Gedanken zum bevorstehenden Mars-Impakt

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Gestern kündigte Jan Hattenbach an, dass am 19.10.2014 ein bis zu 50 km großer Komet namens C/2013 A1 (Siding Spring) den Mars treffen könnte, zumindest aber in geringem Abstand (maximal einige Hunderttausend km) am roten Planeten vorbeirauschen wird. Falls es nicht zu einem Einschlag kommt, was wahrscheinlich ist, wird der Komet nach der Begegnung sein Perihel durchlaufen, das noch weit jenseits der Erdbahn liegt, und dann wieder in die Tiefen des Weltraums verschwinden.

(Read this post in English here)

C/2013 A1 befindet sich auf einer parabolischen Bahn. Der sonnennächste Punkt liegt bei etwas über 200 Millionen km. Die Bahnneigung gegenüber der Ekliptik ist knapp 130 Grad, d.h., sie ist retrograd und der Komet läuft im Uhzeigersinn um, anders als die Planeten im Sonnensystem. So etwas ist gerade bei Kometen aus der Oortschen Wolke, also von sehr weit draußen, nicht selten. Diese können beliebige Bahnneigungen aufweisen.

Die Bahn von C/2013 A1 wurde schon über mehr als zwei Monate verfolgt und bestimmt. Bei einem sonnennahen Objekt würde dies bereits eine recht exakte Bahnbestimmung zulassen. Die Qualität der Bahnbestimmung wächst mit der Länge des beobachteten Bahnbogens. Kometen auf parabolischen Bahnen sind aber ein Sonderfall. Weit draußen bewegen sie sich langsam, sodass auch in einigen Monaten kein langer Bahnbogen durchlaufen wird. Ferner bewegen sie sich mehr oder weniger auf den Beobachter auf der Erde zu, was die Bahnbestimmung behindert. Es werden also noch einige Monate ins Land gehen, bis die Unsicherheit in der Bahnbestimmung nennenswert reduziert werden kann. Erschwerend kommt hinzu, dass während einiger Monate die Sonne im Weg steht und eine Lücke in der Beobachtung entsteht.

Auf jeden Fall kann heute schon die Bahn des Kometen durch das Sonnensystem grafisch dargestellt und analysiert werden. Die Bahndaten kommen wie üblich von JPL Horizons. Ich habe damit zwei Grafiken erstellt, eine gesehen vom Nordpol der Ekliptik, die andere gesehen aus der Ekliptikebene (Klicken auf die Grafiken führt zu den Versionen in Originalgröße). Die Bahnen der inneren Planeten sind eingezeichnet und die Flugrichtung des Kometen ist markiert. Die Positionen der Planeten beziehen sich auf den 19.10.2014, 12:00 UTC.

The orbit of comet C/2013 A1 (Siding Spring) seen from the ecliptic North, source: Michael Khan/ESA

The orbit of comet C/2013 A1 (Siding Spring) seen from along the ecliptic plane, source: Michael Khan/ESA

Wir sehen, dass auf keinen Fall der Komet der Erde nahekommt. Eine nennenswerte Umlenkung ist selbst bei einem sehr nahen Vorbeiflug am Mars ohnehin nicht anzunehmen, denn dazu ist die Relativgeschwindigkeit zu hoch. Der Komet wird sich der Marsbahn aus dem Süden der Ekliptik nähern und nach der Begegnung nach Norden davoneilen.

Es ist auch interessant, zu untersuchen, an welcher Stelle auf dem Mars ein möglicher Impakt erfolgen könnte. Selbst wenn der Nukleus selbst in einigen Hunderttausend Kilometern Entfernung vorbeischrammt, was für einen Kometen eine haarsträubend enge Begegnung darstellt, so ist gar nicht ausgeschlossen, dass er zu dieser Zeit bereits aktiv geworden ist und einen Schweif gebildet hat. Dann würde der Kometenkern von einer Menge Staub und größerer Brocken begleitet werden. Diese befänden sich auf einer fast identischen Bahn, könnten sich aber durchaus bereits eine erhebliche Strecke vom Kern entfernt haben. Die Ankunftsrichtung solcher Trümmer, gesehen vom Mars, wäre aber immer noch dieselbe wie der Kern.

Possible entry locations on Mars for entry FPA up to -15 deg for comet C/2013 A1 on Oct. 19, 2014, source: Michael Khan/ESA

Possible entry velocities for comet C/2013 A1 on Mars on Oct 19, 2014, source Michael Khan/ESA

Man kann also jetzt schon Folgendes sagen:

  • Der Kern, falls er auf dem Mars einschlägt, oder auch ihn begleitende kleinere Trümmer, können, wenn sie flach in die Atmosphäre eintreten, praktisch die gesamte Oberfläche treffen, außer der Nordpolarregion. Wenn Objekte steil eintreten, kommen sie in der Nähe des Äquators herunter.
  • Es gibt eine 50%ige Chance für einen Impakt in der Nacht, vor Sonnenaufgang, und deswegen auch eine 50%ige Chance für einen Impakt am Tag.
  • Die Chance, Impakte von der Erde aus verfolgen zu können, ist hoch. Bei steilem Eintritt ist sicher, dass der impakt auf der erdzugewandten Seiter erfolgt, Bei flachem Eintritt ist die Chance auf Sichtbarkeit immer noch rund 75%.
  • Die Eintrittsgeschwindigkeit in 100 km Höhe liegt um 56 km/s

Ich sehe die ganze Sache zwiespältig, egal ob etwas auf dem Mars herunterkommt, vielleicht sogar sehr viel, vielleicht kaum etwas. Auf der einen Seite ist das eine phänomenale Chance, etwas über Impakte von Kometenmaterial auf einem tellurischen Planeten zu lernen. Wir sind in der einzigartigen Situation, dass im Oktober 2014 bis zu vier aktive Raumsonden den Mars umkreisen werden. Alle Sonden haben Kameras und andere Messinstrumente und können den Impakt des Kerns oder kleinerer Bruchstücke registrieren, ebenso die Langzeitfolgen. Dies ist das erste Mal, dass so etwas auf einem tellurischen Planeten in Echtzeit verfolgt werden kann.

Selbst wenn es nicht zu einem Impakt kommt, bietet sich die einmalige Chance, einen aktiven, sehr jungen Kometen aus , der noch fast sein gesamtes Inventar an primordialem, volatilem Material mit sich führt. Dabei handelt es sich um sehr altes, ursprüngliches Material, reich an flüchtigen Bestandteilen, das der Zusammensetzung der Gas- und Staubwolke entspricht, aus der das Sonnensystem sich bildete. Selbst wenn er in 400,000 km am Mars vorbei fliegt, wäre dies immer noch nur die Entfernung zwischen Erde und Mond. Stellen wir uns vor, ein 50 km großer aktiver Komet flöge in Mondentfernung an der Erde vorbei. Was für eine fantastische Chance für die Wissenschaft wäre das.

Das sagt der Wissenschaftler und aktiv an der Weltraumforschung Beteiligte in mir.

Als Erdbewohner und als Mitglied der Weltgemeinschaft läuft es mir eiskalt den Rücken herunter, wenn ich mir dieses Ereignis vorstelle. Die kleine Bahnstörung, die vor Äonen diesen Kometen aus der Oortschen Wolke, etwa ein Lichtjahr von der Sonne entfernt, auf den Weg zum Mars brachte, hätte nur um Haaresbreite anders gerichtet sein müssen, dann hätte es den Mars erwischt. Oder aber, sie wäre ein paar Haaresbreiten weiter anders ausgerichtet, dann würde die Bahn des Kometen die Erdbahn so kreuzen, dass unser Heimatplanet direkt in die Schusslinie gerät. Das liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Es gibt keinen Grund, warum es diesmal nicht dazu kam – außer Glück.

Der zeitliche Verlauf ist bei C/2013 A1 typisch: Etwa zwei Jahre nach der Entdeckung ist er an seinem Perihel. Bei solchen Kometen haben wir also nur zwei Jahre Vorwarnzeit. Zu wenig für eine effektive Abwehr, die sich ohnehin wegen der Größe und Masse des Objekts als hochgradig nichttriviales Problem darstellt. Jeder, der nicht ganz vernagelt ist, wird am Fall C/2013 A1 sehen, dass dies keineswegs eine rein theoretische Bedrohung bleiben muss. Es kann passieren, jederzeit.

Es gibt sicher keinen Grund, in Panik zu geraten. Die Bedrohungssituation hat sich ja nicht plötzlich verändert. Aber es gibt auch keinen Anlass, sich zurückzulehnen. Wir haben hier ein Problem, aber eins, das wir lösen können. Dazu müssen wir aber endlich von unserem Hintern hoch kommen und die menschliche Aktivität im Sonnensystem so ausdehnen, wie es die Technik heute schon zulässt.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

21 Kommentare

  1. Wahrscheinlichkeit z.Z. 1:7000

    Diese Zahl vermisste ich in all den inzwischen zahlreichen Berichten über den möglichen Impakt, aber auch sie kann man JPL Horizons entlocken (nachdem ich den Programmierer fragte, wie’s geht): Die Wahrscheinlichkeit, dass es kracht, liegt derzeit bei etwa 1:7000. Die nominelle Vorbeiflugdistanz des Kometen ist beträgt heute 105’000 km vom Marszentrum, die maximale 1,2 Mio. km und die minimale 0 km.

    Zur ‘größeren Bedeutung’ nur dies: Genau so wie der Airburst von Chelyabinsk hat auch der Fall Siding Spring vs. Mars das Potenzial, die Debatte über den tatsächlichen Grad der Gefährdung der Erde durch kosmische Impakte und die Hauptverantwortlichen in konfuse Bahnen zu lenken. Denn langperiodische Kometen waren schonn immer als ein unbeherrschbares – aber verglichen mit den NEAs sehr geringens – Restrisiko bekannt.

    Als vor rund 20 Jahren schon einmal heftig über Impakte und sinnvolle Gegenmaßnahmen debattiert wurde, hat man die Gefährdung durch die einzelnen Objektklassen in der vielleicht geschmacklosen aber nützlichen Einheit der “Äquivalent-Jahres-Toten” gemessen und dabei z.B. heraus gefunden, dass die Komplett-Katalogisierung der NEAs > 1 km die wichtigste Aufgabe ist: Die Politik hat gehandelt, die Aufgabe ist heute de facto erfüllt. Klare Mathe, klare Resultate …

  2. Größe des Unsicherheitsellipsoids

    Wenn die Impaktwahrscheinlichkeit aktuell noch mit 1:7000 beziffert wird, dann lässt dies, da man davon ausgehen kann, dass der Mars komplett im Unsicherheitsellipoid der Bahnposition des Kometen fÜr den 19.10.2014 enthalten ist, mit ziemlicher Sicherheit auf die Ausdehnung des Unsicherheitsellipsoiden schließen. Wenn man die Silhouette des Mars als Scheibe mit einem Radius von 3400 km betrachtet, also einer Fläche von 3.6E7 qkm, dann wird die momentane Unsicherheit in der Kometenposition zur Zeit, in der die Bahnposition des Mars passiert wird, 7000 mal so groß sein, also 2.5E11 qkm. Das kann man grob so ansetzen. Bei der großen Annäherungsgeschwindigkeit braucht man sich keine Gedanken um den Impaktradius und solche Kinkerlitzchen zu machen.

    Eine Unsicherheitsellipse von 2.5E11 qkm entspricht der Fläche eines Kreises von etwa 285,000 km. Das klingt vernünftig. Das heißt, so genau kann man in etwa die Position des Kometen, der heute (27.2.2013) noch ca. 1 Milliarde km von der Sonne entfernt ist, also gar nicht mal mehr so weit jenseits der Jupiterbahn, für den 19.10.2014, also noch 20 Monate in der Zukunft, relativ zum Mars mit dieser Genauigkeitsgrößenordnung beziffern.

    Besondere Aussagekraft hat die jetzige Bahnbestimmungsgenauigkeit aber nicht, denn weitere Beobachtung wird die Bahnbestimmung wesentlich verbessern.

  3. Irgendwann Komplettkatalogisierung

    Kometen und Asteroiden sind faszinierende Objekte mit denen sich bestimmt fast so viel anstellen lässt wir wir uns heute in den kühnsten Träumen vorstellen: Von Habitaten über Rohstoffquellen für Treibstoff, Geschossen für Waffen, Ausspähorten und … wird wohl irgendwann alles realisiert werden – und vielleicht früher als wir uns das heute denken.

    Lange vorher aber wird es einen Komplettkatalog all dieser Objekte geben – zuerst nur für die grossen Objekte über einen 1 km, später dann für immer kleinere Objekte. Ob diese Kataloge in 10 oder in erst in 50 Jahren fertig gestellt sind macht kaum einen Unterschied wenn man an die lange Zeit denkt in der die Menschheit auch ohne diese Kataloge gut zurechtkam.

  4. Schon wieder eine neue Bahnrechnung

    Die nominelle Minimaldistanz ist offenbar gerade dank neuer Astrometrie noch näher an den Mars heran gerückt; ob das die Impaktwahrscheinlichkeit nennenswert verändert, weiß ich noch nicht. Auf die (früheren) 1:7000 des JPL war jedenfalls auch ein unabhängiger Bahnrechner gekommen, der tausende “Klone” des Kometen mit leicht variierten Bahnelementen auf die Reise geschickt hatte.

  5. Kometenforschung mit Mars Express

    Die um den Mars fliegenden Raumsonden sollten nicht nur einen möglichen Impact verfolgen können sondern wären auch in der Lage in-situ Messungen des Schweifes durchzuführen. Die europäische Sonde Mars Express hat ja zur Untersuchung der Marsatmosphäre und des umgebenden Plasmas Instrumente an Bord. Das würde auch noch funktionieren, wenn der Komet den Mars verfehlt, solange sich nur ein genügend grosser Schweif gebildet hat.

    Da gibt es also im kommenden Jahr nicht nur die Ankunft von Rosetta bei Churyumov-Gerasimenko sondern nun auch noch dieses Ereignis – ein interessantes Jahr für die Kometenforschung!

  6. Minimalradius 41000 km?!

    Im von Daniel Fischer verlinkten Artikel auf Spaceobs von Leonid Elenin wird der Minimalabstand (der Abstand vom Marsmittelpnkt zum Zentrum der Unsicherheitsellipse) mit 41000 km beziffert. Zu den Abmessungen der Unsicherheitsellipse steht da nichts.

    Die Impaktwahrscheinlichkeit bleibt in guter Genauigkeit das Verhältnis der Fläche der Mars-Silhouette zur Fläche der Unsicherheitsellipse. Wenn dank gestiegener Bahnbestimmungsgenauigkeit die Unsicherheitsellipse schrumpft, aber noch den Mars komplett umschließt, dann steigt automatisch die Einschlagswahrscheinlichkeit.

    Die von mir im obigen Artikel angesprochene Beobachtungspause, wenn die Sonne im weg ist, wird vom Frühjahr zum Spätsommer dauern. Dann wird der Komet sich bereits deutlich genähert haben, sodass die Beobachtungen aus einer andferen Geometrie stattfinden ud die Genauigkeit erheblich verbessern. Vielleich sehen wir auch schon ein frühes Einsetzen der Aktivität.

  7. Laienfragen

    Die Position und die Transversalbewegung von ankommenden Kometen kann man im optischen Bereich und im infraroten Bereich messen.

    Im Gegensatz zu den Asteroiden sind die ankommenden Kometen viel kälter, was gegen die Messungen im infraroten Bereich spricht.

    Kann man von den ankommenden Kometen ein Radar-Echo bekommen, welches Informationen über die Entfernung, und durch den Doppler-Effekt über die Radialgeschwindigkeit liefert?

    Das Radar-Echo von Metall, Gestein, und Eis ist vermutlich sehr unterschiedlich.

  8. Optische Beobachtung von Kometen

    Die optische Beobachtung eines Kometenkerns liefert als Messdaten für einen Messzeitpunkt die “Plane of Sky”-Daten Rektaszension und Deklination, und zwar vor dem stellaren Hintergrund, also mit ordentlicher Genauigkeit. Das Problem ist aber, dass sich solche Daten speziell im Fall von langperiodischen Kometen auf hochexzentrischen Bahnen und bei großer Entfernung nicht besonders gut für die Bestimmung von großer Halbachse und Exzentrizität eignen, weil zwei Bahnen ganz unterschiedlicher Periode und Exzentrizität durchaus auch über einen gar nicht so kurzen Bahnbogen hinweg sehr ähnliche “Plane of Sky”-Zeitprofile.

    Sehr hilfreich wären zur Auflösung dieses Dilemmas zwei Ansätze: Entweder die Bereitstellung von “Line of Sight”-Messungen, wobei mir aber nicht bekannt ist, dass man mit einem erdgestützten Radar Objekte weit jenseits des Jupiter erfassen kann, oder ein optisches Teleskop auf einem anderen Himmelskörper mit großer Parallaxe zur Erde, oder in einem heliozentrischen Orbit, sodass man von dort aus denselben Kometen zeitgleich beobachten kann und diese Messdaten mit denen der irdischen Teleskope zusammenführt.

    Kostet allerdings Geld, das.

  9. Erscheinung des Kometen vomn Mars aus

    Zunächst einmal herzlichen Dank an Michael Khan (und ebenso Jan Hattenbach sowie Daniel Fischer) für die interessanten Details und das profunde Fachwissen, das hier vermittelt wird! Doch nun zu meinen Fragen:
    1.) Gibt es bereits (zumindest vorsichtige) Schätzungen bzgl. der Größe/Länge des zu erwartenden Kometenschweifes? Eine Periheldistanz von ca. 1,4 AE sollte doch eher gegen einen ausgeprägten Kometenschweif sprechen, oder?
    2.) Wie sähe die Passage für einen Beobachter vom Mars wohl aus? Sicherlich wäre auch ein Vorbeiflug am Mars-Nachthimmel eine grandiose Erscheinung. Sind die derzeit aktiven Marsrover eigentlich in der Lage, solche Nachtbeobachtungen vorzunehmen?
    3.) Vorausgesetzt die Bahnberechnung stimmt wird oben erläutert, wäre es dann nicht auch möglich, daß Mars seinen eigenen Schatten auf den Kometenschweif (falls vorhanden) wirft? Ist so etwas überhaupt denkbar und wenn ja, kam dies in anderen Fällen überhaupt schon einmal vor?

  10. “Oder aber, sie wäre ein paar Haaresbreiten weiter anders ausgerichtet, dann würde die Bahn des Kometen die Erdbahn so kreuzen, dass unser Heimatplanet direkt in die Schusslinie gerät.”

    Sehr geehrter Herr Khan,

    dieser Satz erscheint mir sehr problematisch: mit “ein paar Haaresbreiten weiter” würde er eben einige hunderttausend Kilometer am Mars vorbeifliegen und ganz gewiss NICHT die Erde treffen. Gerade die Wissenschaftler sollten sich mit solchen Vergleichen zurückhalten – schon vor wenigen Wochen haben einige Nachbarn mich der Lüge bezichtigt, als ich Ihnen erklärt habe, dass der Meteoriten-Einschlag über Russland und die wenige Stunden später erfolgende erdnahe Passage eines Planetoiden nichts miteinander zu tun hätten. Die Angstmacherei, die in der südwestdeutschen Tagespresse zu lesen war, bringt mich ebenso wie solche Wortwahlen wie “endlich von unserem Hintern hoch kommen” in Erklärungsnot. Diese Leute, die da Angst haben, werden nun von so einem Kometen nur wenige Wochen später, der fast den Mars trifft und Ihren Worten folgend fast auch noch die Erde getroffen hätte, nicht gemindert, im Gegenteil. Es sind die Wissenschaftler, aufgrund derer Äusserungen die Presse ihren Input bezieht, und somit haben die Wissenschaftler hier eine Verantwortung, damit nicht unsinnige Hysterien ausgelöst werden.

    Freundliche Grüsse, Ralf Kannenberg

  11. @Ralf Kannenberg

    Wir können uns jetzt über die genaue Definition des begriffs “Haaresbreite” streiten, aber das bringt uns auch nicht weiter. Worum es bei dieser Aussage geht, ergibt sich aus dem Text meines Artikels. Es geht darum, dass die Störung, die den Kometen aus der Oortschen Wolke auf den Weg ins innere Sonnensystem brachte, klein war. Wäre ihre Größe oder ihre Richtung nur ein wenig anders gewesen (eben “ein paar Haaresbreiten”, wobei aus der Wahl eines solchen Begriffs klar sein sollte, dass man dies doch bitte als qualitative Aussage auffassen sollte), dann hätte es sehr wohl sein können, dass die Bahn des Kometen die Bahn der Erde kreuzt (und nicht die des Mars) und dass der Komet die Kreuzungsstelle genau dann passiert, wenn die Erde sie auch passiert. Es gibt keinen physikalischen Grund, warum das nicht so sein sollte.

  12. Siding Spring am Mars

    @Vollmer “Gibt es bereits (zumindest vorsichtige) Schätzungen bzgl. der Größe/Länge des zu erwartenden Kometenschweifes? Eine Periheldistanz von ca. 1,4 AE sollte doch eher gegen einen ausgeprägten Kometenschweif sprechen, oder?” Sehe ich auch so: Nach einer Standard-Helligkeitsformel dürfte der Komet von der Erde aus etwa +8. Größe haben, wenn er am Mars vorbei zieht – so was geht eigentlich nie mit einem signifikanten Schweif einher.

    “Wie sähe die Passage für einen Beobachter vom Mars wohl aus? Sicherlich wäre auch ein Vorbeiflug am Mars-Nachthimmel eine grandiose Erscheinung.” Das kommt natürlich auf den Minimalabstand an: Sind es z.B. 100’000 km, wird der Komet auch nicht heller als -2 mag.

    “Sind die derzeit aktiven Marsrover eigentlich in der Lage, solche Nachtbeobachtungen vorzunehmen?” Das wird sich herausstellen, wenn sie dieses Jahr an Komet ISON üben dürfen sollten – der kommt nämlich dem Mars auch recht nahe.

  13. Möglicher Einschlag – die Folgen.

    Wenn wir dann mal von der eher geringen Einschlagswahrscheinlichkeit absehen, befassen wir uns mal mit den Folgen eines Einschlags.
    Die bei einem Einschlag umgesetzte kinetische Energie hätte eine Größenordnung van 10^7 Megatonnen TNT-equivalent. Das ist unvorstellbar. Der Hr. Khan hat zurecht das Wort “apokalyptisch” benutzt. Die allererste Folge wäre ganz sicher, dass die Menschheit für lange Zeit ( ein Jahrhundert ? Mehr ? ) auf menschliche Flüge nach und Besiedelung des Mars verzichten müsse. Und das ist bedrückend. Wo gehen wir dann hin, wohin breiten wir uns dann aus ? Venus geht nicht. Der Mond kann nicht terraformiert werden. Die Asteroiden sind zu klein. Wir werden dann entweder weiter schauen müssen, über die Grenzen des Solarsystems zu den Planeten der nähesten Sterne – die Probleme einer Reise dorthin sind aber bekannt – oder uns eine andere Dauerlösung für einen Aufenthalt einer größeren Gruppe Menschen im Weltall ausdenken müssen.
    Wobei die Frage stehen bleibt: was, wenn…? Wenn so eine Bedrohung mal der Erde gilt ? Wie lösen wir das ? Siding Spring wirft eine Masse Fragen auf, die ich als Ingenieur zwar sehr interessant finde, deren mögliche Antworte aber teilweise entnüchternd oder bedrückend sind.

  14. Folgen eines Impakt

    der Komet würde ein tiefes Loch in die Mars-Kruste hauen, keine Frage. Da der Mars aber seit langem tektonisch inaktiv ist, würde ich annehmen, daß das Ergebnis schlicht ein besonders tiefer Krater wäre, der sich innerhalb weniger Wochen mit CO2 füllt – wenn das Gestein sich abgekühlt hat, könnten dort drin, was Gasdruck und Temperatur betrifft, sogar besiedlungsfreundlichere Verhältnisse herrschen als auf der jetzigen Oberfläche. Zumindest, wenn der Einschlag in steilen Winkel und in Äquatornähe stattfindet. Masse und Impuls des Kometen sind doch immer noch klein genug, um keinen nennenswerten Einfluß auf die Umlaufbahn des Mars zu nehmen – oder wo mache ich hier gerade einen Fehler?

  15. @Störk — Folgen eines Impakt

    Nein, das ist schon richtig. Das Verhältnis zwischen den beiden Massen ist grobweg 1 : 10^10, also vernachlässigbar. Jedoch wäre ich, wo es auf die Folgen eines Impakts ankommt, nicht so optimistisch. Die enorme Menge Staub die vom Impakt aufgewirbelt wird, könnte das Marsklima Jahrzehntelang so weit runterkühlen dass menschliche Anwesenheit sehr schwierig wird. Reden wir nicht von der quasi-Unmöglichkeit, unter dergleichen Verhältnissen noch elektrische Energie durch Sonneneinstrahlung zu erzeugen. Dass Mars tektonisch inaktiv ist, beruht auf einer noch nicht überprüften Annahme. Was geschähe bei einem Impakt in Vallis Marineris, selbst durch Tektonik entstanden, ließe sich kaum vorstellen.

  16. @Jan van Oort

    Mir ist nicht ganz verständlich, wieso bei einer Jahrhundertausend-Frage “Wohin breiten wir uns aus” ein Jahrhundert spätere Marsfahrten etwas ausmachen sollen. Und bei einer Art “Terraforming” des Mars wäre doch wohl eine wesentliche Maßnahme, absichtlich Kometen auf den Mars zu lenken zwecks Vergrößerung der Wasservorräte? Ein Impakt wäre also eher ein guter Einstieg in so ein Projekt.

  17. Staubwolken

    Staub oder nicht Staub.

    Orbitale Solarkraftwerke liefern die elektrische Energie ohnehin mit Mikrowellen zum jeweiligen Planeten hinunter, natürlich auch durch die Staubwolken hindurch.

    Wozu überhaupt Planeten?

    Mit viel weniger Materie pro Flächeneinheit als die Planeten funktionieren die Weltraumhabitate von zum Beispiel Gerard K. O’Neill sehr gut.

  18. @Armin Vollmer

    Ich würde zur Abschätzung der zu erwartenden Helligkeit von C/2013 A1 zusätzlich zu den heuristischen Formeln auch auf die tatsächlich beobachtete Erfahrung mit Komet Hale-Bopp in den 1990ern zurückgreifen. Die Größe dessen Nukleus kommt den ersten Abschätzungen für Siding Spring recht nahe.

    Den Verlauf der Abstände von Sonne und Erde des Kometen Hale-Bopp während seines Periheldurchgangs habe ich hier grafisch wiedergegeben. Auf der Cometography-Webseite von Gary Cronk ist die Entwicklung der scheinbaren Magnitude dieses Kometen beschrieben.

    Jeder kann nun selbst die beobachteten Magnituden für Hale-Bopp mit den dazugehörigen Erd- und Sonnenabständen in Relation setzen. Ich greife nur einige heraus:

    – Anfang Juli 1996: +5.5 mag, Sonnenabstand 3.9 AU, Erdabstand 2.9 AU
    – 12. Dezember 1996: +4 mag, Sonnenabstand 2 AU, Erdabstand 2.7 AU
    – Anfang Februar 1997: +2 mag, Sonnenabstand 1.3 AU, Erdabstand 2 AU

    Die weiteren Magnituden sind nicht relevant, da Hale-Bopp deutlich dichter an die Sonne herankam als Siding Sping es tun wird.

    Dennoch: Allein basierend auf den tatsächlichen Beobachtungen eines großen Kometen scheint bei einem Sonnenabstand von etwa 1.4 AU bei der Marsbegegnung eine Magnitude um +2 mag nicht ausgeschlossen. Der Erdabstand liegt da bei etwa 1.7 AU, wie man aus den Grafiken im Blog-Artikel sieht.

    Der Mars (und damit auch der in seiner Nähe befindliche Komet) wird dann allerdings nur in den frühen Abendstunden sichtbar sein, bei unseren Breiten nur bei niedriger Elevation. In den Wochen vor der Begegnung könnte es allerdings Chancen geben, den Kometen auch am Nachthimmel zu sehen, das allerdings wohl besser von südlichen Breitengraden auf der Erde, weil der Komet ja aus der Südrichtung die Ekliptik ansteuert.

    Basierend auf den Erfahrungen mit Hale-Bopp könnte Siding Spring durchaus etwa +3 mag oder heller erreichen. Der Erdabstand ist da zumindest etwas geringer als es Dezember 1996/Januar 1997 mit Hale-Bopp der Fall war. Hinzu kommt, dass Siding Spring vielleicht sogar noch mehr volatiles Material mit sich führt, denn er ist ja noch nie erwärmt worden, Hale Bopp dagegen schon, wenn auch schon sehr lange her.

    Die Beobachtungen geben also durchaus Anlass zu etwas Optimismus. In Büchern steht vielleicht Anderes, also hoffen wir mal, dass der Komet ebenso wie schon Hale-Bopp diese Bücher nicht gelesen hat. 🙂

  19. Folgen des Aufschlags

    Wenn der Komet genau die suedliche Polkappe
    des Mars trifft koennte das den Luftdruck
    auf dem Mars bedeutend erhoehen, da viel
    von dem dort abgelagerten CO2 verdampfen wuerde, und damit eine Klimaaenderung auf
    dem Mars beschleunigen, die schon im Gange
    ist, allerdings bisher im Schneckentempo.
    Das koennte den Mars fuer menschliche Besiedelung viel interessanter machen als
    er bisher ist.
    Dass der Staub fuer mehr als ein paar Jahre
    ein Problem ist kann ich mir nicht vorstellen,
    globale Staubstuerme gibt es jedes Marsjahr,
    und die hohe Atmosphaere des Mars ist doch
    ziemlich duenn.

  20. Update vom 12.4.2013

    Wie in dieser Mitteilung von NASA/JPL beschrieben, wird auf Basis der neuesten Bahnbeobachtungen und der daraus resultierenden Bahnbestimmung nur noch von einer Einschlagswahrscheinlichkeit von 1:120,000 ausgegangen. Der prognostizierte Minimalabstand hat sich seit der Berechnung im März kaum verändert und liegt bei etwa 110,000 km.

  21. Es kann immer noch ziemlich nah werden

    Die 110’000 km sind die *nominelle* Vorbeiflugdistanz, aber die Standardabweichung ist immer noch ziemlich hoch: Die 3-Sigma-Werte sind 300’000 km bzw. 9000 km (vom Planetenzentrum, also rund 5000 km über der Oberfläche). Die Frage, ob und wie Koma oder Schweif des Kometen mit der Mars-Atmosphäre wechselwirken und deren Chemie beeinflussen könnten, wird daher weiter ein Thema der Planetenforschung bleiben – wo die Kometen- und Atmosphärenforscher jetzt unverhofft zusammen kommen müssen, weswegen es m.W. auch noch keine konkreten Prognosen gibt.

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