Was geschieht, wenn nichts geschieht? (zweiter Teil)

BLOG: Gedankenwerkstatt

die Psychologie irrationalen Denkens
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Weltuntergangspropheten und ihre Anhänger leben manchmal gefährlich, wie ich im letzten Blogbeitrag am Beispiel der Wiedertäufer im Münster gezeigt habe. In einem toleranteren Umfeld kann eine Weltuntergangsbewegung aber auch weniger gewaltsam enden, wie die folgende Geschichte zeigt.

 

Die Milleriten

Im neunzehnten Jahrhundert entstand in den USA eine Bewegung, die als Milleriten oder Adventisten bekannt sind. Ihre Anführer, der Farmer und Hobbyprediger William Miller und der Prediger Samuel S. Snow legten den Termin für den Weltuntergang zunächst auf das 1843 und dann endgültig auf den 21. Oktober 1844 fest.

William Miller hatte bereits im Jahre 1818 aufgrund diverser obskurer Zahlenspiele errechnet, dass Jesus bereits 1843 ein zweites Mal erscheinen werde. Wieso sollte Jesus vor dem Jüngsten Gericht noch einmal auf die Erde kommen? Laut der Offenbarung des Johannes sollte vor dem Weltgericht der Teufel tausend Jahre gebunden werden und der Messias herrscht mit den Heiligen über die Welt. Aber leider soll dieser Zeit eine siebenjährige Periode der Trübsal (Engl. Tribulation) vorausgehen, in der Kriege, Hungersnöte und Katastrophen einen Großteil der Menschen umbringen. Das ist natürlich schlecht. Aber unmittelbar zu Beginn der Tribulation soll Jesus erscheinen und die wahren Gläubigen in die Lüfte entrücken (The Rapture). Das ist wiederum gut. Diese etwas seltsame, aber unter Baptisten und Freikirchen weitverbreitete Idee entstammt der wörtlichen Auslegung einer obskuren Stelle aus dem 1. Brief von Paulus an die Thessalonicher. Dort steht:

„Zuerst werden die in Christus Verstorbenen wieder auferstehen, dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf die Wolken in die Luft entrückt, dem Herrn entgegen.“ (1 Thessalonicher 4, 16b-17a)

Weil das Ganze doch etwas kompliziert ist, hier noch einmal eine Tabelle:

Zeit

Ereignis

X

Parusie (Wiederkunft Jesu),Beginn der Zeit der Trübsal, Entrückung der Gerechten

X+7 Jahre

Teufel wird gebunden, Jesus herrscht tausend Jahre lang mit den Heiligen und Gerechten über die Welt.

X+1007 Jahre

Zweites Jerusalem, Weltgericht, Ende der Welt, wie wir sie kennen, Beginn der Ewigkeit.

Dieser Weltuntergangsfahrplan ist einigen ausgewählten Prophezeiungen der Danieloffenbarung und der Johannesoffenbarung entnommen. Das Weltuntergangsdatum nach Miller entsprach dem Datum, an dem er die Entrückung erwartete (in der Tabelle als Zeitpunkt X bezeichnet). Die Gerechten konnten auf ihren Wolken die Zeit der Trübsal sicher und bequem überstehen, um dann mit Jesus zusammen für tausend Jahre zu herrschen. Das waren keine schlechten Aussichten. Ab 1831 begann Miller im Nordosten der USA, unablässig vor dem Weltuntergang zu warnen. Während der ersten Jahre blieben seine Erfolge jedoch eher bescheiden. Im Jahre 1840 überzeugte er den Prediger und Pastor Joshua Himes von seinen Ideen. Himes verließ sich nicht allein aufs Predigen zur Verbreitung von religiösen Erkenntnissen, er war auch ein erfolgreicher Verleger. Seine Weltuntergangsschriften erreichten bald Millionenauflagen und Hunderte von Predigern begannen, sie zu verbreiten. Unter den Katholiken hatten sie wenig Erfolg, weil sie den Papst als Antichrist verdammten. Ihr Eintreten gegen die Sklaverei verschaffte ihnen auch im alten Süden der USA nur wenige Freunde. Unter den evangelischen und freikirchlichen Gruppen im Norden fanden sie dagegen relativ viele Anhänger. Leider ging das Jahr 1843 vorüber, ohne dass irgendwelche Anzeichen für das Weltende am Himmel auftauchten. Der Prediger Samuel S. Snow rechnete nach und entschied, dass der 22. Oktober 1844 der wahrscheinlichste Weltendetermin war. Darauf konnten sich auch Himes und Miller verständigen und etwa fünfzig bis hunderttausend ihrer Anhänger bereiteten sich auf das Weltende vor. Einige trennten sich von ihrem materiellen Besitz, hielten sich an alle biblischen Gebote und praktizierten Nächstenliebe. Es ist nicht klar, ob alle Adventisten in den Monaten vor dem ominösen Datum so artig waren wie Kinder am Tag vor Weihnachten. Auf jeden Fall versammelten sich die meisten von ihnen am Abend des 21. Oktober 1844 in ihren Kirchen, um zu beten. Der 22. Oktober ging in die amerikanische Folklore als „Great Disappointment (Große Enttäuschung)“ ein, denn Jesus kam nicht und niemand wurde entrückt.

„Unsere sehnlichsten Hoffnungen und Erwartungen hatten sich zerschlagen, und ein Weinen kam über uns, wie wir es noch nie erlebt hatten”, schrieb eine Adventistin.

Viele Zeitungen brachten hämische Berichte, nach denen sich Adventisten in weißen „Auferstehungsgewändern“ ähnlich langen Nachthemden in den Kirchen eingefunden hätten, um für den Anlass angemessen gekleidet zu sein. Einige sollen auf Bäume geklettert und ihrer Entrückung entgegen gesprungen sein, was ihnen aber nur aufgescheuerte Knie und verstauchte Knöchel einbrachte. In einer Kirche sollen Trompetenstöße zu hören gewesen sein (in Amerika blasen die Engel Trompete, nicht Posaune). Die Gläubigen stürzten nach draußen, aber da trompetete nur der Dorfsäufer und machte sich über die verdutzten Gesichter lustig. Ob das alles stimmt, ist nicht bekannt. Der Spott gegen die Adventisten nahm teilweise sehr aggressive Züge an, es kam auch wohl vereinzelt zu gewaltsamen Übergriffen.

Was geschah mit den Untergangspropheten? William Miller starb im Jahre 1849, ohne dass er sich vor Gericht verantworten musste. Bis zum Schluss war er überzeugt, dass der Weltuntergang tatsächlich unmittelbar bevorstünde. Irgendwo, so meinte er, müsse bei der Berechnung ein Fehler vorgelegen haben. Seine Farm ist erhalten, das Farmhaus kann besichtigt werden.

Joshua Himes wurde nach der Großen Enttäuschung einer der religiösen Führer der Adventisten. Auch ihm hat die fehlgeschlagene Prophezeiung nicht erkennbar geschadet. Die Adventistenbewegung verlor viele Mitglieder, hat aber überlebt. Noch heute existieren beispielsweise die Siebenten-Tags-Adventisten. Sie glauben nach wie vor, dass Jesus bald wiederkommen wird. Weil es aber in der Bibel ausdrücklich heißt, dass nur Gott allein den Zeitpunkt wisse (Mt. 24,36), ist es unmöglich, ein genaues Datum anzugeben.

 

In der letzten Folge dieser Serie wird es um ein einmaliges sozialpsychologisches Experiment gehen. Amerikanische Psychologen fanden eine kleine Endzeitsekte, und verfolgten ihre Aktivitäten, indem sie sich als Gläubige ausgaben. Auf diese Weise konnten sie sowohl das Anwachsen der Erwartung als auch die Reaktion der Anhänger auf das Ausbleiben von Weltuntergang und Erlösung genau verfolgen.

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www.thomasgrueter.de

Thomas Grüter ist Arzt, Wissenschaftler und Wissenschaftsautor. Er lebt und arbeitet in Münster.

1 Kommentar

  1. Auferstehung

    Diejenigen, die sagen: “Der Herr ist zuerst gestorben und dann auferstanden”, sind im Irrtum. Denn er ist zuerst auferstanden und dann gestorben. Wenn jemand nicht zuerst die Auferstehung erwirbt, wird er sterben.

    (Nag Hammadi Library / Philippusevangelium / Spruch 21)

    Die Auferstehung ist ein Erkenntnisprozess und nicht das “Herausklettern des toten Jesus aus seinem Grab”.

    Selbst wenn es sich nicht anhand der originalen Heiligen Schrift (die Bibel nur bis Genesis 11,9 sowie ein wesentlicher Teil der Nag Hammadi Schriften), die dadurch gekennzeichnet ist, dass ihre Verfasser die wirkliche Bedeutung der in Genesis 3,1-24 beschriebenen Erbsünde noch kannten, eindeutig beweisen ließe, dass Jesus von Nazareth der erste Denker in der bekannten Geschichte war, der die Grundprinzipien der Natürlichen Wirtschaftsordnung erkannte, wäre es noch immer hochgradig unwahrscheinlich, dass die berühmteste Persönlichkeit der Welt, auf der bis heute die planetare Zeitrechnung basiert, irgendetwas anderes entdeckt haben könnte, denn allgemeiner Wohlstand auf höchstem technologischem Niveau, eine saubere Umwelt und der Weltfrieden sind ohne eine konstruktive Geldumlaufsicherung in Verbindung mit einem allgemeinen Bodennutzungsrecht prinzipiell unmöglich.

    Die originale Heilige Schrift ist aufgebaut wie ein komplexes Gleichungssystem, in dem archetypische Bilder und Metaphern die “Unbekannten” darstellen. Das Gleichungssystem hat nur genau eine Lösung, die einen vollkommenen Sinn ergibt und die gesamte Kulturgeschichte der halbwegs zivilisierten Menschheit seit dem “Auszug der Israeliten aus Ägypten” bis heute erklärt. Bei der Vielzahl von Gleichnissen, insbesondere in den Nag Hammadi Schriften, in denen immer wieder die gleichen Bilder und Metaphern in vielen Kombinationen und Zusammenhängen verwendet werden, wäre es absolut unmöglich, den makroökonomischen Sinngehalt “hineinzuinterpretieren” – und das auch noch mit 100-prozentiger Signifikanz –, wenn die originale Heilige Schrift irgendeine andere Bedeutung hätte, als die in “Der Weisheit letzter Schluss” beschriebene: http://www.deweles.de