Pascal Jaussi und S3: Wie geht’s weiter?

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Die Firma Swiss Space Systems (S3) des Schweizer Unternehmers Pascal Jaussi hatte sich ehrgeizige Ziele gesetzt, geriet aber in ernste finanzielle Schwierigkeiten. Am 24.1. wurde von einem Schweizer Gericht der Konkurs ausgesprochen.

Die Firmenziele

S3 wollte den Markt für Startsysteme insbesondere  für kleinere Satelliten aufmischen und den Start ins Erdorbit deutlich preiswerter machen. Nebenbei sollte auch Pionierarbeit im interkontinentalen Luftverkehr geleistet werden.

Die Firma hatte ein gebrauchtes vierstrahliges Großraumflugzeug vom Typ Airbus A340-300 erworben und wollte damit die bekannten Vomit Comet-Parabelflüge anbieten. Dies ist zunächst einmal gar nichts Neues und auch eigentlich nicht Teil der eigentlichen Zielsetzung des Unternehmens (Warum machen sie es denn dann?). Der kommerzielle Betrieb soll dieses Jahr beginnen. Da die Firma nun in den Konkurs geschickt wurde, könnte die Einhaltung dieses Zeitplans schwierig werden. Unklar ist, ob bereits die für die Aufnahme des Betriebs erforderlichen Zertifizierungen und Genehmigungen eingeholt worden sind.

Starts in die Erdumlaufbahn sollen auch von mit einem umgebauten Airbus vom Erdboden abheben. Unklar ist, ob dies die für die Parabelflüge gekaufte A340 oder eine andere Maschine ist. Im Einführungsvideo von S3 ist in dieser Rolle ein zweistrahliger Airbus zu sehen, eine A300 oder A330.

Das Flugzeug soll auf dem Rücken seines Rumpfs eine kleine Raumfähre bis in 10 km Höhe tragen und sie dort aussetzen.

Das Shuttle namens SOAR soll mit einem eigenen Antrieb in eine suborbitale Bahn mit einem Scheitelpunkt von 80 km aufsteigen. Unklar ist, welche Geschwindigkeit das Gefährt dort haben soll. Je höher die Geschwindigkeit des Shuttles, desto größer die Bahnenergie, aber auch die technischen Schwierigkeiten.

Am Scheitelpunkt der Bahn soll das Shuttle eine kleine Rakete aussetzen. Diese soll eine Nutzlast von bis zu 250 kg Masse ins Erdorbit tragen. Klar ist, dass die Rakete um so kleiner ausfallen kann, je mehr Energie schon in der Bahn des Shuttles steckt. Unklar sind die Parameter dieser Rakete. Soll sie mehrstufig sein, welche Treibstoffe verwendet sie, welches Delta-v bringt sie auf?

Das Shuttle wird nach erfolgter Mission in die dichtere Erdatmosphäre eintreten und horizontal auf einer Landebahn landen. Es wird danach für den nächsten Start vorbereitet. Das Flugzeug natürlich auch.

Als Alternative zum Satellitenstart wird auch eine Zweitverwendung des Shuttles vorgeschlagen. Es soll auch für sehr schnelle Langstreckenflüge eingesetzt werden. Damit sollte in der interkontinentalen Passagierbeförderung Neuland betreten und Pionierarbeit geleistet werden.

Die Startkosten für kleine Nutzlasten ins Orbit sollen durch dieses System dramatisch fallen. Genannt wurde ein Faktor 4. Nach Angaben von S3 kämen die Einsparungen durch die Wiederverwertung sowie durch geringere Aufwendungen für Treibstoff zustande.

Meine Bewertung dieser Ziele

Ich schreibe hier kurz auf, was mir zu den Unternehmenszielen einfällt. Danach geht’s weiter speziell mit der Causa Jaussi. Denn die ist durchaus spannend.

Also erstens: Da will ein kleines Unternehmen als Quereinsteiger, ohne soliden Hintergrund in gleich zwei etablierten, hochtechnologielastigen Industriebranchen die Platzhirsche das Fürchten lehren. Dazu braucht man Ehrgeiz und Selbstvertrauen. Daran fehlt es wohl nicht. Man braucht aber auch einen finanzkräftigen Partner mit langem Atem.

Zweitens: Ist das beschriebene Konzept geeignet, Startkosten nachhaltig zu senken? Das Argument mit den Treibstoffkosten kann nicht Ernst gemeint sein. Der Anteil der Kosten eines heutigen Raketenstarts, der durch Treibstoffe verursacht wird, ist minimal. Auch Wiederverwertung ist nicht per se kostendrückend. Raketen kosten Geld, weil Leute Geld kosten. Gute, kompetente und erfahrene Leute kosten richtig Geld. Von denen braucht man viele, um eine komplexe Maschine so zu bauen, dass sie zuverlässig funktioniert. Wenn man Geld sparen will, dann muss man das System so auslegen, dass mit weniger Leuten immer noch alles glatt läuft.

Das bedeutet im Klartext: Es muss möglichst einfach sein. Komplex heißt teuer. Billig heißt einfach. Nicht simpel, nicht primitiv: nein: einfach. Großes, modifiziertes Flugzeug mit horizontal landendem Shuttle und zusätzlicher Rakete, alle drei Hauptsysteme mit jeweils vollkommen unterschiedlichen Untersystemen und ohne Synergien: das ist das Gegenteil von einfach. Das ist nicht einfach nur komplex. Das ist geradezu ein Lehrstück für Komplexität.

Drittens: Die Zweitverwendung des Shuttles als Demonstrator für zukünftigen Passagiertransport bedingt, dass dieses Shuttle auf einer fast schon orbitalen Bahn fliegt. Dazu reicht es keinesfalls aus, einfach nur senkrecht hoch zu hüpfen und dann wieder herunter zu kommen wie diese Hochparabelflieger, die als Raumfahrt präsentiert werden und von denen übrigens auch noch kein einziger im kommerziellen Betrieb ist.

Wenn weite Strecken zurück gelegt werden sollen, dann darf das Perigäum der Bahn sich nicht in der Nähe des Erdmittelpunkts befinden. Im Gegenteil, es sollte sich schon in der Nähe der Oberfläche befinden. Das bedeutet aber, dass die Bahngeschwindigkeit des Shuttle gar nicht mehr so sehr weit unter orbitalen Geschwindigkeiten liegt. Das heißt, der Antrieb des Shuttles muss es von den etwa 700 km/h, die das Flugzeug mit Außenlast maximal erreicht, bis auf 6 km/s oder mehr beschleunigen. Beim Wiedereintritt muss diese kinetische Energie zuverlässig dissipiert werden.

Bei dem, was Virgin Galactic anbieten will, werden diese zwei kleinen Probleme gekonnt dadurch umgangen, dass man eben nur die Minimalbahn anstrebt, die die Probleme mit der kinetischen Energie weitgehend vermeidet. Aber wenn man Langstreckentransporte will, dann hat man genau diese Option nicht. Dieses Shuttle wird also eine gewaltige Menge Treibstoff und einen ausgefeilten Hitzeschild brauchen.

Aber gut: dieser Teil des Vorhabens könnte vielleicht nur ein Gedankenspiel oder auch nur ein Marketing-Gag aus der Gründungszeit des Unternehmens gewesen sein. Es wurde im Juni 2013 auf der Webseite von S3 beschrieben.

Drama um Pascal Jaussi

In Interviews ergeht sich Firmengründer Pascal Jaussi in Andeutungen über die vielen dunklen Kräfte, die vor seinen Erfindungen Angst haben und ihn deswegen los werden wollen, bevor er ihnen mit der geballten Menge seiner Innovationen das Geschäft verhagelt.

Am 26. August 2016 spitzte sich die Lage dramatisch zu: Nach dem Besuch von (natürlich!) mit ausländischem Akzent sprechenden ominösen Unbekannten wurde Jaussi nach eigenem Bekunden entführt und misshandelt. Sein Auto und er wurden mit Benzin übergossen und angezündet. Die Polizei fand Jaussi am Tatort mit Brand- und Würgeverletzungen vor.

Seit Ende Januar 2017 hat die Staatsanwaltschaft Freiburg ein Verfahren eingeleitet … und zwar gegen Pascal Jaussi. Von vorneherein war in zwei Richtungen ermittelt worden: ein Gewaltverbrechen durch Dritte oder eine Inszenierung des Vorfalls durch Pascal Jaussi selbst. Nach Auswertung der verfügbaren Informationen und einer Nachstellung des Fahrzeugbrands hält die Staatsanwaltschaft Letzteres für wahrscheinlicher. Sie wirft Jaussi Vortäuschung einer Straftat, Brandstiftung und Dokumentenfälschung vor, so die Kantonspolizei Freiburg.

Siehe hierzu auch:

Neue Zürcher Zeitung vom 6.2.2017

Neue Zürcher Zeitung vom 13.9.2016

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

10 Kommentare

  1. Es gibt noch andere Optimisten.
    Die spanische Firma Zero 2 Infinity entwickelt mit Bloostar einen Rockoon für den Start von Kleinsatelliten.
    Einige Laienfragen:
    Die Frage ist, wie groß wäre der Energieverlust durch den Luftwiderstand, den eine kleinere Rakete beim Start vom Boden aus hätte, und den man sich durch den Rockoon ersparen will.
    Die potenzielle Energie von 40000 Metern Starthöhe ist natürlich ein Bonus.
    Die Düsenquerschnittsfläche der Rakete kann in 40000 Metern Höhe rund 100 mal größer sein, als beim Start vom Boden aus, was ebenfalls eine zusätzliche Energienutzung ermöglicht, die Frage ist, wie groß der zusätzliche Anteil ist.
    Die geometrische Gestalt der Rakete kann in 40000 Metern Höhe viel kürzer und dicker sein, was vermutlich Strukturmaterial einspart, zum Beispiel zwei kugelförmige Tanks ohne Außenverkleidung.
    http://www.zero2infinity.space/

    • @The Karl Bednarik:

      Der Luftwiderstand beim Start von der Erdoberfläche wächst bei einer kleinen Rakete überproportional an und wird schnell zum Show-Stopper. Das ist der Grund für die Rockoon-Idee. In 40 km Höhe hat man 99% der Erdatmosphäre unter sich und nur noch 1% über sich. Der Gewinn an potenzieller Energie ist vernachlässigbar. Ohnehin ist beim Start ins niedrige Erdorbit der Anteil der potenziellen an der insgesamt aufzubringenden Energie in der Größenordnung weniger Prozent. Davon jetzt noch ein bisschen abzuknapsen ist sinnlos. Das würde den Ballon nicht lohnen. Den braucht man allein, um das Problem des Luftwiderstands zu umgehen.

      Die Rakete bei zero2infinity ist dreistufig und ineinander geschachtelt. Ihre Form ist in der Tat kurz und breit udn sie scheinen auch eine aufwändige Nutzlastverkleidung nicht zu brauchen.

      Ein interessantes Konzept. Mal sehen, wie die sich schlagen.

  2. Mir scheint, komplizierte Raketensysteme für die Erreichung des Orbits (wie hier Flugzeug+Shuttle+Rakete) sind wohl zum Scheitern verurteilt, wie schon das Space-Shuttle-System der NASA vordemonstriert hat. Die Kombination von Einfachheit und Wiederverwendbarkeit scheint mir wichtig, auch wenn folgendes stimmt:

    Auch Wiederverwertung ist nicht per se kostendrückend.

    . Denn das Space-Shuttle war wiederverwendbar, nur eben nicht wiederverwendbar wie ein Flugzeug, welches nach dem Landen und Auftanken den nächsten Flug in Angriff nehmen kann.
    Folgende Aussage:

    Man braucht aber auch einen finanzkräftigen Partner mit langem Atem.

    wird durch die Liste der privaten Raumfahrtunternehmen, welche bereits in der Testphase sind unterstützt: sie arbeiten meistens mit der NASA oder mit Boeing zusammen. Dazu gehören: SpaceX, Bigelow Aerospace, Blue Origin.

    • Ich stelle mir das beispielsweise so vor. Alle Stufen verwenden dieselben Triebwerke, Triebwerksaufhängungen, Rohrleitungen, Ventile, Turbopumpen, Tankdome etc. sodass die Anzahl der unterschiedlichen Komponenten, die entwickelt, hergestellt, geprüft, eingebaut (und im Fall der Wiederverwendbarkeit verifiziert und eventuell gewechselt) werden müssen, minimiert wird. Das heißt auch, dass das Personal eben nur ein Triebwerk, einen Typ Tank, einen Typ Rohr, einen Typ Turbopumpe etc. kennen muss. Dann können dieselben Leute, die an der Stufe 1 werken, dieselben Arbeitsschritte auch an den Stufe 2 oder 3 machen.

      Wahrscheinlich ist so ein System suboptimal in dem Sinne, dass man nicht das Letzte an Nutzmassenkapazität herauskitzelt. Aber es ist optimal im Sinne der Nutzung der wertvollen und teuren Ressource “Expertenwissen”

      • Identische Raktenstufen scheint es nur beim Parallel-Staging (unterste Stufe in mehrfach identischer Ausführung) zu geben. Obere Stufen verwenden typischerweise “vacuum engines” oder verzichten auf Turbopumpen, weil der interne Druck des Treibstoffs schon ausreicht.
        Bei SpaceX gibt es mit der Falcon/Falcon-Heay Baureihe den Versuch der Design-Wiederverwendung – allerdings nur sehr rudimentär.

        Die Idee von lauter identischen Bauteilen für alle Stufen scheint mir tatsächlich sehr vielversprechend. Vor allem wenn man all die Zwischenfälle denkt, die es immer wieder gab und gibt. Wenn man jedes Bauteil maximal wiederverwendet und die Zahl der verschieden designten Bauteile minimiert, hat man bessere Chancen, irgendwann den letzten Fehler ausgemerzt zu haben, als wenn es sehr viele verschiedene Bauteile gibt.
        Schade, dass bisher niemand diesen Weg gegangen ist.

      • Eine standardisierte Rakete wäre wohl auch billiger. Heute zahlt man für einen Falcon 9 Start zwischen 60 und 90 Millionen Dollar, was gerade dem Kaufpreis für eine 100 plätzige A318 entspricht. Die reinen Herstellungskosten einer Falcon 9 scheinen aber eher bei 20 Millionen zu liegen. Eine standardisierte Rakete von der Nutzlastkapazität einer Falcon 9 könnte vielleicht ab 100 Stück schon für 10 Millionen hergestellt werden. Sogar eine maximal 5 Mal wiederverwendete Falcon 9 könnte da wohl nicht mithalten, denn mit Wiederverwendung sinkt ja auch die Nutzlastkapazität.
        Wiederverwendung einer Rakete lohnt sich wahrscheinlich überhaupt erst, wenn sie durzende Mal wiederverwendet werden kann. Ideal wäre eine Wiederverwendungsrate wie bei einer A318, die wohl einige tausend Flüge absolviert, bevor sie eingemottet wird.

  3. Bzgl. der Parabelflüge vermute ich, dass Jaussi damit Cash für den Rest seiner Projekte generieren wollte. Angesichts der Kosten, der begrenzten Anzahl an Passagieren pro Flug und der Tatsache, dass nur eine einzige Maschine dafür zur Verfügung stünde, wäre das allerdings ziemlich optimistisch. Um nicht zu sagen naiv.

  4. Ein 3-stufiges orbitales Startsystem mit einer Raketenstufe, gefolgt von einer Scramjet-Stufe (Überschalldüsentriebwerk), von welcher dann die den Orbit erreichende Rakete startet, wird gegenwärtig von der University of Queensland (Australia) erprobt.
    Das scheint mir ein vielversprechenderes orbitales Startsystem als das hier vorgestellte von von Pascal Jaussi, denn ein Scramjet kann sehr grosse Geschwindigkeiten in der oberen Atmosphäre erreichen und dann als Startbasis für eine Endstufe dienen, die den Orbit erreichen kann. Ein Scramjet nutzt genau wie ein normales Düsentriebwerk den Sauerstoff der Atmosphäre zum Verbrennen des Brennstoffs und benötigt somit keine Sauerstofftanks. Allerdings sind die aerodynamischen Anforderungen an solche einen mehrfach Überschall fliegenden Scramjet sehr gross, werden doch die Flügelkanten und -spitzen sehr hohen Temperaturen ausgesetzt.
    Es vergehen wohl mindestens noch 10 Jahre bis ein solches Startsystem bereit ist.

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