Bildung und Bund: Von der Hebamme der Exzellenz in die Mutterrolle + Update

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Migräne aus der technischen Forschungsperspektive von Gehirnstimulatoren zu mobilen Gesundheitsdiensten.
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+++ Update +++

Viel beachtet heute: Der Bundesrat hat eine Gesetzesinitiative für eine Frauenquote in den Führungsetagen der Wirtschaft auf den Weg gebracht. Nahezu unbeachtet blieb dagegen, dass die Grundgesetzänderung zum Kooperationsverbot, die ebenso heute im Bundesrat diskutiert wurde, nachgebessert werden muss.

Die bildungspolitische Sprecherin der SPD-geführten Länder, Doris Ahnen (Bildungs- und Wissenschaftsministerin in Rheinland-Pfalz) gegründet die Ablehnung heute eines Entwurfs der Bundesregierung zur Änderung des Grundgesetzes im Bundesrat so:

Wir brauchen eine Grundgesetzänderung, die verlässliche Wege der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern und vor allem eine dauerhafte angemessene Finanzausstattung für den gesamten Wissenschafts- und Bildungsbereich absichert. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Erweiterung der Kooperationsmöglichkeiten auf dem Wissenschaftssektor zielt noch nicht einmal darauf ab, dass Bund und Länder in der Breite im Hochschulbereich zusammenwirken können. Er sieht ausschließlich vor, dass exzellente Einrichtungen noch weiter gefördert werden können.

In der weiteren Stellungsnahme ist zu lesen, dass die Länder den Bund auffordern, Gespräche über eine alternative Grundgesetzänderung aufzunehmen.

Mal sehen wir lange das dauert.

+++ Update Ende +++

Nachfolgend mein Beitrag vom 16. September 2012, 16:45

Bildungspolitik hat viele teure Baustellen, aber offensichtlich gibt es z.Z. eine, die parteiübergreifend als verbesserungswürdig angesehen wird. Trotzdem soll blockiert werden.

Heute ist vorab online im Spiegel zu lesen, dass die Opposition Annette Schavans Pläne kippen will, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei Wissenschaftsprojekten zu erleichtern.* Die Hintergründe sind u.a. im Dezemberheft 2011 Forschung und Lehre nachzulesen (Seite 940, als pdf oder online über academics.de): ob in Karlsruhe, Lübeck oder Berlin, mit Tricks wird das Kooperationsverbot längst unterlaufen.

Worum geht es? Das Kooperationsverbot bezeichnet ein Verbot der direkten Kofinanzierung der Bildung durch den Bund. Kurz gesagt und eingeschränkt auf den Bereich Wissenschaft: Das Kooperationsverbot war die Hebamme der Exzellenzinitiative; nun soll der Bund in die Mutterrolle wechseln.

Denn nicht nur in Karlsruhe, Lübeck und Berlin, nein deutschlandweit wird dieses Verbot unterlaufen. Der Hauptzweck der Exzellenzinitiative ist genau das, eine solche Kofinanzierung. Exzellenz aufwendig zu identifizieren ist, wenn nicht gar widersprüchlich, so doch nur der erste Schritt einer sodann folgenden finaziellen Unterstützung, die der eigentliche Zweck ist. Und zwar ausgelobt just im Vorfeld als 2006 mit der größten Grundgesetzänderung dem Bund untersagt wurde, Bildung direkt finanziell zu unterstützen.

Es wird für den Bund auch erforderlich sein, sich im Bildungsbereich jenseits der Hochschulen zu engagieren, was laut Spiegel der Kritikpunkt der Opposition ist. Trotzdem sah es zeitweise so aus, dass die Abwehr von Grünen und SPD gegen eine schrittweise Grundgesetzänderung bröckelt. Den Kindergarten ausbauen, ein Ganztagsschulprogramm … – sicher, die Bildungspolitik hat viele teure Baustellen, die wir sofort angehen sollten. Aber offensichtlich haben wir zur Zeit nur einen Konstruktionsfehler in der Finanzierung, der parteiübergreifend als verbesserungswürdig angesehen wird. Deswegen halte ich es für richtig, jetzt auch den Schritt zurück zu gehen. Ihn nur deswegen nicht zu gehen, weil man der Meinung ist, dass eigentlich gleich drei Schritte zurück gegangen werden müssen, scheint mir eine Politik von gestern zu sein. Warum nicht in kleinen Schritten gehen, gerade wenn es um Änderungen im Grundgesetz geht?

Hebamme der Exzellenz, Mutter normaler Kinder.

Bedenklicher finde ich dagegen, dass die Lockerung angeblich den Bund zur Mutter der „Eliteunis“ werden lassen soll und der Bund nur diese weiter mit Milliarden fördern könnte. Wenn wir die ganze Suche nach „Exzellenz“ als das sehen, was es wohl war, nämlich ein umständlicher Umweg für die notwendige Kofinanzierung, dann fällt es uns sicher leichter, den vorangegangenen Auswahlprozess nicht mehr ganz so ernst zu nehmen. Mit dessen Ende 2017 könnten wir diese unsäglichen „Eliteunis“ schnell wieder vergessen. Nichts spricht allerdings in meinen Augen dagegen, auch einige Großprojekte, sei es das KIT oder die Charité, vom Bund kofinanzieren zu lassen. Eine Änderung jetzt ist genau die Chance für eine solche Finanzierung, die keine Pseudo-Rechtfertigungen ala „wir brauchen Elite“ mehr hervorbringen muss, sondern autark den Bund entscheiden lässt, wo er langfristig verantwortlich sein möchte.

 

 

Fußnote

*Worauf ich durch Stefan Kaufmann (@StefanKaufmann) aufmerksam wurde.

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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

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