Wie ticken Verschwörungstheoretiker

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die Psychologie irrationalen Denkens
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Ab und zu (wenn auch nicht oft) befassen sich Psychologen mit Verschwörungstheorien. Eine aktuelle Studie hat Spiegel online unter dem Titel Wie Verschwörungstheoretiker ticken aufgegriffen. Die Autoren Michael J. Wood, Karen M. Douglas, and Robbie M. Sutton von der University of Kent in Canterbury hatten behauptet, dass Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, grundsätzlich dazu neigten, offiziellen Aussagen zu misstrauen1. Dafür nähmen sie auch in Kauf, eklatante Widersprüche in ihren Theorien zu ignorieren.

Sie glaubten beispielsweise, dass Bin Laden noch lebt und dass er schon tot war, als die Marines ihn in Pakistan getötet haben sollen.

Demnach zeichnen sich Verschwörungstheoretiker durch einen deutlichen Mangel an folgerichtigem Denken aus. Bin Laden kann ebenso wie Schrödingers Katze tot und lebendig zugleich sein, hauptsache die offizielle Version ist falsch.

Die Autoren haben die Studie in der neuen und wenig bekannten Zeitschrift „Social Psychology and Personality Science“ veröffentlicht, die man nicht mit dem sehr angesehenen „Journal of Personality and Social Psychology“ verwechseln sollte.

Bei genauerem Hinsehen zeigt die Arbeit der Forscher aus Kent einige Mängel. Sie berichten in ihrer Arbeit über zwei Experimente: Bei dem ersten haben sie 137 Psychologiestudenten, davon 83% weiblich, siebzehn Fragen vorgelegt, die Aussagen gängiger Verschwörungstheorien wiedergaben. Die Probanden sollten auf einer siebenstufigen Skala angeben, wie plausible sie die einzelnen Aussagen fanden. 1 stand für „lehne entschieden ab“, 7 für „stimme entschieden zu“. Allerdings ist nicht herauszubringen, wie die Fragen aussahen. Die Arbeit verweist dafür auf eine frühere Arbeit2, die wiederum auf noch frühere Arbeiten verweist, von denen die Fragen adaptiert worden seien.

Lediglich fünf Fragen mit Verschwörungstheorien zu Lady Diana werden im Wortlaut erwähnt. Einige davon schließen sich gegenseitig aus. Trotzdem gaben die Autoren eine hohe Korrelation zwischen den Alternativen an. Wer glaubte, dass Lady Diana und ihr Verlobter Dodi al-Fayed von Dodis zweifelhaften Geschäftspartnern ermordet wurden, neigte ebenfalls dem Glauben zu, sie seien vom Geheimdienst ermordet worden.

Leider gehen die Autoren mit konkreten Zahlen sehr sparsam um. So erwähnen sie nicht, ab welcher Stufe ein „Glaube“ angenommen wird. Ist es eine 4, eine 5 oder eine 6 auf der siebenteiligen Skala? Es fehlt auch jede Angabe, wie viele vder Probanden solche Theorien glaubten. Damit ist auch nicht klar, auf welche Datenbasis sich die Korrelationsanalyse stützt. Wenn beispielsweise nur 8 von 137 Probanden angaben, alternativen Erklärungen zu Dianas Tod anzuhängen, wäre eine Korrelationsanalyse relativ unsinnig.

Weil der Fragebogen nicht veröffentlicht wurde, wissen wir auch nicht, ob die Probanden angewiesen waren, Widersprüche zu vermeiden. Letztlich wäre es durchaus denkbar, dass einem der Teilnehmer mehrere Theorien gleichermaßen plausibel erscheinen, auch wenn sie sich gegenseitig ausschließlich. Er mag es sowohl mafiösen Geschäftspartnern von Dodi als auch dem britischen Geheimdienst zutrauen, die beiden ermordet haben. Dann würde er beiden Aussagen zustimmen, obwohl er selbstverständlich weiß, dass nur eine davon richtig sein kann.

Auffällig ist die hohe Anzahl von Frauen in der Befragung. Aber dieses Phänomen findet man heute in vielen Studien. Die überwiegende Mehrzahl der Psychologiestudenten ist weiblich, in Deutschland sind es nach den letzten verfügbaren Zahlen mehr als 75%. Weil Psychologiestudenten an den meisten Universitäten verpflichtet sind, an psychologischen Studien teilzunehmen, machen sie einen beträchtlichen Teil der Probanden aus.

Im zweiten Experiment der Arbeit fragten die Autoren 102 Studenten einer britischen Universität nach ihrer Meinung zu Bin Ladens Tod. Sie fanden ebenfalls, dass die Anhänger von Verschwörungstheorien auch dazu tendierten einander ausschließende Theorien zu glauben. Leider fehlen auch hier alle absoluten Zahlen. Die Aussagekraft ist deshalb ähnlich schlecht wie im ersten Experiment. Es stellt sich auch die Frage, ob die Autoren genügend Vorsorge getroffen haben, um die notorischen Witzbolde unter den Teilnehmern zu erkennen. Unter studentischen Probanden finden sich fast immer einige, die jeden Fragebogen so unsinnig wie möglich ausfüllen. Bei der sehr geringen Anzahl von Verschwörungstheoretikern unter den Teilnehmern könnte das die Ergebnisse deutlich verändern.

Über die allgemeine Aussage hinaus, dass Misstrauen gegenüber offiziellen Aussagen einer generellen Neigung zu Verschwörungstheorien einhergeht, gibt die Arbeit kaum etwas her. Jedenfalls kann ich daraus keine sicheren neuen Erkenntnisse über das Innenleben von Verschwörungstheoretikern ableiten. Das ist eigentlich schade, man hätte mehr daraus machen können.

 

Literatur

1. Wood, M. J., Douglas K. M.& Sutton, R. M. (2012). Dead and Alive: Beliefs in Contradictory Conspiracy Theories. Social Psychological and Personality Science. 25. January 2012 doi:10.1177/1948550611434786. Online Link

2. Douglas, K. M., & Sutton, R. M. (2011). Does it take one to know one? Endorsement of conspiracy theories is influenced by personal willingness to conspire. British Journal of Social Psychology, 50, 542–552.

 

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Veröffentlicht von

www.thomasgrueter.de

Thomas Grüter ist Arzt, Wissenschaftler und Wissenschaftsautor. Er lebt und arbeitet in Münster.

12 Kommentare

  1. Die Vermessung der Weltanschauungen

    Dieser Beitrag überrascht mich, denn in meinem Bekanntenkreis gibt es mehr als 10% Personen, die schon Neigungen zu Verschwörungstheorien gezeigt haben. Dass etwas so häufiges von der Psychologie so schlecht “vermessen” ist, wirft ein schlechtes Licht auf die Psychologie und die Psychologen.

    Um die Einschaltquoten von Fernsehprogrammen zu bestimmen gibt es hunderte von Freiwilligen, die ihren Fernsehkonsum protokollieren lassen.
    Zudem gibt es heute eine Art Exhibitionismus,wo jeder zweite (mindestens jedoch jeder n.-te) in Facebook verkünden muss, wie sein Stuhlgang aussieht, was er sonst noch alles von sich gibt und was er den lieben langen Tag lang denkt.

    Und trotzdem nichts handfestes über etwas so häufiges wie Verschwörungstheorien.

    Dabei gäbe es noch viel interessantere und ergiebigere Versuchsanordnungen als den simplen Fragebogen. Ich empfehle folgendes Vorgehen für Leute, die mehr über Verschwörungsdenken wissen wollen: Geben sie sich selbst als Anhänger einer Verschwörungstheorie aus, wobei sie nicht zu dick auftragen sollen, sondern die (scheinbare) Plausibilität ihrer Thesen im Augen behalten sollten. Ich behaupte, sie werden überrascht sein, wie oft man ihnen direkt oder indirekt zustimmt.

    Wenn Psychologen solche Mittel nicht anwenden sind sie eben phantasielos.

  2. Zum Üben:

    Hier sind noch einige Verschwörungstheorien zum Üben:

    1. Bin Laden:

    In Afghanistan und Umgebung gibt es bestimmt dutzende Männer, die Bin Laden täuschend ähnlich sehen, und die täuschend ähnliche politische Meinungen wie Bin Laden haben.

    Die Marines haben in Pakistan nur einen der vielen Doppelgänger von Bin Laden getötet.

    Der Übertrick der al-Qaida ist aber dabei:

    Es hat nie einen Original “Bin Laden” existiert.

    Das war nur eine Sockenpuppe um die USA ins Leere laufen zu lassen.

    2. Roswell:

    Von allen offiziellen Stellen wird dementiert, dass am 14. Juni 1947 über Roswell (New Mexico) ein unbekanntes Flugobjekt abgestürzt sein soll.

    Am 9. Februar 1951 entdeckte man die ersten völlig unsterblichen menschlichen Zellen, die HeLa-Zellen.

    Als Kulturmedium (Züchtungsflüssigkeit) wird für solche und ähnliche Zellen sehr oft RPMI 1640 verwendet.

    RPMI bedeutet Roswell Park Memorial Institute (echt kein Scherz).

    3. Chemtrails:

    In der chemischen Schule lernte ich schon in den Jahren 1961 bis 1964, dass sowohl Tetraethylblei, als auch Ethanol als Antiklopfmittel für Ottokraftstoffe geeignet sind.

    Das Tetraethylblei hat gegenüber dem Ethanol den Nachteil, dass es giftige Abgase erzeugt, und den Vorteil, dass es ein klein wenig billiger ist (bezogen auf die Antiklopfwirkung).

    Nur deshalb hat man bis zum Jahre 1990 wissentlich die Umwelt und die Menschen mit bleihaltigen Abgasen vergiftet.

    4. Lucona:

    Ich habe die Lucona-Affäre selbst nicht geglaubt, obwohl das eine echte Verschwörung war.

    Da sieht man, wohin man kommt, wenn man Verschwörungstheorien nicht glaubt.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Lucona

  3. @ Thomas Grüter

    … Demnach zeichnen sich Verschwörungstheoretiker durch einen deutlichen Mangel an folgerichtigem Denken aus.

    Wäre ich Mitglied einer Regierung, der man nicht über den Weg trauen sollte, ich begrüßte diese Erkenntnis. Als “Verschwörungstheoretiker” eingeordnet zu werden, ist ein schlimmeres Stigma als stamme man aus dem Ausland, und – das Schöne – es kann jeden treffen, der nicht aufpaßt, was er wann und wo schlußfolgert. Das macht diesen Begriff so interessant und medial wertvoll, ggf. auch für ACTA.

    Über die allgemeine Aussage hinaus, dass Misstrauen gegenüber offiziellen Aussagen einer generellen Neigung zu Verschwörungstheorien einhergeht, gibt die Arbeit kaum etwas her.

    Sie sagen es – aber das braucht sie auch nicht, wenn sie nur den richtigen Wind sät.

  4. @ all

    Zu der Zeit als die Allianz der aufrechten Demokraten nach Massenvernichtungswaffen im Irak suchte, galt es als durchgeknallte Verschwörungstheorie zu behaupten, S. Hussein habe evtl. gar keine, das könne auch nur ein vorgeschobener Grund, um einen Krieg aus ganz anderen Interessen führen zu können. […]

    Im Diskurs sollte gelten, daß allein Fakten und ihr logischer Zusammenhang diskutiert werden. Und vor allen Dingen: sapere aude. Indem allerdings der Terminus der Verschwörungtheorie so erfolgreich implizit eingeführt wurde, löst sich so manche Diskussion in übelriechenden Schwaden auf.

  5. @Martin Holzherr

    Die Kognitionspsychologie versucht, bestimmte Reize zu setzen, und die Antworten auszuwerten. Daraus versucht sie dann zu entnehmen, auf welche Weise der Reiz verarbeitet wird. Wenn man den Reiz immer wieder leicht modifiziert, findet man auch eine entsprechende Änderung in den Antworten und kommt damit der Arbeit des Gehirns auf die Spur.
    Dieses Verfahren versagt aber bei der Untersuchung von komplexen Denkinhalten. Das gilt ebenso für Verschwörungstheorien wie für magisches oder religiöses Denken. Die aktuelle Arbeit ist ein im Grunde hilfloser Versuch, komplexe Inhalte über einfache Statistiken zu begreifen. Das Ergebnis ist entsprechend dürftig. Aus eben diesem Grund traut sich bislang kaum eine Arbeitsgruppe an das Thema heran.

  6. @Karl Bednarik

    Verschwörungstheorien hätten nicht solche Anziehungskraft, wenn es nicht genügend echte Verschwörungen gäbe. Aber, wie der Fall Lucona zeigt, die echten Verschwörungen sind im allgemeinen wesentlich weniger raffiniert konstruiert als die Gedankengebilde von Verschwörungstheoretikern. Sie tauchen auch meistens an völlig unerwarteter Stelle auf.

  7. @Jörg Schütze

    Der Ruf von Verschwörungstheoretikern ist sowieso ruiniert, die vorliegende Arbeit trägt nicht mehr viel dazu bei. Aber wie so häufig unterscheidet sie nicht zwischen Menschen, die Verschwörungstheorien erfinden und solchen, die bestimmte Theorien glauben. Das wäre aber nötig, um das Thema wenigstens einigermaßen bearbeiten zu können. Die aktuelle Arbeit von Wood ist methodisch relativ schwach, wie ich in meinem Beitrag gezeigt habe. Möglicherweise stellt er sein plakatives (aber schlecht begründetes) Fazit von der Irrationalität der Verschwörungstheoretiker so deutlich heraus, weil aus der Studie sonst wirklich nichts zu entnehmen ist.

  8. Dr. Thomas Grüter als Günter Wallrafff

    Wenn Verschwörungstheorien gang und gäbe sind und sogar George Double-You Bush verdächtigt wird, den Irak-Krieg nur wegen einer selbst-geglaubten Verschwörungstheorie angefangen zu haben, dann gibt es doch Aufklärungsbedarf.

    Meine Aufforderung an Thomas Grüter deshalb: Schreiben sie das ultimative Verschwörungs-Aufklärungsbuch. Begeben sie sich selbst in den Kreis der Verschwörer, wie das Günter Wallraff gemacht hat. Vielleicht decken sie dann auf, dass auch diverse deutsche Politiker an Verschwörungstheorien glauben.

    Das wärs doch: Die Welt wird von Irren regiert. Und diese Irren glauben noch verrückteren Irren (den Verschwörungstheorieschaffenden) und fressen ihnen aus der Hand.

  9. @Martin Holzherr

    Der Glaube, dass irgendwelche feindlichen Gruppen, oder wen immer man dafür hält, heimlich Böses tun, ist weit verbreitet. Ausgearbeitete Verschwörungstheorien haben weniger Anhänger, aber es gibt viele Menschen, die nicht ausschließen wollen, dass “das was daran” ist, wenn das Feindbild passt. Das ist nur menschlich. Um so etwas in Erfahrung zu bringen, muss man nicht undercover recherchieren, es reicht ein Blick in beliebige Chatrooms oder offenes Ohr auf einer Feier zu fortgeschrittener Stunde. Zum Thema Politiker und Verschwörungstheorien würde es mich schon reizen, eine Satire zu schreiben. Sie wäre aber eher nach Art von Dürrenmatts “Die Physiker” angelegt (also etwa “Die Politiker”).

  10. Heimliches Böses

    Dass irgendwelche feindlichen Gruppen heimlich etwas Böses tun, das kommt öfter vor.

    Wir sind ja schliesslich listige Primaten, die die Mitglieder der anderen Horden austricksen wollen, wenn wir einen Vorteil davon erwarten.

    Der klassische Klassenkampf ist natürlich der zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

    Der modernere Konflikt ist aber der zwischen Produzenten und Konsumenten.

    Die Liste der Beispiele dafür ist nahezu endlos:

    Gefälschte Flugzeug-Ersatzteile,
    gefälschte Medikamente,
    Diethylenglykol im Wein,
    Dioxin im Futtermittel und daher auch im Fleisch,
    illegal als frisch datiertes Gammelfleisch,
    falsche Herkunfts-Angaben von Lebensmitteln,
    illegal eingesetzte Antibiotika in der Tierzucht,
    illegal eingesetzte Pflanzenschutzmittel,
    und so weiter, und so fort.

    Wer weiss, welche schädlichen Zusatzstoffe wir auch gestern wieder mit der Nahrung aufgenommen haben.

    Manche dieser Zusatzstoffe sind so neu, dass man sie noch gar nicht verbieten konnte, oder in der Nahrung suchen würde.

  11. !! O.O !!

    8. Absatz von Thomas Grüter:
    “… Dann würde er beiden Aussagen zustimmen, obwohl er selbstverständlich weiß, dass nur eine davon richtig sein kann.”
    So so eine muss also richtig sein?
    Oder doch: …Dann würde er beiden zustimmen, obwohl er selbstverständlich weiß, dass nicht beide gleichzeitig richtig sind. 😉
    Gut, dass so ein Betrag mal aufgenommen wird. Danke und Gruß