Ein alter Haudegen zur Entstehung der Ariane-Rakete

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Ich habe gerade das Buch “La Naissance d’Ariane” von Jean-Pierre Morin gelesen. Jean-Pierre Morin arbeitete seit 1964 bei der französischen Raumfahrtagentur CNES und war seit 1972 beim Ariane-Programm dabei. Bis zum Jahr 1993 – als Vizedirektor des Centre Spatiale Guyanais. Also ein langjähriger Insider. Jemand, der viel erlebt und gesehen hat. Nicht nur die technische, sondern auch die organisatorische, menschliche und politische Seite des Projekts. Die Höhen und Tiefen. Die technischen Probleme mit den Vorläufern. Die unlösbar erscheinenden Konflikte. Die politischen Grabenkämpfe zwischen Amerikanern, Sowjets und Europäern, aber auch zwischen den innereuropäischen Akteuren andererseits. Und schließlich den Erfolg, den viele von vorneherein für ausgeschlossen gehalten hätten.

Auf jeden Fall eine interessante Lektüre, bei der jedoch auch einzelne Stellen Stirnrunzeln hervorrufen.

Die zweifellos spannendste Stelle des Buchs ist die Beschreibung der Stunden vor dem ersten Startversuch von Ariane 1 am 15. Dezember 1979 (Der Start wurde später aus technischen Gründen abgebrochen und auf den 24. Dezember verschoben). Morin beschreibt den Stress und die Spannung, als die jahrelangen Vorbereitungen endlich auf den angestrebten Zielpunkt zulaufen.

Aber etwas an seiner Beschreibung erscheint mir seltsam:

Zweieinhalb Stunden vor Ablauf des Countdowns wird eine Krisensitzung des Führungspersonals im Startkomplex einberufen. Ein Seeüberwachungsflugzeug der französischen Marine hatte bei der Überprüfung des von der Rakete zu überfliegenden Seegebiets zwei gestoppt liegende Schiffe gesehen. Diese hatten dort nichts zu suchen – es war zuvor schon eine Warnung an die Luftfahrt und Seefahrt herausgegangen.

Bereits die Anwesenheit der Schiffe in der Gefahrenzone würde den Start verhindern. Die Mannschaft des Marineflugzeugs versuchte deswegen, die Besatzung der Schiffe auf der internationalen Notruffrequenz anzufunken. Die Funksprüche wurden nicht erwidert. An Bord war niemand zu sehen. Mit Ferngläsern konnte von dem Flugzeug aus festgestellt werden, dass es sich keinesfalls um Fischerboote oder Frachter handelte, sondern um Spezialschiffe zur elektronischen Überwachung (ELINT). Ferner konnten die Namen der Schiffe festgestellt werden. Es waren russische Namen: Eins hieß “Petrov”, das andere “Ivanov”. Aha! Die nu wieder.

Beide Schiffe wurde vom Marineflugzeug aus fotografiert. Dieses kehrte dann schleunigst zur Basis zurück.

Inzwischen wurde festgestellt, dass die Schiffe keineswegs nur lauschten. Im Gegenteil, sie sendeten auf Frequenzen, die unter anderem den Radarempfang der Stationen störten, mit denen die Bahn der aufsteigenden Rakete nach dem Start verfolgt werden sollte. Also schon ein aggressiver Akt der willkürlichen Störung.

Hinzu kam, dass eines der Schiffe genau unter dem Punkt positioniert war, wo die Trennung der zweiten von der dritten Stufe und bald darauf die Zündung der kryogenen Drittstufe erfolgen sollte. Das bereitete allen in der Startbasis in Kourou größte Sorgen, denn laut Morin war erwartet, dass wegen des heißen Triebwerksstrahls aus der Drittstufe kurzfristig die Funkverbindung zwischen Rakete und Startbasis unterbrochen sein würde. Das Schiff jedoch würde sich genau unterhalb der Rakete befinden – seine Funkverbindung zur Rakete wäre von diesem Problem nicht betroffen. Es könnte in diesem Moment also gelingen, die Kontrolle über die Drittstufe zu übernehmen und das Signal zur Selbstzerstörung zu senden, ohne dass von Kourou aus eingegriffen werden konnte.

Warum aber hätten die Sowjets so etwas vorhaben sollen? Die Sowjetunion hatte mit den Europäern einen Exklusivliefervertrag für das UDMH , den Brennstoff für Erst- und Zweitstufe. Sie hätten also das Projekt Ariane viel einfacher unterbinden können, ohne schwere diplomatische Verwicklungen zu provozieren. Ohnehin konnte es der Sowjetunion doch nur Recht sein, wenn das Projekt Ariane ein Erfolg würde. Zwischen der UdSSR und der westlichen Welt gab es damals keine Konkurrenz im Markt für Satellitenstarts. Zwischen den USA und Europa schon, was zu erheblichem transatlantischen Zwist geführt hatte. Die Sowjetunion konnte nur davon profitieren, wenn es zu weiterer Verstimmung zwischen den USA und ihren Verbündeten käme.

Inzwischen war in Kourou der Film entwickelt. Man wollte die Bilder schnellstens zum Hauptquartier der Marine in Paris schicken. Nächstes Problem: Die Marine hatte moderne Faxgeräte, die Startbasis in Kourou aber nur ein veraltetes Bildtelegrafiegerät. Beide zueinander inkompatibel. Jemand fand aber heraus, dass die Tabakläden in Paris, bei denen auch Pferdewetten abgeschlossen werden konnten, Empfangsgeräte für die Bildtelegrafie installiert waren. Die Polizei ein Paris besetzte kurzerhand das dem Hauptquartier der Marine in Paris nächstgelegene “Bureau de tabac” und warf die dort wartenden Wettfreunde hinaus. Deren Murren wurde ignoriert. Man erzählte ihnen – hier besonders passenderweise – etwas vom Pferd, nämlich dass es eine Bombendrohung gegeben habe. Die Fotografien wurde zur Tabakhandlung geschickt, die Ausdrucke per Motorradkurier ins Marinehauptquartier gebracht und die Schiffe dort anhand des Archivs von Bildern aller Schiffe der Welt identifiziert.

Es stellte sich schnell heraus, dass es sich keineswegs um russische, sondern um Schiffe der US Navy handelte, und zwar, so Morin, die USS San Diego und die USS Fresno. Ein bereits zuvor ausgeschicktes Aufklärungsflugzeug der französischen Marine rief die Schiffe nun auf Englisch an und teilte den Besatzungen mit, dass ihre Maskerade aufgeflogen sei. Sie hätten sich unverzüglich zu entfernen und das Aussenden von Radarstrahlung zu unterlassen, sonst hätte es eine geharnischte regierungsseitige Protestnote direkt an den US-Präsidenten James E. Carter zur Folge.

Von den Schiffen meldete sich daraufhin eine nasale Stimme und antwortete lakonisch “OK, we move”. Dann nahmen beide Schiffe Fahrt auf und dem Start der Rakete stand zumindest von dieser Seite aus nichts mehr im Wege.

Ganz dramatische Sache, das. Keine Frage. Es ging über einen kleinen Kreis von Eingeweihten nicht hinaus (bis einer der Eingeweihten, nämlich Morin, in seinem Buch alles ausplaudert). Deswegen habe auch nie jemand was von der Sache gehört.

Ich habe davon auch noch nichts gehört und auch im Web nichts darüber gefunden. Ich kann also nichts dazu sagen, ob diese Sache sich so zugetragen hat oder nicht.

Was ich allerdings herausfinden konnte, ist, dass es, entgegen der Darstellung Morins, nie ein ELINT-Schiff der US Navy namens “San Diego” oder “Fresno” gegeben hat. Die “USS San Diego”, die 1979 in Dienst war, war ein Versorgungsschiff, die USS Fresno ein Landungsschiff für Panzer.

Hm.

Was soll ich nun von der ganzen Sache halten?

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

28 Kommentare

  1. ‘Eins hieß “Petrov”, das andere “Ivanov”.’

    Zwei Schiffe mit unverkennbar russischen Namen – weil das ja der Tarnung sehr förderlich ist… 🙂 Das kommt davon, wenn man sich von der häuslichen Kultur vereinnahmen lässt. Ist aber menschlich. …und sehr patriotisch. 😉

    • Auch so ‘ne Sache. Heißen denn russische Schiffe, die nach jemandem bekannt sind, einfach nur nach dem Nachnamen? Üblich ist doch dort eher sowas wie “Akademik Yu. V. Petrov”. Oder was auch immer. Aber in der Geschichte geht es ja nicht um echte Russen, sondern um falsche.

      Morin hätte das noch ein bisschen ausschmücken können. Anstatt einer nasalen Stimme, die sagt “OK, we move”, hätte es jemand sein können, der mit amerikanischem Akzent versucht, Russisch zu sprechen: “Yes, uh, dammit, I mean, da, payekhali!”.

      Wartet mal ab, wenn erst meine Memoiren ‘rauskommen.

      • Diese Schiffe heissen eher Юрий Иванов oder so ähnlich, und diese spezielle “Ivanov” steht tatsächlich für eine neue Klasse russischer Spionageschiffe.

        Dass sie auch für Zeitreisen ausgerüstet wäre, wird nicht berichtet, also war sie wohl nicht in den Vorfall involviert.

  2. Interessante Geschichte. Was Sie davon halten sollen? – Gute Frage. Dazu fällt mir ein alter Film aus den späten 70ern oder frühen 80ern ein, – mit Roger Moore als James Bond. Darin geht es darum, das ein als Fischerboot getarntes Britisches SigInt-Schiff versenkt wird und Bond den Auftrag erhält, einen Spezialsender aus dem Wrack zu bergen und zurück zu bringen, weil dessen Technik streng Geheim und irgendwas spezielles ist das auf keinen Fall jemand anderem als dem britischen Geheimdienst in die Hände fallen darf. Wie das in Bondfilmen so ist, schafft er es trotz allerlei Schwierigkeiten auch, den Sender zu holen, aber nicht, damit nach GB zurück zu kehren. Denn er findet sich am Ende zwischen zwei Interessenten wieder, die den Sender beide unbedingt haben wollen. Und je nach dem, wem er den Sender nun gibt, wird er auf jeden Fall von den anderen erschossen. Der Ausweg aus dieser Situation tut sich für ihn dadurch auf, das sie alle auf einer hohen Klippe o.Ä. stehen und Bond den Sender über dieser wirft, so das er ein paar dutzend Meter tief fällt und beim Aufprall zerstört wird. Das kommentiert er dann mit: “Nun hat ihn keiner von uns”.

    Der Punkt ist also: waren diese US-Schiffe wirklich nur Versorgungsschiff und Landungsschiff für Panzer, oder waren sie nebenbei auch SigInt-Schiffe? – Eine oder zwei Antennen mehr oder weniger dürften den einfachen Soldaten nicht besonders auffallen, vor allem bei Schiffen dieser Grösse. Und selbst wenn da noch ein grösserer Container mit einer speziellen Fracht (sprich Antenne) an Bord installiert war, zu dem nicht jeder Zutritt hatte, kann man der Mannschaft trotzdem einen vom Pferd erzählen um den eigentlichen Sinn zu verschleiern. Dieses vorgehen, also das Besatzungsmitglieder im Unklaren gelassen oder auch bewusst belogen werden, traue ich übrigens jedem Militär zu, wenn es darum geht, irgendwelche Dinge geheim zu halten.

  3. Der Mann will sich mit seiner Geschichte wichtigmachen und hat dafür sogar noch etwas Aktualität (NSA) auf seiner Seite womit es für viele plausibel wird. Das ist die wahrscheinlichste Erklärung. Geschickt konstruiert kann man mindestens attestieren, denn dass die USA in der Ariadne eine Konkurrenz sahen, das trifft sicher zu. Sogar der europäische Versuch ein eigenes GPS aufzubauen wurde ja von Bill Clinton damit beantwortet, dass die aus militärischen Gründen ins GPS eingebaute Präzisionsungenauigkeit, aufgehoben wurde. Es könnte also sein. Und damit hat der Autor dann einige Leser für sich gewonnen.

  4. Das ist erstmal nur eine für sich recht unterhaltsame Story eines alten Mannes.

    Was würden denn Holmes und Spock tun? Zuerst das Unmögliche vom Möglichen trennen.
    -Auf die Suche nach den damaligen Aufnahmen gehen. Gibt Morin Quellen an?
    -Andere beteiligte Personen von damals versuchen zu kontaktieren. Wieviel davon können diese bestätigen?
    -Sowjetische Schiffe mit den Namen “Ivanov”&”Petrov” aus jener Zeit recherchieren.
    -War eine ausserzweckmäßige Verwendung der genannten US-Schiffe möglich?
    -Welche Frequenzen wurden von der ersten “Ariane” verwendet? Welche der Schiffe kommen für diese Frequenzen in Betracht?
    -(Falls etwas dran ist)Der entsprechende Tabakladen wäre auch nicht ohne Bedeutung. Ebenso wie mittlerweile pensionierte Gendarmen.
    – Welche anderen Nationen/Konkurrenten könnten mit Störung des Starts ein Interesse verfolgt haben? *Unauffällig nach NW schiel*
    -Auf Freigabe von US-Archiven warten. 50 Jahre? Auch wenn die selbst es nicht waren, könnten sie über Infos zu dem Vorfall verfügen.
    usw., usf., vam.

    Ohne mühsames Stöbern oder einen glücklichen Zufall wird sich wohl kein Licht in die Angelegenheit bringen lassen, und die Frage lässt sich nur mit “vorläufig nicht viel” und “im sprichwörtlichen Hinterkopf behalten” beantworten. Ich aber habe ein lückenloses Alibi; Das war vor meiner Geburt. 😛

  5. Der Fall liegt sogar noch etwas anders, denn strenggenommen hatte die US Navy bis in die 90er Jahre offiziell keine spezifisch für SIGINT / ELINT / EW abgestellten Schiffe, sondern nur eigensicherungsfähige leichte Zerstörer und Fregatten mit zusätzlicher Ausstattung.
    Dies betrifft zumindest die regulären Schiffe US-Navy und das offizielle Register.
    Auf der anderen Seite dürfte die Hughes Glomar Explorer nicht das einzige Schiff gewesen sein, das für die CIA fuhr. Dafür waren die logistischen Vorgänge bereits zu eingespielt und das federführende Frankreich aufgrund des damaligen NATO-“Verzichts” und der gerade der guten Verbindungen zur UdSSR-Raumfahrt (Lunajod, Treibstoff) nicht unbedingt kein Objekt der US-Nachrichtendienste.
    Zumindest von der Tonnage und Auslegung würde andererseits die San Diego in das Spektrum als Flottendienstschiff verwendbarer Schiffe passen, Zumal sie zwischen 1977 und 1989 aus der 6. Mittelmeerflotte zur Atlantikflotte verlagert wurde und sie 1989 nach dem Unfall in eine COMSEC-geeignete Werft musste, obwohl andere Trockendocks näher waren. 1993 wurde sie ans USNS verchartert (das ist eine privat organisierte Spedition in Navy-Besitz) und davor entmilitarisiert.
    Ich halte die Baseline der Geschichte für glaubwürdig und würde auch die San Diego für geeignet halten (3D-Radare vorhanden, fähig zu Hubschrauber-Operationen). Der Modus operandi deckt sich mit einen Anekdoten aus Büchern von John P. Craven.

  6. Einerseits eine ziemlich unglaubwürdige Geschichte – hätten die US-Militärs (gehen wir mal davon aus, dass sie es waren) nicht davon ausgehen können, dass sie bemerkt werden, mitten in der für den Start gesperrten Zone? Andererseits – zuzzutrauen ist den US of A sicherlich einiges, wenn nicht: alles. Nunja. Der Herr schreibt das in seinem Buch. Aber wie Psyclash schon sagte: er war nicht der einzige Beteiligte, es muss also genügend Leute geben, die seine Geschichte bestätigen können müssten. Wobei ein Dementi natürlich nichts beweisen würde 😉

    Ebenfalls wie Psyclash halte ich die Nachbarn im NW ebenso für verdächtig, nicht nur wegen der nasalen Stimme.

  7. Eher unwahrscheinlich insbesondere wenn man die enge Kooperation zwischen USA und Europa ansieht.

    Da sind die Versuche der USA Galileo zu verhindern schon viel realistischer.

    • Die USA haben politischen Druck ausgeübt, um Galileo zu verhindern. Sie haben auch politischen Druck ausgeübt, um die Europäer erst am Satellitenbau, dann am Aufbau eigener Startkapazität zu hindern.

      In allen drei Fällen ging das nach hinten los.

      Im Fall des Satellitennavigationssystems Galileo hat der Druck seitens der USA wahrscheinlich einige Zauderer in der europäischen Politik überzeugt, dass Europa in dieser Domäne Eigenständigkeit braucht. Hätten die Amerikaner einfach still gehalten und abgewartet, hätte Europa vielleicht ein paar Milliarden versenkt und wäre dann ausgestiegen. An die Wand fahren können wir das Projekt aber auch ohne fremde Hilfe, wie Jan richtig anmerkt.

      Im Fall des Baus kommerzieller Nachrichtensatelliten führte die Einmischung seitens der USA dazu, dass Europa sich entschloss, auch in den Markt der Satellitenstarts einzusteigen. Die ersten deutsch-französischen geostationären Nachrichtensatelliten der Baureihe Symphonie wurden von den USA nur unter der Bedingung gestartet, dass sie nicht kommerzialisiert würden. Im Endeffekt brachte dieses Ereignis mehr als alles andere den Stein ins Rollen, der zum Projekt Ariane führte.

      Die vielfältigen Versuche, Ariane zu stoppen, hatten eher die gegenteilige Wirkung. Genau wie später bei Galileo. Auch hier stellt sich eher die Frage, ob Zurücklehnen und Abwarten nicht die bessere Strategie gewesen wäre.

      Das alles war aber die legitime – oder zumindest legale – Ausübung politischer Mittel. Das obige Ereignis, falls es wirklich stattfand, hätte eine ganz andere Qualität und ist ganz und gar nicht vergleichbar.

  8. @ “Name” War auch mein Gedanke. Ich würde dem Autor glatt eine Mail / einen Brief schreiben und nachhaken, wenn die Sektion des Buches mit den Quellenangaben nichts her gibt. Sehr seltsam, das Ganze.

  9. vielleicht war es den Tätern ja nur wichtig, den Start zu verzögern, weil der Zeitpunkt für sie ungeschickt war?

  10. Wegen den Schiffen: Natürlich nimmt man Versorgungsschiffe und Truppentransporter, aber niemals einen Zerstörer für eine solche verdeckte Operation. Denn einen amerikanischen Zerstörer von einem russischen zu unterscheiden gelingt jedem genug neugierigen Nicht-Experten nach einer Viertelstunde…

    Auch reden wir über die 70er Jahre. Da hatten die Amis noch Versorgungsschiffe am Start, die noch in den 1950ern gebaut wurden. Alte Schiffstypen dem richtigen Land zuzuordnen fällt schwerer, als bei den heutigen Neubauten wie z.B. dem Littoral Combat Ship.

  11. Nachtrag mit der Bechreibung der Schiffe, wie Morin sie liefert. Ich zitiere direkt aus dem Buch, auf Französisch. Hervorhebungen von mir.

    […] A la jumelle les observateurs ont constaté que les navires n’étaient pas des chalutiers, car hérissés d’antennes et de paraboles, généralement utilisés pour la guerre électronique.[…]

    Soviel zum (angeblichen) Aussehen.

    Zu den von den Schiffen ausgesandten Radarwellen:

    […] la section radar m’avait prévenu qu’ elle recevait des fréquences parasites en provenance de la mer d’une intensité plus que gênante. On pourrait les éliminer en modifiant le phasage de nos impulsions radar, mais trois heures avant le lancement nous n’avons plus le temps. Si nos radars sont perturbés, la Sauvegarde en Vol ne pourra suivre l’évolution du lanceur […] Il faudra absolument que les intrus cessent d’émettre, sinon on ne pourra pas lancer! […]

    Zur Identifikation der Schiffe:

    […] Vingt minutes après la transmission, la Marine identifie formellement les deux bateaux: Il s’agit sans aucun doute de deux bâtiments de l’US Navy, du type Pueblo, ce navire espion attaqué en pleine activité d’espionage par les Nord-Coréens […] Mais alors, que viennent faire les Américains au large de Kourou avec un faux nez soviétique? […]

  12. Mir scheint, hier wird ein Aspekt übersehen und Morin binär statt graustufig wahrgenommen. Realistischer dürfte wohl sein, dass der Mann nicht nur die Zustände “gar nix sagen” oder aber “alles auspacken” hat sondern vielmehr innerhalb hochwahrscheinlich nach wie vor verbindlicher Geheimhaltungsverpflichtungen einen gewissen, vor allem durch den langen Zeitabstand geschaffenen Spielraum nutzt.
    Sprich, er kann – und will – ein bisschen sagen, aber nicht alles.

    Kourou liegt in einer (sehr großen) französischen Überseeregion und selbstverständlich gab und gibt es dort nennenswerte (nicht nur) Militärinstallationen, mithin auch Marineleute, die darauf gedrillt sind, zumindest wichtigere Schiffsklassen und Schiffe anderer Mächte aus dem FF und zwar aus verschiedensten Perspektiven zu identifizieren.
    Dabei darf es als ausgesprochen unwahrscheinlich gelten, dass die Raumfahrtleute viel feeedback von Militär und Diensten bekamen. Dass Morin Kenntnis haben soll von Details wie den Namen der Schiffe halte ich für äusserst unwahrscheinlich. Realistischer ist die “Küchenzeitung” die sich bei sowas gerne auf eine halboffizielle Version, die Militär und Dienste an projekt-beteiligte Personen munkelnd herausgeben. Und genau dazu passen auch solche Chiffren wie Schiffsnamen, die geradezu plakativ “russisch” oder eben “us-amerkanisch” sind.

    Kurz, Morin wollte etwas eröffnen, ja, und hat das auch getan. Nämlich dass damals etwas den Russen angelastet wurde und dass es in Wirklichkeit die us-amerikaner waren. Um diesen Kern ging es ihm. Der Rest ist Staffage und Verkleidung – und Selbstschutz.
    Warum?

    Wenn ich einer Geheimhaltungsverpflichtung unterliege und falsche Details nenne, also z.B. ein Schiff als “Petrov” (oder eben auch “Fresno”) erwähne, das in Wirklichkeit ganz anders hieß, dann habe ich einen juristischen Rückzugspunkt; den nämlich zu sagen, dass ich nicht geheimes preisgegeben habe.

    Im übrigen gehe ich ohnehin davon aus, dass Morins Enthüllung keineswegs das Werk eine “illoyal” enthüllenden Zeitzeugen ist, sondern dass es sich vielmehr um eine weitere kleine Finte im großen Spiel handelt und dass Morin in voller Absprache, ja vermutlich sogar im – natürlich inoffiziellen – Auftrag französisischer Offizieller handelt. Auch die Art der Legendierung bestätigt das, da sie fast schon klischeehaft dem entspricht, was Dienste so zu machen pflegen, übrigens durchaus bewusst plakativ und erkennbar; auch das ist Teil des Signals.

    Ansonsten empfehle ich Occams Razor. Womit kennt Morin sich aus, was ist sein Fachgebiet, was war sein Bereich, wo, in welchem Bereich war er tätig? Im Bereich Raumfahrt – und da liegen auch seine Autentizität, Kompetenz und selbst der Schwerpunkt des ihm zugänglichen Küchenkanals.

    • Nämlich dass damals etwas den Russen angelastet wurde und dass es in Wirklichkeit die us-amerikaner waren.

      Mir ist nicht bekannt, dass jemals etwas in diesem Zusammenhang den Russen (oder damals den Sowjets) angelastet worden wäre. Morin schreibt selbst, dass dieses Ereignis nie publik wurde, also auch niemandem öffentlich zur Last gelegt.

      Sollte sich das Beschriebene wirklich zugetragen haben, dann war schon damals bekannt, wer die Urheber waren und es hätte zu keiner Zeit der falschen Seite zur Last gelegt werden können.

      Sollte sich das Ereignis jedoch nicht zugetragen haben, wäre das auch eine plausible Erklärung dafür, warum man nie von diesem Fall gehört hat.

  13. Missverständnis.

    Ich meinte mit “anlasten” nicht lautes öffentliches Anlasten. Ihr Blogeintrag beschreibt ja recht deutlich die Hintergründe, die es durchaus attraktiv erscheinen lassen konnten, die Europäer glauben zu machen, die bösen Russen torpedierten ihre Bemühungen.

  14. Sowas lässt mir ja immer keine Ruhe… ^^ Was ich noch gefunden habe, falls es überhaupt noch eine Rolle spielt und nicht eh schon bekannt ist, ist dieses PDF von 2009: http://archives.eui.eu/en/files/transcript/15771.pdf, “INTERVIEW DE RAYMOND ORYE Par David Redon, 19 novembre 2002”, Seite 16 f.

    Das Gerücht um die US-Schiffe scheint es auch damals schon gegeben zu haben; es wird aber hier als Unsinn abgetan, und es bezieht sich in diesem Fall auf den zweiten (missglückten) Startversuch, nicht auf den ersten:

    “DR : J’ai une question un peu spéciale: certaines personnes ont dit qu’il y avait des navires américains dans les parages lors du lancement L02, et qu’il pourrait y avoir eu sabotage…

    RO : Après un échec, toutes les hypothèses possibles ont été examinées, comme c’est également le cas par exemple lors d’un accident d’avion. L’hypothèse du sabotage a été examinée, mais n’a pas été retenue. Il a en effet été prouvé rapidement que l’échec était dû à une instabilité de combustion dans un des moteurs Viking, (…)”

    Immerhin: Vielleicht sind Redon und Orye ja passende Ansprechpartner für weitere Nachforschungen.

  15. tja, was soll man dazu sagen? ich weiss nur, daß den russen aktuell seit monaten die protons nur so um die ohren fliegen; komischerweise aber nie, wenn menschen (bis jetzt) bzw amerikanisches material zur ISS gebracht wird.

    • Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Die Proton war noch nie eine besonders zuverlässige Rakete. Hier ist die Liste der Starts ab 2010. Etwa ein Start dieser Rakete pro Jahr geht in die Hose. Der vorhergehende Fehlschlag war am 15. Mai 2014 … da war es wohl höchste Zeit für den nächsten.

      Der letzte Start einer Proton zur ISS war 2000. das war eine Proton K – diese Version der Rakete gibt es nicht mehr. Bemannte Starts der Proton hat es nie gegeben und wird es wohl auch nie geben.

      Die Versorgung der ISS erfolgt weitgehend durch die Sojus-Rakete. Diese startet das Progress-Frachtraumschiff und die bemannten Sojus-TMA-Schiffe.

      • ganz grosses danke für die rationale aufklärung; da habe ich mich wohl mal von den üblichen VTs mitreissen lassen und mich ganz meiner reaktion hingegeben, kommt vor.

        es passiert soviel absurdes in dieser welt, daß ich auch manchmal zu den “einfachen” schuldzuweisungen ohne grundlage neige, mea culpa.

  16. Hallo!
    Ich stehe im Kontakt zu einem Raketenexperten (seit 1967 als Raketenbau- und Vertriebsingenieur in Bremen tätig gewesen), der damals direkt dabei war. Seine Ausführungen anbei:
    “So einen “Schmarren” habe ich noch nie gehört!
    Ich war für drei Monate bis zum Start am Heiligabend der ersten Ariane (L01) 1979 als Mitglied der Startmannschaft in Kourou. Die erste Startverschiebung vom 15. auf den 23. Dezember war durch einen Messwertgeber-Fehler an einem der Erststufen-Viking-Triebwerke ausgelöst, wobei die Triebwerke schon kurz gezündet hatten. Deshalb musste die Thermalverkleidung der vier Viking-Triebwerke erneuert und der fehlerhafte Messwertgeber ausgetauscht werden. Die zweite Verschiebung vom 23. auf den 24. Dezember war durch eine Vereisung der kryogenen Betankungskupplung der dritten Stufe ausgelöst.
    Für den zweiten (missglückten) Start (L02) war ich nunmehr für nur einen Monat in der Startmannschaft in Kourou. Das Problem war ein Durchbrenner des Einspritzkopfes vom Motor D im Viking-Triebwerk der ersten Stufe (sehr gut auf einem Cnes-Startfoto zu erkennen).
    Jetzt kommts aber: Die Cnes hatte den bekanntesten französischen Kriminalautor für eine Sabotage-Story zum Absturz Lo2 eingeladen. Dieser Autor hat ein Taschenbuch geschrieben, das ich auch gekauft habe, aber nicht mehr besitze. Darin wird beschrieben, wie eine ausländische Macht in den Besitz eines Quarzes mit der Selbszerstörfrequenz der Ariane gelangt und deshalb die Ariane abstürzen lässt. An Details kann ich mich nicht mehr erinnern, es ist einfach zu lange her…”
    Nun eine neue Frage: Wer war dieser französische Autor, wie hieß dieses Buch, so dass man “abgleichen” kann?
    Gruß aus Elblorenz!

    • Oha. Da kämen nach (m)einer Blitzrecherche gleich mehrere Autoren in Frage: Claude Thévenet mit “Opération Dédale”, Christian Guesdon mit “Opération Ariane”, Yves-Marie Clément mit “Qui a tué Ariane?” (Jugendkrimi) sowie Robert Travis mit “Opération Ariane 5”. Bei Travis bin ich mir aber nicht sicher, ob er Franzose ist. Wahrscheinlich gibt’s da noch einige weitere Kandidaten; denn die Ariane scheint wohl für einen Haufen Inspiration gesorgt zu haben. Interessant ist vielleicht auch der Verweis auf diesen Herrn, der mir ebenfalls mehrfach in den Suchergebnissen begegnete: http://rr0.org/people/g/GruauJean.html

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