Think Big! Das Stratolaunch-System

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Das hier ist mein 200ster Artikel. Den kann ich natürlich nicht einem banalen Allerweltsthema widmen. Nein, es muss schon etwas Großes sein. Das System für Starts in die Erdumlaufbahn der Firma Stratolaunch Systems von dem Microsoft-Mitbegründer Paul Allen und dem Luftfahrt-Pionier Burt Rutan ist gerade groß genug. Dazu schreib’ ich jetzt mal was.

Was hat Stratolaunch vor?

Wir haben schon seit Beginn des Raumfahrtzeitalters das leidige Problem der Startkosten: Es kostet pro Kilo sehr viel, Nutzlast ins Erdorbit zu befördern. Das schreckt alle möglichen Nutzer davon ab, große orbitale Anwendungen zu entwickeln. Weil es keine großen Anwendungen gibt, macht sich keiner daran, ein großes, deutlich preiswerteres Startsystem zu entwickeln. Am Ende geschieht gar nichts, oder zumindest nicht sehr viel.

Daran wollen viele neue Start-Ups etwas ändern. Eine davon heißt Stratolaunch Systems, und deren Vorschlag ist kühn. Ob er auch gut ist, werden wir gleich sehen, aber ganz sicher ist er kühn.

Hinter Stratolaunch steht Geld und Kompetenz. Das Geld kommt vom Microsoft-Mitbegründer Paul Allen, ein Mann, der wissen sollte, wie man Geld macht und vermehrt. Die Kompetenz stammt von den Unternehmen Scaled Composites von Burt Rutan und SpaceX vom Paypal-Gründer Elon Musk. Das eine hat mit seinem Gespann White Knight und SpaceShipOne den X-Prize gewonnen. Das andere schickt sich gerade an, den Markt für den Personentransport ins niedrige Erdorbit sowie den für kommerzielle Satellitenstarts gehörig aufzumischen – und zwar nicht nur mit Ankündigungen. SpaceX hat bereits eine kleine und eine mittelgroße Rakete und ein selbstentwickeltes Raumschiff zur Einsatzreife – oder zumindest kurz davor – entwickelt. Die Entwicklung einer Schwerlastrakete ist bereits abzusehen.

Stratolaunch schlägt nun vor, eine Rakete mit einem Flugzeug bis in die Stratosphäre zu tragen und sie dort auszuklinken. So etwas wird bereits von der Firma Orbital Sciences mit der Pegasus angeboten. Aber Stratolaunch will eine einigermaßen dicke Rakete starten: Sie soll laut Ankündigungen startbereit mit Nutzlast 220 Tonnen Masse haben. Um diese Zahl gleich etwas zu relativieren: Gar so dick ist diese Rakete nun auch wieder nicht. Sowohl die mittelgroßen Systeme Falcon 9 und Sojus haben rund 50% mehr Startmasse, die Ariane 5 gar über dreieinhalb mal so viel.

Die Masse der Rakete ist hier aber begrenzt durch die Art, mit der sie gestartet werden soll, nämlich in der Stratosphäre mit besagtem Flugzeug. Wenn auch 220 Tonnen Masse für eine Rakete erst einmal nicht so dramatisch sind, ist eine solche Außenlast für ein Flugzeug viel Holz. Da es kein Flugzeug gibt, das dazu fähig wäre, will Stratolaunch selbst eins entwickeln und bauen.

Dieses Flugzeug würde beim Start 540 Tonnen wiegen, von 6 großen Mantelstromtriebwerken angetrieben werden, eine Spannweite von 117 Metern aufweisen und wie schon die White Knight als Doppelrumpfsystem ausgelegt sein. In der Mitte zwischen den beiden Rümpfen hängt unter dem Flügel die Rakete an einem Abwurfmechanismus. Stratolaunch gibt eine Nutzmasse im niedrigen Erdorbit von 13,500 Pfund an, das wären knapp 6200 kg. Das würde für das Dragon-Raumschiff allerdings nicht reichen.

Natürlich gibt es bereits eine Animation des Starts eines solchen Brummers. Schauen Sie sichdas in Ruhe an, danach bringe ich ein paar mehr Zahlen.

Cool, oder?

Da stellen sich natürlich erst einmal zwei Fragen, nämlich 1.) Geht das überhaupt? und 2.) Bringt das was? Als Ingenieur rechne ich immer lieber erst einmal selbst nach, wenn man mir so etwas serviert.

Geht das überhaupt?

Ich habe nicht alle relevanten Daten zur Verfügung , insbesondere zu der von der Firma SpaceX zu stellenden Rakete. Deswegen muss ich hier einige hoffentlich einigermaßen exakten Annahmen treffen, unter Zugrundelegung der technischen Daten für die Falcon 9 und ihre Untersysteme. Die Stratolaunch-Rakete ist wohlgemerkt keine Falcon 9, sondern sie ist deutlich kleiner.

Zu den Abwurfbedingungen: das gezeigte Flugzeug kann mit seinen ungepfeilten Flügeln nicht besonders schnell sein. Laut Video soll das Ausklinken in 30,000 Fuß Höhe erfolgen, also etwa 9 km. Ich setze mal eine Fluggeschwindigkeit von 800 km/h an. Das ist vielleicht sogar noch zu hoch angesichts der Konfiguration.

Den im Film gezeigten steilen Anstellwinkel kann ich auf keinen Fall glauben. Kaum auszudenken, was geschehen würde, wenn dieses Flugzeug in einen überzogenen Flugzustand gerät. Das kriegt man nicht mehr abgefangen – wenn die Struktur die resultierende Belastung überhaupt mitmacht. Ich rechne mal mit Flugwinkeln (flight path angle) von 0, 5 und 10 Grad.

Für die Rakete nehme ich ein zweistufiges System mit einer Gesamtmasse von rund 220,000 kg an. Die Stufenunterteilung ist mir nicht bekannt, ich nehme da einfach für die erste Stufe 176 Tonnen Gesamtmasse und 13 Tonnen Trockenmasse, fur die zweite Stufe 36 Tonnen Gesamtmasse und 2.7 Tonnen Trockenmasse. Beides resultiert aus der Extrapolation von Daten für die Falcon 9 von SpaceX. Hinzu kommt die Nutzmasse, der Nutzlastadapter und die Verkleidung.

Laut Film soll die Erststufe fünf Triebwerke haben, die Zweitstufe eines. Da ich aber nicht weiß, wie das System am Ende aussieht, habe ich denTriebwerksschub in den Optimierungsprozess einbezogen. Dabei kam allerdings heraus, dass fünf Triebwerke in der Erststufe nicht ausreichen. Das macht auch Sinn, denn jedes der Merlin-Vacuum Triebwerke von SpaceX liefert 455 kN Schub, fünf davon würden also gerade mal die anfängliche Gewichtskraft der vollgetankten Rakete mit Nutzlast ausgleichen. Wahrscheinlich fliegt aus diesem Grund das Flugzeug beim Ausklinken recht steil nach oben. Die Optimierungsrechung führte allerdings dahin, dass eher neun Triebwerke wie bei der Falcon 9 notwendig sind. Dann klappt das Aussetzen der Rakete auch im Horizontalflug.

Hier sind einige Ergebnisse, unter der Annahme, dass das Flugzeug beim Ausklinken im Horizontalflug ist (nach meinem bescheidenen Dafürhalten der wahrscheinlichste Fall):

StratoLaunch Simulation: altitude over groundtrack distance from deployment location, source: Michael KhanStratolaunch Simulation: Altitude over velocity, source: Michael Khan

Resultat der parametrischen Optimierung: Bahnhöhe über zurückgelegter Distanz bzw. erzielter Geschwindigkeit: Quelle: Michael Khan

StratoLaunch Simulation: flight path angle over time, source: Michael KhanStratoLaunch Simulation: G-load over time,. source: Michael Khan

Resultat der parametrischen Optimierung: Profil des Flugwinkels bzw. der G-Belastung: Quelle: Michael Khan

Also, kurz und knapp: Es geht prinzipiell. Ich erhalte sogar für den Fall mit der anfänglich horizontalen Flugbahn eine Nutzmasse von 7.1 Tonnen; wenn ich eine ansteigende Flugbahn voraussetze, kommen sogar einige hundert Kilogramm mehr heraus. Die Zielbahn ist in allen Fällen eine Kreisbahn von 200 km Höhe und 51.6 Grad Neigung. Der Unterschied zu der von Stratolaunch genannten Zahl von 6200 kg ist wahrscheinlich Differenzen in den Annahmen geschuldet.

Was ich hier machen wollte, ist eine generelle Machbarkeitsanalyse, und auf der Basis der Ergebnisse kann ich sagen: Das wäre so machbar – ob das Flugzeug so gebaut und geflogen werden kann, steht auf einem anderen Blatt.

Zwei kleinere offene Punkte sind aus den obigen Ergebnissen ersichtlich:

  • Die Beschleunigung ist kurz vor Ausbrennen der ersten und der zweiten Stufe mit Werten von 5 bzw. 6 g zu hoch für bemannte Flüge, allemal solche mit zahlenden Passagieren, denn die sind nicht unbedingt so solide wie junge, durchtrainierte Astronauten. Das ist allerdings kein Show-Stopper, das Problem ließe sich durch Zurückregeln der Triebwerke lösen. Das kostet dann etwas Nutzlast – sicher ist hier einer der Gründe, warum ich auf ein etwas höheres Ergebnis komme als Stratolaunch.
  • Die Sache mit den Flügeln, die in dem Video an der ersten Stufe sitzen, erscheint mir suspekt. Wie man aus meine Ergebnissen sieht (der Missionsanalytiker bei Stratolaunch unterliegt denselben physikalischen Gesetzen und wird deswegen auch nichts wesentlich Anderes herausbekommen), erreicht die abgetrennte Oberstufe noch im Freiflug eine Höhe von fast 120 km und fällt dann, das noch auf einer suborbitalen Bahn ist zu Erde zurück. Der Wiedereintritt in die Atmosphäre erfolgt bei mehr als 3 km/s. Das sind schon Hyperschallbedingungen, wofür Flügel dieser Art ungeeignet sein dürften. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die thermischen Schutzmaßnahmen, die erforderlich wären, um mit Flügeln einen Wiedereintritt und einen aerodynamischen Flug der Stufe zu bewerkstelligen, noch viel von der Nutzmassenkapazität übrig lassen würden. Ebensowenig kann ich mir vorstellen, dass solche Flügel besonders gesund für die Dynamik des Gesamtsystems beim Start und Aufstieg zur Ausklinkhöhe wären. Die Flügel können eigentlich nur den einzigen Zweck haben, anfangs etwas Auftriebskraft zu liefern und dafür den zu geringen Schub der angegebenen fünf Triebwerke auszugleichen. Wahrscheinlich wäre es aber besser für das Massenbudget und auch in finanzieller Hinsicht, die Flügel wegzulassen und dafür das Antriebsmodul der Falcon 9 mit neun Merlin-Triebwerken einzubauen.

Bringt das was?

Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch sinnvoll. Im gegebenen Fall erreicht man mit großem Aufwand eine Nutzmassenkapazität von wahrscheinlich weniger als 7 Tonnen im niedrigen Erdorbit. Dass hier noch mehr herauszuholen ist, erscheint mir unwahrscheinlich. Wie groß soll denn das Trägerflugzeug noch werden?

Die hier bereits mehrfach angesprochene Falcon 9, die bereits fliegt, kann  jetzt schon mit etwa 50% mehr Startmasse etwa 50% mehr Nutzmasse in dasselbe Orbit bringen. Das heißt doch, auf den Punkt gebracht, dass das von Stratolaunch vorgeschlagene System ganz genau gar nichts bringt. Eine vertikal vom Erdboden aus startende Rakete leistet fast genau dasselbe, kann aber bei Bedarf auch deutlich größer skaliert werden und steckt dann das Stratolaunch-System locker in die Tasche.

Dass der Stratolaunch-Ansatz, wenn er schon keine Leistungssteigerung bringt, wenigstens billiger wird, bezweifele ich auch. Die erforderliche Rakete wird nicht kleiner als bei herkömmlichen Starts, aber das Flugzeug muss entwickelt, gebaut, getestet und amortisiert werden, und jeder Flug kostet auch Geld.

Cool ist das, was Stratolaunch zeigt, keine Frage. Aber es ist eine Sackgasse. Ich hoffe, SpaceX wird die Falcon 9 Heavy zur Einsatzreife bringen und den Markt mit ihren Produkten aufrollen, anstatt sich mit dem Stratolaunch-Projekt zu verrennen.

Weitere Information

Artikel zu Stratolaunch auf spaceflightnow.com vom 13. Dezember 2011

Avatar-Foto

Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

16 Kommentare

  1. Ausklinken auf 20 km Höhe anstatt 9 km

    Rein gefühlsmässig scheint mir der Gewinn durch einen Raketenstart ab 9km Flughöhe nicht besonders gross zu sein – wie ja auch die Rechnung ergibt. Etwas anderes wäre es aber die mitgeführte Rakete bei 20 km Flughöhe auszuklinken.
    Das Aufklärungsflugzeug Lockheed U2 hat ja 20 km als Einsatzhöhe. Doch genau dies wird beim Stratolaunch System wahrscheinlich durch das hohe Gewicht verunmöglicht. Die Skalierungsmöglichkeiten scheinen also wirklich beschränkt zu sein.

  2. Stratolaunch

    Hallo Michael, Glückwunsch zum 200. Beitrag in den Kosmologs. Dafür hast Du Dir ein Super-Thema ausgewählt, das weiten Raum für Diskussionen lässt. Und da will ich gleich mal einsteigen.

    Da wir es hier mit ausgebufften Profis und keinen heurigen Hasen zu tun haben, nehme ich mal mit Sicherheit an, dass sie die limitierenden Faktoren, die Du hier vorbringt, bereits in der ersten Stunde ihrer Konzeptanalyse erkannt haben. Für konventionelle Starts bringt das System tatsächliche keine erkennbaren Vorteile. Von der Nutzlast her ist es kein Kracher, irgendwo in der Leistungsklasse der Delta II Heavy oder der Taurus II angesiedelt. Operativ dürfte es nicht gerade einfach zu handhaben sein. Es ist sicher eine interessante Übung nach einem Startabbruch aus technischen Gründen mit der vollbetankten Rakete wieder zu landen.

    Rutan, Griffin und Musk werden daher mit Paul Allens Geld dieses System deshalb mit einiger Gewissheit nicht deswegen entwickeln, weil es cool ist. Wenn Sie es tun, dann dürfte die Ratio, die dahinter liegt, eine andere sein, als die vordergründig offensichtliche. Für diese Ratio muss die Entwicklung eines solchen Behemoths einen deutlich Vorteil gegenüber allen anderen Alternativen haben.

    Ich habe nun keine Ahnung, welcher Art diese Vorteile sind, aber sie werden sich im Laufe der Zeit eröffnen. Sie könnten beispielsweise militärischer Natur sein. Für das Militär würde all das Sinn machen. Man könnte mit dem Stratolaunch-Träger weit hinaus aufs Meer fliegen (die Reichweite mit voller Nutzlast wird mit etwa 1.500 Kilometern angegeben) und dann ohne große Publicity in fast jede beliebige Inklination starten. Ein Fluggerät wie die X-37B als Nutzlast passt wie maßgeschneidert unter die (für eine Rakete dieser Leistungsklasse außerordentlich große) Nutzlastverkleidung und das passende Gewicht hätte sie (die X-37B) auch.

    Es könnte auch der Träger für Rutans immer wieder kolportiertes „SpaceShipThree“ werden und die Falcon 5 (und um die handelt es sich bei der offiziell bekannt gegebenen Nutzlast) wäre nur eine Alternativnutzlast von mehreren für dieses Gerät.

    Und sollten es die vier am Ende tatsächlich nur deswegen machen, weil es cool ist, dann soll es mir auch recht sein. Wenn dieses Ding jemals fertig gestellt wird, fahr ich auf jeden Fall hin und guck es mir an.

  3. @Martin Holzherr, @Eugen Reichl

    @Martin Holzherr: Ich hatte im Rahmen einer früheren Studie mal parametrisch den Einfluss der Höhe, der geschwindigkeit und des Flugwinkels beim Stert einer Rakete von einem hoch fliegenden Flugzeug aus berechet.

    Da ging es allerdings um kleine dreistufige Feststoffraketen, mit denen ein Mikrosatellit von einem Kampfflugzeug aus gestartet werden könnte.

    Es zeigte sich, dass die Flughöhe derjenige Parameter ist, der die Nutzmasse am geringsten beeinflusst. Die Geschwindigkeit schon mehr, allerdings muss sie deutlich höher sein als die rund Mach 0.8, die ich dem Stratolaunch-Trumm gerade noch so zutraue, mit etwas gutem Willen. Was wirklich hilft, ist hohe Geschwindigkeit mit einem steilen Flugwinkel. Das mag mit einem Kampfflugzeug gehen, mit dem hier gezeigten Flieger wohl eher nicht.

    @Eugen: Ich will schon hoffen, adss das Konzept wenigstens ein paar Vorteile außer der Coolheit hat, aber die sind anscheinend nicht sehr offenkundig, denn mit dir und mir sind es schon zwei gestandene Raumfahrtleute, die offenbar ratlos davorstehen.

    Auch für das Militär scheint mir die Nutzlastkapazität eher klein. Die nutzen ja beispielsweise sogar die Delta-IV heavy. Ob die Vermeidung von Publizität für Militärs wirklich nicht anders zu bewerkstelligen ist? Mit einer zu einer Startplattform umebauten Ölplattform wie bei SeaLaunch ginge das doch genauso oder besser. Auf jeden Fall diskreter.

    Ich stelle mit gerade vor, wie dieses ja wirklich sehr unauffällige Stratolaunch-Flugzeug sich in die Lüfte erhebt …

    Wie auch immer: Es stehen ja nun auch Zitate im Raum wie die von Paul Allen:

    We are at the dawn of radical change in the space launch industry. Stratolaunch Systems is pioneering an innovative solution that will revolutionize space travel

    Da erlaube ich mir halt aus meiner kleinen Froschperspektive die Frage: “Aha, wie das?” Wie das Ding die Weltraumfahrt revolutionieren sollte, sehe ich nämlich nicht. Bei Projekten wie der Falcon 9 Heavy oder selbst der Dragon ist das schon anders.

  4. Zur Machbarkeit und zum Sinn

    1. Die Rakete. Da SpaceX beim Programm beteiligt ist, nehme ich an, dass es eine modifizierte bzw. verkleinerte Form der Falcon-Rakete ist, die grundsätzlich in der Lage ist vom Boden zu starten. Zwar plant SpaceX langfristig die einzelnen Stufen alle komplette wiederverwendbar zu machen, aber bisher handelt es sich dabei um eine konventionelle “Weg-Werf”-Rakete. Insofern dürfte es ihnen relativ egal sein, ob die Flügel der Rakete den Wiedereintritt überleben. Was die Form der Flügel angeht, erinnert mich das sehr stark an die amerikanische Pegasus-Rakete , die ja nach genau dem gleichen Prinzip von einem Flugzeug gestartet wird, allerdings in deutlich kleiner Form.

    2. Der Sinn von Flugzeugstarts: In 20 km Höhe, statt auf Meereshöhe zu starten bringt kaum einen Vorteil. Selbst wenn man die Rakete in orbitaler Höhe starten würde, hätte man kaum etwas gewonnen, da der Großteil der Energie dafür verwendet werden muss, orbitale Geschwindigkeit zu erreichen, um zu verhindern, dass die Rakete bzw. das damit transportierte Raumschiff wieder zu Erde zurück fällt. Luft- und Gravitationswiderstand sind dagegen fast vernachlässigbar. Allerdings ist ein Flugzeug deutlich flexibler. So braucht man keinen speziellen Raumhafen (wie Cape Canaveral) sondern kann prinzipiell von jedem ausreichen großen Flughafen starten und zu einem für den Raketenstart günstigen Ort fliegen.

  5. Aufgemischt

    Ich muss zugeben, dass es mir ganz genauso geht. Für „Raumfahrtleute“ sieht das zunächst nach einer der zahllosen Powerpoint-Fantastereien aus, wie sie täglich kommen und gehen. Würden die von irgendeinem unbekannten Drei-Mann-Startup stammen, hätte ich mir die netten Bildchen kurz angeguckt, die Mundwinkel verzogen, den Kopf geschüttelt und die Sache gleich darauf bis zum Rest meines Lebens vergessen.
    Nun stehen da aber diese vier Namen für das Projekt, die in der Luft- und Raumfahrtszene das spezifisches Gewicht eines Neutronensterns haben: Burt Rutan, der überragende Flugzeugkonstrukteur mit dutzenden von genialen Entwürfen, der auch die Idee für SpaceShipOne hatte und es in wenigen Jahren realisierte; Mike Griffin, der Ex-NASA Administrator, dessen analytische Verstandesschärfe ich schon persönlich erleben durfte; Elon Musk, mit Space X und Tesla der „Goldfinger“ des 21. Jahrhunderts und Paul Allen, der bedachtsam-überlegende Sponsor mit dem untrüglichen Gespür für den richtigen Weg.
    Die Beteiligung dieser vier bewirken zumindest in mir, diese Idee nicht sofort wieder zu verwerfen. Wenn sich solche Kaliber ernsthaft damit beschäftigen, dann muss da was dran sein. Ich hab nur keine Ahnung was. Ich kann mir alle fünf Minuten eine neue Möglichkeit einfallen lassen, aber am Ende weiß ich nicht, was sie mit dem Stratolaunch-Monster tatsächlich wollen. Ich nehme nur mal an, dass es irgendwas mit Raumfahrt zu tun hat. Und ich bin froh um alles, was die Szene aufmischt.

  6. Rockoon und YAL-1

    Wenn es nur um die Höhe, und nicht um die Geschwindigkeit gehen würde, dann wäre ein Rockoon der billigste Weg.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Rockoon

    Wenn der Ballon die Rakete in rund 30 km Höhe trägt, dann sind das bei einer Schwerkraft von rund 10 m/s^2 rund 300000 J/kg.

    Man hätte die Rakete mitsamt ihrem Treibstoff in der Nähe der Erdoberfläche auf 775 m/s beschleunigen müssen, damit sie überhaupt auf 30 km Höhe kommt, und dort zum Stillstand kommt.

    Die Ausrichtung der Rakete ist mit modernen Trägheitsnavigationssystemen überhaupt kein Problem, und in den ersten Sekunden des Fluges richtet sie sich mit der Schubvektorsteuerung von selbst aus.

    Ein Ausklinkmechanismus ist völlig unnötig, die Rakete fliegt einfach durch den Ballon hindurch, und bis der billige Wasserstoff des Ballons verpufft, ist sie schon meilenweit weg.

    In 30 km Höhe, die von Ballonen problemlos erreicht werden können, herrschen rund 0,01 bar oder 1 % des normalen Luftdrucks.

    Abgesehen davon, dass der Luftwiderstand hier auch nur rund 1 % beträgt, ist es auch so, dass der Wirkungsgrad von Raketentriebwerken bei geringerem Druck höher ist, als auf der Erdoberfläche bei 1 bar.

    Die Expansionsdüse kann in 30 km Höhe eine 100-fach grössere Querschnittsfläche, und einen 10-fach grösseren Durchmesser haben, als auf der Erdoberfläche.

    Dabei kann man ein sehr viel dünneres Blech verwenden, als für den Rest der Brennkammer, denn hier sind auch die auftretenden Kräfte wesentlich kleiner.

    Eine andere Methode wäre es, den Boeing YAL-1 Airborne Laser mit einem Delrin-Lightcraft zu kombinieren.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Boeing_AL-1

    http://de.wikipedia.org/wiki/Lightcraft

    Lightcraft impulse measurements under vacuum and under atmospheric pressure, without and with Delrin (CH2O)n:

    http://www.dtic.mil/…tTRDoc.pdf&AD=ADA417732

    Bis in einer Höhe von 11 km kann das Lightcraft nur mit Luft als Abstützmasse fliegen, ohne Delrin zu verbrauchen.

    Es wäre also sinnvoll den Ballon oder einen Blimp auf 11 km Höhe zu bringen, und dann das Lightcraft eine Zeit lang waagrecht zu beschleunigen, was auch den Blimp nicht zerstören würde, weil das Lightcraft nicht durch ihn hindurch fliegen würde.

    Der Airborne Laser kann selbst bis in 13,7 km Höhe fliegen, wo die Luft dünn und klar ist.

    So lange kein Atomkrieg stattfindet, ist der Airborne Laser ohnehin arbeitslos, und man könnte damit zeigen, dass er nur friedlichen Zwecken dient.

  7. Zweiter Nachtrag:

    Das DLR hat natürlich sein Lightcraft bei vermindertem Druck getestet, um zu sehen, in wie grosser Höhe es noch mit Luft alleine funktioniert.

    Was das DLR leider nicht getestet hat, ist, bei welcher Geschwindigkeit gar keine Luft mehr in den Brennpunkt des Lightcrafts hinein gelangt.

    Es ist natürlich naheliegend, dass sowohl das amerikanische, als auch das DLR-Modell bei Schallgeschwindigkeit (oder schon früher) keine Luft mehr in den Brennpunkt oder die Brennlinie hinein bekommen.

    Das war mein Motiv, als ich das Laser-geheizte Staustrahltriebwerk gezeichnet habe (im vorigen Bild unten).

    Ausserdem benötigt ein Laser-geheiztes Staustrahltriebwerk keinen gepulsten Laser, was dem YAL-1 Airborne Laser weiter entgegen kommt.

    Der Airborne Laser hat eine gute Zielvorrichtung, und unser Laser-geheiztes Staustrahltriebwerk benötigt nur eine gute Ausrichtung seiner Längsachse.

  8. Laser-geheiztes Staustrahltriebwerk

    Ein weiterer Vorteil des Laser-geheizten Staustrahltriebwerks ist, dass es vermutlich noch in 40 Kilometern Höhe mit Luft arbeiten kann, weil es die dünne Luft sammelt und verdichtet, wenn es schnell genug fliegt.

    Sind meine Überlegungen richtig?

  9. Tippfehler beim Flugzeuggeschwindigkeit?

    Hallo Michael!

    Ich nehme an, hier ist ein Tippfehler bei der angesetzten Geschwindigkeit für das Flugzeug:

    >Ich setze mal eine Fluggeschwindigkeit von 800 >km/s an.

    Das sollte doch eher km/h sein, oder?

    [Antwort: Ja, das sollte natürlich km/h heißen. Ist korrigiert. Vielen Dank! MK]

  10. Ein neues Bild zum Thema

    Nach dem Artikel des American Institiute of Aeronautics and Astronautics:

    http://members.chello.at/….bednarik/LICHKRAJ.PNG

    Anstelle von Delrin könnte man auch Wasser oder Eis verwenden, was das mittlere Molekulargewicht der Verdampfungsprodukte senkt.

    Im Artikel des AIAA wurde Wasserstoff vorgeschlagen, der aber viel schlechter zu lagern ist.

  11. @John Carl Penn, @Eugen

    @John Carl Penn: Sie haben eine sehr gute Analyse der Situation vorgenommen.

    Ich habe die Sache mit dem Wiedereintritt der Erststufe in der tat nur deswegen erwähnt, weil SpaceX immer von sotwas spricht. Aber das kann in diesem Fall nicht die Zielsetzung sein: es würde schlicht nicht gehen, solche Flügel sind dazu unbrauchbar. Also muss es so sein wie bei Pegasus, dass nämlich die Flügel dazu dienen sollen, etwas Auftrieb zu produzieren, bis das mit fünf Merlin-Triebwerken für die Startmasse von 22 Tonnen ziemlich knapp dimensionierte Antriebssystem ausreichend (positive) Vertikalgeschwindigkeit erzeugt hat.

    Bloss zeigt meine numerische Simulation, dass das auch mit ein paar mehr Triebwerken gehen würde, und zwar genau dem Satz von neun Triebwerken der Falcon 9. Da stellt sich dann nur noch die Frage, was effizienter ist:

    a.) Vier Triebwerke mehr, was aber das Ausklinken im Horizontalflug gestattet

    oder

    b.) die schweren und komplexen Flügel, die immerhin bei Unterschall, im transsonischen Bereich, im Überschall und auch im Hyperschall Auftrieb (und Widerstand) erzeugen und dann auch noch das Ausklinken im steilen Aufstieg erfordern.
    Ich gehe davon aus, dass diese Flügel wahrscheinlich nur ein Feature des Werbefilms waren. Ob sie die ersten Iterationen des Entwicklingsprozesses überstehen, wird sich zeigen. Es würde mich wundern.

    Es stimmt, dass es generell wenig bringt, ein Flugzeug als “Erststufe” für einen Raketenstart ins Orbit zu verwenden. Auf keine Fall, wenn das Flugzeug deutlich(st) im subsonischen Bereich fliegen muss. Solche Starts bringen nur dann etwas, wenn die Rakete sehr klein ist. Kleine Raketen sind überproportional dem Luftwiderstand ausgesetzt, große hingegen viel weniger.

    Ich habe vor einigen Jahren schon mal etwas zum Unterschied zwischen Raumfahrt und den X-Prize-Parabelflügen geschrieben und in dem Zusammenhang den relativen Anteil der potenziellen und kinetoschen Energie bei niedrigen Erdorbits angeschaut. Wie man hier sieht, ist beispielsweise bei einem 100 x 200 km Orbit, also da, wo Raumfahrt anfängt, der Anteil der potenziellen Energie ohnehin nicht einmal 2%. Diesen kleinen Anteil nun noch weiter verkleinern zu wollen, indem man mit einem Flugzeuzg, oder schlimmer noch, einem Ballon, eine Rakete auf große Höhen bringt, kann einfach nicht sinnvoll sein.

    @Eugen: Wir können lange spekulieren, was dahintersteckt und kommen des Rätsels Lösung nicht näher. Die Zukunft wird zeigen, was die damit vorhaben.

    Wie viele Namen auch immer genannt werden, Geld kommt von einem: Paul Allen. Elon Musk ist hier in der komfortablen Situation eines Auftragnehmers und Burt Rutan im Endeffekt auch. Es hat sich bereits bei den White Knights gezeigt, dass sie durchaus auch für andere Aufgben taugen als nur als Transporter für SpaceShipOne, bzw. -Two.

    Wenn er die Entwicklung des sechsmotorigen Monstrums finanziert kriegt und sich kein Markt für Raketenstarts bieten sollte, wird er schon andere Einsatzzwecke finden.

    Der Bursche in dem youtube-Film ist doch irgendwie typisch. Angeblich findet er das alles ganz furchtbar cool und awesome. Aber so awesome, dass er sich mal hinsetzt und “does the math”, ist es offenbar wohl doch nicht.

  12. Tragflächen

    Die Idee mit den kleinen Tragflächen kommt vermutlich von der modifizierten Pegasus-Rakete, die bei den Testflügen der Boeing X-43A als Starthilfe verwendet wurde.

    Foto:

    http://upload.wikimedia.org/…/B-52B_with_X43.jpg

    Grafik:

    http://www.aircraftinformation.info/…/x43_03.jpg

    Text:

    http://de.wikipedia.org/wiki/X-43A

    Zum Thema der Laser-Puls-Rakete:

    http://members.chello.at/….bednarik/LICHKRAJ.PNG

    An Stelle von Delrin könnte man Lithiumhydrid LiH verwenden, weil es der Feststoff mit den niedrigsten Molekulargewichten seiner thermischen Zersetzungsprodukte ist.

    Gegen seine Sauerstoff-Empfindlichkeit und gegen seine Brüchigkeit könnte man den Lithiumhydrid-Stab in einen dünnwandigen Polypropylen-Schlauch hüllen.

    Schmelzpunkt von Lithiumhydrid: 688 °C

    Zersetzungstemperatur von Lithiumhydrid: 1000 °C

    Siedepunkt von Lithium: 1342 °C

    Zersetzung von Lithiumhydrid: 2 LiH = 2 Li + H2

    Molekulargewicht von Wasserstoff H2 = 2

    Atomgewicht von Lithium = 7

  13. Flügel an großer Rakete

    Es ist schon klar, warum jemand auf die Idee eines Flügels gekommen ist, aber die Pegasus ist nun einmal ein ganz anders gelagerter Fall als die große Rakete, die man hier vorsieht.

    Nicht nur ist die Pegasus dreistufig und verwendet Feststoffantrieb mit viel höherem Schub/Gewicht-Verhältnis (erste Stufe ca. 600 kN bei nur 18500 kg Masse). Vor allem ist die Pegasus viel kleiner und leichter.

    Die hier zu verwendennde Rakete ist mit der Pegasus nicht zu vergleichen. Insbesondere das niedrige Schub der Erststufe, der kaum über die Gewichtskraft der vollgetankten Rakete hinausgeht, was offenbar den steilen Flugwinkel beim Ausklinken unabdingbar macht, stellt ein problem dar.

    Diese Rakete hat 12 mal mehr Masse als die Pegasus. Würde man auch nur dasselbe Verhältnis Auftrieb/Gewicht bereitstellen wollen, müsste also auch die Flügelfläche 12 Mal größer sein als bei der Pegasus. Bei der aber ist die Spannweite bereits 6.7 Meter.

    Wie groß soll sie dann hier werden – wohlgemerkt bei einem Flügel, der in 20 km Höhe einer Anströmgeschwindigkeit von mehr als 2500 m/s ausgesetzt wäre? Es wäre auch mal interessant, zu sehen, wie solche Flügel beim Start und Aufstieg mit der Aerodynamik des Trägerflugzeugs interagieren.

    Bei der Pegasus ist das alles kein großes Problem, denn die Pegasus-Rakete selbst ist um mehr als eine Größenordnung kleiner als das, wovon wir hier reden. Das ist eben der Punkt.

Schreibe einen Kommentar