Schlangenbisse – eine Armutskrankheit

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Bei dem ganzen Ärger, den Bakterien, Viren und scheußliche Einzeller verursachen, vergisst man leicht, dass auch größere Tiere eine Gefahr darstellen können. Man sollte meinen, dass Infektionskrankheiten wie Cholera oder Dengue-Fieber wesentlich mehr Todesopfer fordern, aber das stimmt so nicht. Schlangenbisse sind, wie ich vor ein paar Tagen gelernt habe, eine recht häufige Todesursache. In Südostasien und dem subsaharischen Afrika, wo die meisten Todesfälle auftreten, sterben jährlich je nach Schätzungen bis zu 80.000 Menschen am Schlangengift. So viele wie durch Schistosomiasis, Cholera, Japanische Enzephalitis, Leishmaniose, Trypanosomen und Dengue zusammen.

Bei den meisten dieser Krankheiten ist nicht nur die direkte Sterblichkeit wichtig, sondern die hohe Rate an chronischen Infektionen und langfristigen Folgeschäden, die vielerlei negative Auswirkungen hat – von Entwicklungsstörungen bei Kindern über ineffektive Impfkampagnen bis hin zu jährlichen volkswirtschaftlichen Schäden in Milliardenhöhe. Auch Schlangenbisse hinterlassen bei Überlebenden oft schwere bleibende Schäden, die umso gravierender sind, weil die meisten Opfer im arbeitsfähigen Alter oder darunter sind.

Wegen dieser Gemeinsamkeiten führt die Weltgesundheitsorganisation seit einiger Zeit Schlangenbisse wie die anderen Krankheiten in der Liste unter der Bezeichnung Neglected Tropical Disease (NTD), und das mit einiger Berechtigung. Schlangenbisse sind selbst nach den Maßstäben von NTDs eine vernachlässigte Tropenkrankheit. Einigermaßen zuverlässige Fallzahlen gibt es erst seit wenigen Jahren – die (meines Wissens) erste wirklich umfassende und reproduzierbare Übersicht über die globale Schlangenbiss-Mortalität stammt aus dem Jahr 2008.

Todesfälle durch Schlangenbisse nach Ländern. Aus: Harrison et al., Snake Envenoming: A Disease of Poverty. PLoS Negl Trop Dis 3(12) (2009): e569. Die Legende ist offensichtlich falsch.

Wie schwer es ist, einen Überblick über die Häufigkeit solcher lange unterschätzten Todesursachen zu bekommen, demonstriert die erstaunlich kreative Methodensammlung der damaligen Studie. Die Quellen reichen hier von konkreten Fallzahlen in Ländern, in denen die Sterberegister zuverlässig sind bis hin zu reinen Schätzungen auf der Basis der Fallzahlen in den Nachbarländern für Gebiete völlig ohne Daten (zum Beispiel Deutschland). Eine weitere wichtige Quelle für diese Sorte Daten ist übrigens „graue“, nicht in wissenschaftlichen Journals publizierte Literatur wie Projektberichte und ähnliches.

Die Studie bestätigte damals im Wesentlichen das, was man aus anekdotischen Berichten und regionalen Studien wusste: Die Opferzahlen sind hoch, und am meisten betroffen sind tropische und subtropische Gebiete. Die geographische Verteilung ist aussagekräftiger als es scheint, denn giftige Schlangen gibt es fast überall. Die tropischen Arten sind nur bunter und haben die bessere PR.

Der eigentliche Grund, dass Schlangen in den Tropen tödlicher sind, ist Armut, wie diese aktuelle Untersuchung nachdrücklich belegt. Egal ob man den Wohlstand als Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, Gesundheitsausgaben der Regierung oder über den ausgefeilteren Human Development Index (HDI) misst, es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Kennzahlen und Sterblichkeit durch Schlangenbisse.

Beziehungen zwischen sozioökonomischen Indikatoren und Schlangenbiss-Mortalität. Achtung: Die Sterblichkeit ist logarithmisch aufgetragen, die Graphen B und D sind doppelt-logarithmisch.  Aus: Harrison et al., Snake Envenoming: A Disease of Poverty. PLoS Negl Trop Dis 3(12) (2009): e569.

Zwei Effekte sind für diesen Zusammenhang verantwortlich. Der erste ist Zugang zu effektiver medizinischer Versorgung. Gegen fast alle Schlangengifte gibt es effektive Antidote, die meistens das Leben der Opfer retten. Speziell in ärmeren Ländern sind diese Gegengifte entweder gar nicht verfügbar, zu teuer oder kommen zu spät. Hinzu kommt, dass oft das medizinische Personal für die Behandlung von Schlangenbissen gar nicht hinreichend ausgebildet ist.

Aber eigentlich, und das ist bemerkenswert, sind Schlangenbisse quasi eine Berufskrankheit. Die Hauptrisikogruppe sind arme Kleinbauern der Tropen und Subtropen, die ihre Felder noch mit e3infachsten Mitteln bewirtschaften. Wer den ganzen Tag mit den Händen im Unterholz herummacht, wird natürlich auch am meisten gebissen. Und in dieser demographischen Gruppe kommt natürlich alles zusammen: Armut, schlechter Zugang zu medizinischer Hilfe, hohe Krankheitslast. Und natürlich auch relativ schlechte Kommunikation.

Gerade in der am stärksten betroffenen Gruppe dürfte deswegen die Dunkelziffer besonders hoch sein. Die epidemiologische Erforschung der Schlangenbisse hat jedenfalls gerade erst begonnen.


Harrison, R., Hargreaves, A., Wagstaff, S., Faragher, B., & Lalloo, D. (2009). Snake Envenoming: A Disease of Poverty PLoS Neglected Tropical Diseases, 3 (12) DOI: 10.1371/journal.pntd.0000569

9 Kommentare

  1. Mich würde die korrekte Legende der Karte sehr interessieren. Scheinbar gibt es in Deutschland (wobei diese Schätzung ja recht… ungenau ist) mehr tödliche Schlangenbisse als in Australien.
    Insgesamt wie so vieles… theoretisch heilbar, praktisch in vielen Gebieten fast zwangsläufig ein Todesurteil.
    Auf jeden Fall sehr spannend, danke!

  2. Naja…

    Ehrlich gesagt würde ich die Karte gar nicht für solche Vergleiche nutzen, sondern höchstens als qualitative Illustration. Es ist ja nicht nur die Legende falsch, sondern auch die Referenz in der Bildunterschrift.

    Außerdem ist die Karte entstanden, indem dubiose Daten durch das Visualisierungsprogramm nachträglich “gewaschen” wurden. Zum Beispiel sieht Nordafrika ja ziemlich genau differenziert aus, mit einigen Ländern stark belastet, einige weniger.

    Tatsächlich kennzeichnet die Quelle den kompletten Gürtel von Marokko bis Somalia als “Countries with no [published] Data”. Alles was feiner ist als regionale Trends würde ich in der Karte mit Vorsicht genießen.

  3. Logarithmische Darstellung…

    Hm, also die Abbildungen könnten einen Zusammenhang nahelegen; trotzdem: vor Jahren hat mir mal ein Statistiker (nicht ganz ernst gemeint, aber mit einem wahren Kern) gesagt: “Wenn man in der normalen Darstellung keinen ordentlichen Zusammenhang sieht, dann doppelt-logarithmisch auftragen.” Das bügelt alle Unsicherheiten weg und alles wird mehr oder weniger zur Gerade.

    Und trotz dieser Darstellung sind die Messwerte schwer verwaschen. Und ich meine nicht beurteilen zu können ob diese Korrelation eher durch fragwürdige Datenlage oder durch tatsächliche Zusammenhänge zustande kommt. Also ich will nicht sagen, dass es gar keinen Zusammenhang gibt, aber so eindeutig scheint mir das tatsächlich nicht zu sein.

    (Von der offenbar unklaren Datenlage, wie schon ein anderer Kommentator geschrieben hat mal abgesehen).

    Mich überraschen z.B. auch Details: bspw. scheint Indonesien in der höchsten Gruppe zu liegen, dabei auch Java. Java ist aber im wesentlichen großstädtisch (Jakarta, Yogya, Surabaya…) wo der Großteil der Menschen lebt. Wie sollen diese an Schlangenbissen sterben? Auf Borneo oder anderen Inseln möglicherweise. Oder sind die Zahlen nur auf ganze Länder gerechnet? Trotzdem wundert mich die Einordnung von Indonesien bspw.

  4. Die Zahlen

    sind auf ganze Länder gerechnet, eine genauere Einstufung ist mit der vorhandenen Datenbasis nicht möglich und die Unsicherheiten bei einzelnen Datenpunkten sind erheblich.

    Allerdings denke ich, dass die Grundtendenz schon sehr robust ist. Schließlich ist die große Streuung ja auch genau das, was man für diese Sorte Daten erwarten würde. Wenn die Korrelation deutlich besser wäre, würde ich wohl schon bewusste oder unbewusste Manipulation vermuten.

    Auf der anderen Seite hat man hier drei unterschiedliche Wohlstandsindikatoren, die alle eine recht deutliche Tendenz zeigen. Das ist ja auch im HDI-Graph verdeutlicht, da sind die oberste und die unterste Quartile farblich markiert. Das ist schon ein ziemlich deutlicher Unterschied. Die Y-Achse ist ja auch logarithmisch.

  5. Schlangenbisse Deutschland

    Für Interessierte: ISBN 3894321512
    Buch “Die Kreuzotter”
    Eine gut gemachte Zusammenfassung von Felddaten und auch Statistiken aus Bissfällen.Basis: Krankenhaus/Arztdaten
    Resumee: Nur nicht fahrradfahren, es ist zu gefährlich…
    Trotz aller vorhandenen Kreuzottern – laut gab es laut dieser Quelle bei 875 Bissen keine Todesfälle von 1955 bis 1975. Ältere Angaben von Todesfällen waren vor der Jahrhundertwende, was vielleicht mit der HDI These korrespondiert.
    Außerdem merkt der Autor an, dass Zeitungsmeldungen tödlicher Bisse der Nachprüfung praktisch nie standhielten.
    Heikles Thema, aber nachdem die o.a.”Statistik” ja auf Schätzungen beruht ist sie auch als solche zu sehen.

  6. OZ vs. DE

    @Asja:
    In .au gibt es AFAIK 1-2 Opfer pro Jahr, seit Sutherland die Erste Hilfe in Ordnung gebracht hat (vermutlich Betrunkene, die die Tiere belästigen und dann keinen Arzt rufen). In .de gibt es AFAIK ca. 0, allerdings ist .de in einer Arbeit als “no data” genannt. Zeitungsmeldungen dienen eher der Sensationsmache oder populistischer Agenda (Haltungsverbote durchzusetzen).

    Zum Hauptproblem: “giftige Schlangen gibt es fast überall” stimmt, weil (seit B. G. Fry) fast alle modernen Schlangen als im Prinzip giftig bekannt sind, nur ist eben die Dosis von Kreuzotter oder Ringelnatter gerade mal ausreichend, eine Maus zu erlegen oder einen Frosch zu betäuben (für unsereins gibt das einen geschwollenen Finger). Wenn eine Gabby oder Jararaca zulangt, ist selbst bei perfekter Behandlung das Leben nicht sicher und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Stück Arm oder Bein weg — bei Elapiden ist meist das schlimmste überstanden, wenn man den ersten Tag überlebt hat; dafür ist gerade bei ihnen die Sterblicheit am größten, wenn die Hilfe fehlt (extrem z.B. in Neuguinea).
    Neben dem alles bestimmenden Geldmangel (Serum erfordert viel qualifizierte Arbeit, ist also zwangsläufig teuer) wirken sich erschwerend die lokalen sozialen Probleme aus (wer nach einem Biss erst stundenlang zur Krankenstation marschiert, hat wenig Chancen; ebenso jemand, der selbst nach einem harmlosen Biss vom abergläubischen Medizinmann zu Tode gefoltert wird).

  7. Andere Ursachen nicht berücksichtigt!

    Sehr geehrter Herr Fischer!
    Die Mortalitätsrate durch Schlangenbisse hauptsächlich auf Armut zurückzuführen ist meiner Meinung nach ein wenig einseitig, da viele wichtige Faktoren nicht berücksichtigt werden.
    Dass es naturgemäß in den Ländern Südostasiens eine hohe Mortalität gibt, ist hinlänglich bekannt, hat aber meiner Meinung nach noch andere Ursachen:
    Im Gegensatz zu Ländern der gemässigten Zonen ist das Klima dort warm, d.h. die Schlangen sind ganzjährig aktiv (in Mittel- und Nordeuropa dauert die Aktivitätszeit oft nur wenige Monate).
    Es gibt in diesen Ländern wesentlich mehr giftige Arten, das Gift dieser Schlangen ist zudem stärker, die Tiere werden in der Regel auch grösser.
    Die Bekleidung der Leute ist an das heisse Klima angepasst. Festes Schuhwerk ist unpraktisch und wird auch von wohlhabenden Leuten kaum getragen.
    Auch die Bauweise der Häuser ermöglicht ein Eindringen von Schlangen (in unseren Breiten in der Regel unmöglich).
    Die traditionelle Landwirtschaft in diesen Ländern (z.B. Reisanbau) erfordert einen anderen körperlichen und manuellen Einsatz las z.B. der in nördlichen Ländern übliche Getreide, bzw. Maisanbau.

    und nicht zuletzt:

    Giftschlangen sind in den meisten Ländern Nord- und Mitteleuropas fast zur Gänze ausgerottet, bzw. auf wenige Rückzugsgebiete zurückgedrängt. Der durchschnittliche Europäer kommt so gut wie nie mit frei lebenden Giftschlangen in Berührung.
    Die Todesfälle in Verbindung mit Giftschlangen sind in Europa zu einem Grossteil auf Terrarientiere, aber so gut wie nie auf frei lebende Giftschlangen zurückzuführen.

  8. Interessanter Artikel. Vielen dank für die Informationen, es ist ziemlich hilfreich. Mit Schlangen befreunde ich mich nicht an.

    Gruß Anna

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