Kauderwelsch im Fernsehen: Schlaganfall der keiner war

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Migräne aus der technischen Forschungsperspektive von Gehirnstimulatoren zu mobilen Gesundheitsdiensten.
Graue Substanz

Die US-Fernsehreporterin Serene Branson verfiel während ihrer Berichterstattung über die Grammy Awards für einige Sekunden in ein unverständliches Kauderwelsch. War es ein Schlaganfall, Epilepsie oder Migräne?

Als ich vergangenen Dienstag in der New York Times die Schlagzeile “Did a Reporter Have a Stroke on TV?” [Erlitt eine Reporterin einen Schlaganfall im TV?] las und dann den Filmausschnitt sah, hatte ich sofort einen Verdacht, den ich auch gleich mal twitterte: Das war ein Migräneanfall und kein Schlaganfall.*

Branson, die Fernsehreporterin, verfiel während ihrer Berichterstattung über die Musikpreise Grammy Awards in ein unverständliches Kauderwelsch, bevor ihre Reportage abgebrochen werden musste.

In der New York Times kam ein Neurologe zu Wort: 

“What a terrifying event,” said Dr. Daniel Labovitz, assistant professor of neurology at Einstein School of Medicine and attending stroke neurologist at Montefiore Medical Center in the Bronx. “I very strongly suspect this was a stroke or transient ischemic attack.”
[“Was für ein erschreckendes Ereignis “, sagte Dr. Daniel Labovitz, Assistent Professor für Neurologie an der Einstein School of Medicine und Oberarzt für Neurologie an dem Montefiore Medical Center in der Bronx. “Ich vermute sehr stark, dass dies ein Schlaganfall war oder eine transitorische ischämische Attacke.”]

In Frage für die Ursache einer solchen Aphasie (Störung der Sprache) wäre auch noch Epilepsie gekommen. Im Januar erlitt die US-Nachrichtenmoderatorin Sarah Carlson einen solchen Anfall life im Fernsehen, der sich fast identisch durch Sprachprobleme äußerte. 

Bei Sarah Carlson ist die Diagnose kompliziert. Sie leidet unter Epilepsie aber vier Monate vor dieser Aufnahme wurde ihr auch ein Gehirntumor entfernt.

Eine viel einfachere Diagnose, die bei Sprachstörungen dieser Art allein der Wahrscheinlichkeit nach am häufigsten zutreffen wird, ist Migräne. Eine solche wurde nun auch bei Serene Branson diagnostiziert, wie aus dem Nachtrag vom 18. Februar der New York Times hervorgeht.

Dieses Beispiel einer Aphasie, vor allem die lange Verwirrung um deren Ursache, hebt einmal mehr hervor, wie unbekannt manche Migräne-Symptome heute immer noch sind. Allerdings – so muss ich auch immer wieder feststellen – ist nicht jeder Kauderwelsch im Fernsehen eine Migräne.

 

Fußnote

* Migräneaura oder Schlaganfall? Woran erkennt man dies nun? So einfach gar nicht. Ich habe nur wegen der Wahrscheinlichkeit Migräne für plausibler gehalten. Neurologische Störungen aufgrund transitorischer ischämischer Attacken (auch als TIA bekannt, das sind vorübergehende Durchblutungsstörung des Gehirns und Vorboten eines Schlaganfalls) treten in der Regel viel schneller auf (innerhalb von Sekunden) als die Migräneaura (entwickelt sich langsam und wird oft erst über Minuten richtig bemerkt). Bei Sprachstörungen ist der Zeitpunkt des Einsatzes aber viel verschwommener als z.B. bei Sehstörungen. In jedem Fall muß man beim Erstauftreten solcher Störungen immer einen Arzt aufsuchen.

 

Weiter in Englisch / Further reading in Gray Matters (my english blog):

Are you sure it’s safe to let Mom out of the house…?

 

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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

5 Kommentare

  1. Weiterhin Aufklärungsbedarf

    Diese Beispiele machen wieder einmal klar, dass der Migräne zu wenig “zugetraut” wird.

    Schlaganfall und Epilepsie kommen sofort mal zur Sprache, aber die wahrscheinlichere Möglichkeit einer Migräne nicht.

    Und dabei wäre sie doch so eine gute Ausrede für Fernseh-Kauderwelsch. 😉

  2. Reflexartig

    Da stimme ich zu.

    Mich würde es nicht mal wundern, wenn auch die Aphasie bei Sarah Carlson auf eine Migräne zurück geht. Denn zwischen Migräne und Epilepsie besteht eine noch nicht ganz verstandene Komorbidität. Reflexartig wird dann die anscheinend schlimmere Erkrankung bei drastischen neurologischen Symptomen als Ursache schuldig gesprochen.

    Natürlich geht es nicht darum, nun Krankheiten nach ihrer schwere zu ordnen, aber Migräne-Symptome sollten nicht zu kurz kommen und erkannt werden.

    Als gute Ausrede für Kauderwelsch würde mir jetzt ja viel einfallen. Migräne galt ja gar als Trigger transienter globaler Amnesien, aber chronische über sieben Jahre, da muss dann doch was anderes herhalten.

  3. Viele können sich einfach nicht vorstellen, dass Migräne derartig gravierende Symptome erzeugen kann.

    Dass eine Komorbidität zwischen beiden Erkrankungen besteht, kann ich mir sehr gut vorstellen. Nicht nur deshalb, weil Topamax bisher meine beste Prophylaxe war.

  4. Ich selbst leide sehr an Migräne und kann solche Ausfälle aus eigener Erfahrung bestätigen. Migräne ist deutlich schlimmer, als es in den Medien rüber gebracht wird.

  5. Twitter ist pandemisch

    Erstmal twittern. Das ist interessant. Das tun jetzt alle.

    Handelt es sich bei dieser Art Herdentrieb nicht ebenfalls um eine (kollektive) Form der Migräne/Epi-/Narkolepsie? Will sagen, um ein (morbides) potentielles Phänomen forcierter temporärer Synchronisation, das genügend großen Populationen mit quadratischer Vielfalt intrinsisch ist? “Irrational”, sagte er, dachte ich, muß jedes System bis zu einem gewissen Maß bleiben.

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