Proton-Fehlstart: Weitere Informationen

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Anatoly Zaks Webseite “russianspaceweb.com” gibt weitere Informationen zum geplanten Vorgehen, um die Proton-Rakete nach dem letzten Fehlstart wieder auf Kurs zu bringen.

Besonders hilfreich waren demnach laut Aussage des Vizedirektors der russischen Weltraumagentur Roskosmos, Aleksandr Ivanov, die Maßnahmen, die nach einem sehr ähnlichen Fehlstart im Mai 2014 getroffen worden waren. Dieser wurde keineswegs einfach nur hingenommen, sondern es fand eine großangelegte Untersuchung und Re-Zertifizierung bereits hergestellter Hardware statt, da man davon ausging, es mit einem Fabrikationsfehler zu tun zu haben.

Zudem wurden Schwingungssensoren auf den danach gestarteten Stufen installiert. Die Auswertung der Telemetrie von den Raketen, die mit diesen Sensoren an Bord flogen, sowie weitere Triebwerktests am Boden (wobei mir hier nicht klar ist, ob die Bodentests nach dem 15. Mai 2015 oder schon früher durchgeführt wurden), weisen aber darauf hin, dass es sich nicht um einen einmaligen Ausreißer handelte, sondern um einen bisher nicht erkannten Konstruktionsfehler.

Dieser könne unter gewissen Bedingungen in Verbindung mit unzureichender Auswuchtung dazu führen, dass die Antriebswelle der Turbopumpe zu stark schwingt und infolgedessen bricht. Dieser Fehler lag, so die Untersuchungen, drei der Fehlstarts seit 1965 zugrunde, wobei aber insgesamt 400 Raketen der Proton-Familie gestartet wurden. Ein weiterer Konstruktionsfehler, und zwar in der Befestigung der Turbopumpe, trug zum Versagen bei.

Die einberufene Untersuchungskommission war einstimmig zu dem Schluss gekommen, dass keine Unregelmäßigkeiten in der Qualitätskontrolle vor dem letzten Start festzustellen sind, anders als bei einigen anderen Fehlstarts der Proton in der jüngeren Vergangenheit.

Beim aktuellen Start waren die installierten Schwingungssensoren nicht dicht genug an der Turbopumpe platziert gewesen, um eine eindeutige Indentifizierung des Problems zu liefern. Auch seien keine Teile der Turbopumpe in den Trümmern der abgestürzten Rakete gefunden worden.

All das führt zu den drei bereits in der Pressemitteilung am 19. Mai 2015 genannten Maßnahmen:

  • Änderung des Materials für die Antriebswelle der Turbopumpe
  • Überarbeitung der Prozedur für die Auswuchtung der Pumpe
  • Änderung der Konstruktion der Befestigung der Turbopumpe

Das Problem soll innerhalb eines Monats behoben sein. Noch im Juni wird angekündigt werden, wann der nächste Start stattfinden wird. Nächster im Startmanifest ist eigentlich der Nachrichtensatellit Inmarsat 5-F3, gefolgt von zwei russischen, einem türkischen und einem Eutelsat-Satelliten. Ob die Eigentümer dieser Satelliten aber einem Start ihrer Satelliten zustimmen, hängt davon ab, wie überzeugend demonstriert werden kann, dass dieses Problem wirklich zuverlässig gelöst ist.

Man sollte schon anerkennen, dass die russische Seite energisch und konzentriert an einer Lösung arbeitet. Die Fehlersuche scheint wirklich zielorientiert angegangen worden zu sein. Bereits vorher scheint es tiefgreifende Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gegeben zu haben.

Ich wünsche den russischen Kollegen Erfolg. Nicht nur, weil es Kollegen sind. Sondern auch, weil eine der unmittelbar anstehenden Nutzlasten dieser Rakete eine ist, an der ich viele Jahre meines Lebens gearbeitet habe.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

5 Kommentare

  1. Der Spruch “Never Touch (Change) a Running System” haben wohl alle Rocket Man’s im Hinterkopf. Fehleranalyse und -korrektur sind zwar absolut wichtig und notwendig – zugleich aber mit neuen Risiken verbunden. Eine gut wartbare Rakete sollte wohl so konzipiert sein, dass ihre Komponenten gut designt, getestet und gut wartbar sind und das Gesamtsystem so ausgelegt sein, dass Fehler einzelnen Komponenten zugeordnet werden können.

    • Die verschärfte Version lautet “If it works, don’t **** with it.” Die gilt nicht nur für Raumfahrtsysteme, sondern für alle komplexen Gegebenheiten, nicht nur solche technischer Natur.

      Aber im gegebenen Fall kann man wohl nicht sagen “it works”. Also muss man zwangsläufig “**** with it”.

      Immerhin klingt es ja so, als habe man ein klares Bild vom Problem und einen nachvollziehbaren Lösungsweg, der überschaubare Eingriffe ins Gesamtsystem erfordert. Wobei die Diagnose natürlich auch falsch sein kann.

  2. Ich kann jetzt nicht mehr ganz nachvollziehen, wohin die Diskussion driftet.

    Egal. Mein Eindruck ist, dass Khrunichev als Betreiber der Proton gerade in den letzten Jahren eine ganze Menge getan hat. Das war auch bitter nötig. Es war ja nicht die Rakete allein, die unzuverlässig ist. Der ganze Laden war unzuverlässig, die haben sich Patzer erlaubt, die einfach nicht sein dürfen.

    – Am 5.12.2010 – 1.5 Tonnen zu viel Oxidator in die Block-DM-Oberstufe geladen, sodass die Zielbahn nicht erreicht werden konnte. Wo gibt’s denn sowas?
    – Am 17.8.2011 – Die Manöversequenz für die Briz-M-Oberstufe falsch programmiert, sodass operationelle Randbedingungen nicht erfüllt wurden und Manöver in die falsche Richtung durchgeführt wurden.
    – Am 2.7.2013 – Das ist mein besonderer Liebling. Die Sensoren für die Winkelbeschleunigung in der Erststufe wurden verkehrt herum eingebaut und lieferten natürlich vollkommen unsinnige Werte an das Legeregelungssystem –> Resultat hier

    Die bestkonstruierte Rakete der Welt kann nicht funktionieren, wenn man die Oberstufentanks überlädt, die falsch bedient oder falsch zusammenbaut. Das Qualitätsmanagement muss den gesamten Prozess umfassen. Dann hätten solche Fehler bemerkt werden müssen.

    Gerade die Maßnahmen, die nach dem Fehlschlag von vor einem Jahr getroffen wurden, zeigen nach meiner Meinung, dass Khrunichev andere Saiten aufzieht. Zwar gelang es damals nicht, den Fehler zu isolieren, aber dennoch führten die getroffenen Maßnahmen dazu, dass man ihn nach dem erneuten Fehlschlag endlich finden konnte und nun hoffentlich auch ein für alle Mal beheben kann.

    Dass die Berichterstattung von Space News diesen Aspekt gar nicht erwähnt, sondern nur durchblicken lässt, bei der Proton sei immer noch alles beim Alten geblieben, finde ich ziemlich schwach. Ist das nur mangelhafte Sorgfalt bei der Recherche oder schon eine absichtlich gefärbte Darstellung?

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