Abfallmanagement in den Slums von Neu Delhi

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In den Slums und den ärmeren Wohngegenden Neu Delhis herrschen auf den ersten Blick chaotische Zustände. Nicht nur die Stromversorgung der Wohnhäuser besteht aus abenteuerlichen Kabelkunstwerken, sondern auch die Wasserversorgung und -entsorgung scheint aus dem Mittelalter zu stammen. Besonders ins Auge stechen jedoch die Müllberge, die große Teile der Straßenränder wie einen Teppich bedecken. Doch unkontrolliert oder gar chaotisch ist das Abfallmanagement in diesen Wohngebieten nicht, denn es wird durch ein ausgeklügeltes informelles System geregelt, in dem hauptsächlich arme Zuwanderer aus ländlichen Regionen eine wichtige Rolle spielen

Am stlichen Ufer des Flusses Yamuna, der Neu Delhi durchstrmt, hat sich einer der grten Slums Indien entwickelt. Dieses Gebiet, mit seinen fast 2 Millionen Einwohnern, ist fr viele Landflchtlinge aus den armen Bundesstaten Uttar Pradesh, Bihar und Westbengalen die erste Anlaufstelle in der Hauptstadt. Die Zuwanderer hoffen auf bessere Verdienstmglichkeiten, die ausreichen, um auch die zurckgelassene Familie in den lndlichen Regionen zu ernhren oder zu untersttzen. Es wird geschtzt, dass tglich ca. 4.000 neue Zuwanderer, hauptschlich junge Mnner, in die Hauptstadt strmen. Eine hnliche Situation herrscht auch in den anderen indischen Metropolen Kalkutta, Bombay, Hyderabad, Madras oder Bangalore. Selbst Kleinstdte wie Agra, Haridwar, Jodphur oder Bikaner wachsen seit Jahren unermdlich. Viele Zuwanderer finden daher nur in den Slumgebieten oder Zeltdrfern am Stadtrand eine Unterekunft. Doch zurck nach

Abfallentsorgung im größten Slum Neu Delhis

Für viele dieser Neuankömmlinge, die größtenteils ungelernt und mit geringer Schulbildung ausgestattet sind, ist die Abfallwirtschaft häufig die einzige Beschäftigungsquelle. Diese wird jedoch nicht durch die Stadtverwaltung oder private Anbieter gesteuert, sondern ist informell strukturiert. Bei der Abfallentsorgung sind zwei Gruppen zu unterscheiden. Es gibt Müllsammler, die den Müll direkt von der Straße aufsammeln, hauptsächlich Plastikflaschen und Altpapier, und Müllkollektoren, die Haus- und Unternehmensmüll einsammeln.

Der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen besteht darin, dass die Müllkollektoren ihren Müll bezahlen, sprich mit den Kunden einen Preis je nach Volumen und Qualität aushandeln. Sowohl Müllsammler als auch Müllkollektoren verkaufen anschließend ihren Müll an übergeordnete Müllhändler, die den abgenommenen Müll sortieren und an spezialisierte Müllgroßhändler weiterreichen. Diese säubern und bereiten den Müll auf und transferieren diesen zu den Recyclingfabriken, die weit außerhalb der Stadtgrenzen lokalisiert sind.

Der Müll der weiterhin auf der Straße zu sehen ist, stellt also hauptsächlich Müll dar, der nicht recyclebar ist; hautsächlich Plastikmüll. Da dieser keine monetisierbare Ressource darstellt, wird er häufig direkt am Straßenrand verbrannt. Die giftigen Gase, die hierbei entstehen und in den Slums allgegenwärtig sind, scheinen die Bewohner nicht zu stören. Allerdings sind mit erschreckenden Folgeerscheinungen zu rechnen. Die Stadtverwaltung Neu Delhis wäre also gut beraten, wenn sie Plastikmüll einen Wert geben würde, damit dieser von den Straßen verschwindet, denn die Gesundheit der Bewohner und die Umwelt leiden stark unter dieser Verschmutzung. Erste Städte, wie Dharamsala oder Shimla haben schon reagiert und Plastiktüten in den Stadtgrenzen verboten. Neu Delhi hat seit Anfang Februar eine ähnliche Initiative gestartet. Leider besteht bei vielen Indern noch kein ausgeprägtes Umweltbewusstsein und so wird Plastikmüll weiterhin direkt auf den Straßen entsorgt

Einkommenssituation in der Müllentsorgung

Sowohl Müllsammler als auch Müllkollektoren gehören zu den ärmeren Bevölkerungsgruppen in Neu Delhi. Allerdings besteht ein entscheidender Unterschied zwischen diesen beiden. Die Müllkollektoren verfügen über ein operatives Kapital, mit dem sie Müll von ihren Kunden erwerben. Aus diesen Geschäftsbeziehungen entwickeln sich stabile Kundenbeziehungen. Müllsammler hingegen sammeln ihren Müll direkt von der Straße und können daher nur auf äußere Gegebenheiten reagieren. Das tägliche Einkommen dieser beiden Gruppen wird direkt über die eingesammelte Müllmenge bestimmt. Müllsammler können nur das aufsammeln, was sie auch zu tragen imstande sind. Viele Müllkollektoren mieten dagegen eine Autorickscha oder ein Fahrrad mit Abstellfläche an, um den eingesammelten Müll zu transportieren. Eine solche Anschaffung ist für viele Müllsammler nicht möglich.

Während Müllsammler auf durchschnittlich 59,1 Rupien (aktueller Umrechnungskurz 1 Euro = ca. 67 Rupien) pro Arbeitstag kommen, verdienen Müllkollektoren ca. 117,7 Rupien. Demnach fallen nur die Müllsammler unter die indische Armutsgrenze von 93 Rupien.  HAYAMI, DIKSHIT und MISHRA haben die Haushaltsgröße mit einbezogen und ein tägliches Pro-Kopf Einkommen für Müllsammler von 14 Rupien und für Müllkollektoren von 25 Rupien berechnet. Häufig stellt der Mann dabei die alleinige Einkommensquelle dar.

verwendete Literatur:
HAYAMI, Y; DIKSHIT, A.; MISHRA, S. 2003: Waste Pickers and Collectors in Delhi: Poverty and Environment in an urban informal sector. In: FASID Discussion Paper on Internal Development Strategies.
TALYAN, V.; DAHIYA, R.; SREEKRISHNAN, T. 2008: State of municipal solid waste management in Delhi, the capital of India. In: Waste Management 28, S.1276-1287.

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Meine Name ist Stefan Ohm und ich bin Geograph. Vor meinem Studium habe ich eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolviert und danach bei Electronic Data Systems (EDS) als Lotus Notes Entwickler gearbeitet. Während meines Studiums in Hannover führte mich mein Weg zur Texas State University in San Marcos (USA) sowie zur University of Bristol (UK). Darüber hinaus absolvierte ich zwei Praktika bei NGO’s in Neu Delhi (Indien), mit dem Ziel Entwicklungsprozesse vor Ort genauer zu betrachten und damit ein besseres Verständnis über diese zu erhalten. Promoviert habe ich über den Strukturwandel im Perlflussdelta und Hongkong (China) an der Justus Liebig Universität in Gießen.

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