Vor 25 Jahren: Die Nacht des Kometen

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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+++ Hinweis: Aus gegebenem Anlass erschien mir der Artikel zum eigentlich vorgesehenen Erscheinungsdatum (13.3.2011) reichlich irrelevant, sodass ich ihn zunächst zurückstellte. +++ 

März 1986. Es war etwas Besonderes los in der Bundesrepublik Deutschland. Diesem etwas träge und behäbig erscheinenden Land. Kohl war schon 4 Jahre am Ruder; niemand ahnte, dass es noch 12 weitere werden würden. Der Zusammenbruch in der DDR, keine 4 Jahre in der Zukunft, galt weithin als Nicht-Thema. Es sollte noch so manche notwendige Reform hinausgeschoben und so manche Schweinerei unter den Teppich gekehrt werden. Im Kabinett Kohl saß damals aber auch der Forschungsminister Heinz Riesenhuber, und das war wirklich mal ein Forschungsminister, der sich bemühte, seinem Amt Ehre zu machen.

März 1986. Sehr bald schon sollte ein Reaktorblock in Tschernobyl explodieren und allen Europäern hautnah demonstrieren, wie eng wir alle voneinander abhängen. Der neue Generalsekretär der KPdSU hatte in seinem Heimatland die Perestroika eingeleitet und schlug US-Präsident Reagan weit reichende nukleare Abrüstungsschritte vor – erstmalig wirkliche Abrüstung, nicht limitierte weitere Aufrüstung! Ein Vorschlag, auf den Reagan zum Schrecken der US-Militärs einging.

März 1986. Kurz zuvor, im Januar, war das Space Shuttle Challenger mit sieben Astronauten an Bord 73 Sekunden nach dem Start verunglückt. Die Analyse des Unfallhergangs deckte Schlamperei und ungeheure Managementprobleme auf, die gerade bei bemannten Missionen nicht ungestraft bleiben. Seitdem war die US-Raumfahrt an den Boden gefesselt, denn im Glauben an die umfassende Nützlichkeit des Shuttle hatte man den Bau konventioneller Raketen weitgehend aufgegeben. Eine Fehlentscheidung, die schleunigst revidiert wurde.

Später im Jahr feierten die Europäer den Erststart ihres neuen Modells Ariane 2 mit einem beeindruckenden Höhenfeuerwerk. Natürlich mit zahlender Nutzlast, einem Nachrichtensatelliten der Firma Intelsat (der Brauch, bei Erststarts neuer Raketentypen gleich schon Satelliten mitzuführen, damit sich ein Fehlschlag auch richtig lohnt, wurde später mit der Ariane 5G (1996) und der Ariane 5 ECA (2002) fortgesetzt).  Infolge des Ariane-Fehlstarts konnte die westliche Welt in diesem Jahr zeitweise gar keine Satelliten starten. Eine unglaubliche Situation, die heute undenkbar wäre.

März 1986. Ich stand im letzten Jahr meines Studiums der Raumfahrttechnik in Braunschweig. Natürlich verfolgte ich mit großem Interesse den Verlauf der im Juli 1985 gestarteten ESA-Mission Giotto. Aber auch viele andere Menschen interessierten sich für diese Mission – langsam begann sich die Schockstarre nach der Challenger-Katastrophe zu lösen. Studenten veranstalteten Giotto-Parties. Eine Freundin – ihres Zeichens Chemiestudentin – buk sogar eine Giotto-Torte. Gar nicht so einfach: der zylindrische Korpus ging ja noch, aber das Gestell für die Feed-Halterung musste sie aus Teig formen und über einem Ton-Blumentopf im Backofen aushärten.

Ja, es gab eine richtige Party-Stimmung, und die ESA rührte auch ordentlich die Werbetrommel. Zu Recht, denn immerhin war Giotto die erste interplanetare Mission der ESA, und überhaupt erst die zweite Sondenmission aus Europa in den interplanetaren Weltraum, nach Helios in den Siebzigern.

Giotto war eine sehr kühne Mission.

Kühn, weil etwas versucht wurde, was noch nie jemand versucht hatte. Eine Raumsonde sollte sich erstmals bis auf wenige Hundert km dem Kern eines aktiven, großen Kometen nähern. Das ist deswegen ein Problem, weil man von einem aktiven Kometen aus einiger Entfernung alles Mögliche sieht, aber nicht den nur wenige Kilometer großen  Kern, denn der verbirgt sich hinter der sich auf Hunderttausende Kilometer ausdehnenden Koma aus Staub und Eis. Da musste man bei der Navigation so richtig kreativ sein.

Kühn, weil man die Raumsonde dorthin schickte, wo es ausgesprochen ungemütlich für Raumsonden ist. Ein aktiver Kern stößt neben Staub und Gas auch größere Brocken aus. Wenn eine Raumsonde mit vielen Kilometern pro Sekunde quer durch die Koma rauscht, kann selbst ein kleiner Brocken zum tödlichen Geschoss werden. Insbesondere bei dieser Mission, denn das Ziel war nicht irgendein Komet. Nein, es war der König der Kometen: 1P/Halley. Dessen Bahn hat eine Periode von knapp 76 Jahren. Die meiste Zeit verbringt er weit draußen jenseits der Neptunbahn. Aber ein Mal pro Menschenleben macht er sich auf den Weg ins innere Sonnensystem, noch innerhalb der Venusbahn. Dabei verwandelt sich die Bahnenergie weitgehend in Bewegungsenergie. Zudem ist die Bahn von Halley retrograd, er zieht also im Gegensatz zu allen Planeten im Uhrzeigersinn. Dadurch ergab sich beim Vorbeiflug von Giotto unvermeidlich eine unvorstellbare Relativgeschwindigkeit zwischen Sonde und Kometenkern (und damit auch zwischen Sonde und allen den großen und kleinen Brocken in Kernnähe) von 68.7 km/s, fast 250,000 km/h. Da war Kreativität auch beim Bau der Sonde gefragt.

Kühn auch deswegen, weil die Mission Giotto genau und ganz eng auf die Mission zu Halley zugeschnitten war. Hätte man das Startfenster verpasst, gäbe es kein Backup.

Diese Kombination aus Risiken würden den diversen Erbsenzählern und Bedenkenträgern heutzutage ausreichen, um allein den Vorschlag sofort zu kippen. Etwas wagen? Gar nicht auszudenken! Das könnte ja schiefgehen! Äh … ist das nicht per Definition bei jedem Risiko immer so? Damals aber war Bedenkenträgerei noch keine Kardinaltugend, und man wagte etwas. In der Sowjetunion die Öffnung, in der großen Politik die nukleare Abrüstung, und in Europa, unter anderem, Giotto.

Giotto ist nicht nur ein Erfolg der Technik und Wissenschaft. Es ist auch ein Erfolg der internationalen Kooperation. 1985 und 1986 beobachtete eine ganze Flotille von Raumsonden den Halleyschen Kometen auf seiner rasanten Fahrt durch das innere Sonnensystem.  Die japanischen Sonden Sakigake und Suisei näherten sich im März 1986 dem Kern auf bis zu 7 Millionen (Sakigake), und 151,000 km (Suisei). Deutlich getoppt wurde die japanische Leistung durch die sowjetischen VeGa-Sonden 1 und 2, die beide während eines Venusvorbeiflugs je eine Landesonde und einen Atmosphärenballon absetzten und dann weiter zum Halley flogen, den sie Anfang März 1986 in 9000 bzw. 8000 km Abstand passierten. Ohne die Messdaten dieser Sonden hätte Giotto es nie geschafft. Besonders die VeGa-Missionen wurden nie ausreichend gewürdigt – ich werde das in Kürze an dieser Stelle nachholen. Das liest dann wahrscheinlich wieder keine Sau.

Giotto wurde mit einer Ariane 1 gestartet, zunächst in ein GTO wie geostationäre Satelliten. Ariane-Raketen sind – dank einer Kombination aus ungeeigneter Bauart und ungeeignetem Startort – für interplanetare Starts wenig bis gar nicht geeignet. Den Einschuss in die Erdflucht bewerkstelligte eine Festbrennstoffstufe des französischen Herstellers Mage. Diese sind notorisch ungenau. Es ist bei Festbrennstoffen nicht einfach, genau das gewünschte Geschwindigkeitsinkrement zu erreichen. Deswegen muss die Nutzlast, also der gestartete Satellit bzw. die Raumsonde, ausreichend eigenen Treibstoff mitführen, um die möglichen Einschussfehler zu korrigieren. Beim Mage-Triebwerk wurden vom Hersteller allerdings zu hohe Werte genant, wahrscheinlich aufgrund einer Verwechslung von 3-Sigma und 1-Sigma – sodass Giotto einen deutlich größeren Treibstoffvorrat mit sich führte als eigentlich erforderlich.

Eigentlich sollte Giotto den nahen Vorbeiflug gar nicht überstehen. Die Sonde sollte nur so lange wie möglich überleben und Bilder und Daten aus dichtem Abstand vom Kern direkt zur Erde senden. Es war nicht vorgesehen, dass sie danach noch etwas anderes machen sollte – bei einer so genau auf diese Mission zugeschnittenen Sonde macht eine Zusatzmission auch nicht wirklich Sinn.

Dennoch – der zusätzlich verfügbare Treibstoff weckte Begehrlichkeiten. Wenn noch so viel Sprit übrig war, könnte man doch danach noch anderswo hinfliegen. Dann aber müsste man sicher stellen, dass die Sonde den Vorbeiflug überlebt. Die Chancen dafür stiegen aber bei einem höheren Vorbeiflugabstand als den zunächst geplanten 250 km.

Als Kompromiss einigte man sich auf einen geplanten Zielabstand von 600 km 540 km (erzielt wurden schlussendlich knapp 600, wie die Auswertung der Bahnbestimmungsdaten nach dem Vorbeiflug ergab). Das würde die Sonde aus der Zone der größten Dichte an festem Auswurfmaterial heraushalten und damit die Chance des Überlebens maximieren, allerdings auf Kosten des wissenschaftlichen Werts, denn unter anderem wollte man ja genau diesen Staub untersuchen.

Schon ein Blick auf Giotto zeigt die genau für diese Mission maßgeschneiderte Bauweise, die nur auf einen einzige Zweck hin ausgerichtet war: bei der Begegnung mit Halley möglichst lange funktionstüchtig zu bleiben. Die zylindrische Form mit den umlaufend angebrachten Solargeneratoren ergibt sich aus der Tatsache, dass die Sonde spinstabilisiert war. Diese Bauform ist kompakt, vermeidet hervorstehende Teile und erlaubt hohe Lagestabilität. Ein Treffer abseits der Rotationsachse führt zu einer Taumelbewegung (Nutation), die durch mit einem viskosen Material gefüllte Dämpfer abgebaut wird.

Auf der einen Seite des Zylinders hat man einen doppelwandigen Impakt-Schild (“Whipple-Shield”). Die spin-stabilisierte Raumsonde war so ausgerichtet, dass genau diese Seite entgegen der Flugrichtung relativ zum Kometen zeigte. Brocken, die den äußeren Schild aus Aluminium treffen, durchschlagen diesen zwar, werden dabei aber selbst in kleinere Teilchen zerrissen und partiell verdampft. Die kleineren Teilchen haben nicht mehr ausreichend Wucht, um den inneren Schild aus Kevlargewebe (das Material, aus dem man kugelsichere Westen macht) zu überwinden. Diese Technik wird generell als Schutz gegen Hochgeschwindigkeitsimpakte verwendet, beispielsweise auch bei den Modulen der internationalen Raumstation. Selbstverständlich funktionieren auch solche Schilde nur bei einschlagenden Brocken bis zu einer bestimmten Größe.

Im Schutzschild, geschützt durch verschließbare Klappen, befand sich auch das Haupttriebwerk, mit dem Giotto seine Bahn korrigieren und so das genaue Zielen auf den nahen Vorbeiflug bewerkstelligen konnt.

Am entgegengesetzten Ende des Zylinders befand sich die Hauptantenne auf einer Plattform, die nicht mit dem Korpus mitrotierte. Der Reflektor war so orientiert, dass seine “Blickrichtung” um genau 44.3 Grad von der Rotationsachse der Raumsonde abwich. Dieser Wert entsprach dem Winkel zwischen inertialer Ausrichtung und der Richtung zur Erde, die zufällig genau so weit vom Kometen entfernt war wie von der Sonne, nämlich rund 150 Millionen km. Da die Bahn des Kometen Halley hinreichend genau bekannt war, konnte die relative Geometrie schon beim Bau der Sonde berücksichtigt werden. Die Feinkorrekturen, die erst im finalen Anflug aufgrund der Daten der sowjetischen und japanischen Sonden gemacht wurden, waren zu klein, um in diesem Zusammenhang eine Rolle zu spielen.

Somit war die Raumsonde bestmöglich geschützt, und wie sich zeigen sollte, ausreichend, zumindest bei der Zielentfernung von 600 540 km. Nur einige Instrumente mussten um den Schild herumlinsen, denn sonst hätte es keine Daten gegeben. Beim Kamerasystem HMC (“Halley Multicolour Camera”)  ging das mittels einer um 90 Grad geknickten röhrenförmigen Streulichtblende mit einem Spiegel im Knick.

Am Abend des 13.3.1986 trafen die Daten von Giotto beim ESOC in Darmstadt ein. Die Öffentlichkeit war über eine Livesendung dabei, und zwar international. 1986 war so etwas noch alles andere als üblich. In Deutschland wurde die lange Nacht des Kometen vom ZDF übertragen, und das ZDF stellte auch den deutschen Moderator der Sendung. Ein Fehler, den das ESOC nicht wiederholte … aber hinterher ist man immer schlauer.

Kurz nach 23:00 MEZ wurde der erste Impakt eines Staubpartikels kometarer Herkunft registriert; es sollten noch 12000 Einschläge folgen. Der letzte war der schlimmste. Nur wenige Sekunden vor der größten Annäherung erwischte Giotto ein Brocken, der die Sonde taumeln ließ, sodass für eine halbe Stunde die Verbindung zur Erde weitgehend abriss. Dazu reicht allerdings schon ein Nutationswinkel von wenigen Grad. Wahrscheinlich war des Periskop der HMC schon beim ersten Treffer erwischt worden. Durch die leichte Nutation traf der Staub nicht mehr nur den Whipple-Schild, sondern auch die Seitenwände. Dadurch wurde die Kameraoptik weiter beschädigt, auch die Sensoren anderer Experimente bekamen etwas ab. Mit Bildern war es von nun an Essig – ansonsten funktionierte die Raumsonde weiter.

Was haben wir durch Giotto gelernt?

Giotto war eine Mission, die das Wissen um Wesen und Aufbau von Kometen auf eine neue Ebene hob. Die Struktur eines Kometenkerns war zuvor unbekannt, die Modelle basierten auf der Annahme eines schmutzigen Schneeballs, der in alle Richtungen Staub, Eis, Dampf und Gas abgibt. Genau das ist aber nicht der Fall. Kometenkerne sind sehr dunkle Objekte. Sie sind umgeben von einer durchaus festen Hülle, die reich an Kohlenwasserstoffen ist. Wegen der dunklen Färbung reflektieren sie wenig Sonnenlicht – deswegen wird der Kern außen sehr heiß. Spätere Missionen haben belegt, dass die Außentemperatur eines Kometenkerns nahe seinem Perihel über 130 Grad liegen kann – das ist in etwa auch die Gleichgewichtstemperatur der sonnenzugewandten Seiten von Asteroiden und dem Mond.

Film aus Einzelbildern der HMC-Kamera vom Kern des Kometen 1P/Halley. Deutlich sichtbar sind die “Jets”, die hier strahlend hell erscheinen, aber nicht, weil das ausgestoßene Material tatsächlich leuchten würde. So heiß ist es natürlich lange nicht. Es ist einfach nur von viel hellerer Farbe als der fast pechkohlrabenschwarze Kern, reflektiert deswegen mehr Sonnenlicht und erscheint deswegen überbelichtet. Quelle: ESA

Das ausgestoßene Material tritt durch “Jets” aus, Geysire, die an Stellen entstehen, wo das Hüllenmaterial dem Druck des erhitzten, volatilen Materials im Inneren nicht standhalten kann. Im Fall von Halley wird die ausgestoßene Menge auf 3 Tonnen pro Sekunde geschätzt. Damit verliert der Komet mehrere Hunderttausend Tonnen pro Tag während der aktiven Phase seines Umlaufs. Auch wenn Halleys Kern mit etwa 15 x 11 x 7 km und rund 220 Milliarden Tonnen Masse durchaus zu den größeren Kometen gehört, macht sich dieser Aderlass bemerkbar. Ein aktiver Komet verliert pro Umlauf merkbar an Masse. Bei einem kleinen Kometen kann dieser Verlust 1% ausmachen. Bei Halley ist der Verlust zwar weniger, dennoch muss dieser Komet vor langer Zeit noch viel beeindruckender gewesen sein als heute.

Das Kometenmaterial, das von den Bordinstrumenten untersucht werden konnte, war uralt, großenteils Eis und Kohlendioxid, das an interstellarem Staub kondensiert und seitdem unverändert geblieben war – also Material aus der Entstehung des Sonnensystems. Darauf wiesen auch die Verhältnisse der leichten Elemente im Material hin, die dem der Sonne entsprachen. Kometen sind primitive Objekte; sie erzählen und von der Zeit, aus der das Sonnensystem entstand. Allein schon deswegen lohnt es sich, sie zu untersuchen, und deswegen war auch Giotto so wichtig.

Wegen der Wissenschaft – und auch wegen der Schwierigkeit dieser Mission und der Tatsache, dass alle Schwierigkeiten gelöst werden konnten.

Kompositaufnahme des Kometenkerns, Quelle: ESA/Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung

Weitere Information

ESA-Giotto-Missionswebseite

ESA-Space Science-Webseite zur Mission Giotto

Webseite des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung zur Halley Muliticolour Camera HMC

Wissenschaft hui, ZDF-Sendung Pfui: Auch dem Spiegel gefiel die Sondersendung nicht besonders

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

10 Kommentare

  1. Ja, heute kaum vorstellbar, Europa konnte mal richtig innovativ in Raumfahrtdingen sein. Passiert so schnell sicher nicht wieder.

    Die lange Nacht ist mir selbst heute noch in lebhafter Erinnerung. Ich durfte sogar richtig lange aufbleiben, um die Sendung zu verfolgen. Sowas gäbs heute bestimmt auch nicht mehr. Damals erwachte mein Interesse an der Astronomie. Giotto und der Halleysche Komet (den ich kurz darauf sogar im Fernrohr gesehen habe) waren sicher mit schuld daran…

    [Wntwort: So wie du das schreibst, liest es sich, als dürftest du heute nicht mehr lange aufbleiben. 🙂 Bei mir war es zwar nicht so, dass ich erst durch dieses Ereignis zur Raumfahrttechnik gebracht wurde. Es hat aber doch ein positives Bild von der ESA geprägt – trotz des Moderators des Abends und trotz der Art, wie das ganze organisiert wurde, mit Astrologin, Friseuse und Waggershausen. MK]

  2. Fehler?

    “In Deutschland wude die lange Nacht des Kometen vom ZDF übertragen, und das ZDF stellte auch den deutschen Moderator der Sendung. Ein Fehler, den das ESOC nicht wiederholte … “

    Auf was beziehen Sie sich genau mit >Fehler

    [Antwort: Der Fehler bestand darin, den vom ZDF vorgeschlagenen Moderator dieses Eregnis moderieren zu lassen. Rückblickend hätte man vielleicht sagen können, dass es zu erwarten war, wen das ZDF beauftragen würde und was man von ihm zu erwarten hatte. Damals war das wohl noch nicht alles so klar. MK]

  3. Warum riss der Kontakt wirklich ab?

    Sie schreiben hier, so wie es seit 25 Jahren in allen offiziellen ESA-Texten steht: “Nur wenige Sekunden vor der größten Annäherung erwischte Giotto ein Brocken, der die Sonde taumeln ließ, sodass für eine halbe Stunde die Verbindung zur Erde weitgehend abriss.” Bei den Auswertern der Radio Science, d.h. der Eigenschaften des Funkträgers, von Giotto sieht man das jedoch völlig anders – schon damals und auch heute noch, wie mich erst 2010 noch einmal vergewisserte.

    Danach zeigt die zeitliche Entwicklung des Signals eindeutig, dass sich Giotto aus eigener Kraft und aktiv von der Erde weggedreht hat und nicht durch den Schlag eines dicken Teilchens gekippt wurde – Ursache vermutlich ein Software-Aussetzer aufgrund starker Belastungen. Diese Deutung, in technischen Papers ausgeführt, erzählte ich auch mal einem der damaligen Flugkontrolleure, der die Interpretation energisch bestritt. Ja was denn nun? 25 Jahre später könnte man sich doch mal einigen, was damals tatsächlich passierte.

    Die ZDF-“Nacht des Kometen” habe ich mir mit ein paar Freunden (‘Veteranen’ von damals) zum 25-Jährigen noch einmal fast komplett angeschaut: eine irre Zeireise in die Steinzeit der ESOC-Computer wie des deutschen Showbiz, mit so manchem prominenten Kometenforscher, der schon lange nicht mehr lebt. Mit erstaunlich anspruchsvollem Jazz. Und mit abgefahrenen eigens für Giotto und Halley komponierten Schlagern.

    Aber: Seit den Halley-Besuchen hat es noch sechsmal, 1992 und 2001-2011, Flybys an Kometen gegeben, davon fünfmal mit funktionierender Kamera und spektakulären Bildern, stets besser als denen der HMC von Halley – und die Massenmedien, das TV zumal, haben sie komplett ignoriert. Insofern erscheint die “Nacht des Kometen” – die VHS-Kassette hatte ich seither nie wieder angefasst – aus 1/4 Jh. Abstand in doch erstaunlich rosigem Licht.

    Ein Detail dazu noch am Rande, auch dies der endgültigen Klärung bedürfend: Laut dem Tell-All-Buch “Giotto to the Comets” von N. Calder (das ich 1993 ins Deutsche übersetzte) bot das ESOC zwei Videostreams der HMC an, einen schwarzweißen (auf dem der Kern gut zu erkennen war und den sich die Giotto-Wissenschaftler selbst anschauten) und einen mit gräßlichen Falschfarben. Und Bublath persönlich soll erzwungen haben, dass alle TV-Anstalten der Welt nur den letzteren, völlig unbrauchbaren bekamen. Stimmt das?

  4. @Challenger Katastrophe

    Hallo Michael,

    schöne Zeitreise 25 Jahre zurück:) Ich hatte diese Sendung damals auch verfolgt und sie hat sicherlich mein weiteres Interesse an der Astronomie mehr als bestärkt.

    Das Challenger Unglück ereignete sich am 28. Januar.

    Schöne Grüsse,
    Helmut

    [Antwort: Hallo Helmut. Sieh an, wer sich hier noch alles als Zuschauer der Sendung outet! Ja, es war der 28.1.1986, als das Challenger-Unglück passierte. Das werde ich so schnell nicht vergessen, denn ich hatte am selben Tag einen Seminarvortrag gehalten, in dem es um die raumfahrttechnische Entsorgung nuklearer Abfälle ging. Eine der Aussagen meines Vortrags war, dass kein Startsystem sicher genug sei für so etwas. Beim Space Shuttle beispielsweise könne ein Booster versagen und einen Absturz herbeiführen. Da wurde ich von der versammelten Professorenrunde schön plattgemacht. “Jahaha, Herr Khan, und wenn der Himmel einstürzt, schlägt er all die Spatzen tot.”. Selbiger Professor war am nächsten Tag eher kleinlaut (Die Benotung meines Seminarvortrags hat er aber nicht revidiert). Man sieht, es ist nicht nur wichtig, Recht zu haben. Es kommt auch darauf an, wann man Recht hat. Im Jahr 1986 ging eine Menge Glaube an die Technik kaputt. Insofern ist das Jahr schon eine Art Scheideweg. MK]

  5. @Daniel Fischer

    Mir ist bekannt, dass einer der am GRE (Giotto Radio Experiment) beteiligten Wissenschaftler, Herbert Porsche, eine Theorie zur Interpretation von Zwei-Wege-Doppler-Messungen hatte, die in der Szene stark angezweifelt wurde. Eine weitere Theorie der Art. wie Sie sie beschreiben, ist mir unbekannt. Welcher GRE-PI- oder Co-I hat diese Theorie denn vertreten?

    Edenhofen und Bird (et al) reden hier beispielsweise (und auch an anderer Stelle) explizit von einer Nutation infolge von Impakten.

    http://www.scopus.com/…D-QCqvCAtg35FH0R-06C%3a2#

    Auf welche technischen Papers beziehen Sie sich?

    Was das Medienecho angeht, es stimmt, dass DS1 and Borrelly und Stardust an Wild nicht unbedingt viel Interesse generierten, aber um Deep Impact and Tempel 1 wurde doch ordentlich Tamtam gemacht.

    In Bezug auf die Art, wie das vorhandene Bildmaterial präsentiert und damit der Höhepunkt der Nacht des Kometen in den Sand gesetzt wurde, nennen Sie schon den richtigen Schuldigen und auch ihre Schilderung der Ereignisse geht in die richtige Richtung. Näheres sollten Sie die damals schon anwesenden PR-Leute des ESOC fragen, es gibt Leute, die schon dabei waren und heute noch hier sind.

    Ich war damals noch Student … wäre ich zugegen gewesen, wenn so etwas passiert, dann wäre ich dort coram publico zum Hirsch geworden. Daran hätte man sich auch 25 Jahre später noch erinnert.

  6. Erinnerungen an die Nacht im ESOC

    Ich hatte das Glück, die Nacht des Kometen direkt im ESOC erleben zu dürfen. (Dadurch blieb mir die Sendung im ZDF erspart – die BBC soll übrigends damals eine sehr gute Berichterstattung gehabt haben!)

    In den Monaten kurz vor dem Start bis hin zum Encounter hingen an den Türen der Büros der Leute, die direkt an der Giotto Mission beteiligt waren, Aufkleber mit dem Satz: “Halley’s Comet is on time – make sure Giotto is too!”

    ESOC-Mitarbeiter, die nichts mit der Mission zu tun hatten (wie ich), sowie geladene Gäste waren in einem Festzelt untergebracht (dort wo jetzt das Parkhaus steht). Die Stimmung war ähnlich wie Sylvester und den Sekt gab’s auch erst etwa um Mitternacht bei der grössten Annäherung. So richtig durchgeblickt haben wir im Festzelt aber auch nicht, was die übertragenen Giotto-Bilder anging. Dafür brauchten wir dann die Kommentare der Fachleute bei der Pressekonferenz am nächsten Tag.

    Mein Büro war in der Nacht zur Fernsehmoderation benutzt worden. Deshalb stand dort noch ein Monitor, über den ich dann die Pressekonferenz ganz mitverfolgen konnte. Gleich neben meinem Fenster war ein Übertragungswagen des amerikanischen Senders NBC. Die Pressekonferenz fing mit der Vorstellung der aufregenden Bilder an. Sobald dieser Teil zuende war und die PIs (Pricinpal Investigators) der neun übrigen Experimente an Bord ihre Ergebnisse präsentierten, sah ich, wie das NBC-Team seine Sachen packte und wegfuhr. Vermutlich waren Plasma- und Staubzusammensetzung, Magnetfeld usw. für das normale Publikum zu wissenschaftlich…

    Viele Jahre später besuchte ich mal das Radioteleskop in Parkes in Australien und wurde vom dortigen Chefingenieur herumgeführt. Als er erfuhr, dass ich damals am ESOC war, sagte er mir, wie erfreut die Australier waren, dass ein “Space-First” nicht von den Amerikaner oder Russen, sondern zur Abwechselung mal von den Europäern erzielt wurde. (Parkes war nicht nur, wie aus dem Film “The Dish” bekannt, die Prime-Station für den Apollo 11 “Mondspaziergang”, sondern war auch die Hauptstation für Giotto.)

    Ich würde mir in der Tat mehr Innovation von aus Europa wünschen – so wie damals in der “guten alten Zeit”!

  7. Neuanalyse der Giotto Radio Science

    Ich meinte nicht die exotische elektrodynamische Porsche-Hypothese (die ich auch mal gesehen hatte), sondern eine Re-Analyse der Radio Science durch Pätzold et al. – vermutlich war es dieses Paper, wo ich die zum ersten Mal gesehen habe. Die ESA hat sich dazu m.W. nie öffentlich geäußert; Pätzold bestätigte mir am Rande eines Interviews 2010 jedenfalls, dass man das im Radio Science-Team immer noch genau so sieht.

    [Antwort: Ich bin dabei, Näheres in Erfahrung zu bringen und melde mich dann wieder. Laut Kommentar von Wolfgang Wimmer zu diesem Artikel sieht allerdings alles ziemlich konsistent mit einer Nutation infolge eines Impakts aus. MK]

  8. Die BBC und Giotto – ein gutes Paar

    Das von Holtkamp erwähnte BBC-Gegenstück zur “Nacht des Schreckens” im ZDF kann ich nicht beurteilen, darf aber mitteilen, dass wir bei unserer privaten Giotto-Party 1986 schließlich den ZDF-Ton abgedreht und stattdessen den BBC World Service im Radio angestellt hatten: So erfuhren wir doch so einiges über die einlaufenden Daten, das dem ZDF-Publikum restlos vorenthalten wurde (wie ich nun beim ersten Abhören des Originaltons feststellen durfte).

    Beim zweiten Giotto-Encounter 1992 mit Grigg-Skjellerup hat dann das BBC-TV obwohl es keine Bilder geben würde trotzdem eine mehrstündige Liveübertragung aus dem ESOC – wo ich dann auch anwesend war – gewagt: ein absolutes Glanzlicht von Wissenschaft im Fernsehen. Obwohl nur “wiggly lines” auf Monitoren zu zeigen waren, kam eine Dramatik zustande, die ihresgleichen sucht. So was wünsche ich mir für die Ankunft an Churyumov-Gerasimenko!

  9. Giotto

    Lieber Michael,
    vielen Dank für Deinen excellenten Artikel über unsren Giotto. Beim Lesen sind mir wieder die vielen Schwierigkeiten, die mit der Betriebskontrolle dieses Projektes verbunden waren, durch den Kopf gegangen. Zuwenig Geld, –> zuwenige Ingenieure, Zeitdruck, extrem späte Entscheidung der Wissenschaftler bezüglich der Vorbeiflugsdistanz, extrem lange Schichtzeiten im Hauptkontrollraum der ESOC, der Druck – wir dürfen absolut keine Fehler machen: “The mission characteristics are extremely non graceful – mistakes will directly result in loss of mission, no chance for repeate”…Übrigens, die “Target fly-by” Distanz war 540 km Und nicht 600 (600 war die actuelle). Die Entscheidung für 540 km wurde erst im letzten Giotto Science Meeting, nur 2 (oder waren es 3?) Tage vor Encounter, 5 Minuten vor dem absolut letzt möglichen Entscheidungspunkt getroffen. Die Wissenschftler von Heidelberg (dust) wollten unbedingt eine Kollision haben, die von Lindau (Kamera)auf nicht weniger als 1000 km zielen. 540 war dann der Kompromiss, der nach etwa 3 Stunden extrem agressiver Verhandlungen erreicht wurde. Die Anspannung beim Encounter war extrem. Dann die Nutation und Loss of Signal, aber wir wußten Giotto lebt noch, ich glaube wir hatten noch Empfang der Trägerfrequenz über die Low gain Antenne und über die Minuten konnten wir die Dämpfung der Nutation anhand der zunehmenden Signalstärke sehen. Sie blieb dann bei, ich glaube bei 1,2° stehen. Laut Aussage unserer Flight Dynamics Experten hat Giotto ~ 1,5 kg Mase durch den Impact verloren. Wir sahen Temperaturen im Inneren rasch ansteigen d. h. wir hatten Sonne wo vorher wegen der Isolierungen (Mylar) keine war und die Kamera ist auch ausgefallen. Später stellte sich heraus, dass die Streulichtblende stark beschädigt vielleicht sogar teilweise weg gefetzt war. Aber es war ein riesen Erfolg all die Erschöfpfung war wie wegeblasen… Der Bertiebszustand von Giotto war nach dem Encounter so gut und Treibstoff war noch genügend vorhanden, sodass wir nach Bahnkorrekturen und Bahnvermessung Giotto für ~4 Jahre in Hybernation versetzten und danach Anfang der 1990 Jahre noch eine weitere Kometenmission durchführen konnten. Aber das ist dann eine weitere hochspannende Geschichte, speziell was man während der Reaktivation mit Dopplermessungen der Trägerfrequenz ohne Telemetrie über den Betriebszustand alles herausfinden konnte.
    Lieber Michael, ganz herzlichen Dank für diesen exzellenten Beitrag.

    Wolfgang Wimmer, Giotto Deputy Flight Director

  10. Bublath eine Fehlbesetzung?

    Ich erinnere mich, dass ich die Sendung des ZDF als Teenager damals auch gesehen habe. Woran ich mich erinnere ist, dass es neben der Berichterstattung über den wissenschaftlichen Teil der Mission noch einen Unterhaltungsteil gab, der nicht von Bublath sondern jemand anderem moderiert wurde. Ich glaube, dieser Unterhaltungsteil war eine Sache, die mich damals ein wenig störte.

    Andrerseits frage ich mich aber, was bei der Wahl des Moderators der grosse Fehler war? – Wenn ich mich recht erinnere gab es auch damals schon keine besonders grosse Auswahl an Moderatoren. Mir fallen jedenfalls nur Jean Pütz und Volker Arzt ein, wobei Pütz ja beim “falschen” Sender (dem WDR) beschäftigt war. Ob es von Volker Arzt zu der Zeit noch Produktionen gab, weis ich nicht. Dann wäre da noch Hoimer von Dithfurth gewesen, von dem zu dieser Zeit aber auch nichts mehr zu hören oder sehen war. (Oder zumindest weis ich von nichts.) Und Rangar Yogeshwar fing seine Karriere als Wissenschaftmoderator gerade erst an, indem er als Komoderator von Jean Pütz auftrat. Bliebe also die Frage, warum Bublath eine Fehlbesetzung gewesen sein soll?

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