Programm statt Wurstelei: Beispiel Mond

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Vor gerade zwei Wochen, am 1.März 2009, endete die erste chinesische Mondmission Chang’E-1 mit dem  kontrollierten Absturz der Sonde, der nach dem Ende der Missionsdauer der Treibstoff ausging, auf dem Mond.

Grafik der Mondsonde Chang'E-1, Quelle: Sky and TelescopeDieser Absturz, der selbst auch noch einen wissenschaftlichen Zweck erfüllte, ist jedoch nicht das Ende der chinesischen Mondforschung, sondern nur eine Etappe. Angekündigt wurden bereits die Nachfolger der ersten Mondprinzessin: Chang’E-2 (2011), ein weiterer Orbiter, der bereits die nächste Mission vorbereitet: Chang’E-3 soll nämlich spätestens 2013 weich auf dem Mond landen und damit einen weiteren Technologiesprung des Reichs der Mitte dokumentieren, das sich anschickt, die führende Industrienation der Erde zu werden.

Aber damit nicht genug: Während bereits die weiche Punktlandung auf einem Zielort etwas ist, was nur die Spitzenliga der Erstes Komposit-Mondbild von Chang'E-1 Raumfahrtnationen beherrscht, ist auch diese Leistung für die chinesischen Planer nur eine Etappe. Es geht noch viel weiter, und die Chinesen wissen genau, was sie tun.

Niemand sollte sich der Illusion hingeben, eine automatische Mondlandung sei etwas, was Amerikaner und Russen bereits in den 60ern konnten und damit heute nichts Besonderes mehr. So bewundernswert die technische Leistung von damals auch war, man ließ die unbemannten Sonden da noch in weiten Ebenen ohne Hindernisse landen, das zu lösende Problem reduzierte sich darauf, bei Höhe Null auch annähernd Geschwindigkeit Null zu haben. Klappte das, war man ansonsten mit reichlich einigen Kilometern Zielgenauigkeit zufrieden.

Bei den kommenden Landern geht es aber darum, innerhalb weniger Meter von einem zuvor festgelegten Ziel aufzusetzen, beispielsweise auf einer Bergspitze oder einem Kraterrand, einem “Punkt ewigen Lichts” in Nähe eines der Mondpole. Unser Trabant zeichnet sich dadurch aus, dass er allein im Sonnensystem solche idealen Lokationen für eine Basis bietet. Um diese Punkte erforschen und nutzen zu können, muss man imstande zu einer Punktlandung sein.

Um es prägnant auszudrücken: Der Unterschied zwischen einer ungezielten Mondlandung und einer Punktlandung ist so wie der Unterschied zwischen dem Einparken eines Autos auf einem leeren Supermarktparkplatz am NASA-Mondlander Surveyor-1, Quelle: Wikipedia, NASASonntag und dem Rückwärtseinparken eines schweren Sattelschleppers in die einzige verbleibende Lücke an einer Verladestation. Ersteres kann sogar ich, für Letzteres bedarf es aber des Meisters.

Der geplante Mondlander Chang’E-3 ist nicht das Ende des Wegs, für Ende des kommenden Jahrzehnts (im Kontext der Planung von Raumfahrtmissionen also schon sehr bald) soll mit der Probenrückführung eine weitere technologische Hürde genommen werden, die, je nach Ausführung, beliebig schwierig sein kann.

Die Chinesen werden damit bereits eine sehr breitgefächerte Kompetenz aufgebaut und viele Probleme auf dem Weg zu einer bemannten Mondlandung und vielleicht zu einer permanenten Präsenz auf dem Mond gelöst haben.

Krater Shackleton im Aitken-Becken, Quelle: NASA, David DarlingAn dieser Stelle bietet es sich an, die deutsche Vorgehensweise im Kontext des geplanten deutschen Mond-Orbiters mit dem chinesischen Programm zu vergleichen. Es fängt schon beim Namen an: Chang’E ist eine mythische Figur, die in China jedes Kind kennt. Dem gegenüber steht der verkorkste Name “LEO” (ursprünglich “Lunar Exploration Orbiter”), der Laien an Löwen und Fachleute an das niedrige Erdorbit, niemand aber an den Mond denken lässt. Als endlich jemand merkte, dass ein deutsches Projekt keinen englischen Namen haben sollte, wurde er flugs eingedenglischt zu “Lunarer Erkundungs-Orbiter”. Das ist nicht nur orthographisch schief, darunter kann sich immer noch niemand etwas vorstellen. Ich diagnostiziere zumindest schon einmal einen schweren Fall von PR-Autismus, Prognose infaust.

Das ist aber noch nicht einmal das Schlimmste. Man stelle sich vor, das Projekt würde reanimiert und durchgeführt. Eigentlich sollte LEO 2013 starten, realistischerweise würde daraus mittlerweile aber 2014 oder später werden. Jahre nach dem zweiten chinesischen Orbiter und auch noch nach dem chinesischen Lander und Jahre nach Indern, Japanern und allen anderen schafft es die Industrienation Deutschland endlich, ein Fahrzeug zum Mond zu schicken, das technologisch kaum mehr bietet als ein Erdsatellit und wissenschaftlich gesehen allenfalls noch ein paar Lücken schließt.

Mosaik der Shackleton-Umgenung, Quelle: ESA/SpaceXWas würden wir denn  damit dokumentieren außer der Tatsache, dass wir den Anschluss verpasst haben? Wir sollten froh sein, dass diese Peinlichkeit uns erspart blieb.

Das heißt natürlich nicht, dass Deutschland jetzt einfach aufgeben sollte! Das Gegenteil ist der Fall: Deutschland sollte im europäischen Kontext eine führende Rolle für die Planung eines Programms zur Monderforschung einnehmen. Ein Programm ist das, was die Chinesen haben: Eine Sequenz von Projekten, die in logischer Folge aufeinander aufbauen und ein definiertes Ziel haben.

Mit einem Programm maximiert man nicht nur den wissenschaftlichen Ertrag der Erforschung des Weltraums – in diesem Fall des Mondes. Vor allem maximiert man auch den technologischen Ertrag, d.h., das, was man über den Bau von Raumsonden, ihren Antrieb, ihre Steuerung und ihre Mechanismen lernen musste, um das Programm zum Erfolg zu führen. Mit einem Programm  hat man eine klare Zeitvorgabe, definierte Wegpunkte, man nutzt Synergien, man vermeidet Leerlauf und man reduziert Kosten- und Ressourcenspitzen.

Man weiß, woher man kommt, man weiß, wo man steht, und man weiß, wohin man will, wenn man ein Programm hat und nicht nur Projekte. Jede andere Vorgehensweise ist ineffizienter und damit Verschwendung von Steuermitteln. Und dennoch ist es aus unerfindlichen Gründen in Europa offenbar nicht möglich, sich zu dieser Sichtweise durchzuringen.

Bild eines moeglichen kleinen Mars-Rovers, Quelle: ESADies gilt aber auch hierzukontinent nur für die planetare Forschung. Bei der Erderkundung, der satellitengestützten Meteorologie, bei orbitalen Teleskopen – überall dort ist es auch in Europa so, dass sehr wohl logische Folgen aufeinander aufbauender Projekte und damit Programme vorliegen. In der planetaren Forschung dagegen setzt man auf die Insellösungen und handelt sich damit unklare Zielsetzungen ein, die von Ereignissen überholt werden sowie Verzögerungen, Kostenüberlauf und schleichenden Kompetenzverlust.

Das ist fatal, denn gerade das Aufgabenspektrum der planetaren Forschung ist so vielseitig und anspruchsvoll, dass es einen wesentlichen Innovationsmotor darstellt. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen und umdenken: Weg von isolierten Inselprojekten, hin zu strukturierten Programmen. Gelingt uns das nicht, werden wir technisch und wissenschaftlich nicht nur nicht mehr in der ersten Liga mitspielen, wir werden sogar noch weiter absteigen und damit im globalen Wettlauf irrelevant.

Ich weiß nicht, wie Sie das sehen – ich will meinen Heimatkontinent auch in den kommenden Jahrzehnten noch ganz vorne wissen. Etwas anders als einen Spitzenplatz halte ich für inakzeptabel. Um dorthin zu kommen, müssen wir aber über unsere Schatten springen und so manche liebgewordene Unart über Bord werfen, angefangen mit der Kleinstaaterei und dem Unwillen, langfristig zu denken und großangelegte Programme anzugehen und durchzuziehen.

Weitere Information

ESA-Präsentation zum wissenschaftlichen Kontext der geplanten Landermission Moon-NEXT

Neuer Kosmologs-Artikel von Markus Landgraf (12.5.2009) zum vorgeschlagenen Mondlander unter deutscher Führung

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

2 Kommentare

  1. “Ewiges” Licht?

    Herr Fischer: Es ist richtig, dass das Konzept eines Punkts “ewigen” Lichts doch ein eher theoretisches Konzept ist, denn wenn die Sonne sehr flach über dem Horizont steht – im gegebenen Fall sogar um bis zu 1.5 Grad *unter* dem Horizont, dann reicht selbst auf einem Berg, der noch aus der Nacht herausragt, die kleinste Unebenheit, und man hat da wieder eine begrenzte, lokale Nacht und nur knapp 90% der Zeit Licht.

    Das allein ist allerdings noch nichts, was gegen eine Lokation für eine permanente Basis spricht, denn diese Problem lässt sich durch Solargeneratoren auf einem nur einige Meter hohen, drehbaren Mast schon wieder loesen.

    Das ist aber deutlich weniger schlimm als die 14-Tages-Nacht überall sonst auf dem Mond, und durch das flach einfallende Sonnenlicht treten die extremen Temperaturschwankungen von mehr als 250 K nicht auf, die man am Mondäquator hat.

    Mondfans koennen also aufatmen.

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