarf. Wo es nur finanzierungsabhängige Differnzen gibt, da dürfte dies zumindest seltener der Fall sein.

    Und dieses Wissen kann dann auch zurückwirken auf die Studien selbst, denn letztlich will jeder Forscher Anerkennung – und somit würde die Finanzierungsabhängigkeit der Forschungen zurückgedrängt (zumindest theoretisch).

    Rechtliche Regeln scheinen mir dafür nur sehr unvollkommen, denn sie könnten allenfalls in Prozessen durchgestetzt werden. Und diese werden von mächtigen Unternehmen systematisch unterbunden bzw. durch finanzierte Forschungen auf eine falsche Fährte gelenkt. Daher: Auch den Juristen würde die Kenntnis um die finanzielle Herkunft von Studien sehr helfen…

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