„Sie schreiben für Experten, nicht für interessierte Laien, richtig?“

BLOG: Graue Substanz

Migräne aus der technischen Forschungsperspektive von Gehirnstimulatoren zu mobilen Gesundheitsdiensten.
Graue Substanz

Gute Frage, auf die ich keine pauschale Antwort habe; über 160 Blogbeiträge habe ich auf SciLogs geschrieben. Nachdem ich fast ein Jahr ausgesetzt habe, ist es eine willkommene Gelegenheit genauer darauf eingehen.

“Ja” antwortete ich in Bezug auf den letzten Beitrag, zum dem die Frage gestellt wurde.  Früher wäre meine Antwort öfter “nein” gewesen, zukünftig sehe ich aber „interessierte Laien“ – also die Öffentlichkeit, denn von Interesse gehe ich natürlich aus, wenn jemand freiwillig liest – nicht als primäre Zielgruppe meines Blogs.

Ein Wissenschaftsblog geführt von einem Wissenschaftler hat nicht vorrangig die Funktion, die Öffentlichkeit zu informieren. Zumindest wäre das eine unsinnige Einengung. Unbenommen gibt es hervorragende Gründe nur für Laien zu schreiben. Spaß daran ist wahrscheinlich der beste. Denn einen Wissenschaftler mit irgendeiner Begründung in die Pflicht zu nehmen, sich ständig an die Öffentlichkeit zu wenden, kann es natürlich nicht geben.

Ich will mich austauschen. Da interessiert mich vor allem das spezifische Wissen anderer. Das mag ein Migränepatient sein, der in der Regel ein interessierter Laie ist. Wenn ich am Computer sitze, oft genug früh morgens oder spät am Abend, schreibe ich jedoch nicht mit der Öffentlichkeit als meinen imaginären Leser. Irgendetwas treibt mich um. Als Nichtneurologe ist mir oft die Neurologie zu wichtig, um sie den Neurologen zu überlassen. Deswegen schreibe ich zusammenfassend über meine Arbeit und zwar nicht allein in meinem Blog.

Viele Zeitschriften fordern heute eine „Author Summary“. Das ist eine etwa 150-200 Wörter umfassende Zusammenfassung, die als Absatz jedem eingereichten Manuskript vorangestellt gehört. Diese Zusammenfassung soll die Bedeutung oder die möglichen Auswirkungen der eingereichten Arbeit noch besser zugänglich machen, wobei man doch eher andere Wissenschaftler als Nicht-Wissenschaftler im Blick hat. Eine „Author Summary“ kann sogar zusätzlich in einer anderen Sprache als Englisch dem wissenschaftlichen Artikel beigefügt werden. Das habe ich aber noch nie gemacht. Zum einen liest sowieso niemand die Author Summary, der nicht sowieso schon längst ein Interesse an dem Artikel gefunden hat. Zum anderen sind 150-200 Wörter nicht genug Platz, um auch an neue Punkte über den Inhalt des Artikels hinaus anzuknüpfen und das scheint mir spannender als einfach nur die eigene Beurteilung der eigenen Arbeit.

Der letzte Beitrag ist im wesentlichen eine Übersetzung meines letzten Beitrages auf SciLogs.com. Der wiederum ist die Author Summary kombiniert mit Bausteinen aus dem Anschreiben an den Editor. Dieses Anschreiben, das zusammen mit dem Manuskript eingereicht wird, erfüllt eine ähnliche Funktion wie das  Author Summary.

Ein Blog ist ideal, um diese Texte öffentlicher und auch schneller öffentlich zu machen.

Mir hat z.B. mein Blog schon den Weg zu einer Kooperation mit einem Neurologen eröffnet. Es ist schwer zu sagen, ob man nicht auch ohne Blog zusammengefunden hätte. Aber der erste Kontakt kam aufgrund des Blogs. Mittlerweile haben wir zusammen ein Paper veröffentlicht und ein zweites eingereicht.

Vor dem Einreichen eines Manuskripte stelle ich es in der Regel auf einem Dokumentenserver öffentlich zur Verfügung, dem arXiv. Dort steht aber nicht unbedingt schon ein Paragraph mit der „Author Summary“ drin. Außerdem ist der Text des Anschreibens an den Editor nicht öffentlich.

Die Vorteile des “open science” gehen über diese zwei Beispiele hinaus. Teile eines Blogbeitrages haben es in die FAZ geschafft (hinter Bezahlwand). Was zeigt, dass sich ein Blog gewollt oder ungewollt an die mediale Öffentlichkeit wendet. Journalisten dazwischen zu schalten, statt sich unmittelbar an die Öffentlichkeit zu wenden, bringt in meinen Augen jedoch einen Mehrwert, wenn man über die eigene Forschung schreibt.

Was mich die Stirn runzeln lässt, ist, dass ich fast keine Vorbilder habe. Carson C. Chow nutzt sein Blog Scientific Clearing House zum Beispiel wie es mir vorstrebt. In Zukunft werde ich konsequenter als in den Jahren zuvor die Richtung einer wissenschaftsnahen Nutzung des Blogs einschlagen. Gleichzeitig kehre ich zurück auf SciLogs. Das ist durchaus widersprüchlich. Denn spontan fällt mir dort nicht ein einziges Blog ein, das ich als Vorbild sehe. Ich mag gleich mehrere übersehen und es gibt großartige andere Wissenschaftsblogs auf SciLogs.

Wie dem auch sei: nach fast einen Jahr Pause und Veröffentlichen in einem eigenständigen Blog, ordne ich mich gerne wieder in einem Portal ein. Nicht zuletzt weil ich mich unabhängig von meiner wissenschaftsnahen Zielrichtung über Rückmeldung von interessierten Laien in den Kommentaren freue – auch wenn sie mir beim Schreiben nicht gegenüber saßen.

 

Fußnoten

Frei nach David Packard, Mitbegründer von Hewlett Packard: „Marketing ist viel zu wichtig, um es nur der Marketingabteilung zu überlassen“.

 

Avatar-Foto

Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

5 Kommentare

  1. Ein Wissenschaftsblog geführt von einem Wissenschaftler hat nicht vorrangig die Funktion, die Öffentlichkeit zu informieren.

    Das macht den Blog damit vielleicht sogar umso interessanter, weil dann nicht versucht wird, es “laiengerecht”, also manchmal vereinfachend, darzustellen.

    Denn einen Wissenschaftler mit irgendeiner Begründung in die Pflicht zu nehmen, sich ständig an die Öffentlichkeit zu wenden, kann es natürlich nicht geben.

    In gewisser Weise schon, schließlich bezahlen die Laien ja. 😉

  2. Du bist wieder da!!! Ich freue mich wirklich wieder von Dir zu lesen!

    Mir ist egal für wen Du schreibst, solange Du schreibst wie Du schreibst, bleibt es spannend obwohl ich natürlich vieles nicht verstehe oder vielleicht sogar deswegen. Ist es mir dringend habe ich die Möglichkeit nachzufragen, wo sonst könnte ich das außer in einem solchen Blog? Deshalb bleibe ich dabei und lese alles mit.

    • Freut mich natürlich. Wobei ich nie in Frage gestellt habe, dass gerade diejenigen, die schon immer hier gelesen haben weiter lesen (sollen) und mich mit Kommentaren und Fragen bereichern werden. Das meine ich genau wie ich es sage: jede Frage, jeder Kommentar gerade von Betroffenen empfinde ich als Bereicherung.

      Und es geht mit vielen neuen Beiträgen weiter.

  3. Pingback:Science-to-Science-Kommunikation: der blinde Fleck der Wissenschaftskommunikation › Graue Substanz › SciLogs - Wissenschaftsblogs

Schreibe einen Kommentar