Phobos-Grunt kommt heute ‘runter

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Die im Erdorbit gestrandete russische Mars-Sonde Phobos-Grunt wird heute in die Erdatmosphäre eintreten und auseinanderbrechen. Wann und wo – dazu gibt es diverse Prognosen, zusammengetragen vom bekannten Satellitenbeobachter Ted Molczan auf dem einschlägigen Forum satobs.org.

Die älteste stammt von den russischen Streitkräften, die am Freitag den Wiedereintritt für heute, Sonntag, 17:51 UTC (18:51 MEZ) bezifferten – dies allerdings ohne Angabe der Unsicherheit, die zum Zeitpunkt der Prognose erheblich gewesen sein dürfte.

Die Prognose der russische Raumfahrtagentur Roskosmos vom Samstag gibt den 15.1.2012 18:30 UTC an, mit einer Unsicherheit von fast 4 Stunden.

Andere Prognosen variieren um Zeiten am frühen Abend des heutigen Tages, was erhebliche Unterschiede im vorhergesagten Absturzpunkt mit sich bringt.

(Dank an Gunnar Glitscher für den Link)

Die Aerospace Corporation hat hier eigene Vorhersagen publiziert. Deren derzeit aktuellste Prognose stammt vom heute früh und gibt als Wiedereintrittsepoche heute, 19:21 UTC an, allerdings immer noch mit 3 Stunden Unsicherheit. Dann wäre der Wiedereintrittspunkt westlich von Chile. Hier ist die Subspur der Bahn (Quelle: The Aerospace Corp.). Blau ist dort die Subspur bis zur vorausberechneten Eintrittszeit eingezeichnet, gelb nach dieser Zeit.

Laut Heavens Above war das Perigäum heute Vormittag nur noch 127 km hoch, das Apogäum 145 km. Beide nehmen aufgrund der atmosphärischen Bremsung ab, das Apogäum schneller als das Perigäum. Das Argument des Perigäums lag am Morgen bei 307 Grad. Somit ist das Perigäum über der südlichen Halbkugel. Es driftet zwar aufgrund von Bahnstörungen durch die Erdabplattung auf den Äquator zu, sicher aber nicht so viel, dass es bis heute Abend über Europa liegt.

Ich halte – wenn ich mich irre, möge man mich darauf hinweisen – einen Wiedereintritt deutlich südlich des Äquators für wahrscheinlich.

 

 

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

8 Kommentare

  1. Phobos Grant stürzt in den Pazifik

    Hier der SPON-Bericht:Russische Marssonde stürzt in den Pazifik

    Erstaunlich aber, wie “billig” Phobos-Grant laut SPON war: Russland hatte die umgerechnet 127 Millionen Euro teure Sonde Anfang November vergangenen Jahres mit einer “Zenit”-Rakete vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan gestartet.

    127 Millionen für eine anspruchsvolle Mission zum Mars-Mond Phobos. Das europäische GPS-Analog Galileo kostet dageben 20 Milliarden Euro und besteht aus 30 erdnahen Satelliten womit ein einziger Galileo-Satellit schon mehrere hundert Millionen Euro kostet – obwohl er nur eine Schleife um die Erde dreht.

  2. Sparen kommt teuer

    127 Millionen für eine anspruchsvolle Mission zum Mars-Mond Phobos.

    Ja genau, das ist vollkommen absurd. Das ist in etwa der Preis für einen mittelgroßen geostationären Satelliten von der Stange samt Start.

    Das reicht bei einer interplanetaren Sonde hinten und vor nicht, weil da eben nicht alles von der Stange kommt. Die meisten Komponenten einer solchen Sonde müssen neu entwickelt werden. Selbst wenn existierende Teilkomponenten verwendet werden können, werden diese nicht systemqualifiziert sein. Sie müssen erst noch aufwändig getestet werden. Dann müssen inbesondere die Leute von der Bodenkontrolle trainiert werden müssen, auch für die diversen Eventualitäten, auch solche die normalerweise nicht auftreten.

    Wenn man zudem auch noch seit 15 Jahren überhaupt keine interplanetare Mission mehr gemacht hat und seit Mitte der Achtziger (VeGa 1 und 2 keine erfolgreiche), dann kommt alles nochmals ein Stück teurer, denn dann kann man davon ausgehen, dass die Leute, die man hat, in ihrem Ausbildungsstand und ihrem technischen Wissen nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind.

    Eigentlich sollte man in so einer Situation nicht gleich die Königsdisziplin der Probenrückführung von einem anderen Himmelskörper angehen, sondern erst mal wieder klein anfangen, mit einem Mond-Orbiter. So wie das auch die Chinesen machen. Auf keinen Fall sollte man die Vorgabe machen, dass es die Mission dann auch noch quasi für lau geben muss, d.h., dass keine ausreichenden Ressourcen bereitgestellt werden.

    Wenn man – wie bei Phobos-Grunt – weit über das vertretbare Maß hinaus zu sparen versucht, dann kann man das Geld, was es dann immer noch kostet, auch gleich zum Fenster hinauswerfen. Das freut wenigstens den, der gerade unter dem Fenster vorbei geht. Außerdem man macht sich nicht auch noch weltweit zum Gespött der Leute.

    Was die Kosten für das Galileo-Navigationssystem angeht, erstens ist die Höhe der Gesamtkosten umstritten, und zweitens kann man nicht einfach die Gesamtkosten inklusive Bodensegment und Betrieb auf die Kosten pro Satellit umrechnen.

    Und drittens und vielleicht wichtigstens liegt ein ganz erklecklicher Anteil der Kosten allein daran, dass das Galileo-Projekt aus rein politischen Gründen um Jahre verzögert wurde. Politische Verzögerungen haben die “charmante” Eigenschaft, massig Zusatzkosten zu produzieren, ohne dass man dafür irgendeinen Gegenwert erhält.

  3. Ausnahmsweise mal nicht HAARP …

    @Peter:

    Soso, die Amis sollen’s mal wieder gewesen sein. Und diesmal wird sogar ausnahmsweise mal nicht das HAARP-Forschungsradar in Alaska beschuldigt wie vor einem Monat.

    @Daniel Fischer:

    Sie schreiben in dem von Ihnen verlinkten Artikel auf Ihrem Blog:

    Immer noch kein abschließendes Urteil zum Verbleib von Fobos-Grunt haben die Raumfahrtagenturen der Welt, die am ESOC in Darmstadt um eine gemeinsame Analyse der – spärlichen und/oder widersprüchlichen – letzten Informationen zur Bahn des Satelliten ringen, auch mehr als zwei Tage danach gefunden

    Vielleicht liegt hier ein Missverständnis vor? Es war nie so, dass die Experten der Welt sich im ESOC zusammengefunden haben, um gemeinsam herauszufinden, wo die Raumsonde nun abgeblieben sein könnte.

    Das Ganze war viel niedriger aufgehängt und auch viel weniger dramatisch, als es den Anschein haben mag: Im regelmäßigen Turnus führen die Mitglieder des Inter-Agency Space Debris Coordinationn Committee (IADC) eine “Wiedereintrittskampagne” durch, bei der die teilnehmenden Agenturen jeweils bei sich Wiedereintrittsvorhersagen für ein ausgewähltes Objekt durchführen. Dieses Jahr war das Objekt Phobos-Grunt. Das heißt: Alle tauschen relevante Daten und Messwerte aus und rechnen mit ihrer jeweiligen Software aus, wann und wo das Ding wohl herunterkommen mag. Dann vergleicht jeder seine Vorhersagen mit denen der anderen. In etwa: “Ihr zeigt uns eure, wir zeigen euch unsere”.

    Die Rolle des ESOC war bei dieser Kampagne die des Koordinators, alle schickten ihre Daten (zumindest die, die man teilen wollte) an eine mit der Koordinationsrolle betraute Abteilung beim ESOC. Das war’s schon, und die Kampagne ist schon längst beendet.

    Ich vermute, dass sich wirklich nur abschließend feststellen lässt, wo genau der Wiedereintritt erfolgte, wenn einer, der die notwendige Ausrüstung hatte, um das Ereignis zu beobachten, die Daten auf den Tisch legt.

  4. Die ESA wollte es wirklich …

    Wie der Notiz eines ESA-Mitarbeiters auf einem internationalen Weltraumforum zu entnehmen ist (garniert mit dem Wunsch “Reporters, please don’t report it”, daher kein Link :-), ist oder war tatsächlich ein gemeinsamer und öffentlicher Abschlussbericht aller IDAC-Beteiligten geplant, der ja auch seit mehr als zwei Tagen auf der SSA-Frontpage angekündigt wird. Alle haben sich dieser Notiz nach längst auf ein Statement geeinigt (wie präzise es angesichts der offenbar ziemlich dürftigen Datenlage ausfallen kann, weiß ich nicht) – nur eine bestimmte Weltraumagentur stellt sich quer …

  5. Phobos-Grunt: Theorie zur Bahnentwicklun

    Es ist bekannt, dass in den ersten Tagen nach Eintritt der Kooperationsunwilligkeit der Raumsonde das Perigäum der Bahn angehoben wurde. Die einzige plausible Erklärung dafür war ein Zünden kleiner Triebwerke an Bord der Sonde. Mehr wusste aber niemand, Manche nahmen an, dass das System zur Lageregelung, aktiviert durch möglicherweise noch laufende Prozesse im Steuerungssystem, gezündet haben könnten.

    Eine etwas andere Theorie schlägt nun der Satellitenbeobachter Ted Molczan vor: Demnach sei es eien Folge von “ullage burns” gewesen, das zu den beobachteten Bahnánderungen geführt habe.

    “Ullage burns” führt eine Raketenoberstufe mit nicht druckbeaufschlagten Tanks kurz vor einem beabsichtigten Zünden des Haupttriebwerks durch. Dabei werden kleine Raketentriebwerke gezündet.

    Deren Beschleunigung sammelt den Treibstoff und Oxidator an der Seite der Tanks an, wo sich die Zuführung für die Leitung zum Haupttriebwerk befindet. In der Schwerelosigkeit schweben ansonsten Flüssigkeiten irgendwo in ihren Tanks herum, wenn der Tank nicht ganz voll ist.

    (N.B.: Dass eine Raumsonde nicht druckbeaufschlagte Tanks hat und deswegen ullage burns braucht, ist selten. Allerdings wurde bei der Antriebsstufe von Phobos-Grunt auf die Technik von Raketenstufen, insbesondere der Fregat, zurückgegriffen.)

    Laut Molczans Berechnungen wäre die Annahme von “ullage burns” konsistent mit den beobachteten Bahnveränderungen. Seine ausführlichen darlegungen findem sich hier auf satobs.org.

    Selbst wenn sich Molczans Theorie bestätigen sollte, wäre weder klar, was zum Defekt der Raumsonde fúhrte, noch, was die ullage burns auslöste. Haupttriebswerksmanöver hat es ja bekanntlich nie gegeben. Aber dennoch könnte sich hier ein Hinweis finden, der hilft, den Ablauf der Versagenskette einzukreisen.

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