Asteroidenmission AIM – Warum ist sie wichtig?

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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NASA und ESA arbeiten seit einiger Zeit an einer gemeinsamen Asteroidenmission namens AIDA (Asteroid Impact and Deflection Assessment). Ziel der Mission is 65803/Didymos, ein erdnaher, binärer Asteroid (ein Asteroid mit einem Mond). Der US-Beitrag besteht aus DART, einer kleinen Sonde mit etwa 500 kg Masse, die mit 6 km/s Relativgeschwindigkeit in den kleinen Mond von Didymos krachen soll. Der europäische Beitrag wäre die Beobachtungsmission AIM, eine kleine Sonde, die so wie Rosetta am Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko den Asteroiden über Monate hinweg begleiten soll. AIM würde dabei nicht nur den Hochgeschwindigkeitseinschlag von DART live mitverfolgen, was allein schon ziemlich cool wäre. AIM ist für sich genommen schon wissenschaftlich ausgesprochen wertvoll.

Ich habe bereits im Jahr 2014 an dieser Stelle schon detailliert die Doppelmission AIDA beschrieben und bin dabei auch auf die Besonderheiten von 65803/Didymos eingegangen. Nochmals zur Erinnerung: Der etwa 800 Meter große Hauptkörper rotiert mit einer Periode von nur etwas mehr als 2.2 Stunden und ist damit haarscharf an der kritischen Rotationsperiode. Bei noch schnellerer Rotation, also kürzerer Periode, würde bei einem gravitationell zusammengehaltenen Körper, der sich aus großen und kleinen Felsbrocken aller Größen zwischen Staubkorn und Hochhaus zusammensetzt, die Fliehkraft die gegenseitige Anziehung überwinden. Dann würde das Ding auseinander fliegen.

Von jetzt an rede ich der Einfachheit halber von Didymain, wie der Hauptkörper von allen am Projekt AIDA Beteiligten genannt wird. Den etwa 160 Meter großen Mond nennen dagegen alle Didymoon. Die Theorie sagt, dass die Rotationsperiode von Asteroiden nicht konstant sein muss. Asteroiden sind so klein und ihre Oberfläche relativ zur Masse so beträchtlich, dass Oberflächenkräfte durch Solardruck und thermische Abstrahlung deutliche Auswirkungen auf Bahn und Rotation haben. Bei Planeten oder selbst großen Monden kann man diese Effekte vernachlässigen, bei kleinen Asteroiden nicht. Da ist insbesondere YORP zu nennen – die Anisotropie in der thermischen Abstrahlung , die die Rotation eines unregelmäßig geformten Asteroiden beschleunigt oder abbremst.

Bei Didymos ist dieser Effekt und seine Auswirkung praktisch live zu beobachten. Es passiert. Jetzt. Didymain rotiert an der kritischen Periode, seine Masse schichtet sich offenbar um und es wird immer mal wieder ein wenig Material und damit Drehimpuls abgegeben. Hat diese Materieabgabe etwas mit der Entstehung von Didymoon zu tun? Nimmt Didymoon etwa auf Kosten von Didymain weiter zu? Didymoon hat eine Umlaufperiode von etwa 12 Stunden, Didymoon rotiert also unter ihm durch, sodass es zu zyklisch wechselnden Gezeitenkräften kommt. Wie wirkt sich dies auf den ohnehin nur noch marginalen Zusammenhalt der “Bausteine” von Didymain aus?

Alles ausgesprochen interessante Fragen. Aber es geht dabei nicht nur darum, diesen einen Asteroiden zu verstehen. Binäre Asteroiden sind sehr häufig. Vielleicht hat mehr als ein Drittel aller kleinen Asteroiden mindestens einen Mond. Wie sind diese Monde entstanden? Wie stehen Sie in Zusammenhang zur Stabilität ihres Zentralkörpers? Was geschieht denn überhaupt mit Asteroiden nahe der kritischen Rotationsperiode? Wenn man sich die Rotationsperiode der bekannten Asteroiden über ihrer Größe in einem Diagramm aufzeichnet, so wie hier, dann stellt man eine auffällige Ballung genau an der kritischen Periode fest.

Das bessere Verständnis der komplexen Abläufe würde also helfen, generell besser zu verstehen, wie Asteroiden entstehen, wie sie zerfallen, und vielleicht auch, wie solche Zerfallsprozesse herbeigeführt oder genutzt werden können. Das Ablenken eines für uns gefährlichen Asteroiden (wohlgemerkt: Didymos gehört nicht zu den Asteroiden, bei denen ein Einschlag auf die Erde prognostiziert wird) durch einen Hochgeschwindigkeitsimpakt ist ja schön und gut, reduziert aber nur eine einzige identifizierte Kollisionswahrscheinlichkeit mit der Erde. Eine gesteuerte Zerlegung eines Problemasteroiden in kleine Brocken wäre dagegen eine permanente Lösung, und vielleicht gar nicht so schwierig herbeizuführen.

Bei der Konferenz auf ministerieller Ebene heute und morgen in Luzern wird unter anderem auch darüber entschieden, ob AIM finanziert wird. Die Entscheidung wird sicher durch viele Aspekte beeinflusst – der wissenschaftliche Wert steht dabei erfahrungsgemäß nicht an erster Stelle. Leider, denn ginge es um die Wissenschaft, wäre AIM ein Selbstläufer.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

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