Schädliche Antioxidantien

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Wenn’s um die Gesundheit geht, ist den Deutschen nichts zu teuer. Anderthalb Milliarden Euro (geschätzt) werden hierzulande allein für Nahrungsergänzungsmittel ausgegeben. Diese "Vitalstoffe" – so heißen Vitamine, Spurenelemente und dergleichen Zeug im Marketing-Jargon – sind, suggerieren zumindest Werbung, Massenmedien und myriaden Internetseiten, in der täglichen Nahrung viel zu wenig enthalten. Deswegen sollten auch gesunde Menschen sich zusätzlich Pillen voller Vitalstoffe reinpfeifen, damit es ihnen wohl ergehe und sie lange leben auf Erden.

Eine Gruppe "Vitalstoffe" sind die Antioxidantien. Ihnen sprechen auch Wissenschaftler gerne lebensverlängernde Wirkung zu. Sie fangen freie Radikale ab, sehr reaktive Verbindungen, die Zellbestandteile und Erbgut schädigen. Und weil derartiger Verschleiß als wichtige Komponente des Alterungsprozesses gilt, folgert man messerscharf: Mehr Antioxidantien gleich weniger freie Radikale, ergo länger jung.

 

Als Verkaufsargument hat sich diese Argumentationskette seither fest etabliert, sucht man allerdings konkrete Belege für diese Behauptung, stößt man schnell auf Widersprüche. Es gibt zwar einige Untersuchungen, die Antioxidantien im Tiermodell lebensverlängernde Effekte bescheinigen. Doch andere Studien zeigen: Antioxidantien können auch wirkungslos bleiben oder gar den Exitus beschleunigen.

All diese Beobachtungen sind deutliche Hinweise darauf, dass in dem einfachen Wirkmodell ein ganz grundlegender Fehler steckt. Freie Radikale sind nicht einfach nur schädliche Eindringlinge, sondern entstehen permanent im Stoffwechsel und erfüllen einige wichtige regulatorische Aufgaben.

Freie Radikale im Stoffwechsel
Diese freien Radikale, so viel ist klar, verursachen oxidativen Stress, indem sie mit Proteinen, Nucleinsäuren und Membranbestandteilen reagieren und sie funktionsuntüchtig machen. Wenn zu viele dieser Moleküle in der Zelle produziert werden, kann das zu Problemen bis hin zu permanenten Erbgutschäden und sogar zum Tod der Zelle führen. Deswegen haben Wissenschaftler auch metallhaltige Nanopartikel ein bisschen auf dem Kieker, die können nämlich zu ganz erheblichen oxidativen Stress führen, wie ich in diesem Beitrag über solche Nanopartikel näher ausgeführt habe.

Das ist aber nur die halbe Geschichte, denn freie Radikale und Antioxidantien sind Teil eines zellulären Regulationssystems. Die Biomoleküle der Zelle erfüllen ihre Funktion am besten, wenn bestimmte Parameter innerhalb eines Normbereiches sind. Temperatur und pH-Wert sind zwei solcher Variablen, und wahrscheinlich die bekanntesten. Speziell der pH-Wert wird durch ein System von Säuren und Basen konstant gehalten.

Ein vergleichbares System gibt es auch bei Antioxidantien und freien Radikalen. Das Redoxpotential der Zelle, also das Gleichgewicht zwischen oxidierenden und reduzierenden Stoffen ist mit Hilfe des Moleküls Glutathion auf einen Bereich eingestellt, der für die Zelle optimal ist. Verlässt das Redoxpotential diesen Bereich, beeinträchtigt das die Funktion der Zellbestandteile. Dementsprechend liegt es auch nahe zu vermuten, dass eine übermäßige Zufuhr von Antioxidantien auch keine so arg tolle Idee ist.

Redox-Regulation
Wie sowas konkret aussehen kann, sieht man beispielhaft an dieser Arbeit über Fadenwürmer, die sich mit solchen Regulationsmechanismen befasst und unter anderem zeigt, dass Antioxidantien die Lebenserwartung reduzieren. Offenbar hängt die Regulation wichtiger Reparaturmechanismen der Zelle von einer ausreichenden Konzentration oxidierender Stoffe ab. Zellschäden treten nicht nur durch Freie Radikale auf, sondern durch eine Vielzahl unterschiedlicher Einflüsse. Fangen Antioxidantien aber die Freien Radikale ab, werden nach Ansicht der Forscher dadurch Reparaturmechanismen so stark heruntergeregelt, dass sich Schäden aus anderen Quellen ansammeln und die Lebenserwartung reduzieren.

Nun sind Fadenwürmer keine Menschen, doch freie Radikale und die Systeme, die mit ihnen Zusammenhängen, sind evolutionär sehr alt. Es handelt sich um ein Erbe der ersten sauerstoffatmenden Organismen. Es ist also anzunehmen, dass sehr ähnliche Mechanismen auch bei uns am Werk sind.

Kernthese der Arbeit ist dementsprechend, dass die lebensverlängernde Wirkung einer kalorienarmen Ernährung mit genau diesem Mechanismus zusammenhängt. Freie Radikale entstehen vermehrt, wenn der Stoffwechsel keine Zucker, sondern Fette verbrennt, was er immer dann tut, wenn nur wenig Zucker zur Verfügung steht. Der zusätzliche oxidative Stress aktiviere das zelluläre Reparatursystem und sei daher für die beobachtete Verringerung von Erbgutschäden verantwortlich.

Auch andere Arbeiten kommen zu dem Schluss, dass übermäßige Zufuhr von Antioxidantien kontraproduktiv auf vielerlei Regulationsmechanismen wirken, zum Beispiel die gesundheitsfördernden Aspekte von regelmäßigem Training. Das Zusammenspiel von Antioxidantien und freien Radikalen im Körper ist jedenfalls wesentlich komplizierter ist als den Marketing-Experten der "Vitalstoff"-Industrie lieb sein kann.

Auf der Basis seiner Ergebnisse empfahl der damals an der Studie beteiligte Jenaer Ernährungsforscher Dr. Michael Ristow sinnvollerweise, die Finger von den "Vitalstoff"-Pillen zu lassen, sich stattdessen ausgewogen und zuckerarm zu ernähren und eher weniger zu futtern als zu viel.

4 Kommentare

  1. Die kenn ich doch…

    Oh, das Thema hatte ich auch schon mal angefangen und dann fand ich hier eine neue Heimat^^

    Haste aber gut gemacht! Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass im Bereich der Ernährung noch einiges im Argen ist. Außer FDH und einem kleinen wenig Ahnung gibts da nicht viel zu beachten.

  2. @Sören Schewe

    “Außer FDH und einem kleinen wenig Ahnung gibts da nicht viel zu beachten.”
    Hm, solange Muttern eine gesunde selbstgekochte Mischkost anbietet, vielleicht.
    Leider geht man heutzutage immer mehr dazu über, Nahrungsmittel im Labor herzustellen. Um da eine gesunde Mahlzeit anzubieten, müssen natürlich sämtliche Inhaltsstoffe analysiert werden. Auch verwendet man in der Industrie gerne billige Streckmittel, wie Fett und Zucker. Natürlich soll diese industriell hergestellte Nahrung auch alle Vitamine und Mineralstoffe enthalten, die der Mensch braucht. Allerdings steckt hier der Teufel im Detail, denn da die Menschen sich nicht nur durch Alter und Geschlecht, sondern auch durch ihre Ernährungs- und Lebensgewohnheiten voneinander unterscheiden, weiß man leider immer noch nicht genau, wo die Grenze zwischen nützlich und schädlich verläuft. Noch komplizierter wir es, wenn man sog. Nahrungsergänzungsmittel zu sich nimmt, wie z.B. Antioxidantien. Die erwünschte Wirkung kann sich dann, wie hier beschrieben, leicht ins Gegenteil verkehren.
    “Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass im Bereich der Ernährung noch einiges im Argen ist.”
    Ja, denn der Koch der Zukunft muss Chemie studiert haben. (-:

    Siehe auch: http://www.foodwatch.de/

  3. Alle über einen Kamm scheren??

    Sicherlich ist das Thema Antioxidantien in Deutschland mittlerweile ein weit verbreitetes Thema, welches sich auch die großen Industriefirmen zu nutze gemacht haben. Es ist sogar richtig das bei einer ausgewogenen und bewussten Ernährung auf Nahrungsergänzungsmittel verzichtet werden kann, aber genau das ist in Deutschland das Problem, zwar wir in unserem Land viel gegessen – aber die wenigsten davon achten auf die Ausgewogenheit und unterstützen so die Prozesse der Freien Radikalen. Und genau aus diesem Grund ist der Markt für Nahrungsergänzungsmittel so. Die Entscheidung dafür muss jeder für sich selbst treffen. Ich kann nur von mir behaupten das mir der ganze künstliche Pillenkram nicht weiter geholfen hat, erst seit ich auf natürliche Ergänzungsprodukte zurückgreife konnte ich spürbare Effekte feststellen. Aber wie bereits gesagt, wer sich ausgewogen Ernährt braucht das alles nicht – nur genau das schaffen die wenigsten!

  4. theoretisch könnte man die ganzen chemischen Nahrungsergänzungsmittel eh vergessen weil diese bring null Erfolg deswegen lieber auf Natürliche mittel umsteigen ist A gesünder und B hilft das weitaus mehr

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