Chang’E-2 und Toutatis: Neue Daten, alte Fragen

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Am 13.12.2012 begegnete die chinesische Mondsonde Chang’E-2 dem Asteroiden 4179/Toutatis und schoss mit einer Kamera, die eigentlich gar nicht für diese Zwecke gedacht war, eine Serie von Bildern, als sich der der Asteroid nach der Begegnung wieder von der Sonde entfernte.

Zunächst einmal betone ich, dass dieser Vorbeiflug eine bemerkenswerte technische Leistung war. Das ist so, das bleibt so, daran kann niemand zweifeln.

Es ist aber auch so, dass sich bereits Mitte Dezember Fragen im Zusammenhang mit einigen der genannten Daten stellten. Insbesondere ist es ganz einfach so, dass die damals angegebenen Beobachtungsdaten und die der genannte Minimalabstand von 3.2 km zwischen Asteroid und Raumsonde während des Vorbeiflugs nicht zusammenpassen. Das ist so und kann auch nicht weggewischt werden.

Wie kommt man auf den Minimalabstand? Wenn man die Bahnen von Asteroid und Raumsonde sehr exakt kennen würde, könnte man einfach eine numerische Propagation vornehmen und schauen, wie dicht die berechneten Bahnen einander kommen. Nur ist in der Praxis die Bahn der Raumsonde und des Asteroiden nicht so exakt bekannt. Bei diesem Asteroiden wird sich die Position nur mit einer Ungenauigkeit von einigen Kilometern berechnen lassen, was schon ein sehr guter Wert für einen Asteroiden ist – das geht bei diesem Asteroiden nur deswegen, weil man auch Daten von Radarmessungen hat. Ich weiß nicht, wie genau die Position von Chang’E-2 vorausberechnet werden kann, weil das von der Raumsonde selbst und von den Eigenschaften der für die Bahnbestimmung verwendeten Bodenstationen abhängt, aber auch hier ist mit einem nicht unbeträchtlichen und unvermeidlichen Restfehler zu rechnen.

Die Bahnbestimmung kann zwar gerade bei relativen Bahnen, wie man sie hier hat, durch optische Navigation verbessert werden, d.h., indem man mit einer Kamera an Bord der Raumsonde Aufnahmen des sich nähernden Asteroiden vor dem Sternenhintergrund macht und die beobachtete Position mit der aufgrund der vermuteten Bahn abgleicht. Ich kann mir aber im gegebenen Fall nicht vorstellen, wie das möglich sein soll. Der Asteroid näherte sich der Raumsonde aus der Sonnenrichtung. Er wäre also dunkel erschienen, mit der gleißenden Sonne im Hintergrund. Eine unmögliche Situation für die optische Navigation. Hinzu kommt, dass es keine geeignete Hardware für solche Messungen an Bord von Chang’E-2 gibt Die Science-Kamera mit ihrem Zeilensensor taugt dafür nicht und die Kamera, mit der die Aufnahmen des Asteroiden gemacht wurden, hat ein viel zu großes Blickfeld – abgesehen davon, dass sie ohnehin von der Sonne geblendet worden wäre.

Also bleiben nur die Aufnahmen, die direkt nach dem Vorbeiflug gemacht wurden. Wenn man sich aber, wie ich das im Dezember getan habe, die Geometrie des Vorbeiflugs anhand der genannten Daten herleitet, dann sieht man, dass entweder die Daten nicht stimmen können oder der Vorbeiflugabstand viel größer war als genannt.

Ich vermute nach wie vor Letzteres. Aus dem nun publizierten Bildmaterial ergibt sich aber, dass es Ersteres gewesen sein soll. Daniel Fischer wies auf diese Präsentation hin, in der (Seite 76 ff.) die Bildsequenz nach dem Vorbeiflug  mit neuen Zeitstempeln versehen wurde. Auch Emily Lakdawalla weist auf diesen Umstand hin. Offenbar haben nun dieselben Bilder 5 Sekunden oder mehr Zeitversatz gegenüber dem, was am 15.12.2012 gezeigt wurde. Na, wenn die Zeitstempel in deren Telemetrie nicht zuverlässiger sind als das, dann werden sie generell Schwierigkeiten mit der Auswertung haben.

Das aber würde mich wundern.

Obwohl in der Januar-Präsentation keine Aussage mehr zum Minimalabstand gemacht wird, fällt auf, dass die neuere Bildsequenz dank der rearrangierten Zeitstempel bis auf die letzten Bilder nun recht gut zu einem ganz nahen Vorbeiflug passen.

Da fragt man sich aber doch, wie es dann im Dezember den Chinesen möglich war, nicht nur eine geringe Vorbeiflugdistanz zu erhalten (was das offiziell gezeigte Material aber nicht hergibt; weil es sich erheblich von dem unterscheidet, was aktuell gezeigt wird). Zudem fragt man sich, wie die denn bloß auf so eine Genauigkeit gekommen sind. Nicht “etwa 3 km Abstand”. Nein, “3.2 km”. Und keine Angabe der erwarteten Unsicherheit, was für sich genommen schon verwunderlich genug ist.

Also. Die Daten waren damals erheblich anders als jetzt, aber trotzdem haben die damals dasselbe herausbekommen wie jetzt und waren sich ihrer Sache immer sehr sicher. Aus mathematischer Sicht eine bemerkenswerte Situation. So gut möchte ich es auch mal haben: Egal, wie die Daten sind, ich habe und behalte immer Recht.

Nun ja. Ich habe mal etwas im Kreis der Kollegen und anderer Leute in der Asteroidenszene herumgefragt und bin auch dort auf erhebliche Konsternation gestoßen. Aber ohne Zugriff auf Rohdaten kann man dem Wort des ominösen “Satellite Chief Designer” wenig entgegensetzen.

Da wird sich wohl Daniel Fischers Prognose bewahrheiten, dass das Bild der Begegnung mit extrem geringem Mindestabstand Bestätigung finden wird. Zumindest von offizieller Seite.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

4 Kommentare

  1. Asteroiden von nah kennen lernen

    Bis jetzt gab es nur wenige Annäherungen an Asteroiden durch Satelliten.

    Das will die neu gegründete Firma Deep Space Industries ändern und ab 2015 Cubesat-basierte,25 kg schwere Sonden, die sie Fireflys nennen zu mehreren Asteroiden schicken – und zwar bis zum Nahkontakt. Es gibt zwar auch ein Asteroidenprojekt von Planetary Resources. Die jedoch wollen zuerst nur Asteroid-Beobachtungssatelliten in den Orbit schicken.
    Deep Space Industries plant später ihren Micro-Gravity-enabled 3D-Printer einzusetzen um aus Asteroidenmaterial (Nickel vor allem) Strukturen aufzubauen.

    Insgesamt wohl mehr eine Ankündigung als etwas mit dem man fest rechnen könnte.
    Nur die Idee Cubesat-basierte Satelliten direkt zu Asteroiden zu schicken finde ich recht interessant und wundere mich, dass nicht schon jemand anders drauf gekommen ist. Ob man mit einem Cubesat-Satelliten aber überhaupt einen Asteroiden erreichen kann weiss ich nicht. Allzuviel Treibstoff kann ein Cubesat wohl nicht mitnehmen. Es gibt zwar ein paar Produktankündigungen was Antriebe angeht, wie den cubesat-pulse-plasma-thruster, oder auch hier oder hier. Ob das aber für solch eine Mission zu einem Asteroiden genügt möchte ich doch bezweifeln – ausser die Rakete, die den Cubesat aussetzt gibt dem Cubesat den benötigten Impuls um den Asteroiden zu erreichen gleich schon mit.

  2. Es gibt ja *noch* viel mehr Bilder

    Auf dem SBAG-Meeting in den USA zeigten die Chinesen auch das komplette Video des Vorbeiflugs, die verwendete Minikamera ist ja eine Art Webcam: Darauf ist der Asteroid 72 Sekunden lang auf mehreren hundert(!) Einzelframes zu sehen, auch diese Aussage früher chinesischer Zeitungsberichte bestätigt sich also. Und damit darf man wohl auch die Aussage aus denselben glauben, dass die geplante Minimaldistanz 15 km waren, die dann noch unterschritten wurden.

    Na gut, die zuerst genannten absoluten Zeitmarken lagen etwas daneben, aber die relativen ergeben sich ja eindeutig aus der Abfolge der Filmbilder, die die Chinesen nur zu zählen brauchten. Und da ist nun die Korrelation von Zeit und Distanz fantastisch, über die gesamte Strecke (Koeffizient 0.9998).

    Ein klarer Beleg für den extrem nahen Vorbeiflug (kein Abflachen in eine quadratische Funktion am Anfang), den die chinesischen Auswerter von Anfang an erkannten und auf den man – wie ich ja in Kommentaren zum letzten Posting vorrechnete – auch schon klar aus den Mitte Dezember vorliegenden Bildern und Angaben schließen konnte. Auf der letzten SBAG-Folie bieten die Chinesen übrigens internationale Zusammenarbeit bei der weiteren Auswertung an: bitte sehr!

  3. Minimumsdistanz – Angabe 3,2 km ?

    Behelfsmodell – windschiefe Geraden ?

    Wenn man die beiden Bahnen (Asteroid u. Sonde) im engen
    Begegnungsbereich näherungsweise als windschiefe Geraden
    auffasst, so könnte hier mit “3,2 km” Abstand auch die kürzeste
    Distanz dieser beiden Behelfsgeraden im Raum gemeint sein
    – unabhängig von dem, wo sich an anderen Stellen auf
    den Trajektorien Sonde und Asteroid sich tatsächlich
    am nächsten kamen (dann natürlich
    größer als diese 3,2 km). – Zudem wäre der Begriff
    “Minimaldistanz” genauer zu umreißen, z.B. als Distanz
    zwischen den Schwerpunkten oder als Distanz zu
    bestimmten Oberflächenpunkten (bei der Unregelmäßigkeit des
    Asteroidenkörpers keine einfach ermittelbare Distanzangabe).

  4. Was zeigte das chin. Fernsehen ?

    In einer bewegten Grafik des Fernsehens CNTV / CCTV 4
    werden die Bahnen (Chang-Sonde: Gelb, Asteroid: Türkis)
    dargestellt und auch ein Abstandsvektor (in roter Farbe),
    der mit “3.2 …” zusätzlich beschriftet ist) und
    welcher auf der Asteroidenoberfläche zu enden scheint; eine
    Altituden-Distanz, also zu einer bestimmten Stelle auf
    der Asteroidenoberfläche, wird damit ganz gut angedeutet werden
    können (freilich: Die Asteroidenbahnlinie in Türkisfarbe endet
    ebenfalls auf der Asteroidenoberfläche).- Damit der Zahlenwert “3.2”
    plausibel wird, möchte ich eher annehmen, die Angabe (“3.2” km) rührt
    noch aus der Vorbereitungsphase und zeigt nicht die tatsächlich
    realisierte Minimaldistanz v. 13. Dez. 2012 an. Ein kleinerer
    Planwert als 3.2 km erhöht sicherlich die Gefahr einer Kollision
    angesichts der vorhandenen Genauigkeiten; sicherlich werden
    sich die Techniker selbstredend eine untere Schranke der Begegnungsdistanz
    vorher gründlich überlegt haben, wie ich bitte meine.

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