Ein Geologe im Land der Bestie

BLOG: Geschichte der Geologie

Was die Steine erzählen und wie wir sie verstehen lernten
Geschichte der Geologie
Die Geologie ist die Lehre vom Aufbau und der Geschichte der Erde. Allerdings hat sie als Wissenschaft auch selber eine Geschichte und geologische Ereignisse beeinflussten oft genug die menschliche Geschichte. In diesem Blog möchte ich daher nicht nur darauf eingehen wie wir etwas über die Erde erfahren haben, sondern auch wie Geologie Geschichte machte (wer möchte kann sich auch einen Podcast anhören und etwas mehr über Mich und mein Geblogge erfahren).

 

Im Jahre 1751 besuchte der Mediziner Jean-Etienne Guettard die französische Auvergne, bekannt heutzutage für ihre kegelförmigen Berge, von den Einheimischen einfach als Puys bezeichnet, und der Sage um eine schreckliche menschenfressende Bestie. Guettard konnte es damals noch nicht ahnen aber irgendwie hängen beide Dinge zusammen und als Geologe war ich beinahe 250 Jahre nach Guettard ebenfalls unterwegs im Land der Bestie.

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Foto David Bressan.

In seiner Jugend hatte Guettard seinen Großvater, einen Apotheker, bei der Suche nach Heilkräutern geholfen. Er hatte dabei beobachtet das gewisse Pflanzen nur auf Böden mit einer bestimmten Zusammensetzung vorkommen, eine Beobachtung die sein Interesse an der Geologie weckte. Später diente er als Naturforscher dem Grafen von Orléans und so verschlug es ihn irgendwann auch in diese wilde Gegend.

Die Auvergne und umliegende Provinzen sind durch einsamen Moore und Sümpfe, aus denen kegelförmige Hügel aufsteigen, und steilen Felsklippen mit seltsamen, säulenförmigen Gesteinsformationen gekennzeichnet. Manche hielten diese seltsamen sechseckigen Säulen für versteinerte Bambus-Wälder oder riesige Kristallformationen. Die regelmäßigen Säulen wurden von den Einheimischen einfach „Roche Tuiliére“ genannt, Dachziegel-Steine, da sie abgebaut wurden um Dächer abzudecken oder Mauern zu errichten.

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Foto David Bressan.

Im Sommer 1764 tauchte im Gévaudan, das damals den südlichsten Anteil der Auvergne und Teile des heutigen Département Lozère umfasste, plötzlich eine menschenfressende Bestie auf. Es gibt zahlreiche zeitgenössisch Darstellungen der Bestie, zumeist sehr fantasievoll. Die Landschaft spielte eine wichtige Rolle im Mythos der um die Bestie des Gévaudan entstand.

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Flugblatt um 1765, Urheberrecht abgelaufen.

Das erste Opfer war ein 14-jähriges Mädchen das in der Nähe des Dorfes Ètienne-de-Lugdarés angefallen und zerrissen wurde. Einen Monat später wurde ein weiteres Mädchen getötet. Die Behörden warnten die Bevölkerung vor der Bestie, die als „Kreuzung zwischen Hyäne und Wolf, aber so groß wie ein Esel, mit schrecklich geöffneten Maul” beschrieben wurde. Rasch verbreitete sich Panik und selbst der französische König sah sich genötigt seine besten Jäger in das Gebiet abzukommandieren. Der auf Wolfjagd spezialisierte D´Enneval de Vaumesle di Alencon soll nach einem ersten Lokalaugenschein ausgerufen haben “Diese Biest wird nicht leicht zu erlegen sein”. Tatsächlich machte das sich über 5.000 Quadratkilometer erstreckende sumpfige Gelände Treibjagden beinahe unmöglich. Die Bestie versteckte sich vor ihren Häschern auch gerne in den engen bewaldeten Schluchten die in das harte Gestein eingeschnitten waren.

Aber zurück zu Guettard, der seine damalige Reise unbeschadet überlebte und auch noch die damalige Geologie gehörig auf den Kopf stellen sollte. Seine Aufmerksamkeit wurde bei Vichy von einem dieser seltsamen Dachziegel-Steine angezogen. Er erkannte im dunklen Gestein eine überraschende Ähnlichkeit zu einer Gesteinsprobe des Ätna, die er im Naturalienkabinett des Grafen von Orléans gesehen hatte. Guettard erfragte rasch den Herkunftsort des Gesteins. Er reiste dorthin und erkannte den Steinbruch als alten, fossilen Lavafluss aus Basalt. Mehr noch, er konnte den Fluss bis zu einem Puy zurückverfolgen. Der Puy war in Wahrheit ein Vulkan, der während eines Vulkanausbruchs aus Asche und Schlacke aufgebaut worden war. Man erkennt die Schichten die während einzelner Vulkanausbrüche abgelagert werden auch in diesem Querschnitt durch einen Vulkankegel bei Narse.

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Foto David Bressan.

Guettard erkannte schließlich das gesamte Gebiet des Gévaudan als eine alte Vulkan-Landschaft. Die Lavaflüsse bestehen zumeist aus dunklen Basalt, sehr verwitterungsbeständig bildet dieses Gestein steile Klippen und tiefe Schluchten aus. Das dichte Gestein im Untergrund, neben Basalt auch älteres metamorphes Schiefergestein, bildet eine wasserundurchlässige Schicht. Das aufgestaute Wasser führt zur Bildung von Sümpfen und Moore. Alte Explosionskrater die durch den Kontakt von glutflüssigen Magma mit Grundwasser ausgesprengt wurden bilden heute stille, von Wäldern umgebene Maar-Seen. Alte Vulkane dagegen bilden die charakteristischen kegelförmigen Puys, die an ihrer Spitze einen Krater aufweisen. Die angeblichen Bambus-Fossilien waren Basaltsäulen, die entstehen wenn sich die Lava abkühlt und Schrumpfungsrisse das Gestein in regelmäßige Sechsecke zerbrechen lässt. Daraus werden auch die  “Dachziegel-Steine” gewonnen, so wie in diesem Steinbruch in der Nähe des Dorfes Le Pont de Alleray.

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Foto David Bressan.

Es war dieses schwierig zu überwachende und zu durchstreifende Gelände das der Bestie einige Jahre später als Jagdgrund dienen sollte.

In 1752 publizierte Guettard seine Beobachtungen und um 1771 fertigte ein anderer Amateurforscher, Nicholas Desmarest, eine detaillierte Karte an, in der er alle Vulkane und Lavaflüsse der Auvergne kartierte. Die damaligen Gelehrten überraschte diese Karte mit zwei wichtigen Erkenntnissen. Erstens waren vulkanische Phänomene viel weiter verbreitet als damals angenommen. Da im damaligen Europa nur die aktiven Vulkane in Süditalien bekannt waren, war angenommen worden, das vulkanische Kräfte bei der Gestaltung der Erdoberfläche nur eine untergeordnete Rolle spielten. Jetzt aber erkannte man das ganze Gebirge (die Kette der Puys zum Beispiel) und Landschaften durch Vulkane gestaltet werden konnten. Die Mächtigkeit der Ablagerungen ließ auch darauf schließen, das die Vulkane mehrmals in der Vergangenheit ausgebrochen waren. Vulkane waren also sehr alte geologische Kräfte, die unablässig die Erde gestalteten.

Aber wie ging die Geschichte der Bestie des Gévaudan aus? Verborgen zwischen den uralten Vulkanen, tötete sie in den folgendendrei Jahren mindestens 116 Kinder und Frauen. Erst als am 18. Juni 1767 im Wald von Teynazére ein außerordentlich großer Wolf geschossen wurde, hörte das Töten schließlich auf. Der Mythos der Bestie des Gévaudan lebt aber fort…

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David Bressan ist freiberuflicher Geologe hauptsächlich in oder, wenn wieder mal ein Tunnel gegraben wird unter den Alpen unterwegs. Während des Studiums der Erdwissenschaften in Innsbruck, bei dem es auch um Gletscherschwankungen in den vergangen Jahrhunderten ging, kam das Interesse für Geschichte dazu. Hobbymäßig begann er daher über die Geschichte der Geologie zu bloggen.

9 Kommentare

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  5. Es ist interessant, hier Zusammenhänge zwischen der geologischen Geschichte der Region und der Entstehung von Rückzugsräumen für die Bestie zu erfahren. Die Angriffe der Bestie gehören zu den am besten dokumentierten Ereignissen der Frühen Neuzeit Frankreichs. Trotz der Sümpfe und Moore waren Treibjagden mit offenbar nahezu lückenloser Abdeckung des bejagten Gebiets möglich, man führte diese Jagden mit teilweise gigantischem logistischem und personellem Aufwand durch. Die Bestie wurde auch mehrfach aufgespürt und sogar durch Schüsse verletzt, aber immer wieder entkam sie. Sie war zweifellos ein „Ausnahmetier“ mit der hoch entwickelten Fähigkeit, sich sogar ausgeklügelten Verfolgungsstrategien zu entziehen. Ihr letztendliches Schicksal ist unbekannt, auch wenn anderes behauptet wird. Der am 19. (nicht 18.) Juni 1767 erschossene Wolf war mit einer Kopf-Rumpf-Länge von 127 Zentimetern keineswegs außergewöhnlich groß. Er war einer von etwa einem halben Dutzend Wölfen, die im Gévaudan willkürlich erschossen und dann als „Bestie“ präsentiert wurden. Aus meiner zoologischen Perspektive ist eindeutig, dass die Bestie weder ein Wolf noch ein anderes Raubtier aus der Familie der Hunde war, sondern eine Katze.

  6. Hi David,
    schickst du mir deine aktuelle email-adresse an
    “alumni-erdwissenschaften@uibk.ac.at”
    ich würd dich gerne in den UIBK- Geologie -Alumni emailverteiler aufnehmen,
    wir haben übrigens deinen blog im rundschreiben 2018/1 verlinkt gehabt,

    lg

    sepp

  7. Die Orgelpfeifen am Scheibenberg (bei Scheibenberg) zeigen ebenfalls diese sechseckige Säulenform. Diese ist charakteristisch für Basalt, der auf Sand ausfließt und langsam abkühlt. Die Säulen stehen dabei rechteckig zur Auflagefläche.

  8. Durch eine einigermaßen fragwürdige ZDF-Dokumentation wurde ich unlängst auf die „Bestie des Gévaudan“ aufmerksam und habe mich seither in dieses Thema eingelesen. Besonderer Dank gilt dabei Karl-Hans Taake mit seinem Buch „Die Bestie des Gévaudan: Der verheerende Feldzug einer verschleppten Kreatur“ und ebenso der umfangreichen Darstellung von Jay M. Smith, „Monsters of the Gévaudan: The Making of a Beast“, obwohl Smith – anders als Taake – zu der Schlussfolgerung kommt, es hätte sich bei den Überfällen um Wolfsangriffe gehandelt. Herrn Taakes Buch (und diverse andere Beiträge von ihm im Netz) haben mich jedoch davon überzeugt, dass es die Menschen im Gévaudan mit einer Raubkatze zu tun hatten. Taakes Verdienst ist es, die Beobachtungen der Menschen in dieser Region ernst genommen zu haben. Sie sind mit Wölfen aufgewachsen und konnten mit Sicherheit einen Wolf als solchen unmittelbar identifizieren, sprachen aber dezidiert nicht von einem Wolf, sondern einem anderen Raubtier, das sie „Bestie“ nannten (kurioserweise bedeutet das Wort „Bête“ im Französischen auch „Dummkopf“). Die taxonomischen Schlussfolgerungen, die Taake aus den Beschreibungen zieht, von der Schwanzquaste, dem dunklen Rückenstreifen, dem gefleckte Fell und den für damalige Ohren seltsamen Lauten, die das Tier ausgestoßen haben soll (usw.usw.), lassen ebenso an einem hundeartigen Räuber zweifeln, wie das Angriffsverhalten, bis hin zum typischen Peitschen mit dem Schwanz und weisen tatsächlich auf einen Junglöwen hin. Hätte es sich um eine Hyäne gehandelt (so eine der vielen Theorien) hätten die Menschen mit Sicherheit auch von deren typischen typischen „Lach-“ oder „Keckerlauten“ gesprochen und auch ein langer Schwanz gehört nicht zum Erscheinungsbild der Hyänen. Dass das Raubtier aus einer Wanderménagerie oder beim Transport zu einem Käufer ausgebrochen sein könnte, ist eine Theorie, die schon damals geäußert wurde. Taake vermutet in seinem Buch, dass dies auf einem Transportweg im Rhone-Tal geschehen sein könnte. Bei meinen Recherchen im Netz habe ich einen Buchauszug von Stephan Nicolussi-Köhler (https://heiup.uni-heidelberg.de/catalog/view/833/1630/95863#content/contributor_reference_1) über die Entstehung des südfranzösischen Fernhandels gefunden, in dem der Autor noch eine andere, damals sehr beliebte Handelsroute (auch Pilgerweg) erwähnt: Den sogenannten Regordane-Weg, der von Montpellier aus ziemlich genau durch das Gebiet führt, in dem die „Bestie“ ihr Unwesen getrieben hat. Montpellier, selbst auch Hafenstadt, wurde auch von den benachbarten Häfen Marseille und Sète aus mit „Waren“ beliefert. Dabei ist gerade Marseille durch die Verbindung nach Nordafrika für die These einer „verschleppten Kreatur“ relevant.

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