Wie das Ciguatoxin in den Fisch kommt

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Wegen merklicher Mengen an Ciguatoxinen hat Deutsche See gestern eine Charge Red Snapper aus den Läden zurückgerufen, der Fisch hat nach Angaben des Unternehmens bei sechs Opfern Vergiftungssymptome hervorgerufen. Das Ganze ist jetzt nicht sooo dramatisch (außer wenn das Klopapier alle ist), aber die Ciguatoxine sind eine so interessante Stoffklasse, dass sich ein näherer Blick darauf lohnt.

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Gambierdiscus toxicus. Bild: D. Anderson, NOAA/CSCOR/COP

Die ultimativen Verursacher sind kleine Dinoflagellaten, in diesem Fall Gambierdiscus toxicus und wohl auch verwandte Arten, die vor allem im Umfeld von Korallenriffen auf größeren Algen leben. Diese Algen, nicht die Einzeller selbst, werden von Fischen gefressen, und die wiederum von größeren Raubfischen. Die Toxine reichern sich in Lebewesen und über die Nahrungskette an, und so kann es auch mal passieren, dass der Schnapper, der sich von kleineren Rifffischen ernährt, größere Mengen der Gifte aufnimmt.

Insgesamt sind so plusminus 20 Ciguatoxine bekannt, von denen die Algen selbst überwiegend nur die weniger giftigen Vertreter produzieren. Erst auf dem Weg durch die verschiedenen Fische entstehen die giftigsten Ciguatoxine in größeren Mengen. Das liegt an der Struktur dieser Stoffe. Ciguatoxine sind recht große Moleküle aus 13 aneinandergebappten cyclischen Ethern. Deswegen sind trotz der vielen polaren Ether in der Struktur diverse Vertreter eher schlecht wasserlöslich, und erreichen deswegen schlecht ihren Wirkort in den Zellmembranen. Sie verklumpen eher mit anderen unlöslichen Sachen oder binden an fettreiche Komplexe im Blut, so dass sie unschädlich bleiben.

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Ciguatoxin 1B, das “klassische” Ciguatoxin und mit die am besten wasserlösliche Variante

Der Körper metabolisiert unlösliche Verbindungen allerdings, indem er sie oxidiert, hydroxyliert und so wasserlöslicher macht – polare, lösliche Verbindungen können über die Nieren leichter ausgeschieden werden. Leider gelangen die löslicheren Derivate auch leichter zu den Synapsen des peripheren Nervensystems.

Dort binden die Stoffe an spannungsgesteuerte Natriumkanäle und sorgen dafür, dass sie häufiger und länger offen sind. Das ist insofern blöd, dass diese Ionenkanäle ganz entscheidend für die Reizweiterleitung entlang des Nervs sind und solche Veränderungen in ihrem Verhalten die Weitergabe von Aktionspotentialen empfindlich stören.  Deswegen auch die Vergiftungssymptome, die in ihrer Gesamtheit als Ciguatera bekannt sind: Einerseits bekommt man die klassischen gastrointestinalen Vergiftungssymptome Durchfall, Erbrechen und Übelkeit, andererseits sehr typische neurologische Symptome wie Taubheit im Mund und umgekehrten Warm-Kalt-Empfinden woran man mögliche Fälle recht schnell erkennt. Das Fiese ist, dass einige neurologische Symptome auch nach dem Abklingen der akuten Vergiftung wohl noch über Monate bleiben können, was ich mir ausgesprochen lästig vorstelle. Außerdem stimulieren die Toxine wohl die Noradrenalin-Freisetzung, was gegenüber der Wirkung auf die Natriumkanäle aber eher sekundär sein dürfte.

Die Ciguatoxin-Vergiftung Ciguatera ist nun beileibe keine exotische Krankheit. Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass eigentlich jeder größere räuberisch lebende Rifffisch kleinere Mengen Ciguatoxine enthält – die fressen haufenweise kleine Pflanzenfresser. Und die Ciguatoxine werden, wohl wegen ihrer Größe und schlechten Löslichkeit, insgesamt schlecht ausgeschieden, das heißt, sie reichern sich gut an. Außerdem sind sie sehr hitzestabil und werden beim Kochen nicht zerstört. Entsprechend ist Ciguatera in Ozeanien mit der häufigste Grund für Fischvergiftungen, und laut dem eben schon verlinkten Paper von 2007 erkranken jährlich etwa 50.000 Menschen daran. Ein Gegenmittel gibt es derzeit nicht, aber Forscher arbeiten an monoklonalen Antikörpern, die die Toxine Binden und so unschädlich machen sollen.

Dass man an Ciguatera durchaus auch mal sterben kann, belegt der Fall einer australischen Familie, die sich 2010 an einem Barrakuda vergiftete, wobei der Vater nach sechs Tagen an Herzversagen starb. Glücklicherweise sind Todesfälle durch Ciguatera recht selten und hier in Europa nahezu ausgeschlossen, und das aus einem sehr einfachen Grund: Die Toxine verteilen sich nicht gleichmäßig im Fisch, sondern reichern sich selektiv an – vor allem in Haut, Kopf, Rogen und Innereien, insbesondere der Leber.

Die besagte australische Familie hat nun unglücklicherweise die Innereien des Fisches mit verzehrt, und später fanden die Forensiker dann auch in der Leber die höchsten Giftkonzentrationen. Dagegen war die Konzentration an Ciguatoxinen im Filet weitaus geringer, und etwas anderes wird hierzulande ja auch kaum verkauft – so dass die Wahrscheinlichkeit, sich an der Fischtheke den Tod zu holen, trotz der weiten Verbreitung von Ciguatera hier in Mitteleuropa praktisch nichtexistent ist.

1 Kommentar

  1. Fischinnereien essen?

    Ich wusste bis eben ehrlich nicht, dass man Fischinnereien (von großen Fischen) essen kann. (Die ganz Kleinen ess ich eher am Stück.) Ich hab das immer für gastronomischen Abfall gehalten. Gut, dass ich jetzt weiß, dass das auch Giftmüll sein kann und ich von daher erst Recht die Finger von lassen sollte. Fischblog lesen, bewahrt einen also vor unnötig gefährlichen Ess-Experimenten 😉

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